Fabeln 2
 




 
Ludvig Baron Holberg

geb. 13. Dezember 1684 in Bergen, Norwegen
gest. 28. Januar 1754 in Kopenhagen

Er war ein dänisch-norwegischer Dichter. 1751 begann er auch Fabeln zu dichten.
1752 wurde "Des Freyherrn von Holbergs Moralische Fabeln mit beygefügten
Erklärungen einer jeden Fabel" ins deutsche übertragen.


Quelle:
Baron Ludvig von Holberg/Moralische Fabeln/aus dem Dänischen/übersetzt durch J.A.S. K.D.C.
Leipzig 1752 /verlegt von Franz Christian Mumme/Buchhändler in Kopenhagen
.


Fabeln 1
 


Fab.1
Von einem Esel, der Cantor werden wollte

Als im Walde ein Cantorat ledig war; so meldeten sich unterschiedliche Kandidaten, und
unter andern auch ein Esel. Nachdem sie nun alle in des Kapellmeisters Gegenwart, der
ein Kiebitz war, ihre Proben abgelegt hatten; so fielen die meisten Stimmen auf einen
Raben, von den man glaubte, er würde ein guter Baßiste werden. Die Stimme des Esels
ward hingegen von den meisten Tieren sehr ausgelacht und verachtet. Allein dieser ließ
desfalls nichts von seinen hohen Gedanken fallen, die er von seiner schönen Stimme
gefasset hatte; er schrieb vielmehr diese Verachtung, mit welcher ihm von den andern
Tieren war begegnet worden, dem Unverstande oder Mißgunst derselben zu.
Dieses gab er einer Nachteule zu erkennen, welche ihn auf seiner Heimreise begleitete.
Die Nachteule sagte darauf: Lieber Bruder, du mußt dieses nicht so sehr zu Herzen
nehmen. Das vorige Mal ist es mir ebenso ergangen. Wir leben, leider! in den Zeiten,
da man Tugend und Geschicklichkeit nichts mehr achtet.

Diese Fabel lehret, daß ein jeder in sich selbst verliebt ist, und sich mit seinen Fehlern
und Häßlichkeiten so weit eingelassen hat, daß er sie endlich für Tugenden und
Zierraten ansieht.

Fab.2
Vom Adler und den jungen Füchsen

Ein Adler, der für seine Jungen Fütterung suchte, schlich sich in ein Fuchsnest, wo er
einige kleine neugeborene Füchschen raubte, die er darauf seinen Jungen brachte.
Die jungen Adler liefen stracks darauf zu, und wollten sie fressen; allein die Mutter sagte:
Liebe Kinder, wartet noch einige Tage, bis die jungen Füchse etwas mehr Fleisch
bekommen, denn jetzt sind sie noch zu klein und mager, und ihr werdet kein sonderliches Futter haben.
Die Mutter verließ nach dieser Ermahnung das Nest, und blieb einige Zeit weg. Als sie
aber zurück kam, so hatten die jungen Füchse, die inzwischen etwas stark geworden,
die jungen Adler tot gebissen und einige derselben bereits aufgefressen.

Diese Fabel lehret, daß manche sich selbst durch allzu große Vorsichtigkeit ins Unglück
stürzen.

Fab.3
Von einem Affen

Ein Affe, dem ein Erbgut zugefallen war, legte sich eine treffliche Equipage zu; ließ sich
mit Gold gestickte Kleider machen, und, damit ihn alle und jeder in seiner Herrlichkeit und Pracht sehen könnten. So stieg er auf einen Hügel, der an einer Landstrasse war. Ein anderes Tier, welches vorbei ging, und den Affen in dieser Positur gewahr ward, sagte zu ihm: "Alles dieses dienet nur dazu, daß deine Häßlichkeit und üble Gestalt desto merklicher werde.
Quo altior es, eo turpior — Je höher, je häßlicher!"

Diese Fabel lehret, daß es manche Leute gibt, deren schlechte Eigenschaften nicht eher
bekannt werden, als bis sie in Ehrenämter und auf den großen Schauplatz der Welt
kommen, wo ihre Unvollkommenheiten allen in die Augen fallen.

Fab.4
Vom Esel, der sich für einen Doktor ausgab

Der Wolf bekam einstmals ein hitziges Fieber, und er verlangte einen Doktor. Da der Esel
dieses hörte, so bot er ihm in der Arzneikunst seine Dienste an, und er ward auch sofort
angenommen. Allein, der Ausfall wies, daß sich die Krankheit durch diese Eselkur nur
verschlimmerte, und der Patient ward zuletzt gichtbrüchig. Der Wolf ließ darauf den Esel
vor Gericht fordern, und beschuldigte ihn einer Mordtat.
Beide Parteien nahmen zwei Elstern an, die ihre Sachen vor dem Richter, welcher der
Löwe war, führen sollten. Im Gerichte ward erwiesen, daß der Esel sich einer Sache
unterzogen hatte, die er ganz und gar nicht verstund, und diesfalls versah sich dieser
eines harten Urteils. Allein der Spruch war dieses Inhalts: Der Wolf sollte den Schaden
zum Lohne haben, weil er die Schuld sich allein beizumessen habe, indem er sich eines
Doktors bedient hätte, von dem er gewußt, daß er ein Esel war.

Diese Fabel lehret, daß derjenige, welcher sich mit freien Willen und Wissen eines Toren
bedienet, keine Ursache habe, ihm wegen schlechter Verwaltung zur Rede zu setzen.

Fab.5
Von der Katze in dem Speiseschranke eines Bauern

Ein armer Bauer verwahrte in seinem Schranke einen Käse; allein der Schrank war nicht
dicht genug, denn eine Maus schlich sich hinein, und benagte den Käse. Der Bauer
entschloß sich darauf, eine Katze in den Schrank zu sperren, um den Mäusen einen
Schrecken einzujagen, und den Käse zugleich zu beschirmen. Darauf legte er sich ruhig
ins Bett; allein, da er des Morgens aufstund, und seinen Schrank öffnete; so fand er daß
die Katze den ganzen Käse in einer einzigen Nacht verzehrt hatte.

Diese Fabel lehret, daß man sich oft, einem kleinen Übel zu entgehen, in ein größeres
stürzt, und daß diejenige, was man für Arznei ansieht, ärger, als die Krankheit selbst ist.

Fab.6
Die Katze begibt sich in einen Mönchsorden

Als die Katze merkte, daß die Jagd mehr und mehr abnahm, indem die Mäuse, die all
ihre Künste gelernt hatten, ordentlich Schildwacht hielten, um sich gegen sie zu
beschützen: so beschloß sie, sich in den Orden der Mönche zu begeben, um sie unter
der Maske der Heiligkeit desto besser zu betrügen.
Sie ließ sich daraufhin von einem Färber schwarz färben, unter dem Vorwande, sie hätte
nun, als ein Mönch, der Welt den Rücken zugekehrt. Da die Mäuse dieses hörten,
so erweckte es eine große Freude unter ihnen; weil sie meinten, sie wären nun von aller
Furcht und Gefahr befreit, indem die Mönche kein Fleisch essen durften. Sie ließen sich
daher in Gegenwart der Katze nicht nur frei sehen, sondern sie machten sich auch recht
bekannt und gemein mit ihr. Die Katze blieb eine Zeitlang bei ihrer Aufführung, um sie
mehr und mehr treuherziger zu machen.
Endlich, da eine große Menge von Mäusen versammelt war, und sie Gelegenheit hatte,
einen guten Fang zu tun, zog sie die Maske ab, und ermordete sie alle, daß auch nicht
mehr, als eine einzige Maus davon kam. Diese sagte: die Katze wäre zuvor sehr schlimm
gewesen, aber seit dem sie ein Mönch geworden, so wäre sie erst recht rasend toll
geworden.

Diese Fabel lehret, daß unter allen unrechtmäßigen Mitteln, die Leute zu betrügen,
keines sicherer sei, als die Maske der Heiligkeit.

Fab.7
Vom Monde

Der Mond bat seine Mutter um ein neues Kleid. Die Mutter sagte darauf: Meine Tochter!
kein Schneider ist vermögend, dir solche Kleider zu machen, welche dir passen würden;
denn du hast alle Tage eine andere Gestalt.

Diese Fabel lehret, daß es gewisse wankelmütige und unbeständige Menschen gibt,
denen man niemals etwas recht machen kann, weil sie alle Stunden andern Sinnes sind.

Fab.8
Vom Maulwurfe

Der Maulwurf bat seine Mutter um ein paar Brillen. Die Mutter sagte darauf: Was willst du
mit den Brillen machen? Die Brillen, deren sich die Menschen bedienen, sind den
Maulwürfen unnütze.

Diese Fabel lehret, daß es gewisse Menschen gibt, die von Natur so sinnlos und dumm
sind, daß sie weder Zucht noch Lehren rühren oder bessern können.

Fab.9
Vom Dornbusche

Der Dornbusch beschwerte sich beim Jupiter über seine schlechte und häßliche Gestalt.
Jupiter antwortete darauf: Du bist, als ein Dornbusch, schön genug.

Diese Fabel lehret, daß ein jedes Geschöpf an sich selbst vollkommen sei; daß die
Menschen keine Ursache haben, sich darüber zu beschweren, weil sie nicht den Engeln
gleich geschaffen sind; denn sie sind geschaffen, Menschen zu sein. Das ein Pferd
darüber nicht klagen kann, daß es keine Flügel hat, und wie ein Vogel fliegen kann;
denn es ist geschaffen, ein Pferd zu sein. Wenn ein Schwein, welches man für das
häßlichste Tier hält, wie ein anderes Schwein geschaffen ist: so kann es über seine
Gestalt nicht klagen.

                                                                                                            nach oben

Fab.10
Die Klagen der Frösche

Einige kleinen Jungen warfen zum Zeitvertreib Steine in einen Fischteich, in welchem
verschiedene Frösche waren. Da nun diese Lust sehr lange währte, und unterschiedliche
Frösche dadurch ums Leben kamen: so stund einer von den Fröschen auf, und redete die
Knaben folgendermaßen an: Liebe Kinder! dasjenige, womit ihr euch jetzt die Zeit
vertreibt, kommt uns armen Fröschen teuer zu stehen.

Diese Fabel lehret, daß viele plauderhafte Menschen, oder Skribenten, um nur ihren Geist
und ihre sinnreichen Einfälle sehen zu lassen, solch Zeug reden und schreiben,
dadurch andere gar sehr verwundet und betrübt werden.

Fab.11
Die Reise der Taube in fremde Länder

Nachdem die Taube von dem Habicht und anderen Raubvögeln gar oft war verfolgt
worden, und eine Lebensgefahr nach der anderen ausgestanden hatte, beschloß sie,
ihr Vaterland zu verlassen, und sich an einem fremden Orte niederzulassen, wo sie in
ihrem Alter in Sicherheit leben könnte, und von allen Verdrießlichkeiten befreit wäre,
denen sie in ihrem Vaterlande war unterworfen gewesen. Nachdem sie nun von ihren
Freunden und Angehörigen den freundlichsten Abschied genommen hatte, begab sie sich
auf die Reise.
Nachdem sie nun etliche Tage in einem beständigen Fluge zugebracht hatte, kam sie in
einem fremden Lande in eine weit entlegene Stadt, wo sie für gut fand, sich
niederzulassen. Allein, sie hatte sich daselbst kaum eine halbe Stunde aufgehalten; so
ward sie einem Habicht auf einem Glockenturme gewahr. Worauf sie sagte: Du bist auch
allhier? Hätte ich das gewußt, so hätte ich eben so gut in meinem
Vaterlande bleiben können.

Diese Fabel lehret, daß man überall in der Welt Verdrießlichkeiten antrifft.
Die Beschwerlichkeiten können gleich groß sein, ob sie schon nach der Veränderung der
Szenen nicht immer dieselben sind.

Fab.12
Vom Kuckuck

Der Kuckuck stellte ein Konzert an, und lud die anderen Vögel ein, damit sie seine
Stimme hören sollten. Aber er ward ausgepfiffen. Doch es fanden sich noch einige
Vögel, insbesondere eine Elster, welche glaubten, es wäre dem Kuckuck hierin
Unrecht geschehen; denn er hätte doch eine Stimme, die nicht zu verachten wäre.
Allein der Adler antwortete darauf: Hätte man den Kuckuck gebeten zu singen, so hätte
man ein milderes Urteil über ihn gefällt; allein, da er ungebeten, andere eingeladen hat,
seine Stimme zu hören, und dadurch zu erkennen gegeben, wie viel er sich darauf
einbildet: so ward die Stimme mit Recht genauer untersuchet.

Diese Fabel lehret, daß nichts mittelmäßiges an diejenigen zu dulden ist, die sich für
Meister ausgeben; und desfalls geschieht es, daß ein Schriftsteller, der auf Befehl
schreibt, lange nicht so sehr kritisiert wird, als ein Poet, der nur darum schreibt, seinen
poetischen Geist sehen zu lassen. Daß auch des einen Verfassers Werke mehr zensuriert
werden, als die Werke des anderen, gibt Horaz in folgenden Versen zu erkennen:
                                                 
medioribus esse Poetis
                                          Non homines, non Dii, non concessere Columnae.


Fab.13
Vom Schornsteinfeger

Ein Schornsteinfeger, den man Dieberei Schuld gab, ward gegriffen, und von der
Obrigkeit in das allgemeine Gefangenenhaus der Stadt eingeschlossen; dieses war mit
starken Türen und Schlössern wohl versehen. Der folgende Tag war zum Verhör
angesetzt. Aber als die Stadtdiener ins Gefängnis kamen, um den Gefangenen vors
Gericht zu führen, so war der Schornsteinfeger unsichtbar geworden; denn er hatte die
Flucht durch den Schornstein genommen.

Diese Fabel lehret, daß man die Türen und Gefängnisse nach der Beschaffenheit der
Gefangenen einrichten müsse: denn, wenn man einen Schlosser einschließt, so muß
man die Türe nicht allein mit Schlössern versehen, sondern auch mit Vorlegeschlössern
verwahren und wenn man einen Schornsteinfeger gefangen setzt, so muß im Gefängnis
kein Schornstein sein. Ein guter Zaun oder eine Mauer ist hinlänglich genug, Kühe,
Schafe und Pferde zu verwahren, aber nicht Vögel, man müßte ihnen die Flügel beschneiden.
Diese Regel ist auch bei den Strafen zu beobachten: denn was dem einen eine große
Strafe ist, das kann einem andern eins sehr kleine oder auch gar keine sein.

Fab.14
Die Dreistigkeit der Gans

Der Löwe hatte einstmals eine wichtige und beschwerliche Sache auszuführen; und in
diesem Falle ließ er unterschiedliche Tiere vor sich erscheinen, um zu hören, ob ihm
keines einen guten Rat zur Ausführung dieser Sache erteilen könnte. Allein, niemand
erkühnte sich dieses.
Die Gans allein bot im ihre Dienste an, indem sie keinen Knoten in dieser verwirrten
Sache fand. Alle diejenigen, welche die Gans kannten, und wußten, wie weit sich der
Gänseverstand erstreckte, verwunderten sich über diese Dreistigkeit.
Die Elster sagte darauf: Liebe Freunde! verwundert euch darüber gar nicht; just das
Vertrauen, welches die Gans in ihre Kräfte setzt, gibt ihren Unverstand und ihren Mangel
der Selbsterkenntnis deutlich genug zu erkennen.

Diese Fabel zeiget, daß die Dümmsten sich zu allen Sachen für geschickt halten, denn
sie kennen sich selbst nicht, und sehen also auch die Schwierigkeiten einer Sache nicht
ein, die doch scharfsinnige Köpfe sehen und merken, und deshalb sie sich an die
Ausführung derselben nicht wagen wollen. Man kann sagen, daß just die Furcht und das
Mißtrauen dieser letzteren gewisse Merkmale ihres Verstandes sind.

Fab.15
Von der Maus im Käse

Die Katze fand eine Maus, die sich in einem fetten Käse so tief eingegraben hatte,
daß man nichts mehr als nur den Kopf von ihr sehen konnte. Die Katze fragte, was sie
hier zu bestellen hätte? Worauf die Maus versetzte: Ich habe mich der Welt entschlagen.
Die Katze sagte darauf: Ich preise diese deine Philosophie. Ich will deinem Beispiele
nachfolgen, und auf eben diese Art mich auch der Welt entschlagen. Hierauf fraß sie so
wohl die Maus als auch den Käse auf.

Diese Fabel lehret, daß viele, die den Umgang mit andern Leuten scheuen, und unter
dem Vorwande, sie hätten sich der Welt entschlagen, sich insgeheim in Wollust und
Unmäßigkeit herumwälzen.

Fab.16
Vom Bauer und Hunde

Einem reichen Bauern begegnete ein Hund im Walde; dieser warnte ihn von den
Räubern, und sagte: Sie wären schon ganz in der Nähe, und diesfalls möge er sich mit
der Flucht retten. Der Bauer bat ihn mit weinenden Augen, er möge doch bei ihm bleiben
damit er sich beschützen könnte. Aber der Hund sagte: sein eigener Leib wäre ihm lieb,
und es würde vergebens sein, sich gegen so viele bewaffnete Männer zur Wehre zu
setzen. Endlich, als der Bauer mit Bitten anhielt, und ihm einen freien Zutritt in seine
Küche und Speisekammer gelobte, deren Türen ihm immer offen stehen sollten, so ließ sich
der Hund überreden, bei ihm zu bleiben, denn er verließ sich auf seine Stärke und Behendigkeit.
Die Räuber ließen sich darauf sehen. Aber der Hund griff sie mit solcher Hitze an, das
zwei derselben auf dem Platze blieben, der dritte aber die Flucht nehmen mußte.
Nach erhaltenem Siege erinnerte er den Bauer an sein Gelübde, worauf ihn dieser aufs
neue versicherte, sein Wort genau zu halten. Aber, da der Mann nach Hause kam,
und seiner Frau von seinem Versprechen Nachricht gab, ward sie so sehr dadurch
aufgebracht, daß sie ihn so lange gewaltig ausschalt, bis er ihr versprach, seine Zusage
zu brechen. Der Hund der sich auf den geschlossenen Accord verließ, stellte sich kurz
darauf in dem Bauernhofe ein, wo er alle Türen offen zu finden glaubte. Aber es ward
ihm so übel daselbst begegnet, daß er, von Schlägen und Wunden halbtot, zurück
kehren mußte.

Diese Fabel zeiget, daß die größten Wohltaten gar oft aufs übelste belohnt werden.

Fab.17
Der Fuchs fordert den Esel vors Gericht

Ein Fuchs forderte einen Esel vors Gericht, und beschuldigte ihn, er habe ihn hinterlistig
hintergangen. Alle verwunderten sich darüber, daß ein listiger Fuchs von einem
einfältigen Esel könnte überrascht werden. Der Richter, der eine Katze war, sagte auch,
es käme ihm dieses unbegreiflich vor. Aber, da der Fuchs manche schimmernde
Beweisstücke anführte, seine Sache damit zu bestärken, und der einfältige Esel hingegen
so bestürzt und niedergeschlagen war, daß er nicht das geringste darauf antworten
konnte. So wußte der Richter nicht, was er dabei tun sollte; denn auf der einen Seite
waren die angeführten Beweistümer, welche man nicht widerlegen konnte, und auf der
anderen Seite war ein bekannter ehrlicher und einfältiger Gegenpart, bei der weder Wille
noch Vermögen, jemand zu betrügen, anzutreffen war.
Endlich fand er einen Mittelweg. Nachdem der Prozeß bis zum Urteil zu Ende war, so ließ
er beide Parteien vor sich rufen, und erteilte ihnen diesen Spruch: Die Sache soll bis zu
weiterer Untersuchung ausgesetzt werden, und die Parteien können sich in einer Frist
von zehn Jahren wieder einstellen. Er glaubte, binnen dieser Zeit würde so wohl der
Fuchs als der Esel gestorben sein. Man sagt: der Löwe habe sich über dieses Urteil so
sehr ergötzt, das er diesfalls die Katze, die Harzvogt war, zum Landeskammeramte
befördert wurde.

Diese Fabel zeiget, daß ein Richter, so sehr er auch in seinem Gewissen von der
Unrichtigkeit einer Klage überzeugt ist, dennoch den Beklagten nicht freisprechen
könne, wenn die Beweisgründe des Klägers gesetzmäßig sind. Nichts desto weniger
scheint es doch, daß in einer Sache von diesen Umständen und von dieser
Beschaffenheit eine gewisse Mäßigung könne getroffen werden, obschon nicht eben
auf gegenwärtige Art.

Fab.18
Vom Affen, welcher fischen wollte

Ein Affe, nachdem er lange mit Fleiß bemerkt hatte, wie ein Fischer mit der Angel einen
Fisch nach dem andern aus dem Wasser zog, dachte bei sich selbst: Sollte ich dieses
nicht auch tun können? Da nun dieses Tier behende ist, und die Menschen in vielen
Dingen nachzuahmen suchte, so suchte es eine Angel, und heftete einen Regenwurm
daran, eben so, wie es der Fischer gemacht hatte. Aber, weil der erste Fisch, der an die
Angel biß, ein übermäßig großer Hecht war, so zog er den Affen mit sich ins Wasser.
Der Affe, da er sich in der Gefahr zu ersaufen sah, rief er den Himmel zu Hilfe, und
sagte: Rette doch den armen Morten, der ins Wasser gefallen ist. Aber da er am Ufer
auf einiges Gesträuch zu sitzen kam, so sagte er: Himmel! laß es nur bleiben, nun kann
sich Morten selbst helfen.

Diese Fabel lehret, daß die meisten Menschen nicht eher, als in der Not und Gefahr,
gottesfürchtig sind, und daß sie, wenn die Gefahr vorbei ist, wieder in ihr voriges
gottloses Leben zurück fallen.

Fab.19
Von der Jungfer und dem Papagei

Eine Jungfer hatte einen Papagei, den sie als ihre eigene Schwester liebte.
Der Papagei verdiente auch geliebt zu werden, denn er war wohl gezeichnet, verstand
die Musik, und redete fast ebenso vernünftig, als die Jungfer selbst. Aber man muß in
allen Dingen Maß halten; welches aber hierbei nicht geschah.
Denn diese Liebe war so heftig, daß die Jungfer nimmer ohne diesen Vogel sein konnte,
auch nicht einmal des Nachts; denn er mußte oft bei ihr im Bette liegen. Aber was
geschah? Eines Morgens, da sie aufwachte, fand sie, daß der Vogel halb tot war, weil
ihn die Hitze meist erstickt hatte. Sie erschrak darüber außerordentlich, und sagte:
Was fehlt dir, mein lieber Pape? Der Vogel antwortete: Mir fehlt nichts anderes, als das
deine Liebe so stark ist, daß sie mir das Leben kostet. Hierauf starb er.

Diese Fabel lehret, daß man in allen Dingen Maß halten muß, und daß eine heftige
Liebe, so wohl als Hass und Kaltsinnigkeit, schädlich sein kann.

                                                                                                            nach oben

Fab.20
Der Esel ein Wächter

Da der Esel das Podagra bekommen hatte, und seine gewöhnlichen Dienste nicht mehr
verrichten konnte, durch welcher er bisher sein Futter verdient hatte, so sah er sich
für eine ganz unnütze Last der Erden an, und bereitete sich dazu vor, vor Hunger und
Armut zu sterben.
In diesem betrübten Zustande sah ihn ein Wolf, dem er denn seine Not klagte. Der Wolf
ward dadurch zum Mitleiden bewegt, daher sagte er zum Esel: er solle noch nicht
gänzlich verzweifeln, denn es wäre noch wohl ein Mittel zu finden, wodurch er sein
Futter verdienen könnte. Er sagte: Du hast eine Stimme. Diese habe ich, sagte der
Esel, und zwar ist sie stark genug; aber sie gefällt nicht mehr. Das will nichts sagen,
meinte der Wolf, wenn sie nur recht stark ist. Ich will mich bemühen, dir in der
nächsten Stadt einen Wächterdienst zu verschaffen.
Er verschaffte ihm auch dieses Amt. Und man sagt, daß verschiedene Esel seinem
Beispiele gefolgt sind; so daß manche Städte mit dergleichen Wächtern angefüllt
wurden, die ihr Geschlecht fortgepflanzt haben, und noch dergleichen Dienste versehen.

Diese Fabel lehret, daß nichts so unnütz sei, welches nicht noch zu etwas könne
gebraucht werden.

Fab.21
Das Kriegsverhör über den Hasen

Nach einer großen Feldschlacht, die einstmals in Walde vorgegangen war, ward ein
Kriegsverhör über die Aufführung derjenigen angestellt, welche dieser Schlacht
beigewohnt hatten. Ein Hase ward beschuldigt, er habe die Flucht ergriffen, bevor die
Schlacht angegangen war.
Der Ochse der in denselben Distrikt, in welchem sich der Hase aufhielt, Harzvogt oder
Richter war, erhielt Befehl, in dieser Sache ein Urteil zu sprechen.
Nachdem nun die Flucht des Hasen durch hinlängliche Beweisgründe bestätigt war;
so erkühnte sich der Beklagte zwar nicht, die Tat zu leugnen, er bestrebte sich nur, zu
beweisen, es wäre nichts straffälliges darinnen. Er sagte: Ich war gesonnen, mehr als
einmal Dienst zu tun, und ein jeder, der diesen redlichen Vorsatz hat, muß für seinen
Leib und für seine Glieder Sorge tragen, wäre ich nun in dieser Schlacht umgekommen,
so hätte ich ein andermal keine Dienste mehr tun können.
Der Richter, der ein großer Jurist war, fand diesen lächerlichen Grund von Wichtigkeit,
und sprach den Hasen frei. Kein Urteil ist jemals von den Tieren und Vögeln mehr
belacht worden, als dieses.
Aber der Fuchs sagte: Man kann keiner andern Sprüche gewärtig sein, wenn man den
Ochsen zum Richter macht.

Diese Fabel zeigt, daß die Regel des Fuchses wohlbegründet ist.

Fab.22
Die Nachtigall und die Sau

Die Sau fragte einstmals die Nachtigall, warum sie, da sie doch eine so angenehme
Stimme hätte, sich nur zu einer gewissen Zeit im Jahre, und nur allein des Nachts,
ließe. Es scheint daraus, sagte sie, du mißgönnst den Menschen und Tieren das
Vergnügen, das sie daran finden.
Die Nachtigall antwortete darauf: Wie kommt's, daß du, ungeachtet deiner häßlichen
Stimme die du hast, dich durch das ganze Jahr beständig hören lässest? Es scheint,
du lässest dich, um Tieren und Menschen beschwerlich zu sein, so oft hören.
Keiner von beiden konnte solcherart den Grund seines Betragens angeben; sie gingen
daher voller Gedanken und stillschweigend voneinander.

Diese Fabel lehret, daß diejenigen, welche die schlechteste Stimme haben, am öftesten
singen, und daß diejenigen, welche wenig kluges vorbringen können, am meisten reden.
Diejenigen hingegen, welche die Menschen wirklich vergnügen, sind so wohl in dem einen
als in dem andern sparsam, und niemand weis die Ursache davon zu sagen.

Fab.23
Vom Kranich, welcher mit
Gratia probarum kurierte

Der Leopard ward einstmals gar oft mit Obstipationen* geplagt, und bediente sich des
Storches, welcher Hofchirurg war. Dieser setzte ihm dann ein Klistier nach dem andern;
aber die Krankheit wollte gleichwohl nicht nachlassen. Endlich meldete sich der Kranich,
und sagte: er hätte ein
Arcanum, welches den Namen: Gratia probarum, führte,
und damit können alle Krankheiten vertreiben. Das Rezept tat auch seine Wirkung, und
der Patient ward völlig kuriert. Da dieses bekannt ward, so lief alles zu diesem neuen
Arzt, und sein Rezept tat dieselbe Wirkung bei allen Kranken.
Nach einigen Monaten aber verlor diese Medizin all ihre Kraft, und der Doktor büßte
dadurch all seine erlangte Reputation ein. Da sich nun jedermann darüber verwunderte,
sagte eine alte Katze, welche die Arzneikunst lange betrieben hatte, obwohl sie nicht
graduiert war: Verwundert euch nicht darüber, alle solche neuen Rezepte wirken nur
einige Zeit, und so lange die Einbildung der Patienten dauert. Dieses habe ich am
Teerwasser bemerkt, womit man einige Monate alle Krankheiten kurieren konnte.
Aber nunmehr taugt es nur bloß dazu, die Wagenräder und das Schiffstauwerk damit zu
schmieren.

Diese Fabel zeiget, was die Einbildung bei den Patienten vermag, und diese ist es allein,
und nicht das Rezept, was sie kuriert.

*
Verstopfung

Fab.24
Die Sau und das Chamäleon

Ein Chamäleon, welches bei einer Sau vorbeiging, die nach ihrer Gewohnheit im Kote
lag, und sich darinnen herumwälzte, sagte zu ihr: Pfui! du garstiges Tier! du bist dir doch
allezeit selbst gleich. Die Sau antwortete darauf: Pfui! du garstiges Tier! du bist allezeit
dir selbst ungleich. Die anderen Tiere, die dieses hörten, hielten dafür, daß der Vorwurf
der Sau am besten begründet wäre.

Diese Fabel lehret, daß nichts tadelnswürdiger ist, als wie ein Proteus, seine Gestalt
verändern, und sich selbst stets ungleich sein, oder wie ein Chamäleon, welches bald
diese, bald jene Farbe annimmt. Das heißt allhier mit Recht, wie dieser Vers sagt:
                                                      Malo sui similen, quam sihi dissimilem.

Fab.25
Der Wolf und der Bär

Der Wolf und der Bär fielen einstmals in einerlei Krankheit. Der Wolf erholte sich zuerst,
und besuchte den Bär, der mit seiner Krankheit noch behaftet war. Da sich nun der Bär
verwunderte, wie der Wolf sobald war wieder hergestellt worden; so antwortete dieser:
Ich schließe, es müsse daher kommen, weil ich nur allein mit der Krankheit zu kämpfen
gehabt, du aber hast nicht allein mit der Krankheit sondern auch mit dem Doktor zu
zu streiten.

Diese Fabel zeiget, die Natur kuriere öfters sicherer, als die Arznei, welche durch ihre
Wirkung jener oft hinderlich ist.

Fab.26
Der Hochmut eines Mastschweins

Kein Tier, so geringe und elend es auch ist, hat von sich schlechtere Gedanken, als die
alleredelste Kreatur. Dieses sah man am Mastschwein, von welchem nun diese Fabel erzählt.

Ein Mastschwein geriet durch die Betrachtung, welches es über seinen eigenen Zustand
machte, in eine solche Einbildung, daß es glaubte, die ganze Welt wäre nur seinetwegen
erschaffen. Es sah, wie vor seinem Schweinestall die Sonne alle Morgen aufging; wie sie
ihm Licht und Wärme mitteilte, und wie sie sich wieder verbarg, wenn es Zeit war
auszuruhn. Es meinte also, diese Anstalt wäre bloß seiner Bequemlichkeit wegen
gemacht. Es merkte auch, daß gewisse Leute alle Morgen den Schweinestall öffneten,
um es auf das Feld zu bringen. Diese Leute sah es als seine bestellten Aufwärter an.
Es glaubte, daß die Menschen, wenn sie ihre Unreinigkeiten von sich warfen, alles dieses
bloß seinetwegen täten, und darum sah es sie für seine Speisemeister an.
Kurz: es legte alles zu seinem Vorteil aus, und bildete sich ein: alles wäre nur seiner
Bequemlichkeit wegen so eingerichtet, und diesfalls sah es sich für die Quintessenz aller
erschaffenen Dinge an.
Aber just, da es einstmals durch solche Vorstellungen ganz außer sich selbst war, und
vor Hochmut fast bersten wollte, kam der Schlachter, und schleppte es mit Gewalt auf
die Schlachtbank.

Die Fabel kann auch denjenigen Leuten zur Lehre dienen, welche sich einbilden, daß
alles ihretwegen erschaffen sei, da doch diese ganze Erde gegen die große und scheinbar
unendliche Welt nur als ein Sandkorn anzusehen ist. Und diejenigen verdienen aber, fast
eben so sehr ausgelacht zu werden, als das Mastschwein, und welche meinen, daß die
unzählbaren Sterne ihrethalben zur Zierde an den Himmel gesetzt sind. Desgleichen
die Kometen ließen sich nur diesfalls sehen, um wegen gewisser bevorstehenden
Begebenheiten die Menschen zu warnen.

Fab.27
Von zwei Raben
eine persische Fabel

Zwei Raben wollten einstmals miteinander in Schwägerschaft treten. Der eine hatte einen
Sohn, und der andere eine Tochter; die Partie war auf beiden Seiten gleich. Sie handelten
nur darüber, was die Tochter zur Mitgift mitbringen sollte. Ihr Vater versprach darauf,
sein Schwiegersohn sollte zehn wüste Dörfer zur Aussteuer erhalten. Dieses Versprechen
gefiel den andern Raben, aber er fragte ihn: woher er soviel aufbringen könnte?
Der Vater der Tochter sagte darauf: Wenn Gott unserm gnädigen Herrn, den Sultan
Machmud, leben lässet, so werden wir niemals an wüsten Dörfern Mangel haben.

Diese Fabel erfordert keine Erläuterung, denn sie erklärt sich selbst.

Fab.28
Des Esels Hochmut in seinem Wohlstande

Ein Esel fand einen großen Schatz, der unter einem Drachen verborgen lag, der vor
Hunger gestorben war, weil er seinen Schatz nicht verlassen wollte. Der Esel ließ sich
darauf mit köstlichen Kleidern und Schmuck auszieren. Da nun die Torheit des Esels von
allen Tieren und Vögeln ausgelacht ward, sagte ein Windspiel: es könnte nichts
vernünftigeres vorgenommen werden, indem kein anderes Tier einen fremden Schmuck
so sehr nötig hätte, denn, fuhr es fort: Man malt eine Wand, welche von Holz oder Leim
ist aber nicht eine, die von Marmor ist. Ich würde kein Bedenken tragen, dieses ebenfalls
zu tun, wenn ich ein Esel wäre.

Diese Fabel zeiget, daß unnütze und verächtliche Leute Ursache haben, sich am meisten
zu putzen; und die Erfahrung lehret, daß dieses auch täglich geschieht.

Fab.29
Die Nachteule

Einige beschwerten sich über die Nachteule, daß sie ihre Stimme des Nachts so oft
hören ließe, und sie baten sie, sie möge doch darinnen Maß halten. Darauf aber
antwortete sie folgendermaßen: Ich habe zwar selbst keine Lust daran, wenn ich singe,
aber, was tut man nicht, andern ein Vergnügen zu machen?

Diese Fabel lehret, daß sich ein jeder einbildet, er besitze die größten Eigenschaften,
und daß die Eule einen eben so großen Preis auf ihre Stimme setzt, als die Nachtigall.

                                                                                                            nach oben

Fab.30
Die Katze mit ihren Jungen

Die Katze schalt einstmals ihre Jungen aus, weil sie so sehr schäkerten. Sie sagte:
Es muß doch in allen Dingen Maß gehalten werden; aber ihr führt euch auf wie die
Schalksnarren. Die Jungen antworteten: Wir haben gehört, daß unsere lieben Eltern
in ihrer Jugend sich ebenso aufgeführt haben. Die Katze sagte darauf: Das ist wahr,
aber ihr seht ja, daß wir unsere Lebensart nunmehr ganz geändert haben, und daß
wir nun ganz ehrbar und ernsthaft sind. Die Jungen antworteten: Wir wollen ebenso
ernsthaft werden, wenn wir das Alter unserer Eltern erreicht haben.

Diese Fabel lehret, daß die Eltern, welche in ihrer Jugend ein unordentliches Leben
geführt haben, wenig Ursache haben, ihre Kinder, die ihren Fußstapfen nachfolgen,
durchzuhecheln.

Fab.31
Die Kälber und der Hirsch

Einige junge mutwillige Kälber, bei denen ein Hirsch mit einem außerordentlich großen
Geweih vorbei ging, trieben ihren Spott mit ihm, und riefen: Hahnrei! Der Hirsch drehte
sich um und sagte zu dem Kalb welches ihm am nächsten stand: Du denkst nicht nach
mein Sohn! daß dein eigener Vater ebenfalls mit einem Horne auf der Stirn versehen ist,
und daß du selbst in kurzer Zeit eben so werden wirst. Endlich, da sie nicht aufhörten
zu rufen, sagte der Hirsch: Gewiß, wenn mein Horn ein Beweis meiner Hahnreischaft
sein soll, so müsset ihr meiner Frau nachrufen, und sie verspotten, weil sie einzig und
allein Schuld daran sein würde.

Diese Fabel zeiget, daß nichts unbilliger ist, als einen Mann zu verspotten, dessen Frau
ihm untreu ist.
Diesfalls sagt der Poet:
                                     
Si ma Femme a failli, que'elle pleure bien fort,
                                           Mais pourquoi moi pleurer, puisque je n'ai point fort.

Das heißt:

Es mag die Frau nur selbst die Hahnreischaft beweinen;
Ich bin nicht Schuld daran, warum sollt ich den weinen?

Fab.32
Die Grabschrift einer Elster

Eine wortreiche Elster, die an Gesprächigkeit keinem Tiere oder Vogel etwas nachgab,
und die es mit dem gesprächigsten Barbier unter den Menschen hätte aufnehmen
können, ging endlich mit Tode ab, und ein Biber der, der Waldsatirikus war, machte ihr
diese Grabschrift: Hier ruht die berühmte Elster . . . , welche den vierten Tag des
Monats Kilian im Elefantenjahre, aufhörte zu schwatzen, das ist: starb.

Diese Fabel lehret, daß man gewisse wortreiche Leute findet, die nicht aufhören zu
plaudern, bis sie den Geist aufgeben, und deren Absterben man mit diesen Worten
ausdrücken kann:
Desierunt loqui.

Fab.33
Von der Katze, die sich mit ihrem Adel brüstete

Eine Katze brüstete sich einstmals mit ihrem Adel, indem sie vorgab: Die erste Katze
wäre aus dem Nasenloche des Löwen auf die Welt gekommen. Ein Tiger, der dieses
hörte, sagte darauf: Es wäre zu wünschen, du könntest deinen Adel durch Tugend und
Geschicklichkeit beweisen, und nicht durch das Nasenloch des Löwen.

Diese Fabel lehret, daß Hoheit durch Geburt und Herkommen eine bloße Chimäre ist,
und nicht der Mühe wert ist, sich damit zu brüsten.

Fab.34
Vom Luchs

Ein Luchs, der im Walde Obervisitator war, verlor einstmals durch ungesunde
Feuchtigkeiten das eine Auge. Alle Tiere, insbesondere diejenigen, welche Handelsleute
waren, erfreuten sich darüber, indem sie meinten, er werde nunmehr nicht so
scharfsichtig wie zuvor sein. Aber der Fuchs sagte: Ihr törichten Kreaturen! ihr freut euch
über euer eigenes Unglück; denn niemand unterscheidet und sieht richtiger, und
gleichsam auf ein Haar, als ein Einäugiger.
Diesfalls sagt man im Sprichwort: Nimm dich vor demjenigen in Acht, der nur ein Auge hat.

Diese Fabel lehret, daß sich manche über gewisse Begebenheiten freuen, die ihnen
hernach zum Schaden gereichen.

Fab.35
Das Schicksal des Schäfers Damon

Der Schäfer Damon war eine Zeitlang wegen seiner angenehmen Schriften sowohl bei
Menschen, als bei Tieren und Vögeln in Liebe und Ansehen gewesen. Man hörte im Walde
täglich von ihm reden, und ihn rühmen, und gewisse Tiere und Vögel konnten ganze
lange Stellen aus seinen poetischen Schriften auswendig hersagen.
Ja einige seiner Gedichte waren von der Lerche und Nachtigall in die Musik gesetzt und
abgesungen worden. Seine Arbeit erwarb ihm endlich eine neue Würde, denn er ward
aus dem Schäferstande in den Herrenstand erhoben. Er setzte darauf seine gewöhnliche
Arbeit noch lange fort, aber nicht mit dem vorigen Glücke, denn er konnte es niemanden
mehr recht machen. Die Schriften, in denen die scharfsinnigsten Tiere, als Luchse,
Katzen, Habichte, u.d.g. keine Fehler sehen konnten, wurden nun von den Maulwürfen
und andern starblinden Kreaturen verworfen, und voller Fehler befunden. Da sich nun
etliche Tiere über diese Veränderung verwunderten, und nach den Ursachen derselben fragten,
sagte der Fuchs: Die Arbeit ist noch immer dieselbe, aber die Person ist nicht mehr dieselbe.

Diese Fabel lehret, was die Eifersucht und Mißgunst bewirken kann.

Fab.36
Der Viehhirte und die Kuh

Ein jütländischer Viehhirte, der eine Kuh in die Stadt trieb, begegnete unterwegs dem
Landesdommer, der zu Pferde war. Dieser Hirte, so oft die Kuh nicht fort wollte, rief ihr
zu: Willst du gehen Mörlille!* Denn die jütländischen Bauern bedienen sich der Worte:
Mörlille und Färlille sowohl gegen Tiere, als gegen Menschen. Da der Landesdommer
dieses hörte, so konnte er sich des Lachens nicht enthalten, er fragte daher: Nennst du
die Kuh Mörlille? Worauf der Bauer zur Antwort gab: Ja, Färlille!

Diese Fabel beweist, daß ein Wort in den täglichen Reden öfters mißbraucht wird.
Solcherart nennt ein Schweinehirte die Sau im Zorne öfters Hund; da doch dieser Titel
für ein Schwein zu vornehm ist, so wie der große Titel, welchen der Hirte seiner Kuh gab,
für dem Landesdommer zu niedrig war.

*
Das Wort Mörlille heißt eigentlich: kleine Mutter, oder Mütterchen, so wie Färlille,
kleiner Vater oder Väterchen heißt.


Fab.37
Die Katze philosphiert

Nachdem die Katze lange Zeit entsetzliche Zahnschmerzen ausgestanden hatte,
so mußte sie sich endlich entschließen, sich die Zähne von einem Storche, der
Waldchirurg war, ausziehen zu lassen. Dieses geschah nicht ohne große Schmerzen,
und dadurch ward die Katze so niedergeschlagen, daß sie sich entschloß, der Welt zu
entsagen, und sich mit ihren Feinden, welche die Mäuse und die Ratzen waren,
zu vergleichen, zugleich aber allem Fleische und allen harten Speisen abzusagen.
Da der Affe, der eine Zeitlang Tanzmeister gewesen war, aber nunmehr wegen des
Podagras nicht mehr tanzen konnte, den Vorsatz der Katze erfuhr, besuchte er sie und
wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben. Aber da er die Ursache von der Philosophie der
Katze erfuhr, sagte er: Ich habe auch alle Eitelkeit auf die Seite gesetzt, und der Welt
den Rücken zugekehrt; denn seitdem ich das Podagra bekommen habe, hat niemand
mich tanzen gesehen.

Diese Fabel zeigt, daß die meisten Menschen nicht eher die Welt verlassen, als bis die
Welt sie verlassen hat.

Fab.38
Vom Fuchs, der eine Flasche auswendig beleckte

Ein Fuchs fand eine Flasche auf dem Wege, welche mit Speisen angefüllt war. Weil er nun
die Speisen nicht erhalten konnte, — denn die Flasche war fest zugemacht, — so beleckte
er sie auswendig.

Die Fabel lehret: Wenn wir und auf solche Wissenschaften legen, welche uns so hoch
oder so schwer sind, daß wir uns keine Vollkommenheit darinnen erwerben oder nicht
bis ins Innere derselben dringen können, so müssen wir uns mit der Schale derselben
begnügen lassen, und mit dem Fuchse sie nur von außen belecken.

Fab.39
Eine ungereimte Art zu trösten

Ein Mann hatte durch einen Zufall seine Nase eingebüßt. Verschiedene Freunde kamen zu
ihm, um ihn zu trösten und zu ermahnen: er möge sich in dieses Unglück mit Geduld
ergeben. Aber einer von ihnen meinte, daß eine so allgemeine Art zu trösten nur wenig
verschlagen würde, daher ersann er eine andere Art zu trösten, die, wie er glaubte,
von besseren Nachdruck sein würde. Er sagte: Kein Unglück ist so groß, daß nicht etwas
Gutes daraus fließen könne. Aus diesem Unglücke folgt der Vorteil, daß sich der Patient
dadurch zweierlei Ausgaben, nämlich des Schnupftabaks und der Schnupftücher
erspart hat.

Es ist glaublich, der Patient wird durch diesen Trost wenig Linderung erhalten haben.

                                                                                                            nach oben

Fab.40
Die Belohnung eines Künstlers
Eine Historie

Ein großer Künstler meldete sich einstmals bei einem König, eine Probe seiner großen
Behendigkeit vor ihm abzulegen, wofür er eine große Belohnung erwartete.
Die Kunst war diese: Er warf Erbsen durch ein großes Nadelöhr, und dieses mit solcher
Richtigkeit, daß es ihm niemals fehlschlug. Der König mußte sich über diese große
Behendigkeit verwundern; aber, weil die Kunst so viel Arbeit und eine vieljährige Übung
gekostet hatte, und gleichwohl ohne Nutzen war, so ließ ihn der König bloß einen
Scheffel Erbsen verehren.

Diese Historie zeigt, daß diejenigen, welche viel Zeit und Arbeit verschwenden, um in
einer unnützen Kunst vortrefflich zu werden, sich zwar Bewunderung, aber auch
Verachtung, erwerben.

Fab.41
Der Hochmut eines Maulwurfs

Ich habe den Streit erzählt, der zwischen dem Tiger und Leoparden entstand, und
endlich in einen offenbaren Krieg ausbrach. Ich habe auch hingewiesen, woraus diese
Zwistigkeit entstand, nämlich weil ein jedes glaubte, die Sonne würde seinetwegen verfinstert.
Da nun diese Historie einige Zeit danach einem Maulwurf erzählt ward, sagte dieser:
O welche törichte und eitle Kreaturen! Hätte ich nur mit ihnen reden sollen, ich hätte
diesen blutigen Krieg unfehlbar verhindert.
Die Finsternis ging sie gar nichts, sondern mich ganz allein an; denn mein ältester Sohn
ward an demselben Tage von einem Bauernjungen tot getreten. Dergleichen Zeichen
habe ich einige Male bemerkt, wenn sich unglückliche Begebenheiten in meiner Familie
zugetragen haben; denn etliche Tage vor dem Tode meiner Frau ließ sich ein
erschrecklicher Komet am Himmel sehen.

Diese Fabel lehret, daß sich die allerelendste Kreatur, ja ein Wurm oder eine Milbe,
eben so hohe Gedanken, als ein Kaiser, von sich selbst machen kann.

Fab.42
Das gekrönte Pferd

In den Olympischen Spielen, welche vorzeiten in Griechenland gehalten wurden, kämpfte
das Volk auf verschiedene Arten miteinander. Einige liefen nach dem Ziele, andere
fochten, andere schlugen sich, oder rangen miteinander.
Diejenigen, welche sich in diesen Spielen am besten hielten, wurden mit Kronen geziert.
Diogenes, der diese Spiele einige Male mitangesehen hatte, meinte, man müßte bloß
durch Tugend, und nicht durch Leibesstärke, Ehre erwerben, und Achilles wäre der Ehre
nicht würdiger, als ein starker Arbeitsmann, oder als ein Bär.
Diesfalls, als er sah, daß sich einstmals zwei Pferde miteinander schlugen, krönte er
dasjenige Pferd, welches die Oberhand behielt.

Diese Historie lehrt, daß sich ein Mensch bloß durch Tugend und Verstand von einem
andern unterscheiden müsse.

Fab.43
Der Hund und der Wolf

Ein Hund forderte einen Wolf zum Zweikampfe heraus. Der Wolf hatte keine Lust dazu,
und entschuldigte sich, indem er sagte: Es ist ungewiß, welcher von uns beiden den
andern überwinden oder lähmen wird. Wenn ich, um einen Schimpf der mir widerfahren
ist, zu rächen, gelähmt aus dem Streite zurück käme, so hätte ich Spott und Schaden zugleich.

Die Fabel lehret, daß nichts törichteres und ungereimteres ist, als Leib und Glieder,
um Spottreden oder anderes Unrecht zu rächen, aufs Spiel setzen; obschon die
Erfahrung lehrt, daß unter vernünftigen Leuten nichts gebräuchlicher ist, als dieses.

Fab.44
Wodurch die bösen Weiber in die Welt gekommen sind

Ein Reiter reiste durch einen Wald, daselbst hörte er ein großes Geschrei, als ob jemand
in Not und Gefahr wäre. Er lief geschwind dahin, wo das Geschrei herkam.
Daselbst fand er ein Mädchen, welcher der Teufel Gewalt tun wollte. Der Reiter, der ein
mitleidiger Mann war, und das Frauenzimmer gar nicht haßte, eilte, um das Mädchen zu
retten. Er zog seinen Pallasch, um dem Teufel den Kopf abzuhauen; aber weil er im Eifer
zu stark ausholte, so hieb er beiden zugleich die Köpfe ab.
Diesen Fehler wollte er in aller Eile verbessern. Aber weil es gegen Abend war, und er
folglich beide Köpfe nicht von einander unterscheiden konnte, so ergriff er aus Irrtum den
Kopf des Teufels, und setzte ihn auf den Rumpf des Mädchens.
Man glaubt, daß von ihr, die bösen Weiber herstammen.

Fab.45
Die vernünftige Bitte des Storchs

Noch vor der Reise Jupiters hatte Apollo den Wald besucht, um das Anliegen der Tiere
und Vögel anzuhören. Er trat in der Residenz Pans ab, und dahin wurden die Deputierten
aller Nationen beschieden. Es fanden sich daselbst die Bevollmächtigten der Löwen,
Bären, Parder, Wölfe, Adler, Habichte u.d.g. ein; von denen ein jeder die
Angelegenheiten seiner Nation vortrug.
Einige baten um Kraft und Stärke gegen ihre Feinde, andere Glück auf ihrem Fange und
auf ihrer Freibeuterei, andere noch um andere Dinge. Der Bevollmächtigte des Storches
allein sagte: Er wüßte nichts, warum er zu bitten hätte, indem er nicht wüßte, was ihm
und seinen Mitbrüdern dienlich wäre, und diesfalls überließ er es den Göttern, zu tun,
was sie für gut fänden. An dieser Rede des Storchs fand Apollo so großes Vergnügen,
daß er sagte: Der Storch soll dieses vor anderen Tieren voraus haben daß er unter
Menschen und Tieren stets unangefochten soll leben können. Die andern Tiere hingegen
wurden abgewiesen, weil ihre Bitten so schlecht begründet waren.

Diese Fabel zeiget, daß die Bitte des Storchs den Menschen ein Muster sein soll, wie sie
ihr Gebet einzurichten haben.

Fab.46
Die Balancerechnung des Fuchses

Ein Fuchs, der eine Menge Enten im Walde bemerkt hatte, legte sich am Wege, den die
Enten nehmen mußten, aufs Lauern. An dem Orte, wo er sich versteckte, war eine
große Dornenhecke, in welche sich sein Schwanz so unbemerkt verwickelte, daß er gar
nichts davon spürte. Da nun die Enten ankamen, erwischte er eine davon mit der
Schnauze, und da die anderen die Flucht nahmen, so wollte er ihnen nacheilen. Aber nun
merkte er erst, daß er beschnellt war. Er arbeitete daher mit allen Kräften, sich los zu
reißen, dadurch aber ging der Schwanz in Stücke, und blieb in den Dornen hängen.
Er begab sich darauf voller Scham mit der Beute, die er bekommen hatte, zurück. Ein
Wolf, der ihn in diesem Zustande begegnete, sagte zu ihm: Mein guter Meister Michel!
was du an dem einen Ende gewonnen hast, das hast du an dem anderen Ende verloren.

Die Fabel zeiget, daß, wenn die Ausgabe mit der Einnahme zusammen gehalten wird,
der Gewinn der Kaufleute nicht so groß ist, als sie sich oft einbilden.

Fab.47
oder Historie
Eine gelehrte Dame in der Versammlung der Gelehrten

Einige gelehrte Leute hatten sich versammelt, um sich über allerhand philosophische
Materien zu unterreden. Ein Frauenzimmer, welches auch studiert hatte, fand sich dabei
ein. Einer von ihnen, welcher die Dame nicht kannte, und der Meinung war, sie wollte
durch ihre Ankunft ihre gelehrte Versammlung stören, sagte darauf:
Quid Saul inter
Prophetas?
Das heißt: Was will Saul unter den Propheten? Sie aber antwortete auf
Latein:
Quaerit Afinos Domini sui. Das ist: Er sucht die Esel seines Herrn.

Diese Historie zeigt, daß man oft eine unerwartete Antwort erhält, wenn man sie am
wenigsten erwartet hat.

Fab.49
Die unordentliche Andacht des Fuchses und des Wolfs

Ein Fuchs und ein Wolf, welche eine Zeitlang im Walde Katecheten gewesen waren,
und gegen die Sünden, welche unter den Tieren und Vögeln im Schwange gingen, mit
großem Eifer gedonnert hatten, kamen einstmals zusammen, um nach ihrer Gewohnheit,
die Wollüste und Begierden der anderen Tiere durchzuhecheln.
Aber just, da sie mitten in diesem
Enthusiasmo waren, ging ein Schaf vor ihnen vorbei,
darüber vergaßen beide ihre Gesetzpredigten. Der Wolf sagte: Ich will, wegen Kürze der
Zeit, meine Rede abbrechen! Der Fuchs sagte: Ich will meine Rede bis auf gelegenere
Zeit aufschieben. Hierauf liefen sie beide der Beute nach. Aber weil ein jeder die Beute
allein haben wollte, so gerieten sie in eine so blutige Schlägerei miteinander, daß einer
den andern ums Leben brachte, das Schaf aber durch diesen einheimischen Krieg entkam.

Diese Fabel zeiget, daß manche ihren eigenen Einbildungen nach, heilige Leute sich am
ersten zu erkennen geben, wenn die Versuchung kommt, und sie eine Probe ihrer
Heiligkeit ablegen sollen.

Fab.50
Jupiter erfährt, was er nicht wissen will

Merkur wurde einstmals vom Jupiter nach Athen gesendet, um ein Buch einbinden zu
lassen. Dieses geschah. Aber der Buchbinder legte aus Irrtum in Merkurs Ränzel ein
anderes Buch von denselben Bande. Dieses enthielt eine häßliche Satire auf Jupiter,
in welcher seine unkeuschen Liebesstreiche und ärgerliche Historien beschrieben waren.
Er bekam also Dinge zu lesen, die er am wenigsten erwartete.

Diese Fabel zeiget, daß manche zufällige Weise, Sachen erfahren, welche ihnen sonst
niemand sagen dürfte.


                                                                                                            nach oben