Fabelverzeichnis

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Buch 3
 
Der Strohmann und die Vögel
Die Demut und der Hochmut
Die Tulpen und der Pomeranzenbaum
Die Hündin mit ihren Jungen
Die zwei Lehrjungen
Der Affe
Die zwei Weintrinker
Der gewanderte Floh
Der Holzhacker
Das Kind und die Rute
Der Kuckuck
Das Gewissen
Der fleißige Arzneibraucher
Die Rinne
Der gescheuchte Hans
Die Schnecken und die Raupe
Die zwei Finken

 
Der Tiger und die Ochsen
Die Gans und das Schaf
Der Bauer und die Erdschocken
Das Kind und der Schatten
Das Leichencarmen und das...
Die Kinder und die Birke
Die Maus in der Falle
Das Glück und die Weisheit

 

Der Strohmann und die Vögel

Ein Bauer hatte kaum die Sommersaat bestellt,
Als gleich viel hundert Vögel kamen;
Die plünderten das hoffnungsvolle Feld,
Und fraßen ihm den ausgestreuten Samen.
Der Mann erzürnte sich; er lief bald auf, bald nieder,
Und protestierte dawider.
Er scheuchte sie durch sein Geschrei,
So lang er dabei stehen blieb.
Als ihn der Hunger nun hierauf nach Hause trieb;
So trugen sie vor ihm auch weiter keine Scheu.
Früh sahen sie ihn schon aufs neue wiederkommen.
Er hatte noch dazu die Flinte mitgenommen;
Er lud sie stark und auf das beste.
Als er nun unter sie das erste Feuer gab,
Zerstreuten sich die ungebetnen Gaste;
Sie ließen von der Mahlzeit ab,
Und flogen alle fort. Sechs Finken blieben liegen,
Teils tot, teils in den letzten Zügen,
Voll unerträglich heißer Qual.
Der Bauer blitzte noch einmal,
Den Feinden insgesamt, die hier zu Felde lagen,
Ein rechtes Schrecken einzujagen.
Die Vögel kannten ihn nunmehr von weiten schon.
Sie witterten ihn kaum: So flogen sie davon,
Und hielten ihm nicht weiter Stand.

Ha! dacht er, ist es so bewandt,
So will ich euch die Saat schon aus den Zähnen rücken.
Er ließ sein abgelegt, und wohlzerlumptes Kleid,
Durch seines Weibs Geschicklichkeit,
Mit allem Fleiß aufs neu zusammen flicken.
Sie stopft es aus mit Stroh und andern Sachen;
Mit einem Wort, er ließ sich einen Strohmann machen.
Er lieh ihm seinen alten Hut;
Die Nächte sind oft kalt, und folglich ist's nicht gut,
Wenn man sich nicht den Kopf besonders wohl verwahrt.
Er malt ihm noch dazu den fürchterlichsten Bart,
Und gab ihm überdies noch einen langen Stecken,
Als ein gezognes Rohr, in seine rechte Hand.
Es ließ sich auch der Vögel Unverstand
Dadurch, nach Wunsch und Sinn, zwei Tage glücklich schrecken.

Den dritten hielten drauf die Herren Malcontenten
Zusammen einen Rat. Ihr Brüder! sprach ein Star,
Der Mann sieht schrecklich aus. Ihr sagts. Es scheint auch wahr;
Doch da es möglich ist, daß wir uns irren könnten:
So sagt mir, warum suchen wir
Den Ursprung der Gefahr nicht gründlicher zu wissen?
Mir kommt es wenigstens gar sehr bedenklich für;
Der Kerl steht da, als wollt er nach uns schießen,
Und zielt wer weis? wohin. Mein! schaut ihn nur recht an!
Ich schwöre drauf, er kann nicht grade sehen,
Sonst würd er ja den Kopf nicht immer Nordwärts drehen,
Wenn wir ihm Südwärts stehn. Wo der uns treffen kann:
So weis ich nicht, was zielen heiße.
Ich glaube gar, er schläft, sprach eine Lerche drauf,
Ich flog bei ihm vorbei, und zwar mit allem Fleiße,
Der Kerl wards nicht gewahr; er sah nicht einmal auf.
Ihr dürft mir eben nicht viel gute Worte geben,
Befindet ihr es so für gut!

So stieg ich zu ihm hin, und trat auf seinen, Hut.
Wohl! rief die ganze Schar! So wage denn dein Leben,
Und zieh genaure Kundschaft ein!
Wir alle werden dir dafür verbunden sein;
Des Himmels Schutz begleite dich!
Die Lerche hielt ihr Wort; sie flog; sie setzte sich
Auf unsers Strohmanns Hut. Er schien sich nicht zu rühren.
Sie hüpfte hin und her. Noch ward ers nicht gewahr.
Sie fing zu singen an, und wagt es endlich gar,
Ihm auf die Flinte zu hofieren,
O, rief sie, kommt doch her! Es hat hier keine Not,
Der Mann ist außer Zweifel tot.
Als dies die andern Vögel sahen,
Wuchs ihnen dadurch Mut und Herz,
Sich endlich auch herzu zu nahen.
Die Furcht verwandelte sich nun in Lust und Scherz.
Sie ließen sich den Mann nicht weiter mehr erschrecken;
Denn da sie sahen, wer er war,
So fragte die gesamte Schar
Nichts mehr nach ihm und seinem langen Stecken.

*   *   *

Auch bei uns Menschen gehts oft so.
Man weicht, dem Ansehn nach, manchmal vor einem Riesen.
Wenn man ihn kennen lernt: So wird man überwiesen,
Man fliehe einen Mann von Stroh.

Die Demut und der Hochmut

Die Demut war vor alten Zeiten
Dem Reichtum unversöhnlich gram,
Sie wohnte mehrenteils bei arm- und schlechten Leuten,
Daher es denn mit ihr auch endlich so weit kam,
Daß man ihr keinen Platz bei Hofe mehr vergönnte.
Die Großen schämten sich, mit ihr mehr umzugehn,
Indem man sie schlechtweg die Bauertugend nennte.
Der Hochmut scheute sich, nur neben ihr zu stehn.
Wenn sie ihm nahe kam: So spie er aus vor ihr,
Hielt sich die Nase zu, und rief: Was stinkt denn hier?
Wer Henker hat sich denn den Zipfelpelz versengt?
Die Demut sagte nichts; sie schlich betrübt bei Seite,
Und mied mit allem Fleiß den Umgang großer Leute,
Wo sich der Hochmut stets in die Gesellschaft mengt;

Sie lernte Spott und Schimpf vertragen,
Und unterstund sich kaum, ein widrig Wort zu sagen.
Sie gab beständig nach, und bracht es mit der Zeit,
Durch ihr bescheidnes Tun, mit guter Art so weit,
Daß Zank und Händel unterblieben.
Sie teilten beide sich zusammen in die Welt.
Die Demut trug den Sack; dem Hochmut blieb das Geld;
Ihm wurde Stadt und Hof, die Dörfer ihr verschrieben.

Man hörte sie nicht weiter zanken;
Es hielt sich jedes Teil in den gesetzten Schranken.
Drauf kam ein gutes Jahr; Getreid und Obst geriet,
Und folglich ward der Landmann reich.
Weil das Vermögen nun den Hochmut nach sich zieht:
So kehrt er sich auch hier nicht mehr an den Vergleich,
Und ging der Demut ins Gehege.

Die Bauern taten groß; sie bildeten sich ein,
So gut als Junker Hans zu sein;
Wer dieses widersprach, bekam von ihnen Schläge.
Die Demut schwieg aus Furcht; ihr Anhang war zu schwach:
Drum gab sie auch hierin dem starken Hochmut nach,
Und ließ ihn nach Belieben prahlen.

Inzwischen währt es kaum ein Jahr,
Bis alles durchgebracht und aufgeborget war.
Drauf ward der Hochmut krank; er hatte nichts zu zahlen,
Und gleichwohl mahnten ihn die Gläubiger recht sehr.
Erhob man ihn vorher bis an die Sternenbühne:
So hielt man, weil er arm, von ihm nun gar nichts mehr.
Man warf ihm überdies die großmutsvolle Miene,
Die ihm noch nicht verließ, als einen Fehler für.
Man gönnt ihm seinen Fall. Die einz'ge Heuchelei
Sprang ihm noch in der Not mit Rat und Troste bei.

Sie sprach: Mein Freund! ich rate dir,
Kein offenbarer Feind der Demut mehr zu sein.
Es geht nicht an, sie völlig zu verdringen;
Du kannst dein Glück viel höher bringen.
Wenn ihr beisammen wohnt. Der Hochmut fand sich drein.
Er ließ die Demut zu sich bitten,
Da sie denn dergestalt zu dem Vergleiche schritten:
Die Demut nahm den Mund, das Herz der Hochmut ein.

*   *   *

Man kann von einem zwar nicht leicht auf alle schließen;
Doch billigt leider! oft die Wahrheit den Verdacht:
Wer von der Demut stets so gar viel Redens macht.
Der wird am wenigsten im Herzen von ihr wissen.

Die Tulpen und der Pomeranzenbaum

Die Tulpen rühmten sich, und machten sich sehr breit
Mit ihrer Farben Prächtigkeit.
Ihr Schwestern! Ist's nicht wahr? sprach eine zu der andern,
Man mag das ganze Land durchwandern
Bis wo der fette Nil Ägyptens Erdreich düngt,
Und Früchte, Laub und Gras, aus Stein und Kies erzwingt:
Man findet nirgends unsers gleichen.
Doch still! wir werden uns vielleicht verkriechen müssen
Vor jenen prächtigen Narzissen.
Sie sehen, doch mit Gunst! fast aus, als wie die Leichen,
Als wollten sie zu Grabe gehn;
Sie sollten eigentlich in keinem Garten stehn.
Sie würden sich gar gut auf einen Kirchhof schicken.
Was will der Rosenstock? der krumme Krüppel! der!
Ich wüßte wohl, zu was er nütze wär,
Die alten Zäune mit zu flicken.
Die Märzenbecher dort, sind das nicht gelbe Mehren?
Je wenn sie lieber gar von purem Golde wären:
So würde sich der Mensch an ihrer Pracht versehn;
Wiewohl das wird wohl nicht geschehn.
Weswegen seht man sie nicht lieber an den Zaum?
So hätten doch die Schweine was zu fressen.

Die Tulpen schonten nichts; kein Blümchen ward vergessen,
Sie höhnten auch sogar den Pomeranzenbaum,
Der unweit ihrem Beete stund.
Mein! Seht doch! sprachen sie. Der Kerl! der Lumpenhund
Denkt, weil er größer ist, uns etwas vorzugehen?
Er trotzt auf seinen Nap; die Blüten sinds wohl wert,
Daß ihn der Gärtner mehr, als unsre Blumen, ehrt.
Wir sollten in Gefäßen stehen,
Wir würden noch einmal so schön und prächtig blühen.
Der garstge Kerl! es riecht um ihn,
Als hält er einen streichen lassen;
Die Pestilenz kann kaum so giftig sein.
Man möchte für Gestank erblassen.
Er stänkert, wie gesagt, den ganzen Garten ein.

Der Pomeranzenbaum sprach: Spottet immerhin!
Ich frage nichts nach euren Lügen.
Ihr tadelt, was euch fehlt; ich kann so, wie ich bin,
Drei Sinnen auf einmal vergnügen,
Wenn ihr das Auge bloß ergötzt.
Der Gärtner ist kein Narr; wenn der mich würdig schätzt:
So müßt auch ihr mich wider Willen leiden.
Ich zieh des Neides Schimpf der größten Lobschrift für;
Wenn ich nicht besser wär, als ihr,
So würdet ihr mich nicht beneiden.

*   *   *

Die Mißgunst macht sich allezeit
An Leute von besondern Gaben.
Der Schluß hat seine Richtigkeit!
Wer Neider hat, muß auch viel Gutes an sich haben.

Die Hündin mit ihren Jungen

Die schönste Betze von der Welt,
Klein von Gestalt und zart von Knochen,
Kam mit vier Jungen in die Wochen.
Wie nun ein jedes Tier viel auf die Seinen hält:
So tat auch unsre Wöchnerin
Mit ihren Hunden groß, und glaubt in ihrem Sinn,
Daß niemand weit und breit so schöne Kinder hätte.
Sie baute schon, in ihrem Wochenbette,
Für ihre Prinzen einen Thron.

Ihr Mann, ein Fleischerhund, ein Tölpel von Person,
Kam schmeichelnd auf sie zugekrochen,
Und wünscht ihr Glück zu ihren Wochen.
Schatz! sprach er, wo es kann geschehn,
So laß mich unsre Kinder sehn.
Was? schrie das stolze Weib. Narr! laß mich ungeschoren!
Was gehn dich meine Kinder an?
Sie sind für mich; ich habe sie geboren.
Nur gnädig! sprach der gute Mann,
Du wirst mir doch wohl nicht den Vatertitel nehmen?
Willst du dich nun erst meiner schämen?
Es wird zu langsam sein, nachdem ich dich gefreit;
Ich bitte denk einmal an die verfloßne Zeit.

O! schrie die Wöchnerin, auch Kot kann Feuer löschen.
Die Liebe tut manchmal mit Mißgeburten schön;
Ich brauche dich nicht mehr, du kannst nun weiter gehn,
Mir ekelt itzt vor dir, wie vor den garstgen Fröschen.

Ja! wendete der Hund hierein,
Es scheint, du dünkest dich für mich zu gut zu sein;
Mein! warum hast du dir nichts bessers ausgelesen,
Wenn du für mich zu schön und zu galant gewesen?
Hab ich mich dir denn damals aufgedrungen?
Doch Scherz vorbei! Mach fort, und weise mir die Jungen!

Nein! sprach die Wöchnerin, die ihn zurücke stieß,
Und ihm an deren statt, das Maul voll Zähne wies;
Du Räkel! rief sie, geh! du darfst darnach nicht fragen.
Der Hund zog traurig ab, und dacht in seinem Sinn:
Die Kinder sind ja sonst den Eltern nachgeschlagen;
Die Zeit soll Zeuge sein, ob ich nicht Vater bin.
Die Mutter wurde nun des tölpschen Mannes los;

Sie tat mit ihren Söhnen groß.
Ach! sprach sie bei sich selbst, wie werd ich mich erfreun;
Wenn meine Kinder einst die schönsten Hunde sein!
Man wird sie nur für Geld die Leute sehen lassen;
Der Kaiser auf der Burg, der Pöbel auf den Gassen,
Gering und vornehm, groß und klein,
Wird mich deswegen glücklich preisen;
Mit Fingern wird man auf mich weisen.

Wie nun das Frauenvolk einander gern besucht:
So meldeten sich auch allhier zwei Nachbarinnen.
Wir wissen, sprachen sie, uns gar nicht zu entsinnen,
So schöne Kinderchen jemals gesehn zu haben;
Ei! schaut doch! was für artge Knaben!
Ihr Vater muß gewiß kein Narr gewesen sein,
Wir möchten ihn doch gerne kennen.

Ja! sprach die Wöchnerin, ihr werdet mir verzeihn,
Ich weis ihn selber nicht zu nennen.
Das aber weis ich wohl, er war von hohem Stande,
Ein Welscher von Geburt, galant, geschickt und klein;
Er schien den Mienen nach ein junger Prinz zu sein;
Er war zum wenigsten der schönste Hund im Lande.
Man kann ihn schöner nicht erdenken und ersinnen.
Das haben wir uns wohl gedacht,
Versetzten unsre Nachbarinnen:
Sie glaubten es, und nahmen gute Nacht.

Durch diesen blauen Dunst ließ mancher sich betrügen.
Viel hielten es für falsch, viel glaubten es für wahr;
Doch nach Verlauf von einem Vierteljahr,
Beschämte die Natur der Mutter freches Lügen;
Sie mochte sich auch noch so sehr dawider sperrn.
Die wohlgebornen jungen Herrn
Bekamen dick -und breite Köpfe
So groß, als wie die Ofentöpfe,
Und Pfoten, wie die Schemelbeine;
Ihr aufgeschlitztes Maul glich einer offnen Scheune.
Kam ihnen unverhofft etwa ein Kalb die Quer:
So liefen sie ihm nach und bellten hinter her.
Und machten dadurch selbst ihr schlecht Geschlechte kund.
An ihren Mienen, Gang und Taten
Konnt jedermann nunmehr erraten,
Ihr rechter Vater sei der alte Fleischerhund.

*  *   *

Was will man erst die Mütter fragen:
Wer ihrer Kinder Vater sei?
Man frage die Natur! die flieht die Schmelchelei;
Sie wird, glaubts sicherlich! die rechte Wahrheit sagen.

Die zwei Lehrjungen

Es hatt ein Handelsmann zwei Jungen angenommen.
Der eine war geschickt, doch liederlich dabei;
Er konnte, wie es schien, nicht Schläge gnug bekommen,
Sein Herr schlug manchen Stab umsonst an ihm entzwei.
Das Teufelskind zerschnitt der Köchin oft die Teller,
Die Gläser ungezählt, die er mit Fleiß zuschmiß.
Er ward dafür gestraft; man steckt ihn in den Keller,
Allwo man ihn manchmal zwei Tage hungern ließ.

Der andre Junge schien die Einfalt selbst zu sein.
Befahl ihm jemand was: So nahm ers unrecht ein,
Und konnte nichts gescheutes machen.
Man trug ihn mit Geduld; man mußte seiner lachen.
Inzwischen ließ man ihn deswegen doch nicht ruhn,
Man gab ihm immer was zu tun.
Bald trug er Wasser zu; bald holt er Bier, bald Wein;
Bald kehrt er aus, bald heizt er ein;
Bald half er gar der Köchin backen,
Der mußt er noch dazu das Holz im Stalle hacken;
Er tat auch alles gern. Fiel einem was zu schwer:
So hieß es: Ruft den Jungen her!
(So gehts mit willigen Gemütern!)

Einst sollte nun gemeldeter Hans Dumm
Die Hühner auf dem Boden füttern.
Teils waren eingesperrt, teils liefen frei herum.
Der Junge schüttete das Futter auf die Erde,
Und sprach: Da habt ihrs! teilt euch drein!
Ihr könnt indessen schon damit zufrieden sein,
Bis daß ich wieder kommen werde.
Den Hühnern, die im Korbe saßen,
War dieses ein verbotner Schmaus:
Sie sahen traurig zu, wie ihre Schwestern fraßen,
Und schrien überlaut den größten Hunger aus.
Allein was halfen sie die vielen Klagelieder?
Ihr Speisemeister kam nach zweien Tagen wieder.
Und warf den Fraß, wie vor, so auf den Boden hin;
Drauf lief er wieder fort, und dacht in seinem Sinn,
Er hätte seine Pflicht gar wohl in Acht genommen.

Die Freien wurden fett, und zehrten alles auf;
Die Eingesperrten gingen drauf,
Denn diese hatten schon drei Tage nichts bekommen.
Als nun die Sache ruchbar ward:
So wollte Frau und Magd dem Jungen dieserwegen
Den Prügel um die Ohren legen.
Kein loses Schimpfwort ward gespart,
Und unser Hühnervogt erbärmlich ausgescholten.
Ich dachte, fing der Narr sich zu entschuldgen an,
Die Hühner hätten was getan,
Daß sie zur Strafe nichts zu fressen kriegen sollten.
Der Herr vom Hause kam zu allem Glück dazu,
Er mußte noch des Jungens Einfalt lachen.
Schatz! sprach er zu der Frau, geh! laß den Tropf zu Ruh!
Wär ich ein Narr, wie er, ich würd es selbst so machen.

*   *   *

Die Bosheit wird bestraft, der Unverstand belehrt.
Wer Torheit rächen will, ist selbst der größte Tor.
Die Narren können nichts davor,
Daß ihnen Gott nicht mehr Verstand beschert.

Der Affe

Ein Affe, der ins neunte Jahr
Hanswurst bei einem Arzte war,
Mit dem er fast die halbe Welt durchzogen,
Mit dem er auch zugleich die halbe Welt betrogen,
Riß von der Ketten los, ging durch und nahm die Flucht,
Er hatte seinem Herrn ein Brennglas mitgenommen,
Und war, trotz aller Müh, mit der man ihn gesucht,
In Polen glücklich angekommen.
Allhier begab er sich in einen großen Wald.
Die Bären hatten hier stets ihren Aufenthalt.
Der Affe war nicht weit gegangen:
So hatten sie ihn schon erblickt.
Dem Fremden wurden gleich zween Bären nachgeschickt,
Die sollten ihn lebendig fangen.
Der Affe sprang auf einen Baum;
Die Deputierten nach. Was, schrie er, soll das heißen?
Ihr Herrn! ihr habt ja unten Raum;
Ihr kommt mir artig für; ich glaub ihr wollt mich beißen.
Was willst du hier? rief ihm der eine zu,
Man hat uns hergeschickt, dich darum zu befragen.

Hört! sprach er, laßt mich nur zur Ruh;
Ich will es euch schon in der Güte sagen.
Ich bin ein Arzt, der weit und breit gereist,
Und den man insgemein den großen Doktor heißt;
Habt ihr denn gar noch nichts von meiner Kunst vernommen?
Ich bin deswegen zu euch kommen,
Den Kranken, die ihr habt, mit Arznei beizustehn.
Gut! sprach der andre Bär, mein Vetter liegt zu Hause,
Er ist noch krank von unserm letzten Schmause.
Drum bat er unsern Arzt, er möchte mit ihm gehn.
Und sehen, was zu machen wär.
Der Affe kam sogleich vom Baum herabgestiegen,
Ging mit und sah den kranken Bär
In seiner Höhle keuchend liegen.
Er griff ihm an den Puls. Gelt! rief er überlaut,
Der Bauch tut ihnen weh? Es haben Ihre Gnaden
Den Magen sich zu heftig überladen;
Nicht wahr? daß Ihnen itzt vor aller Speise graut.
Getroffen! sprach der kranke Bär,
Was aber meint der Herr, wie mir zu raten wär?
Drauf wies er ihn zu einem Ameishaufen;
Von diesen Tierchen, die hier laufen,
Nehm Ihro Gnaden nur ein rechtes Maul voll ein;
Ihr Übel wird dadurch so gleich gehoben sein.
Kaum hatte sie der Bar gefressen:
So ward ihm übel drauf, er mußte grausam spein.
Der Magen ward geräumt von dem zu vielen Essen;
Der Kranke ward gesund, der Arzt berühmt, geehrt,
Und durch den ganzen Wald zum Physico erklärt.

Die ganze Nation der Bären
Gab ihm das Zeugnis öffentlich,
Daß niemand seines Gleichen wäre;

Doch eben dieses Lob war für den Neid ein Stich.
Besonders war ein Bär, den dieser Ruhm verdroß;
Er, der zeither allein des Pöbels Gunst genoß,
Spie nun, doch insgeheim, deswegen Gift und Galle,
Und brachte nach der Hand den Affen auch zu Falle.
Denn als derselbe sich vermaß,
Er wollte durch sein Wunderglas
Ein Feuer ohne Feuer machen:
So sucht er ihn damit am ersten auszulachen.

Die Probe sollte vor sich gehn;
Die ganze Bärenwelt kam auf einem Platz zusammen;
Der Ort war frei, die Sonne strahlte schön;
Dies alles war genau und richtig abgepaßt:
Der Affe hielt sein Glas an einen dürren Ast,
Der rauchte lange Zeit, drauf fing er lichte Flammen.
Ach! schrie der neidsche Bär, seht doch den Bösewicht!
Der Kerl kann hexen! merkt ihrs nicht?
Unmöglich ist das Ding natürlich zugegangen.
Ihr Herren! denkt doch nach! Wo habt ihr den Verstand?
Er riß dem Affen drauf das Brennglas aus der Hand.
Kommt, sprach er, fühlt nur an! das Glas ist kalt. Nicht wahr?
Ihr Herren, fuhr er fort, die Sach ist sonnenklar;
Von dem, was selbst nicht brennt, kann auch nichts Feuer fangen.
Drauf machte die gesamte Schar
Den bärenhäuterischen Schluß,
Daß, was man nicht begreift, vom Teufel stammen muß.
Der Affe ward so gleich verdammt und auch zerrissen.

*   *   *

Wir Menschen schließen selbst manchmal nicht viel gescheuter:
Wenn wir ein Ding nicht zu begreifen wissen:
So sind wir in der Tat oft rechte B - - - -

Die zwei Weintrinker

Zwei sonst gar gute Nachbarsleute
Gerieten einst in einen Zank.
Seht die Gelegenheit zu ihrem harten Streite!

Der eine soff, der andre trank.
Der Säufer hieß Herr Hans; der Trinker hieß Herr Steffen.
Der trank ein Quart, nicht mehr; der stets zwei Töpfe Wein.
Was meinst du? Nachbar Hans! fing Steffen an zu schrein.
Ich will dich mit der Zeit im Trinken übertreffen.
Der Säufer lachte nur dazu.
Dop! sprach der noch einmal, ich trinke mehr, als du.
Ists Ernst? ja! ja! Ich sehe tausend Gulden.
Ich auch. Schon gut! das Geld ward deponiert.
Und durch ein Instrument der Umstand klausuliert;
Die Wetter müßten sich gedulden,
Bis ihnen beiderseits der Tod das Glas genommen,
Denn eher konnte man zu keinem Spruche kommen.

Hans soff nunmehr, auf seinen alten Schlag,
Acht Quart und mehr auf einen Tag;
Ein Jahr war kaum vorbei: So lag er auf der Bahre.
Herr Steffen trank nicht mehr, als ordentlich sein Quart,
Und lebte nach der Zeit noch über zwanzig Jahre.
Als nun nach aller beider Sterben,
Die Rechnung untersucht und überschlagen ward:
So hatte Hans verspielt. Drum nahmen Steffens Erben
Das ausgesetzte Capital.

*   *   *

Wer viel zu trinken denkt, trinkt wenig auf einmal.

Der gewanderte Floh

Ein junger Kaufmannssohn sollt in die Länder gehn.
Er hatte zwar zum Reisen kein Belieben;
Die Mutter war ihm lieb, bei der er gern geblieben:
Doch endlich mußt er sich doch noch dazu verstehn.
Die ganze Nachbarschaft war bei dem Abschiedsschmause,
Man aß und trank auf gutes Glück,
Und wünschte halbberauscht den werten Sohn vom Hause
(Er war ja noch nicht fort!) fein bald gesund zurück.
Ein junger Floh, der in der Köchin Hemde
Zeither den Tisch gehabt, kroch diesem jungen Herrn
In seinen Hosengurt, und ging mit in die Fremde.

Dergleichen Leute reisen gern.
Denn wenn sie sich zu lang an einem Ort verweilen;
So kann sie Fall und Tod auch leichtlich übereilen.
Sein Herr fuhr auf der Post den Weg nach Handlungshausen,
Der Universität der deutschen Kaufmannschaft.
Die Lüste nahmen ihn hier gleichsam in Verhaft,
Und lehrten ihn, sein Geld manierlich zu verschmausen.
Der Handlung nachzugehn war hier zwar seine Pflicht:
Allein nach dieser fragt er nicht,
Wohl aber las er sich das beste Coffehaus
Zu seiner Zeitverkürzung aus.
Er legte sich aufs Spiel, und kratzte sich das Ohr,
Wenn er auf einen Satz sechs Louis blanc verlor.
Die Austern schmeckten ihm, der Rheinwein stund ihm an;
Er wendete sein ganz Vermögen dran,
Und trug sich nett und bund gleich andern jungen Prahlern.
Er hurte, fraß und soff; so daß in einem Jahr
Ein Capital von dreimal tausend Talern
Recht liederlich verschwendet war.

Was aber machte denn der Floh,
Der Wandersmann in Duodecimo?
Der blieb den ganzen Tag im Hosengurte stecken;
Er unterließ das Beißen gern,
Aus Furcht, er möchte seinem Herrn
Zu viel Verdruß und Qual erwecken;
Er stach ihn eher nicht, als wenn er L'ombre spielte,
Und auf das Spiel erhitzt nicht das Geringste fühlte.
Wenn ihn die Neugier trieb, sich einmal umzusehn!
Hielt ihm die Vorsicht ein, es könnte leicht geschehn,
Daß es den Weg zurück nicht mehr zu finden wüßte,
Und ohne seinen Herrn hier ewig bleiben müßte.
Wenn dieser schlief: So kroch der kleine Passagier
Aus seiner Herberge herfür;
Nu? sprach er zu sich selbst, wenn alles finster war,
Wie ist mir? Hab ich denn den Star?
Ich hätte mich aus meinem Vaterlande,
Wenn ich das vor gewußt, wohl nicht hierher bemüht;
Ist das für eine Stadt nicht eine rechte Schande,
Daß man hier, wie bei uns, bei finstrer Nacht nichts sieht?

Die Suche war nun nicht zu ändern.
Als nun hierauf das wohlgereiste Paar,
Der Floh und auch sein Herr, aus den entfernten Ländern
Gesund und frisch zurücke kommen war:
Gab dies Gelegenheit zu einem neuen Schmause.
Besonders kamen gleich die Flöh im ganzen Hause,
Und fragten ihren Freund, wies ihm gegangen wär?
Der kleine Schwarzrock tat, als kennt er sie nicht mehr;.
Allein sie pflegten ihn in einen Kreis zu schließen,
Und wollten mit Gewalt von ihm was Neues wissen,
Was er auf Reisen sich gemerkt, gesehn, gehört.
Seht! platzt er endlich raus, weil ihrs von mir begehrt:
So will ich euch auf eure Fragen
Von - - was besondres sagen,
Ich weis gewiß, daß ihr es noch nicht wißt:
Man sieht dort nichts, wie hier, wenn man im Finstern ist.
Ach! sprachen sie, mein Freund! Ist das der Müh wohl wert,
Daß du so weit gewandert bist?

*   *   *

Das Reisen an sich selbst macht keinen nicht gelehrt.
Hat jemand einen Sohn? laßt ihn nach - - reisen!
Wenn erauch sonst nichts lernt, er lernt da Austern speisen.

Der Holzhacker

Ein Mann, der von der Holzaxt lebte,
Und zwischen arm und reich recht in der Mitten schwebte,
War immer mißvergnügt. Er murrte Tag und Nacht,
Daß ihn der Himmel nicht, gleich andern reichen Leuten,
Zu einem großen Herrn gemacht.
Er wollte wenig tun, und dennoch viel bedeuten.
Er sah sein eignes Glück nicht ein.
Er durfte sich das Brot aus Armut niemals borgen.
War seine Axt geschärft, mehr hatt er nicht zu sorgen,
Und gleichwohl wollt er nicht damit zufrieden sein.
Er sprach: Bei meinem Tun ist weder Ruhm noch Ehre;
Kein Mensch weis was von mir, ich werde nicht bekannt;
Verflucht sei mein geringer Stand!

O Himmel! wenn ich König wäre:
Da wollt ich mich für glücklich halten!
Ich dürfte wenigstens kein zähes Holz mehr spalten;
Zu Fuße ging ich auch nicht mehr
Ha ha! nicht einen Schritt; ich hätte Pferd und Wagen;
Die Diener müßten mich in einer Sänfte tragen,
Ich machte mich wohl noch dazu mit Fleiße schwer.
Ich würde mich schon recht bedienen lassen.
Die Leute müßten auf den Gassen,
Mit bloßen Köpfen vor mir stehn.
Da teilt ich Gnaden aus; den würd ich dort erhöhn,
Den hier erniedrigen; den setzt ich ab, den ein;
Und sonderlich, was schlechte Leute sein,
Die so, wie ich itzund von ihrer Holzaxt leben,
Die wollt ich insgesamt in Grafenstand erheben.

(Das hätte noch gefehlt!) Indessen ward es Nacht.
Der Mann lag hinter seinem Zaume,
Schlief in Gedanken ein, und ward in einem Traume,
So wie er es gewünscht, zum Könige gemacht.
Sein Hut verkehrte sich in eine goldne Krone;
Die Räte stunden um ihn her;
Er selbst saß voller Pracht auf einem hohen Throne,
Der Meinung, daß sein Glück nun auf der höchsten Staffel
Auf lebenslang befestigt wär.
Bald gab er Audienz, bald hielt er offne Tafel.
Prinz Merten aß und trank sich nun recht dick und satt;
Man hatte gnug zu tun, ihm immer einzuschenken.
Er war darum nicht zu verdenken,
Dem schmeckts am besten, der was hat.
Nach diesem fuhr er aus in einem prächtgen Wagen,
Da hatt er seine Lust; wenn man gegangen kam,
Und nicht den Augenblick den Hut herunternahm:
So ließ er einem gar den Kopf herunter schlagen.
Bis hierher ging es gut; drauf wandte sich das Blatt.

Die Leute hatten seiner satt;
Man rebellierte; man suchte den Tyrannen
Von Thron und Reiche zu verbannen;
Er sollte mit zu Felde gehn,
Und wußte sich aus Furcht dazu nicht zu verstehn;
Das Leben war ihm lieb. Ein neues Ungemach!
Die Feinde stellten ihm so gar mit Gifte nach.
Die Bosheit ward entdeckt. O wie erschrak der König!
Kein Essen schmeckt ihm mehr; er schlief des Nachts sehr wenig;
Er schrie, er heulte, wie ein Kind,
Und grämte sich fast tot, und weinte sich halb blind.

Immittelst wurd es Tag. Zu seinem größten Glücke
Stach den Monarchen eine Mücke,
So daß sein Königreich, so wie sein Traum verschwand.
O wie erfreut er sich, als er an seiner Seite
Die liebe Holzaxt hier an statt des Zepters fand!
Ach! sprach er, o wie gut! Und wenn es Kronen schneite,
Ich hübe sie nicht auf; ich bin kein Narr nicht mehr;
Gott ehre mir die Axt! die Kronen sind zu schwer.

*   *   *

O gönnt ihr Niedrigen! den Hohen ihre Würde!
Ihr seid zu schwach dazu; die Unlust ihrer Lust
Ist euch vielleicht nicht bewußt.
Je kleiner euer Stand; Je leichter ist die Bürde.

Das Kind und die Rute

Die Unerfahrenheit glaubt, was sie nur hört sagen.
Was Wunder? wenn ein Kind, das man noch nie geschlagen,
Auf seiner Mutter Wort getraut,
Und blindlings hin geglaubt, daß seine künftge Braut
Die ihm gezeigte Rute sei.
Die ihm der heilge Christ bescherte.
Wo Hänsgen sich befand, war auch die Braut dabei;
Es küßte sie, so oft man es begehrte;
Er trug, er schleppte sich mit ihr den ganzen Tag;
Er nahm sie auch so gar des Abends mit zu Bette;
Er schlief nicht ein, wenn sie nicht bei ihm lag.
Statt daß er seinen Brei allein genossen hätte:
So lud er seine Braut drauf ein,
Die mußte seine Gästin sein
Und wechselweise mit ihm essen.
Wenn nicht die Kinderfrau zum Schein
Der Rute stets Zech um den zweiten Löffel gab:
So wies er ihre Hand mit großem Eifer ab,
Und tat, als hätt er sich schon wirklich satt gegessen;
Die Augen gingen ihm für Zorn und Unmut über.
Kurzum, die Rute war ihm lieber,
Als aller Tändelkram, den die noch läpp'sche Welt
Sonst für ihr Himmelreich und für ihr Bestes hält.

Des Knabens Eigensinn wuchs immer mit den Jahren.
Weil Wort und Drohung nun umsonst und fruchtlos waren,
Und Hänsgen nichts draufgab, wenn ihn der Vater schalt;
So gab man ihm, aus billiger Gewalt,
Ein Dutzend Schmitze mit der Rute.
Der Knabe, der es übel nahm,
Und weinte, heult und schrie, daß ihn das Böckgen stieß,
Weil ihn die liebe Braut so auf den Rücken biß,
Gab sich in langer Zeit deswegen nicht zu Gute,
Und ward der Rute nun so gram,
Daß er sie weiter nicht begehrte;
Er zitterte vor Angst, wenn er sie nennen hörte.

*   *   *

Ihr großen Kinder seid dem kleinen Kinde gleich.
So lange Hand und Herz nicht Schlag und Strafe fühlen:
Mein! was ist Hiob gegen euch?
Nichts! denn ihr könnt so gar mit Kreuz und Elend spelen.
So lang ihr keines habt. Denn, wenn die Not erscheint:
So meint ihr aus der Haut zu fahren,
So seid ihr ganz verzagt, und heult und schreit und weint.
Kann euer Heldenmut sich schlechter offenbaren?

Der Kuckuck

Der Hochmut nahm einst einen Kuckuck ein,
Er wollte mit Gewalt der Vögel König sein.
Der Adler, der zeither die Herrschaft übernommen,
War ungefähr ums Leben kommen.
Ein Kronprinz war zwar da: Allein er war zu jung,
Und noch nicht majorenn. Weil nun das Volk drauf drung,
Und ohne Widerspruch herum votieren wollte,
Wer bis zu dem Beschluß der Minderjährigkeit
Die Vogelwelt regieren sollte:
Erhub sich bei der Wahl ein ungemeiner Streit.
Es waren vierzig Competenten,
Die ihrer Meinung nach den Thron besteigen könnten.
Den Kuckuck hörte man vor allen andern schrein;
Ihr Herrn, bedenkt euch wohl, und wählt nicht obenhin!
Vergeßt ihr mich denn gar? Ihr wißt ja, wer ich bin;
Was dünkt euch? Sollt ich nicht des Zepters würdig sein?

Warum denn? werden hier vielleicht die Leser fragen;
Geduld! der Kuckuck mags euch lieber selber sagen.

Was? sprach ein alter Storch, das wär in Wahrheit schön!
Geh; laß dir den Verstand erst bei dem Schleifer schärfen!
Ein schlechter Kerl, wie du, muß sich nicht unterstehn,
Sich zum Monarchen aufzuwerfen.
Wie? fuhr der Kuckuck fort, du meinst, ich sei zu schlecht,
Das Amt der Herrschaft zu verwalten?
Ha, ha! ihr kennet mich vielleicht noch nicht recht,
Mich, den die Manschen selbst so hoch in Ehren halten;
Denn wenn sie gerne wissen wollen,
Wie lange sie noch leben sollen:
So fragen sie nicht euch, sie fragen mich darum;
Ich, ich bin ihr Oraculum,
Das ihnen ihre Lebenszeit
Mir selbst, oft unbewußt, doch richtig, prophezeit.
Was geht das uns hier an? sprach eine Ringeltaube;
Der Menschen Unverstand und blinder Aberglaube,
Der zwar wer weis? was aus dir macht,
Wird von uns Tieren nur verlacht.
Steht dir bei ihnen gleich der Ehrentempel offen:
So hast du doch von uns das eben nicht zu hoffen,
Was dir ihr Aberwitz verspricht;
Denn wir sind keine Menschen nicht.

*   *   *

Ein hundertfaches Lob von unverständgen Leuten
Gilt einer Nulle gleich, zu der die Eins noch fehlt;
Ein Ruhm von kluger Hand, den man nur einfach zählt,
Hat tausendmal mehr zu bedeuten.

Das Gewissen

Das echt und ehrliche Gewissen,
Hatt einen großen Herrn, der ihm zu nahe trat,
Und Nasenstüber gab, einst in die Hand gebissen.
Was aber folgte drauf? Es ward auf frischer Tat
Vom Hofe gleich verbannt, und in die Flucht getrieben.
Es nahm den Abschied auch gar gern und willig an;
Denn weil es, wie bekannt, nicht viel vertragen kann,
So wär es ohnedem nicht länger da geblieben.
Es ging und suchte sich nun einen neuen Herrn.
Man sah es Stadt und Land zwar fleißig durchhausieren,
Doch ohne Glück und ohne Stern.
Es fand die Häuser stets mit zugeschlossnen Türen.
Kein Mensch gab seinem Suchen statt,
Weil niemand gern etwas mit ihm zu schaffen hat.
Warum? es predigte viel schärfer, als die Pfarrn.
Drum war ihm niemand gut. Man hatt es nur zum Narrn,
Und wenn man was beteuern wollte,
So daß der Eid so viel als nichts bedeuten sollte:
Schwur der gemeine Mann getrost bei dem Gewissen.

Inzwischen litt es große Not,
Es hatte weder Geld noch Brot,
Und meinte schon, es würd verhungern müssen.
Die Geistlichen bemühten sich recht sehr,
Es bei jemanden anzubringen,
Sie sagten öffentlich, daß nichts so strafbar wär,
Als das Gewissen zu verdringen.
Ein karger Edelmann, der stets sein Volk nur plagte,
Der die Vermögenden von Hab und Gut verjagte,
Und um das Ihrige betrog;
Indem er alles das mit Freuden an sich zog,
Was sie bei ihrer Flucht betrübt zurücke ließen,
Er bot sich von sich selbst (o! seht den Heuchelschein!)
Er woll dem schmachtenden Gewissen
Zu einem Dienst behilflich sein.

Der Wächter, der schon zwanzig Jahre
Des Nachts zeither das ganze Dorf bewacht,
Ward durch den Anfall von dem Stare,
Unbrauchbar und stockblind gemacht.
Mann konnte länger nicht mit ihm zufrieden sein;
Drum setzte man ihn ab und das Gewissen ein,
Damit war ihm und jedermann geraten.
Die Bauern trieben ungescheut
Bis zu der späten Abendzeit,
So wie sie es gewohnt, die größten Lastertaten.
So lang es Tag war, schlief nunmehro das Gewissen;
Denn da es nächtlich wachen müssen,
Die Stunden richtig auszuschrein:
So konnt es nicht viel anders sein.
Der neue Wächter war vollkommen wohl gelitten,
So gut sichs jemand wünschen mag.
Man sah und hörte nichts von ihm den ganzen Tag.
Die Bauern konnten sich nunmehr mit leichter Müh
Vor seiner scharfen Predigt hüten.
Er schlief beständig, wenn sie wachten;
Und wenn ihm Nacht und Amt die Augen munter machten:
So warn die Bauern fromm, auf deutsch, so schliefen sie.

*   *   *

Man hört den Wächter selten schrein,
So lange wir gesund und nächtlich feste schlafen:
Allein wird uns denn stets so wohl zu Mute sein?
Kann uns Gott nicht mit Krankheit strafen,
Daß Schlaf und Ruhe fliehn? dann wird uns das Gewissen
Weit schärfer ins Gehör und schrecklich fallen müssen.

Der fleißige Arzneibraucher

Ein Mann, der für sein wertes Leben
Mehr, als es nötig, sorgsam war,
Lief eben dadurch in Gefahr,
Der Erden gute Nacht zu geben.
Er war gesund und stark, und ob ihm gleich nichts fehlte,
So nahm er früh beim Tee stets was zu brauchen ein,
Indem er sich mit dem Gedanken quälte,
Sei er gleich jetzt nicht krank, er könnt es morgen sein.

Kein Mensch hat so wie er wohl jemals auf der Welt
Die Regeln der Diät so wohl in acht genommen.
Was der Natur schwer zu verdauen fällt,
Das dürft auf seinen Tisch nicht kommen
Und auch dasjenige sogar,
Was ehedem sein liebstes Essen war,
Geräuchert Rindfleisch, Schnecken, Schinken;
Dies alles, wie gesagt, schien ihn nur anzustinken.
Das Herze hatt er nicht, Salate mehr zu essen.
Er machte gleich darüber einen Strich,
Als er gehört, es habe sich
Einmal ein altes Weib das Fieber dran gefressen.
Er schlug sich auch den Weinzahn aus,
Um vor dem Podagra sich gleichsam zum voraus
Mit großer Klugheit zu verwahren.
Wenn ein verschlagner Wind ihn in dem Leibe stach,
So glaubte man dem Kreißen nach,
Er würde gleich von hinnen fahren.
Da mußten Junge, Knecht und Magd
Und über Hals und Kopf nach seinem Doktor springen.
Er kam, sobald man ihm die Nachricht kaum gesagt,
Und half ihn vollends gar um die Gesundheit bringen.

Er ordnete dem Kranken ein Klistier,
Das zehnmal wiederholt die Schmerzen tilgen sollte.
Er gab ihm Tropfen ein, soviel er brauchen wollte.
Die Arznei war ihm feil; er konnte nichts dafür,
Daß man ihn mit Gewalt zum reichen Manne machte.
Sein Kundmann, der ihm stets was Rechts zu lösen gab,
Nahm immer desto mehr an seinen Kräften ab,
Je mehr er sich dadurch zu helfen dachte.
Drauf stellt ihm Gott im Traum einst die Gesundheit für,
Als wenn sie weinend zu ihm käme
Und ewig von ihm Abschied nähme.
Sie ging. Er schrie ihr nach: O Freundin! bleib doch hier!
Was? Freundin? rief sie ganz entrüst,
Die Medizin, die dort auf deinem Tische steht,
Beweist genug, wie schlecht du mir gewogen bist.


Die Rinne

Die Rinne fing nach ihrer Art
Einst mit den Schindeln auf dem Dache
Verdruß und Handel an. Sagt, sprach sie, wem ihr spart?
Erlaubt mir, daß ich euer lache.
Ich weis wohl, daß es euch verdrießt,
Daß ihr das Wasser nicht selbst zu verzehren wißt;
Ihr übergebt euch nicht; ich kann's euch nicht verhehlen;
Ihr seid, so wie ihr seid, vollkommen geiz'ge Seelen.

Das lügst du, fingen hier zwei Schindeln an zu schrein,
Wir geizig? nimmermehr! wer wollte dieses sagen?
Du kannst dich über uns mit Rechte nicht beklagen,
Du müßtest denn besoffen sein.

Man sieht es schon, du bist nicht wohl bei Sinne.
Ihr seid die rechten, sprach die Rinne,
Ihr gebt mir viel; ja wers nicht wüßte!
Ihr fragt den Tod danach, wenn ich verdursten müßte.

Die Antwort war hierauf! Sind wir denn Schuld daran,
Daß du den gestrig- starken Regen,
Den wir dir zugewandt, so liederlich vertan?
Die Sonne strafet dich itzt der Verschwendung wegen;
Du hättest, wenn du Wirtschaft triebest,
Auf drei, vier Tage Wasser gnug;
Im Ernst! mein Freund! du bist nicht klug,
Wenn du die eigne Schuld auf andre Leute schiebest.

Ein Narr kann auch das größte Gut
In kurzer Zeit mit leichter Müh verschwenden.
Wer alles auf einmal vertut,
Hat endlich nichts in beiden Händen.

Der gescheuchte Hans

Ein Bauerknecht von einem Dorf aus Polen,
Der wenig Deutsch verstund, nicht viel gesehn, gehört,
Fuhr einst in einen Busch, ein Fuder Holz zu holen.

Hier ward der arme Kerl gescheucht, verführt, betört.
Ein Vogel, den er noch nicht kannte,
Und den man insgemein die alte Magd hier nannte,
Rief immerzu: Knaicht! Knaicht! Knaicht! Knaicht!
Hanns meint; es ging auf ihn, ließ Pferd und Wagen stehen,
Indem er sich entschloß, der Stimme nachzugehen.
Er bildete sich ein, es rief ihm eine Magd,
Mit der er insgeheim zu Hause Buhlschaft trieb.
Denn, dacht er bei sich selbst, sie hat mich herzlich lieb,
Und ist mir bis hierher aus Liebe nachgeschlichen.
Er küßte schon im Geist ihr wertes Angesicht;
Er lief, er suchte sie; allein er fand sie nicht,
Und war den ganzen Wald vergebens durchgestrichen.
Kaum war er hier: So rief es ihm schon dort,
Und eh er hinkam, flog der Vogel weiter fort;
Er guckte hinter allen Sträuchen,
In Hoffnung seinen Schatz noch endlich zu erschleichen,
Und fand zu hören gnug, und gleichwohl nichts zu sehn;
Er wußte nicht, wie ihm geschehn.

Drauf blies ihm Furcht und Schrecken ein,
Der Satan habe hier vielleicht die Hand im Spiele;
Man hätte der Exempel viele,
Daß Wälder voll Gespenster sein,
Die einen auch so gar am lichten Tage plagen.
Er stieg mit Zittern auf sein Pferd,
Und fuhr, von Furcht und Angst betört,
Mit dem noch unbeladnen Wagen
In völligem Galopp zurücke.
Was fehlt dir? sprach der Herr, der es in diesem Stücke,
So viel ihm möglich, übel nahm,
Daß Hans so wie er war und leer nach Hause kam.
Herr! sprach der arme Tropf, erschießt mich lieber bald!
Kein Henker bringt mich mehr in den verfluchten Wald;
Es geht darinnen um; ich weis was mir geschehen.
Knaicht! Knaicht! so schreit es stets und niemand läßt sich sehen.
Geht das natürlich zu? So wahr ich ehrlich bin!
Wo schon der Teufel wohnt, da komm ich nicht mehr hin.

*   *   *

Ihr, die ihr Hansens Einfalt lacht,
Seht, daß euch nicht die Furcht zu seinen Brüdern macht!
Denn wer kein gut Gewissen hat,
Den schreckt ein faules Holz, den scheucht ein rauschend Blatt.

Die Schnecken und die Raupe

Zwei Schnecken hingen sich an einen großen Stein;
Sie schienen mit sich selbst nicht recht vergnügt zu sein,
Indem sie sich mit tausend Grillen schlugen.
Ihr Wohnhaus, welches sie auf ihrem Rücken trugen,
Kam ihnen unbequem und zu beschwerlich für.
Deswegen suchten sie sich hier
Einander ihre Not zu klagen.

Ach! hub die eine an, und seufzte recht dazu,
Wie müde bin ich von dem Tragen!
Ich auch! sprach diese drauf, du darfst mirs nicht erst sagen:
Ich weis es, liebes Kind! ja wohl so gut, als du;
Wir sind zur Plage recht geboren.
Ich habe vielmal schon gedacht,
Es habe die Natur Verstand und Witz verloren,
Weil sie uns mangelhaft und gleichsam halb gemacht;
Sie hätt uns, da sie uns so schwer beladen wollen,
Auch Hand und Füße geben sollen.
Wenn man auch sonsten nichts an uns zu tadeln fände!
So wäre das schon gnug: zwar wendet man hier ein,
Der klebricht-zähe Schleim dien uns anstatt der Hände;
Allein man sage mir, wo unsre Füße sein?
Weswegen brauchen wir zum Reisen so viel Zeit?
Ein Tier, das Beine hat, kann stündlich weiter springen,
Da wir es kaum so weit in Jahr und Tage bringen.
Die Menschen nennen uns ein Bild der Langsamkeit.
Gar recht! wir sind es auch, sprach ihre Nachbarin,
Ach! daß ich wenigstens nicht eine Hündin bin!
So dürft ich nicht so schwer und so gefährlich schleichen.
Du siehst den Fahrweg dort, wo ich vorgestern war:
Der Postknecht kam und blies, ich merkte die Gefahr,
Und wollt ihm aus dem Wege weichen;
Allein was half mich meine Müh?
Er kam mir auf den Hals, ich wußte selbst nicht, wie?
Es war dem Ansehn nach geschehn mit meinem Leben;
Zu allem Glücke trat sein Schimmel noch daneben.
Wo ist wohl auf der Welt ein schlecht versorgter Tier?
Die Raupe dort auf jenem Haselstrauche
Hat, wie du siehst, doch Füß an ihrem Bauche:
Ist sie nicht glücklicher, als wir?

Ach! sprach die Raupe zu den Schnecken,
Es sieht um euch wohl besser aus.
Wenn Sturm und Regen kommt: So habt ihr euer Haus,
So könnt ihr euch vor der Gefahr verstecken.
Ich hab euch lange zugehört,
Daß ihr euch meiner Füße wegen,
Weil sie nicht euer sind, so unerlaubt beschwert;
Ich brauche sie; was ist euch dran gelegen;
Ihr könnt sie schon entbehrn; wenn ihr nach Nahrung strebt,
Kann euch das platte Land schon Vorrat gnugsam zeigen;
Ihr dürft auf keine Bäume steigen,
Wie unser einer tut, der von den Blättern lebt.
Viel eher möcht ich mich für unglückselig schätzen.
Ihr habt ein schlüpfrig Fell und Fleisch so zäh, wie Draht:
An mir ist alles weich und leichter zu verletzen,
Und dennoch klag ich nicht. Das ist der beste Rat
Für euch, ihr meine lieben Schnecken!
Ihr müßt auf die nicht sehn, die glücklicher, als ihr;
Stellt euch nur solche Tiere für
Die tiefer noch in Not und Elend stecken.
Ich bitte, schaut einmal den Regenwurm dort an!
Ihr seht gottlob! er nicht. Seid ihr nicht besser dran?
Ihr seid zum wenigsten nicht blind;
Wie würde manches Tier sich so vergnügt erweisen
Und seinen Zustand glücklich preisen,
Wenn es nur noch das wäre, was wir sind.

*   *   *

Der Raupe kluger Rat sei denen auch gegeben,
Die neidisch darauf sind, wenn andre sich erheben.
Wer niedrig ist beklagt sich gern;
Allein man gönne doch den Höhern Stand und Gaben!
Hans ist ein großer Herr, laßt ihn den Vorzug haben!
Es gibt ja in der Welt noch immer kleinre Herrn,
Die mich, als wär ich Hans, mit gleicher Ehrfurcht grüßen,
Und mich für groß passieren lassen müssen.

Die zwei Finken

Zwei Finken von dem ersten Range,
Zwei Reiter, sag ich, waren sich
Gehässig, gram und ärgerlich;
Sie hinderten einander am Gesange,
Die eine fing kaum an: So schlug die andre drein,
Und keine schlug recht aus. Dies mißfiel ihrem Herrn.
Was? sprach er, gleich und gleich gesellt sich sonst ja gern:
Weswegen wollt denn ihr nicht gute Freunde sein?
Könnt ihr einander denn nicht in der Näh vertragen?

Weil sein Befehl hier leider! nichts verfing,
Geschah es, daß er sie weit von einander hing;
Drauf sungen sie den ganzen Tag
So fleißig und so gut sichs jemand wünschen mag,
Warum? Sie hörten nun einander nicht mehr schlagen.
Nach diesem legte sich ihr Herr zwei Wachteln zu,
Die hing er hier und dort den Finken an die Seite;
Mit diesen lebten sie, als gute Nachbarsleute,
In größter Eintracht, Fried und Ruh;
Sie alternierten ihre Lieder
Gar artig und geschickt, und liebten sich recht sehr.
Die Wachteln starben ungefähr;
Die Finken trauerten und schlugen nun nicht mehr.

*   *   *

Des Standes Gleichheit ist der Freundschaft stets zuwider.
Zwei Künstler, deren Kunst sich gar zu merklich gleicht,
Vertragen sich gewiß nicht leicht.
Die beste Gleichheit ist der Freundschaft eigne Frucht,
Denn jene, die schon da, ist die nicht, die sie sucht.

Der Tiger und die Ochsen

Das Reisen macht die Leute klüger.
In dieser Absicht nun verwechselte Prinz Tiger
Armenien, sein Vaterland,
Mit Deutschlands weltberühmten Triften.
Er machte sich gleich überall bekannt,
Um seiner Tapferkeit ein Denkmal hier zu stiften.
Sein Stand durft ihm hierin mit nichts behilflich sein;
Er machte wenig Staat; er reiste ganz allein,
Und gab sich nirgends zu erkennen.
Man hieß ihn nur den fremden Held.

Die unerfahrne deutsche Welt
Wußt ihn, dem Namen nach, noch anders nicht zu nennen.
Die Wölfe hatten hier den Schafen,
Durch Mord und Rauberei, viel Drangsal angetan;
Prinz Tiger kam dazu, er nahm sich ihrer an,
Und schwur, die Mörder abzustrafen.
Die streifende Partei erschien nach diesem wieder;
Die Schafe wollten fliehn; ihr Held, der sie vertrat,
Hielt sein Versprechen in der Tat,
Und riß im ersten Grimm den Rädelsführer nieder;
Die andern drehten um; der Tiger setzte nach,
Und ruhte eher nicht, von Eifer angestammt,
Bis er den Wölfen insgesamt,
Die mörderischen Hälse brach.
Die Schafe schrieben auch, nach beigelegtem Kriege,
Die Jahrzahl und den Tag von dem erfochtnen Siege
In ihrer Chronik zum Angedenken auf.

Der Held, ihr Herkules, kam ungefähr hierauf,
Bei seiner unbekannter Weise
Noch immer fortgesetzten Reise,
An einen ebnen Ort zu einer Herde Vieh.
Es waren meistens lauter Rinder,
Die schmausten hier ihr Gras. Prinz Tiger grüßte sie.
Sie dankten nicht einmal. Hört! rief der Überwinder,
Ihr habt gewiß die Höflichkeit,
Als ihr von Hause gingt, vergessen mitzunehmen;
Man sieht's wohl, daß ihr Ochsen seid,
Sonst würdet ihr euch selbst der eignen Grobheit schämen.

Die Ochsen fingen drauf zugleich zu brummen an;
Du bappe, sagten sie, bist bei uns unrecht dran,
Dein schönes Narrenkleid mit seinen vielen Flecken
Wird uns so leichte nicht erschrecken.
Du trefflicher Hanswurst! Komm, laß dich doch besehn!
Du bist der Mann danach, daß wir dir danken sollten;
Und wenn wir dir auch gleich die Gnad erzeigen wollten:
So würd es wenigstens so bald wohl nicht geschehn,
Hör, wenn du warten willst, vor Abend wird nichts draus.
Dem Tiger riß nunmehr Geduld und Großmut aus,
Er schäumte recht vor Zorn, und sprang, mit vollem Wüten,
Auf seine Gegner los, die er zu Boden riß,
Und sie die Grobheit ihrer Sitten
Mit ihrem Leben büßen ließ.

*   *   *

Ihr, die ihr oft nicht dankt, wenn euch ein Fremder grüßt,
Könnt eure Lektion hier nehmen!
Wenn ihr erfahret, wer er ist:
So müßt ihr euch im Herzen schämen,
Daß ihr, den Ochsen gleich, so schlecht zu leben wißt.

Die Gans und das Schaf

Ein Schaf und eine Gans vertrieben sich die Zeit
Durch allerhand freundschaftliche Gespräche.

Einst rühmete das Schaf sein wollenreiches Kleid,
Dem nichts an Zierlichkeit gebräche.
Schau, sprach es, nur einmal die weichen Locken an,
Die meinen ganzen Körper zieren!
Bin ich vor dir nicht zehnmal besser dran?
Ich darf zur Winterszeit nicht halb so sehr erfrieren:
Ach! Freundin! ich bedaure dich,
Daß du nicht Wolle hast, wie ich.

Dafür ist schon gesorgt, fiel unsre Gans hier ein,
Du scheinst mir mehr als ich beklagenswert zu sein;
Denn dir hat die Natur ein einzig Kleid verliehen,
Mir gab sie derer zwei. Betrachte mich nur wohl!
Erst hab ich meinen Rock von Federn anzuziehen;
Darunter trag ich noch ein wollen Kamisol.
Was meinst du? Hab ich nicht mehr Kleider noch, als du?

Wenn das ist, sprach das Schaf, so hast du nichts zu klagen;
Allein es sei erlaubt zu fragen,
Weswegen trägst du denn den Oberrock stets zu,
Daß man die Weste nicht dafür erblicken kann?
Steht dieses denn bei mir? fing unsre Gans drauf an,
Die ganze Schuld liegt an dem Schneider;
Denn wir bekommen ja von der Natur die Kleider,
Die jedem Tiere seine Tracht
So wie es ihr gefällt, bald so, bald anders macht!
Wie sie uns kleidet, muß man gehen.

Sie mag auch, sprach das Schaf, ihr Handwerk schlecht verstehen
Sie ließe dir wohl sonst, wärs auch nicht allezeit
Doch wenigstens an Fest- und Feiertagen,
Die freie Wahl, dein Oberkleid
So wie die Menschen tun, nicht immer zuzutragen:
Der zugenähte Rock, den man allein nur schaut,
Macht, daß wir deinen Staat nur halb zu sehn bekommen;
Wer Henker hätte dir die Weste zugetraut?
Und hätt ich es nicht selbst von dir itzund vernommen,
Ich wüßte nichts davon; wie wollt ich es auch wissen?
Die Federn fallen mir zwar deutlich ins Gesicht,
Die Wolle, die du hast, seh ich und niemand nicht:
Du wirst's den Leuten sagen müssen.
Dein wollen Unterkleid wird sonsten nicht bekannt.

Was tat die dumme Gans? Wo sie nun ging und stand,
Da rief sie überlaut stets: Wolle! Wolle! Wolle!
So daß der Ruf davon in Stadt und Land erscholle.
(Seit diesem schreien auch die Gänse alle so.)

Ein Hund ging ungefähr kurz drauf bei ihr vorbei,
Was, sprach er, heißt denn dein Geschrei?
Wenn du ja Wolle hast: So sag mir doch: Wo? Wo?
Ach! schrie die stolze Gans voll innerlicher Freude,
Hier unter meinem Oberkleide!
Gut! sprach der Hund, das muß ich sehn!
Er kam gleich auf sie zugelaufen,
Um ihr den Oberrock, die Federn, auszuraufen.
Sie ließ es herzlich gern geschehn,
So weh es ihr auch tat: Sie litt den Schmerz mit Lust,
So daß sie nicht einmal bei der Entblößung schrie.
Herr Pudel gab sich viele Müh,
Und rupfte sie recht kahl, besonders um die Brust.
Kaum sah er nun allhier was Wollen-ähnlichs stehen:
So sprach er: Du hast recht, du kannst nun immer gehen!

Sie tats, sie ging, sie schrie von neuem: Wolle! Wolle!
Und wies dabei zugleich auf ihren Unterleib,
In Meinung, daß man sie deswegen ehren solle.
Dies sah und hörte ein alt und schlaues Weib.
(Die Menschen hatten noch zeither
Die Federn und das Fleisch der Gänse nichts geachtet,
Und folglich keine noch, wie itzund abgeschlachtet.)
Frau Ilse haschte sie; sie fand sie fett und schwer;
Besonders fielen ihr die Federn in die Augen,
Auf die sich unsre Gans so viel zu Gute tat.
Das alte Mütterchen hielt gleich hierüber Rat,
Wozu etwan die Federn taugen,
Und was damit zu machen sei.
Gut! sprach sie, itzund fällt mirs bei;
Bleib Strohsack, wo du willst! ich will mich sanfter legen.
Sie schlachtete die Gans der weichen Federn wegen,
Und machte sich ein Bette draus.

*   *   *

Wer keine Federn hat, dem rupft man keine aus.
Ein Kluger wird nicht leicht mit seinen Schätzen prahlen;
Man muß den Rumpf davon oft teuer gnug bezahlen.

Der Bauer und die Erdschocken

Ein armer Bauersmann kam in die Stadt gelaufen;
Er hatte Eier zu verkaufen,
Und ging damit hausieren hin und her.
Es war gleich Essenszeit, als er von ungefähr
Vor eines Reichen Türe kam.
Er lief unangemeldt ins Zimmer.
Dergleichen Leuten fehlt es immer
An Ehrfurcht, Höflichkeit und Scham.
Hans war es so gewohnt, stets grade zu, zu gehn.
Er sah, wie Herr und Frau an einem Tische saßen,
Sie hatten gleich Erdschocken* vor sich stehn;
Er sah auch, daß sie davon aßen.
Der Kerl verwunderte sich über dieses Essen,
Von dem er noch zur Zeit sein Tage nichts gehört;
Er stund entzückt, vernarrt, betört,
Als hält er seiner selbst vergessen.
Er wußte nicht genug die Augen aufzusperrn,
Bald sah er auf die Frau, bald sah er auf den Herrn.
Was bringt ihr? fragte man. Hans sprach: Sechs Mandeln Eier;
Zwölf Groschen geb' ich sie, warum? ich brauche Geld,
Sie sind, so wie sie sind, wahrhaftig nicht zu teuer.

Die Frau ward mit ihm eins. Der Kauf war festgestellt,
Und Hans bekam so viel, als er begehrte,
Der nunmehr wiederum den Weg nach Hause kehrte.
Allhier erzählt er seinem Weibe,
Was man für Übermut bei reichen Leuten treibe;
Ach! sprach er, liebes Weib! wir haben hohe Zeit,
Wofern wir uns zur Abfahrt schicken wollen;
Unmöglich ist der jüngste Tag mehr weit,
Es geht ja in der Stadt so zucht- und gottlos her;
Die Reichen wissen schon vor Wollust fast nicht mehr,
Was Henker sie noch fressen sollen;
Das werd ich nimmermehr vergessen!
Das ist zu Sodom nicht geschehn;
Ich glaubt's nicht, hätt ich es nicht heute selbst gesehn,
Daß Menschen Distelköpfe fressen.

*   *   *

Dergleichen Eiferer sind überall gemein,
Man schimpft des Nächsten Tun zu seiner eignen Schande.
Kann so ein blinder Lärm auch wohl erbaulich sein?
Wer eifern will, der eifre mit Verstande!

*
Erdschocken = altes Wort für Topinambur. Sie ist eine Nutzpflanze,
deren Wurzelknolle primär für die Ernährung genutzt wird.

Das Kind und der Schatten

Die Kinder gingen einst den Bauern in die Rüben;
Sie machten Beute gnug, eins hier, das andre dort;
So bald die Taschen voll, so liefen sie mit fort.
Ein Kind war noch allein und hinten nach geblieben;
Das stund noch stets gebückt; es sah nicht einmal auf,
Und gab für Emsigkeit so gar nicht Achtung drauf,
Als die Kameraden weiter gingen.
Es konnte fast nichts mehr in seinen Schubsack bringen;
Der war für seinen Geiz noch immer viel zu klein;
Er schien zwar Rüben gnug in seinen Raum zu fassen,
Und dennoch schien das Kind nicht mit vergnügt zu sein;
Es hätte lieber gar nicht eine stehen lassen.
Inzwischen war der Tag dem Untergange nah;
Indem nun unser Kind die Flucht der andern sah:
So wollt es endlich auch sich länger nicht verweilen,
Und mit der Beute heim zu seiner Mutter eilen.

Es ward ihm Angst dabei. Man weis, wie Kinder sein,
Sie fürchten sich, und sind nicht gern allein.
Die Sorge kam dazu, daß nicht die Bauern kämen,
Und ihm das Ihre wieder nähmen.
Der kleine Rübendieb, den Schrecken und Gefahr
Mehr als die Last beschweret hatten,
Wurd einen schwarzen Mann (das war sein eigner Schatten,
Der immer mit ihm lief) zur rechten Hand gewahr.
Der Knabe glaubte nun, es sei um ihn geschehen,
Er würde nimmermehr die Mutter wiedersehen.
Er sprang aus Furcht nun noch einmal so sehr:
Allein der schwarze Mann sprang immer neben her,
Als wenn er ihn erhaschen wollte.
Er fing erbärmlich an zu schrein.
Daß ihm der finstre Kerl vom Leibe bleiben sollte.
Und bat ihn noch dazu mit Tränen um das Leben;
Er sollt ihm dasmal nur verzeihn,
Er wollt ihm auch die Rüben wieder geben.
Der Knabe war auch in der Tat so dumm,
Daß er so gleich die ganze Beute
Aus seiner Tasche zog, und in die Furchen streute;
Er dreht auch noch dazu den leeren Schubsack um,
Und sprach: Da siehst du nun, ich habe keine mehr!
Drauf sprang er hurtig fort, und kam zu allem Glücke
Noch endlich in das Dorf mit heiler Haut zurücke;
Er dankt es Gott wer weis wie sehr,
Daß er dem schwarzen Kerl noch so entkommen wär,
Den hier die Wohnungen, durch ihren größren Schatten,
Verhindert und zernichtet hatten.

*   *   *

Wer nicht Gespenster glaubt, der glaubt doch ein Gewissen,
Dem alle Furien den Vorzug lassen müssen;
Sie wüten nur des Nachts und scheuen Tag und Licht
Danach fragt das Gewissen nicht,
Das pflegt uns Tag und Nacht zu scheuchen,
Wo ist ein Kobold seinesgleichen?

Das Leichencarmen und das Buhlerlied

Ein Leichencarmen* war und zwar von ungefähr
In eine Heringsbude kommen,
Wo schon von langen Zeiten her
Manch ehrlich Manuskript den Platz vorausgenommen.
Das Seitenbrette war die Hälfte schon belegt
Mit vollgeschriebnen Schreibebüchern;
Man braucht sie hier zu Leichentüchern,
Wenn man die Heringe von da zu Grabe trägt.

Das Leichencarmen kam bei ein Papier zu liegen,
Auf dem ein Buhlerliedchen stand.
Kerl! sprach es, zugerückt! der Platz zur rechten Hand
Gehört für mich; du kannst dich sonst wohin verfügen.
Nur sachte! schrie das Buhlerlied,
Das seinen Nachbar grob und ungeschliffen nannte;
Wir sind ja, fuhr es fort, Professionsverwandte,
Dein Vater war ein Reim- und Lügenschmied,
Und meiner war es auch. Sind deine falschen Tränen,
Dein lächerlicher Schmerz und dein erzwungnes Ach!
Der Wahrheit ähnlicher als mein verliebtes Sehnen?
Wenn das erweislich ist: So geb ich gerne nach.

Wie? sprach der Trauerreim. Ich handelte mit Lügen?
Ja! ja! O nimmermehr. Das kann unmöglich sein;
Wer lügt, der stiehlt auch insgemein:
Wem stehl ich was? Wen such ich zu betrügen?
Du Dieb, du Lügner selbst! Ich nehm den Schimpf nicht an,
Rief hier das Buhlerlied; dein barbezahltes Klagen
Wird bei der Wahrheit sich so leicht kein Lob erjagen;
Versammle Deine Kunst! laß deinen Trauerschwan
Mit den gesalznen Wellen spielen!
Ersäufe durch den Trost den bangen Eigensinn!
Man merkt es deutlich gnug, wohin
Die teuren Tränengüsse zielen.

Schweig! sprach der Trauerheld, du darfst dir über mich
Das Maul noch lange nicht so unerlaubt zerschlagen;
Es wär von dir gar viel zu sagen,
Die ganze Welt beschwert sich über dich.
Wie sündlich ärgerst du die Unschuld zarter Tugend!
Denn deines Ausdrucks Schlüpfrigkeit
Lockt, reizt, erhitzt, verführt die unerfahrne Jugend,
So, daß sie sich der frechen Liebe weiht.

Ach! sprach das Buhlerlied, mein Freund! besinne dich!
Gibst du den Leuten nicht mehr Ärgernis als ich,
Wenn dein erkauftes Lob den einen Engel nennet,
Den manchmal Stadt und Land als einen Teufel kennet?
Was nützt die Seligkeit, die auf dem Zettel steht?
Dein prächtig aufgeputzter Himmel?
Wenn Mops zwar aus dem Weltgetümmel,
Doch auch zugleich den Weg zu der Verdammung geht,
An jenen dunklen Ort der Qual;
Was hilft ihm da dein schöner Sternensaal?

Wer hört doch wohl nicht gern die Seinen selig preisen?
Sprach hier der Trauervers. So? schrie das Buhlerlied,
Heißt das die Leute nicht mit leerem Winde speisen?
Aus dem man noch dazu die schöne Folgrung zieht:
Kann der und der, nach so viel Schand und Sünden,
Den Himmel für sich offen finden:
So leb ich, wie ich will; was werd ich mich viel grämen?
Gott wird's mit mir allein so gar genau nicht nehmen.
Mein schöner Herr! was meinst du nu?
Heißt das nicht Ärgernis gegeben?
Du Schlange! bist nicht wert, noch einen Tag zu leben.

Sie zankten sich noch immerzu.
Zu allem Glück kam eine Magd gelaufen,
Sich einen Hering einzukaufen;
Sie las sich einen aus. Wie teuer, sprach sie, der?
Drei Gröschel. Hier ist Geld. Schon gut. Gebt ihn nur her.
Das Heringsweib zerriß hier ohn Erbarmen
Das in sich selbst verliebte Leichencarmen,
Und wickelte den schmutz'gen Hering drein.
Inzwischen sah die Magd das Buhlerliedchen liegen;
Sie nahm es in die Hand; sie las es mit Vergnügen,
Und weil es ihr gefiel: So steckte sie es ein,
Und sang es manchen Tag wohl hundertmal und drüber.

*   *   *

Ihr Dichter, spart den frommen Fleiß,
Den der gemeine Mann niemals zu schätzen weis;
Ein frecher Ausdruck ist ihm lieber,
Als alles, was die Kunst des Beifalls würdig schätzt.
Wer für den Pöbel schreibt, der muß ganz anders singen.
Was ein gemeines Ohr ergötzt.
Muß, leider! frei und frech und zotenhaftig klingen.

*
Leichencarmen = Leichengedicht das bei einer Beerdigung vorgetragen wird.
Kann auch in Form eines Liedes vorgetragen werden.


Die Kinder und die Birke

Die Kinder kamen einst mit Haufen
Im Frühjahr, wenn der Saft erst in die Bäume tritt,
Auf eine Birke zugelaufen;
Sie brachten große Töpfe mit,
Den abgezapften Saft darinnen aufzufassen.
Was bringt ihr? sprach der Baum, ich glaub, ihr kommt zu mir.
Getroffen! sagten sie. Mein Freund! wir wollen dir,
Weil du zu blutreich bist, einmal zur Ader lassen.
So! so! versetzte sie. Ich will's euch zugestehn;
Doch alle müßt ihr nicht in meine Rinde graben,
Das werd ich mir von euch wohl ausgebeten haben,
Sonst möchte mir dadurch zu viel Geblüt entgehn;
Laßt euch die andern Birken dort,
Auch was von ihrem Safte geben!
Zerteilet euch, und geht die Hälfte fort;
Ihr bringt mich sonsten gar ums Leben.

Nur nicht viel Redens! rief die Schar,
Du bist ja dicke gnug; was hat's denn für Gefahr?
Wer reich ist, muß nicht geizig sein.
Die Kinder schüttelten die eigensinngen Köpfe;
Sie bohrten rings herum bis sieben Löcher ein,
Und steckten so viel Spulen drein,
Und leiteten dadurch den Saft in ihre Töpfe.
Weil dieser nun sehr langsam floß,
Indem er sich nur tropfenweis ergoß:
Bewog dies den gesamten Haufen,
Inmittelst wieder heim zu laufen.
Zwölf Stunden war kein Kind zu hören und zu sehn.
Vergebens schrie der Baum: Mir wird zu viel geschehn!
Kommt, stopft die Öffnung zu, damit ich nicht verderbe!
Die Kräfte nehmen ab, mir wird schon schlimm, ich sterbe.
Die Kinder hörten nichts, und als sie endlich noch
Nach langer Zeit zurücke kamen,
Und die gefüllten Töpfe nahmen;
Verstopften sie nicht erst das eingebohrte Loch;
Ein jeder lief mit seiner Beute fort.
Die Birke war zu matt, so daß sie nicht ein Wort
Dawider aufzubringen wußte;
Sie hatte keine Kräfte mehr,
Denn sie verblutete sich nach und nach so sehr,
So daß sie gar verdorren mußte.

*   *   *

Wer für vermögend ausgeschrien,
Zu dem pflegt jedermann in seiner Not zu fliehn;
Ein Bettler zupft ihn hier, der andre zerrt ihn dort!
Das geht nun immerzu so fort,
Bis daß sein Quell erschöpft und nichts mehr zu erheben,
Als wär man darum reich, um alles wegzugeben.

Die Maus in der Falle

Es fing sich eine junge Maus
In einer aufgestellten Falle.
Der Ausgang war versperrt, sie konnte nicht heraus,
Drum rief sie mit erhabnem Schalle:
Ihr Schwestern, kommt doch her! Seht, wie ihr mich befreit!
Ich will es wieder tun, wenn ihrs bedürftig seid.

Drauf kam ein ganzer Trupp von Mäusen,
Zu sehn, ob ihr zu helfen wär.
Sie bissen in den Draht; allein er war von Eisen,
Und zu zerbeißen viel zu schwer;
Sie konnten nichts mehr tun, als daß sie sie beklagten,
Und ihr das nötigste von ihrem Mitleid sagten.
Insonderheit ging ihrer Großmama
Der Enkelin Verderben nah.
Ach! sprach sie, könnt ich dich aus deinen Band und Ketten
Mit meinem eignen Leben retten:
Wie gerne wollt ichs tun! allein, du armes Kind!
Der Himmel steh dir bei! Ich seh, du bist verloren;
Ich weis schon, wie die Menschen sind,
Sie haben uns den Untergang geschworen;
Fahr wohl! zu guter Nacht! es ist um dich geschehn,
Ich werde dich, du mich, wohl schwerlich wiedersehn.
Die Alte konnte hier aus Wehmut nichts mehr sprechen,
Sie schlich nun selbst mehr tot als lebend fort.

Die Tochter sah ihr nach; das Herze wollt ihr brechen.
Hierauf nahm eine Maus das Wort,
Die in der Schulberedsamkeit
Was ehrliches getan, und schon seit achtzehn Wochen,
Den Senecam durchkaut, zernagt, durchwühlt, durchkrochen.
Mein! sprach sie, seht doch nur, was ihr für Memmen seid!
Welch blindes Mitleid heißt euch weinen?
Ist dieses Leben denn so gar vortrefflich gut,
Daß man so drüber hält, so ängstlich danach tut?
Dem Weisen kann der Tod niemals erschrecklich scheinen;
Warum? er führet uns ins Land der stillen Ruh
Geehrte Nachbarin: Was sagen sie dazu?
Was unvermeidlich ist, das trägt man mit Geduld.
Sie zahlen der Natur die längstgemachte Schuld;
Denn diese leiht uns nur das Leben.
Wenn sie derselben nun das Ihre wiedergeben:
Verlieren sie denn was dabei?
Und wissen sie denn nicht, daß alles sterblich sei?
Wer bald sein Ziel erreicht, ist der nicht glücklich gnug?
Drum, Freundin! nur getrost! die alle sind nicht klug,
Die einen frühen Tod nicht für was Gutes achten;
Das Grab ist ja das Ziel, nach dem wir alle trachten.

Ach! sprach die arme Maus, der Trost ist schon gar gut:
Nur Schade! daß er nicht bei mir die Wirkung tut.
Ist Sterben so ein Glück: So tritt an meine Statt,
Ich will es dir gar gern erlauben.
Wer keinen Trost vonnöten hat,
Wird alles, was du sagst, mit leichter Mühe glauben.

*   *   *

Der Mensch ist zwar ein Mensch, und folglich keine Maus;
Doch sein gegebner Trost sieht oft nichts besser aus.
Man sagt dem Sterbenden, daß alle sterben müssen,
Daß Jahre, Tag und Stunden fliehn;
Gar recht! Allein mein Freund! ist das ein Trost für ihn?
O nein! denn die Natur wünscht davon nichts zu wissen.

Das Glück und die Weisheit

Das Glück, welches stets vor seinen Freunden flieht,
Und wenn man nach ihm rennt, sich mit Gewalt bemüht,
Den Häschern flüchtig zu entgehen,
Konnt einst vor Müdigkeit kaum auf den Füßen stehen.
Es wünschte sich Gelegenheit,
Zum wenigsten auf eine kurze Zeit
Gemächlich auszuruhn und gleichsam zu verschnaufen.
Das Leben, sprach es, fällt mir schwer,
Die Menschen plagen mich wahrhaftig gar zu sehr,
Man sieht sie stets nach mir, wie nach dem Ziele, laufen;
So gar auch die, die mich oft nicht einmal recht kennen,
Sind desto hitziger mir flüchtig nachzurennen.
Ein jeder glaubt, er werde mich
Noch endlich wissen einzuholen;
Die mehrsten kommen blind und übereilen sich.
Das Schicksal hat mir anbefohlen,
Weil ich den mehrsten doch mehr schäd- als nützlich sei,
Die allerwenigsten des Wunsches zu gewähren.
Doch davon will der Mensch nichts hören,
Und wenn ich noch so heftig schrei:
Was wollt ihr? laßt mich gehn! Ihr werdet euch betrügen,
Ich kann und darf euch nicht vergnügen:
So hilft dies alles nichts; des Laufens ist kein Ende.

Die Weisheit kam hier ungefähr dazu,
Sie wollte sehn, wie sich das Glück noch befände.
Nu, sprach sie, guten Tag! Wie geht's? Was machst denn du?
Du siehst sehr übel aus, du mußt recht müde sein.
Ich glaub es selber mit, versetzte das Glück;
Wo aber rührt das her? Nicht wahr? In diesem Stücke
Beruht die ganze Schuld und zwar auf dir allein.
Wenn du hübsch, für dein Müßiggehn,
Dich mehr bemühtest, die Menschen klug zu machen:
So würd es auch um mich und meine Sachen
Geruhiger und besser stehn.

Wie? sprach die Weisheit drauf, liegt denn die Schuld an mir?
Du liebes Kind! Was kann denn ich dafür,
Da mich die mehrsten Menschen fliehen?
Ich mag mich noch so sehr bemühen,
Die Leute von dir abzubringen:
Was richt ich damit aus? Ich kann es nicht erzwingen.
Sie laufen von mir weg, und dir hingegen zu.
Wer weis? brauch ich die Ruh vielleicht nicht mehr als du;
Sie scheint mir wenigstens so wohl als dir zu fehlen.
Doch weist du was? Es fällt mir etwas ein;
Die Schneider sitzen stets: laß uns ihr Handwerk wählen!
Der Meister, das bist du; ich will Geselle sein;
Da wirst du selber sehn, wie mein gegebner Rat
Nichts bei den Menschen gilt, und daß ich in der Tat
Nicht die geringste Schuld an deiner Unruh trage.

Es sei so! sprach das Glück; allein nun ist die Frage?
Wo nehmen wir die Kunden her?
O sprach die Weisheit drauf, scheint dir denn das so schwer?
Du darfst dein Bild nur vor das Fenster hängen:
Die Kunden werden sich alsdann schon um uns drängen.

Gesagt und auch geschehn. Das neue Schneiderschild
Zog aller Augen an, bloß weil des Glückes Bild
In einem lang und prächtigen Gewand,
Nebst einer Schere, darauf stand.
Es fand sich Arbeit gnug. Der Meister, als das Glücke,
Schnitt lauter übrigweit- und lange Röcke zu.
Wenn der Gesell gleich sprach, der Leib sei gar zu dicke:
So rief der Meister: Schweig! ich weis schon, was ich tu;
Man muß hier nicht aufs Maß, noch auf die Notdurft sehn,
Den Augen muß ihr Recht geschehn,
In dieser Regel liegt die ganze Kunst begraben.

Der Schneider kam in Ruf, sein Schnitt gefiel der Welt,
Die allen Überfluß für schön und prächtig hält.
Wer klein war, wünschte sich ein großes Kleid zu haben.
Es hieß: Je weiter, desto lieber.
Die Weisheit, der Gesell, der die Geduld verlor,
Beschwerte sich zwar stets, doch stets umsonst, hierüber;
Hört! zischt er oft den Leuten in das Ohr,
Warum verlangt ihr von dem Schneider
So unbekehrlich- groß so schlaudrigt- lange Kleider?
Sie sind zu unbequem, sie fallen euch zur Last;
Ihr wollt gewiß das Pflaster glätter reiben,
Ihr könnt zum wenigsten gar leicht mit hängen bleiben.
Ein Kleid, das recht am Leibe paßt,
Ist euch viel dienlicher. Die Leute sahen zwar,
Daß des Gesellens Rat gar gut und nützlich war:
Allein sie kehrten sich nicht dran,
Und nahmen keine Warnung an.
Die ungeheure Tracht war nicht mehr abzubringen.
Die sonderlich, die auf die Heirat gingen,
Bestellten sich, bei unserm Schneider,
Unmäßig-weit-und übrig-lange Kleider.

Das Glück schnitt fleißig zu, nach der beliebten Art;
Jedoch weil der Gesell nicht an die Arbeit wollte,
Und drauf bestehen blieb, daß man ihm folgen sollte:
So kam es auch daher, daß wenig fertig ward,
Wodurch der Meister denn nicht wenig Schaden litte.
Zuletzt bestellte sich ein Wandersmann ein Kleid,
Nach dem berühmten Modeschnitte.
Mein Freund, sprach der Gesell, du bist nicht recht gescheut,
Wer reisen soll, der muß ganz kurze Kleider tragen:
Ein gar zu langer Rock ist dir verhinderlich,
Die Falten werden dich nur an die Beine schlagen.
Wo dir zu raten ist; verlaß dich nur auf mich.
Ich werde dir ein Kleid zu machen wissen,
So wie es sich für dich am allerbesten schickt;
Es muß dir wenigstens recht an dem Leibe schließen,
Doch ohne daß es dich etwan beschwerlich drückt;
Du brauchst ein leichtes Kleid; laß Mode, Mode sein!
Dem Boten ging das Ding sehr schwer und sauer ein,
Er wollt erst lange nicht, doch fand er sich noch drein.

Die Weisheit konnte nun das Glück überführen,
Daß sie nicht Schuld an seiner Unruh sei.
Denn, sprach sie, wie du siehst, wer stellt mir Glauben bei?
Die Menschen lassen sich nicht leicht von mir regieren;
Ich sage, was ich will: So find ich schlecht Gehör;
Leb wohl! beklage dich nun über mich nicht mehr!
Dies war der Weisheit Abschiedswort;
Sie wanderte nun mit dem Boten fort,
Der unterwegs sein Kleid nicht gnug zu loben wußte.
Es war bequem und leicht, er hatt es nun recht lieb.
Wenn mancher neben ihm sich oft verweilen mußte,
Und immer hier und da an Sträuchen hängen blieb;
So lief er hurtig fort. Bei seinem schlechten Kleide
Hat er den Vorteil noch, er war befreit vom Neide,
Dem Ansehn, Rang und Pracht stets unterworfen sind.
Das Schicksal brach nachdem, durch einen starken Wind,
Das ausgehenkte Schild in Stücke;
Es zwang dadurch das ausgeruhte Glücke,
Das Schneiderhandwerk aufzugeben,
Und wieder wie vorhin zu leben.

*   *   *

Der Schneider ist zwar fort; doch gibts noch immer Säcke;
Zwölf Ellen weite Fischbeinröcke,
Und Andriennen tausendsatt,
Die nicht einmal der Meister zugeschnitten,
Geschweige der Gesell jemals gebilligt hat,
Weil man das Maß dabei zu deutlich überschritten.
Ein jeder will doch gern, zum wenigsten zum Schein,
Der stolzen Aussicht nach, für andern glücklich sein.
Drum sucht man durch den Staat einander zu betrügen.
Indem der Überfluß die halbe Welt entzückt.
Es will sich ja kein Mensch an dem begnügen,
Was mittelmäßig ist, und sich für ihn recht schickt.