Fabeln 4
 

Fabeln 3
 


Fab.101
Die Klage der Nacht über den Mond

Die Nacht beschwerte sich einstmals über den Mond, und gab vor: Es wäre schon hart
genug, daß die Sonne ihr Regiment unterbräche. Doch darein könnte sie sich noch
schicken: indem die Sonne die Nacht, Nacht sein ließe, und die Zeit unter sie in gleiche
Teile teilte; aber daß der Mond sich sogar der Hälfte des anderen Teiles zueignete, das
wäre unerträglich.
Jupiter riet der Nacht, von einem so ungegründeten Vortrage abzustehen, indem er
sagte: wenn die Sache vor einem ordentlichen Gerichte sollte verhandelt werden; so
könnte sie ihre Herrschaft ganz und gar verlieren, denn man würde sie überzeugen
können, daß sie den Dieben und Räubern zu einem Deckmantel diente, unter welchem
sie weit mehrere Missetaten ausüben würden, wenn solche der Mond durch seinen
Schein nicht zuweilen verhinderte.
Da die Nacht dieses hörte, gab sie sich zufrieden, und nahm ihre Klage zurück.

Diese Fabel zeigt, daß der Mond nicht vergebens an den Himmel gesetzt ist, und daß er
ehrlichen Leuten eben so nützlich ist, als er den Dieben und Räubern einen Schrecken einjagt.

Fab.102
Ein Esel wird geadelt

Der Esel ließ sich einstmals adeln, und deswegen brüstete er sich unter seinen
Mitbrüdern und anderen Tieren. Eine Elster, die dieses hörte, sagte darauf: Ein Esel
kann durch nichts verändert werden, er mag auch eine Gestalt annehmen, welche er
will, man mag ihn adeln oder zum Doktor machen, er wird doch immer ein Esel bleiben.

Diese Fabel erklärt sich selbst.

Fab.103
Die Verwandlung der Gans, des Schweins und der Katze

Ein Mann verlor in einem Jahre drei Töchter, deren Verlust ging ihm so sehr zu Herzen,
daß er vor Gram und Kummer fast gestorben wäre.
Jupiter erbarmte sich seines elenden Zustandes, und ließ ihm durch den Merkur wissen,
die ersten drei Tiere welche ihm begegnen würden, sollten in artige Jungfrauen
verwandelt werden. Dieses geschah auch.
Das erste das ihm begegnete war eine Gans, und diese ward sofort in eine Jungfer
verwandelt. Das andere war eine Sau, und diese erhielt eben diese Gestalt. Das dritte
war eine Katze, und diese ward auf eben diese Art verwandelt. Der Mann ließ sie alle
drei mit großem Fleiße unterweisen, als wenn sie von ihm selbst herstammten.
Nach einiger Zeit wurden sie verheiratet.
Der Vater besuchte darauf seine Schwiegersöhne um zu hören, wie sie mit ihren Weibern
zufrieden wären.
Der Erste sagte: Seine Frau wäre gänzlich nach seinem Sinne, nur dieses, sagte er, ist an
ihr auszusetzen, daß sie ein wenig dumm ist. Das heißt nichts, sagte der Schwiegervater
das hat sie von ihrer Mutter.
Der Andere rühmte an seiner Frau manche guten Eigenschaften und sagte: es fehle ihr
nur dieses, daß sie etwas säuisch wäre. Das hat nichts zu bedeuten, sagte der Vater,
ihre Mutter war eben so.
Der Dritte sagte: Meine Frau ist ein Muster einer rechtschaffenen und artigen Frau, aber
sie hat doch einen besonderen Fehler, und zwar diesen: So oft sie des Nachts eine Maus
oder eine Ratte hört, so springt sie aus dem Bette, und läuft ihnen nach. Eben diese
Gewohnheit hatte auch ihre Mutter, sagte der Schwiegervater.

Diese Fabel zeigt, daß die Natur über die Auferziehung geht.

Fab.104
Der Teufel und der Fuchs

Der Teufel und der Fuchs bestimmten einstmals demjenigen einen gewissen Preis,
welcher den anderen am meisten narren könnte. Sie benannten auch einen gewissen Ort
wo sie die Probe machen wollten.
Der Fuchs erschien zur bestimmten Zeit an diesem Orte, aber Teufel blieb außen. Man
meint, seine Mutter, der die List des Fuchses bekannt war, hätte ihm abgeraten, zu
erscheinen. Es ist nicht zu beschreiben, was für einen großen Namen dieses dem Fuchse
zuwege brachte. Er ward stracks darauf für den Oberpolitikus erklärt, und alle Tiere,
auch sogar seine Feinde, mußten gestehen, er habe diese Würde mit Recht verdient;
denn kann wohl eine größere Probe der Politik und Staatsklugheit abgelegt werden, als
daß er den Teufel von der Schule geschlagen hatte?

Fab.105
Der Wolf entschuldigt sich vor Gericht

Der Wolf ward einstmals einer großen Missetat beschuldigt, und vor Gericht geführt, wo
er verurteilt werden sollte. Er erkühnte sich nicht, die Tat zu leugnen, allein er schob die
Schuld auf den Waldteufel, Aßidämon, auf dessen Eingeben und Versuchung, welcher
kein schwaches Tier widerstehen könnte, sie geschehen wäre.
Der Biber der ein vernünftiger Richter war, durfte zwar die Macht des Waldteufels nicht
leugnen, weil der gemeine Mann dieselbe durchgängig glaubte. Er fällte daher das Urteil
folgender Gestalt: Der Affe, als der Scharfrichter des Waldes, sollte dem Angeklagten ein
Ohr abschneiden, und dieser sollte hernach bei seinem Hauptmanne, Aßidämon, seinen
Regreß suchen, der ihm ein anderes Ohr wieder geben sollte.
Dieses Urteil ward überall gepriesen, weil die Strafe so eingerichtet war, daß gegen die
Orthodoxie des Waldes nicht verstoßen ward.

Diese Fabel lehrt, man könne dem Schuldigen erlauben, den Teufel zu zitieren, den Dieb
aber doch aufhängen.

Fab.106
Ein anderes vernünftiges Urteil des Bibers

Ein Luchs, der kurz danach vor eben denselben Richter angeklagt worden war, wollte
seiner Missetat damit ein Färbchen anstreichen, daß er sagte: Es wäre schon längst im
voraus bestimmt gewesen, daß es geschehen hätte sollen, und niemand könne dem
Schicksale widerstehen.
Der Biber tat den Ausspruch: Es sollten dem Luchse zur Strafe beide Augen vom Affen
ausgestochen werden; dabei sagte er: die Strafe wäre sowohl als die Missetat voraus
bestimmt gewesen, und man könne dem Schicksale eben so wenig in dem einen, als in
dem andern, widerstehen.

Diese Fabel enthält mit voriger Fabel einerlei Lehre.

Fab.107
Vom Affen, der sich den Tod wünschte

Ein alter Affe, der von Krankheit und Alter ermattet war, wünschte sich jeden Tag den
Tod. Nachdem er nun einige Zeit Abends und Morgens diesen Wunsch wiederholt hatte,
fand sich endlich der Tod in der Höhle des Affen ein, und fragte: Ob hier nicht ein alter
Affe, des Namens Morten wohnte? Der Affe ward über diese Erscheinung erschreckt und
antwortete: Nein, er wohnt hier nicht, er ist mein Nachbar, der in der nächsten Höhle
wohnt. Der Tod sagte: Die Wünsche sind aus dieser Höhle gekommen. Der Affe sagte
darauf: So müssen sie von meiner Frau gekommen sein. Darauf ging der Tod fort, und
sagte: Ich dachte es wohl, daß es nicht dein Ernst war.

Diese Fabel lehrt, daß manchen Menschen, die den Tod am öftesten rufen, bei der
Ankunft desselben am meisten bange ist, so, daß sie bei seiner Ankunft mit dem Affen
sagen: Gehe zuvor zu meinem Nachbar.

Fab.108
Dem Wolf mißlingt die List gegen die Schafe

Da der Wolf gehört hatte, auf welche Art die Katze die Mäuse beschnellt hatte, indem sie
sich ihren Balg färben ließ; so suchte er nach ihrem Beispiele die Schafe zu überraschen.
Er wickelte sich daher in eine Schafshaut, und legte sich auf einen Weg, wo er wußte,
daß einige Schafe herkommen würden.
Die Schafe ließen sich durch die Kleidertracht betrügen, und näherten sich ihm ohne
Furcht; sie würden ihm auch unfehlbar eine Beute geworden sein, wenn er das Maul
gehalten hätte. Aber da er sich bemühte, sie mit süßen Worten zu locken, daß sie sich
ihm nähern möchten, merkten sie, daß es keine Stimme eines Schafes war, sondern
daß ein Wolf unter diesen Schafskleidern verborgen lag. Deshalb riefen sie stracks den
Hund um Hilfe, und der Wolf mußte sich mit der Flucht retten.
Als der Fuchs, dem man diese Historie erzählt hatte, den Wolf danach begegnete, sagte
er: Mein guter Isegrim! Warum hieltest du nicht dein Maul? Deine Stimme verriet dich.
Si tacuisti, Philosophus mansisses.

Diese Fabel lehret, daß manche durch eine Rede zur Unzeit diejenigen Dinge einbüßen,
die sie durch Stillschweigen erlangen würden. So ging es auch einem Jüten; dieser, als
er an einem großen Feste sah, daß alle, welche deutsch redeten, und dem Türwärter:
Mach auf! zuriefen, eingelassen würden, näherte sich der Pforte, und sagte:
A er ogsaa en Tydsker, Farlille!*
*Dieses heißt im Deutschen: Ich bin auch Deutscher, liebes Väterchen!

Fab.109
Der Affe, ein gekrönter Poet

Der Affe machte einmal einen Vers, dieser ward für ein Muster der Waldpoesie angesehen
und alle schwuren darauf, er wäre der größte Poet, den der Wald seit langer Zeit
hervorgebracht hätte. Er ward auch dafür herrlich belohnt; denn er ward mit einer
poetischen Krone gekrönt, und mit prächtigen und glänzenden Titeln, und unter andern
mit dem Namen eines Sohnes des Phöbus und Apollo gezieret; so daß er alles erhielt,
was sich nur eine Kreatur wünschen konnte, ausgenommen Essen und Trinken; denn
daran litte er allein Mangel.
Er merkte solcherart, daß in gewissen Lobeserhebungen, Krönungen, Ehrentiteln und
poetische Belohnungen keine Realität sei, und daß sie einem hungrigen Magen ein
schlechter Trost wären, und diesfalls sagte er gemeiniglich zu denjenigen, die ihm Glück
wünschten:
Laudatur&alget.
Endlich, weil es ihm um seinen täglichen Unterhalt und um seine Nahrung zu tun war,
beschloß er, den Wald zu verlassen, und seine Zuflucht zu den Menschen zu nehmen.
Aber er fand dieselben dürren Belohnungen, die er von den Tieren erhalten hatte. Aus
dieser Ursache mußte er zuletzt, um nicht vor Hunger zu sterben, einen geringen und
verachteten Dienst annehmen, und aus einem gekrönten Poeten ward er in den Bratenwender
eines Advokaten verwandelt.

Diese Fabel zeigt das schlechte Schicksal der Poeten.

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Fab.110
Der Bär, ein Kanzler

Der Bär ward einstmals mit dem Titel des Kanzlers beehrt. Über diese unvermutete
Würde verwunderten sich die anderen Tiere, und eine Zeitlang war dieses im Walde die
Materie aller Unterredungen; ja einige wollten die Sache gar nicht glauben.
Unter diesen Ungläubigen war auch ein Wolf, dieser fragte den Fuchs, ob es wahr wäre?
und sagte, er könnte es gar nicht begreifen. Hierauf antwortete der Fuchs: Das begreife
ich gar wohl; denn er bekommt keine Besoldung.

Diese Fabel zeigt, man müsse keinem einen Ehrentitel mißgönnen, wenn er keinen Lohn
dafür genießt. Solcherart, als das Schneidergelag einstmals seinem Boten den
Sekretärtitel erteilte, und der Ältermann darüber angesprochen ward, gab er zur
Antwort: Wir geben ihm hingegen seinen Lohn.

Fab.111
Der Hirsch und die Katze

Ein Hirsch ward im Walde bei allen Tieren sehr beliebt; niemand konnte die rechte
Ursache einer so allgemeinen Gewogenheit begreifen, zumal da er sich selbst wenig
Mühe gab, sie zu erlangen; denn in seinem Umgange und in seiner Aufführung war
verschiedenes, woran sich der eine oder der andere stoßen konnte. Aber entweder
konnten sie diese Fehler nicht sehen, oder sie entschuldigten sie.
Allein, als er sich hernach bemühte, sich einige Male durch eine besondere Tat hervor zu
tun, die ihm hätte Ehre, Ruhm und Gunst aller Tiere erwerben sollen, erkannte sie nicht
einmal jemand, vielmehr bemühten sich alle, sie entweder zu verringern, oder durch
schlechte Auslegungen anzuschwärzen; solcherart wurden ihm wirkliche Tugenden zu
Fehlern gemacht.
Der Hirsch ward darüber ganz verwirrt gemacht, weil er weder das eine noch das andere
begreifen konnte. Er vertraute darauf seine Gedanken einer alten, vernünftigen und in
dem Laufe der Welt erfahrenen Katze an. Selbige sagte darauf zu ihm: Lieber Freund!
ich merke, daß du die Welt nicht recht kennst, und keineswegs weißt, was Mißgunst
und Neid bewirken. Niemand läuft größere Gefahr, die Gunst der Tiere und Menschen zu
verlieren, als derjenige, welcher bestrebt ist, sie durch glänzende Tugenden zu gewinnen.

Diese Fabel lehrt, daß die Moral der Katze ganz wohl begründet ist, und daß sie durch
unzählige Beispiele aus der Geschichte und aus der Erfahrung bestärkt wird.
Aber obschon der Weg zur Tugend rau und beschwerlich ist, und preiswürdige Taten
gemeiniglich von dem Neide begleitet werden; so darf man sich doch durch nichts
abschrecken lassen, vielmehr soll man bedenken, daß die Tugend erst mit Recht den
Namen der Tugend verdient, wenn sie mit dem Schaden des Tugendhaften recht
bewährt worden ist.

Fab.112
Des Affen ungegründete Klage

Der Biber verfaßte einstmals ein Schauspiel, in welchem er auf eine kurzweilige Art die
Fehler und Torheiten der Tiere und Vögel schilderte. Alle rühmten dieses Werk, indem sie
es nicht allein für unschuldig, sondern auch für nützlich hielten.
Nur allein der Affe beschwerte sich sehr heftig darüber, und sagte: das ganze Werk zielte
auf ihn. Er nahm sich daher vor, eine Klage über den Verfasser einzugeben, und er fragte
einen Bär um Rat, was er für
Satisfaktion verlangen könnte. Der Bär sagte darauf:
Lieber Morten! Ich wollte wohl darauf schwören, der Verfasser habe nicht an dich
gedacht. Bedenke lieber, daß es fast eine Unmöglichkeit ist, eine Komödie zu machen,
ohne in allen Auftritten einen Affen zu treffen. Der Affe versetzte: Wenn ich kein Recht
erhalten kann, so will ich selbst ein Schauspiel verfertigen, um mich an dem Biber zu rächen.
Ach! ach! sagte der Bär; es ist leichter eine Komödie über einen Affen zu schreiben,
als daß ein Affe selbst eine verfertigen sollte.

Fab.113
Von einem gefangenen Bär

Ein Bär ward einstmals wegen einer Missetat gefangen genommen, und in ein kleines und
schwaches Gefängnis gesetzt. Als der Fuchs dieses sah, sagte er zu den Wächtern: Ihr
bewacht das Gefängnis, daß der Gefangene nicht entfliehen soll, bewacht lieber den
Gefangenen, damit das Gefängnis nicht entläuft.

Fab.114
Die moralischen Reden des Storches und Habicht

Der Pfau setzte einstmals demjenigen einen Preis, welcher die nachdrücklichste Rede
über eine gewisse moralische Materie halten würde.
Verschiedene Vögel ließen sich darauf hören; aber keiner tat sich so trefflich hervor,
als der Storch und der Habicht; denn ihre Reden waren so stark ausgearbeitet, daß die
meisten Zuhörer nicht erraten konnten, welchem der Preis zukäme.
Nachdem die Proben zu Ende waren, ward dem Storche der Preis zuerkannt. Darüber
beschwerte sich der Habicht sehr heftig, indem er vorgab, seine Rede könnte vor einem
unparteiischen Richter der Rede des Storchs allemal das Gleichgewicht halten.
Aber man gab ihm zur Antwort, daß man, obschon beide moralische Reden an sich
selbst gleich gut wären, doch beiden nicht einen gleichen Wert beilegen könnte, weil die
eine von einem unschuldigen Storche, die andere aber von einem Raubvogel, gehalten
worden wäre.

Diese Fabel lehrt, daß, wenn zwei Personen einerlei Sachen verrichten, die Sache doch
nicht einerlei ist. Die Predigten desjenigen tun die beste Wirkung, dessen Leben mit seinen
Lehren übereinstimmt.

Fab.115
Der letzte Wille des Wolfs

Da ein Wolf durch eine langwierige Krankheit so ausgezehrt worden war, daß er merkte,
sein Stundenglas wäre ausgelaufen, so ließ er seine Kinder rufen, die er zur Tugend
ermunterte, und in seine Fußstapfen zu treten, ermahnte. Er sagte unter anderem: Ihr
wisset, liebe Kinder, daß ich den Göttern stets den zehnten Teil von aller Beute geopfert
habe, die ich gemacht habe, und das ich deswegen mit gutem Gewissen sterben kann.

Seine Frau, die gleichfalls gegenwärtig war, sagte darauf: Diese Ermahnungen wären
unnötig, weil sie sicher wäre, die lieben Kinder würden dem Beispiele ihres Vaters
getreulich nachfolgen, so wohl im Rauben, als im opfern.

Fab.116
Die Ratte wird von den Mönchen in den Bann getan

Eine Ratte, die sich in einer Klosterkirche aufhielt, und einstmals überführt worden war,
daß sie eine Bibel, die auf dem Altar lag, benagt und verdorben habe, ward dieser
Übeltat wegen von den Mönchen mit dem Kirchenbanne belegt.
Die Ratte appellierte von diesem Gericht an den Prälaten des Ortes, und bewies durch
Zeugen, daß dies ein Buch war, welches die Mönche niemals brauchten, und daß es
also gleichviel sein könnte, ob es durch Ratten oder Milben verzehrt würde.
Der Prälat fragte darauf, ob sie die Altartücher beschädigt hätten? und da er hörte,
daß sie diese nicht berührt hatte, sagte er: Auf diese Art ist ja kein Schaden geschehen.
Darauf sprach er die Ratte frei, und erlöste sie vom Kirchenbanne.

Diese Fabel lehrt, daß die Kirchenzierraten in gewissen Klöstern in höherem Werte als
die Bibeln sind, die sie gar nicht brauchen.

Fab.117
Geistliche Gaben

Da einstmals im Walde ein großes Unglück geschehen war, wodurch verschiedene Tiere
in das äußerste Elend gerieten, ließen die Beschädigten um eine Kollekte anhalten,
welche ihnen auch bewilligt ward. Alle Tiere, vom Löwen an bis zu dem geringsten
Gewürme waren willig, etwas nach ihrem Vermögen zu geben. Aber niemand war
freigebiger als die Hierophiten oder die heiligen Schlangen; denn ihre Gaben waren groß
und überflüssig, und bestanden nicht in vergänglichen Dingen, sondern in Wünschen und
in tausend Segen, die kein Geld überwiegen konnte.

Diese Fabel zielt auf die Mönche und Geistlichen, die sich von allgemeinen
Beschwernissen und Schatzungen frei machen, indem sie sagen: ihre Wünsche und ihre
Gebete können den Gaben und dem Beitrage aller anderen Stände die Waage halten, und
zugleich vorgeben, sie wären zu nichts anderem verpflichtet, obwohl sie schon in dem
größten Wohlstande und Reichtum leben.

Fab.118
Zwei Marketender

In einem Kriege, welcher zwischen zwei Nationen geführt ward, befanden sich in einem der
Kriegsheere zwei Bierschenken als Marketender. Die Zelte dieser beiden waren dicht beieinander.
Der eine Bierschenk hatte in seinem Zelt eine Tonne sehr gutes Bier, welches er im Lager
ausschenken wollte, und rief den Vorbeigehenden öfters zu: Hier ist schön Bier,
die Kanne für vier Schillinge.
Der andere, welcher bereits ausgeschenkt hatte, dachte darauf, wie er auf Unkosten seines
Mitbruders dieses Handels teilhaftig werden könnte.
Er bohrte daher in die andere Seite der Tonne, die an sein Zelt stieß ein Loch, und rief:
Schön Bier, drei Schillinge die Kanne! darauf liefen alle in das Zelt, wo der bessere Kauf war.
Der erste konnte nicht begreifen, warum der andere den Preis so bald fallen ließe,
dadurch ihm die Nahrung verdorben ward. Er blieb dennoch einige Zeit bei dem vorigen Preise;
allein da ihm dieses zu lange währte, mußte er sich endlich dazu bequemen,
mit seinem Nachbar einerlei Preis zu halten.
Er rief daher nunmehr: Hier ist auch schön Bier, drei Schillinge die Kanne. Aber da er es
nun ausschenken wollte, ward er gewahr, daß das Bier ausgezapft, und die Tonne leer war.
Diese Fabel zeigt den Weg zum sichersten Handel.

Fab.119
Die Kritik des Fuchses über die Promotion zweier Affen

Zu der Zeit, da die Tiere reden konnten, waren unterschiedliche derselben bei den
Menschen in Diensten.
Man findet eine Historie von zwei Affen, welche in einer großen Stadt in Diensten
standen. Der eine war Schneider und der andere Schlachter.
Nachdem sie ihre Hantierung einige Zeit getrieben hatten, wurden sie müde, verließen
die Menschen, und begaben sich in den Wald zurück, wo sie sich bemühten, andere
anständigere Verrichtungen zu erhalten.
Sie erreichten auch ihre Absichten; denn der eine ward nach einiger Zeit Ratsherr, und der
andere ward zum Doktor in der Medizin erkläret.
Alle diejenigen Tiere, welche wußten, daß der eine ein Schlachter, der andere aber ein
Schneider gewesen, trieben mit diesen Promotionen ihren Spott; aber ein Fuchs, der
dieses hörte, meinte, daß auf diese Beförderungen nichts zu sagen wäre denn, sagte er,
wenn ein Schlachter ein Arzt wird, so übt er gewissermaßen seine vorige Hantierung
noch aus, und bleibt bei dem Schlachten, und was kann richtiger sein, als einen
Schneider zum Ratsherrn zu machen?
Man weiß ja, daß die Justiz mehr und mehr verschleißt, und wenn sie nun ein Loch
bekommen hat, so muß es ja von einem Schneider gestopft werden.

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Fab.120
Der Tod und die Katze

Der Tod fand sich bei einer Katze ein, der er ankündigte, sie müßte die Welt verlassen.
Die Katze bat ihn, ihr nur noch ein wenig Zeit zu lassen, daß sie Buße tun könnte.
Der Tod ließ sich überreden und ging dieses Mal fort.
Die Katze nahm darauf von ihrer Frau, von ihren Kindern, von ihrer Familie und von ihren
guten Freunden Abschied, und begab sich in das nächste Mönchskloster, wo sie sich als
ein eifriger Büßender in die Vorrats – oder Speisekammer einschloß, und daselbst die
Zeit mit Essen und Beten zubrachte.
Nachdem sie nun in dieser Buße speckfett geworden war, daß sie auch in der Fettigkeit
dem Prior des Klosters selbst nichts nachgab, stellte sich der Tod aufs neue ein.
Die Katze bat um einen längeren Aufschub, um ihre Buße zu Ende zu bringen. Ach!
sagte der Tod, ich sehe aus deiner Gestalt, daß du ein vollkommener Büßender bist,
und daß man dir die Heiligsprechung nicht abschlagen darf; daher ist es deine
bequemste Zeit, daß du stirbst. Hierauf schleppte er die Katze fort.

Diese Fabel zeigt, wie wichtig die Buße der Mönche ist.

Fab.121
Der Streit zwischen Medizin und Chirurgie

Die Medizin ließ einstmals die Chirurgie vor Gericht fordern, um auf alle Beschuldigungen,
die ihr von jener vorgeworfen wurden, zu antworten, weil sie ihr in ihre Verrichtungen
gegriffen, ihr ihre Nahrung entzogen und durch gewaltsame Hilfsmittel unzählige
Patienten ins Grab gebracht hätte.
Die Chirurgie ließ sich durch diese Beschuldigungen nicht erschrecken; vielmehr ließ sie
die Medizin ebenfalls vor Gericht fordern, und beschuldigte sie, sie habe mehr einen
eigenen Nutzen, als die Genesung der Patienten zur Absicht, und ihre methodischen
Kuren wären nur dahin gerichtet, die Krankheiten in die Länge zu ziehen, und die
Besoldungen zu erhöhen. Alles kam darauf in eine heftige Bewegung.
Beide Parteien hatten einen großen Anhang, insbesondere die Medizin, denn diese ward
von allen Apothekern unterstützt, die bei so viel Rezepten und bei den methodischen
Kuren, ihre Rechung fanden.
Da diese Streitigkeiten der Natur zu Ohren kamen, ließ sie die streitenden Parteien vor
sich fordern, und ermahnte sie, einen Zank beiseite zu setzen, durch den sie beide ihre
Nahrung einbüßen würden. Sie sagte: Ihr seid ja in euern Gewissen selbst überzeugt,
daß nur ich die meisten Krankheiten heile, und daß ihr gemeiniglich nichts anderes
dabei zu tun habt, als mich und mein Amt zu verwirren. Gewiß, wo ihr euern Streitigkeiten
kein Ende machet; so bringe ich dieses alles zu eurer Beschämung an den
Tag, und beweise diese meine Beschuldigung durch das Beispiel ganzer Nationen.
Da die streitenden Parteien dieses hörten, nahmen sie ihre Klagen zurück, und schlossen
einen Vergleich des Inhalts: Die eine sollte der andern durch die Finger sehen.
Und dabei ist es bis auf diesen Tag geblieben.

Fab.122
Die Ratte und der Tod

Der Tod fand sich einstmals bei einer alten und betagten Ratte ein, und meldete ihr,
ihre Zeit wäre vorhanden, abzureisen. Die Ratte weigerte sich zwar nicht zu sterben;
sie beschwerte sich nur darüber, daß ihr dieses nicht durch vorhergehende hinlängliche
Ahndungen und Warnungen wäre verkündet worden.
Der Tod hielt ihr darauf vor, wie schlecht begründet ihre Klage wäre, und sagte: Mein
guter Glirius! du hast ein so hohes Alter erreicht, als irgend eine Ratte erreichen kann;
du siehst, daß deine Mitbrüder, einer nach dem andern, bald auf diese bald auf jene Art
umkommen; du siehst die Katze alle Tage im Hause, und sprichst doch: dein Tod wäre
dir nicht vorher angedeutet worden. Die Ratte konnte nichts dagegen einwenden,
und darum ergab sie sich willig dem Tode.

Diese Fabel lehret, wie wenig die Menschen befugt sind, gegen die unvermutete Ankunft
des Todes Einwendungen zu machen, da sie doch in einer jeden Stunde des Tages solche
Sachen vor Augen haben, die sie daran erinnern; und daß sie also beständig reisefertig
sein, und sich zum Abschied von der Welt bereiten sollen.

Fab.123
Zwei Ziegenböcke stoßen sich miteinander

Zwei Ziegenböcke, die für die größten Philosophen im Walde gehalten wurden, gerieten
einstmals, obschon nur aus geringen Ursachen, in eine so heftige Streitigkeit, daß sie
einander zum Zweikampfe heraus forderten.
Ein Schaf, welches sah, wie sie sich stießen, näherte sich ihnen darauf und sagte: Schämt
ihr euch nicht? Ihr haltet euch selbst für große Philosophen, und ermahnt andere Tiere,
ihre Affekten zu bezwingen, gleichwohl laßt ihr eine solche Unvollkommenheit sehen?
Die Böcke antworteten darauf: Wir sind nur Philosophen in der Theorie, aber nicht in der
Ausübung. Und darauf setzten sie ihren Kampf fort.

Diese Fabel geht auf solche Leute, welche sich einbinden, sie wären Philosophen, da die
Erfahrung doch zeigt, ihr studieren habe sie wohl gelehrter, aber nicht besser gemacht.

Fab.124
Die Rhetorik und der Nordwind

Die Rhetorik, ob sie schon unter allen Wissenschaften den wenigsten Grund hat, ward vor
einiger Zeit durch die Heuchelei gewisser Leute so verderbt worden, daß sie anfing, die
andern über die Achseln anzusehen, und damit sie höher und ansehnlicher würde, als sie
selbst war, so schaffte sie sich ein paar Stelzen an, deren sie sich in Versammlungen und
beim Spazieren bediente.
Da sie nun einstmals in diesem Aufzuge erschien, ward sie von einem starken Nordwind
angegriffen, der sie mit solcher Gewalt über den Haufen blies, daß ihre Röcke eine halbe
Elle höher als ihre Knie waren.
Dieser Zufall ging ihr sehr zu Herzen, zumal da eben damals ein Kavalier bei ihr vorbei
ging, der darüber nicht wenig lachte. Sie redete deshalb den Nordwind sehr hart an, und
warf ihm vor, wie wenig Respekt er einem Frauenzimmer erzeigte, vornehmlich in
Gegenwart junger Mannspersonen.
Der Nordwind antwortete darauf: Meine liebe Frau! Ich bin von wenig Komplimenten.
Ich verrichte mein Amt, wenn ich Befehl zu wehen erhalte. Und wenn euch ein Schimpf
widerfahren ist, so mag sie die Schuld nicht mir, sondern ihren Stelzen beimessen.
So geht es, setzt er hinzu, wenn man aus Hochmut eine Elle länger sein will, als man
eigentlich ist. Wäre sie auf ihren Füßen, wie andere Leute gegangen, so wäre sie wohl
aufrecht stehen geblieben.

Diese Fabel zielt auf die Eitelkeit der Redekunst, und zeigt, daß ihr die alten Griechen
und Römer ohne Ursache einen eben so großen Wert, als den andern nützlichen
Wissenschaften erteilt haben.

Fab.125
Des Bibers Aufführung im Richteramte

Ein Biber hatte durch sein, einige Jahre fortgesetztes Studieren eine solche Kenntnis der
Natur erlangt, daß ihm die Eigenschaften aller Tiere, Vögel, Insekten, Bäume und
Pflanzen bekannt waren.
Der große Name, den er sich durch diese Gelehrsamkeit erworben hatte, verursachte,
daß man ihm ein ansehnliches Richteramt antrug, und er weigerte sich auch nicht,
solches anzunehmen, weil er glaubte, er wäre auch höhern und wichtigern Bedienungen
gewachsen.
Allein, seine Urteile waren so ungereimt und so wenig begründet, daß alle Tiere ihren
Spott damit trieben; ja, er merkte selbst, daß er zu einem solchen Amte nicht geschickt
genug war, daher legte er es freiwillig nieder und sagte: Hätte ich mich mit etwas
weniger Fleiß auf die Untersuchung der Natur der Insekten und Pflanzen gelegt, und mich
hingegen etwas mehr darauf befließen, mich selbst zu kennen, so würde ich mich eines
Richteramtes nicht unterzogen haben.

Diese Fabel zielt auf diejenigen, welche alles, nur nicht sich selbst kennen.

Fab.126
Die Astrologie wird von dem Fuchs beschämt

Die Astrologie fiel einstmals in ihren besten Kleidern in den Rinnstein, und rief den Fuchs
der eben vorbei ging, um Hilfe. Der Fuchs sagte, er wollte ihr gern helfen, allein, da
heute eben ein Tag im Monate wäre, an welchem man, nach den Regeln der Astrologie,
nichts wichtiges vornehmen müßte; so könnte er diesmal nicht zu ihren Diensten sein.
Wenn sie aber bis nach den Untergang der Sonne warten wollte, so wollte er ihr mit
Vergnügen zur Hand gehen. Sonst aber, setzte er hinzu, verwundere ich mich darüber,
daß du, der du doch das Schicksal anderer voraus sehen kannst, nicht sehen kannst,
was dir selbst bevorsteht.

Diese Fabel zielt auf die Eitelkeit der Astrologie und zeigt, wie sehr sie zu verachten ist.

Fab.127
Der Drescher und der Hahn

Einem hungrigen Drescher träumte in einer Nacht, er wäre zu einem großen Gastgebote
gebeten. Aber just, da er sich niedersetzen und speisen wollte, krähte der Hahn so stark,
daß er aufwachte, und die Speisen mit dem Schlafe verschwanden. Dieses jagte dem
Drescher gegen den Hahn so sehr in Harnisch, daß er beschloß, ihm den Hals umzudrehen.
Der Hahn aber appellierte an den Bauer des Hofes, und sagte, er wollte sich seinem Urteil
unterwerfen; und dessen konnte sich der Drescher nicht entschlagen.
Nachdem nun die streitenden Parteien in Ansehung des Bauern kompromittiert und ihn
zum Schiedsrichter angenommen hatten, brachte der Drescher seine Klage zuerst vor und
sagte: der Hahn habe ihn seiner köstlichen Mahlzeit beraubt.
Der Hahn entschuldigte sich mit der Unwissenheit indem er sagte: er habe nichts anderes
getan, als daß er sein gewöhnliches Wächteramt verrichtet hätte.
Der Drescher antwortete: Du hättest ja wenigstens so lange warten können, bis ich an
dem ersten Gerichte meine Lust gebüßt hätte.
Ich wollte gerne gewartet haben, sagte der Hahn, bis die ganze Mahlzeit zu Ende
gewesen, wenn ich gewußt hätte, was für Träume du hattest, oder wenn ich die
Wahrsagerkunst so gut, als die Musik verstünde. Aber, sagte er ferner, hast du nicht
zuweilen auch böse Träume? Ja freilich, sagte der Drescher, viel genug, leider!
So bemerke doch daher, sagte der Hahn, daß ich durch meinen Gesang, womit ich dich
aufgeweckt habe, dir oft große Dienste getan, und dich eben so gut aus manchem
Unglück errettet, wie ich dir jetzt die Mahlzeit verdorben habe.
Der Richter sah nun wohl, daß der Hahn seine Sache mit Grund verteidigte, und daß
es billig sei, wie der Hahn sagte, das Gute mit dem Bösen zu vergleichen; doch damit
er dem Drescher nicht so sehr vor dem Kopf stoßen möge, fällte er dieses Urteil: Der
Hahn sollte hinfort, bei Strafe, den Drescher nicht mehr im Schlafe stören, wenn er
einen so angenehmen Traum hätte; hingegen sollte der Drescher, verbunden sein,
dem Hahne zu rechter Zeit des Abends zu melden, was ihm des Nachts träumen würde.

Diese Fabel zeigt, daß auf närrische Forderungen närrische Urteile gehören.

Fab.128
Der gefundene Schatz eines Geizhalses

Ein alter reicher Knicker, der seinem eigenen Sohne den gehörigen Unterhalt versagte,
verwahrte seinen Schatz in einem Loch in der Wand, das er vermauert hatte.
Der Sohn, welcher Schulden hatte, und von seinem Vater keine Hilfe, seine Gläubiger
zu vergüten, erwarten konnte, geriet dadurch in so große Verzweiflung, daß er beschloß,
zu erhängen. Er nahm einen Strick und wollte ihn an der Wand befestigen; allein, als er
den Nagel in die Mauer schlug, traf er just den Ort, wo der Schatz verschlossen war,
dessen er sich dann stracks bemächtigte. An seine Stelle legte er einen Kieselstein, und
ließ den Strick einem andern zurück, der Lust hätte, sich statt seiner aufzuhängen.
Kurz danach kam der Vater in die Stube herunter, wo er das Loch in der Wand, und einen
Kieselstein statt des Schatzes darinnen fand. Deshalb hing er sich in der Verzweiflung mit
demselben Stricke auf, den der Sohn zurückgelassen hatte.
Da der Sohn dieses Trauerspiel erfuhr, sagte er: Ich habe meinen Vater nicht beraubt,
denn ich habe an die Stelle des Schatzes einen andern gelegt, der ihm eben so nützlich
war, als jener.

Diese Fabel lehrt, daß ein Kieselstein mit dem Golde von einerlei Wert ist, wenn man
dieses in die Erde vergräbt; und darum hat der Knicker nicht sagen können, er habe
durch diesen Tausch etwas gewonnen oder verloren.

Fab.129
Der Teufel und der Fuchs

Der Teufel war von dem Fuchs gar oft betrogen worden, und dadurch war er ganz in
Verachtung gekommen, diesfalls und weil er gegen dieses verschlagene Tier mit List
nichts ausrichten konnte, nahm er sich vor, Gewalt zu gebrauchen.
Durch diese Drohung ließ sich doch der Fuchs nicht abschrecken, er stellte sich beherzt
an, und bestimmte einen gewissen Tag und Ort zu einem Zweikampf mit seinem
Verleumder. Alle verwunderten sich über die Kühnheit des Fuchses. Der Teufel selbst
lachte darüber, und fand sich ohne Sekundanten auf dem Wahlplatze ein.
Nachdem er nun einige Zeit auf den Fuchs, welcher nicht erschien, vergebens gewartet
hatte, kam er auf die Gedanken, er müßte sich in dem Tag versehen haben, und daher
sah er in seinem Kalender nach, ob er gefehlt hätte. Er merkte daraus, wohin der Fuchs
gezielt hatte, denn er fand, daß dieser Tag der erste April war, deshalb ging er beschämt
fort, und das Gerücht breitete sich überall aus: der Fuchs habe den Teufel aufs neue
verwirrt, und ihn in den April geschickt.

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Fab.130
Das Urteil des Fischers zwischen zwei Seemöwen

Zwei Möwen fanden einstmals am Strande eine Auster, die sich dann eine jede zueignen
wollte. Die eine sagte: sie habe sie zuerst gesehen, die andere hingegen: sie habe sie
zuerst angerührt.
In diesem Streite nahmen sie einen Fischer zum Richter an. Der Fischer, nachdem er sich
die Sache angehört hatte, sagte: das Begehren beider wäre gleich gut begründet, und es
wäre daher billig, die gefundene Auster in zwei gleiche Teile zu teilen. Dieses geschah,
und er gab darauf der einen die eine Schale und der andern die andere, das Inwendige
aber behielt er zur Bezahlung für seine Mühe. Denn, sagte er, der Richter kann
pro labore nichts weniger bekommen.

Diese Fabel lehrt, daß durch Prozesse oft nichts anderes gewonnen wird.

Fab.131
Der Wolf und der Hierophite

Ein Hierophite, oder eine heilige Schlange, arbeitete einstmals daran, den Wolf zu
bekehren. Er katechisierte eine ganze Stunde, und hielt ihm die Grobheit seiner Sünden
vor, und ermahnte ihn, künftig ein anderes Leben zu führen.
Der Wolf antwortete darauf: Ich kann Ew. Wohlehrwürden versichern, daß ich nichts
böses dabei denke, aber man muß doch kein Sonderling sein, sondern sich in die Mode
schicken. Meine Mitbrüder würden mich für einen Pedanten halten, wenn ich an einem
Schaf vorbei ginge, und ihm nur mit einem bloßen Gruße begegnen wollte.
Die heilige Schlange sagte darauf: Deine Mitbrüder sind eben so gut, als du. Ihr seid alle
miteinander Räuber, und wenn ich mit dir rede, so meine ich das ganze Räuberpack.
Der Wolf gab zur Antwort: Wenn ich mit einem heiligen Mönch rede, so meine ich auch
alle seine Mitbrüder, denn ihr seid alle gleich heilig.
Was willst du damit sagen, fragte der Hierophite, daß wir alle gleich gut sind? Ich will
nichts anderes damit sagen, sagte der Wolf, als daß wir uns alle, ein jeder nach seiner
Art, ernähren. Wir jagen den Schafen und Lämmern nach, und ihr habt andere eben so
redliche Mittel.
Fort mit dir, sagte der Hierophite, ich merke, es ist bei dir nicht der geringste Funke eines
Gewissens. Und ihr, versetzte der Wolf, habt dessen vielleicht zu viel, so, daß es auch
eine Obstruktion verursacht, daß es nicht wirken kann. Einige haben gar kein Gewissen,
und darum haben sie auch keine Regel, nach welcher sie sich richten können, andere
haben einen so großen Haufen des Gewissens, daß sie sich nicht danach richten wollen.
Ich möchte wohl wissen, welches unter diesen beiden am meisten straffällig wäre?
Durch diese Rede ward der Hierophite stumm, und die Katechisation hatte ein Ende.

Diese Fabel lehrt, daß derjenige, welcher andere bekehren will, zuerst vor seiner eigenen
Türe fegen müsse.

Fab.132
Die Seemöwe und der Fuchs

Als die Seemöwe sah, daß der Fuchs unter den Hühnern, Gänsen und Enten eine große
Niederlage anrichtete, sagte sie zu ihm: Schämst du dich nicht, mit unschuldigen
Kreaturen, die dir nichts übles getan haben, solcherart zu verfahren?
Der Fuchs gab zur Antwort: Ich habe mich um dein Verhalten gegen die unschuldigen
Fische erkundigt, und ich merke daraus, der See-Etat habe dem Land-Etat nichts vorzuwerfen.

Fab.133
Die Elster und der Papagei

Der Rabe richtete einstmals eine große Mahlzeit aus, zu welcher er allerhand Vögel, und
unter andern auch eine Elster und einen Papagei, einladen ließ.
Den Tag hernach besuchte eine Krähe zuerst den Papagei, um zu hören, wie die Gäste
traktiert worden wären. Der Papagei sagte, es wäre alles zum Vergnügen der Gesellschaft
eingerichtet gewesen. Allein, sagte er, einer von den Gästen, nämlich die Elster, welche
neben mir saß, plagte mich mit einem weitläufigen Geschwätze, welches kein Ende
nehmen wollte. Ich kann, sagte er, unmöglich eine solche Plaudertasche leiden.
Darauf besuchte die Krähe die Elster, von welcher sie, auf ihre Frage, eben dieselbe
Antwort erhielt, nämlich, sie wären vortrefflich traktiert worden. Aber, sagte sie, kein
Vergnügen ist vollkommen; denn es war in der Gesellschaft ein verfluchter Papagei, der
mir mit seinem unendlichen Geplauder so beschwerlich war, daß ich recht froh ward,
als die Mahlzeit vorbei war. Ich kann, sagte sie, nicht begreifen, wie gewisse Leute
niemals aufhören können, zu plappern.
Und ich, sagte der Rabe, habe dieser Sache mit Verwunderung nachgedacht, und doch
nicht begreifen können, daß diese verdammten Papageien und Elstern niemals die
Mäuler halten können, und daß ihr Geschwätz nimmer aufhört.

Diese Fabel lehrt, daß die Menschen ihre eigenen Fehler aufs eifrigste tadeln, wenn sie
sie bei andern antreffen.

Fab.134
Der Wolf und der Bär

Da der Wolf und der Bär merkten, daß ihre Nahrung im Walde täglich abnahm, begaben
sie sich an den Hof des Löwen, um Dienst zu suchen. Beide hatten ein ungleiches Glück,
denn der Bär stieg von einer Ehrenstaffel zur anderen, bis er endlich des Löwen Vesir
ward. Der Wolf blieb inzwischen immer in eben derselben kleinen und schlechten
Bedienung, welche er anfangs erhalten hatte.
Darüber beschwerte er sich einstmals bei dem Bär, von dem er zur Antwort erhielt: Du
beklagst dich über dein schlechtes Schicksal, und es scheint, du mißgönnst mir mein
Glück. So wohl das eine als das andere besteht in der Einbildung. Bilde dir nur ein, daß
du Vesir wärest, so bist du dasselbe, was ich jetzt bin. Der Wolf mußte sich mit
dergleichen schlechten Troste abspeisen lassen und ging mißvergnügt fort.
Kurz darauf fiel der Bär in Ungnade, und ward ins Gefängnis gesetzt. Da er nun solcherart
ohne Essen und Trinken acht Tage eingesperrt gewesen war, und zufälligerweise den Wolf
an dem Gitter des Gefängnisses erblickte, rief er: Ach lieber Isegrim! Ich muß vor Hunger
sterben. Der Wolf antwortete darauf: Alles besteht in der Einbildung. Bilde dir ein, du
hättest einige gute Gerichte im Magen, so bist du eben so satt wie ich jetzt bin.
Solcherart meinte der Wolf, er habe dem Bär mit gleicher Münze bezahlt, obschon in dem
Troste des Bären einiger Grund war, denn, ist es schon sehr hart und beschwerlich, durch
die Einbildung ein hungriges Gemüt zu kurieren, so ist es hingegen ganz unmöglich, durch
die Philosophie einen hungrigen Magen zu kurieren.

Fab.135
Die Katze und ihr Sohn

Die Katze warf einstmals ihrem Sohne seine Verschwendung vor, sie sagte: Du mußt
bedenken mein Sohn, daß morgen auch ein Tag ist. Der Sohn antwortete darauf:
Das findet sich schon im Alter, denn, wenn ich alt werde, so will ich ein eben so großer
Knicker werden, wie der Papa ist.

Die Erfahrung lehrt, daß der Geiz mit dem Alter zunimmt, und das man niemals
sparsamer ist, als wenn man die wenigste Ursache dazu hat.

Fab.136
Von einem Manne, der den Bock melken wollte

Ein Mann verheiratete sich einstmals mit einer Hure, die einige Jahre ihre gute Nahrung
gehabt, und dadurch gute Mittel erworben hatte. Ob ihm schon ihre Lebensart bekannt
war, so hoffte er dennoch, sie sollte ihm einen Erben bringen; und seine Hoffnung war so
groß, daß er schon voraus Wiege und Kindergeräte einkaufte.
Indem er nun in dieser Hoffnung lebte, ward er einstmals gewahr, daß eine einfältige
Viehmagd den Ziegenbock melken wollte. Darüber fing er an, überlaut zu lachen, und er
erzählte seinem Nachbar, der ihm eben begegnete, was er gesehen hatte. Dieser gab ihm
darauf zur Antwort: Lieber Nachbar! ich lachte eben so stark, da ich hörte, du hättest eine
Wiege und Kindergeräte eingekauft, und machtest zum Wochenbette seiner Frau große
Zurüstungen.
Der erste fragte: was meinst du damit? Ich meine nichts anderes, sagte der andere, als daß
es eben so schwer ist, gewisse Weiber zu schwängern, als einem Ziegenbock Melke zu machen.

Diese Fabel lehret, daß manche andere gewisser Sachen wegen auslachen, da sie doch
eben so auslachenswürdig sind.

Fab.137
Der Junker und das Schwein

Ein junger wohlgeputzter Kavalier stolperte einstmals auf der Straße, und fiel über eine
Sau, die sich eben aus dem Kote aufgerichtet hatte, und folglich wurden seine Kleider gar
sehr besudelt. Darüber ward er so heftig erzürnt, daß er sagte: Die verzweifelte Sau
muß mir meine Kleider verderben! Die Sau sagte hingegen: Der verzweifelte Junker muß
mir mit seinem Puder meinen einzigen und besten Rock bestreuen!

Diese Fabel zeigt, daß eine Sau in den Augen eines Philosophen eben so prächtig sein
kann, als ein geputzter
Petis Maitre, und daß der Kot an jener bei ihm in eben so
großem Preise ist, als der Puder und die Pomade, womit des letzteren Haare und Kleider
bestreut und beschmiert sind.

Fab.138
Das Gespräch des Wolfs mit dem Pferde

Als der Wolf einstmals nach seiner Gewohnheit sein Morgengebet verrichtet hatte, schlich
er sich in einen Bauernhof, wo er unter den Schafen und Lämmern eine große Niederlage
anrichtete; und darauf begab er sich wieder auf die Heimreise.
Unterwegs begegnete ihm ein Pferd, welches ihn, nach abgelegten Gruße, fragte, wie er
lebte? Der Wolf antwortete: Ich danke dem Himmel für gute Nahrung, denn dieser Tag ist
mir ein gesegneter Tag gewesen. Solche Wirkung kann das Morgengebet tun, wenn es mit
rechter Andacht verrichtet wird.
Ich hätte nicht gedacht, sagte das Pferd, daß das Gebet eines Wolfes so gute Wirkung tun
sollte. Dein Eifer im Gebet kann wohl stark genug sein, ich glaube aber, daß er doch nicht
so groß ist, als im Stehlen.

Diese Fabel zielt auf diejenigen, welche sich mit Gebet und Andacht zu Missetaten vorbereiten.

Fab.139
Der Offizier und der Wirt

Ein Landoffizier, der niemals im Kriege gewesen war, kam einstmals ins Wirtshaus, wo er
einige seiner Soldaten fand, die betrunken waren. Er erzürnte sich darüber gar sehr und
sagte: Herr Wirt! wie viele Soldaten habt ihr wohl in diesem Hause zu Schanden gesoffen?
Der Wirt versetzte: Eben so viel, als Ew. Wohlgeboren im Felde erschlagen haben.

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Fab.140
Von einem wohlerzogenen Ferkel

Eine Jungfer, welche die Schoßhündchen nicht leiden mochte, hatte einstmals ein
Ferkelchen bekommen, welches sie mit verschiedenen Zierarten herausputzen ließ.
Sie vergoldete seine Borsten, und seine Füße wurden mit Purpurfarbe geschmückt, und sie
trug so große Sorge dafür, daß es auch niemals aus ihrem Kabinett kommen mußte;
damit es die andern Schweine nicht sehen sollte, und keinen Umgang mit ihnen hätte.
Sie sagte: Es kommt alles auf die Erziehung an, denn diese kann die Natur der Tiere und
Menschen verändern.
Aber da die Türe einmal offen stand, schlich sich das Ferkel aufs Feld hinaus, wo man es
endlich nach langem suchen fand, als es sich eben im Kote herumwälzte. Da es nun in
diesem Zustande wieder nach Hause gebracht ward, sagte die Jungfer: Pfui, schäme dich!
Ich sehe, daß ich allen Fleiß, dich zu erziehen, und dich manierlich zu machen, vergebens
angewendet habe. Das Ferkel antwortete darauf: Meine liebe Jungfer! man mag mit einem
Schweine vornehmen was man will, so wird es doch allezeit ein Schwein bleiben.

Diese Fabel lehrt, daß die Natur über die Erziehung geht.

Fab.141
Vom Wolfe

Nachdem der Wolf zweimal eine gewisse große Missetat begangen, und durch die Bitte
guter Freunde beide Male begnadigt worden war beging er diese Missetat zum dritten
Male. Diesfalls ward er endlich verurteilt, ersäuft zu werden. Der Wolf sagte darauf: Wäre
ich nicht zweimal ungestraft geblieben, so hätte ich nicht das dritte Mal gesündigt.

Diese Fabel zeigt die Notwendigkeit der Strafen, und daß die Erlassung derselben die
Menschen zu neuen Sünden reizt.

Fab.142
Vom Ziegenbock der sich den Bart scheren ließ

Ein Ziegenbock hatte sich einige Zeit in einer großen Stadt aufgehalten, wo er sah,
daß alle Einwohner sich die Bärte stutzen ließen, bis auf einen alten Bürger, der seinen
Bart behielt, und den übrigen nicht nachfolgen wollte, weil er meinte, der Bart wäre die
Zierde des Mannes; ob er schon nichts anderes gewann, als daß er von seinen Mitbürgern
ausgelacht ward, welche ihm sein Betragen für einen Eigensinn auslegten.
Dieses erwog der Bock sehr genau, und darüber beschloß er endlich, dem Strome zu
folgen, und darauf ließ er sich seinen Bart auch scheren.
Aber, da er kurz danach die Stadt verließ, und ohne Bart in den Wald zurück kam, ward er
von allen Tieren, besonders von den andern Böcken, ausgelacht. Diese letzteren wollten
ihn auch deshalb nicht für ihren Mitbruder erkennen.
In diesem Zustande beklagte er sich bei einer alten ehrwürdigen Ziege, der er erzählte,
was ihm zu dieser Veränderung bewogen hatte. Die Alte antwortete darauf: Höre mein Sohn!
Der Bürger in der Stadt, von dem du mir erzähltest, und du seid beide gleich große
Narren, und ihr verdient beide gleich stark ausgelacht zu werden; er, weil er der einzige
unbarbierte Mann ist, und du, weil du der einzige barbierte Bock bist.

Diese Fabel lehret, daß derjenige, welcher eine Mode zuletzt behält, und derjenige,
welcher sie zuerst annimmt, gleich große Narren sind.

Fab.143
Des Ziegenbockes Bedenken über die Heirat eines alten Mannes

Da der Ziegenbock auf diese Art im Walde verhöhnt ward, begab er sich wieder zurück in
die Stadt. Da sich nun inzwischen der alte bärtige Bürger mit einem jungen Mädchen
verheiratet hatte. So grüßte ihn der Bock auf der Straße, und nennt ihn seinen Bruder.
Der Mann lachte über diesen Gruß und fragte, woher diese Bruderschaft käme. Der Bock
versetzte: Wir Ziegenböcke nennen einander Brüder. Was? sagte der Mann, bin ich ein
Ziegenbock? Was sonst? antwortete der Bock, du hast bereits den Bart und in kurzer
Zeit wirst du die Hörner bekommen.

Diese Fabel lehret, man müsse sich vor ungewöhnlichen Unternehmungen hüten, durch
welche man sich dem Schimpfe und dem Spotte preis gibt.

Fab.144
Der Elefant und der Biber

Ein Elephant und ein Biber sprachen einstmals von dem Laufe der Welt miteinander,
sowohl in Ansehung der Tiere, als der Menschen. Unter andern Dingen fragte der Biber
den Elephanten, welche Herrlichkeit er sich am liebsten wünschen möge, entweder
Reichtum, oder Weisheit?
Der Elephant antwortete: Ich wollte mir wohl Weisheit wünschen, wenn ich nicht sähe,
daß so viele weise Solicitanten und studierte Leute mit niedergeschlagenen Köpfen in
den Vorgemächern der Narren stünden.

Fab.145
Des Löwens und der Löwin verschiedene Wünsche

Ein Löwe und eine Löwin hatten lange in einer sehr vergnügten Ehe miteinander gelebt.
Beide waren auch sehr andächtig, und sie hielten an jedem Tage gewisse Betstunden.
Aber in ihren Bitten stimmten sie miteinander nicht überein. Denn der Löwe bat um
Reichtum und langes Leben, die Löwin aber bat hingegen den Jupiter, er möge ihr
dasjenige geben, was ihr, wie er wüßte, am nützlichsten wäre.
Da die Löwin einstmals tödlich krank ward, und keine Hoffnung, länger zu leben
vorhanden war, sagte der Löwe: Du solltest deine Gebete wie die meinigen eingerichtet
haben, so hättest du wohl länger leben können. Darauf antwortete die Löwin: Vielleicht
wäre mir ein längeres Leben nicht dienlich gewesen; denn wir wissen nicht, was für
Übel uns bevorstehen kann. Dieses waren ihre letzten Worte, worauf sie ganz ruhig starb.

Der Löwe blieb bei seinen gewöhnlichen Wünschen. Er ward auch erhört. Er erreichte ein
hohes Alter, und alle Arten des Wohlstandes und des Überflusses überströmten ihn. Aber
so wie sein Alter zunahm, ebenso verlor er auch alle Lust und allen Appetit, daß er auch
an keiner Sache mehr Geschmack fand. Zuletzt wurden seine Glieder steif, daß er nicht
mehr gehen, und endlich sich gar nicht mehr bewegen konnte.
Da die andern Tiere im Walde dieses hörten, verwandelte sich ihre Ehrerbietung und
Furcht in solche Verachtung, daß auch die Vögel auf seinem Rücken nisteten, und der
Esel warf ihm seine Unreinigkeiten auf den Kopf, als auf einem Nachtstuhl.
Da sagte der Löwe seufzend: Ach! nun muß ich bekennen, daß die Bitten meiner Frau
am begründeten waren.

Diese Fabel lehret, daß es das Beste sei, man lasse alles auf die Vorsicht des Himmels
ankommen; oder daß man, wenn man um weltliche Dinge bitten will, bloß um eine
gesunde Seele in einem gesunden Körper bitten müsse.
Ut sit mens sans in corpore sano.

Fab.146
Von einer Näherin, die ihre Nähnadel verlor

Eine Näherin verlor einstmals auf dem Felde eine Nähnadel. Dieser Verlust ging ihr sehr
zu Herzen. Sie sagte, sie wollte lieber zehn andere Nadeln als diese einzige, vermißt
haben. Sie gab sich darauf alle Mühe, sie wieder zu finden, aber vergebens; denn die
Nadel blieb beständig unsichtbar. Aber, indem sie die verlorene Nadel suchte, fand sie
eine echte Perle, für welche sie mehr als eine Million Nähnadeln kaufen konnte.

Diese Fabel zeigt, daß ein mäßiger Verlust oft Ursache eines großen Gewinnes ist.

Fab.147
Des Wolfs andächtiger Paroxysmus

Der Wolf ward einstmals von einer heftigen Andacht so sehr eingenommen, daß er alle
anderen Wölfe verabscheute, sie für Missetäter hielt, und mit Bitterkeit gegen ihr und
anderer Tiere und Vögel sündiges Leben predigte. Er rief öfters aus: Ach du böse Welt!
wann willst du doch einmal an deine Bekehrung denken?
Aber, da er einstmals in dem stärksten Eifer war, fand er auf dem Wege eine Menge
Sennesblätter, die er in größter Geschwindigkeit verschlang. Diese Sennesblätter
verursachten ihm einen großen Durchlauf, welcher diese Wirkung tat, daß ihm nunmehr
dasjenige, was ihm sonst schief vorgekommen war, wieder gerade vorkam, und daß er
aufs neue Lust an der Welt hatte, indem er sich in seinem alten Handwerke, ohne die
geringsten Gewissensbisse, wieder übte.

Diese Fabel gibt einen Abriß einer unechten Andacht, die durch Paroxysmen entsteht;
sie zeigt zugleich, daß sie eine gewisse Art des Eifers ist, den man mit Klistieren und
Pillen wieder vertreiben kann.

Fab.148
Die beiden Brüder

Ein Mann hatte zwei Söhne, von denen der Jüngere sich durch seine Gelehrsamkeit und
durch seinen Verstand großen Ruhm erworben hatte. Dieser jüngere Sohn war von wenig
Worten, und ließ sich selten anmerken, daß er etwas wußte.
Der Ältere hingegen war eben so unwissend und dumm, als der Jüngere gelehrt und
vernünftig war. Er sprach aber beständig von seinem eigenen Ruhme. Da nun jemand
dieses dem Vater mit Verwunderung vorhielt, sagte dieser: Ich bin mit der Aufführung
beider vergnügt; denn weil alle Leute von dem einen niemand, aber von dem andern
spricht, so verliert der eine nichts durch sein Stillschweigen; hingegen muß der andere
stets von sich selbst reden, weil sonst niemand etwas von ihm zu sagen hat.

Diese Fabel lehrt, daß gute Ware keinen Ruhm nötig hat.

Fab.149
Der Hochmut des Maulwurfs

Ein Maulwurf fragte einen Biber, der eine Bedienung bei Hof hatte, was man von ihm an
dem Hofe des Löwen spräche? Der Biber antwortete darauf: Ich habe nicht merken
können, daß am ganzen Hofe jemand weiß, daß solche Tiere, die man Maulwürfe nennt,
in der Welt sind.

Fab.150
Der Nachruhm

Da in einer Gesellschaft erzählt ward, daß ein bekannter törichter Mann eine Schrift der
Presse überlassen hätte, sagte einer in der Gesellschaft: Ich sehe, daß er damit nichts
anderes sucht, als das die Nachkommen auch wissen sollen, daß er ein Narr gewesen.


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