Fab.51
Ein altes Weib regiert
Ein altes knurriges Weib hatte die Gewohnheit, das Betragen
der Obrigkeit zu kritisieren,
und sie schonte die Götter selbst nicht, auf deren
Aufführung und Vorsicht sie täglich
etwas zu sagen hatte. Dieses erfuhr Jupiter. Darauf befahl
er, daß sich dieses alte Weib
auf seinen Thron setzen mußte, und er trug ihr das Regiment
auf einige Zeit auf.
Stracks danach fanden sich verschiedene Supplikanten mit
allerhand Ansuchungen bei
ihr ein, von denen immer die eine ungereimter, als die
andere war.
Der eine bat um Sonnenschein, wenn der andere um Regen bat;
der eine bat um
Nordwind, der andere um Südwind, und um andere gegen
einander streitende Dinge
mehr. Das alte Weib hielt zwar eine Zeitlang ziemlich an
sich; allein zu letzt war sie so
ungeduldig, daß sie Stuhl und Schemel nach ihnen warf.
Jupiter sagte darauf: Ihr sehet nun, mein liebes Mütterchen,
daß es nicht so leicht ist,
zu regieren, und alle zufrieden zu stellen, wie ihr doch
zuvor geglaubt habt. Und hättet
ihr noch eine Stunde länger regieren sollen: so würde weder
Tisch noch Bank im Himmel
geblieben sein.
Diese Fabel lehret, daß es leichter sei, die Obrigkeit zu
beurteilen, als selbst zu regieren,
und daß es manchen wie dem Kannengießer ergehen möge,
welcher sagt: Ich habe nicht
geglaubt, daß es so schwer wäre, Bürgermeister zu sein,
bevor ich selbst in den Rat
kam.
Fab.52
Von einem adeligen Pferde
Unterschiedliche Pferde, kleine und große, wurden auf den
Markt geführt, um sie zu
verkaufen. Unter diesen waren zwei, die einem Pferdehändler
zugehörten. Das eine war
frisch, stark und wohl gemacht, das andere sah schlecht aus,
war mager und krank.
Diese beiden wurden folglich für einen ungleichen Preis
verkauft, und zwar das erste
für 500, das andere für 10 Gulden. Jenes war dem Stalle des
Königs, dieses einer Mühle
bestimmt. Über ein so ungleiches Verfahren beschwerte sich
dieses letztere, indem es
vorgab, es wäre sehr unbillig, daß man mit einer so edlen
Kreatur solcherart verführe,
die ihre Ahnen vom Pegasus herrechnen könnte, von dem es in
gerader Linie abstammte,
und die also, der Geburt nach, keinem anderen Tier etwas
nachgäbe.
Das andere Pferd hingegen, fuhr es fort, ist auf einem Dorfe
von geringen Bauernpferden
gezeugt worden. Der Kaufmann sagte darauf: Wir Kaufleute
geben uns damit keine
Mühe, das Geschlechtsregister zu untersuchen; wir bekümmern
uns nicht darum, wer deine Eltern und Voreltern gewesen
sind, sondern wir untersuchen, wie du selbst
beschaffen bist. Wir sehen nicht darauf, wo ein Pferd
geboren, sondern von welcher
Güte der Wuchs desselben ist.
Diese Fabel lehret, daß man auf die Geburt und den Stamm
einer Person keinen so hohen Preis,
als auf die Tugend
derselben setzen müsse. Der Adelstand ohne Tugend ist eine
bloße Chimäre.
Fab.53
Der Esel, ein Bibliothekarius
Ein Esel bemühte sich einstmals, Bibliothekarius zu werden.
Die Ursachen, mit denen er
sein Ansuchen unterstütze, waren diese: Er führte an, er
hätte sich in der Umziehzeit gar
oft brauchen lassen, Bücher von einem Ort zum andern zu
tragen. Er zeigte seinen
Rücken, der von dergleichen Lasten schadhaft geworden war,
und dieses hätte
verursacht, daß er seine Gesundheit bei der Arbeit zugesetzt
hätte, die zur
Respubliea literaria
gehörte.
Aber er erhielt, wie man leicht denken kann, eine
abschlägige Antwort, und ward
schimpflich abgewiesen. Da sich dieses im Walde ausbreitete,
trieben die anderen Tiere
ihren Spott mit ihm, unter andern sagte der Kuckuck zu ihm:
Meinst du, man werde aus
den Eseln Bibliothekarius machen? Meinst du, es sei genug,
ein Buch getragen oder einen
Band gesehen zu haben? Der Esel antwortete darauf: Ich habe
doch von vielen Leuten
reden hören, welche keine anderen Beweisgründe ihrer
Gelehrsamkeit angeben können,
als ihre großen und zahlreichen Bibliotheken, die sie sich
nur zum Staate, aber nicht zum
Lesen angeschafft hatten. Und weil ich diese Umstände wußte,
so meinte ich, ein
vierbeiniger Esel wäre auf diese Weise eben so gut, als ein
zweibeiniger.
Diese Fabel lehret, daß niemand seine Gelehrsamkeit durch
eine Bibliothek beweisen könne.
Diesfalls sagte ehemals ein Philosoph, als er in eine große
Bibliothek kam, die sich
der Besitzer bloß zum Staate angeschafft hatte:
Saluete libri sine magistro!
Fab.54
Der Affe, ein Sittenlehrer
Ein junger Affe ward einstmals von seinem gewöhnlichen
Paroxysmus überfallen, so daß
er von einem Eifer entzündet ward, die lasterhaften
Wollüsten und Torheiten, die im
Walde im Schwange gingen, zu reformieren und durchzuziehen.
Da er nun einstmals in dieser Verrichtung begriffen war,
näherte sich ihm ein Fuchs, der
einer von seinen Zuhörern war, und sagte: Mein guter Morten!
wie bist du zum
Katechisieren gekommen? Der Affe antwortete: Hast du etwas
auf meine Lehren zu
sagen? Sind sie nicht gut gegründet? Der Fuchs sagte darauf:
Die Lehren können gut
genug sein, wenn nur der Lehrer kein Affe wäre.
Diese Fabel lehret, daß nichts lächerlicher ist, als wenn
man sieht, das törichte,
närrische und ungesittete Leute katechisieren, und Bekehrer
vorstellen, und wenn man
einen Trunkenbold, einen Narren gegen die Torheit, und einen
Schwelger gegen Wollust
predigen höret.
Fab.55
Der Löwe, die Schlange und der Maulwurf
Da der Löwe einstmals von einer Schwachheit angegriffen
ward, so ließ er eine Schlange
rufen, die man für den größten Arzt hielt. Die Schlange
wandte alle ihre Kunst an, aber
vergebens; denn die Gesundheit des Löwen ward durch ihre
Arzneien weder schlechter
noch besser. Die Schlange mußte diesfalls von den andern
Tieren sehr viel ausstehen;
aber niemand redete mit größerer Verachtung von ihrer Kur,
als der Maulwurf, welcher,
ob er schon der Arzneikunst ganz und gar nicht kundig war,
sich doch unterstund zu
sagen: Wenn der Löwe sich seines Rates bedient hätte, so
würde er längst wieder
hergestellt sein.
Dieses erfuhr der Löwe, worauf er der Schlange ihren
Abschied gab, und den Maulwurf
dafür annahm. Niemand kann sagen, was für Medikamente der
letzte Doktor gebrauchte.
Das aber ist gewiß, daß der Löwe durch ihn völlig wieder
gesund ward, und daß der
Maulwurf dadurch in so großes Ansehen kam, daß die Schlange
selbst kein Wort
dagegen sagen durfte. Sie ließ sich nur daran begnügen, daß
sie ihren Freunden
insgeheim sagte: Die Kur des Löwen müsse man bloß der Zeit,
aber nicht der Person
zuschreiben, denn der Maulwurf ward just zu der Zeit
angenommen, da die Krankheit
ausgesetzt hatte, und die Natur anfing selbst zu wirken.
Dieses begriffen einige wenige vernünftigen Tiere, so daß
sie dieses, wenn einer auf
diese Art kuriert ward, spruchwortsweise: eine Maulwurfskur
nennen. Aber die meisten
folgten dem Strome und der Maulwurf, der nichts dabei getan
hatte, erhielt den Titel
eines Hofarztes.
Diese Fabel lehret, daß der elendeste Quacksalber oft die
größte Kur verrichtet, bloß
diesfalls, weil er der letzte Doktor ist.
Fab.56
Warum sich der Vogel Phönix fast niemals sehen läßt
Ein Rabe und eine Krähe unterredeten sich einstmals
miteinander über verschiedene
seltene Materien, unter andern auch vom Vogel Phönix, von
seiner Gestalt, von seinen
Eigenschaften, insbesondere aus welcher Ursache sich dieser
Vogel so selten sehen ließe?
Da sie bei dieser Materie waren, näherte sich ihnen ein
Papagei, von welchem, weil er
in dem Land geboren war, wo sich der Phönix aufhielte, sie
glaubten Licht zu erhalten,
und diesfalls fragten sie ihn, er möge ihnen doch die
Ursache sagen, warum dieser Vogel
sich so selten sehen ließe?
Der Papagei antwortete: Davon kann man unterschiedliche
natürliche Ursachen anführen.
Die erste ist, daß dieser Vogel nirgends vorhanden ist. Da
sie dieses hörten, so baten sie
ihn, er möge nur die übrigen Ursachen für sich behalten, sie
hätten an der ersten bereits
genug.
Diese Fabel lehret, daß die Menschen sich oft über eine
Sache unterreden, und darüber
streiten, bevor sie sich um die Wirklichkeit derselben
bekümmert haben.
Fab.57
Der Fuchs, ein Wahrsager
Ein Fuchs der arm geworden war, sann auf unterschiedliche
Künste, mit denen er sein
Brot verdienen könnte. Da er nun merkte, daß einige
Wahrsager unter den Menschen
bloß durch ihre Wahrsagereien Weib und Kinder ernähren
konnten, so nahm er sich vor,
dieses Handwerk unter den Tieren zu treiben.
Da ihm nun unter unzähligen Prophezeiungen einige
fehlschlugen, einige aber eintrafen,
so ging es ihm, wie verschiedenen andern Wahrsagern, daß er
nämlich in Ansehen kam,
und gute Nahrung hatte.
Dieses erweckte unter seinen Mitbrüdern Mißgunst, und ein
anderer Fuchs nahm sich
vor, ihn zu beschämen, und ihm seine Nahrung zu beschneiden.
Dieser gab sich
gleichfalls für einen Wahrsager aus, und wahrsagte mit
solchen Umständen, daß alle
Tiere die Augen auf ihn warfen. Unter anderen Prophezeiungen
war auch diese: der alte
Wahrsager würde im vierten Monat des jetztlaufenden Jahres
durch Gift ums Leben
kommen. Der erste Fuchs war hierüber sehr bestürzt, und er
entschloß sich, in diesem
unglücklichen Monat weder etwas zu essen, noch zu trinken.
Aber da dieses Fasten zu lange dauerte, fiel er endlich aus
Hunger in eine Krankheit,
und starb. Da sich diese Historie ausbreitete, machte ihm
einer diese Grabschrift:
Hier ruht Michel, welcher aus Furcht, durch Gift
umzukommen, sich durch Hunger ums
Leben brachte.
Diese Fabel lehret, daß man, um einen Fuchs zu beschnellen,
einen andern Fuchs dazu
gebrauchen müsse.
Denn es heißt:
Cum Vulpibus vulpinando.
Das ist: Mit Füchsen muß man Füchse fangen.
Fab.58
Die Ursache der Feindschaft zwischen dem Wolfe und Hunde
Ein Kamel, als es sah, daß ein Wolf und ein Hund einander
mit solcher Hitze angriffen,
daß sie sich beide umbrachten, fragte ein Pferd um die
Ursache der beständigen
zwischen dem Hunde und Wolfe. Es meinte, daß keine Kreaturen
mehrere Ursache
hätten, miteinander in Freundschaft zu leben, als eben
diese, indem sie sich in der
Gestalt, in der Stimme und in anderen Stimmen so ähnlich
wären, daß man auch denken
sollte, sie wären von einem Geschlechte und von einem
Stamme.
Das Kamel antwortete darauf: Just diese ihre Ähnlichkeit
verursacht diese Ungleichheit
der Gemüter. Man sagt diesfalls, daß kein Hass größer sei,
als der Hass der Brüder.
Diese Fabel zeiget, daß dasjenige, was der größte Beweggrund
zur Freundschaft und
Einigkeit sein sollte, insgeheim der größte Zunder zur
Feindschaft ist. Denn es heißt:
Figulus figulum odit.
— Ein Töpfer haßt den andern.—
Fab.59
Der Fischotter kuriert
Ein Wolf ward einstmals von einem hitzigen Fieber
angegriffen. Der Fischotter bot ihm
darauf seine Dienste an, mit der Versicherung: er wollte das
Fieber in wenigen Tagen
vertreiben. Der Wolf unterwarf sich auf diese Versicherung
ihrer Kur, aber den Tag
danach starb er.
Dadurch entstand zwischen dem Fischotter und den Angehörigen
des Verstorbenen ein
Prozeß; denn diese bestanden darauf: Die Arznei habe ihn aus
der Welt geschafft.
Der Fischotter hingegen meinte, sie habe ihrem Versprechen
Folge geleistet, und
diesfalls habe sie ihre Bezahlung verdient. Er sagte: Der
Patient starb zwar, aber das
Fieber verließ ihn in der bestimmten Zeit.
Diese Fabel zeiget, daß auf diese Art die größten
Krankheiten zu kurieren sind. Ja diese
Kur schlägt niemals fehl.
Fab.60
Die Elster, ein Redner
Eine Elster lud einstmals verschiedene Tiere und Vögel ein,
um eine Rede anzuhören.
Die Rede war zierlich, aber sie war mit weitläufigen
Einschiebseln und Ausschweifungen
angefüllt, die zur Materie oft gar nicht gehörten. Da sie
mitten in der Rede auf eine
weitläufige Ausschweifung verfallen war, und sie zu Ende
gebracht hatte, mußte sie
ihre Zuhörer fragen, wo sie geblieben war. Aber da diese
sowohl, als sie selbst, sich
dessen nicht erinnern konnten, so hatte die Rede ein Ende.
Diese Fabel zeiget, was einer Rede anstößig ist, und wovor
sich ein Redner zu hüten hat.
nach oben
Fab.61
Der bürgerliche Krieg der Ameisen
Zwei nachbarliche Ameisenhaufen gerieten einstmals in eine
hitzige Uneinigkeit
miteinander, die in einen offenbaren Krieg ausbrach. Die
Ursache dieser Zwistigkeit ist
nicht bekannt, indem man in der Chronik des Waldes nichts
davon findet. Man versäumt
oft, die allerwichtigsten Dinge aufzuzeichnen, da man
hingegen von nichts bedeutenden
Sachen weitläufige Beschreibungen findet.
Doch die Ursache der Zwistigkeiten zwischen diesen
friedsamen Tieren sei, welche sie
wolle, so ist doch dieses gewiß: daß sie zuletzt in eine
offenbare Fehde ausbrach.
So daß der Krieg
solenniter
erklärt ward, und ein jeder dieser Ameisenhaufen gab zu
erkennen, der andere müßte Rechenschaft für alles
unschuldige Blut, daß vergossen
würde, geben. Aber just, da beide Kriegsheere in Ordnung
gestellt waren, und das
Zeichen zum Angriff gegeben war, trug sich eine Begebenheit
zu, welche dem Kriege ein
Ende machte, und diese war folgende:
Ein Hirte, der nicht weit von der Wallstatt lag, und
schlief, ließ zu derselben Zeit, mit
Erlaubnis! einen streichen. Beide Kriegsheere wurden dadurch
so erschreckt, und weil
sie meinten, dieses wäre ein Donnerschlag, mit welchem
ihnen, wegen ihrer Uneinigkeit,
gedroht würde, so folgte auf den Schrecken die Andacht, so
daß sich beide Parteien zum
Vergleiche bequemten.
Diese Fabel lehret, daß die größten Bewegungen oft durch die
kleinsten und geringsten
Zufälle entstehen und gestillt werden. Zu Peter Paarses Zeit
entstand durch diesen
Zufall ein Krieg, hier aber wird ein Krieg dadurch
beigelegt.
Fab.62
Vom Esel, der den Mond verschlang
Einige Leute schöpften einstmals Wasser aus einem Brunnen,
und weil zur selbigen
Zeit der Himmel klar und Mondschein war, so sahen sie den
Schatten des Mondes im
Wasser. Als sie den Brunnen verließen, näherte sich ein
Esel, um daraus zu trinken.
Aber just damals wurde der Mond am Himmel mit einer Wolke
bedeckt, und dadurch
wurde es ganz finster.
Die einfältigen Leute bildeten sich darauf ein, der Esel
habe den Mond verschlungen,
den sie vor kurzem im Brunnen gesehen hatten. Alles geriet
sofort in Bewegung.
Der Esel wurde ergriffen und aufgeschnitten, um den Mond aus
seinem Gefängnis zu
erlösen. Diese Operation war kaum geschehen, da ging die
Wolke vorbei, und der Mond
ließ sich am Himmel wieder sehen. Dies bestärkte sie in der
Meinung, der Mond sei
inzwischen in dem Bauche des Esels verborgen gewesen.
Fab.63
Von einem Manne, der sich ersäufen wollte
Ein junger Kerl, vom Kummer überwältigt, war seines Lebens
überdrüssig, und beschloß
daher, sich selbst zu ersäufen. Da er nun in diesem
verzweifelten Vorsatze ans Wasser
kam, vermißte er seinen Hut, den er vergessen hatte. Er lief
daher stracks zurück um
ihn zu holen; aber indem er den Hut suchte, stellte sich
seine Vernunft wieder ein,
worauf er sich bedachte, und seinen Vorsatz fahren ließ.
Diese Fabel zeiget, daß man großem Unheil vorkommen kann,
wenn man nur einer
starken Leidenschaft etwas Zeit läßt, auszurasen. Dieses
nahm der Kannengießer in
der Komödie in Acht, und darum zählte er bis auf zwanzig,
wenn er zornig war.
Fab.64
Eines angeklagten Weibsbildes Entschuldigung
Ein Weibsbild, das sich hatte beschlafen lassen, ward zum
Stadtvogt gebracht, und von
ihm befragt. Sie konnte die Tat zwar nicht leugnen, sie
suchte sie aber zu entschuldigen.
Diesfalls, als sie der Stadtvogt fragte, ob sie ganz nackend
bei dem Kerl im Bette gelegen
hätte? gab sie zur Antwort: Nein! Ich hatte meine Haube auf.
Aber der Stadtvogt ließ sich
durch diese Entschuldigung nicht bewegen, die Buße zu
mäßigen.
Diese Fabel zeiget, daß man nichts damit gewinnt, wenn man
seiner Sache ein Färbchen
anstreichen will, und daß seine Keuschheit durch keine Haube
beweisen kann.
Fab.65
Die Freierei des Löwen
Ein Löwe buhlte einstmals um eine Bürgerstochter, in die er
sich ganz und gar verliebt
hatte. Diese Partie konnte, wie man leicht denken kann, den
Eltern gar nicht anstehen,
doch aus Furcht vor dem Löwen, wagten sie es nicht, ihm eine
ganz abschlägige Antwort
zu geben. Sie suchten daher nur, ihn mit Komplimenten
aufzuhalten, indem sie
vorgaben, seine Person stünde der Jungfer wohl an, aber,
sagten sie: seine Zähne und
Klauen jagten ihr eine solche Furcht ein, daß sie sich nicht
erkühnen könnte, sich ihm zu
nähern.
Da er nun mit dieser Bedingung das Jawort von der Jungfer
erhalten hatte, so ließ er sich
die Zähne ausreißen und die Klauen abschneiden. Aber die
Eltern, da sie sahen, daß er
nun unbewaffnet war, und seine Stärke verloren hatte, und
sie also diesen schrecklichen
Buhler nicht mehr zu fürchten hatten, wiesen ihn mit Schimpf
und Schande ab, und sagten:
Ihre Tochter wäre keine Partie
für einen gelähmten Löwen.
Diese Fabel lehret, man müsse die Waffen nicht eher
niederlegen, als bis der Friede
geschlossen, und alle Bedingungen erfüllt sind.
Fab.66
Der Hase, ein Solicitant
Ein Hase bemühte sich um eine Bedienung an dem Hofe des
Löwen, und bewog den
Fuchs und eine Gans, welche die einzigen Hofleute waren, die
er kannte, seine Person
bestens zu rühmen. Sie dienten auch dem Hasen darin. Die
Gans sprach für seinen
Verstand, und der Fuchs für seine Ehrlichkeit. Aber, da er
zur Audienz kam, und sich
auf das Zeugnis derjenigen, die er kannte, berief, sagte der
Löwe: Ich hätte dich gerne
angenommen, wenn der Fuchs deinen Verstand, die Gans aber
deine Ehrlichkeit
bezeuget hätten.
Diese Fabel lehret, daß die Empfehlungen böser und
unverständiger Leute denen
Solicitanten mehr schädlich als nützlich sind.
Fab.67
Das Bündnis zwischen dem Fuchs und Wolf
Der Wolf und der Fuchs schlossen einstmals eine Off- und
Defensivallianz miteinander,
und diese Freundschaft desto mehr zu bestärken, vereinigten
sie sich solcherart, daß die
Jungen, welche dem Fuchse gehörten, der Wolf, und der Fuchs
hingegen die Jungen des
Wolfs, als ihre eigenen Kinder auffüttern sollten.
Dieses geschah, und die Wirkung dieser Auferziehung war
diese: Die jungen Füchse
wurden glubsch, und die jungen Wölfe listig, daß man also
nicht merken konnte, von
welchem Stamme sie waren, ausgenommen aus ihrer angeborenen
Gestalt.
Diese Fabel zeiget die Wirkung der Auferziehung bis ins
späte Alter.
Fab.68
Arge alte Weiber
Ein Kaufmann ging einstmals einen solchen Kontrakt mit dem
Teufel ein, daß er, wenn
er einige Jahre einen glücklichen Handel würde geführt
haben, in seine Klauen kommen
wollte; ausgenommen, wenn er ein einziges Mal einige Ware
erhalten würde, für welche
man ihm nicht das geringste geben würde.
Da er nun etliche Jahre glücklich gehandelt hatte, und reich
geworden war, brachte er
unterschiedliche unnütze Waren mit nach Hause aber, so
schlecht sie auch waren, so
wurden sie doch verkauft, obschon sehr wohlfeil. Dieses
setzte ihn in große
Bekümmernis, vornehmlich, weil seine Zeit fast zu Ende war.
Er entschloß sich daher auf
der letzten Reise, eine Ladung von argen alten Weibern mit
sich nach Hause zu führen.
Diese Ladung war die einzigste, auf welche niemand etwas
bieten wollte; und dadurch
ward er von dem Bündnisse befreit, welches er mit dem Teufel
gemacht hatte.
Diese Fabel lehret, daß in einem Hause kein schlimmeres
Hausgerät sein kann, als ein
arges altes Weib.
Fab.69
Der Fuchs, ein beeidigter Richter
Der Fuchs erhielt einstmals durch Empfehlung guter Freunde
das Bürgermeisteramt.
Niemand zweifelte an seiner Tüchtigkeit, aber wenige waren
seiner Ehrlichkeit versichert.
Diesfalls mußte er einen Eid ablegen, daß er weder Geschenk
noch Gaben ansehen und
annehmen wollte. Da der Eid abgelegt war, und dieses der
Wolf erfuhr, so sagte er:
Michel! wie willst du deinen Eid halten? So weit ich dich
kenne, wird dieses eine pure
Unmöglichkeit sein. Der Fuchs antwortete darauf: Bekümmere
dich darum nur nicht;
denn wenn jemand mit Geschenken an Gänsen, alten Hühnern,
jungen Hühnern, oder
was es nur sein mag, zu mir kommt, so habe ich dem
Ratsbedienten Befehl erteilt,
mich zu verleugnen, und mir zu sagen: wenn sie ein Anliegen
vorzutragen hätten, so
mögen sie mit meiner Frau sprechen. Denn so halte ich meinen
Eid.
Diese Fabel lehret, daß die Frau die Missetaten des Mannes
öfters 'beamteln' muß.
nach oben
Fab.70
Der Teufel und die Ziegen
Die Mutter des Teufels übergab ihm einstmals vier Ziegen, um
sie ich ihrer Abwesenheit
zu bewachen. Aber diese machten ihm so viel zu tun, daß er
sie mit aller seiner Kunst
und Geschicklichkeit nicht in der Zucht halten konnte.
Diesfalls sagte er zu seiner Mutter nach ihrer Zurückkunft:
Liebe Mutter! hier sind eure
Ziegen, ich will lieber eine ganze Kompanie Reiter bewachen,
als eine einzige Ziege.
Diese Fabel zeiget, das keine Kreatur weniger in der Zucht
zu halten ist, als eine Ziege.
Fab.71
Vom Fuchs und Esel
Ein Fuchs ward einstmals wegen Untreue und listiger
Ausführung seines Amtes entsetzt.
Dadurch geriet der Löwe auf die Gedanken, daß es nicht gut
wäre, listige Amtleute zu
haben, das sind solche, die ihr Amt allzu gut verstehn, und
er hielt es also für besser,
einfältige Amtleute zu halten, die nicht die
Geschicklichkeit besitzen, listige Streiche
auszudenken und auszuführen.
Er setzte also den Esel in die erledigte Bedienung. Der
Esel, welcher nichts ohne einen
Mithelfer ausrichten konnte, machte sofort den Fuchs zu
seinem Bevollmächtigten.
Die Frucht davon war diese: was der Esel nicht tun konnte,
das tat sein Bevollmächtigter,
von welchem er sich mußte regieren lassen, und der
Bevollmächtigte beging nunmehr
alles Unrecht dreister als zuvor; weil es auf seines
Prinzipals Rechnung und Risiko geschah.
Es war also dadurch dem Amte mit dem Esel
schlechter gedient, als zuvor mit
dem Fuchs.
Diese Fabel lehret, daß der Grundsatz falsch ist: Ein Amt
wäre mit einem Esel besser,
als mit einem Fuchs versehen.
Fab.72
Ein Ziegenbock antwortet dem Wolfe
Da der Wolf einstmals einen jungen Ziegenbock auf einer
Klippe erblickte, so lief ihm
über diese Beute der Mund voll Wasser. Da er aber nicht auf
die Klippe kommen konnte,
so bemühte er sich, den Bock mit süßen Schmeicheleien herab
zu locken. Er sagte:
Fürchte dich nicht mein Sohn! Ich will dir nichts böses tun;
es wäre ja eine
Gewissensache, mit einer so jungen Kreatur so übel zu
handeln, und ihre Eltern zu
betrüben.
Der Ziegenbock antwortete darauf: er hätte gar kein
Bedenken, sich ihm anzuvertrauen,
aber weil er noch jung und unerfahren wäre, so müßte er erst
seine Eltern um Rat
fragen, um von ihnen und andern Tieren zu vernehmen ob auch
ein Wolf Gewissen hätte?
Da nun der Wolf wußte, in welchem Ansehen er bei dem zahmen
Vieh stand, so glaubte
er, es nicht nötig zu heben, die Antwort zu erwarten,
sondern er ging beschämt fort.
Diese Fabel lehret, daß Kinder nichts wichtiges unternehmen
sollten, bevor sie nicht ihre
Eltern um Rat gefragt haben.
Fab.73
Das Ansuchen der Schildkröte, um Läufer zu werden
Als ein Hase, der Läufer gewesen war, gestorben war, so
meldete sich unter andern
Solicitanten auch eine junge Schildkröte, und hielt um die
erledigte Stelle an. Da ihre
Mutter dies erfuhr so sagte sie: Kennst du dich selbst nicht
besser, mein Sohn, daß du
eine Bedienung suchest, wozu kein Tier unbequemer ist als
du?
Der Sohn antwortete darauf: Kennt meine Mutter die Welt
nicht besser, daß sie sich
einbildet, man suche eine Bestallung, um Dienst zu tun? Man
gibt das Amt dem Manne,
und nicht den Mann dem Amte. Da die Mutter darauf sagte,
dieses wäre eine dunkle
Rede, die sie nicht begreifen könnte, so sagte der Sohn:
Liebe Mutter! wir sehen ja
täglich Exempel, daß einer General wird, der kein Herz hat,
einer wird Doktor, der keine
Gelehrsamkeit besitzt. Lasset mich nur raten! Ich habe
Freunde, die mein Ansuchen
unterstützen können.
Er bekam auch, auf Empfehlung seiner Freunde den Dienst, und
zugleich die Erlaubnis,
sich einen Verweser oder Bevollmächtigten zu halten, der den
Dienst versehen könnte,
und inzwischen hob der Prinzipal die Einkünfte.
Diese Fabel lehret, daß dieses auch unter den Menschen
gewöhnlich ist, daher nennt
man die Ämter nicht mehr Bürden, sondern Brot und Wohltaten.
Fab.74
Antwort auf das Ansuchen des Bären
Ein Bär, welcher lange Zeit in einem Gerichte ein Mitglied
gewesen war, suchte einstmals
um weitere Beförderung an. Er führte an, wie viele Jahre er
in dem Gerichte gesessen
hatte. Aber, weil es bekannt war, daß diese ganze Zeit über
seine Verrichtung in nichts
anders, als im Sitzen, bestanden hatte, und daß er so gar in
diesen langen Diensten kein
einziges Glied auch nicht einmal den Kopf oder Steiß
geschwächet hatte. So ward ihm
bewilligt, daß er zukünftig im Gerichte auf einem doppelten
Kissen sitzen möge.
Diese Fabel lehret, daß verschiedene Richter nichts anders
haben, worauf sie sich
berufen können, als ihre vielen
Sedes.
Fab.75
Das peinliche Verhör im Walde
Wenn Tiere, die Missetaten begangen haben, nicht alles
gestehen und bekennen wollen,
suchte man die Wahrheit durch ein peinliches Verhör
auszupressen; aber durch ein
solches, welches keine Übereinstimmung mit der Folterbank
unter den Menschen hat.
Ein Ziegenbock, ward in einem sehr engen Ort auf etliche
Tage eingeschlossen; einer
Elster ward auferlegt, stille zu schweigen; ein Fuchs ward
verurteilt, unter fetten Gänsen
gebunden zu stehen, denen er sich nicht nähern konnte; ein
Hahn durfte des Morgens
nicht krähen; und andere dergleichen.
Und man sagt, daß diese Proben unter den Tieren eben so
große Wirkung getan haben,
als die Folterbank unter den Menschen.
Diese Fabel lehret, man könne die Strafe verändern, und nach
den vornehmsten
Leidenschaften der Menschen einrichten. Man kann also einen
Holländer zum Bekenntnis
zwingen, wenn man ihm den Rauchtabak versagt, einen
moskowitschen Bauer, wenn
man ihm den Branntwein verbietet, einem Franzosen, wenn man
ihm Stillschweigen
auferlegt, und einen Dänen, wenn man ihn verbietet, Butter
zu essen.
Fab.76
Der Fuchs gibt dem Biber einen Rat
Ein Biber hatte bei einem andern vornehmen Biber lange in
Diensten gestanden. Seine
Mitbedienten waren inzwischen, einer nach dem andern,
befördert worden, er aber blieb
beständig in seinem alten Posten. Er beschwerte sich darüber
bei einigen andern Tieren,
insbesonders auch bei einem Fuchs. Der Fuchs fragte ihn, was
die Ursache dieser
Kaltsinnigkeit, die sein Herr gegen ihn allein blicken
ließe, sein möge. Der Biber
antwortete: Es ist noch kein Diener von meinem Herrn so sehr
geliebt worden als ich.
Das ist just das Unglück, sagte der Fuchs. Ich weis dir
keinen besseren Rat zu geben,
als daß du dich durch deine Aufführung eben so verhasst
machst, als du bisher bist
beliebt gewesen.
Der Biber folgte diesem Rate, und befand sich in kurzen sehr
wohl dabei, denn da der
Herr merkte, daß ihm nicht mehr mit ihm gedient war, machte
er sich von ihm auf
gute Art los.
Diese Fabel zeiget, daß der Vorteil mancher Diener durch
ihrer Herren allzu große Liebe
verhindert wird; und weil man sie nicht missen will; so
müssen sie stets in der Sklaverei
bleiben.
Fab.77
Zwistigkeit zwischen Tieren beiderlei Geschlechts
Eine heftige Hauszwistigkeit entstand ehemals zwischen zwei
Eheleuten, nämlich
zwischen einem Leoparden und einer Leopardin. Beide von
ihnen wollten sich die
Herrschaft zuschreiben. Der Leopard berief sich auf das
Recht, welches allen von seinem
Geschlechte nach dem Gesetz der Natur zukommt.
Die Leopardin hingegen berief sich auf die Erfahrung und
Beispiele, welche zeigen, daß
Tiere sowohl als Menschen ihres Geschlechts wirklich die
Herrschaft stets geführt haben.
Da sich nun diese Zwistigkeit unter allen Tieren im Walde
überall ausbreitete, auch in
Güte nicht beigelegt werden konnte, so beschloß man, die
Sache dem Waldgott Pan
vorzustellen, vor welchem sie denn auch durch eine Elster
und eine Elsterin, die man
damals für die größten Prokuratoren im Walde hielt, gehörig
geführt ward.
Nachdem nun die Sache von beiden Parteien mit großer
Wohlredenheit abgehandelt
worden war, ward vom Pan folgendes Urteil gefällt: Die
Männer sollten, wie zuvor, den
Namen und Titel der Herrschaft behalten, weil sie ihnen von
Natur zukämen, und den
Weibern sollte der Herrschaft Gebrauch und Ausübung gehören,
deren Besitz sie durch
eine beständige Ausübung behauptet hätten. Die Unkosten
sollten miteinander
ausgehoben werden.
Die Fabel zeiget, daß von dergleichen Zwistigkeiten auch in
den menschlichen
Gesellschaften kein anderer Ausfall zu erwarten ist.
Fab.78
Von zwei Affen
Zwei Affen standen einstmals an einem Ufer und kurzweilten
miteinander.
Diese Kurzweil dauerte so lange, bis der eine den andern ins
Wasser stieß. Derjenige,
der
dieses tat, arbeitete darauf mit äußersten Kräften, um
seinen Mitbruder zu retten,
damit er nicht ersäufen möge. Er war auch endlich so
glücklich, daß er ihn, obschon
halb tot, ans Land brachte. Darauf suchte er, ihn wieder zu
sich selbst zu bringen und
sagte: Du hast dich bei mir zu bedanken, lieber Bruder! du
siehst, was für Mühe ich
gehabt habe, dein Leben zu retten. Der andere sagte darauf:
Ich wollte dir gerne Dank
sagen, wenn du dir keine Mühe gemacht hättest, mich zuerst
ins Wasser zu stürzen.
Diese Fabel lehret, daß man demjenigen keinen Dank schuldig
ist, der seinen Nächsten
aus Not und Gefahr rettet, wenn er ihn zuvor selbst hinein
gestürzt hat.
Fab.79
Von der Maus und Spinne
Eine Maus hörte einstmals, daß eine Magd eine Kammer
reinigen wollte, in welcher eine
Spinne mit ihrem Gewebe war. Die Maus war mitleidig,
diesfalls warnte sie die Spinne,
daß sie sich beizeiten mit der Flucht retten möge. Einige
Zeit danach erfuhr die Spinne,
man wollte eine Katze in die Speisekammer einschließen, in
welcher die Maus ihren
Aufenthalt hatte. Dieses meldete die Spinne der Maus, und
riet ihr, in ein Loch zu
kriechen. Da ihr die Maus gefolgt war, so spann die Spinne
vor dem Eingang des Loches.
Die Katze, welche stark stöberte, merkte wohl, daß sie bei
einem Mäuseneste wäre;
allein, weil sie das Spinnengewebe vor dem Loch fand, so
schloß sie daraus, es müsse
leer sein, und daher bekümmerte sie sich nicht weiter darum.
Diese Fabel lehret, daß kein Tier so geringe sei, daß es
nicht etwas Böses oder Gutes
tun könne; desgleichen finden wir allhier ein Beispiel der
Dankbarkeit.
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Fab.80
Welche Kreatur die tapferste ist
Man stritt einstmals im Walde über folgende Frage: Welche
Kreatur die dreisteste und
mutigste wäre?
Der Löwe meinte, ihm gehöre der Preis, denn er wäre ja allen
Tieren und Menschen ein
Schrecken; der Elephant rühmte sich dessen gleichfalls indem
er so viele große Siege,
die durch die Elephanten waren erhalten worden, herrechnete.
Ein jedes Tier und ein jeder Vogel sprachen nacheinander für
ihre Sache, und die meisten
führten verschiedene Beweisgründe an. Dadurch wurden
diejenigen, welche man in
dieser Streitigkeit zu Richtern gesetzt hatte, ganz
zweifelhaft, daß sie also nicht
wußten, wem sie diese Eigenschaft zusprechen sollten. Just
damals meldete sich eine
Fliege, und verlangte Audienz. Die anderen Tiere und Vögel
lachten darüber, und
verspotteten sie.
Gleichwohl blieb die Fliege bei ihrer Meinung und, da sie
endlich vorgelassen ward, sagte
sie: Wenn Kaiser, Könige, Fürsten und große Prälaten sich
dem päpstlichen Throne
zitternd nähern, um dem Papst die Füße zu küssen, so habe
ich keine Bedenken, mich
auf seine Nase zu setzen. Da ihr nun dieses niemand leugnen
konnte, so erhielt sie den
Preis.
Diese Fabel zeiget, die Gründlichkeit dieses Urteils, und
wenn einige griechisch
verstanden hätten, so hätten sie es aus dem Homer beweisen
können, der von einem
griechischen Helden erzählte, die Götter hätten ihn mit dem
Mute und mit der Tapferkeit
einer Fliege begabt.
Fab.81
Von der Biene und Spinne
Eine besondere Zwistigkeit entstand zwischen der Biene und
Spinne über die Frage:
Welche von ihnen die künstlichste und größte Fabrikantin
wäre? Die Spinne berief sich
auf ihre Arbeit, auf ihr künstliches und feines Gewebe. Die
Biene hingegen zeigte, daß in
ihrer Arbeit beides, große Kunst und großer Nutzen wäre; und
dadurch erhielt sie den Preis.
Diese Fabel zeiget, daß diejenigen Arbeiter am höchsten zu
schätzen sind, in deren
Arbeit Kunst und Nutzen ist, und das diesfalls ein
Baumeister, ein Gärtner u.d.g. den
Rang über einen Bildhauer, Maler Kupferstecher und andere
Künstler haben müsse, in
deren Arbeit nur allein Kunst, aber kein Nutzen, anzutreffen
ist.
Fab.82
Der Fuchs und das Chamäleon
Der Fuchs begegnete einstmals im Walde dem Chamäleon. Das
Chamäleon, welchem des
Fuchses Hurtigkeit und besondere Gabe, Beute zu erhaschen,
bekannt war, bemühte
sich, sich mit ihm zu vereinigen, und ein freundschaftliches
Bündnis mit ihm aufzurichten.
Der Fuchs antwortete darauf: er wolle gerne Freundschaft
machen, aber nicht länger als
auf vierundzwanzig Stunden denn, sagte er: du bist heute
nicht mehr, was du gestern
warst, noch was du morgen sein wirst, und ich schließe
daraus: dein Herz sei ebenso
veränderlich, wie deine Haut.
Die Fabel lehret, man könne mit unbeständigen Menschen keine
Freundschaft schließen.
Fab.83
Der Fuchs und der Teufel
Ein Fuchs begegnete einstmals dem Teufel, den er grüßte,
indem er sagte: Guten Abend,
Herr
Collega!
Der Teufel stutzte darüber und sagte: Bin ich dein
Collega?
Der Fuchs
antwotete darauf:
Propter communia studia
nenne ich dich also, und weil es scheint,
wir wären miteinander in die Schule gegangen. Denn wie es
deine Profession ist, die
Menschen zu betrügen, so ist es meine Profession, die Tiere
im Walde zu betrügen.
Aus dieser Antwort urteilte der Teufel, der Fuchs habe sich
im Titel gar nicht versehen,
daher sagte er zu ihm, als er fortging: Lebe wohl, Herr
Collega!
Fab.84
Der Fuchs und der Ochs
Nachdem der Fuchs alt und schwach geworden war, und seine
Nahrung nicht mehr auf
seine gewöhnliche Art erhalten konnte, nahm er sich vor, ein
Schulmeister zu werden,
und den Tieren und Vögeln ein
Collegium politicum
zu lesen. Er erhielt auch von
allerhand Kreaturen Scholaren, und alle bezahlten ihm beim
Schlusse des
Collegii
das
ausbedungene
Salarium.
Der einzige Ochse weigerte sich, zu bezahlen, und er
forderte
sogar auch die
Praenumeration
zurück. Er führte zur Ursache dieser Weigerung an:
er habe nichts daraus gelernt.
Darüber entstand zwischen dem Lehrer und Schüler ein Streit.
Der Ochse fragte eine
Elster um Rat, die sich erbot, seine Sache um einen billigen
Preis zu führen. Der Fuchs
hingegen war sein eigener
Procurator.
Die Sache ward vor dem Elephanten geführt,
welcher diese Urteil sprach: Obschon der Schüler dennoch so
unerfahren, wie zuvor ist,
so ist die Schuld doch nicht dem Lehrer beizumessen, sondern
dem Schüler, weil er ein
Ochse ist.
Die Fabel lehret, daß man, gleichwie man den Ärzten oft
Unrecht tut, wenn sie gewisse
Patienten nicht kurieren können, auch den Lehrern dieses
ohne Ursache zur Last legt,
wenn sie nicht aus einem jeden Holze einen Merkur schnitzen
können.
Hätte der Fuchs von dem Ochsenkopfe ein doppeltes
Salarium
gefordert; so hätte er
dazu Fug und Recht gehabt.
Fab.85
Der Storch, ein Quacksalber
Ein Storch gab sich für einen Arzt aus, obschon er in der
Medizin unerfahren war. Weil er
nun dreist und großsprechend war, so bekam er manchen
Patienten. Hierüber bezeigten
die andern graduierten Tiere ihren Verdruß, und endlich
ließen sie ihm das praktizieren
verbieten. Der Storch meinte, man täte ihm dadurch Unrecht,
indem er vorgab: es hätte
bisher niemand von seinen Patienten über ihn geklagt. Darauf
erhielt er zur Antwort: es
könne dieses gar wohl wahr sein, indem es glaublich wäre,
daß sie alle unter seiner Kur
gestorben wären.
Fab.86
Die Affen und der Bär
Einige Affen suchten gemeinschaftlich Wasser, um ihren Durst
zu löschen. Sie kamen
endlich an einen Brunnen; weil aber der Brunnen so tief war,
daß sie das Wasser nicht
erreichen konnten, so waren sie ganz ratlos.
Ein Bär näherte sich dem Brunnen mit eben diesem Vorsatze.
Er gab ihnen darauf den
Rat, einer der Affen sollte ein Gefäß nehmen, um Wasser
damit zu schöpfen, und jeder
sollte sich an den Schwanz des andern festhalten, bis der
letzte, der das Gefäß hätte,
das Wasser erreichte. Die Affen antworteten darauf: Der
Anschlag schien zwar gut genug
zu sein, aber fanden auch, die Last würde demjenigen, der
die andern alle nebst dem
Gefäße halten sollte, zu schwer werden.
Der Bär sagte: Ich bin stark genug, euch alle zu halten, und
wenn eurer auch noch
einmal so viel wären. Sie fanden darauf die Sache für gut.
Der Bär ergriff mit seinen
Tatzen das Geländer des Brunnens, der erste Affe hielt sich
darauf an seinem Schwanz,
und die andern, einer nach dem andern folgten ihm nach. Da
sie in dieser Arbeit waren,
kam ein Fuchs und fragte: was dieses zu bedeuten hätte? Der
Bär erklärte ihm die
Sache, und sagte zugleich, die Last wäre schwerer, als er
geglaubt hätte, und seine
Tatzen brannten ihm bereits vor Hitze. Der Fuchs sagte: Du
mußt ein wenig ausruhen,
um in deine Tatzen zu blasen.
Der Bär folgte diesem Rate, und rief den Affen zu: Haltet
fest, liebe Freunde! ich will in
meine Tatzen blasen, um neue Kräfte zu schöpfen. Darauf
fielen sie alle ins Wasser, und
ersoffen nebst dem Bären.
Diese Fabel zeiget ein Beispiel der List und der von
Dummheit.
Fab.87
Ein Ziegenbock und eine Auster
Ein Ziegenbock ward einer Auster gewahr, die am Strande auf
einer Klippe lag und
überall herumgaffte. Der Ziegenbock sagte zu ihr: Pfui!
schäme dich, du faules Tier,
daß du stets unbeweglich auf einer Stelle liegst. Ich bin
heute bereits etliche Meilen über
Klippen und Berge gegangen, und in dieser Bewegung bin ich
vom Morgen bis zum
Abend.
Die andere antwortete darauf: Mein lieber Herrmann! indem du
in einer öfteren
Bewegung und in beständiger Arbeit bist, die doch nichts zu
bedeuten hat, habe ich,
obgleich du mich schon für ganz sorgenlos ansiehst, und mich
der Faulheit beschuldigst,
eine Perle erzeugt, die mehr wert ist, als tausend
Ziegenböcke wert sind.
Diese Fabel zeiget, daß manche Menschen über nichts doch
sehr geschäftig sind, und
daß diejenigen, welche kaum in der mindesten Bewegung sind,
und fast müßig gehen,
die größten Sachen in der Welt verrichten.
Fab.88
Der Affe und der Mann
Ein Affe fragte einstmals einen Mann, der ihm im Wald
begegnete, ob es wahr wäre,
daß ein großer Philosoph unter den Menschen gesagt hätte,
die Elefanten wären die
klügsten unter den Tieren? Der Mann antwortete: Dieses wäre
allerdings wahr, und die
meisten gelehrten Leute wären derselben Meinung. Die Tiere,
sagte der Affe, sind
anderer Meinung, denn sie halten den Fuchs einstimmig für
das klügste Tier.
Das kommt daher, sagte der Mann, daß man List und Weisheit
miteinander
verwechselt. Und darum hält man den Fuchs für das weiseste
Tier, obgleich er schon
eigentlich das listigste heißen sollte.
Diese Fabel zeiget, dieser Satz sei sehr wohl begründet,
denn die Erfahrung lehrt, daß
die listigsten Menschen wegen Mangel an Weisheit,
gemeiniglich in die Schlingen fallen,
die sie andern aufstellen.
Fab.89
Jupiters Gesandtschaft an den Pan
Jupiter fertigte einstmals eine Gesandtschaft an den
Waldgott Pan ab. Ein Pfau ward zum
Gesandten ernannt, und ein Fuchs ward
Gesandtschaftssekretär. Die andern Götter
kritisierten die Auswahl sehr stark, weil sie meinten, der
Fuchs sollte wegen seiner
Klugheit die Hauptperson sein.
Aber Jupiter zeigte ihnen, daß ihr Urteil falsch wäre, weil
er den Gesandten erwählt hätte,
um eine prächtige Figur zu machen, den Sekretär aber, um die
Sachen zu verrichten.
Wenn man, sagte er, den verschlagenen Kopf des Fuchses auf
den prächtigen und
glänzenden Rumpf des Pfaues setzt, so ist die Gesandtschaft
vollkommen, und so, wie sie
der Gewohnheit nach, zu sein pflegt.
Man sieht aus dieser Fabel, daß diese Staatsmaxime, welche
dennoch unter den
Menschen beobachtet wird, sehr alt sein muß.
nach oben
Fab.90
S. T
Ein Richter, der erst kürzlich das Amt erhalten hatte, und
diesfalls auf sich selbst ein
wenig mißtrauisch war, fragte einen Juristen um Rat, was für
ein Urteil er über einen
Missetäter, der große Missetaten begangen hatte, sprechen
sollte?
Da nun der Jurist die Sache genau untersucht hatte, und
gefunden, daß alles aufs
kräftigste und begründet bewiesen war, so sagte er: Der Herr
Richter kann keine Gefahr
laufen, wenn er das Urteil aufs schärfste einrichtet, denn
einem solchen Missetäter ist
keine Strafe groß genug.
Aus dieser Ursache fällte der Richter diesen Spruch: daß,
nachdem alle angeführten
Beschuldigungen klar und deutlich erwiesen wären, der
Schuldige so wohl zum
zeitlichen als ewigen Tode verurteilt würde.
Diese Fabel zeiget, die Menschen können keine Strafe
diktieren, welche über das
menschliche
Forum
ist.
Fab.91
Die Ärzte und Advokaten
Zu der Zeit, da Tiere, Vögel, Bäume und Pflanzen reden
konnten, fand man mehr
Tugenden und Laster unter ihnen, als jetzt. Sie waren auch
unterschiedlichsten
Krankheiten unterworfen, von denen man jetzt nichts weiß.
Bloß auf der westlichen
Seite des Waldes, welche durch einen dagegen laufenden Fluß
abgesondert war,
war ein Land, in welchem die Tiere in beständiger Gesundheit
und brüderlicher
Einigkeit lebten. Einige schrieben das der Veränderung der
Luft zu; aber ein Adler,
der sich einige Zeit in diesem Lande aufgehalten hatte,
entdeckte ihnen die wahre
Ursache, und diese war folgende:
Die Obrigkeit desselben Landes hätte auf einmal alle Ärzte
und Advokaten vertrieben,
und seitdem hätte man weder von Krankheiten noch Prozessen
gehört.
Fab.92
Auf welche Art eine heilige Schlange gestraft wurde
Ein Hierophite, das ist eine der heiligen Schlangen, von
denen schon zuvor Meldung
geschehen ist, ward einstmals wurde einst auf einer bösen
Tat ertappt. Der Sünder
konnte sie zwar nicht leugnen, aber er wollte sich
entschuldigen, und sagte:
Sein Gewissen wäre lauter und rein, und dasjenige, was die
Missetat begangen hätte,
wäre nichts anderes als sein Körper, oder das äußerliche
Futteral, und sein Inwendiges
hätte nicht den geringsten Teil weder daran gehabt, noch
haben können.
Der Richter fragte ihn darauf, wo sein Gewissen oder seine
Seele ihren Sitz hätte?
Der Hierophite antwortete: Im Herzen. Darauf ward das Urteil
gesprochen: Der Beklagte
sollte seine Haut missen, oder lebendig geschunden werden.
Und der Scharfrichter
erhielt Befehl, sich wohl vorzusehen, damit das Herz, in
welchem das reine und
unschuldige Gewissen seinen Sitz hätte, nicht beschädigt
werden möge.
Diese Fabel zielt auf gewisse fanatische Leute, welche
gleiche Lehrsätze angenommen
haben.
Fab.93
Von der Elster und von dem Hummer
Eine Elster schlich sich einstmals an das Ufer, um zu
versuchen, ob sie nicht einige
Fische belauern könnte. Dieses bemerkte ein Hummer, und
diesfalls legte er sich auf den
Rücken, als wenn er tot wäre. Die Elster rief darauf ein
paar ihrer Mitbrüder zu Hilfe,
um sich dieser Beute zu bemächtigen. Aber da sie sich dem
Hummer näherte, ward sie
von seinen Scheren ergriffen und fortgeschleppt. Die übrigen
Elstern nahmen darauf die
Flucht, und erzählten diese Begebenheit anderen Vögeln mit
großer Verwunderung, indem sie sagten:
man hätte sich einer
solchen List von einem so dummen Fische
nimmer versehen.
Der Adler antwortete darauf: Das Volk, welches wenig oder
nichts redet, denkt desto mehr.
Diese Fabel lehret, man werde unter den Menschen dergleichen
Beispiele genug finden.
Fab.94
Die Klage des Eichbaums wird beantwortet
Ein Eichbaum beschwerte sich einstmals darüber, daß die
gemeinen Vögel ihre Nester
in seinen Wipfel machten, und sein Laub mit ihren
Unreinigkeiten befleckten.
Allein einer, der diese Klage hörte, sagte darauf: Jupiter
muß ja vertragen, daß die
Schwalben und andere Vögel ihre Nester in seinen Tempel
machen, und daß man
allerhand Unreinigkeiten neben ihn wirft.
Da der Eichbaum dieses hörte, hörte er auf zu klagen, und
gab sich zufrieden.
Diese Fabel lehret, daß manche nicht die geringste
Unreinigkeit, die man vor ihr Haus
wirft, vertragen können, aber dazu stille schweigen, wenn
Kirchhöfe und andere heilige
Örter aufs ärgste besudelt werden.
Fab.95
Das unerwartete Ende des Affen
Ein Affe, der einige Jahre ein Tanzmeister gewesen war,
nunmehr aber des Alters wegen,
keine Nahrung mehr hatte, entschloß sich aus Verzweiflung,
sich zu ersäufen.
In diesem Vorsatze stieg er auf ein hohes Ufer, um sich ins
Wasser zu stürzen; weil aber
an der Seite des Ufers ein Dornbusch war, so blieb er mit
dem einen Beine darinnen
hängen, und erhielt dadurch einen andern und langsameren Tod
als er erwartet hatte.
Ein Adler, der damals vorbeiflog, und diese Begebenheit mit
ansah, sagte darauf:
Was henken soll, ersäuft in keinem Wasser. Ein Kuckuck
machte zum Andenken dieses
Todesfalles folgenden Vers:
Amtsmäßig hüpfte er aus dieser schlimmen Welt.
Hat größere Sprünge wohl ein Tänzer angestellt?
Diese Fabel lehret, es könne niemand derjenigen Todesart
entgehen, die ihm bestimmt ist.
Fab.96
Der Fuchs und der Wolf
Ich habe oben die List des Fuchses erzählt, welche er
gebrauchte, einen Bauern zu
betrügen, indem er sich für tot vor den Bauernwagen legte,
und etliche Hiebe mit der
Fuhrmannspeitsche ausstand. Kurz danach begegnete ihm ein
magerer und hungriger
Wolf, dem er denn erzählte, mit welcher Erfindung er sich
der fetten Ware des Bauern
bemeistert hatte, und er riet dem Wolfe, seinem Beispiele zu
folgen, aber, sagte er,
du mußt mit Geduld etliche Hiebe mit der Wagenrunge
aushalten, um dem Bauer in der
Meinung du wärst tot, zu bestärken.
Der Wolf bedankte sich für die gute Unterweisung, und legte
sich mit ausgestreckten
Füßen vor den Wagen eben desselben Bauern. Der Bauer, dem
der Streich des Fuchses
noch frisch im Gedächtnis schwebte, und nunmehr den Wolf in
derselben Gestalt vor
sich liegen sah, sagte zu ihm: Ich bin einmal betrogen
worden, aber ich will mich nicht
mehr narren lassen. Weil er nun eine große eiserne Stange im
Wagen hatte, so gab er
dem Wolfe einen solchen Schlag damit, daß ihm alle Knochen
knackten.
Der Wolf, der dergleichen gewärtig war, hielt zwei solche
Schläge mit heroischer
Standhaftigkeit aus; aber da der Bauer nicht aufhörte, auf
ihn loszuschlagen, bis er ganz
gelähmt war, so merkte der einfältige Wolf, daß er vom
Fuchse angeführt worden war,
und darauf schleppte er seine ganz zerschlagenen Glieder
fort.
Diese Fabel lehret, man soll durch Schaden klug werden.
Fab.97
Die Andacht der Wölfe
Da der Schäfer Meliböus einstmals durch den Wald ging, und
gegen eine Höhle kam,
hörte er ein schreckliches Heulen und Seufzen. Er fragte
darauf einen Wolf, der am
Eingang der Höhle gleichsam Schildwacht stand, was dieses
Seufzen bedeuten sollte?
Der Wolf sagte darauf: Rede nicht so stark, meine Mitbrüder,
die andern Wölfe, sind in
ihrer Andacht, und ich bin hierher gestellt worden, um zu
verhindern, daß niemand
kommen und sie in ihrer Andacht stören möge.
Dem Schäfer, dem die boshafte Natur der Wölfe bekannt war,
sagte darauf: Dergleichen
Andacht wäre mit ihrer Lebensart wenig übereinstimmend,
sonst würde es ihm sehr lieb
sein, wenn sie ein besseres Leben führen wollten.
Die Schildwache sagte: Das ist endlich ihr Vorsatz eben
nicht; denn diese Stunde ist die
gewöhnliche Pönitenzstunde, welche wöchentlich einmal
abgehalten wird. So bald die
Andacht zu Ende ist, so nehmen sie ihre vorigen Hantierungen
wieder vor.
Der Schäfer sagte nunmehr: Wäre es nicht besser, sie beteten
weniger, und lebten desto
ordentlicher? Nein, antwortete der Wolf, wir können
unmöglich mit rechtschaffener
Andacht beten, wenn wir nicht wacker gesündigt haben. Je
größer die Missetaten sind,
je eifriger ist auch die Buße.
Der Schäfer ging darauf, durch diese Rede ganz verwirrt,
fort, doch sagte er zuletzt bei
sich selbst: Wenn ich der Sache recht nachdenke, so scheint
es mir, daß es unter den
Leuten in unserm Dorf eben so zugeht.
Diese Fabel zeiget, daß man bei den meisten Menschen eine
Abwechslung der
Gottlosigkeit und der Andacht findet.
Fab.98
Der Fischotter und der Fuchs
Als der Fischotter sah, daß der Fuchs mit den Hühnern und
Gänsen so übel Haus hielte,
warf er ihm die Tyrannei vor, die er gegen diese
unschuldigen Kreaturen ausübte.
Der Fuchs sagte darauf: Sage mir doch, macht dich das
Mitleiden oder die Mißgunst zum
Katecheten? Der Fischotter antwortete: Das pure Mitleiden.
Frage nur andere Tiere, ob
mir jemand dergleichen vorwerfen kann? Das ist dein Glück,
sagte der Fuchs, daß die
Fische stumm sind; denn wenn sie reden könnten, würde man
verzweifelte Historien
erfahren, und die Chroniken der Fischotter würden ebenso
ärgerlich, als der Füchse ihre,
werden.
Diese Fabel lehret, daß wenn jemand einen andern
zurechtweisen will, derselbe erst vor
seiner eigenen Türe fegen müsse.
Fab.99
Die Klage des Mondes
Der Mond beschwerte sich einstmals bei seiner Mutter über
die Hunde, die ihm ganze Stunden
mit größter Bitterkeit anbellten. Er meinte, dergleichen
weder bei Tieren noch Menschen
verschuldet zu haben.
Die Mutter sagte darauf: Ey! mein Sohn! Nimm dir dieses
nicht so sehr zu Herzen. Die Hunde sind
mehr zu beklagen, die sich heiser bellen, als du, da du so
weit von ihnen entfernt bist.
Diese Fabel lehret, daß die Scheltworte törichter Leute zu
verachten sind, denn sie
schaden damit niemanden, als sich selbst.
Fab.100
Die Klagen des Tigers
Ein Tiger beschwerte sich über die Kürze des Lebens, und
warf dem Schicksal vor, es
ließe gewisse geringe und unedle Tiere, als Krähen uns
Hirsche drei Menschenalter
erreichen, da die edelsten Tiere hingegen nur eine so kurze
Zeit zu leben hätten. Ein
Esel, der diese Klagen hörte, sagte darauf: Wenn erwürdige
Excellenz es nicht
ungnädig aufnehmen wollen, so könnte ich ihnen sagen, man
habe größere Ursache,
sich über das Schicksal zu beschweren, weil es die Tiger,
Bären, Wölfe und andere
wohlgeborene und schädliche Tiere so lange leben läßt. Ihr
habt Tage genug zu leben,
wenn ihr sie nur dazu anwenden wollet, was gut und nützlich
ist. Ihr lebt zehnmal so
lange als ein Hirsch, weil eure Aufführung zehnmal mehr
Materie zu ärgerlichen
Chroniken gibt.
Diese Fabel zeiget, daß die Menschen sich unbilliger Weise
über die Kürze des Lebens
beschweren: Das Leben ist lang genug, wenn es nur besser
angewendet würde.
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