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Originaltext
 


 
Clara Hätzlerin
um 1430 - 1476/77

Clara Hätzlerin wird um 1430 als Tochter des Augsburger Notars Bartholomäus Hätzler geboren.
Sie übte als unabhängige Schreiberin in Augsburg eine wichtige Aufgabe für
ihre Stadt aus und genoss ein beachtliches öffentliches Ansehen.
Dazu gehörten genauso Rechtsbücher, z.B. der bedeutsame Schwabenspiegel,
ein weit anerkanntes Gesetzbuch, wie auch Falkenbücher und ähnliche Jagdbücher.

Das Liederbuch verfasste Clara Hätzlerin im Auftrag eines Jörg Roggenburg,
über dem sie auf dem letzten Blatt schreibt:

Item daz puch ist Jörg Roggenburg, wer esz hab
der lasz Ims wyder werden. Anno dom. 1470

Sie ist zwischen 1452 und 1476 in Augsburger Steuerbüchern bezeugt.

 
Lig still meins hertzen trautt gespil
Ain tagweis
 
Bleib ruhig liegen, mein Herzallerliebster
Ein Taglied
 
1.
»Lig still meins hertzen trautt gespil,
Wann es ist noch nit morgen,
Der Wächter uns betrügn wil,
Der Mon hat sich verporgen.
Man sicht noch vil der sterne glast
Her durch die wolcken dringen;
Lig still by mir ain weil und rast,
Und lasz den wachter singen.«
Hie ist erfrät ain traurigs hertz!
Ummuot muosz uns entweichen;
Der sich nit kert an senlich schmertz,
Der muosz an fräden reichen.


2.
Sy sprach: »mein hordt, der lieben mer;
Muosz ich bey dir beleiben,
So ist zergangen all mein swär.
Wir wöllen kurtzweil treiben,
Das dich und mich erfräen mag,
Darein will ich mich setzen.«
Sy sprach: »es ist noch nyendert tag,
Wir wöllen uns laids ergetzen.«
Hie ist erfrät ain traurigs hertz!
Ummuot muosz uns entweichen;
Der sich nit kert an senlich schmertz,
Der muosz an fräden reichen.


3.
Sy truckt ain prüstlin an das mein.
Mein hertz wolt mir zerspringen.
Sy sprach: »lasz dir bevolhen sein
Mein Er vor allen dingen,
Und schliüsz uff deine ärmlen planck,
Darynn so will ich rasten.«
Ze hannd der wachter aber sangk:
»Ich sich des tages glaste.«
Hie ist erfrät ain traurigs hertz!
Ummuot muosz uns entweichen;
Der sich nit kert an senlich schmertz,
Der muosz an fräden reichen.


~0~0~0~0~0~

 
1.
Bleib ruhig liegen, mein Herzallerliebster,
denn es ist noch nicht Morgen.
Der Wächter will uns betrügen,
es hat sich nur der Mond verborgen.
Man sieht noch überall den Glanz der Sterne
durch die Wolken dringen.
Bleib noch eine Weile ruhig bei mir liegen
und ruh dich aus und lass den Wächter singen."
Nun ist ein unglückliches Herz wieder froh.
Traurigkeit sei fern von uns.
Wer sich Sehnsuchtsschmerz nicht zu Herzen
nimmt, der wird immer glücklicher.

2.
Sie sagte: "Mein Schatz, schenk mir noch mehr
von deiner Liebe. Kann ich bei dir bleiben,
so löst sich mein ganzer Schmerz in nichts auf.
Wir wollen uns so vergnügen,
dass wir unsere Freude daran haben.
Das will ich mir vornehmen."
Sie sagte: "Es ist noch keineswegs Tag.
Wir wollen gemeinsam das Leid vergessen"
Nun ist ein unglückliches Herz wieder froh.
Traurigkeit sei fern von uns.
Wer sich Sehnsuchtsschmerz nicht zu Herzen
nimmt, der wird immer glücklicher.

3.
Sie drückte ihre kleine Brust an die meine,
mein Herz wollte mir zerspringen.
Sie sagte: "Lass dir vor allen Dingen
mein Ansehen anvertraut sein.
und öffne deine nackten Arme.
Darin will ich ausruhen."
In diesem Augenblick sang der Wächter erneut:
"Ich sehe den Glanz des anbrechenden Tages."
Nun ist ein unglückliches Herz wieder froh.
Traurigkeit sei fern von uns.
Wer sich Sehnsuchtsschmerz nicht zu Herzen
nimmt, der wird immer glücklicher.

~0~0~0~0~0~

 
Ich will gen dieser vasennacht
Ain tagweis
 
Ich will an diesen Fastnachtstagen
Ein Taglied
 
1.
Ich will gen dieser vasennacht
Frisch und frey beleiben,
He und will auch als mein ungemach
Gar frölich von mir treiben,
Des hab ich guoten willen.
Ich hett ain puolen, hiesz Hille;
He sy batt mich, das ich zu ir käm
Dörtt oben uf die dillen.

2.
Da ich uff die dillen tratt,
Da vand ich die guoten,
Ich viel in die vederwat,
Das mir mein kny ward pluoten.
Ich lebet in der wunne,
Die vederwat was dünne,
Ich ruofft an crist von himel,
Das ich ir entrunne.

3.
Die nacht verharrt ich ganz by ir,
Sy schmuckt mich zu ir schone,
Ain rippeln, kratzen das ward mir
Von der lieben ze lone.
Sy legt sich an den ruggen,
Sy gund sich kratzen und iucken
He die gantzen nacht. der wantzen macht,
Die lews pissen mir lucken.

4.
Sy muost fruo in die kirchen
Und bat mich umb ain gabe:
Siben tag für ain wochen
Die müst sy von mir haben.
Da lebt ich in der wunne,
Die vederwat was dünne,
Ich ruoft an crist von himel,
Das ich ir entrunne.

5.
Des morgens, als nu taget es,
Die sunn schain an die wende,
Ich ergraiff da all mein hesz
Und entran ir in aym hemde.
Da schied ich von der cluogen
Gar hoflich mit fuogen;
got danck den lieben füssen mein,
Die mich von danen trugen!

 
1.
Ich will an diesen Fastnachtstagen
fröhlich und ungebunden bleiben,
und will auch meinen ganzen Kummer
vergnügt loswerden.
Das habe ich mir fest vorgenommen.
Ich hatte eine Liebste, die hieß Hille.
Hei! Sie bat mich, zu ihr oben
auf den Dachboden zu kommen.

2.
Da ich auf den Dachboden kam,
fand ich die Gute dort schon.
Ich ließ mich in das Federbett fallen,
daß mir meine Knie anfingen zu bluten.
Ich erlebte das reinste Glück.
Das Federbett war dünn.
Ich flehte Christus im Himmel an,
daß ich ihr entkäme.

3.
Die ganze Nacht blieb ich bei ihr.
Sie drückte mich eng an sich.
Zum Lohn erhielt ich von der Liebsten
Kratzen und Scheuern.
Sie legte sich auf den Rücken
und begann sich zu kratzen und zu jucken,
hei! die ganze Nacht lang. Eine Unmenge
von Wanzen und Läusen zerbissen mich völlig.

4.
Sie mußte früh in die Kirche
und bat mich um eine Gabe.
Sieben Tage für eine Woche
kann sie allenfalls von mir haben.
Dort erlebte ich das reinste Glück.
Das Federbett war dünn.
Ich flehte Christus im Himmel an,
daß ich ihr entkäme.

5.
Gegen Morgen, als der Tag anbrach,
beschien die Sonne die Wände.
Da packte ich all meine Kleider
und machte mich im Hemd davon.
Formvollendet, wie es sich gehört,
nahm ich so Abschied von der Feinen.
Gott lohn es meinen lieben Füßen,
die mich davontrugen.

 
Quelle:
©Reclam 2003/Tagelieder des deutschen Mittelalters/Ausgewählt und übersetzt von ©Martina Backes

 
Mit senen bin ich überladen
 
Mit Sehnsucht bin ich überschwer beladen
 
1.
Mit senen bin ich überladen!
Die sucht will mich die krencken,
Das mich mein lieb nit will genaden;
Wes sol ich mir gedencken?

2.
Der claffer neid ist mir ze swär,
Des hab ich wol empfunden,
Solt ich mich rechen nach meiner ger
Ich hatzt sy usz mit hunden.

3.
Ach got, das sy sich recht bedächt
Und nem von mir mein leiden,
So wolt ich sein ir triuer knecht
Und unmůt gantz vermeiden.

4.
Můsz ich engelten främder schuld,
Das will ich ymmer clagen,
Und wirt gar grosz mein ungedult,
Hartt kann ich das getragen.

5.
Ich harr getraw und hab gedingen,
Sy lasz mich nit verderben,
Wann solt mir von ir nit gelingen,
Vil lieber wolt ich sterben!

~0~0~0~0~0~

 
1.
Mit Sehnsucht bin ich überschwer beladen!
Eine Krankheit macht mich schwach,
nämlich, daß mich meine Liebste nicht erhört;
worauf soll ich hoffen?

2.
Der Kläffer Neid ist mir zu beschwerlich,
das habe ich wohl erfahren;
sollte ich mich rächen, wie ich es wollte,
dann hetzte ich sie mit Hunden davon.

3.
Ach Gott, wenn sie es sich gründlich überlegen
und mir mein Leiden nehmen würde,
dann wäre ich ihr treuer Diener
und wollte keinen Zorn mehr haben.

4.
Muß ich von fremder Hand leiden,
so will ich darüber klagen,
und wird meine Geduld allzusehr geprüft,
so kann ich das nur schwer tragen.

5.
Ich warte, wünsche und hoffe,
daß sie mich nicht umkommen läßt,
denn sollte ich bei ihr keinen Erfolg haben,
so wollte ich lieber sterben.

~0~0~0~0~0~

 
Hett ich nur ain stüblin warm
 
Hätte ich nur ein warmes Stübchen
 
1.
Hett ich nur ain stüblin warm
Und darynn ain schönes weib,
Das wolt ich legen in meinen arm,
Friuntlichen trucken an meinen leib.
Des hab ich laider nit, ich lig allaine,
Sy ist mir laider vil ze ferr,
Die ich da maine.

2.
Hett ich das, ich waisz wol was,
Wurd mir das, so wär mir bas!
Mein liebs vye vergasz
In chainen nöten,
Die untriu, die sy zu mir hatt,
Die will mich tötten!

3.
Ob mir dann ein gůt beschicht,
Des ich selten bin gewon,
Ich trib sein doch die lenge nicht,
Käm ich darzů, ich eylt daruon.
Und ob mir denn ain gůt beschäch,
Das wär mit züchten,
Das müst ich stelen als ain dieb,
Hett ich das, davon mit flüchten!

4.
Nun grüsz dich got, du schöns mein lieb,
Sy ist mein, so bin ich ir,
Der vil rain, der zarten.
Wer mich darumb straffen will,
Das müt mich wärlich hertte,
Ich lasz ir doch durch nyemant nit,
Ich will ir warten.

 
1.
Hätte ich nur ein warmes Stübchen
und darin eine schöne Frau,
so wollte ich sie in meine Arme legen
und liebevoll an mich drücken.
Doch das habe ich leider nicht, ich liege alleine,
und sie, die ich liebe,
ist mir leider viel zu weit weg.

2.
Hätte ich das, ich weiß gut was,
und würde mir das, so wäre mir besser.
Meine Liebste habe ich nie vergessen,
in keiner Not;
ihre Lieblosigkeit mir gegenüber,
die bringt mich um.

3.
Wenn mir dann etwas Gutes geschieht,
woran ich kaum gewöhnt bin,
so bliebe ich nicht lange dabei,
und ich eilte davon, käme ich dorthin.
Und wenn mir dann noch etwas Gutes geschähe,
uns zwar mit allem Anstand,
so müßte ich es stehlen wie ein Dieb
und anschließend davon fliehen!

4.
Nun grüße dich Gott, meine schöne Geliebte:
Sie ist mein, und so bin ich bei ihr,
der reinen und zarten.
Wer mich deswegen tadeln will,
der tut mir großes Leid an:
aber ich lasse wegen niemanden von ihr ab,
ich will auf sie warten.

 
Quelle:
©Reclam/1993/Deutsche Gedichte des Mittelalters/ ausgewählt, übersetzt und erläutert
©Ulrich Müller/Gerlinde Weiss