| 
					  
					
					
					Fab.1 
					Von einem Esel, der Cantor werden wollte 
					 
					Als im Walde ein Cantorat ledig war; so meldeten sich 
					unterschiedliche Kandidaten, und 
					unter andern auch ein Esel. Nachdem sie nun alle in des 
					Kapellmeisters Gegenwart, der 
					ein Kiebitz war, ihre Proben abgelegt hatten; so fielen die 
					meisten Stimmen auf einen 
					Raben, von den man glaubte, er würde ein guter Baßiste 
					werden. Die Stimme des Esels 
					ward hingegen von den meisten Tieren sehr ausgelacht und 
					verachtet. Allein dieser ließ 
					desfalls nichts von seinen hohen Gedanken fallen, die er von 
					seiner schönen Stimme 
					gefasset hatte; er schrieb vielmehr diese Verachtung, mit 
					welcher ihm von den andern 
					Tieren war begegnet worden, dem Unverstande oder Mißgunst 
					derselben zu. 
					Dieses gab er einer Nachteule zu erkennen, welche ihn auf 
					seiner Heimreise begleitete. 
					Die Nachteule sagte darauf: Lieber Bruder, du mußt dieses 
					nicht so sehr zu Herzen 
					nehmen. Das vorige Mal ist es mir ebenso ergangen. Wir 
					leben, leider! in den Zeiten, 
					da man Tugend und Geschicklichkeit nichts mehr achtet. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß ein jeder in sich selbst verliebt 
					ist, und sich mit seinen Fehlern 
					und Häßlichkeiten so weit eingelassen hat, daß er sie 
					endlich für Tugenden und 
					Zierraten ansieht. 
					 
					Fab.2 
					Vom Adler und den jungen Füchsen 
					 
					Ein Adler, der für seine Jungen Fütterung suchte, schlich 
					sich in ein Fuchsnest, wo er 
					einige kleine neugeborene Füchschen raubte, die er darauf 
					seinen Jungen brachte. 
					Die jungen Adler liefen stracks darauf zu, und wollten sie 
					fressen; allein die Mutter sagte: 
					Liebe Kinder, wartet noch einige Tage, bis die jungen Füchse 
					etwas mehr Fleisch 
					bekommen, denn jetzt sind sie noch zu klein und mager, und 
					ihr werdet kein sonderliches Futter haben. 
					Die Mutter verließ nach dieser Ermahnung das Nest, und blieb 
					einige Zeit weg. Als sie 
					aber zurück kam, so hatten die jungen Füchse, die inzwischen 
					etwas stark geworden, 
					die jungen Adler tot gebissen und einige derselben bereits 
					aufgefressen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß manche sich selbst durch allzu große 
					Vorsichtigkeit ins Unglück 
					stürzen. 
					 
					Fab.3 
					Von einem Affen 
					 
					Ein Affe, dem ein Erbgut zugefallen war, legte sich eine 
					treffliche Equipage zu; ließ sich 
					mit Gold gestickte Kleider machen, und, damit ihn alle und 
					jeder in seiner Herrlichkeit und Pracht sehen könnten. So 
					stieg er auf einen Hügel, der an einer Landstrasse war. Ein 
					anderes Tier, welches vorbei ging, und den Affen in dieser 
					Positur gewahr ward, sagte zu ihm: "Alles dieses dienet nur 
					dazu, daß deine Häßlichkeit und üble Gestalt desto 
					merklicher werde. 
					
					
					Quo altior es, eo turpior 
					— Je höher, je häßlicher!" 
					 
					Diese Fabel lehret, daß es manche Leute gibt, deren 
					schlechte Eigenschaften nicht eher 
					bekannt werden, als bis sie in Ehrenämter und auf den großen 
					Schauplatz der Welt 
					kommen, wo ihre Unvollkommenheiten allen in die Augen 
					fallen. 
					 
					Fab.4 
					Vom Esel, der sich für einen Doktor ausgab 
					 
					Der Wolf bekam einstmals ein hitziges Fieber, und er 
					verlangte einen Doktor. Da der Esel 
					dieses hörte, so bot er ihm in der Arzneikunst seine Dienste 
					an, und er ward auch sofort 
					angenommen. Allein, der Ausfall wies, daß sich die Krankheit 
					durch diese Eselkur nur 
					verschlimmerte, und der Patient ward zuletzt gichtbrüchig. 
					Der Wolf ließ darauf den Esel 
					vor Gericht fordern, und beschuldigte ihn einer Mordtat. 
					Beide Parteien nahmen zwei Elstern an, die ihre Sachen vor 
					dem Richter, welcher der 
					Löwe war, führen sollten. Im Gerichte ward erwiesen, daß der 
					Esel sich einer Sache 
					unterzogen hatte, die er ganz und gar nicht verstund, und 
					diesfalls versah sich dieser 
					eines harten Urteils. Allein der Spruch war dieses Inhalts: 
					Der Wolf sollte den Schaden 
					zum Lohne haben, weil er die Schuld sich allein beizumessen 
					habe, indem er sich eines 
					Doktors bedient hätte, von dem er gewußt, daß er ein Esel 
					war. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß derjenige, welcher sich mit freien 
					Willen und Wissen eines Toren 
					bedienet, keine Ursache habe, ihm wegen schlechter 
					Verwaltung zur Rede zu setzen. 
					 
					Fab.5 
					Von der Katze in dem Speiseschranke eines Bauern 
					 
					Ein armer Bauer verwahrte in seinem Schranke einen Käse; 
					allein der Schrank war nicht 
					dicht genug, denn eine Maus schlich sich hinein, und benagte 
					den Käse. Der Bauer 
					entschloß sich darauf, eine Katze in den Schrank zu sperren, 
					um den Mäusen einen 
					Schrecken einzujagen, und den Käse zugleich zu beschirmen. 
					Darauf legte er sich ruhig 
					ins Bett; allein, da er des Morgens aufstund, und seinen 
					Schrank öffnete; so fand er daß 
					die Katze den ganzen Käse in einer einzigen Nacht verzehrt 
					hatte. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß man sich oft, einem kleinen Übel zu 
					entgehen, in ein größeres 
					stürzt, und daß diejenige, was man für Arznei ansieht, 
					ärger, als die Krankheit selbst ist. 
					 
					Fab.6 
					Die Katze begibt sich in einen Mönchsorden 
					 
					Als die Katze merkte, daß die Jagd mehr und mehr abnahm, 
					indem die Mäuse, die all 
					ihre Künste gelernt hatten, ordentlich Schildwacht hielten, 
					um sich gegen sie zu 
					beschützen: so beschloß sie, sich in den Orden der Mönche zu 
					begeben, um sie unter 
					der Maske der Heiligkeit desto besser zu betrügen. 
					Sie ließ sich daraufhin von einem Färber schwarz färben, 
					unter dem Vorwande, sie hätte 
					nun, als ein Mönch, der Welt den Rücken zugekehrt. Da die 
					Mäuse dieses hörten, 
					so erweckte es eine große Freude unter ihnen; weil sie 
					meinten, sie wären nun von aller 
					Furcht und Gefahr befreit, indem die Mönche kein Fleisch 
					essen durften. Sie ließen sich 
					daher in Gegenwart der Katze nicht nur frei sehen, sondern 
					sie machten sich auch recht 
					bekannt und gemein mit ihr. Die Katze blieb eine Zeitlang 
					bei ihrer Aufführung, um sie 
					mehr und mehr treuherziger zu machen. 
					Endlich, da eine große Menge von Mäusen versammelt war, und 
					sie Gelegenheit hatte, 
					einen guten Fang zu tun, zog sie die Maske ab, und ermordete 
					sie alle, daß auch nicht 
					mehr, als eine einzige Maus davon kam. Diese sagte: die 
					Katze wäre zuvor sehr schlimm 
					gewesen, aber seit dem sie ein Mönch geworden, so wäre sie 
					erst recht rasend toll 
					geworden. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß unter allen unrechtmäßigen Mitteln, 
					die Leute zu betrügen, 
					keines sicherer sei, als die Maske der Heiligkeit. 
					 
					Fab.7 
					Vom Monde 
					 
					Der Mond bat seine Mutter um ein neues Kleid. Die Mutter 
					sagte darauf: Meine Tochter! 
					kein Schneider ist vermögend, dir solche Kleider zu machen, 
					welche dir passen würden; 
					denn du hast alle Tage eine andere Gestalt. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß es gewisse wankelmütige und 
					unbeständige Menschen gibt, 
					denen man niemals etwas recht machen kann, weil sie alle 
					Stunden andern Sinnes sind. 
					 
					Fab.8 
					Vom Maulwurfe 
					 
					Der Maulwurf bat seine Mutter um ein paar Brillen. Die 
					Mutter sagte darauf: Was willst du 
					mit den Brillen machen? Die Brillen, deren sich die Menschen 
					bedienen, sind den 
					Maulwürfen unnütze. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß es gewisse Menschen gibt, die von 
					Natur so sinnlos und dumm 
					sind, daß sie weder Zucht noch Lehren rühren oder bessern 
					können. 
					 
					Fab.9 
					Vom Dornbusche 
					 
					Der Dornbusch beschwerte sich beim Jupiter über seine 
					schlechte und häßliche Gestalt. 
					Jupiter antwortete darauf: Du bist, als ein Dornbusch, schön 
					genug. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß ein jedes Geschöpf an sich selbst 
					vollkommen sei; daß die 
					Menschen keine Ursache haben, sich darüber zu beschweren, 
					weil sie nicht den Engeln 
					gleich geschaffen sind; denn sie sind geschaffen, Menschen 
					zu sein. Das ein Pferd 
					darüber nicht klagen kann, daß es keine Flügel hat, und wie 
					ein Vogel fliegen kann; 
					denn es ist geschaffen, ein Pferd zu sein. Wenn ein Schwein, 
					welches man für das 
					häßlichste Tier hält, wie ein anderes Schwein geschaffen 
					ist: so kann es über seine 
					Gestalt nicht klagen. 
					 
					                                                                                                           
					nach oben 
					 
					Fab.10 
					Die Klagen der Frösche 
					 
					Einige kleinen Jungen warfen zum Zeitvertreib Steine in 
					einen Fischteich, in welchem 
					verschiedene Frösche waren. Da nun diese Lust sehr lange 
					währte, und unterschiedliche 
					Frösche dadurch ums Leben kamen: so stund einer von den 
					Fröschen auf, und redete die 
					Knaben folgendermaßen an: Liebe Kinder! dasjenige, womit ihr 
					euch jetzt die Zeit 
					vertreibt, kommt uns armen Fröschen teuer zu stehen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß viele plauderhafte Menschen, oder 
					Skribenten, um nur ihren Geist 
					und ihre sinnreichen Einfälle sehen zu lassen, solch Zeug 
					reden und schreiben, 
					dadurch andere gar sehr verwundet und betrübt werden. 
					 
					Fab.11 
					Die Reise der Taube in fremde Länder 
					 
					Nachdem die Taube von dem Habicht und anderen Raubvögeln gar 
					oft war verfolgt 
					worden, und eine Lebensgefahr nach der anderen ausgestanden 
					hatte, beschloß sie, 
					ihr Vaterland zu verlassen, und sich an einem fremden Orte 
					niederzulassen, wo sie in 
					ihrem Alter in Sicherheit leben könnte, und von allen 
					Verdrießlichkeiten befreit wäre, 
					denen sie in ihrem Vaterlande war unterworfen gewesen. 
					Nachdem sie nun von ihren 
					Freunden und Angehörigen den freundlichsten Abschied 
					genommen hatte, begab sie sich 
					auf die Reise. 
					Nachdem sie nun etliche Tage in einem beständigen Fluge 
					zugebracht hatte, kam sie in 
					einem fremden Lande in eine weit entlegene Stadt, wo sie für 
					gut fand, sich 
					niederzulassen. Allein, sie hatte sich daselbst kaum eine 
					halbe Stunde aufgehalten; so 
					ward sie einem Habicht auf einem Glockenturme gewahr. Worauf 
					sie sagte: Du bist auch 
					allhier? Hätte ich das gewußt, so hätte ich eben so gut in 
					meinem 
					Vaterlande bleiben können. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß man überall in der Welt 
					Verdrießlichkeiten antrifft. 
					Die Beschwerlichkeiten können gleich groß sein, ob sie schon 
					nach der Veränderung der 
					Szenen nicht immer dieselben sind. 
					 
					Fab.12 
					Vom Kuckuck 
					 
					Der Kuckuck stellte ein Konzert an, und lud die anderen 
					Vögel ein, damit sie seine 
					Stimme hören sollten. Aber er ward ausgepfiffen. Doch es 
					fanden sich noch einige 
					Vögel, insbesondere eine Elster, welche glaubten, es wäre 
					dem Kuckuck hierin 
					Unrecht geschehen; denn er hätte doch eine Stimme, die nicht 
					zu verachten wäre. 
					Allein der Adler antwortete darauf: Hätte man den Kuckuck 
					gebeten zu singen, so hätte 
					man ein milderes Urteil über ihn gefällt; allein, da er 
					ungebeten, andere eingeladen hat, 
					seine Stimme zu hören, und dadurch zu erkennen gegeben, wie 
					viel er sich darauf 
					einbildet: so ward die Stimme mit Recht genauer untersuchet. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß nichts mittelmäßiges an diejenigen 
					zu dulden ist, die sich für 
					Meister ausgeben; und desfalls geschieht es, daß ein 
					Schriftsteller, der auf Befehl 
					schreibt, lange nicht so sehr kritisiert wird, als ein Poet, 
					der nur darum schreibt, seinen 
					poetischen Geist sehen zu lassen. Daß auch des einen 
					Verfassers Werke mehr zensuriert 
					werden, als die Werke des anderen, gibt Horaz in folgenden 
					Versen zu erkennen: 
					                                                  
					
					medioribus esse Poetis 
					                                          Non homines, non 
					Dii, non concessere Columnae. 
					 
					Fab.13 
					Vom Schornsteinfeger 
					 
					Ein Schornsteinfeger, den man Dieberei Schuld gab, ward 
					gegriffen, und von der 
					Obrigkeit in das allgemeine Gefangenenhaus der Stadt 
					eingeschlossen; dieses war mit 
					starken Türen und Schlössern wohl versehen. Der folgende Tag 
					war zum Verhör 
					angesetzt. Aber als die Stadtdiener ins Gefängnis kamen, um 
					den Gefangenen vors 
					Gericht zu führen, so war der Schornsteinfeger unsichtbar 
					geworden; denn er hatte die 
					Flucht durch den Schornstein genommen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß man die Türen und Gefängnisse nach 
					der Beschaffenheit der 
					Gefangenen einrichten müsse: denn, wenn man einen Schlosser 
					einschließt, so muß 
					man die Türe nicht allein mit Schlössern versehen, sondern 
					auch mit Vorlegeschlössern 
					verwahren und wenn man einen Schornsteinfeger gefangen 
					setzt, so muß im Gefängnis 
					kein Schornstein sein. Ein guter Zaun oder eine Mauer ist 
					hinlänglich genug, Kühe, 
					Schafe und Pferde zu verwahren, aber nicht Vögel, man müßte 
					ihnen die Flügel
					beschneiden. 
					Diese Regel ist auch bei den Strafen zu beobachten: denn was 
					dem einen eine große 
					Strafe ist, das kann einem andern eins sehr kleine oder auch 
					gar keine sein. 
					 
					Fab.14 
					Die Dreistigkeit der Gans 
					 
					Der Löwe hatte einstmals eine wichtige und beschwerliche 
					Sache auszuführen; und in 
					diesem Falle ließ er unterschiedliche Tiere vor sich 
					erscheinen, um zu hören, ob ihm 
					keines einen guten Rat zur Ausführung dieser Sache erteilen 
					könnte. Allein, niemand 
					erkühnte sich dieses. 
					Die Gans allein bot im ihre Dienste an, indem sie keinen 
					Knoten in dieser verwirrten 
					Sache fand. Alle diejenigen, welche die Gans kannten, und 
					wußten, wie weit sich der 
					Gänseverstand erstreckte, verwunderten sich über diese 
					Dreistigkeit. 
					Die Elster sagte darauf: Liebe Freunde! verwundert euch 
					darüber gar nicht; just das 
					Vertrauen, welches die Gans in ihre Kräfte setzt, gibt ihren 
					Unverstand und ihren Mangel 
					der Selbsterkenntnis deutlich genug zu erkennen. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß die Dümmsten sich zu allen Sachen 
					für geschickt halten, denn 
					sie kennen sich selbst nicht, und sehen also auch die 
					Schwierigkeiten einer Sache nicht 
					ein, die doch scharfsinnige Köpfe sehen und merken, und 
					deshalb sie sich an die 
					Ausführung derselben nicht wagen wollen. Man kann sagen, daß 
					just die Furcht und das 
					Mißtrauen dieser letzteren gewisse Merkmale ihres Verstandes 
					sind. 
					 
					Fab.15 
					Von der Maus im Käse 
					 
					Die Katze fand eine Maus, die sich in einem fetten Käse so 
					tief eingegraben hatte, 
					daß man nichts mehr als nur den Kopf von ihr sehen konnte. 
					Die Katze fragte, was sie 
					hier zu bestellen hätte? Worauf die Maus versetzte: Ich habe 
					mich der Welt entschlagen. 
					Die Katze sagte darauf: Ich preise diese deine Philosophie. 
					Ich will deinem Beispiele 
					nachfolgen, und auf eben diese Art mich auch der Welt 
					entschlagen. Hierauf fraß sie so 
					wohl die Maus als auch den Käse auf. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß viele, die den Umgang mit andern 
					Leuten scheuen, und unter 
					dem Vorwande, sie hätten sich der Welt entschlagen, sich 
					insgeheim in Wollust und 
					Unmäßigkeit herumwälzen. 
					 
					Fab.16 
					Vom Bauer und Hunde 
					 
					Einem reichen Bauern begegnete ein Hund im Walde; dieser 
					warnte ihn von den 
					Räubern, und sagte: Sie wären schon ganz in der Nähe, und 
					diesfalls möge er sich mit 
					der Flucht retten. Der Bauer bat ihn mit weinenden Augen, er 
					möge doch bei ihm bleiben 
					damit er sich beschützen könnte. Aber der Hund sagte: sein 
					eigener Leib wäre ihm lieb, 
					und es würde vergebens sein, sich gegen so viele bewaffnete 
					Männer zur Wehre zu 
					setzen. Endlich, als der Bauer mit Bitten anhielt, und ihm 
					einen freien Zutritt in seine 
					Küche und Speisekammer gelobte, deren Türen ihm immer offen 
					stehen sollten, so ließ sich 
					der Hund überreden, bei ihm zu bleiben, denn er verließ 
					sich auf seine Stärke und
					Behendigkeit. 
					Die Räuber ließen sich darauf sehen. Aber der Hund griff sie 
					mit solcher Hitze an, das 
					zwei derselben auf dem Platze blieben, der dritte aber die 
					Flucht nehmen mußte. 
					Nach erhaltenem Siege erinnerte er den Bauer an sein 
					Gelübde, worauf ihn dieser aufs 
					neue versicherte, sein Wort genau zu halten. Aber, da der 
					Mann nach Hause kam, 
					und seiner Frau von seinem Versprechen Nachricht gab, ward 
					sie so sehr dadurch 
					aufgebracht, daß sie ihn so lange gewaltig ausschalt, bis er 
					ihr versprach, seine Zusage 
					zu brechen. Der Hund der sich auf den geschlossenen Accord 
					verließ, stellte sich kurz 
					darauf in dem Bauernhofe ein, wo er alle Türen offen zu 
					finden glaubte. Aber es ward 
					ihm so übel daselbst begegnet, daß er, von Schlägen und 
					Wunden halbtot, zurück 
					kehren mußte. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß die größten Wohltaten gar oft aufs 
					übelste belohnt werden. 
					 
					Fab.17 
					Der Fuchs fordert den Esel vors Gericht 
					 
					Ein Fuchs forderte einen Esel vors Gericht, und beschuldigte 
					ihn, er habe ihn hinterlistig 
					hintergangen. Alle verwunderten sich darüber, daß ein 
					listiger Fuchs von einem 
					einfältigen Esel könnte überrascht werden. Der Richter, der 
					eine Katze war, sagte auch, 
					es käme ihm dieses unbegreiflich vor. Aber, da der Fuchs 
					manche schimmernde 
					Beweisstücke anführte, seine Sache damit zu bestärken, und 
					der einfältige Esel hingegen 
					so bestürzt und niedergeschlagen war, daß er nicht das 
					geringste darauf antworten 
					konnte. So wußte der Richter nicht, was er dabei tun sollte; 
					denn auf der einen Seite 
					waren die angeführten Beweistümer, welche man nicht 
					widerlegen konnte, und auf der 
					anderen Seite war ein bekannter ehrlicher und einfältiger 
					Gegenpart, bei der weder Wille 
					noch Vermögen, jemand zu betrügen, anzutreffen war. 
					Endlich fand er einen Mittelweg. Nachdem der Prozeß bis zum 
					Urteil zu Ende war, so ließ 
					er beide Parteien vor sich rufen, und erteilte ihnen diesen 
					Spruch: Die Sache soll bis zu 
					weiterer Untersuchung ausgesetzt werden, und die Parteien 
					können sich in einer Frist 
					von zehn Jahren wieder einstellen. Er glaubte, binnen dieser 
					Zeit würde so wohl der 
					Fuchs als der Esel gestorben sein. Man sagt: der Löwe habe 
					sich über dieses Urteil so 
					sehr ergötzt, das er diesfalls die Katze, die Harzvogt war, 
					zum Landeskammeramte 
					befördert wurde. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß ein Richter, so sehr er auch in 
					seinem Gewissen von der 
					Unrichtigkeit einer Klage überzeugt ist, dennoch den 
					Beklagten nicht freisprechen 
					könne, wenn die Beweisgründe des Klägers gesetzmäßig sind. 
					Nichts desto weniger 
					scheint es doch, daß in einer Sache von diesen Umständen und 
					von dieser 
					Beschaffenheit eine gewisse Mäßigung könne getroffen werden, 
					obschon nicht eben 
					auf gegenwärtige Art. 
					 
					Fab.18 
					Vom Affen, welcher fischen wollte 
					 
					Ein Affe, nachdem er lange mit Fleiß bemerkt hatte, wie ein 
					Fischer mit der Angel einen 
					Fisch nach dem andern aus dem Wasser zog, dachte bei sich 
					selbst: Sollte ich dieses 
					nicht auch tun können? Da nun dieses Tier behende ist, und 
					die Menschen in vielen 
					Dingen nachzuahmen suchte, so suchte es eine Angel, und 
					heftete einen Regenwurm 
					daran, eben so, wie es der Fischer gemacht hatte. Aber, weil 
					der erste Fisch, der an die 
					Angel biß, ein übermäßig großer Hecht war, so zog er den 
					Affen mit sich ins Wasser. 
					Der Affe, da er sich in der Gefahr zu ersaufen sah, rief er 
					den Himmel zu Hilfe, und 
					sagte: Rette doch den armen Morten, der ins Wasser gefallen 
					ist. Aber da er am Ufer 
					auf einiges Gesträuch zu sitzen kam, so sagte er: Himmel! 
					laß es nur bleiben, nun kann 
					sich Morten selbst helfen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß die meisten Menschen nicht eher, als 
					in der Not und Gefahr, 
					gottesfürchtig sind, und daß sie, wenn die Gefahr vorbei 
					ist, wieder in ihr voriges 
					gottloses Leben zurück fallen. 
					 
					Fab.19 
					Von der Jungfer und dem Papagei 
					 
					Eine Jungfer hatte einen Papagei, den sie als ihre eigene 
					Schwester liebte. 
					Der Papagei verdiente auch geliebt zu werden, denn er war 
					wohl gezeichnet, verstand 
					die Musik, und redete fast ebenso vernünftig, als die 
					Jungfer selbst. Aber man muß in 
					allen Dingen Maß halten; welches aber hierbei nicht geschah. 
					Denn diese Liebe war so heftig, daß die Jungfer nimmer ohne 
					diesen Vogel sein konnte, 
					auch nicht einmal des Nachts; denn er mußte oft bei ihr im 
					Bette liegen. Aber was 
					geschah? Eines Morgens, da sie aufwachte, fand sie, daß der 
					Vogel halb tot war, weil 
					ihn die Hitze meist erstickt hatte. Sie erschrak darüber 
					außerordentlich, und sagte: 
					Was fehlt dir, mein lieber Pape? Der Vogel antwortete: Mir 
					fehlt nichts anderes, als das 
					deine Liebe so stark ist, daß sie mir das Leben kostet. 
					Hierauf starb er. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß man in allen Dingen Maß halten muß, 
					und daß eine heftige 
					Liebe, so wohl als Hass und Kaltsinnigkeit, schädlich sein 
					kann. 
					 
					                                                                                                           
					nach oben 
					 
					Fab.20 
					Der Esel ein Wächter 
					 
					Da der Esel das Podagra bekommen hatte, und seine 
					gewöhnlichen Dienste nicht mehr 
					verrichten konnte, durch welcher er bisher sein Futter 
					verdient hatte, so sah er sich 
					für eine ganz unnütze Last der Erden an, und bereitete sich 
					dazu vor, vor Hunger und 
					Armut zu sterben. 
					In diesem betrübten Zustande sah ihn ein Wolf, dem er denn 
					seine Not klagte. Der Wolf 
					ward dadurch zum Mitleiden bewegt, daher sagte er zum Esel: 
					er solle noch nicht 
					gänzlich verzweifeln, denn es wäre noch wohl ein Mittel zu 
					finden, wodurch er sein 
					Futter verdienen könnte. Er sagte: Du hast eine Stimme. 
					Diese habe ich, sagte der 
					Esel, und zwar ist sie stark genug; aber sie gefällt nicht 
					mehr. Das will nichts sagen, 
					meinte der Wolf, wenn sie nur recht stark ist. Ich will mich 
					bemühen, dir in der 
					nächsten Stadt einen Wächterdienst zu verschaffen. 
					Er verschaffte ihm auch dieses Amt. Und man sagt, daß 
					verschiedene Esel seinem 
					Beispiele gefolgt sind; so daß manche Städte mit dergleichen 
					Wächtern angefüllt 
					wurden, die ihr Geschlecht fortgepflanzt haben, und noch 
					dergleichen Dienste
					versehen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß nichts so unnütz sei, welches nicht 
					noch zu etwas könne 
					gebraucht werden. 
					 
					Fab.21 
					Das Kriegsverhör über den Hasen 
					 
					Nach einer großen Feldschlacht, die einstmals in Walde 
					vorgegangen war, ward ein 
					Kriegsverhör über die Aufführung derjenigen angestellt, 
					welche dieser Schlacht 
					beigewohnt hatten. Ein Hase ward beschuldigt, er habe die 
					Flucht ergriffen, bevor die 
					Schlacht angegangen war. 
					Der Ochse der in denselben Distrikt, in welchem sich der 
					Hase aufhielt, Harzvogt oder 
					Richter war, erhielt Befehl, in dieser Sache ein Urteil zu 
					sprechen. 
					Nachdem nun die Flucht des Hasen durch hinlängliche 
					Beweisgründe bestätigt war; 
					so erkühnte sich der Beklagte zwar nicht, die Tat zu 
					leugnen, er bestrebte sich nur, zu 
					beweisen, es wäre nichts straffälliges darinnen. Er sagte: 
					Ich war gesonnen, mehr als 
					einmal Dienst zu tun, und ein jeder, der diesen redlichen 
					Vorsatz hat, muß für seinen 
					Leib und für seine Glieder Sorge tragen, wäre ich nun in 
					dieser Schlacht umgekommen, 
					so hätte ich ein andermal keine Dienste mehr tun können. 
					Der Richter, der ein großer Jurist war, fand diesen 
					lächerlichen Grund von Wichtigkeit, 
					und sprach den Hasen frei. Kein Urteil ist jemals von den 
					Tieren und Vögeln mehr 
					belacht worden, als dieses. 
					Aber der Fuchs sagte: Man kann keiner andern Sprüche 
					gewärtig sein, wenn man den 
					Ochsen zum Richter macht. 
					 
					Diese Fabel zeigt, daß die Regel des Fuchses wohlbegründet 
					ist. 
					 
					Fab.22 
					Die Nachtigall und die Sau 
					 
					Die Sau fragte einstmals die Nachtigall, warum sie, da sie 
					doch eine so angenehme 
					Stimme hätte, sich nur zu einer gewissen Zeit im Jahre, und 
					nur allein des Nachts, 
					ließe. Es scheint daraus, sagte sie, du mißgönnst den 
					Menschen und Tieren das 
					Vergnügen, das sie daran finden. 
					Die Nachtigall antwortete darauf: Wie kommt's, daß du, 
					ungeachtet deiner häßlichen 
					Stimme die du hast, dich durch das ganze Jahr beständig 
					hören lässest? Es scheint, 
					du lässest dich, um Tieren und Menschen beschwerlich zu 
					sein, so oft hören. 
					Keiner von beiden konnte solcherart den Grund seines 
					Betragens angeben; sie gingen 
					daher voller Gedanken und stillschweigend voneinander. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß diejenigen, welche die schlechteste 
					Stimme haben, am öftesten 
					singen, und daß diejenigen, welche wenig kluges vorbringen 
					können, am meisten reden. 
					Diejenigen hingegen, welche die Menschen wirklich vergnügen, 
					sind so wohl in dem einen 
					als in dem andern sparsam, und niemand weis die Ursache 
					davon zu sagen. 
					 
					Fab.23 
					Vom Kranich, welcher mit 
					
					Gratia probarum 
					kurierte 
					 
					Der Leopard ward einstmals gar oft mit Obstipationen* 
					geplagt, und bediente sich des 
					Storches, welcher Hofchirurg war. Dieser setzte ihm dann ein 
					Klistier nach dem andern; 
					aber die Krankheit wollte gleichwohl nicht nachlassen. 
					Endlich meldete sich der Kranich, 
					und sagte: er hätte ein 
					
					Arcanum, 
					welches den Namen: 
					
					Gratia probarum, 
					führte, 
					und damit können alle Krankheiten vertreiben. Das Rezept tat 
					auch seine Wirkung, und 
					der Patient ward völlig kuriert. Da dieses bekannt ward, so 
					lief alles zu diesem neuen 
					Arzt, und sein Rezept tat dieselbe Wirkung bei allen 
					Kranken. 
					Nach einigen Monaten aber verlor diese Medizin all ihre 
					Kraft, und der Doktor büßte 
					dadurch all seine erlangte Reputation ein. Da sich nun 
					jedermann darüber verwunderte, 
					sagte eine alte Katze, welche die Arzneikunst lange 
					betrieben hatte, obwohl sie nicht 
					graduiert war: Verwundert euch nicht darüber, alle solche 
					neuen Rezepte wirken nur 
					einige Zeit, und so lange die Einbildung der Patienten 
					dauert. Dieses habe ich am 
					Teerwasser bemerkt, womit man einige Monate alle Krankheiten 
					kurieren konnte. 
					Aber nunmehr taugt es nur bloß dazu, die Wagenräder und das 
					Schiffstauwerk damit zu 
					schmieren. 
					 
					Diese Fabel zeiget, was die Einbildung bei den Patienten 
					vermag, und diese ist es allein, 
					und nicht das Rezept, was sie kuriert. 
					 
					*Verstopfung 
					 
					Fab.24 
					Die Sau und das Chamäleon 
					 
					Ein Chamäleon, welches bei einer Sau vorbeiging, die nach 
					ihrer Gewohnheit im Kote 
					lag, und sich darinnen herumwälzte, sagte zu ihr: Pfui! du 
					garstiges Tier! du bist dir doch 
					allezeit selbst gleich. Die Sau antwortete darauf: Pfui! du 
					garstiges Tier! du bist allezeit 
					dir selbst ungleich. Die anderen Tiere, die dieses hörten, 
					hielten dafür, daß der Vorwurf 
					der Sau am besten begründet wäre. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß nichts tadelnswürdiger ist, als wie 
					ein Proteus, seine Gestalt 
					verändern, und sich selbst stets ungleich sein, oder wie ein 
					Chamäleon, welches bald 
					diese, bald jene Farbe annimmt. Das heißt allhier mit Recht, 
					wie dieser Vers sagt: 
					
					
					                                                      Malo 
					sui similen, quam sihi dissimilem. 
					 
					Fab.25 
					Der Wolf und der Bär 
					 
					Der Wolf und der Bär fielen einstmals in einerlei Krankheit. 
					Der Wolf erholte sich zuerst, 
					und besuchte den Bär, der mit seiner Krankheit noch behaftet 
					war. Da sich nun der Bär 
					verwunderte, wie der Wolf sobald war wieder hergestellt 
					worden; so antwortete dieser: 
					Ich schließe, es müsse daher kommen, weil ich nur allein mit 
					der Krankheit zu kämpfen 
					gehabt, du aber hast nicht allein mit der Krankheit sondern 
					auch mit dem Doktor zu 
					zu streiten. 
					 
					Diese Fabel zeiget, die Natur kuriere öfters sicherer, als 
					die Arznei, welche durch ihre 
					Wirkung jener oft hinderlich ist. 
					 
					Fab.26 
					Der Hochmut eines Mastschweins 
					 
					Kein Tier, so geringe und elend es auch ist, hat von sich 
					schlechtere Gedanken, als die 
					alleredelste Kreatur. Dieses sah man am Mastschwein, von 
					welchem nun diese Fabel
					erzählt. 
					 
					Ein Mastschwein geriet durch die Betrachtung, welches es 
					über seinen eigenen Zustand 
					machte, in eine solche Einbildung, daß es glaubte, die ganze 
					Welt wäre nur seinetwegen 
					erschaffen. Es sah, wie vor seinem Schweinestall die Sonne 
					alle Morgen aufging; wie sie 
					ihm Licht und Wärme mitteilte, und wie sie sich wieder 
					verbarg, wenn es Zeit war 
					auszuruhn. Es meinte also, diese Anstalt wäre bloß seiner 
					Bequemlichkeit wegen 
					gemacht. Es merkte auch, daß gewisse Leute alle Morgen den 
					Schweinestall öffneten, 
					um es auf das Feld zu bringen. Diese Leute sah es als seine 
					bestellten Aufwärter an. 
					Es glaubte, daß die Menschen, wenn sie ihre Unreinigkeiten 
					von sich warfen, alles dieses 
					bloß seinetwegen täten, und darum sah es sie für seine 
					Speisemeister an. 
					Kurz: es legte alles zu seinem Vorteil aus, und bildete sich 
					ein: alles wäre nur seiner 
					Bequemlichkeit wegen so eingerichtet, und diesfalls sah es 
					sich für die Quintessenz aller 
					erschaffenen Dinge an. 
					Aber just, da es einstmals durch solche Vorstellungen ganz 
					außer sich selbst war, und 
					vor Hochmut fast bersten wollte, kam der Schlachter, und 
					schleppte es mit Gewalt auf 
					die Schlachtbank. 
					 
					Die Fabel kann auch denjenigen Leuten zur Lehre dienen, 
					welche sich einbilden, daß 
					alles ihretwegen erschaffen sei, da doch diese ganze Erde 
					gegen die große und scheinbar 
					unendliche Welt nur als ein Sandkorn anzusehen ist. Und 
					diejenigen verdienen aber, fast 
					eben so sehr ausgelacht zu werden, als das Mastschwein, und 
					welche meinen, daß die 
					unzählbaren Sterne ihrethalben zur Zierde an den Himmel 
					gesetzt sind. Desgleichen 
					die Kometen ließen sich nur diesfalls sehen, um wegen 
					gewisser bevorstehenden 
					Begebenheiten die Menschen zu warnen. 
					 
					Fab.27 
					Von zwei Raben 
					eine persische Fabel 
					 
					Zwei Raben wollten einstmals miteinander in Schwägerschaft 
					treten. Der eine hatte einen 
					Sohn, und der andere eine Tochter; die Partie war auf beiden 
					Seiten gleich. Sie handelten 
					nur darüber, was die Tochter zur Mitgift mitbringen sollte. 
					Ihr Vater versprach darauf, 
					sein Schwiegersohn sollte zehn wüste Dörfer zur Aussteuer 
					erhalten. Dieses Versprechen 
					gefiel den andern Raben, aber er fragte ihn: woher er soviel 
					aufbringen könnte? 
					Der Vater der Tochter sagte darauf: Wenn Gott unserm 
					gnädigen Herrn, den Sultan 
					Machmud, leben lässet, so werden wir niemals an wüsten 
					Dörfern Mangel haben. 
					 
					Diese Fabel erfordert keine Erläuterung, denn sie erklärt 
					sich selbst. 
					 
					Fab.28 
					Des Esels Hochmut in seinem Wohlstande 
					 
					Ein Esel fand einen großen Schatz, der unter einem Drachen 
					verborgen lag, der vor 
					Hunger gestorben war, weil er seinen Schatz nicht verlassen 
					wollte. Der Esel ließ sich 
					darauf mit köstlichen Kleidern und Schmuck auszieren. Da nun 
					die Torheit des Esels von 
					allen Tieren und Vögeln ausgelacht ward, sagte ein 
					Windspiel: es könnte nichts 
					vernünftigeres vorgenommen werden, indem kein anderes Tier 
					einen fremden Schmuck 
					so sehr nötig hätte, denn, fuhr es fort: Man malt eine Wand, 
					welche von Holz oder Leim 
					ist aber nicht eine, die von Marmor ist. Ich würde kein 
					Bedenken tragen, dieses ebenfalls 
					zu tun, wenn ich ein Esel wäre. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß unnütze und verächtliche Leute 
					Ursache haben, sich am meisten 
					zu putzen; und die Erfahrung lehret, daß dieses auch täglich 
					geschieht. 
					 
					Fab.29 
					Die Nachteule 
					 
					Einige beschwerten sich über die Nachteule, daß sie ihre 
					Stimme des Nachts so oft 
					hören ließe, und sie baten sie, sie möge doch darinnen Maß 
					halten. Darauf aber 
					antwortete sie folgendermaßen: Ich habe zwar selbst keine 
					Lust daran, wenn ich singe, 
					aber, was tut man nicht, andern ein Vergnügen zu machen? 
					 
					Diese Fabel lehret, daß sich ein jeder einbildet, er besitze 
					die größten Eigenschaften, 
					und daß die Eule einen eben so großen Preis auf ihre Stimme 
					setzt, als die Nachtigall. 
					 
					                                                                                                           
					nach oben 
					 
					Fab.30 
					Die Katze mit ihren Jungen 
					 
					Die Katze schalt einstmals ihre Jungen aus, weil sie so sehr 
					schäkerten. Sie sagte: 
					Es muß doch in allen Dingen Maß gehalten werden; aber ihr 
					führt euch auf wie die 
					Schalksnarren. Die Jungen antworteten: Wir haben gehört, daß 
					unsere lieben Eltern 
					in ihrer Jugend sich ebenso aufgeführt haben. Die Katze 
					sagte darauf: Das ist wahr, 
					aber ihr seht ja, daß wir unsere Lebensart nunmehr ganz 
					geändert haben, und daß 
					wir nun ganz ehrbar und ernsthaft sind. Die Jungen 
					antworteten: Wir wollen ebenso 
					ernsthaft werden, wenn wir das Alter unserer Eltern erreicht 
					haben. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß die Eltern, welche in ihrer Jugend 
					ein unordentliches Leben 
					geführt haben, wenig Ursache haben, ihre Kinder, die ihren 
					Fußstapfen nachfolgen, 
					durchzuhecheln. 
					 
					Fab.31 
					Die Kälber und der Hirsch 
					 
					Einige junge mutwillige Kälber, bei denen ein Hirsch mit 
					einem außerordentlich großen 
					Geweih vorbei ging, trieben ihren Spott mit ihm, und riefen: 
					Hahnrei! Der Hirsch drehte 
					sich um und sagte zu dem Kalb welches ihm am nächsten stand: 
					Du denkst nicht nach 
					mein Sohn! daß dein eigener Vater ebenfalls mit einem Horne 
					auf der Stirn versehen ist, 
					und daß du selbst in kurzer Zeit eben so werden wirst. 
					Endlich, da sie nicht aufhörten 
					zu rufen, sagte der Hirsch: Gewiß, wenn mein Horn ein Beweis 
					meiner Hahnreischaft 
					sein soll, so müsset ihr meiner Frau nachrufen, und sie 
					verspotten, weil sie einzig und 
					allein Schuld daran sein würde. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß nichts unbilliger ist, als einen 
					Mann zu verspotten, dessen Frau 
					ihm untreu ist. 
					
					Diesfalls sagt der Poet: 
					                                      
					
					Si ma Femme a failli, que'elle pleure bien fort, 
					                                           Mais pourquoi moi 
					pleurer, puisque je n'ai point fort. 
					
					
					Das heißt: 
					 
					Es mag die Frau nur selbst die Hahnreischaft beweinen; 
					Ich bin nicht Schuld daran, warum sollt ich den weinen? 
					 
					Fab.32 
					Die Grabschrift einer Elster 
					 
					Eine wortreiche Elster, die an Gesprächigkeit keinem Tiere 
					oder Vogel etwas nachgab, 
					und die es mit dem gesprächigsten Barbier unter den Menschen 
					hätte aufnehmen 
					können, ging endlich mit Tode ab, und ein Biber der, der 
					Waldsatirikus war, machte ihr 
					diese Grabschrift: Hier ruht die berühmte Elster . . . , 
					welche den vierten Tag des 
					Monats Kilian im Elefantenjahre, aufhörte zu schwatzen, das 
					ist: starb. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß man gewisse wortreiche Leute findet, 
					die nicht aufhören zu 
					plaudern, bis sie den Geist aufgeben, und deren Absterben 
					man mit diesen Worten 
					ausdrücken kann: 
					
					Desierunt loqui. 
					 
					Fab.33 
					Von der Katze, die sich mit ihrem Adel brüstete 
					 
					Eine Katze brüstete sich einstmals mit ihrem Adel, indem sie 
					vorgab: Die erste Katze 
					wäre aus dem Nasenloche des Löwen auf die Welt gekommen. Ein 
					Tiger, der dieses 
					hörte, sagte darauf: Es wäre zu wünschen, du könntest deinen 
					Adel durch Tugend und 
					Geschicklichkeit beweisen, und nicht durch das Nasenloch des 
					Löwen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß Hoheit durch Geburt und Herkommen 
					eine bloße Chimäre ist, 
					und nicht der Mühe wert ist, sich damit zu brüsten. 
					 
					Fab.34 
					Vom Luchs 
					 
					Ein Luchs, der im Walde Obervisitator war, verlor einstmals 
					durch ungesunde 
					Feuchtigkeiten das eine Auge. Alle Tiere, insbesondere 
					diejenigen, welche Handelsleute 
					waren, erfreuten sich darüber, indem sie meinten, er werde 
					nunmehr nicht so 
					scharfsichtig wie zuvor sein. Aber der Fuchs sagte: Ihr 
					törichten Kreaturen! ihr freut euch 
					über euer eigenes Unglück; denn niemand unterscheidet und 
					sieht richtiger, und 
					gleichsam auf ein Haar, als ein Einäugiger. 
					Diesfalls sagt man im Sprichwort: Nimm dich vor demjenigen 
					in Acht, der nur ein Auge hat. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß sich manche über gewisse 
					Begebenheiten freuen, die ihnen 
					hernach zum Schaden gereichen. 
					 
					Fab.35 
					Das Schicksal des Schäfers Damon 
					 
					Der Schäfer Damon war eine Zeitlang wegen seiner angenehmen 
					Schriften sowohl bei 
					Menschen, als bei Tieren und Vögeln in Liebe und Ansehen 
					gewesen. Man hörte im Walde 
					täglich von ihm reden, und ihn rühmen, und gewisse Tiere und 
					Vögel konnten ganze 
					lange Stellen aus seinen poetischen Schriften auswendig 
					hersagen. 
					Ja einige seiner Gedichte waren von der Lerche und 
					Nachtigall in die Musik gesetzt und 
					abgesungen worden. Seine Arbeit erwarb ihm endlich eine neue 
					Würde, denn er ward 
					aus dem Schäferstande in den Herrenstand erhoben. Er setzte 
					darauf seine gewöhnliche 
					Arbeit noch lange fort, aber nicht mit dem vorigen Glücke, 
					denn er konnte es niemanden 
					mehr recht machen. Die Schriften, in denen die 
					scharfsinnigsten Tiere, als Luchse, 
					Katzen, Habichte, u.d.g. keine Fehler sehen konnten, wurden 
					nun von den Maulwürfen 
					und andern starblinden Kreaturen verworfen, und voller 
					Fehler befunden. Da sich nun 
					etliche Tiere über diese Veränderung verwunderten, und nach 
					den Ursachen derselben fragten, 
					sagte der Fuchs: Die Arbeit 
					ist noch immer dieselbe, aber die Person ist nicht
					mehr dieselbe. 
					 
					Diese Fabel lehret, was die Eifersucht und Mißgunst bewirken 
					kann. 
					 
					Fab.36 
					Der Viehhirte und die Kuh 
					 
					Ein jütländischer Viehhirte, der eine Kuh in die Stadt 
					trieb, begegnete unterwegs dem 
					Landesdommer, der zu Pferde war. Dieser Hirte, so oft die 
					Kuh nicht fort wollte, rief ihr 
					zu: Willst du gehen Mörlille!* 
					Denn die jütländischen Bauern bedienen sich der Worte: 
					Mörlille und Färlille sowohl gegen Tiere, als gegen 
					Menschen. Da der Landesdommer 
					dieses hörte, so konnte er sich des Lachens nicht enthalten, 
					er fragte daher: Nennst du 
					die Kuh Mörlille? Worauf der Bauer zur Antwort gab: Ja, 
					Färlille! 
					 
					Diese Fabel beweist, daß ein Wort in den täglichen Reden 
					öfters mißbraucht wird. 
					Solcherart nennt ein Schweinehirte die Sau im Zorne öfters 
					Hund; da doch dieser Titel 
					für ein Schwein zu vornehm ist, so wie der große Titel, 
					welchen der Hirte seiner Kuh gab, 
					für dem Landesdommer zu niedrig war. 
					 
					*Das 
					Wort Mörlille heißt eigentlich: kleine Mutter, oder 
					Mütterchen, so wie Färlille, 
					kleiner Vater oder Väterchen 
					heißt. 
					 
					Fab.37 
					Die Katze philosphiert 
					 
					Nachdem die Katze lange Zeit entsetzliche Zahnschmerzen 
					ausgestanden hatte, 
					so mußte sie sich endlich entschließen, sich die Zähne von 
					einem Storche, der 
					Waldchirurg war, ausziehen zu lassen. Dieses geschah nicht 
					ohne große Schmerzen, 
					und dadurch ward die Katze so niedergeschlagen, daß sie sich 
					entschloß, der Welt zu 
					entsagen, und sich mit ihren Feinden, welche die Mäuse und 
					die Ratzen waren, 
					zu vergleichen, zugleich aber allem Fleische und allen 
					harten Speisen abzusagen. 
					Da der Affe, der eine Zeitlang Tanzmeister gewesen war, aber 
					nunmehr wegen des 
					Podagras nicht mehr tanzen konnte, den Vorsatz der Katze 
					erfuhr, besuchte er sie und 
					wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben. Aber da er die Ursache 
					von der Philosophie der 
					Katze erfuhr, sagte er: Ich habe auch alle Eitelkeit auf die 
					Seite gesetzt, und der Welt 
					den Rücken zugekehrt; denn seitdem ich das Podagra bekommen 
					habe, hat niemand 
					mich tanzen gesehen. 
					 
					Diese Fabel zeigt, daß die meisten Menschen nicht eher die 
					Welt verlassen, als bis die 
					Welt sie verlassen hat. 
					 
					Fab.38 
					Vom Fuchs, der eine Flasche auswendig beleckte 
					 
					Ein Fuchs fand eine Flasche auf dem Wege, welche mit Speisen 
					angefüllt war. Weil er nun 
					die Speisen nicht erhalten konnte, — denn die Flasche war 
					fest zugemacht, — so beleckte 
					er sie auswendig. 
					 
					Die Fabel lehret: Wenn wir und auf solche Wissenschaften 
					legen, welche uns so hoch 
					oder so schwer sind, daß wir uns keine Vollkommenheit 
					darinnen erwerben oder nicht 
					bis ins Innere derselben dringen können, so müssen wir uns 
					mit der Schale derselben 
					begnügen lassen, und mit dem Fuchse sie nur von außen 
					belecken. 
					 
					Fab.39 
					Eine ungereimte Art zu trösten 
					 
					Ein Mann hatte durch einen Zufall seine Nase eingebüßt. 
					Verschiedene Freunde kamen zu 
					ihm, um ihn zu trösten und zu ermahnen: er möge sich in 
					dieses Unglück mit Geduld 
					ergeben. Aber einer von ihnen meinte, daß eine so allgemeine 
					Art zu trösten nur wenig 
					verschlagen würde, daher ersann er eine andere Art zu 
					trösten, die, wie er glaubte, 
					von besseren Nachdruck sein würde. Er sagte: Kein Unglück 
					ist so groß, daß nicht etwas 
					Gutes daraus fließen könne. Aus diesem Unglücke folgt der 
					Vorteil, daß sich der Patient 
					dadurch zweierlei Ausgaben, nämlich des Schnupftabaks und 
					der Schnupftücher 
					erspart hat. 
					 
					Es ist glaublich, der Patient wird durch diesen Trost wenig 
					Linderung erhalten haben. 
					 
					                                                                                                           
					nach oben 
					 
					Fab.40 
					Die Belohnung eines Künstlers 
					Eine Historie 
					 
					Ein großer Künstler meldete sich einstmals bei einem König, 
					eine Probe seiner großen 
					Behendigkeit vor ihm abzulegen, wofür er eine große 
					Belohnung erwartete. 
					Die Kunst war diese: Er warf Erbsen durch ein großes 
					Nadelöhr, und dieses mit solcher 
					Richtigkeit, daß es ihm niemals fehlschlug. Der König mußte 
					sich über diese große 
					Behendigkeit verwundern; aber, weil die Kunst so viel Arbeit 
					und eine vieljährige Übung 
					gekostet hatte, und gleichwohl ohne Nutzen war, so ließ ihn 
					der König bloß einen 
					Scheffel Erbsen verehren. 
					 
					Diese Historie zeigt, daß diejenigen, welche viel Zeit und 
					Arbeit verschwenden, um in 
					einer unnützen Kunst vortrefflich zu werden, sich zwar 
					Bewunderung, aber auch 
					Verachtung, erwerben. 
					 
					Fab.41 
					Der Hochmut eines Maulwurfs 
					 
					Ich habe den Streit erzählt, der zwischen dem Tiger und 
					Leoparden entstand, und 
					endlich in einen offenbaren Krieg ausbrach. Ich habe auch 
					hingewiesen, woraus diese 
					Zwistigkeit entstand, nämlich weil ein jedes glaubte, die 
					Sonne würde seinetwegen
					verfinstert. 
					Da nun diese Historie einige Zeit danach einem Maulwurf 
					erzählt ward, sagte dieser: 
					O welche törichte und eitle Kreaturen! Hätte ich nur mit 
					ihnen reden sollen, ich hätte 
					diesen blutigen Krieg unfehlbar verhindert. 
					Die Finsternis ging sie gar nichts, sondern mich ganz allein 
					an; denn mein ältester Sohn 
					ward an demselben Tage von einem Bauernjungen tot getreten. 
					Dergleichen Zeichen 
					habe ich einige Male bemerkt, wenn sich unglückliche 
					Begebenheiten in meiner Familie 
					zugetragen haben; denn etliche Tage vor dem Tode meiner Frau 
					ließ sich ein 
					erschrecklicher Komet am Himmel sehen. 
					 
					Diese Fabel lehret, daß sich die allerelendste Kreatur, ja 
					ein Wurm oder eine Milbe, 
					eben so hohe Gedanken, als ein Kaiser, von sich selbst 
					machen kann. 
					 
					Fab.42 
					Das gekrönte Pferd 
					 
					In den Olympischen Spielen, welche vorzeiten in Griechenland 
					gehalten wurden, kämpfte 
					das Volk auf verschiedene Arten miteinander. Einige liefen 
					nach dem Ziele, andere 
					fochten, andere schlugen sich, oder rangen miteinander. 
					Diejenigen, welche sich in diesen Spielen am besten hielten, 
					wurden mit Kronen geziert. 
					Diogenes, der diese Spiele einige Male mitangesehen hatte, 
					meinte, man müßte bloß 
					durch Tugend, und nicht durch Leibesstärke, Ehre erwerben, 
					und Achilles wäre der Ehre 
					nicht würdiger, als ein starker Arbeitsmann, oder als ein 
					Bär. 
					Diesfalls, als er sah, daß sich einstmals zwei Pferde 
					miteinander schlugen, krönte er 
					dasjenige Pferd, welches die Oberhand behielt. 
					 
					Diese Historie lehrt, daß sich ein Mensch bloß durch Tugend 
					und Verstand von einem 
					andern unterscheiden müsse. 
					 
					Fab.43 
					Der Hund und der Wolf 
					 
					Ein Hund forderte einen Wolf zum Zweikampfe heraus. Der Wolf 
					hatte keine Lust dazu, 
					und entschuldigte sich, indem er sagte: Es ist ungewiß, 
					welcher von uns beiden den 
					andern überwinden oder lähmen wird. Wenn ich, um einen 
					Schimpf der mir widerfahren 
					ist, zu rächen, gelähmt aus dem Streite zurück käme, so 
					hätte ich Spott und Schaden
					zugleich. 
					 
					Die Fabel lehret, daß nichts törichteres und ungereimteres 
					ist, als Leib und Glieder, 
					um Spottreden oder anderes Unrecht zu rächen, aufs Spiel 
					setzen; obschon die 
					Erfahrung lehrt, daß unter vernünftigen Leuten nichts 
					gebräuchlicher ist, als dieses. 
					 
					Fab.44 
					Wodurch die bösen Weiber in die Welt gekommen sind 
					 
					Ein Reiter reiste durch einen Wald, daselbst hörte er ein 
					großes Geschrei, als ob jemand 
					in Not und Gefahr wäre. Er lief geschwind dahin, wo das 
					Geschrei herkam. 
					Daselbst fand er ein Mädchen, welcher der Teufel Gewalt tun 
					wollte. Der Reiter, der ein 
					mitleidiger Mann war, und das Frauenzimmer gar nicht haßte, 
					eilte, um das Mädchen zu 
					retten. Er zog seinen Pallasch, um dem Teufel den Kopf 
					abzuhauen; aber weil er im Eifer 
					zu stark ausholte, so hieb er beiden zugleich die Köpfe ab. 
					Diesen Fehler wollte er in aller Eile verbessern. Aber weil 
					es gegen Abend war, und er 
					folglich beide Köpfe nicht von einander unterscheiden 
					konnte, so ergriff er aus Irrtum den 
					Kopf des Teufels, und setzte ihn auf den Rumpf des Mädchens. 
					Man glaubt, daß von ihr, die bösen Weiber herstammen. 
					 
					Fab.45 
					Die vernünftige Bitte des Storchs 
					 
					Noch vor der Reise Jupiters hatte Apollo den Wald besucht, 
					um das Anliegen der Tiere 
					und Vögel anzuhören. Er trat in der Residenz Pans ab, und 
					dahin wurden die Deputierten 
					aller Nationen beschieden. Es fanden sich daselbst die 
					Bevollmächtigten der Löwen, 
					Bären, Parder, Wölfe, Adler, Habichte u.d.g. ein; von denen 
					ein jeder die 
					Angelegenheiten seiner Nation vortrug. 
					Einige baten um Kraft und Stärke gegen ihre Feinde, andere 
					Glück auf ihrem Fange und 
					auf ihrer Freibeuterei, andere noch um andere Dinge. Der 
					Bevollmächtigte des Storches 
					allein sagte: Er wüßte nichts, warum er zu bitten hätte, 
					indem er nicht wüßte, was ihm 
					und seinen Mitbrüdern dienlich wäre, und diesfalls überließ 
					er es den Göttern, zu tun, 
					was sie für gut fänden. An dieser Rede des Storchs fand 
					Apollo so großes Vergnügen, 
					daß er sagte: Der Storch soll dieses vor anderen Tieren 
					voraus haben daß er unter 
					Menschen und Tieren stets unangefochten soll leben können. 
					Die andern Tiere hingegen 
					wurden abgewiesen, weil ihre Bitten so schlecht begründet 
					waren. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß die Bitte des Storchs den Menschen 
					ein Muster sein soll, wie sie 
					ihr Gebet einzurichten haben. 
					 
					Fab.46 
					Die Balancerechnung des Fuchses 
					 
					Ein Fuchs, der eine Menge Enten im Walde bemerkt hatte, 
					legte sich am Wege, den die 
					Enten nehmen mußten, aufs Lauern. An dem Orte, wo er sich 
					versteckte, war eine 
					große Dornenhecke, in welche sich sein Schwanz so unbemerkt 
					verwickelte, daß er gar 
					nichts davon spürte. Da nun die Enten ankamen, erwischte er 
					eine davon mit der 
					Schnauze, und da die anderen die Flucht nahmen, so wollte er 
					ihnen nacheilen. Aber nun 
					merkte er erst, daß er beschnellt war. Er arbeitete daher 
					mit allen Kräften, sich los zu 
					reißen, dadurch aber ging der Schwanz in Stücke, und blieb 
					in den Dornen hängen. 
					Er begab sich darauf voller Scham mit der Beute, die er 
					bekommen hatte, zurück. Ein 
					Wolf, der ihn in diesem Zustande begegnete, sagte zu ihm: 
					Mein guter Meister Michel! 
					was du an dem einen Ende gewonnen hast, das hast du an dem 
					anderen Ende verloren. 
					 
					Die Fabel zeiget, daß, wenn die Ausgabe mit der Einnahme 
					zusammen gehalten wird, 
					der Gewinn der Kaufleute nicht so groß ist, als sie sich oft 
					einbilden. 
					 
					Fab.47 
					oder Historie 
					Eine gelehrte Dame in der Versammlung der Gelehrten 
					 
					Einige gelehrte Leute hatten sich versammelt, um sich über 
					allerhand philosophische 
					Materien zu unterreden. Ein Frauenzimmer, welches auch 
					studiert hatte, fand sich dabei 
					ein. Einer von ihnen, welcher die Dame nicht kannte, und der 
					Meinung war, sie wollte 
					durch ihre Ankunft ihre gelehrte Versammlung stören, sagte 
					darauf: 
					
					Quid Saul inter 
					Prophetas? 
					Das heißt: Was will Saul unter den Propheten? Sie aber 
					antwortete auf 
					Latein: 
					
					Quaerit Afinos Domini sui. 
					Das ist: Er sucht die Esel seines Herrn. 
					 
					Diese Historie zeigt, daß man oft eine unerwartete Antwort 
					erhält, wenn man sie am 
					wenigsten erwartet hat. 
					 
					Fab.49 
					Die unordentliche Andacht des Fuchses und des Wolfs 
					 
					Ein Fuchs und ein Wolf, welche eine Zeitlang im Walde 
					Katecheten gewesen waren, 
					und gegen die Sünden, welche unter den Tieren und Vögeln im 
					Schwange gingen, mit 
					großem Eifer gedonnert hatten, kamen einstmals zusammen, um 
					nach ihrer Gewohnheit, 
					die Wollüste und Begierden der anderen Tiere durchzuhecheln. 
					Aber just, da sie mitten in diesem 
					
					Enthusiasmo 
					waren, ging ein Schaf vor ihnen vorbei, 
					darüber vergaßen beide ihre Gesetzpredigten. Der Wolf sagte: 
					Ich will, wegen Kürze der 
					Zeit, meine Rede abbrechen! Der Fuchs sagte: Ich will meine 
					Rede bis auf gelegenere 
					Zeit aufschieben. Hierauf liefen sie beide der Beute nach. 
					Aber weil ein jeder die Beute 
					allein haben wollte, so gerieten sie in eine so blutige 
					Schlägerei miteinander, daß einer 
					den andern ums Leben brachte, das Schaf aber durch diesen 
					einheimischen Krieg
					entkam. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß manche ihren eigenen Einbildungen 
					nach, heilige Leute sich am 
					ersten zu erkennen geben, wenn die Versuchung kommt, und sie 
					eine Probe ihrer 
					Heiligkeit ablegen sollen. 
					 
					Fab.50 
					Jupiter erfährt, was er nicht wissen will 
					 
					Merkur wurde einstmals vom Jupiter nach Athen gesendet, um 
					ein Buch einbinden zu 
					lassen. Dieses geschah. Aber der Buchbinder legte aus Irrtum 
					in Merkurs Ränzel ein 
					anderes Buch von denselben Bande. Dieses enthielt eine 
					häßliche Satire auf Jupiter, 
					in welcher seine unkeuschen Liebesstreiche und ärgerliche 
					Historien beschrieben waren. 
					Er bekam also Dinge zu lesen, die er am wenigsten erwartete. 
					 
					Diese Fabel zeiget, daß manche zufällige Weise, Sachen 
					erfahren, welche ihnen sonst 
					niemand sagen dürfte. 
					 
					
					 
					                                                                                                           
					nach oben 
					 
					 
 
  |