Fab.1
Von einem Esel, der Cantor werden wollte
Als im Walde ein Cantorat ledig war; so meldeten sich
unterschiedliche Kandidaten, und
unter andern auch ein Esel. Nachdem sie nun alle in des
Kapellmeisters Gegenwart, der
ein Kiebitz war, ihre Proben abgelegt hatten; so fielen die
meisten Stimmen auf einen
Raben, von den man glaubte, er würde ein guter Baßiste
werden. Die Stimme des Esels
ward hingegen von den meisten Tieren sehr ausgelacht und
verachtet. Allein dieser ließ
desfalls nichts von seinen hohen Gedanken fallen, die er von
seiner schönen Stimme
gefasset hatte; er schrieb vielmehr diese Verachtung, mit
welcher ihm von den andern
Tieren war begegnet worden, dem Unverstande oder Mißgunst
derselben zu.
Dieses gab er einer Nachteule zu erkennen, welche ihn auf
seiner Heimreise begleitete.
Die Nachteule sagte darauf: Lieber Bruder, du mußt dieses
nicht so sehr zu Herzen
nehmen. Das vorige Mal ist es mir ebenso ergangen. Wir
leben, leider! in den Zeiten,
da man Tugend und Geschicklichkeit nichts mehr achtet.
Diese Fabel lehret, daß ein jeder in sich selbst verliebt
ist, und sich mit seinen Fehlern
und Häßlichkeiten so weit eingelassen hat, daß er sie
endlich für Tugenden und
Zierraten ansieht.
Fab.2
Vom Adler und den jungen Füchsen
Ein Adler, der für seine Jungen Fütterung suchte, schlich
sich in ein Fuchsnest, wo er
einige kleine neugeborene Füchschen raubte, die er darauf
seinen Jungen brachte.
Die jungen Adler liefen stracks darauf zu, und wollten sie
fressen; allein die Mutter sagte:
Liebe Kinder, wartet noch einige Tage, bis die jungen Füchse
etwas mehr Fleisch
bekommen, denn jetzt sind sie noch zu klein und mager, und
ihr werdet kein sonderliches Futter haben.
Die Mutter verließ nach dieser Ermahnung das Nest, und blieb
einige Zeit weg. Als sie
aber zurück kam, so hatten die jungen Füchse, die inzwischen
etwas stark geworden,
die jungen Adler tot gebissen und einige derselben bereits
aufgefressen.
Diese Fabel lehret, daß manche sich selbst durch allzu große
Vorsichtigkeit ins Unglück
stürzen.
Fab.3
Von einem Affen
Ein Affe, dem ein Erbgut zugefallen war, legte sich eine
treffliche Equipage zu; ließ sich
mit Gold gestickte Kleider machen, und, damit ihn alle und
jeder in seiner Herrlichkeit und Pracht sehen könnten. So
stieg er auf einen Hügel, der an einer Landstrasse war. Ein
anderes Tier, welches vorbei ging, und den Affen in dieser
Positur gewahr ward, sagte zu ihm: "Alles dieses dienet nur
dazu, daß deine Häßlichkeit und üble Gestalt desto
merklicher werde.
Quo altior es, eo turpior
— Je höher, je häßlicher!"
Diese Fabel lehret, daß es manche Leute gibt, deren
schlechte Eigenschaften nicht eher
bekannt werden, als bis sie in Ehrenämter und auf den großen
Schauplatz der Welt
kommen, wo ihre Unvollkommenheiten allen in die Augen
fallen.
Fab.4
Vom Esel, der sich für einen Doktor ausgab
Der Wolf bekam einstmals ein hitziges Fieber, und er
verlangte einen Doktor. Da der Esel
dieses hörte, so bot er ihm in der Arzneikunst seine Dienste
an, und er ward auch sofort
angenommen. Allein, der Ausfall wies, daß sich die Krankheit
durch diese Eselkur nur
verschlimmerte, und der Patient ward zuletzt gichtbrüchig.
Der Wolf ließ darauf den Esel
vor Gericht fordern, und beschuldigte ihn einer Mordtat.
Beide Parteien nahmen zwei Elstern an, die ihre Sachen vor
dem Richter, welcher der
Löwe war, führen sollten. Im Gerichte ward erwiesen, daß der
Esel sich einer Sache
unterzogen hatte, die er ganz und gar nicht verstund, und
diesfalls versah sich dieser
eines harten Urteils. Allein der Spruch war dieses Inhalts:
Der Wolf sollte den Schaden
zum Lohne haben, weil er die Schuld sich allein beizumessen
habe, indem er sich eines
Doktors bedient hätte, von dem er gewußt, daß er ein Esel
war.
Diese Fabel lehret, daß derjenige, welcher sich mit freien
Willen und Wissen eines Toren
bedienet, keine Ursache habe, ihm wegen schlechter
Verwaltung zur Rede zu setzen.
Fab.5
Von der Katze in dem Speiseschranke eines Bauern
Ein armer Bauer verwahrte in seinem Schranke einen Käse;
allein der Schrank war nicht
dicht genug, denn eine Maus schlich sich hinein, und benagte
den Käse. Der Bauer
entschloß sich darauf, eine Katze in den Schrank zu sperren,
um den Mäusen einen
Schrecken einzujagen, und den Käse zugleich zu beschirmen.
Darauf legte er sich ruhig
ins Bett; allein, da er des Morgens aufstund, und seinen
Schrank öffnete; so fand er daß
die Katze den ganzen Käse in einer einzigen Nacht verzehrt
hatte.
Diese Fabel lehret, daß man sich oft, einem kleinen Übel zu
entgehen, in ein größeres
stürzt, und daß diejenige, was man für Arznei ansieht,
ärger, als die Krankheit selbst ist.
Fab.6
Die Katze begibt sich in einen Mönchsorden
Als die Katze merkte, daß die Jagd mehr und mehr abnahm,
indem die Mäuse, die all
ihre Künste gelernt hatten, ordentlich Schildwacht hielten,
um sich gegen sie zu
beschützen: so beschloß sie, sich in den Orden der Mönche zu
begeben, um sie unter
der Maske der Heiligkeit desto besser zu betrügen.
Sie ließ sich daraufhin von einem Färber schwarz färben,
unter dem Vorwande, sie hätte
nun, als ein Mönch, der Welt den Rücken zugekehrt. Da die
Mäuse dieses hörten,
so erweckte es eine große Freude unter ihnen; weil sie
meinten, sie wären nun von aller
Furcht und Gefahr befreit, indem die Mönche kein Fleisch
essen durften. Sie ließen sich
daher in Gegenwart der Katze nicht nur frei sehen, sondern
sie machten sich auch recht
bekannt und gemein mit ihr. Die Katze blieb eine Zeitlang
bei ihrer Aufführung, um sie
mehr und mehr treuherziger zu machen.
Endlich, da eine große Menge von Mäusen versammelt war, und
sie Gelegenheit hatte,
einen guten Fang zu tun, zog sie die Maske ab, und ermordete
sie alle, daß auch nicht
mehr, als eine einzige Maus davon kam. Diese sagte: die
Katze wäre zuvor sehr schlimm
gewesen, aber seit dem sie ein Mönch geworden, so wäre sie
erst recht rasend toll
geworden.
Diese Fabel lehret, daß unter allen unrechtmäßigen Mitteln,
die Leute zu betrügen,
keines sicherer sei, als die Maske der Heiligkeit.
Fab.7
Vom Monde
Der Mond bat seine Mutter um ein neues Kleid. Die Mutter
sagte darauf: Meine Tochter!
kein Schneider ist vermögend, dir solche Kleider zu machen,
welche dir passen würden;
denn du hast alle Tage eine andere Gestalt.
Diese Fabel lehret, daß es gewisse wankelmütige und
unbeständige Menschen gibt,
denen man niemals etwas recht machen kann, weil sie alle
Stunden andern Sinnes sind.
Fab.8
Vom Maulwurfe
Der Maulwurf bat seine Mutter um ein paar Brillen. Die
Mutter sagte darauf: Was willst du
mit den Brillen machen? Die Brillen, deren sich die Menschen
bedienen, sind den
Maulwürfen unnütze.
Diese Fabel lehret, daß es gewisse Menschen gibt, die von
Natur so sinnlos und dumm
sind, daß sie weder Zucht noch Lehren rühren oder bessern
können.
Fab.9
Vom Dornbusche
Der Dornbusch beschwerte sich beim Jupiter über seine
schlechte und häßliche Gestalt.
Jupiter antwortete darauf: Du bist, als ein Dornbusch, schön
genug.
Diese Fabel lehret, daß ein jedes Geschöpf an sich selbst
vollkommen sei; daß die
Menschen keine Ursache haben, sich darüber zu beschweren,
weil sie nicht den Engeln
gleich geschaffen sind; denn sie sind geschaffen, Menschen
zu sein. Das ein Pferd
darüber nicht klagen kann, daß es keine Flügel hat, und wie
ein Vogel fliegen kann;
denn es ist geschaffen, ein Pferd zu sein. Wenn ein Schwein,
welches man für das
häßlichste Tier hält, wie ein anderes Schwein geschaffen
ist: so kann es über seine
Gestalt nicht klagen.
nach oben
Fab.10
Die Klagen der Frösche
Einige kleinen Jungen warfen zum Zeitvertreib Steine in
einen Fischteich, in welchem
verschiedene Frösche waren. Da nun diese Lust sehr lange
währte, und unterschiedliche
Frösche dadurch ums Leben kamen: so stund einer von den
Fröschen auf, und redete die
Knaben folgendermaßen an: Liebe Kinder! dasjenige, womit ihr
euch jetzt die Zeit
vertreibt, kommt uns armen Fröschen teuer zu stehen.
Diese Fabel lehret, daß viele plauderhafte Menschen, oder
Skribenten, um nur ihren Geist
und ihre sinnreichen Einfälle sehen zu lassen, solch Zeug
reden und schreiben,
dadurch andere gar sehr verwundet und betrübt werden.
Fab.11
Die Reise der Taube in fremde Länder
Nachdem die Taube von dem Habicht und anderen Raubvögeln gar
oft war verfolgt
worden, und eine Lebensgefahr nach der anderen ausgestanden
hatte, beschloß sie,
ihr Vaterland zu verlassen, und sich an einem fremden Orte
niederzulassen, wo sie in
ihrem Alter in Sicherheit leben könnte, und von allen
Verdrießlichkeiten befreit wäre,
denen sie in ihrem Vaterlande war unterworfen gewesen.
Nachdem sie nun von ihren
Freunden und Angehörigen den freundlichsten Abschied
genommen hatte, begab sie sich
auf die Reise.
Nachdem sie nun etliche Tage in einem beständigen Fluge
zugebracht hatte, kam sie in
einem fremden Lande in eine weit entlegene Stadt, wo sie für
gut fand, sich
niederzulassen. Allein, sie hatte sich daselbst kaum eine
halbe Stunde aufgehalten; so
ward sie einem Habicht auf einem Glockenturme gewahr. Worauf
sie sagte: Du bist auch
allhier? Hätte ich das gewußt, so hätte ich eben so gut in
meinem
Vaterlande bleiben können.
Diese Fabel lehret, daß man überall in der Welt
Verdrießlichkeiten antrifft.
Die Beschwerlichkeiten können gleich groß sein, ob sie schon
nach der Veränderung der
Szenen nicht immer dieselben sind.
Fab.12
Vom Kuckuck
Der Kuckuck stellte ein Konzert an, und lud die anderen
Vögel ein, damit sie seine
Stimme hören sollten. Aber er ward ausgepfiffen. Doch es
fanden sich noch einige
Vögel, insbesondere eine Elster, welche glaubten, es wäre
dem Kuckuck hierin
Unrecht geschehen; denn er hätte doch eine Stimme, die nicht
zu verachten wäre.
Allein der Adler antwortete darauf: Hätte man den Kuckuck
gebeten zu singen, so hätte
man ein milderes Urteil über ihn gefällt; allein, da er
ungebeten, andere eingeladen hat,
seine Stimme zu hören, und dadurch zu erkennen gegeben, wie
viel er sich darauf
einbildet: so ward die Stimme mit Recht genauer untersuchet.
Diese Fabel lehret, daß nichts mittelmäßiges an diejenigen
zu dulden ist, die sich für
Meister ausgeben; und desfalls geschieht es, daß ein
Schriftsteller, der auf Befehl
schreibt, lange nicht so sehr kritisiert wird, als ein Poet,
der nur darum schreibt, seinen
poetischen Geist sehen zu lassen. Daß auch des einen
Verfassers Werke mehr zensuriert
werden, als die Werke des anderen, gibt Horaz in folgenden
Versen zu erkennen:
medioribus esse Poetis
Non homines, non
Dii, non concessere Columnae.
Fab.13
Vom Schornsteinfeger
Ein Schornsteinfeger, den man Dieberei Schuld gab, ward
gegriffen, und von der
Obrigkeit in das allgemeine Gefangenenhaus der Stadt
eingeschlossen; dieses war mit
starken Türen und Schlössern wohl versehen. Der folgende Tag
war zum Verhör
angesetzt. Aber als die Stadtdiener ins Gefängnis kamen, um
den Gefangenen vors
Gericht zu führen, so war der Schornsteinfeger unsichtbar
geworden; denn er hatte die
Flucht durch den Schornstein genommen.
Diese Fabel lehret, daß man die Türen und Gefängnisse nach
der Beschaffenheit der
Gefangenen einrichten müsse: denn, wenn man einen Schlosser
einschließt, so muß
man die Türe nicht allein mit Schlössern versehen, sondern
auch mit Vorlegeschlössern
verwahren und wenn man einen Schornsteinfeger gefangen
setzt, so muß im Gefängnis
kein Schornstein sein. Ein guter Zaun oder eine Mauer ist
hinlänglich genug, Kühe,
Schafe und Pferde zu verwahren, aber nicht Vögel, man müßte
ihnen die Flügel
beschneiden.
Diese Regel ist auch bei den Strafen zu beobachten: denn was
dem einen eine große
Strafe ist, das kann einem andern eins sehr kleine oder auch
gar keine sein.
Fab.14
Die Dreistigkeit der Gans
Der Löwe hatte einstmals eine wichtige und beschwerliche
Sache auszuführen; und in
diesem Falle ließ er unterschiedliche Tiere vor sich
erscheinen, um zu hören, ob ihm
keines einen guten Rat zur Ausführung dieser Sache erteilen
könnte. Allein, niemand
erkühnte sich dieses.
Die Gans allein bot im ihre Dienste an, indem sie keinen
Knoten in dieser verwirrten
Sache fand. Alle diejenigen, welche die Gans kannten, und
wußten, wie weit sich der
Gänseverstand erstreckte, verwunderten sich über diese
Dreistigkeit.
Die Elster sagte darauf: Liebe Freunde! verwundert euch
darüber gar nicht; just das
Vertrauen, welches die Gans in ihre Kräfte setzt, gibt ihren
Unverstand und ihren Mangel
der Selbsterkenntnis deutlich genug zu erkennen.
Diese Fabel zeiget, daß die Dümmsten sich zu allen Sachen
für geschickt halten, denn
sie kennen sich selbst nicht, und sehen also auch die
Schwierigkeiten einer Sache nicht
ein, die doch scharfsinnige Köpfe sehen und merken, und
deshalb sie sich an die
Ausführung derselben nicht wagen wollen. Man kann sagen, daß
just die Furcht und das
Mißtrauen dieser letzteren gewisse Merkmale ihres Verstandes
sind.
Fab.15
Von der Maus im Käse
Die Katze fand eine Maus, die sich in einem fetten Käse so
tief eingegraben hatte,
daß man nichts mehr als nur den Kopf von ihr sehen konnte.
Die Katze fragte, was sie
hier zu bestellen hätte? Worauf die Maus versetzte: Ich habe
mich der Welt entschlagen.
Die Katze sagte darauf: Ich preise diese deine Philosophie.
Ich will deinem Beispiele
nachfolgen, und auf eben diese Art mich auch der Welt
entschlagen. Hierauf fraß sie so
wohl die Maus als auch den Käse auf.
Diese Fabel lehret, daß viele, die den Umgang mit andern
Leuten scheuen, und unter
dem Vorwande, sie hätten sich der Welt entschlagen, sich
insgeheim in Wollust und
Unmäßigkeit herumwälzen.
Fab.16
Vom Bauer und Hunde
Einem reichen Bauern begegnete ein Hund im Walde; dieser
warnte ihn von den
Räubern, und sagte: Sie wären schon ganz in der Nähe, und
diesfalls möge er sich mit
der Flucht retten. Der Bauer bat ihn mit weinenden Augen, er
möge doch bei ihm bleiben
damit er sich beschützen könnte. Aber der Hund sagte: sein
eigener Leib wäre ihm lieb,
und es würde vergebens sein, sich gegen so viele bewaffnete
Männer zur Wehre zu
setzen. Endlich, als der Bauer mit Bitten anhielt, und ihm
einen freien Zutritt in seine
Küche und Speisekammer gelobte, deren Türen ihm immer offen
stehen sollten, so ließ sich
der Hund überreden, bei ihm zu bleiben, denn er verließ
sich auf seine Stärke und
Behendigkeit.
Die Räuber ließen sich darauf sehen. Aber der Hund griff sie
mit solcher Hitze an, das
zwei derselben auf dem Platze blieben, der dritte aber die
Flucht nehmen mußte.
Nach erhaltenem Siege erinnerte er den Bauer an sein
Gelübde, worauf ihn dieser aufs
neue versicherte, sein Wort genau zu halten. Aber, da der
Mann nach Hause kam,
und seiner Frau von seinem Versprechen Nachricht gab, ward
sie so sehr dadurch
aufgebracht, daß sie ihn so lange gewaltig ausschalt, bis er
ihr versprach, seine Zusage
zu brechen. Der Hund der sich auf den geschlossenen Accord
verließ, stellte sich kurz
darauf in dem Bauernhofe ein, wo er alle Türen offen zu
finden glaubte. Aber es ward
ihm so übel daselbst begegnet, daß er, von Schlägen und
Wunden halbtot, zurück
kehren mußte.
Diese Fabel zeiget, daß die größten Wohltaten gar oft aufs
übelste belohnt werden.
Fab.17
Der Fuchs fordert den Esel vors Gericht
Ein Fuchs forderte einen Esel vors Gericht, und beschuldigte
ihn, er habe ihn hinterlistig
hintergangen. Alle verwunderten sich darüber, daß ein
listiger Fuchs von einem
einfältigen Esel könnte überrascht werden. Der Richter, der
eine Katze war, sagte auch,
es käme ihm dieses unbegreiflich vor. Aber, da der Fuchs
manche schimmernde
Beweisstücke anführte, seine Sache damit zu bestärken, und
der einfältige Esel hingegen
so bestürzt und niedergeschlagen war, daß er nicht das
geringste darauf antworten
konnte. So wußte der Richter nicht, was er dabei tun sollte;
denn auf der einen Seite
waren die angeführten Beweistümer, welche man nicht
widerlegen konnte, und auf der
anderen Seite war ein bekannter ehrlicher und einfältiger
Gegenpart, bei der weder Wille
noch Vermögen, jemand zu betrügen, anzutreffen war.
Endlich fand er einen Mittelweg. Nachdem der Prozeß bis zum
Urteil zu Ende war, so ließ
er beide Parteien vor sich rufen, und erteilte ihnen diesen
Spruch: Die Sache soll bis zu
weiterer Untersuchung ausgesetzt werden, und die Parteien
können sich in einer Frist
von zehn Jahren wieder einstellen. Er glaubte, binnen dieser
Zeit würde so wohl der
Fuchs als der Esel gestorben sein. Man sagt: der Löwe habe
sich über dieses Urteil so
sehr ergötzt, das er diesfalls die Katze, die Harzvogt war,
zum Landeskammeramte
befördert wurde.
Diese Fabel zeiget, daß ein Richter, so sehr er auch in
seinem Gewissen von der
Unrichtigkeit einer Klage überzeugt ist, dennoch den
Beklagten nicht freisprechen
könne, wenn die Beweisgründe des Klägers gesetzmäßig sind.
Nichts desto weniger
scheint es doch, daß in einer Sache von diesen Umständen und
von dieser
Beschaffenheit eine gewisse Mäßigung könne getroffen werden,
obschon nicht eben
auf gegenwärtige Art.
Fab.18
Vom Affen, welcher fischen wollte
Ein Affe, nachdem er lange mit Fleiß bemerkt hatte, wie ein
Fischer mit der Angel einen
Fisch nach dem andern aus dem Wasser zog, dachte bei sich
selbst: Sollte ich dieses
nicht auch tun können? Da nun dieses Tier behende ist, und
die Menschen in vielen
Dingen nachzuahmen suchte, so suchte es eine Angel, und
heftete einen Regenwurm
daran, eben so, wie es der Fischer gemacht hatte. Aber, weil
der erste Fisch, der an die
Angel biß, ein übermäßig großer Hecht war, so zog er den
Affen mit sich ins Wasser.
Der Affe, da er sich in der Gefahr zu ersaufen sah, rief er
den Himmel zu Hilfe, und
sagte: Rette doch den armen Morten, der ins Wasser gefallen
ist. Aber da er am Ufer
auf einiges Gesträuch zu sitzen kam, so sagte er: Himmel!
laß es nur bleiben, nun kann
sich Morten selbst helfen.
Diese Fabel lehret, daß die meisten Menschen nicht eher, als
in der Not und Gefahr,
gottesfürchtig sind, und daß sie, wenn die Gefahr vorbei
ist, wieder in ihr voriges
gottloses Leben zurück fallen.
Fab.19
Von der Jungfer und dem Papagei
Eine Jungfer hatte einen Papagei, den sie als ihre eigene
Schwester liebte.
Der Papagei verdiente auch geliebt zu werden, denn er war
wohl gezeichnet, verstand
die Musik, und redete fast ebenso vernünftig, als die
Jungfer selbst. Aber man muß in
allen Dingen Maß halten; welches aber hierbei nicht geschah.
Denn diese Liebe war so heftig, daß die Jungfer nimmer ohne
diesen Vogel sein konnte,
auch nicht einmal des Nachts; denn er mußte oft bei ihr im
Bette liegen. Aber was
geschah? Eines Morgens, da sie aufwachte, fand sie, daß der
Vogel halb tot war, weil
ihn die Hitze meist erstickt hatte. Sie erschrak darüber
außerordentlich, und sagte:
Was fehlt dir, mein lieber Pape? Der Vogel antwortete: Mir
fehlt nichts anderes, als das
deine Liebe so stark ist, daß sie mir das Leben kostet.
Hierauf starb er.
Diese Fabel lehret, daß man in allen Dingen Maß halten muß,
und daß eine heftige
Liebe, so wohl als Hass und Kaltsinnigkeit, schädlich sein
kann.
nach oben
Fab.20
Der Esel ein Wächter
Da der Esel das Podagra bekommen hatte, und seine
gewöhnlichen Dienste nicht mehr
verrichten konnte, durch welcher er bisher sein Futter
verdient hatte, so sah er sich
für eine ganz unnütze Last der Erden an, und bereitete sich
dazu vor, vor Hunger und
Armut zu sterben.
In diesem betrübten Zustande sah ihn ein Wolf, dem er denn
seine Not klagte. Der Wolf
ward dadurch zum Mitleiden bewegt, daher sagte er zum Esel:
er solle noch nicht
gänzlich verzweifeln, denn es wäre noch wohl ein Mittel zu
finden, wodurch er sein
Futter verdienen könnte. Er sagte: Du hast eine Stimme.
Diese habe ich, sagte der
Esel, und zwar ist sie stark genug; aber sie gefällt nicht
mehr. Das will nichts sagen,
meinte der Wolf, wenn sie nur recht stark ist. Ich will mich
bemühen, dir in der
nächsten Stadt einen Wächterdienst zu verschaffen.
Er verschaffte ihm auch dieses Amt. Und man sagt, daß
verschiedene Esel seinem
Beispiele gefolgt sind; so daß manche Städte mit dergleichen
Wächtern angefüllt
wurden, die ihr Geschlecht fortgepflanzt haben, und noch
dergleichen Dienste
versehen.
Diese Fabel lehret, daß nichts so unnütz sei, welches nicht
noch zu etwas könne
gebraucht werden.
Fab.21
Das Kriegsverhör über den Hasen
Nach einer großen Feldschlacht, die einstmals in Walde
vorgegangen war, ward ein
Kriegsverhör über die Aufführung derjenigen angestellt,
welche dieser Schlacht
beigewohnt hatten. Ein Hase ward beschuldigt, er habe die
Flucht ergriffen, bevor die
Schlacht angegangen war.
Der Ochse der in denselben Distrikt, in welchem sich der
Hase aufhielt, Harzvogt oder
Richter war, erhielt Befehl, in dieser Sache ein Urteil zu
sprechen.
Nachdem nun die Flucht des Hasen durch hinlängliche
Beweisgründe bestätigt war;
so erkühnte sich der Beklagte zwar nicht, die Tat zu
leugnen, er bestrebte sich nur, zu
beweisen, es wäre nichts straffälliges darinnen. Er sagte:
Ich war gesonnen, mehr als
einmal Dienst zu tun, und ein jeder, der diesen redlichen
Vorsatz hat, muß für seinen
Leib und für seine Glieder Sorge tragen, wäre ich nun in
dieser Schlacht umgekommen,
so hätte ich ein andermal keine Dienste mehr tun können.
Der Richter, der ein großer Jurist war, fand diesen
lächerlichen Grund von Wichtigkeit,
und sprach den Hasen frei. Kein Urteil ist jemals von den
Tieren und Vögeln mehr
belacht worden, als dieses.
Aber der Fuchs sagte: Man kann keiner andern Sprüche
gewärtig sein, wenn man den
Ochsen zum Richter macht.
Diese Fabel zeigt, daß die Regel des Fuchses wohlbegründet
ist.
Fab.22
Die Nachtigall und die Sau
Die Sau fragte einstmals die Nachtigall, warum sie, da sie
doch eine so angenehme
Stimme hätte, sich nur zu einer gewissen Zeit im Jahre, und
nur allein des Nachts,
ließe. Es scheint daraus, sagte sie, du mißgönnst den
Menschen und Tieren das
Vergnügen, das sie daran finden.
Die Nachtigall antwortete darauf: Wie kommt's, daß du,
ungeachtet deiner häßlichen
Stimme die du hast, dich durch das ganze Jahr beständig
hören lässest? Es scheint,
du lässest dich, um Tieren und Menschen beschwerlich zu
sein, so oft hören.
Keiner von beiden konnte solcherart den Grund seines
Betragens angeben; sie gingen
daher voller Gedanken und stillschweigend voneinander.
Diese Fabel lehret, daß diejenigen, welche die schlechteste
Stimme haben, am öftesten
singen, und daß diejenigen, welche wenig kluges vorbringen
können, am meisten reden.
Diejenigen hingegen, welche die Menschen wirklich vergnügen,
sind so wohl in dem einen
als in dem andern sparsam, und niemand weis die Ursache
davon zu sagen.
Fab.23
Vom Kranich, welcher mit
Gratia probarum
kurierte
Der Leopard ward einstmals gar oft mit Obstipationen*
geplagt, und bediente sich des
Storches, welcher Hofchirurg war. Dieser setzte ihm dann ein
Klistier nach dem andern;
aber die Krankheit wollte gleichwohl nicht nachlassen.
Endlich meldete sich der Kranich,
und sagte: er hätte ein
Arcanum,
welches den Namen:
Gratia probarum,
führte,
und damit können alle Krankheiten vertreiben. Das Rezept tat
auch seine Wirkung, und
der Patient ward völlig kuriert. Da dieses bekannt ward, so
lief alles zu diesem neuen
Arzt, und sein Rezept tat dieselbe Wirkung bei allen
Kranken.
Nach einigen Monaten aber verlor diese Medizin all ihre
Kraft, und der Doktor büßte
dadurch all seine erlangte Reputation ein. Da sich nun
jedermann darüber verwunderte,
sagte eine alte Katze, welche die Arzneikunst lange
betrieben hatte, obwohl sie nicht
graduiert war: Verwundert euch nicht darüber, alle solche
neuen Rezepte wirken nur
einige Zeit, und so lange die Einbildung der Patienten
dauert. Dieses habe ich am
Teerwasser bemerkt, womit man einige Monate alle Krankheiten
kurieren konnte.
Aber nunmehr taugt es nur bloß dazu, die Wagenräder und das
Schiffstauwerk damit zu
schmieren.
Diese Fabel zeiget, was die Einbildung bei den Patienten
vermag, und diese ist es allein,
und nicht das Rezept, was sie kuriert.
*Verstopfung
Fab.24
Die Sau und das Chamäleon
Ein Chamäleon, welches bei einer Sau vorbeiging, die nach
ihrer Gewohnheit im Kote
lag, und sich darinnen herumwälzte, sagte zu ihr: Pfui! du
garstiges Tier! du bist dir doch
allezeit selbst gleich. Die Sau antwortete darauf: Pfui! du
garstiges Tier! du bist allezeit
dir selbst ungleich. Die anderen Tiere, die dieses hörten,
hielten dafür, daß der Vorwurf
der Sau am besten begründet wäre.
Diese Fabel lehret, daß nichts tadelnswürdiger ist, als wie
ein Proteus, seine Gestalt
verändern, und sich selbst stets ungleich sein, oder wie ein
Chamäleon, welches bald
diese, bald jene Farbe annimmt. Das heißt allhier mit Recht,
wie dieser Vers sagt:
Malo
sui similen, quam sihi dissimilem.
Fab.25
Der Wolf und der Bär
Der Wolf und der Bär fielen einstmals in einerlei Krankheit.
Der Wolf erholte sich zuerst,
und besuchte den Bär, der mit seiner Krankheit noch behaftet
war. Da sich nun der Bär
verwunderte, wie der Wolf sobald war wieder hergestellt
worden; so antwortete dieser:
Ich schließe, es müsse daher kommen, weil ich nur allein mit
der Krankheit zu kämpfen
gehabt, du aber hast nicht allein mit der Krankheit sondern
auch mit dem Doktor zu
zu streiten.
Diese Fabel zeiget, die Natur kuriere öfters sicherer, als
die Arznei, welche durch ihre
Wirkung jener oft hinderlich ist.
Fab.26
Der Hochmut eines Mastschweins
Kein Tier, so geringe und elend es auch ist, hat von sich
schlechtere Gedanken, als die
alleredelste Kreatur. Dieses sah man am Mastschwein, von
welchem nun diese Fabel
erzählt.
Ein Mastschwein geriet durch die Betrachtung, welches es
über seinen eigenen Zustand
machte, in eine solche Einbildung, daß es glaubte, die ganze
Welt wäre nur seinetwegen
erschaffen. Es sah, wie vor seinem Schweinestall die Sonne
alle Morgen aufging; wie sie
ihm Licht und Wärme mitteilte, und wie sie sich wieder
verbarg, wenn es Zeit war
auszuruhn. Es meinte also, diese Anstalt wäre bloß seiner
Bequemlichkeit wegen
gemacht. Es merkte auch, daß gewisse Leute alle Morgen den
Schweinestall öffneten,
um es auf das Feld zu bringen. Diese Leute sah es als seine
bestellten Aufwärter an.
Es glaubte, daß die Menschen, wenn sie ihre Unreinigkeiten
von sich warfen, alles dieses
bloß seinetwegen täten, und darum sah es sie für seine
Speisemeister an.
Kurz: es legte alles zu seinem Vorteil aus, und bildete sich
ein: alles wäre nur seiner
Bequemlichkeit wegen so eingerichtet, und diesfalls sah es
sich für die Quintessenz aller
erschaffenen Dinge an.
Aber just, da es einstmals durch solche Vorstellungen ganz
außer sich selbst war, und
vor Hochmut fast bersten wollte, kam der Schlachter, und
schleppte es mit Gewalt auf
die Schlachtbank.
Die Fabel kann auch denjenigen Leuten zur Lehre dienen,
welche sich einbilden, daß
alles ihretwegen erschaffen sei, da doch diese ganze Erde
gegen die große und scheinbar
unendliche Welt nur als ein Sandkorn anzusehen ist. Und
diejenigen verdienen aber, fast
eben so sehr ausgelacht zu werden, als das Mastschwein, und
welche meinen, daß die
unzählbaren Sterne ihrethalben zur Zierde an den Himmel
gesetzt sind. Desgleichen
die Kometen ließen sich nur diesfalls sehen, um wegen
gewisser bevorstehenden
Begebenheiten die Menschen zu warnen.
Fab.27
Von zwei Raben
eine persische Fabel
Zwei Raben wollten einstmals miteinander in Schwägerschaft
treten. Der eine hatte einen
Sohn, und der andere eine Tochter; die Partie war auf beiden
Seiten gleich. Sie handelten
nur darüber, was die Tochter zur Mitgift mitbringen sollte.
Ihr Vater versprach darauf,
sein Schwiegersohn sollte zehn wüste Dörfer zur Aussteuer
erhalten. Dieses Versprechen
gefiel den andern Raben, aber er fragte ihn: woher er soviel
aufbringen könnte?
Der Vater der Tochter sagte darauf: Wenn Gott unserm
gnädigen Herrn, den Sultan
Machmud, leben lässet, so werden wir niemals an wüsten
Dörfern Mangel haben.
Diese Fabel erfordert keine Erläuterung, denn sie erklärt
sich selbst.
Fab.28
Des Esels Hochmut in seinem Wohlstande
Ein Esel fand einen großen Schatz, der unter einem Drachen
verborgen lag, der vor
Hunger gestorben war, weil er seinen Schatz nicht verlassen
wollte. Der Esel ließ sich
darauf mit köstlichen Kleidern und Schmuck auszieren. Da nun
die Torheit des Esels von
allen Tieren und Vögeln ausgelacht ward, sagte ein
Windspiel: es könnte nichts
vernünftigeres vorgenommen werden, indem kein anderes Tier
einen fremden Schmuck
so sehr nötig hätte, denn, fuhr es fort: Man malt eine Wand,
welche von Holz oder Leim
ist aber nicht eine, die von Marmor ist. Ich würde kein
Bedenken tragen, dieses ebenfalls
zu tun, wenn ich ein Esel wäre.
Diese Fabel zeiget, daß unnütze und verächtliche Leute
Ursache haben, sich am meisten
zu putzen; und die Erfahrung lehret, daß dieses auch täglich
geschieht.
Fab.29
Die Nachteule
Einige beschwerten sich über die Nachteule, daß sie ihre
Stimme des Nachts so oft
hören ließe, und sie baten sie, sie möge doch darinnen Maß
halten. Darauf aber
antwortete sie folgendermaßen: Ich habe zwar selbst keine
Lust daran, wenn ich singe,
aber, was tut man nicht, andern ein Vergnügen zu machen?
Diese Fabel lehret, daß sich ein jeder einbildet, er besitze
die größten Eigenschaften,
und daß die Eule einen eben so großen Preis auf ihre Stimme
setzt, als die Nachtigall.
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Fab.30
Die Katze mit ihren Jungen
Die Katze schalt einstmals ihre Jungen aus, weil sie so sehr
schäkerten. Sie sagte:
Es muß doch in allen Dingen Maß gehalten werden; aber ihr
führt euch auf wie die
Schalksnarren. Die Jungen antworteten: Wir haben gehört, daß
unsere lieben Eltern
in ihrer Jugend sich ebenso aufgeführt haben. Die Katze
sagte darauf: Das ist wahr,
aber ihr seht ja, daß wir unsere Lebensart nunmehr ganz
geändert haben, und daß
wir nun ganz ehrbar und ernsthaft sind. Die Jungen
antworteten: Wir wollen ebenso
ernsthaft werden, wenn wir das Alter unserer Eltern erreicht
haben.
Diese Fabel lehret, daß die Eltern, welche in ihrer Jugend
ein unordentliches Leben
geführt haben, wenig Ursache haben, ihre Kinder, die ihren
Fußstapfen nachfolgen,
durchzuhecheln.
Fab.31
Die Kälber und der Hirsch
Einige junge mutwillige Kälber, bei denen ein Hirsch mit
einem außerordentlich großen
Geweih vorbei ging, trieben ihren Spott mit ihm, und riefen:
Hahnrei! Der Hirsch drehte
sich um und sagte zu dem Kalb welches ihm am nächsten stand:
Du denkst nicht nach
mein Sohn! daß dein eigener Vater ebenfalls mit einem Horne
auf der Stirn versehen ist,
und daß du selbst in kurzer Zeit eben so werden wirst.
Endlich, da sie nicht aufhörten
zu rufen, sagte der Hirsch: Gewiß, wenn mein Horn ein Beweis
meiner Hahnreischaft
sein soll, so müsset ihr meiner Frau nachrufen, und sie
verspotten, weil sie einzig und
allein Schuld daran sein würde.
Diese Fabel zeiget, daß nichts unbilliger ist, als einen
Mann zu verspotten, dessen Frau
ihm untreu ist.
Diesfalls sagt der Poet:
Si ma Femme a failli, que'elle pleure bien fort,
Mais pourquoi moi
pleurer, puisque je n'ai point fort.
Das heißt:
Es mag die Frau nur selbst die Hahnreischaft beweinen;
Ich bin nicht Schuld daran, warum sollt ich den weinen?
Fab.32
Die Grabschrift einer Elster
Eine wortreiche Elster, die an Gesprächigkeit keinem Tiere
oder Vogel etwas nachgab,
und die es mit dem gesprächigsten Barbier unter den Menschen
hätte aufnehmen
können, ging endlich mit Tode ab, und ein Biber der, der
Waldsatirikus war, machte ihr
diese Grabschrift: Hier ruht die berühmte Elster . . . ,
welche den vierten Tag des
Monats Kilian im Elefantenjahre, aufhörte zu schwatzen, das
ist: starb.
Diese Fabel lehret, daß man gewisse wortreiche Leute findet,
die nicht aufhören zu
plaudern, bis sie den Geist aufgeben, und deren Absterben
man mit diesen Worten
ausdrücken kann:
Desierunt loqui.
Fab.33
Von der Katze, die sich mit ihrem Adel brüstete
Eine Katze brüstete sich einstmals mit ihrem Adel, indem sie
vorgab: Die erste Katze
wäre aus dem Nasenloche des Löwen auf die Welt gekommen. Ein
Tiger, der dieses
hörte, sagte darauf: Es wäre zu wünschen, du könntest deinen
Adel durch Tugend und
Geschicklichkeit beweisen, und nicht durch das Nasenloch des
Löwen.
Diese Fabel lehret, daß Hoheit durch Geburt und Herkommen
eine bloße Chimäre ist,
und nicht der Mühe wert ist, sich damit zu brüsten.
Fab.34
Vom Luchs
Ein Luchs, der im Walde Obervisitator war, verlor einstmals
durch ungesunde
Feuchtigkeiten das eine Auge. Alle Tiere, insbesondere
diejenigen, welche Handelsleute
waren, erfreuten sich darüber, indem sie meinten, er werde
nunmehr nicht so
scharfsichtig wie zuvor sein. Aber der Fuchs sagte: Ihr
törichten Kreaturen! ihr freut euch
über euer eigenes Unglück; denn niemand unterscheidet und
sieht richtiger, und
gleichsam auf ein Haar, als ein Einäugiger.
Diesfalls sagt man im Sprichwort: Nimm dich vor demjenigen
in Acht, der nur ein Auge hat.
Diese Fabel lehret, daß sich manche über gewisse
Begebenheiten freuen, die ihnen
hernach zum Schaden gereichen.
Fab.35
Das Schicksal des Schäfers Damon
Der Schäfer Damon war eine Zeitlang wegen seiner angenehmen
Schriften sowohl bei
Menschen, als bei Tieren und Vögeln in Liebe und Ansehen
gewesen. Man hörte im Walde
täglich von ihm reden, und ihn rühmen, und gewisse Tiere und
Vögel konnten ganze
lange Stellen aus seinen poetischen Schriften auswendig
hersagen.
Ja einige seiner Gedichte waren von der Lerche und
Nachtigall in die Musik gesetzt und
abgesungen worden. Seine Arbeit erwarb ihm endlich eine neue
Würde, denn er ward
aus dem Schäferstande in den Herrenstand erhoben. Er setzte
darauf seine gewöhnliche
Arbeit noch lange fort, aber nicht mit dem vorigen Glücke,
denn er konnte es niemanden
mehr recht machen. Die Schriften, in denen die
scharfsinnigsten Tiere, als Luchse,
Katzen, Habichte, u.d.g. keine Fehler sehen konnten, wurden
nun von den Maulwürfen
und andern starblinden Kreaturen verworfen, und voller
Fehler befunden. Da sich nun
etliche Tiere über diese Veränderung verwunderten, und nach
den Ursachen derselben fragten,
sagte der Fuchs: Die Arbeit
ist noch immer dieselbe, aber die Person ist nicht
mehr dieselbe.
Diese Fabel lehret, was die Eifersucht und Mißgunst bewirken
kann.
Fab.36
Der Viehhirte und die Kuh
Ein jütländischer Viehhirte, der eine Kuh in die Stadt
trieb, begegnete unterwegs dem
Landesdommer, der zu Pferde war. Dieser Hirte, so oft die
Kuh nicht fort wollte, rief ihr
zu: Willst du gehen Mörlille!*
Denn die jütländischen Bauern bedienen sich der Worte:
Mörlille und Färlille sowohl gegen Tiere, als gegen
Menschen. Da der Landesdommer
dieses hörte, so konnte er sich des Lachens nicht enthalten,
er fragte daher: Nennst du
die Kuh Mörlille? Worauf der Bauer zur Antwort gab: Ja,
Färlille!
Diese Fabel beweist, daß ein Wort in den täglichen Reden
öfters mißbraucht wird.
Solcherart nennt ein Schweinehirte die Sau im Zorne öfters
Hund; da doch dieser Titel
für ein Schwein zu vornehm ist, so wie der große Titel,
welchen der Hirte seiner Kuh gab,
für dem Landesdommer zu niedrig war.
*Das
Wort Mörlille heißt eigentlich: kleine Mutter, oder
Mütterchen, so wie Färlille,
kleiner Vater oder Väterchen
heißt.
Fab.37
Die Katze philosphiert
Nachdem die Katze lange Zeit entsetzliche Zahnschmerzen
ausgestanden hatte,
so mußte sie sich endlich entschließen, sich die Zähne von
einem Storche, der
Waldchirurg war, ausziehen zu lassen. Dieses geschah nicht
ohne große Schmerzen,
und dadurch ward die Katze so niedergeschlagen, daß sie sich
entschloß, der Welt zu
entsagen, und sich mit ihren Feinden, welche die Mäuse und
die Ratzen waren,
zu vergleichen, zugleich aber allem Fleische und allen
harten Speisen abzusagen.
Da der Affe, der eine Zeitlang Tanzmeister gewesen war, aber
nunmehr wegen des
Podagras nicht mehr tanzen konnte, den Vorsatz der Katze
erfuhr, besuchte er sie und
wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben. Aber da er die Ursache
von der Philosophie der
Katze erfuhr, sagte er: Ich habe auch alle Eitelkeit auf die
Seite gesetzt, und der Welt
den Rücken zugekehrt; denn seitdem ich das Podagra bekommen
habe, hat niemand
mich tanzen gesehen.
Diese Fabel zeigt, daß die meisten Menschen nicht eher die
Welt verlassen, als bis die
Welt sie verlassen hat.
Fab.38
Vom Fuchs, der eine Flasche auswendig beleckte
Ein Fuchs fand eine Flasche auf dem Wege, welche mit Speisen
angefüllt war. Weil er nun
die Speisen nicht erhalten konnte, — denn die Flasche war
fest zugemacht, — so beleckte
er sie auswendig.
Die Fabel lehret: Wenn wir und auf solche Wissenschaften
legen, welche uns so hoch
oder so schwer sind, daß wir uns keine Vollkommenheit
darinnen erwerben oder nicht
bis ins Innere derselben dringen können, so müssen wir uns
mit der Schale derselben
begnügen lassen, und mit dem Fuchse sie nur von außen
belecken.
Fab.39
Eine ungereimte Art zu trösten
Ein Mann hatte durch einen Zufall seine Nase eingebüßt.
Verschiedene Freunde kamen zu
ihm, um ihn zu trösten und zu ermahnen: er möge sich in
dieses Unglück mit Geduld
ergeben. Aber einer von ihnen meinte, daß eine so allgemeine
Art zu trösten nur wenig
verschlagen würde, daher ersann er eine andere Art zu
trösten, die, wie er glaubte,
von besseren Nachdruck sein würde. Er sagte: Kein Unglück
ist so groß, daß nicht etwas
Gutes daraus fließen könne. Aus diesem Unglücke folgt der
Vorteil, daß sich der Patient
dadurch zweierlei Ausgaben, nämlich des Schnupftabaks und
der Schnupftücher
erspart hat.
Es ist glaublich, der Patient wird durch diesen Trost wenig
Linderung erhalten haben.
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Fab.40
Die Belohnung eines Künstlers
Eine Historie
Ein großer Künstler meldete sich einstmals bei einem König,
eine Probe seiner großen
Behendigkeit vor ihm abzulegen, wofür er eine große
Belohnung erwartete.
Die Kunst war diese: Er warf Erbsen durch ein großes
Nadelöhr, und dieses mit solcher
Richtigkeit, daß es ihm niemals fehlschlug. Der König mußte
sich über diese große
Behendigkeit verwundern; aber, weil die Kunst so viel Arbeit
und eine vieljährige Übung
gekostet hatte, und gleichwohl ohne Nutzen war, so ließ ihn
der König bloß einen
Scheffel Erbsen verehren.
Diese Historie zeigt, daß diejenigen, welche viel Zeit und
Arbeit verschwenden, um in
einer unnützen Kunst vortrefflich zu werden, sich zwar
Bewunderung, aber auch
Verachtung, erwerben.
Fab.41
Der Hochmut eines Maulwurfs
Ich habe den Streit erzählt, der zwischen dem Tiger und
Leoparden entstand, und
endlich in einen offenbaren Krieg ausbrach. Ich habe auch
hingewiesen, woraus diese
Zwistigkeit entstand, nämlich weil ein jedes glaubte, die
Sonne würde seinetwegen
verfinstert.
Da nun diese Historie einige Zeit danach einem Maulwurf
erzählt ward, sagte dieser:
O welche törichte und eitle Kreaturen! Hätte ich nur mit
ihnen reden sollen, ich hätte
diesen blutigen Krieg unfehlbar verhindert.
Die Finsternis ging sie gar nichts, sondern mich ganz allein
an; denn mein ältester Sohn
ward an demselben Tage von einem Bauernjungen tot getreten.
Dergleichen Zeichen
habe ich einige Male bemerkt, wenn sich unglückliche
Begebenheiten in meiner Familie
zugetragen haben; denn etliche Tage vor dem Tode meiner Frau
ließ sich ein
erschrecklicher Komet am Himmel sehen.
Diese Fabel lehret, daß sich die allerelendste Kreatur, ja
ein Wurm oder eine Milbe,
eben so hohe Gedanken, als ein Kaiser, von sich selbst
machen kann.
Fab.42
Das gekrönte Pferd
In den Olympischen Spielen, welche vorzeiten in Griechenland
gehalten wurden, kämpfte
das Volk auf verschiedene Arten miteinander. Einige liefen
nach dem Ziele, andere
fochten, andere schlugen sich, oder rangen miteinander.
Diejenigen, welche sich in diesen Spielen am besten hielten,
wurden mit Kronen geziert.
Diogenes, der diese Spiele einige Male mitangesehen hatte,
meinte, man müßte bloß
durch Tugend, und nicht durch Leibesstärke, Ehre erwerben,
und Achilles wäre der Ehre
nicht würdiger, als ein starker Arbeitsmann, oder als ein
Bär.
Diesfalls, als er sah, daß sich einstmals zwei Pferde
miteinander schlugen, krönte er
dasjenige Pferd, welches die Oberhand behielt.
Diese Historie lehrt, daß sich ein Mensch bloß durch Tugend
und Verstand von einem
andern unterscheiden müsse.
Fab.43
Der Hund und der Wolf
Ein Hund forderte einen Wolf zum Zweikampfe heraus. Der Wolf
hatte keine Lust dazu,
und entschuldigte sich, indem er sagte: Es ist ungewiß,
welcher von uns beiden den
andern überwinden oder lähmen wird. Wenn ich, um einen
Schimpf der mir widerfahren
ist, zu rächen, gelähmt aus dem Streite zurück käme, so
hätte ich Spott und Schaden
zugleich.
Die Fabel lehret, daß nichts törichteres und ungereimteres
ist, als Leib und Glieder,
um Spottreden oder anderes Unrecht zu rächen, aufs Spiel
setzen; obschon die
Erfahrung lehrt, daß unter vernünftigen Leuten nichts
gebräuchlicher ist, als dieses.
Fab.44
Wodurch die bösen Weiber in die Welt gekommen sind
Ein Reiter reiste durch einen Wald, daselbst hörte er ein
großes Geschrei, als ob jemand
in Not und Gefahr wäre. Er lief geschwind dahin, wo das
Geschrei herkam.
Daselbst fand er ein Mädchen, welcher der Teufel Gewalt tun
wollte. Der Reiter, der ein
mitleidiger Mann war, und das Frauenzimmer gar nicht haßte,
eilte, um das Mädchen zu
retten. Er zog seinen Pallasch, um dem Teufel den Kopf
abzuhauen; aber weil er im Eifer
zu stark ausholte, so hieb er beiden zugleich die Köpfe ab.
Diesen Fehler wollte er in aller Eile verbessern. Aber weil
es gegen Abend war, und er
folglich beide Köpfe nicht von einander unterscheiden
konnte, so ergriff er aus Irrtum den
Kopf des Teufels, und setzte ihn auf den Rumpf des Mädchens.
Man glaubt, daß von ihr, die bösen Weiber herstammen.
Fab.45
Die vernünftige Bitte des Storchs
Noch vor der Reise Jupiters hatte Apollo den Wald besucht,
um das Anliegen der Tiere
und Vögel anzuhören. Er trat in der Residenz Pans ab, und
dahin wurden die Deputierten
aller Nationen beschieden. Es fanden sich daselbst die
Bevollmächtigten der Löwen,
Bären, Parder, Wölfe, Adler, Habichte u.d.g. ein; von denen
ein jeder die
Angelegenheiten seiner Nation vortrug.
Einige baten um Kraft und Stärke gegen ihre Feinde, andere
Glück auf ihrem Fange und
auf ihrer Freibeuterei, andere noch um andere Dinge. Der
Bevollmächtigte des Storches
allein sagte: Er wüßte nichts, warum er zu bitten hätte,
indem er nicht wüßte, was ihm
und seinen Mitbrüdern dienlich wäre, und diesfalls überließ
er es den Göttern, zu tun,
was sie für gut fänden. An dieser Rede des Storchs fand
Apollo so großes Vergnügen,
daß er sagte: Der Storch soll dieses vor anderen Tieren
voraus haben daß er unter
Menschen und Tieren stets unangefochten soll leben können.
Die andern Tiere hingegen
wurden abgewiesen, weil ihre Bitten so schlecht begründet
waren.
Diese Fabel zeiget, daß die Bitte des Storchs den Menschen
ein Muster sein soll, wie sie
ihr Gebet einzurichten haben.
Fab.46
Die Balancerechnung des Fuchses
Ein Fuchs, der eine Menge Enten im Walde bemerkt hatte,
legte sich am Wege, den die
Enten nehmen mußten, aufs Lauern. An dem Orte, wo er sich
versteckte, war eine
große Dornenhecke, in welche sich sein Schwanz so unbemerkt
verwickelte, daß er gar
nichts davon spürte. Da nun die Enten ankamen, erwischte er
eine davon mit der
Schnauze, und da die anderen die Flucht nahmen, so wollte er
ihnen nacheilen. Aber nun
merkte er erst, daß er beschnellt war. Er arbeitete daher
mit allen Kräften, sich los zu
reißen, dadurch aber ging der Schwanz in Stücke, und blieb
in den Dornen hängen.
Er begab sich darauf voller Scham mit der Beute, die er
bekommen hatte, zurück. Ein
Wolf, der ihn in diesem Zustande begegnete, sagte zu ihm:
Mein guter Meister Michel!
was du an dem einen Ende gewonnen hast, das hast du an dem
anderen Ende verloren.
Die Fabel zeiget, daß, wenn die Ausgabe mit der Einnahme
zusammen gehalten wird,
der Gewinn der Kaufleute nicht so groß ist, als sie sich oft
einbilden.
Fab.47
oder Historie
Eine gelehrte Dame in der Versammlung der Gelehrten
Einige gelehrte Leute hatten sich versammelt, um sich über
allerhand philosophische
Materien zu unterreden. Ein Frauenzimmer, welches auch
studiert hatte, fand sich dabei
ein. Einer von ihnen, welcher die Dame nicht kannte, und der
Meinung war, sie wollte
durch ihre Ankunft ihre gelehrte Versammlung stören, sagte
darauf:
Quid Saul inter
Prophetas?
Das heißt: Was will Saul unter den Propheten? Sie aber
antwortete auf
Latein:
Quaerit Afinos Domini sui.
Das ist: Er sucht die Esel seines Herrn.
Diese Historie zeigt, daß man oft eine unerwartete Antwort
erhält, wenn man sie am
wenigsten erwartet hat.
Fab.49
Die unordentliche Andacht des Fuchses und des Wolfs
Ein Fuchs und ein Wolf, welche eine Zeitlang im Walde
Katecheten gewesen waren,
und gegen die Sünden, welche unter den Tieren und Vögeln im
Schwange gingen, mit
großem Eifer gedonnert hatten, kamen einstmals zusammen, um
nach ihrer Gewohnheit,
die Wollüste und Begierden der anderen Tiere durchzuhecheln.
Aber just, da sie mitten in diesem
Enthusiasmo
waren, ging ein Schaf vor ihnen vorbei,
darüber vergaßen beide ihre Gesetzpredigten. Der Wolf sagte:
Ich will, wegen Kürze der
Zeit, meine Rede abbrechen! Der Fuchs sagte: Ich will meine
Rede bis auf gelegenere
Zeit aufschieben. Hierauf liefen sie beide der Beute nach.
Aber weil ein jeder die Beute
allein haben wollte, so gerieten sie in eine so blutige
Schlägerei miteinander, daß einer
den andern ums Leben brachte, das Schaf aber durch diesen
einheimischen Krieg
entkam.
Diese Fabel zeiget, daß manche ihren eigenen Einbildungen
nach, heilige Leute sich am
ersten zu erkennen geben, wenn die Versuchung kommt, und sie
eine Probe ihrer
Heiligkeit ablegen sollen.
Fab.50
Jupiter erfährt, was er nicht wissen will
Merkur wurde einstmals vom Jupiter nach Athen gesendet, um
ein Buch einbinden zu
lassen. Dieses geschah. Aber der Buchbinder legte aus Irrtum
in Merkurs Ränzel ein
anderes Buch von denselben Bande. Dieses enthielt eine
häßliche Satire auf Jupiter,
in welcher seine unkeuschen Liebesstreiche und ärgerliche
Historien beschrieben waren.
Er bekam also Dinge zu lesen, die er am wenigsten erwartete.
Diese Fabel zeiget, daß manche zufällige Weise, Sachen
erfahren, welche ihnen sonst
niemand sagen dürfte.
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