Fabelverzeichnis

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Buch 2
 
Die Mücken
Das Johanniswürmchen
Der Hänfling
Der Käfer
Die Wollust
Der Ziegenbock
Die zwei Fichten
Das Schwein und der Hund
Das Licht und die Nacht
Die Krebse
Die Vergnügsamkeit
Die Ochsen und der Hirsch
Die Tugenden
Der Stein und der Kratzbeerstrauch
Der Müßiggänger
Der Pinsel und der Spiegel
Die zwei Tuchhändler

 
Die Saiten auf der Geige
Das hitzige Pferd
Diogenes
Der Dorfhund und der Stadthund
Die Fliegen und die Meise
Die Zeit
Der beneidete Mann
Der Bock und die Tauben

 

Die Mücken

Als einst das Sonnenlicht am allerheißesten schien,
Sah man das Mückenvolk auf seinen Spielplatz eilen,
Ein kleines Volk, berühmten von großen Beulen.
Die seine Stiche nach sich ziehn.
Die Wahlstatt ihrer Lustbarkeit
War von dem Wege nicht gar weit;
Hier flogen sie bald hin, bald wieder;
Sie tanzten, statt der Mittagsruh,
Bald rechts, bald links, bald auf, bald nieder,
Und sungen sich ein Lied nach ihrer Art dazu.
Ihr wolkenförmiges Gedränge
Schien hier den Reisenden den Durchgang zu verbieten.

Ein großer Mann, von Potsdams Länge,
Kam ungefähr daher geschritten.
Die Mücken bildeten sich ein,
Daß dieser einzle Mensch der Menge weichen sollte.
Er würde, dachten sie, so ungestüm nicht sein,
Daß er ein ganzes Volk verwegen kränken wollte.
Der Mann ging gleich zu. Bei Seite! ruften sie,
Man läßt euch hier nicht durch; ihr könnt dort drüben gehen.
Anstatt dazu sich zu verstehen,
Lief er den graden Weg, und ohne große Müh,
Recht mitten durch die stolzen Mücken.
Die stieß er an den Kopf, die druckt er an das Bein;
Der ward den Bauch zerquetscht und jener dort der Rücken.
Ach! hörte man ein kleines Mückchen schrein:
Ihr Herrn! das ist zu grob! das muß gerochen sein!
Die Närrin flog dem Riesen nach,
Den sie in vollem Grimm an seine Stirne stach.
Dem Manne tat es weh; er wollte sie verjagen;
Er schlug nach ihr, und hat sie gar erschlagen.

*   *   *

Man leide was von großen Leuten!
Die schaden sich nur selbst, die gleich zur Rache schreiten.

Das Johanniswürmchen

Es sah ein Kind, bei später Abendzeit,
Um seines Vaters Haus Johanniswürmchen fliegen.
Wer sie nur kennt, der sieht sie mit Vergnügen.
Das Kind aus Unerfahrenheit
War augenscheinlich übel dran;
Es sah die Würmchen hier für Feuerfunken an,
Die jemand ungefähr verstreut;
Sie flogen auf das Dach: Das Kind schrie: Feuer! Feuer!
Der Nachbar hört es kaum, so schrie er eben so.
Es brennt! so rief er stets. Das war ein rechter Schreier!
Der nahm das Maul recht voll! Er fragte nicht erst: Wo?
Es brennt! so schrie er nur, und lief durch alle Gassen.
Die Leute wußten sich nicht in der Angst zu fassen;
Das Herze wurde jedem schwer,
Als wenn die ganze Stadt schon eingeäschert wär.
Man phantasierte sonder Hitze;
Teils liefen nach der großen Sprütze;
Teils räumten alles aus, Geld, Betten, Kupfer, Zinn;
Was fortzubringen war, das trug man in die Keller.
Teils flüchteten sie selbst, und wußten nicht, wohin?
Teils schleppten Wasser auf den Söller,
Und brachen Schindeln aus, und stiegen auf das Dach.

Indessen ließ das Feuerschreien nach;
Man hörte weiter nichts; der unverhoffte Brand
Ward durch sich selbst gelöscht und glücklich abgewandt.
Man untersuchte nun, woher das Schrecken kommen?
Der Kerl, der anfangs so geschrien,
Ward durch den Stadtvogt vorgenommen.
In Hoffnung nun, der Strafe zu entfliehn,
Schob er die ganze Schuld auf seines Nachbars Kind,
Das Kind ward auch befragt, und zum Verhör gezogen:
Es weinte nur, und schwieg. Man weis, wie Kinder sind.
Man wußte lange nicht, was draus zu schließen war.
Ein Würmchen kam hier ungefähr
Zu allem Glück vorbei geflogen.
Seht! Feuer! schrie das Kind. Was war nun draus zu machen?
Man mußte seiner Einfalt lachen.

*   *   *

In kleinen Städten große Lügen.
Wer alles blindlings glaubt, hilft andre mit betrügen;
Und wenn man nach dem Grunde fragt:
So hats ein altes Weib, ein altes Kind, gesagt.

Der Hänfling

Ein Hänfling legte sich einst auf die Poesie,
Und zwar mit ziemlich gutem Glücke;
Die Reime flossen ihm, und wußte selbst nicht wie?
Er machte keine Meisterstücke;
Doch sang er gut genug. Durch seine Schäferlieder
Erwarb er sich viel Beifall hin und wieder.
Nach diesem kam ihm in den Sinn,
Etwas Moralisches zu dichten.
Damit ich, sprach er, doch der Welt was nütze bin:
So mag mein Reim die Narren unterrichten.
Er suchte, wie dort Aretin,
Die Fehler andrer durchzuziehn,
Um sie dadurch zur Besserung zu leiten;
Er nahm kein Blatt vors Maul, er striegelte drauflos,
Und stürzte sich dadurch in viel Verdrießlichkeiten.
Die Eigenliebe war auch bei den Vögeln groß.
Wer sich getroffen fand, den macht er sich zum Feinde;
Er hatte ohnedem gar wenig gute Freunde.
Statt seinen Vorsatz gut zu heißen,
Schwur ihm die Nation, sie wollten ihn zerreißen.

Der Dichter nahm bei der Gelegenheit
(Er hatt auch wirklich hohe Zeit)
Von den Satiren gute Nacht,
Die ihm so viel Verdruß gebracht.
Was mach ich? fing er an, sich selbst um Rat zu fragen,
Wer Laster, Laster nennt, der wird aufs Maul geschlagen,
Und ist der ganzen Welt zur Last.
Die Wahrheit, wenn sie straft, scheint jedermann verhaßt.
Er sann der Sache nach. Gut! hörte man ihn sagen,
Es fällt mir gleich was bessers ein:
Die Wahrheit, wenn sie lobt, wird angenehmer sein;
Wer Witz und Tugend hat, den werd ich künftig preisen.
Exempel bessern auch. Was man an andern sieht,
Das tut man gerne nach. Ich werde, durch mein Lied,
Gefallen und zugleich die Welt zur Tugend weisen.

Sein erstes Muster war das Lob der Nachtigallen.
Ihr Sänger, hub er an, wen reizt nicht euer Ton?
Wer läßt sein Morgenlied so früh, so laut, erschallen?
Wir schlafen noch, so singt ihr schon.
Eh sich die andern Vögel regen;
So seid ihr lange schon erwacht;
So seid ihr schon bemüht, bei still- und finstrer Nacht,
Des Schöpfers Ruhm an Tag zu legen.
Die Kunst macht euch berühmt, die Munterkeit noch mehr;
Kommt euch wohl jemand gleich? Ich wüßte wohl nicht, wer?
Dies Lob war billig gnug in unsers Dichters Augen.

Dem Neide kam es anders für,
Denn Spinnen wissen auch aus Rosen Gift zu saugen.
Was? Hub ein Zeisig an, seht doch! der Schmeichler hier!
Wird endlich gar nichts aus uns machen;
Der läppische Kerl! man muß nur seiner lachen.
Die Nachtigall, sein Gott, wird schwerlich noch auf Erden
Durchgängig angebetet werden.
Kurzum, der Hänfling war nun fast noch schlimmer dran,
Weil er die Nachtigall nach Billigkeit erhob.
Der Neid fand sich beschimpft durch andrer Leute Lob.
Man feindete den Dichter an!
Allein er gab nichts drauf; er pflegte nur zu lachen.
Was, sprach er, ist denn draus zu machen?
Die Nachtigall singt schöner, als wie ihr:
Der Henker hol den Neid! Was kann denn ich dafür?

*   *   *

So geht's! die Eigenliebe schreit.
Wenn ihr ein stachlicht Blatt die eignen Fehler weiset:
Hingegen schilt und flucht der Neid,
Wenn man die Tugenden an andern Leuten preiset.

Der Käfer

Ein dicker Edelmann wollt einst spazieren reiten;
Denn die Bewegung ist bei korpulenten Leuten
Ausnehmend und besonders gut.
Ein Käfer setzte sich auf unsers Junkers Hut,
Und gab ihm unbekannter Weise
Gesellschaft bei der kurzen Reise.
Sobald ein Bauer nur den Edelmann ersah:
So neigt er sich, und stund mit bloßem Haupte da.
Man wußte, wenn man nicht den Filz vom Kopfe nähme,
Daß man in Stock zu liegen käme.

Der Käfer, dem es glaublich schien,
Man sei so höflich gegen ihn,
Rief immer; großen Dank! ihr Leute! laßt die Mützen
Nur meinetwegen immer sitzen!
Ich nehms nicht so genau; setzt immer auf! Setzt auf!

Sie überritten kurz hierauf
Ein ganzes Dutzend Bauerjungen,
Die hier nach Maienkäfern sprungen.
Der gnädge Herr kommt dort! so rief die ganze Schar,
Die in der Jagt gestört und sehr erschrocken war.
Sie neigten in der Angst sich gar erbärmlich tief.
Weil jeder mit der Hand nach seinem Käpgen griff,
Und auch zugleich den Scharrfuß machte,

Fiel einer auf das Maul. Weil nun der Käfer dachte,
Sie täten dieses ihm zu ehren:
So schrie er: Nicht so tief! ihr armen Kinder! ihr!
Ihr kommt mir gar zu höflich für;
Wer wird von euch so viel Respekt begehren?
Bedeckt euch nur! Es ist schon gut.

Indessen hatt ein Kind den Käfer wahrgenommen;
Herr Junker, rief es gleich, beseht doch euern Hut!
Es ist ein Käfer drauf gekommen,
Erwischt ihn doch, und gebt ihn mir!
Der Edelmann hielt still, er fing das stolze Tier,
Und gab es unserm kleinen Knaben.
Das Kind nahm nicht einmal die Mütze dazu ab,
Als es, um seine Lust zu haben,
Dem Käfer Nasenstüber gab,
Daß sich der Kopf bald da bald dorthin bog.
Und endlich gar vom Rumpfe flog.

*   *   *

Umsonst! daß mancher Mensch viel von sich selber hält,
Der andrer Ehr und Lob auf seine Rechnung stellt;
Denn was er von sich glaubt, verneint die ganze Welt.

Die Wollust

Es legte sich der Tod einst auf die faule Seite,
Er ließ die Menschen gehn; sie lebten tausend Jahr;
Wiewohl die Mäßigkeit der Leute
Damals die mehrste Schuld des langen Lebens war.
Der Charon war dabei vollkommen übel dran;
Die Seelen kamen sparsam an;
Das Fahrgeld trug ihm wenig ein;
Vier Groschen auf einmal, war schon ein großes Glücke;
Sein Kahn war schlecht besetzt; oft fuhr er ganz allein.
So wie er kommen war, ins finstre Reich zurücke.
Die Hölle war halb leer, das Eliseerfeld
Glich einer unbewohnten Welt.

Man zog den Charon in Verdacht,
Als nähm er seine Pflicht nicht fleißig gnug in Acht.
Die Sache schien der Untersuchung wert.
Der ganze Höllenrat kam unverweilt zusammen.
Der Charon ward befragt. Man wollt ihn nicht verdammen,
Man hätt ihn denn zuvor gehört.
Das hieß nach Billigkeit verfahren!
Gestrenge Herrn! hub Charon an,
Ich schwöre bei dem Styx, ich bin nicht Schuld daran,
Daß seit so viel und langen Jahren
So wenig Seelen angekommen.
An mir hat's nicht gefehlt; klagt jemand über mich,
Ich hätt ihn nicht gleich eingenommen:
Der sei so gut und melde sich;
Es trifft mich übel gnug, mein schlechtbesetzter Nachen
Trägt oft in Jahr und Tag kaum zwanzig Gülden ein;
Ich kann mir ja die Fracht nicht selber machen.
O läg es nur an mir, ich wollte reicher sein.
Man sprach den Charon frei, und ließ den Tod zitieren;

Er kam auch gleich und stellte sich.
Gott Pluto sprach: Mein Sohn! man klaget über dich,
Du seist ein fauler Kerl; was hast du anzuführen.,
Dich zu entschuldigen? Sag an! Es steht dir frei.
Dem Tode war nicht wohl dabei;
Er klapperte vor Furcht. Ihr Götter! hub er an,
Der Menschen Mäßigkeit, nicht ich bin Schuld daran,
Daß man so sparsam stirbt; ja ja die Mäßigkeit
Verwehret mir den Zugang zu den Häusern,
Und macht die Menschen gleichsam eisern;
Ein jeglicher erlebt die ihm bestimmte Zeit;
Ich kann wahrhaftig nichts dafür.

Gott Pluto mußte selbst dem Tode Beifall geben.
Geh! sprach er, du hast Recht; indessen fragt sich's hier,
Wie diese Schwierigkeit zu heben?
Man hielt hierüber Rat; die Stimmen teilten sich;
Der sagte so, der so; kein Einfall hielt den Stich;
Es wurde hin und her gesprochen.
Als man sich lange gnug den Kopf umsonst zerbrochen,
Rief Pluto, den man auch für den gescheitsten hielt,
Ihr Herrn, mein Rat ist der: Die Mäßigkeit muß weichen;
Man schicke nur die Wollust auf die Welt;
Sogleich wird niemand mehr sein Lebensziel erreichen.

Gesagt und auch getan. Die Wollust kam auf Erden.
Kurz drauf verschwand die Mäßigkeit.
Man fraß und soff sich krank; man starb nun vor der Zelt,
Als Kinder fing man an schon alt und schwach zu werden,
Und gab dem Tode gnug zu tun.
Der Charon konnte nun so Tag als Nacht nicht ruhn;
Sein Kahn ward immer voll; kaum war er abgefahren,
Als tausend Seelen schon aufs neu
Am Ufer seiner wartend waren.
Die Hölle ward besetzt und Charon reich dabei.

*   *   *

Der Mensch ist ein so kluges Tier,
Und dennoch läßt er sich die Wollust leicht erschleichen;
Die schöne Mörderin! die Mutter junger Leichen!
Wer lange leben will, der hüte sich vor ihr.

Der Ziegenbock

Ein alter Ziegenbock, der schon ins neunte Jahr
Auf einem Edelhofe war,
Ging aus und ein, die Treppen auf und ab.
Man hatte manchen Spaß, mit diesem art'gen Bocke.
Wenn ihm die gnädge Frau manchmal ein Zeichen gab:
Zerrt er das Kammermensch, mit ihrem Reifenrocke,
Im ganzen Zimmer hin und her.
Er macht auch noch viel andre Possen mehr.
Gesetzt ein Diener wollte trinken;
So durfte nur der Herr dem schelmschen Bocke winken;
Gleich schlich er sachte hin, und gab ihm einen Stoß,
Daß er das ganze Bier sich auf die Kleider goß.
So bald man ihm zu nahe trat:
So wußt er jeglichem ein Schelmstück zu beweisen;
Sonst tat er keinem nichts, wenn man nur ihm nichts tat.

Einst mußte Herr und Frau acht Tage lang verreisen;
Sie fuhren auf ein Hochzeitmahl,
Und hinterließen es, man sollte Stub und Saal
Indessen putzen, scheuern, fegen;
Und dieses alles dessentwegen:
Sie brachten Gäste mit, wenn sie zurücke kämen.
Man kehrte, wusch und rieb; man hatte manche Nacht
Mit Putzen schlaflos zugebracht.
Sonst war schon alles schön; nur auf den Spiegelrahmen
Lag der verjährte Staub noch halbe Finger dicke.
Die Scheuerfrau war kurz von Armen und Geschicke:
Sie reichte nicht so hoch. Wer klein ist, langt nicht weit.
Zu besserer Bequemlichkeit
Sprach sie den Hausknecht an, er möchte sich bequemen,
Und ihr behilflich sein, die Spiegel abzunehmen.
Hans stieg auf einen Stuhl; er tut nach ihrem Sinn;
Er nahm die Spiegel ab, und reichte sie ihr hin.
Sie nahm sie nun aus seiner Hand
Und stemmte sie behutsam an die Wand.
Zum Unglück fehlten ihr damals verschiedne Sachen;
Deswegen ging sie fort, und dachte nicht daran,
Die Türe nach sich zuzumachen.

Der Bock kam in den Saal; er sah die Spiegel an,
Die ihm sein Ebenbild leibhaftig sehen ließen.
Herr Landsmann! rief der Bock, wo kommst denn du hierher?
Der Freund im Glase schwieg; die Rede fiel ihm schwer.
Den Fragenden schien dieses zu verdrießen;
Er hielt sich für beschimpft. Der Eifer gab ihm ein,
Ein Zweikampf würde hier der beste Schiedsmann sein.
(Studenten machen auch die Händel oft so aus)
Er forderte den Fremden raus.
Drauf trat er, mit ergrimmtem Blicke,
Nach aller tapfern Böcke Brauch,
Um bester auszuholen, vier Schritte weit zurücke.
Der Bock im Glase tat das auch.
Sie spieen beide Gift und Flammen;
Drauf rannten sie mit aller Macht zusammen.
Der Spiegel brach entzwei; der fremde Herr verschwand.
Der Bock, der seinen Feind im zweiten Spiegel fand,
War eben im Begriff noch einen Gang zu wagen,
Wenn nicht die Scheuerfrau sich hier ins Mittel schlug.
Sie kam und schrie, und hatte Müh genug,
Den aufgebrachten Bock noch endlich fort zu jagen.

Als nun die Herrschaft wiederkam,
Und von den Mägden und den Knechten
Den lustigen Bericht von diesem Spiegelfechten
Gehört und in Betrachtung nahm:
Bekam die Scheuerfrau für den zerbrochnen Spiegel
Von ihrem gnädgen Herrn ein Dutzend derbe Prügel.
Dem Bocke, welcher doch die mehrste Schuld daran,
Ward weiter gar kein Leid getan;
Man lachte seiner noch, und nennte ihn zum Spotte
Den zweiten Don Quichotte.

*   *   *

Wer zu gefallen weis, mag machen, was er will,
Man schweigt zu seinen Fehlern still.

Die zwei Fichten

Zwei hoch-und wohlgewachsne Fichten
Beredeten sich oft von ihrer Trefflichkeit,
Und suchten stets Gelegenheit,
Der andern Bäume Lob bestmöglichst zu vernichten.
Nicht wahr, so hieß es stets, daß wir die schönsten sein?
Wir bilden uns zwar viel, doch noch zu wenig, ein;
Wer gleichet uns an Länge der Gestalt?
Die andern Bäume dort beschimpfen nur den Wald;
Hingegen ich und du gereichen ihm zur Ehre.
Frau Schwester! siehst du dort den läppischen Ebschbeerbaum?
Der krummgewachsne Kerl verdient die Stelle kaum.
Ja, sprach die andre drauf, wenn ich der Förster wäre,
So einen Krüppel litt ich nicht.
Ich ließ ihn ganz gewiß noch heute niederschlagen.
Der Wind, der manchen Baum zerbricht,
Darf, wenn er wiederkommt, gar kein Bedenken tragen,
So einen Lumpenkerl zur Kurzweil umzuschmeißen.
Und ich, hub jene wieder an,
Will ewig eine Hure heißen,
Wo jene Tanne dort sechs Schritte sehen kann,
Da wir viel Meilen weit das Land umher betrachten,
Die andern Fichten, die hier stehn,
Und einem kaum bis an die Schultern gehn,
Sind Kinder gegen uns und fast für nichts zu achten.
Wofern die Welt noch lange steht:
So werden wir ein Wunderwerk der Erden
Und endlich weit berühmter werden,
Als jener Apfelbaum, der Edens Pracht erhöht,
Und noch den Menschen stets so viel zu reden macht.
Die ganze Welt wird rühmlich von uns sprechen;
Vielleicht läßt man uns denn gar in Kupfer stechen.

Allein ein Sturmwind kam noch in derselben Nacht,
Und warf dies stolze Paar gleich über einen Haufen;
Der Ebschbeerbaum blieb sicher stehn.

*   *   *

Wer hoch zu steigen denkt, muß oft zu Grunde gehn;
Warum? Der Hochmut kann dem Falle nicht entlaufen.

Das Schwein und der Hund

Ein Schwein, das auf der Mastung lag,
Bekam sein Futter Tag für Tag;
Es hatte müßge Zeit, es fraß und ging zu Bette.
Ach! sprach des Nachbars Hund: Wie gut hats doch ein Schwein!
Wenn ich so gute Tage hätte,
Ich wünschte mir nicht glücklicher zu sein.
So aber möcht ich oft beinah für Hunger sterben.
Bekomm ich ja zur höchsten Not
Ein Stückchen alt und schimmlicht Brot:
So muß ich mir es sauer gnug erwerben.
Der Henker hole meinen Herrn!
Denn geht er nächtlich aus: So hab ich die Latern
Beständig vor ihm herzutragen.
Und leucht ich ihm nicht recht, und stoß an einen Stein:
So werd ich noch dazu geschlagen.
Früh muß ich in der Küche sein;
Da hab ich nun ein großes Rad zu treten,
Das den verdammten Bratspieß treibt;
Drauf helf ich noch dazu umsonst zu Tische beten.
Die Köchin, sieht wohl, wo sie bleibt.
So gut mir auch das Fleisch gerochen:
So gibt man mir doch nur die abgenagten Knochen,
Mit denen ohnedem nichts mehr zu machen ist.
Und, was mich noch am heftigsten verdrießt,
Die Kinder martern mich, ich möchte manchmal schrein.
Der ältste Junge weis mich vollends recht zu plagen;
Bald reitet er auf mir, bald zieh ich ihn im Wagen,
Und muß sein Kutschenpferd, und auch sein Reitpferd sein.
Hingegen dort das faule Schwein
Bekommt die Kost umsonst, es darf dafür nichts tun,
Und mag den ganzen Tag im Stalle müßig ruhn.
Was hilft mir Müh und Fleiß? Den Faulen krönt das Glücke.
Hier bleib ich länger nicht; ich laufe wirklich fort.

Ein alter Fleischerhund fiel diesem hier ins Wort.
Freund! sprach er, tadle nicht das billige Geschicke!
Die Ungeduld ist blind, sie meint, die Vorsicht schlafe,
Wenn der, ders nicht verdient, von lauter Wohlsein spricht;
Du kennst den Lauf der Welt noch nicht,
Die guten Tage selbst sind manchmal eine Strafe.
O! warte nur bis auf Weihnachten,
Da wird man dieses Glückskind schlachten;
Alsdann sprich noch einmal: Wie gut hats doch ein Schwein!

*   *   *

Wie manchem muß das Glück des Unglücks Vorspiel sein!

Das Licht und die Nacht

Ein Licht beklagte sich in Gegenwart der Nacht,
Daß seine Strahlen nicht weit reichten.
Es sprach: Ich wollte gern die ganze Welt erleuchten;
Das Aufsehn, das der Monde macht,
Verleitet mich, der Ehre nachzustreben,
Es seinem Glanze nachzutun;
Ich kann auch, wie gesagt, unmöglich eher ruhn.
O Einfalt! sprach die Nacht, das wirst du nicht erleben.
Um desto schlimmer ist's, verfolgte das Licht,
Wenn ich mir auf der Welt kein großes Lob erwerbe.
Ich leuchte zwar; allein so prächtig nicht.
Was wird man sagen, wenn ich sterbe?
Mein schlechter Lebenslauf wird nichts besonders sein;
Kein Redner wird, mein Tun der Nachwelt anzupreisen.
Sich meinetwegen heiser schrein.

Ich hab auch, wie du siehst, nichts großes aufzuweisen.
Es geht mir eben so, versetzte die Nacht;
Der Tag bekommt sein Lob, aus mir wird nichts gemacht.
Ihn nennt man angenehm, mich pflegt man gar zu hassen.
Ich muß mirs auch gefallen lassen;
Denn wenn ich meiner Pflicht gleich voll Genüge tu:
So macht der Mensch mit Fleiß die Augen vor mir zu,
Und will, als wär er blind, von meinen Finsternissen,
Um zehn Uhr sonderlich, nichts sehen, und nichts wissen.

Schau! siehst du, sprach das Licht, dort die Rakete steigen?
Je denkt doch! je wie hoch! wahrhaftig, das läßt schön!
Schau! schau! was dort für Leute stehn,
Und wie sie sich dabei so aufmerksam bezeugen!
Wie lange? sprach die Nacht. In einem Augenblicke
Wird die Verwundrung aus, und dieser prächtge Schein
Verschwunden und zerstoben sein.
Das stolze Feuer fiel auch Knall und Fall zurücke,
Daß niemand weiter was von seiner Pracht mehr sah.
So geht es, rief die Nacht; wir sind noch immer da.
Was übermäßig ist, das hält gemeiniglich
Nicht eben gar zu lange Stich.
Ach! wenn ich, sprach das Licht, mir so viel Ruhm erwürbe,
Wie die Rakete hier: Wie fröhlich wollt ich sein,
Und wenn ich auch drei Stunden eher stürbe;
Ich brenne so schon dunkel gnug.

Die Putzscher lag zwar da; doch niemand war zur Hand,
Der für die Reinigung des Lichtes Sorge trug,
Obgleich die Schnuppe schon zwei Zoll und höher stand,
Die endlich einen Bogen machte,
Und nach und nach dem Inschlitt näher kam,
Bis sie zuletzt gar darinnen brennend schwamm,
Und unser Licht dadurch auf die Gedanken brachte,
Sein Wunsch sei nun erhört. Ach! rief es, schau doch her!
Verwunderst du dich nicht? Ich bin kein Licht nicht mehr;
Und wies das Ansehn hat, so kann ich leicht auf Erden
Noch gar zu einer Sonne werden.
Itzt leucht ich recht! sieh nur, wie groß mein Ansehn ist!
Ich sehs wohl, sprach die Nacht, wenn du willst zweifach brennen:
So wirst du auch gar bald dein Lebensziel errennen;
Schau! wie das Inschlitt schon dort auf dem Tische fließt.
Du kannst es auf dergleichen Art
Bei einer solchen Glut unmöglich lange treiben;
Wer dauern soll, der muß in seinen Schranken bleiben,
Das Licht, das immer größer ward,
Verloderte bei der Gelegenheit
Fast auf einmal in einer kurzen Zeit.

*   *   *

Wer weiter greifen will, als sein Vermögen reicht,
Befördert auch dadurch sein zeitliches Verderben,
Und muß, wenn Kraft und Nahrung weicht,
Um so viel früher schimpflich sterben.
Auf einmal gar zu groß zu sein,
Ist in der Tat so viel, als noch einmal so klein.

Die Krebse

Die Fischer kamen einst, bei spät- und stiller Nacht,
An unsern Boberstrom gegangen;
Sie stiegen in den Fluß, und wollten Krebse fangen;
Ein jeder trug sein Licht am Hute fest gemacht.
Es ließ, als wär der Tag schon wieder angebrochen.
Wie nun die Krebse stets sehr wunderhaftig sein:
So kamen sie auch hier, betrogen durch den Schein,
Aus ihren Löchern vorgekrochen.
Man sah sie mit gesamtem Haufen
Den Fischern in die Hände laufen.
Ein alt-und schlauer Krebs, der die Gefahr verstand,
Gab seinen Kindern mit der Hand
Ein wohlgemeintes Warnungszeichen.
Er hielt sie treulich an, nicht von der Stell zu weichen.
Bleibt, sprach er, bleibt doch hier! ihr kennt die Welt noch nicht;
Der Tag, den man euch hier verspricht,
Wird, wo ihr mir nicht folgt, zu mein- und eurer Pein,
Der letzte eures Lebens sein.

Die Kinder fingen an zu lachen.
Ja, sprachen sie, schon gut! wir sind Gottlob! nicht blind;
Man will uns nur so bange machen.
Man weis schon, wie die Mütter sind.
Zuletzt wird man uns wohl gar ins Loch verschließen,
Daß wir daheim verfaulen müssen.
Bleibt, schrie der alte Krebs, sonst ist's um euch geschehn!
Die Jungen sprachen: Nein! es ist ja lichter Morgen;
Wir haben gar nichts zu besorgen.
Die Antwort war: Ihr werdet es schon sehn.
Geht immer, geht! ich wünsch euch alles Glücke.

Sie liefen fort; die Mutter blieb zurücke,
Und sah den Kindern traurig nach,
Von deren Wiederkunft sie sich nichts Gutes versprach.
Ihr Unglück war auch nun nicht weiter abzuwenden.
Die Fischer haschten sie sogleich mit ihren Händen,
Und steckten sie zusammen in den Sack.
Ach! rief ein junger Krebs, vermaledeiter Tag!
Wer nach der Mutter Rat zu Hause blieben wär!
Ach! schrie die gute Frau mit Tränen hinter her:
Zu spät! lieber Sohn! die Nachreu hilft nichts mehr.

Die Vergnügsamkeit

Die Menschen pflegten einst das Glücke zu verklagen,
Als würf es einem viel, dem andern wenig zu.
Zeus sollte sich ins Mittel schlagen,
Und zu Beförderung der allgemeinen Ruh,
Die Güter dieser Welt gewissenhaftig teilen.
Gott Jupiter erwog die Sache hin und her;
Er wollte sich nicht übereilen.
Die Teilung, sprach er, scheint zwar an sich selbst nicht schwer,
Es ist mir um ein Wort; es fragt sich nur dabei:
Ob euch damit geraten sei?
Ja! rief der arme Mensch, wir geben uns zufrieden,
Wenn jedem unter uns ein gleiches Teil beschieden.
Nein! sprach Gott Jupiter, ich glaub euch dieses nicht.
Ich seh, daß der Erfolg der Hoffnung widerspricht;
Ich weis schon, wie ihr Menschen seid.
Bedenke dich doch selbst, schrie hier ein Schwarm Poeten,
(Ha! ha! dergleichen Volk hat immer viel vonnöten,)
Gereicht es deiner Gütigkeit
Denn nicht zu ganz besondern Ehren,
Wenn alle Menschen reich und keine Bettler wären?
Wie aber? wendete Gott Jupiter darauf ein.
Was würdet ihr doch wohl dadurch gebessert sein?
Gesetzt ich teile meine Gaben
Mit voller Gleichheit unter euch:
Ihr würdet weniger, als vor der Teilung, haben:
Denn wo kein Armer ist, da ist auch niemand reich;
Wer nicht mit wenigem zufrieden,
Der würd es auch bei vielem Gut nicht sein.

Gott sah den Geiz der Menschen ein.
Der Streit ward endlich so entschieden.
Hört! sprach der gütige Gott, die Teilung mag so bleiben,
Wie sie zeither gewesen ist;
Ihr habt mir ohnedem hierin nichts vorzuschreiben.
Doch weil ihr euch nicht drein zu finden wißt:
So schenk ich euch hiermit, aus gnädigem Erbarmen,
Die selige Vergnügsamkeit.
Hier ist sie! nehmt sie hin! ich gebe sie den Armen;
Glaubt, wenn ihr diese habt, daß ihr viel reicher seid,
Als andre, die bei vielen Gaben
Ein unvergnügtes Herze haben.

Teils griffen zu; teils nicht. Ach! schrie ein armer Weber,
Man sieht es schon: Zeus ist der rechte Geber!
Ich tu mir was auf die Vergnügsamkeit,
Auf die mir niemand was bei meiner Armut leiht!
Geld macht die Leute reich; das sind nur leere Possen.
Gott Jupiter, den dieses bald verdrossen,
Riß der Gerechtigkeit die Waage aus der Hand.
Mich jammert, sprach er laut, der Menschen Unverstand;
Du unzufriedner Kerl! gib deinen Beutel her!
Hier ist er, hörte man den groben Bengel sagen.
Weil nur zwei Kreuzer drinnen lagen:
So wog er folglich auch nicht schwer.
Zeus legte die Vergnügsamkeit
Zu diesem leichten Kapitale;
Zwölf tausend Taler bar lag in der andern Schale.
Seht, rief der gütige Gott, seht, ob ich euch betrogen?
Die Waage war kaum aufgezogen:
So ward die ganze Sache klar.
Der arme Beutel wog mehr, als zwölf tausend bar;
Weil die Vergnügsamkeit den Reichtum überwiegt.

*   *   *

Wer viel hat, ist oft arm; wer wenig hat, ist reich.
Man lebe mit sich selbst vergnügt!
Dadurch wird Irus Cröso gleich.

Die Ochsen und der Hirsch

Acht Ochsen taten einst zusammen eine Reise;
Sie wanderten nach ihrer Weise,
Ganz langsam und gemächlich fort,
Und schwatzten unterwegs von den und jenen Sachen;
Doch alles mit Bedacht, auf jeden Schritt ein Wort.
Der eine machte stets den andern was zu lachen;
Bald fiel der Narr mit Fleiß, bald blieb er seufzend stehn,
Und tat, als würd er lahm, als könnt er nicht mehr gehn;
Bald stellt er sich zum Spaß, als würd er sterben müssen;
Bald tanzt er auf den Hinterfüßen;
Bald lief er vor, bald nach, bald rücklings, bald die Quer,
Und machte lauter Narrenpossen,
Als wenn er gar mit Hasenschrot geschossen,
Und nicht recht wohl bei Sinnen wär.
Man hatte manche Lust mit ihm zeither gehabt,
Denn auch die Ochsen scherzten gern.

Inzwischen kam ein Hirsche nachgedrabt,
Der schrie: Glück zu! wohin? ihr Herrn!
Wir gehn der Nase nach; mehr brauchst du nicht zu wissen.
Die Antwort schien den Hirschen zu verdrießen;
Doch weil er sich zu schwach befand,
So gleich im Eifer loszubrechen:
So tat er klug daran, daß er sich überwand;
Er suchte sich mit List zu rächen.
Verzeiht mir! hörte man den schlauen Hirschen sprechen,
Wofern ich mich zu viel hier untersteh.
Ich habe zwar gefragt, wohin die Reise geh?
Allein ihr müßt mir das nicht gleich so übel nehmen,
Es steht, so viel ich weis, ja eine Frage frei.
Jedoch dem sei nun, wie ihm sei!
Wenns euch zuwider ist, ich kann mein Maul schon zähmen
Erlaubt mir nur, daß ich den heutgen Tag
Gesellschaft mit euch machen mag!

Die Ochsen nickten mit den Köpfen,
Als sprächen sie: Ja! ja! der Hirsche lief voraus,
Das Rindfleisch folgte nach. Er bat sich dieses aus,
Damit man keinen Argwohn schöpfen,
Noch sich was Widriges von ihm besorgen möchte.
Der Zug sah prächtig aus. Es ließ recht ungemein.
Der Hirsche schien ein großer Herr zu sein,
Dem folgten hinten nach ein Heer leibeigner Knechte.
Er führte sie mit Fleiß den Fußsteig über Feld,
Wo schon der Ackersmann die Wintersaat bestellt;
Hier war ein Schlagbaum vorgezogen.
Der Hirsche setzte gleich mit gleichen Füßen drüber,
Er war recht drüber hin geflogen;
Die Ochsen stunden still. Fort! rief er, nur herüber!
Wagt immer einen Sprung! ihr habt hier nichts zu scheun;
Pfui! schämt euch! traut ihrs euch nicht zu, so hoch zu springen?
Was taugt denn unversucht? Ihr müßt nicht furchtsam sein;
Holt nur recht aus! Es wird euch in der Tat
Viel leichter, als ihr denkt, gelingen.

Der Ochse, der zeither Scarmuzens Amt vertrat,
Ließ endlich sich bereden und bewegen,
Die erste Probe abzulegen.
Bei Seite! rief er. Macht mir Platz!
Er trabte drauf vier Schritte weit zurücke.
Nachdem er ausgeholt: So tat er einen Satz,
Und sprang, jedoch zu kurz. Der Kerl war schwer und dicke;
Und weil er bei dem Niederschieben
Stark an den Schlagbaum angeprellt:
So hatt er sich den ganzen Kopf zerschellt.
Der Hirsche schrie: Wer folgt? Hat niemand mehr Belieben,
Sich und sein Glück empor zu schwingen?
Wiewohl euch Ochsen pflegts weit besser anzustehn,
Der eignen Nase nachzugehn,
Als einem Hirschen nachzuspringen.

*   *   *

Ihr Kinder! merkts euch hier! strebt nicht nach hohen Sachen,
Besonders, wenn ihr nicht dazu geboren seid!
Laßt euch die Ochsen klüger machen;
Tut, was euch möglich ist; und bringt ihrs nicht so weit,
Als mancher, dem das Glück den höchsten Gipfel gönnt:
Das ist euch Ehre gnug: Ihr tut so viel ihr könnt.

Die Tugenden

Man sah die Schar der Tugenden
Einst in den Hundstagsferien
Von der gewohnten Arbeit ruhn.
Sie hatten ohnedem in den vergangnen Zeiten
Nicht halb so viel, als itzt, zu tun.
Denn damals fehlt es oft an tugendhaften Leuten,
Die heut zu Tage so gemein
Und fast nicht mehr zu zählen sein.

Doch wieder in das Gleis! Hört, sprach die Mühsamkeit,
Ich kann nicht lange müßig bleiben;
Wir könnten uns die Zeit wohl durch ein Spiel vertreiben,
Ich spiele mit, rief die Zufriedenheit.
Die andern sagten auch, sie ließen sichs gefallen.
Man nannte viele Spiele her;
Es stritt sich, welches unter allen
Das lustigste für sie, und auch das beste wär.
Drauf wählte man ein Spiel; man nennts die blinde Kuh,
Und die Gerechtigkeit erbot sich selbst dazu,
Daß sie die Hauptperson des Spieles heißen wollte,
Der man die Augen blenden sollte.
Ein Schnupftuch her! rief die Zufriedenheit;
Nehmt meines! sprach die Gütigkeit,
Es ist hübsch groß, es wird dazu schon taugen.
Sie gabs der Keuschheit in die Hand,
Und diese, weil sie gleich am allernächsten stand,
Band der Gerechtigkeit die Augen,
Als einer künftigblinden Kuh,
Geschickt und regelmäßig zu.
Die andern Tugenden versteckten sich indessen,
Hier hinter einen Baum, dort hintereinen Strauch.
Die Redlichkeit, die den Gebrauch
Von diesem Spiele ganz vergessen,
Verkroch sich etwas gar zu weit,
In Meinung, daß man sie so bald nicht finden sollte.
Der Ort, worin sie sich im Walde bergen wollte,
War einer Bärin Wochenstube.
Die Redlichkeit kroch zu ihr in die Grube,
Und fand hier ihren Tod und auch zugleich ihr Grab.

Die Kuh ward ausgeführt, der man die Freiheit gab,
Den andern Schwestern nachzugehen.
Die Keuschheit schlich sich auf den Zehen
Ganz sachte von ihr fort, und hinter einen Stein.
Wo steckt ihr? rief die blinde Kuh.
Hier sind wir! hörte sie Ost-West-Süd-Nordwärts schrein;
Sie tappte hin und her, und wußte nicht wo zu?
Oft meinte sie der Stimme nachzugehen;
Wenn sie nun vorwärts lief: So schrie man hinter ihr:
Gefehlt, gefehlt! Wir stecken hier!
Sie drehte wieder um, kam blind, blieb wieder stehen,
Und lauschte, doch umsonst. Man hatte lange Zeit
Den größten Spaß mit der Gerechtigkeit;

Jedoch weil alle Lust, wenn sie zu lange währt,
Sich endlich in Verdruß verkehrt:
So kam die Gütigkeit nun von sich selbst gegangen,
Und ließ sich von der blinden Kuh
Gutwillig und mit Fleiße fangen.
Die andern kamen auch hier wiederum herzu.
Die Redlichkeit blieb weg. Man ging, man suchte sie,
Man klagte, seufzte, weinte, schrie;
Doch alles ganz umsonst; sie war und blieb verloren.

Vier Wochen etwa drauf ward in Bukolien
Dem Könige des Orts ein junger Prinz geboren;
Gleich sollten alle Tugenden,
Nicht eine einzge ausgenommen,
Den Kronprinz groß zu ziehn, nach seinem Hofe kommen.
Was war zu tun? die Redlichkeit blieb aus.
Der Schluß fiel endlich da hinaus,
Man müßt an ihrer statt ein neues Mitglied wählen.
Man fragte bei dem Glück: Wer dazu tüchtig sei?
Da traf das Los die Schmeichelei.
Die Wahrheit wußte sich für Eifer kaum zu fassen.
Sie flucht und schmählte lange Zeit
Auf diese neue Redlichkeit;
Indessen mußte sie die Wahl doch gelten lassen.
Ach! sprach die Sittsamkeit: Es läßt sich nicht erzwingen;
Ich bilde mir nichts Gutes ein,
Wir werden schlecht willkommen sein,
Wenn wir die Lügnerin mit uns nach Hofe bringen.
Als es zum Treffen kam: So gings ganz anders her.
Der neuen Redlichkeit, das ist, der Schmeichelei,
Fiel jedermann bei Hofe bei;
Die Wahrheit galt fast gar nichts mehr,
Besonders bei der lieben Jugend.
Mit einem Wort, die neugeworbne Tugend,
Weil sie die Kunst verstund, den Leuten zu gefallen,
Bekam den Vorzug hier vor ihren Schwestern allen.

*   *   *

Wer fünfe grade nennt, und fein schmarotzen kann,
Den ehrt man überall, der ist der beste Mann.

Der Stein und der Kratzbeerstrauch

Es war ein hohler Weg, worinnen rechter Hand
Ein großer Stein am Rande sich befand,
Den so schon engen Weg noch weiter zu bedrängen.
Kein Wagen kam hier ungezwackt vorbei.
Der beste Fuhrmann blieb an diesem Steine hängen,
Und brach oft Achs und Rad entzwei.
Wenn nun die Kutscher wacker fluchten,
Und mit der größten Müh sich aufzuraffen suchten:
So lachte sie der Stein, der Schadenfroh noch aus,
Und machte sich die größte Freude draus.
Es war ihm allemal nur leid,
Daß nicht der Kutscher gar den Hals gebrochen hätte.

Es stund ein Kratzbeerstrauch nicht weit,
Der trieb mit ihm zugleich hierüber sein Gespötte;
Indem er, wenn es nun noch endlich so weit kam,
Daß man das Rad aufs neu in Gang und Ordnung brachte,
Den Kutscher vollends rasend machte,
Indem er ihm die Peitsche nahm.
Denn wollt er sie nicht lassen liegen:
So wurde Schwager Hans, der kaum aufs Pferd gestiegen,
Gezwungen, wieder abzusteigen.
Die scharfen Spitzen an den Zweigen
Verletzten ihm, durch ihren Widerstand,
Oft noch dazu die Finger an die Hand.
Wenn nun die Leute fort und dieses saubre Paar
Hierauf allein beisammen war:
So halfen sie einander drüber lachen.

He! rief der Kratzbeerstrauch. Der Kerl war recht bezahlt!
Gelt! Bruder! Hab ich ihm die Hand nicht schön gemalt?
Ich kann den Leuten recht die Finger blutig machen.
Es ist nur Schade, sprach der Stein,
Daß unsre Taten nicht in Erz gegraben sein;
Daß die Poeten sich nicht so viel Mühe geben,
Und mich und dich den Helden gleich erheben.
Wer weis, was noch geschieht? St! rief der Kratzbeerstrauch,
Dort kommen Leute! Siehst du's auch?
Was meinest du zu jenem goldnen Wagen?
Herr Bruder! Gib ihm eins! Ich wette, sprach der Stein,
Er wird am längsten ganz und schön gewesen sein.
Der Kutscher kam in vollem Jagen,
Bordutz! da schmiß er um. Der Wagen brach entzwei.
Der Knecht brach Arm und Bein; die Pferde wurden scheu,
Und gingen endlich durch. Es war hier noch ein Glücke,
Bei der erschrecklichen Gefahr,
Daß niemand in dem Wagen war.
Gut! schrie der Kratzbeerstrauch, das ist ein Meisterstücke!
Du liebes Brüderchen! du hasts schon recht gemacht.
Drauf, als sie beide sich hierüber satt gelacht,
Gab eins dem andern gute Nacht,
Der Meinung künftgen Tag die Freude fortzusetzen,
Und sich an andrer Schmerz rechtschaffen zu ergötzen.

Doch diesen Vögeln ward das Handwerk bald gelegt.
Der Ruf des letzten Falls hatt jedermann erregt.
Die Leute hatten noch sehr viel dazu gelogen;
Drum ward die Obrigkeit des Orts dahin bewogen,
Daß sie den argen Stein den Tag drauf sprengen ließ,
Der auf den ersten Schuß viel Stücke von sich schmiß;
Das größte davon traf den nahen Kratzbeerstrauch,
Und also half ein Schelm den andern hier erschlagen.

*   *   *

Ihr die ihr gerne hetzt, seht her! so gehts euch auch?
Wer böse Buben lobt, muß gleiche Strafe tragen.

Der Müßiggänger

An einem großen Kirchweihfeste
Befand das Wirtshaus sich voll halbberauschter Gäste.
Die Lust ward allgemein; man ließ die Grillen fliehn;
Es ward gegeigt, getanzt, gesungen und geschrien.
Man trank auf du und du; die Bauern wurden Brüder;
Hier soff das Weib den Mann, der Sohn den Vater nieder.
Besonders saß ein Tisch voll auserlesner Freunde,
Die klagten über Krieg, und über böse Zeit.
Ihr Herrn! hub einer an, wir sind wohl nicht gescheut;
Krieg hin! Krieg her! der Henker hol die Feinde!
Mich dürstet, trinkt doch fort! der Schulze trat dazu:
Nur lustig! sprach er zu den Gästen.
O ja! versetzten sie, Herr Schulz! ihr habts am besten;
Ihr dürft nichts tun, und lebt in guter Ruh.
Ach! rief ein Drescherknecht, den man den Faulen nennte.
Wenn ich es auf der Welt so weit noch bringen könnte,
Daß ich nichts mehr zu tun und gleichwohl stets dabei
Vollauf und gnug zu essen hätte:
Ich läge Tag und Nacht im Bette,
Und glaubet, daß mein Glück ganz unvergleichlich sei.
Gut! sprach der Schulze, wenn ihr wollt:
So könnt ihr Jahr und Tag so glücklich bei mir leben;
Ich will euch gnug zu essen geben,
Dafür ihr sonst nichts tun, als müßiggehen sollt.

Ein Wort, ein Mann. Er sagt's auch nicht zum Possen,
Und gab im Ernste drauf dem Faulen seine Hand.
Die Bauern schlugen aus; der Handel war geschlossen,
Und weit und breit berühmt, erzählt, belacht, bekannt.
Der Faule nun trat gleich den nächsten Morgen
Sein unbemühtes Amt mit großen Freuden an,
Und glaubte für gewiß, er wäre glücklich dran.
Er aß und trank und schlief, und hatte nichts zu sorgen.
Man hielt ihn, wie ein Kind, man kämmt ihm früh das Haar.
Man zog ihn an und aus; man wusch ihn auch sogar;
Er durfte keine Hand bewegen;
Nach der ihm vorgeschriebenen Pflicht
Saß er den ganzen Tag im Großstuhl angepicht,
Da lag er hingezerrt, als könnt er sich nicht regen,
Wie ein verreckter Fuhrmannsgaul;
Mich hungert! sprach er nur; gleich kam die Magd gelaufen
Und bracht ihm gnug zu fressen und zu saufen.
Sie steckt ihm noch dazu das Brot gekaut ins Maul,
Aus Furcht, er möchte sich daran zu müde beißen.
Das mögen gute Tage heißen!
Die Schenke war fast keine Stunde leer;
Die Leute kamen oft von zwanzig Meilen her,
Den Müßiggänger zu betrachten.
Das trug dem Schulzen schon was ein;
Er konnte nicht gnug brauen, backen, schlachten,
Und durft auch nicht besorget sein,
Daß ihm das schale Bier zu Essig werden würde.

Acht Tage gingen hin, daß unser Tagedieb
Sich seine Zeit gar wohl mit Müßiggehn vertrieb.
Die Faulheit ward ihm selbst nachdem zur Last und Bürde.
Das Liegen tat ihm weh; das Sitzen fiel ihm schwer;
Die so gewünschten guten Tage
Verloren den Geschmack, und wurden ihm zur Plage;
Die Schande kam dazu; er schämte sich nunmehr,
Ein Spott der ganzen Welt zu sein.
Er wollte mit dem Schulzen brechen:
Allein der Schulze trieb ihn ein;
Narr! sprach er, halt mir dein Versprechen?
Das Jahr ist noch nicht um; es ist noch lange hin;
Sonst werf ich dich in Stock; du weist schon, wie ich bin.
Der Faule mußte noch bei seiner Faulheit bleiben;
Es war für ihn kein andrer Rat.
Man zwang ihn, nichts zu tun, so gern er sonst nichts tat;
Sonst ließ er sich dazu, itzt von der Arbeit treiben;
Wovor sein Himmel stund, stund itzt sein Höllenhaus.

Noch eine Woche hielt er aus;
Drauf fiel er weinend dem Schulzen zu den Füßen,
Und bat, er möcht ihn lassen gehn;
Wo nicht: So sollt er ihn viel lieber gleich erschießen;
Es war ihm länger hin unmöglich auszustehn.
Sein Bitten fand auch endlich statt.
Der Schulze hatte selbst der schönen Kurzweil satt,
Geh, sprach er, geh! du kannst nun aus Erfahrung sagen,
Ob Arbeit oder Ruh beschwerter zu ertragen.
Ich glaube, schrie der Narr, und schwur auch noch dabei,
Daß immer müßiggehn die schwerste Arbeit sei.

Der Pinsel und der Spiegel

Ein Maler, der vortrefflich malte,
Vertat zwar viel, und ward doch reich dabei,
Indem man ihm für jedes Konterfei
Zum wenigsten zwölf harte Taler zahlte.
Man gab ihm Schuld, daß er ein Schmeichler sei.
War jemand häßlich anzusehen:
So wußt er doch das Ding so artig umzudrehen,
Daß er der Ähnlichkeit deswegen nichts benahm,
Indem er der Natur manchmal zu Hilfe kam.

Bei diesem Künstler hing ein Spiegel an der Wand,
Der von der Malerei auch seinen Teil verstand;
Dem wollte niemand was für seine Mühe zahlen,
Weil er kein Schmeichler war, und sich, bei seinem Malen,
An das Original zu eigensinnig band.

Der Maler war einst nicht zu Hause;
Er war, so viel ich weis, auf einem Kinderschmause;
Die Pinsel lagen da und hatten müßge Zeit.
Der Spiegel konnte sich, bei der Gelegenheit,
Sogern er sonsten schwieg, nun länger nicht entbrechen,
Sich mit den Pinseln zu besprechen.
So feirig? Hub er an. Ihr Herrn! ihr habt gut ruhn;
Nur ich muß immerfort bei meiner Arbeit bleiben.
Ihr könnt euch eure Zeit mit Müßigsein vertreiben;
Ich mache mir beständig was zu tun,
Und dennoch pflegt man euch weit mehr, als mich zu schätzen,
Da mir der Rang doch über euch gebührt.
Seht her! hier hab ich euch copiert;
Wißt ihr mir was dran auszusetzen?
Nein! sprach ein Pinsel drauf. Was fehlt den meinen Bildern?
Fuhr unser Spiegel fort; etwa die Ähnlichkeit?
Sagt, ob ihr selbst im Stande seid,
Ein Ding natürlicher und besser abzuschildern?
Ich mal die Leute, wie sie sind.

Da eben liegt der Hund begraben,
Rief hier ein Pinsel aus, du bist der Sach ein Kind,
Und scheinst die Welt noch nicht recht ausstudiert zu haben.
Die bloße Wahrheit bringt nichts ein;
Je häßlicher man ist: je schöner will man sein.
Was die Natur versehn, das muß die Kunst ersetzen;
Die Menschen mögen sichs noch für ein Glücke schätzen.
Daß deine Malerei so lange nur besteht,
Bis das Original aus deinen Augen geht.
So? hub der Spiegel an, ihr seid mir schöne Herrn;
Man weis es schon, ihr schmeichelt gern;
Das kann ich nun nicht tun, wie ihr es selber wißt;
Mit einem Wort, es ist mir nicht gegeben.
Wer schöner sein will, als er ist,
Der kommt bei mir gewiß daneben.
Die Pinsel fingen hier gewaltig an zu lachen,
Herr Nachbar! sagten sie, hofft ihr etwa, die Welt,
Durch euern Eigensinn, vernünftiger zu machen?
Wer auf der Leute Gunst itzt seine Rechnung stellt,
Muß tun, als wenn er nichts von ihren Fehlern wüßte,
Als wenn er, was er sieht, an ihnen loben müßte.

*   *   *

Was einem schimpflich klingt, das hört wohl niemand gern,
Insonderheit die großen Herrn.
Gesetzt, daß hier und da was närrisches geschehn:
Wer klug ist, stelle sich, als könnt er nicht recht sehn!

Die zwei Tuchhändler

Ein Kaufmann handelte. (Es ist schon lange Zelt!)
Mit alter deutscher Redlichkeit.
Das war ein grobes Tuch; jedoch von guter Dauer.
Die Ware ward gesucht, man kleidete sich drein;
Der Fürst so gut, als wie der Bauer.
Der Handel trug dem Manne sehr viel ein;
Er konnte nicht gnug Tuch verschreiben;
Es mußt auch stets damit bei einem Preise bleiben,
Den die Gewohnheit fest gestellt.
Man gab ihm, was er haben wollte;
Statt daß man bei dem Kauf erst lange handeln sollte,
Bekam er das gebotne Geld,
Auf einem Brette, bar; kein Abzug fand hier statt,
Weil man den schädlichen Rabatt
Erst nach der Zeit erfunden hat.

Ein neuer Kaufmann kam viel Jahre drauf ins Land,
Der hatte sich sogleich des Vorzugs zu erfreuen;
Er handelte mit Schelmereien,
Auf die er sich recht wohl verstand.
Die Ware macht er selbst, drum gab er sie nicht teuer.
Die Elle kostete nur sechste halben Dreier;
Das Tuch war wohlfeil gnug; allein es hielt nicht viel.
Dergleichen liederliche Sachen
Kauft man auch schon zu hoch für einen Pappelstiel.
Indessen ließ man sich doch Kleider daraus machen.
Was prahlt und wohlfeil kommt, das trägt wohl jeder gern.
Wer sonderlich bei großen Herrn
Sich einzuschmeicheln willens war,
Der mußte sich ein Kleid von diesem Tuche kaufen;
Denn wer sich redlich trug, dem drohte die Gefahr,
Bei Hofe übel anzulaufen.
Die Kanzeln legten zwar den wohlverdienten Fluch
Auf dieses neue Modetuch,
Wo möglich, den Gebrauch desselben abzubringen;
Allein man lachte sie nur aus,
Die Leute ließen sich nicht zwingen.
Sie schüttelten den Kopf, und folglich ward nichts draus.

Der alte Handelsmann verlor die Kunden alle.
Er hatte weder Stern noch Glück,
Und kam mit seiner Tuchfabrik,
Weil wenig Abgang war, beinahe gar zu Falle.
Kaum daß er sich noch hielt. Es kauft ihm niemand ab,
Als nur die Geistlichkeit und hohe Potentaten;
Er wär auch an den Bettelstab
Noch endlich vollends gar geraten,
Wenn ihn die Majestät nicht mit Gewalt geschützt,
Und seine Handlung unterstützt.
Ein ernstlicher Befehl ging durch das ganze Land,
Man sollte, wie vorher, die alten Tücher tragen;
Die neue Tuchfabrik ward öffentlich verbannt.
Man durfte nichts dawider sagen,
Weil in dem Manifest zugleich ausdrücklich stand:
Würd jemand so ein Kleid an seinem Leibe haben,
Dem drohte man, ihn, wie er geht und steht,
Auf Hamans Kirchhof zu begraben,
Auf dem die Toten ruhn, sobald der Wind nicht geht.

Allein was halfs? Die Furcht vor der Gefahr,
Die bei dem Modetuche war,
Zwang das verwöhnte Volk, anstatt zu Reu und Leid,
Zu etwas mehr Behutsamkeit;
Man lernte sich aus Not verstellen.
So geht es in dergleichen Fällen,
Bei so verwilderten Gemütern!
Die Redlichkeit blieb zwar der Kleider Überzug:
Doch dabei brauchte man den künstlichen Betrug,
Man ließ den Schelmen unterfüttern.

Die Saiten auf der Geige

Ein so genanntes E, die Quinte wollt ich sagen,
Fing immer an sich zu beklagen,
Als widerführ ihm nicht gnug Ehre.
Das A, sein Nachbar, hielt im ein:
Wenn ich an deiner Stelle wäre,
Ich würde gern zufrieden sein.
Was geht dir denn noch ab? Du stehst ja obenan;
Du hast ja unter uns den Vorzug zu genießen.
Ach! sprach das E, schon gut! Soll mich das nicht verdrießen?
Ich steh am meisten aus und muß fast immer dran;
Ich sing auch unter euch den trefflichsten Diskant;
Und gleichwohl hat man nicht so viel auf mich gewandt,
Als auf das grobe G; ich soll es sehn und leiden?
Ein solcher schlechter Kerl läßt sich in Silber kleiden?
Verdient er's denn? O nein! Ich wüßte wohl nicht, wie.
Man sollte mich mit Silber überspinnen;
Mit mir verlohnte sichs der Müh.
Du würdest, sprach das D, dabei nicht viel gewinnen.
Die Sach erfordert vielen Zwang;
Du bist zu schwach, du magst es ja nicht wagen;
Du bringst dich sonst um deinen Klang.
Ihr Narren, rief das E, das müßt ihr Kindern sagen;
Ich glaub es nicht, drum schweigt nur still.
Der Silberdraht hilft ja dem G den Klang zu vermehren:
Warum denn auch nicht mir? Ich lasse mirs nicht wehren,
Es mag auch gehen, wie es will.

Die Quinte bat nach diesem ihren Herrn,
Als er die Geige nahm und wieder spielen wollte,
Daß er sie überspinnen sollte.
Ihr dürft euch, sagte sie, dawider gar nicht sperren,
Es wird euch keinen Schaden bringen,
Ich werde desto schärfer klingen.
Der Schüler maß der Quinte Glauben bei,
Und ohne lange nachzusinnen,
Ob auch die Sache tunlich sei,
Erfüllt er ihren Wunsch und ließ sie überspinnen.
Er nahm sie nun und zog sie wieder auf,
Die schöne Quinte, die! Sie sollte heller singen,
Und gleichwohl hört er sie sechs Töne gröber klingen:
Was, sprach er heißt denn das? Du mußt mir wohl hinauf!
Er meint, es läg an ihm, weil er beständig noch
Auf ihr getan Versprechen fußte;
Drum dreht er immer zu und spannte sie so hoch,
So daß sie gar zerspringen mußte.

*   *   *

Manch Narr will vornehm tun und hat doch kein Geschicke,
Wer klug ist, fürchtet sich vor übergroßem Glücke,
Weil Ansehn, Ehre, Stand und Pracht
Viel eher zwanzig grob, als einen höflich macht.


Das hitzige Pferd

Ein ausgeruhtes Pferd, das fast ein Vierteljahr
Nicht aus dem Stalle kommen war,
Bat selber seinen Herrn, er möchte doch zu Zelten
Mit ihm wohin spazieren reiten.
Es wünschte sich doch auch einmal recht umzusehn.
Gut! sprach der Herr, es kann geschehn;
Ich werde Morgen früh nach Landeshut verreisen.
Da kannst du deine Kräfte weisen.
Das Pferd schlug hinten aus; es fing zu bäumen an,
Als wollt es Kapriolen schneiden;
Es wieherte vor lauter Freuden,
Und wünschte sich schon fort und auf die freie Bahn.
Es hatt ihm keine Nacht so lange noch gewährt,
Der Tag brach endlich an. Man sattelte das Pferd.
Als nun sein Herr kaum aufgestiegen:
So fiel es in Galopp; es schien mit ihm zu fliegen
Und ging so leicht und schnell, daß ihm die Haare pfiffen.

Bucephalus, den Alexander ritt,
Hat sich wohl jemals kaum so hurtig angegriffen.
Der Reiter hielt es an; halt, sprach er, geh im Schritt!
Der Berg, der vor uns liegt, ist schwer zu übersteigen,
Das Eilen bringt nichts ein; du kommst danach nicht fort.
Das Pferd hieß seinen Reiter schweigen.
Herr! sprach es, laßt mich gehn! verlaßt euch auf mein Wort!
Der Berg sei noch so hoch, ich muß nur seiner lachen.
Ein Pferd, wie ich, wird sich daraus nichts machen.
Es wollte mit Gewalt von sachte gehn nichts wissen.
Der Reiter ließ ihm drauf den Zügel wieder schießen.

Ein Fuhrmann war zwo Stunden schon voran,
Den trafen sie vor Fischbach an.
Das Reitpferd rief sogleich den vorgespannten Schecken
Mit vielem Hochmut zu: Wo fahrt ihr hin? ihr Schnecken!
Nur nicht so höhnisch! guter Freund!
Sprach hier das Sattelpferd; wir fahren, wie es scheint,
Auf deinen Kirchhof zu, wenn du es ja willst wissen;
Du kannst dort jenen Berg von unsertwegen grüßen.

Das Reitpferd galoppierte fort.
Als es zum Berge kam, so fing es an zu schnaufen.
Der Atem schlug ihm fehl, es konnte nicht mehr laufen.
Der Reiter spornt es an; nu, sprach er, halt dein Wort!
Hier ist kein Rat zum stillestehn;
Nur fort! wir müssen weiter gehn.
Die Schande schien das arme Tier zu rühren;
Es tat sein äußerstes, es wollte galoppieren;
Es tat noch einen Satz, und stürzte mit dem Reiter.
Das Pferd brach seinen Hals, der Herr das rechte Bein.

*   *   *

Die Übereilung bringt nichts ein.
Wer langsam geht, der kommt viel weiter.

Diogenes

Diogenes kam wieder auf die Welt;
Er hatte sichs beim Pluto ausgebeten,
Das Reich der Lebenden noch einmal zu betreten.
Die Reise ward ihm freigestellt.
Wohin? und auch warum? das sollt er erstlich beichten.
Er sprach, er hätte Lust die Deutschen zu beleuchten,
Von deren Treu und Redlichkeit
Man ihm schon seit so langer Zeit
Den Kopf so voll erzählt, daß er nicht ruhen könnte,
Wofern man ihm die Freiheit nicht vergönnte,
So ein beglücktes Volk mit Augen selbst zu sehn.
Gott Pluto sprach: Es mag geschehn.
Allein gedenk an mich, die Müh wird dich gereuen;
Es sieht in Deutschland übel aus.
Wo du da Menschen suchst: So kann ich dir voraus
Nicht viel besonders prophezeien.

Was tat Diogenes? Er kehrte sich nichts dran,
Er reiste schleunig fort und kam in Deutschland an,
In einer großen Stadt; (ich will sie hier nicht nennen)
Man fragte, wer er sei? Er gab sich zu erkennen.
Die Leute lachten ihn als einen Narren aus;
Man hieß ihn einen Hungerleider;
Pfui! sprach man, seht doch nur, die abgeschabten Kleider!
Das Fleisch guckt durch den Strumpf; läßt das nicht recht gelehrt?
Der ganze Kerl ist kaum vier Groschen wert.
Diogenes ging ganz beschämt bei Seite.
Er dachte bei sich selbst: Hier sagt man, was man meint;
Das sind zum wenigsten recht offenherzge Leute,
Bei denen Herz und Mund genau verbunden scheint.
Sie wissen sich nicht zu verstellen.

Er war auch schon bereit, den Schluß daraus zu fällen,
Die Deutschen könnten Menschen sein,
Wenn sie vielleicht mehr Unterricht bekämen;
Doch die Begierde kam ihm ein,
Noch eine Probe vorzunehmen.
Er kaufte sich drauf einen Pavian,
Und lief mit ihm zu einem Schneider.
Freund! sprach er. Hier ist Geld! macht meinem Affen Kleider,
Putzt ihn recht fürstlich aus, und sparet nichts daran;
Es koste, was es will, ich bin euch Mann davor.
Der Schneider nahm das Maß und macht ihm von Drapd'or
Ein langes Unterkleid, gleich aus bis auf die Füße,
Ein seidnes Oberkleid nach eben diesem Risse,
Zugleich auch einen Bund nach Muselmänner Art;
Er malt ihm noch dazu den besten türkschen Bart.
Die Kleidung stund dem Affen ungemein.

Diogenes ließ gleich nach einer Sänfte schicken,
Und setzte mit vergnügten Blicken,
Den kleinen Großvezier hinein.
Die Sänfte ging voran, er selbst lief hinter her.
Der beste Gasthof war damals der goldne Bär;
Halt! rief Diogenes, hier werden wir logieren.
Sie traten beiderseits hier ab.
Der Wirt, der ihnen gleich das Vorderzimmer gab,
Wußt unsern Großvezier nicht gnug zu respektieren.
Bald sprach er: Gnädger Herr! bald Ihro Excellenz!
Und macht auch noch dazu den tiefsten Reverenz,
Befehlen sie etwas? der Affe sprach kein Wort.
Geht! rief Diogenes, ihr habt umsonst gefragt:
Der Herr versteht kein Deutsch, er weis nicht, was ihr sagt.
Der Gastwirt neigte sich, und ging drauf wieder fort.

Ach! sprach der weise Mann, mit einem bittern Lachen,
Gott Pluto hat wohl recht; ich seh es selbst nun ein;
Wo schon die Kleider Leute machen,
Da werden Leute gnug, doch wenig Menschen sein.
Doch wollt er von dem Wirt nicht gleich auf alle schließen.
Um nun den rechten Grund zu wissen,
Ließ er den Pavian am mittlern Fenster stehn,
Er aber wählte sich das andre gleich daneben,
Um auf das Volk der Stadt bei dem Vorübergehn,
Genau und fleißig Acht zu geben.
Weil nun des Affens Staat des Pöbels Augen blendte,
Bekam der goldne Großvezier
So gleich viel hundert Komplimente;
Man ehrte das vermummte Tier,
Das nicht einmal drauf Achtung gab,
Bald von der linken Hand, bald von der rechten Seite;
Es kamen auch wohl große Leute
Und nahmen hier ihr Hütchen ab.
Der Affe ward gegrüßt; den Weisen grüßte keiner.
Was? rief Diogenes. Das sollen Menschen sein?
Ein Tier gilt mehr als unsereiner?
Hier schätzt man kein Verdienst, hier ehrt man Pracht und Schein;
Hier muß Gelehrsamkeit der reichen Torheit welchen.
Ach! sprach er, du beglücktes Tier!
Ich werde weiter gehn, bleib du indessen hier!
Bleib! bleib! du bist bei deines Gleichen.

*   *   *

Ihr, die ihr in der Welt in Ehrenämtern sitzt,
Und euern hohen Rang durch kein Verdienst beschützt,
Geht und bedankt euch bei dem Schneider!
Man grüßt euch; glaubt ihrs den? Man grüßt nur eure Kleider.

Der Dorfhund und der Stadthund

Ein Bauersmann fuhr einst sehr früh
Nach Hirschberg auf den Markt, sein Holz da zu verkaufen.
Sein Pudel, das getreue Vieh,
Kam bei den Pferden hergelaufen.
Der Hund war niemals noch aus seinem Dorfe kommen,
Und hatte sich nunmehro vorgenommen,
Sich in der Stadt recht umzusehn.
Der Mühlhund riet ihm zwar, bei Zeiten umzudrehn,
Und sich nicht ohne Not in die Gefahr zu wagen.
Mich, sprach er, bringt kein Mensch in Ewigkeit mehr hin;
Ich weis, wie ich zerbissen worden bin;
Du bist ein schwacher Kerl, und kannst nicht viel vertragen.
Doch diese Warnung fand bei Pudeln kein Gehör.
Er meinte, wenn auch gleich was zu besorgen wär:
So wollt er seine Haut schon teuer gnug verkaufen.

Kaum war er in der Stadt: So wünscht er sich schon fort.
Es kam ein ganzer Schwarm von Hunden zugelaufen,
Der eine zupft ihn hier, der andre zerrt ihn dort.
Hört, rief der Bauerhund, ich kann wohl Spaß verstehn:
Doch, wenn ich bitten darf, so laßt mich ungeschoren!
Drauf schleppten sie ihn mit den Ohren
In dem Gerinn herum. Er wehrte sich zwar gut;
Was kann ein einzler tun bei einer solchen Menge?
Sein ganzer Oberrock war schon voll Kot und Blut;
Der Bauer bracht ihn noch mit Not aus dem Gedränge,
Der mit der Geißel um sich schmiß,
Und den verfolgten Hund dem nahen Tod entriß.
Das heißt sich Witz mit eignem Schaden kaufen!
Wenn gleich sein Herr nachdem nach Hirschberg wieder ritt,
Der arme Pudel ging von nun an nicht mehr mit,
Um ja nicht noch einmal so übel anzulaufen.
Er wünschte weiter nichts, als nur Gelegenheit,
An seinen Feinden sich zu rächen.

Er fand sie auch in kurzer Zeit.
Ein Fleischer aus der Stadt kam, seinen Herrn zu sprechen;
Sein Hund ging hinter ihm. Herr Pudel kannt ihn bald,
Und wurde gleich voll Eifer, Gift und Flammen;
Er lief durchs ganze Dorf und schrie: Gewalt! Gewalt!
Ein Dutzend Hunde kam den Augenblick zusammen.
Ihr Brüder! sprach er, kommt, wofern ihr ehrlich seid:
So steht mir heute bei mit eurer Tapferkeit!
Fort! rief er. Folgt mir nach! er lief, er sprang voran;
Er näherte sich seinem Feinde.
Den Angriff tat er selbst, drauf packten seine Freunde
Den Stadthund insgesamt mit solchem Wüten an,
Daß dieser seinen Schwanz nebst allen beiden Ohren,
Beinah zu gleicher Zeit verlieren.
Der Fremde sah sich übermannt,
Er schrie und bat um gutes Wetter,
Und gab im Schrecken vor, er war ihr naher Vetter.
Der Krieg ließ noch nicht nach. O, rief er, braucht Verstand!
Sagt, was euch so ein Sieg für Ehre bringen kann?
Lernt doch bescheiden sein, und kämpfet Mann vor Mann!
Was ist das für Manier? Ihr zwölfe gegen einen.
Was? fuhr der Pudel auf. Kann dir das fremde scheinen?
Ihr Städter habt ja selbst die Mode aufgebracht;
Ihr habt mirs eben so gemacht.

*   *   *

Man muß nicht mehr Bescheidenheit
Von andern Leuten sich versprechen,
Als man ihr selbst besitzt. Man kann mit Billigkeit
Die Grobheit, die ihr zeigt, mit gleicher Grobheit rächen.

Die Fliegen und die Meise

Ein alt und unbewohntes Haus
War eine Herberge von mehr, als tausend Spinnen;
Die spannten hier ihr Garn, als schlaue Jägerinnen,
Den Fliegen zum Verderben aus,
Die gleichfalls ihre Niederlage
In dieser wüsten Wohnung hatten.
Den Spinnen ging ihr Fang beständig wohl von statten;
Sie fingen Fliegen gnug; in einem einzgen Tage,
Zum wenigsten zwölf Schock, und manchmal auch noch mehr.
Die Fliegen fluchten auf die Spinnen
Und überlegten sich die Sache hin und her;
Ein tauglich Mittel auszusinnen,
An ihren Feinden sich zu rächen.
Wie nun die Fliegen meist sehr unbesonnen sind:
So kamen sie auch hier mit ihrer Rache blind.
Nach einem langen Kopfzerbrechen,
Ward endlich der Entschluß gemacht,
Um ihren Feinden recht zu schaden,
Die Meise zu sich einzuladen.

Aus Rachsucht hatten sie nicht einmal dran gedacht,
Daß dieser Vogel zwar die Spinnen,
Doch auch zugleich die Fliegen frißt.
Der Antrag war geschehn. Man brauchte noch die List,
Die Gunst der Meise zu gewinnen,
Und auf die Gegenpart recht heftig anzuhetzen.
Man seh nur, sprachen sie, das Diebsgesindel an!
Sie fangen uns mit ihren Netzen;
Der Mensch tuts ihnen nach. Sind sie nicht Schuld daran,
Daß man auch euch so Garn als Netze strickt,
Und oft auf einen Zug zu hunderten berückt?
Ihr böses Beispiel hat die Menschen klug gemacht,
Die außerdem vielleicht wohl nie so weit gedacht.

Schon gut! schrie die begierge Meise;
Was braucht es mehr Beweis? Der Hunger, der mich plagt,
Glaubt alles, was ihr mir von euren Feinden sagt;
Man zeige mir die vorgerühmte Speise!
Zu dienen! riefen hier die Abgesandten aus,
Ihr Gnaden folgen nur! Sie sehen jenes Haus
Im Tale dort schnurgrade vor uns liegen;
Da eben ists, da haben wir
Und unsre Gegenpart zusammen das Quartier.
Sie kamen glücklich an, und hatten das Vergnügen,
Daß hier ihr Schutzgott gleich ein Dutzend Spinnen fraß;
Allein er fraß kurz drauf fast eben so viel Fliegen.
Ach! schreien sie was heißt denn das?
Die Meise lachte nur, und sprach auf ihre Klagen:
Ich esse, was mir schmeckt; was wollt ihr noch viel sagen?
Warum entbrecht ihr euch der Pflicht der Dankbarkeit?
Wenn ihr von mir gefressen seid:
So dürfen euch die Spinnen nicht verzehren.
Könnt ihr wohl mehr von mir begehren?

*   *   *

Wer einen Mächtigern in Not zu Hilfe ruft,
Baut, wenn er Rettung hofft, sich Schlösser in die Luft.
Die überlegne Macht von einem solchen Freunde
Ist ihm weit schädlicher, als alle seine Feinde.

Die Zeit

Ein junger Mensch, dem seines Vaters Grab
Den Schlüssel zu dem Gelde gab.
Ward plötzlich und mit elnemmale
Ein Herr von einem Kapitale,
Das mehr als bürgerlich und kaum erschöpflich schien.
Er ließ sich weiter nicht mehr ziehn;
Die Freunde durften ihm kein Wort zuwider sagen,
Weil Lehr und Unterricht nichts weiter bei ihm galt.
War er für sich gleich jung: So war sein Geld doch alt;
Das macht ihn majorenn. Er hielt sich Pferd und Wagen.
Er kaufte sich ein Dorf, und ward ein Edelmann,
Den der gefräßge Schwarm der magern Krippenreiter
Sich nimmermehr bequemer wünschen kann.
Er war zu gut. Dies eben war die Leiter,
Auf der er unvermerkt in sein Verderben stieg.
Sechs Jahre hielt er Haus: So war das Dorf verfressen,
Und alles durchgebracht, was er vorhin besessen.
Was war nunmehr zu tun? Der Junker mußt in Krieg
Der vielen Schulden wegen laufen.
Er ging so wie er war, und konnte nicht einmal
Sich eine Fähnrichsstelle kaufen.
Er ward mit Not ein Corporal,
Und mußte redlich dafür büßen,
Daß er sein schönes Geld so närrisch weggeschmissen.
Es war ihm leid: Allein die Reu war nun vergebens.

Er hatte Herze gnug. Sein unerschrockner Mut
Floh niemals die Gefahr des Lebens.
Er scheute keine Schlacht. Er hielt sich immer gut;
Und dennoch war für ihn kein Glücksstern mehr vorhanden.
Er war bereits schon dreißig Jahr
Als Corporal bei der Armee gestanden,
Und war noch immer, was er war.
Wer arm ist, steigt nicht leicht, dem mangelt Gunst und Glücke,
Dem zieht man andre vor, den weist man stets zurücke.
Ach! sprach der alte Corporal,
O stürbe mir doch itzt mein Vater noch einmal!
Itzt wollt ich andre Wirtschaft treiben,
Und bei dem Meinigen in Ruh und Friede bleiben.
Der Henker hol den Krieg! Ich bin nichts bessers wert;
Drum ist mir auf der Welt nichts Gutes mehr beschert.

Sein Seufzen fand Gehör. Durch eines Freundes Tod
Riß ihn der Himmel aus der Not.
Denn seines Vaters Bruders Sohn
Mußt ohne Testament und ohne Kinder sterben.
Der arme Corporal ward nun zu einem Erben
Von einer halben Million.
Das war ein Sonnenschein nach so viel Ungewitter!
Nachdem ihn Gott nun wieder reich gemacht:
Gab er dem Kriege gute Nacht,
Ging heim, und kaufte sich zwei nah gelegne Güter.
Hier lebt er ganz vergnügt in Fried und stiller Ruh.
Die Jugend ging ihm ab; sonst hatt er nichts zu klagen.
Denn da ihm sechzig Jahr schon auf dem Rücken lagen:
So war er alt und schwach, und krankte immerzu.
Ach! sprach er, lieber Gott! ich danke für das Glücke;
Doch wenn du meine Wohlfahrt liebst!
So gib mir, da du mir den Reichtum wiedergibst,
Auch die verfloßne Zeit zurücke!
Schweig! rief ihm jemand zu; wenn hast du wohl gehört,
Daß die verstrichne Zeit den Weg zurücke kehrt?
Der Mensch kann in der Welt zu allem wieder kommen;
Die einzge Jugend ausgenommen.

*   *   *

Wohl, wer mit seiner Zeit genaue Rechnung hält!
Vermögen, Freunde, Glück, nebst allen andern Gaben,
Sind uns von Gott in Menge zugestellt,
Da wir die Zeit nur einfach haben.

Der beneidete Mann

Ein reicher Handelsmann hatt alles in der Welt
Und folglich über nichts zu klagen.
Wie nun der Neid sich gern zu reichen Leuten hält,
So konnt auch dieser Freund sich seiner nicht entschlagen.
Dies einzge macht ihm nach der Zeit
Stand, Ansehn, Ehr, und Glück, ja selbst das Leben, leid.
Je mehr sein Reichtum wuchs; je höher er es brachte!
Um desto stärker ward der Neid.
Der ihm so viel zu schaffen machte,
Daß er für Ärgernis manchmal vergehen wollte.
Ach! sprach er, wenn mich Gott von dieser Zentnerpein,
Von dieser Last befreien sollte:
Ich würde gern was rechts drum schuldig sein.
Was hilft mir denn so Glück als Segen,
Wenn mich der beste Freund deswegen
Des ärgsten Hasses würdig hält?
Was hab ich denn davon für Freude?
Mein Gott! erlöse mich doch endlich von dem Neide!

Er wurde seines Wunschs in kurzer Zeit gewährt.
Denn Gott der sein Gebet erhört,
Nahm ihm in Jahr und Tag, das, was er ihm gegeben.
Er wurde bettelarm; er hatte nicht satt Brot,
Und mußte, bei der größten Not,
Von andrer Leute Gnade leben.
Ach! sprach der arme Mann, wie komm ich denn dazu,
Daß mein zeitheriger Überfluß
In Not und Mangel sich so schnell verändern muß?
Schweig! rief der weise Gott, ich weis schon was ich tu;
War dieses nicht dein Wunsch? Sieh nur dein Glück recht ein.
Nun ist der Neid versöhnt, und alle deine Feinde
Verkehren sich in so viel gute Freunde;
Wen niemand neiden soll, muß arm und elend sein.

*   *   *

Das war vortrefflich wohl gesprochen!
Der Neid ist wie ein Hund; er beißt und kaut und frißt,
So lange nur an einem fetten Knochen,
Bis nichts mehr abzunagen ist.

Der Bock und die Tauben

Die Tauben sahen einst den Bock im Hofe gehn;
Sie suchten sich an ihm zu reiben,
Und ihren Spott mit ihm zu treiben.
Ihr Schwestern! sagten sie, was meint ihr? stinkts nicht schön
Um den galanten Herrn? Sein Umgang ist beliebt,
Der einem Tag und Nacht und fast zu allen Zeiten
Beständig was zu riechen gibt.
Man darf ihn nicht erst sehn; man riecht ihn schon von weiten.
Wahrhaftig! sein Geruch sollt einen fast verleiten,
Ihm wider Willen gut zu sein.

So höhnisch? sprach der Bock. Was bildet ihr euch ein?
Ich glaube, daß ihr mich zum Narren haben wollt;
Hört! wenn euch vor mir graut, hab ich euch denn gebeten,
Daß ihr mich hier beriechen sollt?
Könnt ihr nicht sonst wohin mit eurer Nase treten?
Und ist denn der Geruch bei allen Tieren gleich?
Ich glaube meinem mehr, als euch.
Ihr werdet lange warten müssen,
Wofern ihr hofft, es werde mich verdrießen,
Daß euch mein Wohlgeruch so sehr zuwider scheint;
Ihr irret, wo ihr mich damit zu kränken meint.
Gesetzt, ihr könnt mich nicht vertragen:
So fliegt nur sonst wohin! die Welt ist groß und breit;
Deswegen wird mirs nichts verschlagen.
Gut! daß ihr keine Ziegen seid:
Sonst wär ich freilich zu beklagen.
Die Tauben schämten sich; sie sagten nicht ein Wort,
Und flogen sonder Abschied fort.

*   *   *

Es bleibt so leicht wohl nichts von Spott und Tadel frei.
Man mag die ganze Welt durchwandern:
So trifft man den Geschmack durchgehends vielerlei;
Was einem wohl riecht, stinkt, dem andern.
Dle Tadler sind nicht klug, die nicht zurücke denken,
Daß auch ihr eignes Tun oft schlechtes Lob erhält;
Und die sind nicht gescheut, die sich darüber kränken,
Daß ihr Talent nicht jedermann gefällt.