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Fabeln 2

 
26.
Echo

Echo lacht und weint und jauchzt und klagt,
Spricht bald trotzig und bald mild,
Wie's ihr vor ein Andrer sagt.
Des Charakterlosen Bild.

27.
Der Magnet und das Eisen

                 
Magnet
Warum folgst du mir auf meiner Bahn?
                 
Eisen
Warum ziehst du mich denn immer an?
                 
Stimme
Lieb' hat Euch Natur in's Herz geschrieben,
Also müßt ihr lieben!

28.
Schwanengesang

Es tönte Gesang vom Teiche heran,
Sind dieses, — frug ich — Töne der Freuden?
»Singend sterb' ich« — erwidert ein Schwan.
Der Gute geht froh aus dem Tale der Leiden.

29.
Die Bruthenne

Einer Henne legt man Enteneier unter,
Diese brütet eins um's andre aus
Und bei jedem gackert sie recht munter. —
Andrer Werke gibt man so heraus.

30.
Der Wasserfall und das Bächlein

                  
Wasserfall
Wer wird denn so versteckt und langsam fließen?
Benütze deine Kraft, dein Bett durchbrich!
Und rausche, schimmre so wie ich!
                    
Bächlein
Immer rausche du, ich wäss're Wiesen.

31.
Der Künstler und die Leier

Ein Musiker warf seine Leier,
Als sie ihm Ehr' und Gold gebracht, in's Feuer;
So nimmt manch andrer Künstler nicht in Acht
Das herrliche Talent, das ihn emporgebracht.

32.
Die Verwandlungen des Schmetterlings

Prahlte ein Schmetterling einst mit seinen Metamorphosen:
»Sieh, ich liebe dich, Freund!« versetzte die schönste der Rosen,
»Mehr aber liebt ich dich noch, wenn Raup' und Pupp' unterbliebe;
Denn das Beste ist: stets Derselbe sein in der Liebe.«

33.
Tugend und Laster

Das Laster rief: »Ich bin auf Erden König!«
Die Tugend rief: »»Mir ist der Himmel untertänig!««
Nun wähle,
Unsterbliche Seele!

34
Der büßende Fuchs

Ein Fuchs, dem Tode nah, entsagt dem Hühnerblute,
Tat ernsthaft Buß' und ging nicht mehr auf Mord,
Und dennoch flohn die Hühner vor ihm fort;
Den: Lasterhaften glaubt man nicht das Gute.

35.
Die Nußbäume

»Zum Dank, daß wir dir Nüsse tragen,
Pflegst, unbarmherz'ger Erdensohn,
Mit Stangen du auf uns zu schlagen!« — —
Ist dies nicht auch der Wahrheit Lohn??!

36.
Die beiden Pflüge

In einer Scheune lag versteckt
Ein Pflug, schon ganz mit Rost bedeckt,
Ein zweiter Pflug daneben glänzte sehr; —
Sein Glanz kam von der Arbeit her.

37.
Der Löwe und der Hund

Ein Hund, als dummer Kläffer schon bekannt,
Stellt keck sich hin und bellet gen den Leuen,
Der hebt die Tatz' und tot liegt er im Sand! —
Man soll nicht gegen einen Mächt'gern schreien.

38.
Das Kind

Ein liebliches Kind im rosigen Schimmer
Erschien einem Manne; — der stand zerstreut
Und hascht es nicht schnell, da entschwand's und kam nimmer.
Wer war dieses Kind? —: Die Gelegenheit.

39.
Die Ratten

Man hatte eine Ratt' in einem Haus gefangen,
Hing ihr ein Schellchen um und ließ sie ziehn,
Und wenn sie schellte nun, die Ratten all' entsprangen.
Freund! zeichne e i n e n Wicht und alle Andern fliehen!

40.
Das Seifenbläschen

Es flog ein Seifenbläschen hin und her
Und prahlt mit seinen Farben sehr;
Ein Lüftchen weht und es zerfloß;
Ihr Günstlinge! seht Euer Los.

41.
Der Kater

Einen Komiker suchte ein Leu sich zu seinem Theater;
Schnitt Gesichter die Menge, den Platz zu erhalten, ein Kater:
»Freund« - sprach der Leu, - »mir stehst du nicht an, loben gleich
                                                                   dich die Katzen;
Wahre Komik besteht nicht in Sprüngen und Fratzen.«

42.
Der Nagel

Ein Nagel seufzte unter schweren Schlägen
Des Hammers, endlich sträubt er sich dagegen,
Da schlug ihn dieser ganz entzwei.
Du widerstrebst umsonst des Schicksals Tyrannei!

43.
Der Schmerz

Der Schmerz erhob einst lächelnd seinen Blick,
»Was endet,« — frug die Lust, — »so plötzlich denn dein Stöhnen?«
Der Schmerz erwiderte: »Mir ward das Glück
Zu trocknen eines ärmern Bruders Tränen.«

44.
Der Apfel

Ein Apfel stand im Schatten, reifte nicht;
Der Gärtner zürnte drob. — »Stell' mich in Sonnenschein!«
Der Apfel sprach: — »wirst dann dich meiner freu'n!«
Soll das Talent gedeihn, so stellt's ins rechte Licht!

45.
Das Pappelblatt und das Erdbeerblatt

Zu einem Pappelblatt, das hoch im Äther schwebte,
Und bei dem schwächsten Lüftchen furchtsam bebte,
Sprach einst ein Erdbeerblatt: »Was kann dich so erschüttern?«
— Drauf jenes: »»Wer hoch steht, muß immer zittern.««

46.
Der Fels und der Wassertropfen

»Du armes Tröpflein! mich willst du durchdringen?«
So sprach ein Fels. — Das Tröpflein schwieg und brach
Sich Bahn durch seinen Busen allgemach.
Beständigkeit verbürget das Gelingen.

47.
Die weiße Rose und der Schmetterling

Als einst der Schmetterling zu einer Rose kam
Und buhlend einen Kuß ihr bot,
Da ward die weiße Schöne — rot. —
Die Unschuld zieret holde Scham.

48.
Die Verleumdung

Franz fällt, ein Dolch nach seinem Leben zielte,
Doch er geneset mit vieler Mühe noch. —
Der Mörder spricht: »Die Narbe bleibt ihm doch!«
Verleumder! kennst du dich in diesem Bilde?

49.
Der hypochondrische Löwe

Ein Leu ward hypochondrisch, nahm zu sich
Ein Eselein sich zu zerstreuen;
Doch bald hört auch den Leu man wie den Esel schreien.
Eh' du Gesellschaft wählst, besinne dich!

50.
Der Wucherer

Ein Wuch'rer häufte Körner, Schicht auf Schicht,
Auf seiner Scheune Boden; — länger nicht
Kann's halten, — ah! — nun kracht es, — bricht. —
So stürzt zu große Macht durch eigenes Gewicht.