Fabelverzeichnis
zurück

weiter
zu Band II.
 

Buch 4
 
Die Beleidigungen und die Wohltaten
Die zwei Hasen
Der kleine Fluß und der große Fluß
Der blaue Hänfling
Der Bote und die Reispappe
Der Hund und die Kühe
Der Krieg und der Friede
Der Karpfen und die Barbe
Das Glück
Die zwei Freunde
Das spanische Rohr und der...
Der Sperber
Die Hoffnung und die Furcht
Die Kinder und die Pilze
Der Hund
Die Bücher
Der Zaun

 
Der Igel
Der Schemel und die Stühle
Die weiße Maus
Der Degen und der Bratspieß
Der Säufer
Das Windspiel und der Dachshund
Die Spinne und die Bienen
Die Tugenden und das Laster

 

Die Beleidigungen und die Wohltaten

Die Insel der Vergessenheit
War ein Siberien für die Beleidigungen;
Den diese wurden stets in der vergangnen Zeit,
Durch die Moral von Haus und Hof verdrungen,
Und in dies wüst- und wilde Land
Verjagt, verwiesen und verbannt.
Kaum waren sie hier abgegeben:
So lernten sie geruhig sein
Und friedlich und versöhnlich leben.
Die mehrsten schliefen gleich nach ihrer Ankunft ein;
Den andern, die noch munter blieben,
Ward ein Gesetze vorgeschrieben,
An keine Rache zu gedenken,
Und den, der sie gekränkt, nicht wiederum zu kränken.
Ihr Leben währte kaum ein volles Vierteljahr,
So daß man, wenn auch gleich das Sterben leidlich war,
Zweihundert Leichen stets des Tags zu Grabe trug.
Und dennoch schien man kaum den Abgang zu vermissen.
Es gab Beleidigungen gnug.
Die immer hier aufs neu sich wohnhaft niederließen.

Drei Meilen ungefähr und noch so etwas drüber
Lag dieser Insel gegenüber
Die Insel der Unsterblichkeit.
Hier wohnten die Geschenke und Gaben,
Die die Barmherzigkeit zu ihrer Mutter haben.
Sie hatten hier sehr strenge Zeit,
Und keinen Schlaf und keine Ruh;
Beständig mußten sie für ihre Gönner beten.
War ihr Geburtstag eingetreten:
So wünschten sie denselben Glück dazu.
Denn die Erkenntlichkeit, die hier durchaus regierte,
Und über ihren Fleiß so Buch als Rechnung führte,
Schrieb keine Wohltat eh in ihr Register ein;
Sie mußte wenigstens in Worten dankbar sein.
Kein Unterschleif konnt auch so leicht geschehn;
Kam eine Wohltat an: So wurde sie besehn,
Und auch so gleich befragt! Wer ihre Eltern wären?
Hierüber mußte sie sich sonderlich erklären.
War sie von Eigennutz und Ruhmbegier erzwungen:
So ward sie den Beleidigungen
Ohn allen Anstand zugeschickt.
Dergleichen Ehrlichkeit wird itzt zwar noch gepriesen,
Doch ihrem Wesen nach beständig unterdrückt.

Bei jenen gegenteils ward niemand abgewiesen.
Es stellten sich manchmal Beleidigungen ein,
Die in der Tat so gut als eine Wohltat waren.
Ein hartes Wort, ein Schlag, so heilsam beide sein,
Weil sie dem Henker oft die künft'ge Müh ersparen.,
Verirrten sich hierher in das Vergessungsreich.
Die Kinder achteten die wohlgemeinten Strafen
Stets den Beleidigungen gleich,
Und schickten sie hierher auf ewig einzuschlafen.

Hieraus entspann sich nun ein ganz besondrer Streit.
Es zankten sich die beiden Nationen,
Bei wem die Strafen sollten wohnen.
Die Insel der Unsterblichkeit,
Die mit Gewalt ihr Recht behaupten wollte,
Schickt ein Stipendium an ihre Nachbarin,
Daß es den Unterschleif zurücke fordern sollte.
Der Bote kam zwar glücklich hin;
Doch es gefiel ihm da; er legte sich hier nieder,
Schlief endlich drüber ein, und starb und kam nicht wieder.

Hieraus entstund nun der Verdacht,
Als hätten die Beleidigungen
Dem Boten mit Gewalt den Schlaftrunk eingezwungen,
Und ihn vielleicht wohl gar aus Bosheit umgebracht.
Dadurch ließ jedermann sich gleich zum Zorn bewegen;
Man schwur der Nation nunmehr den Untergang.
Was eine Wohltat war, die griff sogleich zum Degen
Es lagen zwei Legata krank;
Die ließ man hier allein zurück.
Die andern insgesamt begaben sich in Krieg,
Und ruderten auf mehr, als zwanzig Schiffen,
Der ehrvergeßnen Insel zu.

Man trat so gleich ans Land; der Feind ward angegriffen.
Er hielt zu allem Glück noch seine Mittagsruh,
Man überstieg den Wall, man sah die Frevler schon,
Vom Schrecken schnell erwacht, den Rücken zaghaft wenden;
Allein der Schlaf, der Festung Schutzpatron,
Schlug den Belagerern die Schwerter aus den Händen;
Da lagen sie gestreckt; die mehrsten schliefen ein;
Die andern, die zwar noch, doch als im Traume, wachten,
Ergaben sich und willigten darein,
Daß die Belagerten mit ihnen Friede machten,
Und zwar durch folgenden Vergleich:
Gebt ihr uns euer Land, ihr mögt das unsre nehmen;
Vergessenheit und Schlaf schickt sich schon gut für euch;
Hier könnt ihr euch, als große Herrn,
Wenns euch beliebt, zur Ruh bequemen;
Ihr seid zur Arbeit faul und schlaft ohndem gar gern;
Mit uns ist's umgekehrt, wir gehn gezwungen müßigt,
Und sind der Lebensart hier längst schon überdrüssig,
Mit einem Wort, ihr gebt uns eure Insel ein,
Die unsrige mag künftig euer sein.

Man bracht auch kurz hierauf den Friedensplan zum Stande.
Die Kinder der Barmherzigkeit
Bewohnen nun seitdem, zu ihrer größten Schande,
Die Insel der Vergessenheit.
Hingegen die Beleidigungen,
Nachdem sie den Vergleich erzwungen,
Sind nun auf Kind und Kindeskinder erblich,
Und nicht mehr, wie zuvor, vergeßlich und sterblich.

Die zwei Hasen

Zwei Hasen hielten einst zusammen ein Gespräche,
Von was denn? Von der Tapferkeit:
Hierüber kamen sie in Streit.
Der eine stund es zu, daß ihm der Mut gebräche,
Spräch ich, ich wär beherzt: So war es doch nur Wind.
So lange Hasen, Hasen sind:
So lange bleibt uns auch die Schüchternheit zu eigen;
Wir sind von der Natur nun schon dazu versehn,
Daß wir den Feinden stets den Rücken schimpflich drehn;
Es darf sich mir ein Hund auch nur von weiten zeigen:
So hör und seh ich nichts, so bin ich außer mir,
Und stelle mir den Tod schon unvermeidlich für;
Da lauf ich, was ich kann, und suche mich zu retten.

Du denkst vielleicht, rief ihm der andre zu,
Weil du so furchtsam bist, ein jeder sei, wie du;
Als wenn wir unter uns nicht auch Exempel hätten,
Daß Hasen sich beherzt gewehrt.
Und, Trotz der ganzen Hundewelt!
Die größten Helden vorgestellt,
Die ihren Gegnern nie den Rücken zugekehrt.
Das wüßt ich eben nicht, hub jener wieder an,
Daß jemand unter uns sich so hervorgetan.

Haha! sprach dieser drauf. Was willst du denn viel sagen?
Getraut ich mir doch selbst, den Sieg davon zu tragen,
Wenn gleich zwei Hunde vor mir stünden;
Ich würde mich gewiß nicht lassen feige finden,
Ich wiche keinem keinen Schritt.
Ich glaub es zu gefallen mit,
Rief ihm der andre zu; doch wenns zur Probe käme:
So würdest du vielleicht der erste sein,
Der sonder Abschied nähme.
Was? fuhr der wieder auf. Ich? weichen? Nein! ach! nein!
Den Schimpf getraut ich mir nicht leicht zu überleben.
Es koste, was es will, ich will nach Ehre streben;
Und geh ich drüber ein, so sterb ich als ein Held;
Der Nachruhm ist doch wohl was schönes in der Welt.

Ein Fuchs lag ungefähr unweit auf einem Rasen,
Der das Gespräch der Herren Hasen
Ganz unvermerkt mit angehört;
Wie? sprach er, hat sich denn hier die Natur verkehrt?
Sonst war die Tapferkeit von diesem Volk entfernt:
Itzt scheint sie, wo es wahr, hier wirklich anzutreffen.
Er, als ein schlauer Kerl, den Angst und Not gelernt,
Den Hunden glücklich nachzuäffen.
Fing gleich zu bellen an, so daß, wer ihn nicht sah,
Der hätte Seel und Leib verschworen,
Es wären wirklich Hunde da.
Der Held mit seinen langen Ohren,
Besann für Schrecken sich nicht auf die Tapferkeit,
In der er kurz zuvor sein höchstes Gut gesucht,
Und nahm, so wie sein Freund, die Flucht
Aus angeborner Schüchternheit.

*   *   *

Die Probe macht den Wert von allen Dingen klar.
Die Leute, die sich selbst vor andern glücklich preisen,
Sind mehrenteils unglücklich in Beweisen.
Mops spricht, er sei gelehrt. Es fragt sich: Ist's auch wahr?

Der kleine Fluß und der große Fluß

Es hatte lange Zeit ein schnell doch seichter Fluß
Fast unerträglichen Verdruß
Von einem großen Stein erlitten.
Der Kerl lag recht im Wasser in der Mitten
Und tat dem Strome Widerstand;
Der diesen Trotz auch übel gnug empfand,
Und sich viel Mühe gab, den Starrkopf wegzubringen.
Die Sache ließ sich nicht erzwingen;
Es richtete der Fluß mit seiner Wut nichts aus.
Wenn seine Wellen gleich beherzt zu Sturme liefen;
So machte sich der Stein soviel als nichts daraus;
Er fragte sie wohl noch: Ob sie vielleicht schliefen?
Denn, sprach er, wo ihr wachend seid,
Und doch den Vorsatz habt, euch hier an mich zu reiben:
So seid ihr wohl nicht recht gescheut;
Euch laß ich mich wahrhaftig nicht vertreiben.
Macht, was ihr wollt; ich weiche keinen Schritt;
Ihr kamt und brachtet denn die halbe Oder mit.

Der übel angelaufne Fluß
War allemal zu schwach, auch nur den Stein zu rühren;
Geschweige denn gewaltsam fortzuführen.
Er schäumte recht vor Eifer und Verdruß,
Daß er nicht fähig war, sich mit Gewalt zu rächen.
Denn bot er gleich die stärksten Wellen auf:
So mußten sie doch biegen oder brechen,
Und also folgte nichts als Schimpf und Schaden drauf.
Die Lust zur Rache ward dadurch niemals geschwächt;
Sie fing stets stärker an zu glimmen.
Der Fluß beorderte nach diesem einen Hecht,
Er sollte bis zur Oder schwimmen,
Und sie in seiner Not um Hülf und Beistand bitten;
Sie dürft ihm, wie er sprach, den einen Arm nur leihn;
So wollt er sich schon seiner Last entschütten,
Und seiner Gegenpart gewiß gewachsen sein.
Der Hecht kam glücklich an, er sagte, was er wollte,
Und daß man seinem Herrn zu Hülfe kommen sollte.
Die Oder schlug es auch nicht ab;
Sie kam auch gleich und half den Landsmann unterstützen,
Dem sie den zwölften Teil von ihrem Wasser gab,
Jedoch mehr sich als ihm zu nützen.

Als der Auriliarstrom kam,
Der auch sogleich Besitz von beiden Ufern nahm:
So sah sich unser Fluß in seinem Laufe hemmen;
Er mußte mit Gewalt sein Wasser rückwärts dämmen.
Der fließende Succurs agierte ganz allein,
Und zwang den ärgerlichen Stein,
Der überwältigt war, sein Lager zu verändern.
Er überschlug sich nun den schnellen Strom hinab,
Drauf fiel er in ein Loch, als sein bestimmtes Grab;
Die Wellen mußten ihn hier Augenblicks versändern,
So daß man ihn seitdem nicht mehr zu sehn bekommen.

Der rachbegierge Fluß, der dieses wahrgenommen,
Tat sich in seinem Sinn schon viel zu gute drauf,
Und hatte seine Freude drüber;
Allein sie war sehr kurz, sie hörte zeitig auf.
Acht Tage waren schon vorüber;
Der fremde Strom, statt wieder heim zu gehn,
Schien auf der Meinung zu bestehn,
Daß er von nun an hier beständig bleiben wollte.
Der Grundherr schickte seinen Hecht
Zur Oder wieder ab, und bat um Schutz und Recht,
Und daß sie ihren Strom zurück berufen sollte.
Die Oder schlug es ab; geschehen sei geschehn;
Es möchte nur der Fluß nunmehro selber sehn,
Wie er sein Recht behaupten könnte,
Gnug! daß man ihm hierin die freie Hand vergönnte.
Was war zu tun? der Fluß war in dem Stande nicht,
Sein Ufer wiederum gewaltsam einzunehmen.
Wem nun die Möglichkeit den Vorsatz widerspricht:
Der muß sich zur Geduld bequemen;
Denn weiter kommt ohnedem nichts mehr heraus.
Der arme Fluß trat seitwärts aus,
Der einen neuen Weg sich mühsam suchen mußte,
Und nunmehr aus Erfahrung wußte:

Die Hülfe eines stärkern Freundes
Sei einem schädlicher, als selbst der Verdruß,
Den man zuweilen leiden muß,
Von Seiten eines gleichen Feindes.

Der blaue Hänfling

Ein Mann färbt einen Hänfling blau.
Der Vogel tat nunmehr weit stolzer, als ein Pfau,
Er wußte sich nicht gnug zu brüsten.
Denn weil ein neues Kleid ein neues Ansehn gibt:
So glaubt er, in sich selbst verliebt,
Daß alle Vögel ihm den Vorzug lassen müßten.
Ach! sprach er, sollten sie mich sehn,
Ich weis gewiß, sie würden mich nicht kennen,
Und den gestreckten Hals nach mir sich fast verdrehn;
Sie würden mich wohl gar den andern Phönix nennen.
Er biß beständig in den Draht,
In Hoffnung, endlich noch den Käficht zu zernagen,
Um, wenn er frei, sich selbst und seinen neuen Staat
In Feld und Wäldern feil zu tragen.

Er fand auch wirklich nach der Zeit,
Die herrlichste Gelegenheit,
Aus dem Gefängnis zu entwischen.
Er flog sogleich, und zeigte sich
Mit vielem Hochmut öffentlich,
In den herumgelegnen Büschen.
Die Vögel wunderten sich über ihn recht sehr,
Sie pflegten sich einander stets zu fragen:
Wer doch der fremde Herr im blauen Kleide wär?
Und niemand konnt es ihnen sagen.
Sie wollten ihn an dem Gesang erkennen;
Allein auch diese Müh war fruchtlos zu benennen.
Der schlaue Vogel war hierinnen viel zu klug;
Er schwieg, weil er Bedenken trug,
Sich, wie der Esel dort in seiner Löwenhaut,
Durch seine Stimme zu verraten.
Denn wenn die Vögel sich zuweilen zu ihm nahten:
Pausierte stets sein Lied; er redete kaum laut.

Weil sie nun gleichwohl wissen wollten,
Wofür sie ihn erkennen sollten:
So deputierte man zwei Finken an ihn ab,
Als denen man gemeßne Order gab,
Des Fremden Stand und Namen zu erfragen.
Sie flogen hurtig zu ihm hin,
Und trugen ihr Begehren für.
Gut! sprach der blaue Passagier,
Ihr, meine lieben Herrn! wollt wissen, wer ich bin,
Und davon soll ich euch die rechte Wahrheit sagen;
Ich mag zwar eben nicht von mir und meinen Sachen
Viel Wesens und viel Rühmens machen;
Doch weil ihr mich drum fragt: So bin ich in dem Stücke
Von dem Verdacht des Eigenruhmes frei;
Ich meld euch folglich ohne Scheu,
Daß ich aus Afrika der Prinz von Phönix sei.

Die Abgeordneten begaben sich zurücke,
Sie richteten die Antwort treulich aus.
Die Vögel glaubten es, und machten sich viel draus,
Den Afrikanischen Prinz nach Würden zu traktieren.
Man ließ ihn keinen Mangel spüren;
Bald speist er heute hier, und morgen früh bei dem;
Er kam wohin er kam: So war er angenehm.
Beständig wohlbedient und stets hochangesehn;
Man nennt ihn überall der Vögel Lust und Zierde.
Und dennoch schien es stets, daß seiner Ehrbegierde
Deswegen noch nicht gnug geschehn.
Inzwischen kam der Herbst, der Vögel Mausezeit,
Die nahm ihm sein geborgtes Kleid;
Die Federn fielen aus; da lag, O Jammerblick!
Die Hoheit hin und her zerstreut und auf der Erden.
Drauf gab ihm die Natur sein graues Kleid zurück;
Prinz Phönix mußte nun ein Hänfling wieder werden.

*   *   *

Ihr Schönen! bildet euch doch nicht so gar viel ein
Auf Rosen, die vergänglich sein,
Die Zeit und Glücke bringt, und Zeit und Glück entführet.
Gedenkt an euren Herbst, der unvermeidlich ist!
Die Zeit kommt ganz gewiß, da ihr euch mausen müßt,
Und Ansehn und Gestalt verliehret.
Wollt ihr nun künftighin nicht kahl und nackend stehn:
So strebt der Tugend nach; die ist der beste Schneider,
Und macht die dauerhaftesten Kleider.
Denn wen die Tugend ziert, der bleibt beständig schön.

Der Bote und die Reispappe

Ein Bote kam gleich um die Mittagszeit,
Voll Staub und Schweiß und Müdigkeit,
Mit ziemlich nüchternen und schmachtenden Gebärden,
Zu N. N. in die Stadt. Man sagte: Ruht nur aus!
Vor Essens wird doch so nichts draus.
Nach Tische werdet ihr schon abgefertigt werden.
Hans ließ sich den Befehl auch ohne Zwang belieben,
Der, weil er gleich den Braten roch,
Von großem Hunger angetrieben,
Zur Köchin in die Küche kroch,
Ihr an die Hand zu gehn. Denn, dacht er, helf ich ihr:
So läßt sie mich gewiß dafür
Zum wenigsten die Teller lecken.
Sie sollte gleich die Tafel decken.
Und folglich hatte sie den Boten kaum ersehn:
So sprach sie: Helft mir doch, mein Freund! den Bratspieß drehn,
Damit ich nur den Tisch zurechte machen kann.

Hanns trat sein neues Werk mit allen Freuden an.
Die Köchin ging drauf fort, und ließ ihn ganz allein.
Wie nun die Hungrigen sehr neubegierig sein,
Und herzlich gern von allem naschen:
So suchte Hans auch hier ein Schnapsbein zu erhaschen;
Besonders wässert ihm der Mund
Nach einem Topf voll Reis, der bei dem Feuer stund;
Es war, als wenn er ihm recht in die Augen stäche.
Drauf schien es ihm, als wenn der Brei,
Der plappernd eingekocht, stets: Friß mich! Friß mich! spräche.
In Meinung nun, daß er hiermit gemeinet sei,
Ließ Hans den Braten ruhn, stund auf von seiner Stelle,
Ergriff den Topf, und sprach: Schon gut! komm immer her,
Wenn ich dich fressen soll. Er nahm die lange Kelle,
Womit die Köchin pflegt den Braten zu begießen,
Und schaufelte, mit etwan dreizehn Bissen,
In aller Eil den Papptopf leer.

Die Köchin kam drauf wieder in die Küche,
Sie fragte, wo der Reis denn hingekommen wär?
Und schüttete die ärgsten Flüche
Auf unsern armen Hans, der sich getroffen fand,
Und seine Tat getrost gestand,
Und sich noch groß entschuldgen wollte.
Mein! sprach er, gebt doch nur der Überlegung statt,
Und flucht auf euren Reis, der mich gebeten hat,
Daß ich ihm gnädig sein und ihn verzehren sollte:
Weswegen zankt ihr denn mit mir?
Ich fraß ihn auf sein Wort; was kann denn ich dafür?
Die Frau trat auch hinzu, die ihrer Köchin wehrte,
Daß sie dem Boten nicht die Ofengabel wies,
Noch ihm den leeren Topf auf seinen Rücken schmiß;
Denn da sie Hansens Antwort hörte:
So sprach sie: Hans hat recht getan;
Der Brei ist, wie ihr hört, ja selber Schuld daran,
Daß ihn der arme Narr gefressen.
Was? fuhr die Köchin auf. Soll das nicht strafbar sein!
Was gilts? Hält ich den Reis gegessen:
Mir würde man gewiß so leichte nicht verzeihn;
Wer weis? wie mir es würde gehn,
Ob ich nicht aus dem Dienste müßte,
Und wenn ich mich auch noch so schön,
Und richtig zu entschuldgen wüßte.

*   *   *

Sich wohl entschuldigen entschuldigt manchmal schlecht.
Ein Spaß, der lachenswert, gilt mehr, als alles Recht,
Und wirkt viel eher noch ein gnädiges Verzeihn.
Ein lustger Einfall schimpft die besten Argumente,
Mit denen man zur Not den Fehl beschönen könnte.
Denn wer schon lachen muß, kann nicht mehr böse sein.

Der Hund und die Kühe

Ein ehrlicher Studentenhund
Der schon dem dritten Herrn auf Universitäten
Als ein Bedienter nachgetreten,
Ward endlich an ein Bein verwundt.
Der Schaden heilte zwar, allein der Hund blieb lahm;
Er hinkte nun auf dreien Füßen,
Sein Herr ward ihm deswegen gram;
Er wollte nichts mehr von ihm wissen,
Und prügelte den armen Schelmen fort;
Dawider half kein Schmeicheln und kein Bitten.

Er ging nun auf das Land an einen andern Ort,
Und half dem Tityrus die Küh im Felde hüten.
Der Hirte schien ein alter Mann zu sein,
Der seines müden Leibes pflegte,
Und unter einem Baum sich in den Schatten legte;
Er schlief gemeiniglich hier ein.
Der Hund, sein treues Vieh, lag bei ihm auf der Erde,
Und übersah die ganze Herde,
Mit stets bemühter Wachsamkeit.
Die Kühe suchten auch niemals Gelegenheit,
Sich heimlich von ihm wegzustehlen;
Sie folgten ihm ohn allen Zwang.
Die Zeit ward ihnen auch bei ihm gar selten lang;
Er wußte wacker zu erzählen.
Besonders rühmt er die Studenten,
Daß sie der Eltern Geld so fein verschmausen könnten;
Statt daß sie, fuhr er fort, dafür studieren sollen.
So saufen sie sich oft gebrechlich, lahm und blind;
Sie können trinken, wenn sie wollen,
Sie warten nicht erst bis sie durstig sind;
Da schlucken sie das Bier aus ungeheuren Krügen,
Als wären sie dazu verdammt,
Bis Wirt und Gast zugleich und insgesamt
Besoffen unterm Tische liegen.

Das Wort besoffen kam den Kühen fremde für.
Was heißt das? Sagten sie, du mußt es uns erklären.
Wie könnt ihr, sprach der Hund, das wohl von mir begehren?
Ich bin ja, wie ihr seht, ein Vieh so gut, als ihr.
Wenn ihr bloß wissen wollt, wem die Besoffnen gleichen:
So seht ein schlafend Schwein nur an;
Es geifert, keucht und rülpst. Dies sind drei saubre Zeichen,
Die kein Besoffner bergen kann.

Wie viel denn, fragt ein Kalb, trinkt einer auf einmal,
Eh er zum Schweine wird? O! sprach Herr Tamerlan,
Die Menschen setzen sich hierinnen keine Zahl,
Sie saufen ohne Maß, bis sie zu Boden sinken.
Ich hab es selbst gesehn, es ist wahrhaftig wahr,
Sechs Ochsen saufen das in keinem Vierteljahr,
Was sechs Versoffne oft in einem Abend trinken.

Sie müssen auch, sprach eine schwarze Kuh,
Erschrecklich durstig sein; vielleicht sind ihre Bäuche
So groß, als wie die Harter Täuche.
O das nicht, sprach der Hund, die Blasenröhre! die!
Der Hirte dort sieht dicker aus, als sie;
Die schmächtigsten sind oft am schwersten zu erfüllen;
Sie trinken nicht, wie wir, um ihren Durst zu stillen.

Wenn dieses ist, sprach eine andre Kuh,
So sag uns doch, wer zwingt sie denn dazu?
Den Säufern ist kein Zwang bewußt,
Versetzete der Hund, sie tun es bloß zur Lust;
Nach meinem wenigen Bedünken,
Scheint auch nichts auf der Welt so lächerlich zu sein,
Als eben ihr Gesundheittrinken;
Da sauft sich mancher Narr, bei Branntwein, Bier und Wein,
An andrer Leute Wohlsein krank
Und niemand weis ihm dafür Dank.

Wie aber geht es denn, sprach hier die dritte Kuh,
Bei dem Gesundheittrinken zu?
Ich habs mein Tage nicht gesehn.
Die Nachricht, sprach der Hund, von dem Studentenleben
Kann kürzer, deutlicher und leichter nicht geschehn,
Als wenn wir uns an jenen Bach begeben;
Man schenkt zwar da kein Bier, doch schmeckt das Wasser gut.
Er lief so gleich und nahm dem Hirten seinen Hut,
Kommt, rief er, folgt mir nach! bei unserm Bacchusfeste
Bin ich der Wirt und ihr seid meine Gäste;
Stellt euch in einen Kreis! und merkts euch zum voraus,
Das, was ich sag und tu, das sagt und tut auch ihr!
Drauf schrie er: Hoch! Es leb ich, du, er, wir!
Und soff sogleich den Hut voll Wasser aus,
Und warf ihn in die Luft, wie man mit Gläsern tut.
Als wenn er ihn zerschmeißen wollte.
Die ganze Compagnie befand den Spaß für schön.
Der wieder eingeschenkte Hut
Ward einer Kuh gebracht, die nun das Wohlergehn
Der Kälbermütter trinken sollte.
Sie setzt auch an und trank; allein sie trank nicht aus,
Und ward deswegen gleich sehr übel angelaufen.
Was? Schrie der Wirt, heißt das recht brüdermäßig saufen?
Fort! die Gesundheit muß heraus.
Ich habe keinen Durst, erwiderte die Kuh.
Canaille! rief der Hund, was raisonnierest du?
Sauf, daß du mußt verkrummen und verlahmen!
Sauf oder stirb in aller Huren Namen!
Ich kann nicht, sprach die Kuh; du mußt, schrie Tamerlan,
Und ohne mehr ein Wort zu sprechen,
Fiel er die arme Kuh mit solchem Wüten an,
Als wollt er ihr so Hals als Beine brechen.

Die Kurzweil endigte sich durch ein Zeterschrein;
Die Gäste nahm nunmehr Furcht, Angst und Schrecken ein,
Gnug! sprachen sie, Herr Wirt! habt Dank für eure Mühe!
Das Spiel gefällt uns nicht, wir wollen lieber Kühe
Als närrische Saufhelden sein.

*   *   *

Es dreht sich alles um. Man lebt in einer Zeit,
Da wir, gottlob! nichts mehr von nassen Brüdern hören.
Kann sich die Welt wohl christlicher verkehren?
Itzt schallt um den Parnaß das Lob der Nüchternheit!
Ich setze zum voraus, daß die Studenten itzt
Mehr dem Katheder zu, als vor nach - - laufen,
Und sich nicht mehr, wie sonst, von Bier und Wein erhitzt,
Halb närrisch um die Köpfe saufen.

Der Krieg und der Friede

Der Friede und der Krieg sind niemals gute Freunde,
Wohl aber stets geschworne Feinde,
Wo der sich niederläßt, da zieht der andre fort,
Wenn der hier seßhaft ist, so wohnt der andre dort;
Sie können nicht beisammen bleiben.

Einst suchten sie einander aufzureiben.
Die Menschen traten selbst der dem, der jenem bei,
Und waren eben so an Neigung unterschieden.
Der Henker hol den Krieg! der Henker hol den Frieden!
Dies war das Losungswort von jeglicher Partei.
Die nicht viel Herz im Leibe hatten,
Die fluchten auf den Krieg und wünschten ihm den Tod.
Wer gern gemächlich lebt, flieht auch so gar den Schatten
Von Unruh, Last, Gefahr und Not.
Besonders mühte sich das Volk auf dem Parnaß
Stets seinen angebornen Haß
Vor Harnisch, Pulver Blei und Degen
Satyrisch an den Tag zu legen.
Man malte hier den Krieg stets höllenmäßig ab.
Man sprach, man könne die Soldaten,
Als denen man den Ruhm der Landverderber gab,
So gut, als wie die Pest, und leichter noch entraten.
Das Lob des Friedens schien allein
Der Musen Augenmerk und Zeitvertreib zu sein.

Der Krieg war übel drauf zu sprechen,
Er trat vor den Parnaß, zog seinen Sarras aus,
Und forderte das Musenvolk heraus,
Kommt, laßt euch, schrie er laut, von mir die Hälse brechen?
Das wird nicht nötig sein, rief ihm Apollo zu,
Wir leben hier in Fried und Ruh,
Und lassen uns dein Dräuen gar nicht stören;
Hast du dich über uns mit Rechte zu beschweren:
So geh, verklag uns doch bei der Gerechtigkeit,
Die wird dir ohne Blutvergießen,
Den Beutel schon zu fegen wissen;
Sie nährt sich ohnedem, wie du, von Zank und Streit.

Gut! sprach der Krieg. Das will ich tun.
Er ließ es auch bei Worten nicht beruhn;
Man sah ihn wirklich bei Asträen
In vollem Grimme klagen gehen.
O Göttin! sprach er, räche mich
Durch deines Eifers Blitz und Flammen!
Man untersteht sich öffentlich,
Mich, deinen treuen Knecht, verwegen zu verdammen;
Man nennt mich einen Atheisten,
Als wenn ich und mein Volk nichts von der Tugend wüßten,
Der alte Leiermann, Apoll und seine Töchter
Sind Heuchler überhaupt und selbst der Tugend feind;
Der Friede, der so fromm und exemplarisch scheint,
Ist in der Tat der ärgste Gottsverächter;
Man seh nur - - an, die weltberühmte Stadt!
Seitdem der Friede sich da eingenistet hat,
Hat alle Redlichkeit, ja selbst das Gewissen,
Den Exulantenstab aus Not ergreifen müssen;
Er soll ein Segen sein und treibt den Segen fort?
Er ist der Tugend Lohn und pflegt sie zu verjagen?

Die Göttin fiel ihm hier ins Wort:
Was, sprach sie, suchst du denn durch alle diese Klagen?
Erklär dich kurz und gut! Ach! rief er, kann es sein:
So schlag den Frieden tot, den mir verhaßten Frieden!
Verbann ihn wenigstens aus Ost, West, Nord und Süden,
Und laß mir auf der Welt die Herrschaft ganz allein!
Wie lange würdest du, sprach die Gerechtigkeit,
Die Herrschaft wohl behaupten können?
Dein Rauben, Morden, Sengen, Brennen,
Verkehrte ganz gewiß die Welt in kurzer Zeit
In einen Kirchhof voller Leichen.
Wenn alles abgeschlacht und ausgestorben wär;
Wo nähmst du die Soldaten her?
Wer pflanzte deine Siegeszeichen?
Der Friede kann zwar dich, ihn kannst du nicht entbehren;
Dein eignes Leben hängt an seinem Wohlergehn;
Was hättest du zu tun? Wie wolltest du bestehn,
Wenn gar kein Friede mehr, wenn keine Heuchler wären?
Der Friede ist ein Narr; er treibt dich in die Flucht,
Und ist doch in der Tat dein allerbester Freund,
Der deine Wiederkunft, die ihm zuwider scheint,
Durch Sünde, Schand und Fluch stets zu verdienen sucht.

*   *   *

Wie gut ists manchmal nicht, daß Gottes Gütigkeit
Nicht aller Menschen Wunsch erhöret!
Wir wünschen, wie es scheint, Glück und Zufriedenheit,
Und haben in der Tat den Untergang begehret.

Der Karpfen und die Barbe

Der Boberfluß ward abgeschlagen.
Warum? das weis ich nicht. Man muß den Müller fragen,
Der wird die Sach am besten wissen.
Er ging und hing den Kopf, als würd er ihm zu schwer;
Sein Mahlen war nun aus, die Mühle halb zerrissen,
Kein einzig Rad mehr gut, kein Gang im Gange mehr.
Weil er den Schaden nun aufs neu ergänzen wollte,
Und folglich auch der Strom den Bau nicht hindern sollte:
So schützte man den Bober ein,
Und sucht ihn seitwärts abzuleiten.
Das Wasser fiel mit Macht, zusehends ward es klein.
Ach! sprach ein alter Hecht. Das hat was zu bedeuten!
Hier bleib ich länger nicht. Drauf schwamm er glücklich fort,
An einen wasserreichen Ort.
Die ganze Fischwelt kam dem Hechte nachgeschwommen.
Sechs Karpfen hielten sich in einem Tümpel auf,
Und gaben keine Achtung drauf,
Daß groß, klein, jung und alt, bereits die Flucht genommen.

Holla! Fort! fort! rief eine Barbe,
Wenn ihr euch retten wollt, so habt ihr hohe Zeit;
Fort! euer Untergang ist sonst gewiß nicht weit.
Was blökst du? sprachen sie; du gehst vielleicht im Harme;
Was gilts? dein lieber Mann wird abgestanden sein,
Deswegen suchst du uns die Ohren voll zu schrein.
Itzt ist es ja nicht Zeit, noch lange Spaß zu treiben,
Rief ihre Nachbarin; die Post ist leicht versäumt;
Kommt mit! Ihr kommt sonst um; der Strom wird außen bleiben.
Hör, sprachen jene drauf, was hat dir mehr geträumt?
Wird sonsten etwan noch ein Wunderwerk geschehen?
Hast du nicht auch schon Korn im Bober wachsen sehen?
O Einfalt! geh nur, geh! du bist uns schon bekannt;
Es fehlt dir weiter nichts, als etwas mehr Verstand.
Die Barbe sprach: Wohlan! glaubt, was ihr wollt, von mir,
Ich bin hierin gleichwohl verständiger, als ihr;
Das Unglück, das euch droht, hab ich vor dreien Jahren
Schon als ein kleines Kind erfahren:
Gehabt euch wohl, ihr klugen Toren!

Die Barbe schwamm nun fort. Inzwischen traf es ein.
Es hatte sich der Strom, laut ihrem Prophezein,
In kurzer Zeit bis auf den Grund verloren,
Man konnte trocken durch und hin und wieder gehn;
Nur in dem Tümpel blieb noch etwas Wasser stehn,
Das aber trüb und matt, ohn Ab-und Zufluß war;
So daß die Karpfen sich sehr schlecht behelfen mußten,
Und endlich für Gestank nicht mehr zu bleiben wußten.
Sie wünschten sich umsonst nunmehr aus der Gefahr,
Und wurden matt und krank, und schwammen auf dem Rücken,
Und mußten ohne Trost in Schlamm und Kot ersticken.
Der Müller hat mirs selbst erzählt.

*   *   *

Geringer Leute Rat ist manchmal hoch zu schätzen;
Was ihnen am Verstande fehlt,
Pflegt die Erfahrung zu ersetzen.

Das Glück

Die Armen klagen schon von alten Zeiten her:
Das Glück schmeichle nur den Reichen,
Als wenn nur Leuten ihres Gleichen
Kein guter Tag vergönnet wär.

Das Glück wollte diese Klagen
Aus Ungeduld nicht länger mehr vertragen.
Was? sprach es, ist die Schuld denn mein,
Daß nicht ein jeder Narr kann reich und glücklich sein?
Und wenn es manche gleich noch endlich werden könnten:
So fangen sie es stets verkehrt und närrisch an.
So daß ich ihren Wunsch unmöglich stillen kann.
Deswegen ließ es nun den armen Malcontenten
Kund und zu wissen tun: Wer ohne viele Müh
Zu großem Gute kommen wollte,
Nur da und da erscheinen sollte;
Da würde man das Glück morgen früh
Von vier bis sieben Uhr bereit und willig finden,
Die Armen ihrer Not durch Wohltun zu entbinden.

Ein jeder will doch gerne glücklich sein,
Drum stellte sich das Volk der ganzen Gegend ein;
Den faulen Schmied zu N. N. ausgenommen,
Der in dem Bette blieb, und bei sich selber sprach:
Will mir das Glück wohl, ich lauf ihm nicht erst nach,
Es wird schon selbst zu mir nach Hause kommen.
Allein die Rechnung blieb gefehlt.
Inzwischen war der Sitz, den sich das Glück erwählt,
Ein völlig frei-und ebnes Feld.
Man sah hier ein Theatrum aufgeschlagen,
Auf welchem Schönheit, Rang, Geschicklichkeit und Geld
Nebst andern Gütern mehr auf einer Tafel lagen.
Das Glück stund dabei mit abgenommner Binde,
Weil sein Entschließen war, mit Fleiße zuzusehn,
Daß jeglichem sein Recht geschehn,
Und ihm der Vorwurf nicht mehr zu erwarten stünde,
Als teilt es blindlings aus, daß Narren alles nahmen,
Und kluge Leute nichts bekamen.

Den Anfang macht ein Bauersmann,
Der als ein schlechter Wirt sein Erbteil längst verschwendet,
Und Äcker, Haus und Hof versoffen, teils verpfändet,
Der sprach das Glück um Reichtum an;
Doch dafür gab es ihm bloß die Geschicklichkeit,
Mit wenigem vergnügt und sparsam Haus zu halten.
Drauf kam ein Pferdeknecht: Der Kerl war nicht gescheit,
Und wollte mit Gewalt ein hohes Amt verwalten.
Er bat um einen Marschallsstab;
Das Glück schüttelte den Kopf,
Und speiset den armen Tropf
Mit zweimal hundert Talern ab.

Die Reihe kam nunmehr an eine alte Magd,
Die hätte sich schon längst gern einen Mann genommen,
Und konnte gar nicht unterkommen.
Wer arm und häßlich ist, nach dem wird nicht gefragt.
Sie bat um einen Mann; das Glück gab ihr Geld,
Und siehe da! es währte nicht vier Wochen,
So ward des Pächters Sohn mit ihr, als Braut, versprochen.
Nun trat ein Weibsbild herfür,
Das war ein frech-und wild-und ungezognes Tier,
Woran sich niemand wagen wollte;
Sie plagte recht das Glück und ließ ihm keine Ruh,
Damit es ihr doch auch in Ehstand helfen sollte;
Drauf stellt es ihr die Schönheit zu.
Ein Vierteljahr kam kaum heran:
So war der Wildfang schon verlobt und eingetan.

Drauf wandte sich das Glück zu einem Schulkollegen,
Der mitten im Gedränge stand,
Freund! rief es, immer her! dein Zustand ist bekannt,
Euch Leuten fehlt es stets an Mitteln und Vermögen;
Hier nimm, zu Tilgung deiner Qual,
Das dir bestimmte Kapital!
Das Glück wollt ihm schon den Geldsack überreichen;
Er konnte nicht herzu, er bat, man möchte weichen,
Die Leute wollten nicht, ( die Mißgunst war zu groß)
Sie drückten ihn mit Fleiß, sie zerrten ihn zurücke,
Und stürmten insgesamt auf das Theatrum los;
Es brach auch glücklich ein, und ging in tausend Stücke,
Da lag der ganze Kram, und alles weit und breit
Verwirrt herumgesät und hin und her gestreut.

Die Leute griffen zu; das Glück schrie; laßt stehn!
Die Teilung unter euch muß nach Verdienste gehn.
Allein es ging Rips! Raps! Man machte nicht viel Wesen;
In einem Augenblick war alles aufgelesen,
Und richtig eingeteilt, doch alles ganz verkehrt.
Manch Narr ertappte hier das Ansehn in der Welt,
Das eigentlich den Klugen nur gehört.
Thrax, der ohndem schon reich, bekam das mehrste Geld;
Den Schulherrn gegenteils, den sie zurücke stießen,
Traf der Verdruß, leer abzuziehn;
Da er es doch bedürftig schien.
Man hatt ihm noch dazu den Mantel halb zerrissen.

Die zwei Freunde

Ein reicher Handelsmann hatt einen armen Freund,
Mit dem er es zeither recht gut und treu gemeint.
Dem Reichen schmeckte fast kein Bissen,
Der Arme mußt ihn denn die Hälfte mitgenießen.
Trat diesen eine Geldnot an:
So konnt er hier für sich stets offne Kasse finden.
Beständig ward geborgt, nichts wieder gut getan;
Sie wußten selber kaum, wie sie zusammen stünden,
Denn sie berechneten sich jährlich nicht einmal.
Indessen wuchs die Schuld an Zins und Kapital.
Der Reiche forderte auch keine Handschrift drüber;
Des Armen Freundschaft war ihm lieber,
Und seiner Meinung nach von größerem Gewichte;
Als alle Sicherheit durch Siegel, Hand und Schein;
Er gab ihm alles hin, und sah dabei allein
Bloß auf sein ehrliches Gesichte.
Der Arme kaufte sich für seines Freundes Geld
Ein Bauerngut, das ihn gar reichlich nährte.

Der Kaufmann ward nachdem verunglückt und gefällt,
So daß sein Reichtum sich in Not und Mangel kehrte.
Man nahm ihm alles ab, man ließ ihm kaum das Kleid.
Er wußte sich fast weiter keinen Rat;
Inzwischen macht er doch in Hoffnung großen Staat
Auf seines Freundes Dankbarkeit.
Er schlug die Bücher nach, summierte seine Schulden,
Und die beliefen sich auf zweimal tausend Gulden.
Wenn diese, fragt er sich, nun eingegangen sein:
Was fängst du damit an? Er sann schon hin und her;
Der Kopf ward ihm von vielem Denken schwer,
Und endlich schlief er drüber ein.
Sein Freund, sein Schuldner, kam ihm hier
So, wie er war, im Traume für,
Als wenn er wirklich zu ihm käme,
Und ewig von ihm Abschied nähme.
Ich, sprach er, bin dein Freund gewesen und nicht mehr;
Ich bin itzt, was du warst, was ich war, das bist du.
Drauf wies er ihm den Rücken her,
Ging von ihm weg und auf den Ofen zu,
Den er, dem Ansehn nach, mit tiefer Beugung grüßte,
Und wie zu guter Letzt noch mit den Worten küßte!
Gelt! liebes Brüderchen! Wer darbt, ist unser Feind;
Wer gibt, der ist uns lieb; sind wir nicht brave Leute?
Hierauf verschwand der Traum und auch der gute Freund.

Der Kaufmann wußte nicht, worauf dies Vorspiel deute;
Doch er erfuhr es kurz hierauf.
Er ging, er kündigte die Schuld dem Schuldner auf;
Den aber schien das zu verdrießen,
Er wollte nicht ein Wort von dieser Fordrung wissen.
Er hielt gerichtlich an; sein Freund schwur alles ab,
Der ihm zur Dankbarkeit noch lose Reden gab.
Ach! schrie der Handelsmann, mein Traum ist ausgelegt,
Der Ofen und mein Freund sind ein Paar gleiche Brüder;
Sie nehmen gern, und geben gar nichts wieder.
So lange man sie frätzt und einzufeuern pflegt:
So lange wird man sich bei beiden wärmen können.
Sobald der Beutel schlapp, der Holzstall ausgeleert:
So sind sie beide kalt, dem Nutzen nach nichts wert,
Und ein unbrauchbar Ding zu nennen.

*   *   *

Man macht oft durch sein Geld die armen Freunde stolz,
Indem man ihnen hilft. Wenn sie uns helfen sollen:
So werden sie von uns nichts weiter wissen wollen.
Wie das vorm Jahr verbrannte Holz
Mich heuer nicht mehr wärmt: So ist es auch bei ihnen.
Die Freunde dienen nicht, sie lassen sich nur dienen.

Das spanische Rohr und der birkene Prügel

Man hatt ein spanisch Rohr zu einem birknen Prügel
In einen Winkel hingestellt.
Das Rohr war böse drauf. O! sprach es, hätt ich Flügel:
Ich bliebe länger nicht in der verkehrten Welt.
Das hat mir noch gefehlt, daß so ein Bauerhache,
Der seinen Kaffee früh aus allen Pfützen trinkt,
Der stets nach Brot und Käse stinkt,
Noch gar Kameradschaft mit mir mache,
Als wenn er meines Gleichen wär.
Der Grobian gehört wohl eben nicht hierher;
Kann er denn nicht zu Haus im Kuhstall bleiben,
Statt daß er mich bedrängt, und Pockennarbicht drückt?
Kerl! sprach es. Geht doch heim! Es ist Zeit auszutreiben;
Der Hirte hat nach euch geschickt.

Mein Freund! sprach Birkenhans, ihr werdet mich verkennen.
Wenn euch ein Narr gebricht, ich geb euch keinen ab;
Ich bin so wohl als ihr ein Stab.

Wollt ihr mich einen Prügel nennen:
So seid ihr eben das. Was? schrie Herr Rohrian,
Ihr ungeschliffner Kerl! ihr wollt euch mir vergleichen?
Ja ja! ihr tut gar wohl daran.
Ihr seht zwar knoticht aus; doch das sind Ehrenzeichen,
Die euch und euren Ruhm erhöhn;
Kein selbstgemachtes Schemelbein
Wird euch an Artigkeit leicht überlegen sein;
Kein Zaunpflock ist so glatt, so ungekünstelt-schön,
Und eurem Ansehn gleich zu schätzen.

Ha! ha! rief Birkenhans, ihr seht zwar glätter aus;
Doch was benimmt mir dies? mein Herr macht sich nichts draus,
Er braucht mich nicht zum Staat, zu seiner Sicherheit;
Mein unbiegsamer Leib kann eure Kostbarkeit
Und Band, Beschlag und Knopf mit leichter Müh ersehen.
Was liegt mir an der eitlen Pracht?
Wir Stäbe sind zum Gehn gemacht,
Wir dienen eigentlich nur alt und schwachen Leuten,
Gemächlicher und sichrer fortzuschreiten.

Ein fein beschlagnes Rohr in eines Jünglings Hand,
Versetzte Rohrian, steht gleichwohl recht galant.

Mir scheints, sprach Birkenhans, recht närrisch und verkehrt,
Wenn junge Leute sich mit einem Stabe tragen,
Der alten Männern nur gehört;
Was soll das fünfte Rad dem Wagen?
Was soll die Hilfe dem, der keine nötig hat?
Wo wird ein Bürger in der Stadt
Sein neu -und festes Haus erst noch mit Pfeilern stützen,
Die zwar manch altes Nest, das Spalten schon gewinnt,
Aus Not vor Fall und Einfall schützen,
Die ihm doch, Gott sei Dank! noch nicht besorglich sind?
So eine Narretei verdiente Günthers Striegel.

Ihr raisonnieret als ein Prügel,
Verfolgte Rohrian, und kennt die Mode nicht,
Die allen Gründen widerspricht.
Der kleinste junge Herr muß einen Stock itzt tragen,
Sonst wagt er auswärts keinen Schritt;
Braucht er ihn nicht zum Gehn, wie ihr beliebt zu sagen:
So spielt er wenigstens damit.

Da spadonniert das artge Knäbchen
Mit seinem wunderschönen Stäbchen
Die Gassen auf und ab, den Marktplatz hin und her;
Bald schultert Hänschen das Gewehr,
Und kratzt zu gleicher Zeit in dem verlausten Kopfe:
Bald käut, bald leckt er an dem Knopfe;
Bald stützt er sich das Kinn; bald biegt er zierlich dran;
Bald bohrt er in den Sand; bald stemmt er sich mit an;
Bald fängt er gar damit; bald knüpft er an dem Bügel,
Das angebundne Band itzt auf, itzt wieder zu;
Herr Ungeschickt! was meint ihr nu?
Dergleichen Zeitvertreib geschieht mit keinem Prügel,
Den so ein junger Herr nicht einmal würdig schätzt,
Ihn, da er mit mir spielt und sich an mir ergötzt,
Auch nur in seine Hand zu nehmen.

Gar gut! sprach Birkenhans, er lasse mich nur stehn!
Ich würde mich doch nur der läppschen Possen schämen;
Ich bin ein Stab, sonst nichts; man braucht mich nur zum Gehn,
Darum entbehr ich auch gar gern der Kostbarkeit,
Mit der die Prahlsucht sich ihr teures Rohr beschlägt;
Wer sich im übrigen mit einem Stabe trägt,
Und keinen nötig hat, der ist nicht recht gescheit.

Der Sperber

Ein Uhu, welcher sich von Raub und Mord ernährte,
Den auch die ganze Vogelwelt
Für ihren Erbfeind hielt und öffentlich erklärte,
Ward einst durch einen Schuß gefällt.
Der tröstliche Bericht davon
Durchflog den ganzen Wald; es suchten ihn zwei Finken
Gleich allenthalben auszupinken.
Der Uhu war kaum tot: So wußte man es schon;
So schwang die Fröhlichkeit nach des Tyrannen Falle,
Sich wiederum getrost empor.
Das lange Zeit verscheuchte Chor
Erhob sein Freudenlied mit allgemeinem Schalle.
Nun, hieß es, haben wir die goldne Zeit erlebt;
Nun können wir Gefahr und Not verlachen,
Da jedermann in Ruh und Friede lebt;
Nun wollen wir uns erst recht gute Tage machen,
Da Scherz und Sicherheit sich unsre Nachbarn nennen.

Ein Sperber, der mit Fleiß dem Wind entgegen flog,
Und das gesamte Chor durch diese List betrog,
So daß ihn keiner wittern können,
Kam ihnen auf den Hals. O wie erschraken sie!
Ihr Herren! rief er, schweigt! ihr singt etwas zu früh;
Die Zelt ist noch nicht da, daß ihr euch sicher achtet;
Der Uhu hat mir seine Jagt verpachtet.
Drauf stieß er auf sie los, geschwinder als ein Blitz,
So daß der Vögel sechs bis sieben,
In seinen Klauen hängen blieben,
Die er auch insgesamt und zwar auf einen Sitz
Gleich auf der Stell verschnabullierte.

*   *   *

Der Unschuld wird Zeitlebens nachgestellt;
Vergebens daß sie triumphierte,
Wenn hier und da ein Feind besiegt zu Boden fällt.
Kann sie deswegen sicher sein?
Lest meine Fabel durch! was gilts? ihr saget: Nein!
Es gibt doch immer noch mehr Schelmen in der Welt.

Die Hoffnung und die Furcht

Nach Gottes Ordnung soll der Mensch in diesem Leben,
Stets zwischen Furcht und Hoffnung schweben,
Und weder zu verzagt noch zu verwegen sein.
Deswegen war auch einem jeden
Von Hoffnung und von Furcht ein gleiches Teil beschieden.
Die Menschen fanden sich auch anfangs willig drein,
Bis endlich nach und nach ihr kluger Unverstand
Es länger nicht für gut befand,
Der Furcht und ihrer Bitterkeit,
Im Herzen Raum und Platz zu geben.
Das Glück, sagten sie, liebt die Verwegenheit;
Wer alles hoffen kann, kann auch nach allem streben;
Den Feigen ist nichts gutes beschert.

Und also ward die Furcht verworfen und verwehrt;
Sie durfte sich auf öffentlichen Gassen
Bei Tage nicht mehr sehen lassen;
Indem man jedermann gleich einen Narren hieß,
Der die geringste Furcht nur an sich blicken ließ.
Deswegen machte sie in wenig Tagen drauf
Ein Bündnis mit den Straßenräubern,
Und paßte, so wie sie, den Leuten heimlich auf,
Den Kindern sonderlich, imgleichen alten Weibern;
Wiewohl sie hier und da auch Männern nachgestellt,
In deren Adern doch Geist, Mut und Herze wallen.

Prinz N. N. war des Tags ein hoffnungsvoller Held,
Den doch die größte Furcht oft nächtlich überfallen;
Allein er hielts geheim; sein blasses Angesicht
Verriet ihn zwar manchmal, doch er gestund es nicht.
Im Gegenteil wars auch dem klügsten unverwehrt,
Frei mit der Hoffnung umzugehn;
Man war in Hoffnung reich, man war in Hoffnung schön,
Groß, herzhaft, redlich, klug, beredt, berühmt, gelehrt;
Man teilte Ämter aus, nicht nach Verdienst und Gaben,
Denn darauf ward so eigen nicht gesehn,
Man durfte damals nur die Hoffnung dazu haben:
So wars mit dem Beruf den Augenblick geschehn.

Indessen schien der Furcht nicht wohl dabei zu sein;
Ach! sprach sie, was sind das für ärgerliche Zeiten!
Die Hoffnung schmeichelt sich bei den Gelehrten ein;
Mit wem geh ich denn um? mit lauter schlechten Leuten,
Die der gemeine Ruf den dummen Pöbel nennt.
Was mach ich? fuhr sie fort, soll ich den Schimpf denn leiden.
Nein! sprach sie, wenn man mir kein beßres Ansehn gönnt:
So will ich lieber gar der Menschen Umgang meiden.

Doch dazu kam es nicht. Der, der die Welt regiert,
Und Furcht und Hoffnung eingeführt,
Fand bald ein Mittel aus, die Menschen umzudrehen;
Er schickte, kurz gesagt, die Vorsicht auf die Welt,
Die lehrte das Volk ein Ding recht einzusehen,
Und jedes Hindernis, das sich in Weg gestellt,
Von weitem schon genau zu überlegen.
Die größten Hoffnungen verloren ihren Wert;
Die Furcht kam wieder auf; man hielt sie für gelehrt,
Man nannte sie, der tiefen Einsicht wegen,
Ein Zeichen der Gelehrsamkeit.
Es hat auch wirklich seit der Zeit
Das Sprichwort richtig eingetroffen,
Daß dumme Leute viel und Kluge wenig hoffen.

Die Kinder und die Pilze

Zwei Knaben waren ausgegangen,
Und zwar nach Pilzen in den Wald.
Der eine war zwölf Jahr, der andre sieben, alt.
Ein jeder hatte sich ein Säckchen angehangen,
Die Beute dergestalt bequemer einzuschiffen.
Hier stunden Pilze gnug, die gleichsam Paar und Paar
Den Kindern in die Hände liefen.
Der ältste, der schon oft dabei gewesen war,
Las sich die kleinsten aus; die großen ließ er stehn,
Die sonderlich bei angehaltnem Regen
Zu sehr betrüglich sind, von außen dick und schön,
Jedoch von innen nichts, als Maden, in sich hegen.
Der jüngre, welcher sich so gut nicht drauf verstand,
Und, mit der unerfahrnen Hand,
Nur nach den großen griff, bekam in kurzer Zeit
Den Sack nach Wunsche voll. Er war recht sehr erfreut,
Daß ihm das Glück so wohl gewollt,
Und fing schon an sich groß zu machen.

Ha ha! sprach jener drauf; verspar dir nur das Lachen!
Nicht alles, was da gleißt, ist darum auch gleich Gold;
Man macht von Messing auch oft schöne goldne Ketten.
Hier steht ein Knöpfchen! laß uns wetten!
Wenn deine Pilze nicht geringer sind, als meine:
So bleibt dir der Gewinn, so ist das Knöpfchen deine.

Top! schrie der andre gleich, laß sehen, wer gewinnt?
Die Pilze wurden nun zu beiden Teilen besehn,
O wohl mir! sprach der jüngste Knabe,
Ich weis gewiß, daß ich die besten habe;
Nur mit dem Knöpfchen her! Es ist schon drum geschehn;
Wer deine Pilze sieht, sieht, daß sie Zwerge sind;
Schau nur! Sind meine nicht dagegen rechte Riesen?

Mein! Kräh doch nicht zu früh! rief ihm der andre zu,
Daß deine größer sind, seh ich so gut, als du;
Doch daß sie besser sind, das ist noch nicht erwiesen.
Mir ist für den Gewinnst nicht bange;
Gedulde dich inzwischen nur so lange,
Bis wir nach Hause kommen sein;
Die liebe Mutter wird dich schön willkommen heißen,
Und dir wohl gar den Sack um Kopf und Lenden schmeißen.

Es traf auch richtig zu. Sie schnitt die kleinen ein,
Die waren gut und frisch und taugten schon zum Essen;
Die Großen warf sie auf den Mist,
Die, sprach sie, sind nicht wert, das man sie liest,
Die Maden haben sie schon gar zu sehr durchfressen.
Au weh! rief Hänschen aus, ists so damit bewandt:
So muß ich armer Narr die Wette wohl verspielen.

*   *   *

Das Ansehn gründet sich bei vielen
Auf andrer Menschen Unverstand.

Der Hund

Packan, ein großer Fleischerhund,
Ein rechter Hundegoliath,
Der bei den Hunden in der Stadt
In trefflich großem Ansehn stund,
Schlug einst den andern vor, man wollte sich bemühen,
Sich künftig nach und nach dem Joche zu entziehen,
Zu welchem sie der Mensch gezwungen.

Der Meinung bin ich auch, fing Pudel an zu schrein.
Und wenn wir, fuhr er fort, nur eines Sinnes sein:
So ist der Anschlag schon so gut als halb gelungen,
Ich will gewiß dabei mein Möglichstes schon tun,
Ich hab es ohnedem am schlimmsten unter euch.
Es läßt mich ja mein Herr den ganzen Tag nicht ruhn;
Bald muß ich den Soldaten gleich
Mit seinem Stocke Schildwacht stehn;
Bald muß ich gar darüber springen;
Bald muß ich ihm ins Wasser gehn,
Und den geworfnen Stein daraus zurücke bringen.
Insonderheit ist das mein heftigster Verdruß,
Wenn er spazieren fährt, und ich zu ganzen Meilen
Auf sein Begehren rückwärts eilen
Und ihm die Handschuh holen muß,
Die der verdammte Narr vorher doch in der Stadt,
Mit allem Fleiß vergessen hat.

Die andern führten auch ein jeder seine Klagen,
Der eine hatte dies, der andre das, zu sagen.
Packan tat drauf den Spruch, daß Pudel seinem Herrn
Den Stock durchaus nicht mehr passieren sollte,
Wofern er noch ein Herz im Leibe haben wollte:
So sollt er sich dawider sperrn,
Weil dies der Nation und seiner eignen Ehre
Am allermeisten schimpflich wäre.
Der Schinder hole mich! verschwur sich Pudel gleich,
Ich tu's auch weiter nicht; ja ja! versichert euch!
Ich werde mich nach Möglichkeit bestreben,
Dem ernstlichen Befehl vollkommen nachzuleben.

Hieraus geschah es nun, daß Pudel wiederum
Sein Hokuspokus machen sollte.
Was tat der Hund? Er stellte sich ganz dumm,
Kroch unter einen Stuhl, als wär er Leutescheu,
Als wüßt er in der Phantasei
Nicht, was man von ihm haben wollte.
Hopp! rief sein Herr. Fort! Pudel! He! Marschier!
Er hielt ihm immer noch den Stock getreulich für.
Der Meinung ganz gewiß, er würde drüber springen;
Doch der verstockte Hund war nicht dazu zu bringen.
Er sprach ihm gütlich zu, doch mit vergebner Müh.
Weil nun mit Freundlichkeit nichts zu erlangen stand
So schlug sein Herr das Teufelsvieh,
Von Wut und Eifer ganz entbrannt,
So lange bis es ihm den Stock aufs neu passierte.

Des Nachbars Hund, der fleißig spionierte,
Hatt unvermerkt den Streich mit angesehn,
Der unserm Pudel hier geschehn;
Er tats auch gleich den andern Hunden kund.
Als die Versammlung nun aufs neu zusammen kommen,
Ward Pudel öffentlich deswegen hergenommen.
Packan erklärt ihn selbst für einen Lumpenhund,
Den man zu Tode beißen möchte,
Weil er der Nation nur Schimpf und Schande brächte.
Ach! schrie der arme Tropf, ihr werdet mir verzeihn;
Ihr Herrn! Es hat mich ja kein Mensch dazu gezwungen,
Ich bin zwar übern Stock gesprungen;
Doch eben nicht aus Furcht; denn die nimmt mich nicht ein;
Seht, eh ihr mich verdammt, erst, ob ich unrecht habe!
Mein Herr bat mich darum mit aufgehobnem Stabe,
Drum mußt ich ja notwendig höflich sein.

*   *   *

Der Prügel ist zu aller Zeit
Ein schönes Argument, den Endzweck zu erlangen.
Wenn gute Worte nichts verfangen.
Die hölzerne Beredsamkeit
Ist für die Narren nur erdacht,
Die die Gelindigkeit verstockt und trotzig macht.

Die Bücher

In einem großen Bücherschranken,
Wo alles durcheinander stand,
Verleitete der prächtge Band
Einst einen Liebsroman zu närrischen Gedanken.
Sein schöner Rock bracht ihm die Meinung bei,
Daß er das beste Buch im ganzen Schranke sei,
Auch nicht einmal die Bibel ausgenommen;
Er hielt sich für beschimpft, nur neben ihr zu stehn,
Warum? ihr Band sah nicht so schön
Und nicht so kostbar aus, als der, den er bekommen.
Mein! sprach er, sagt mir doch, geehrte Nachbarin!
Was für ein Landsmann ist das Tuch zu eurem Kleide?
Ists etwan Nordertuch? Es steht so gut, wie Seide;
Verzeiht mir nur, daß ich so neubegierig bin;
Vielleicht ists eine Löwenhaut,
Dergleichen hier und da die Schwein in Polen tragen.
Ich will es eben zwar für ganz gewiß nicht sagen;
Jedoch wer seinen Augen traut:
Der schwüre drauf, daß es nicht anders war.
Es schreiben sich dergleichen feine Tücher
Gemeiniglich von Schweinfurt her;
Wonach der Einband ist, danach sind auch die Bücher.

Die Bibel schätzte dies Gespötte
Aus Großmut keiner Antwort wert;
Sie schwieg, und stellte sich, als wenn sie nichts gehört,
Noch weniger etwas davon verstanden hätte.
Die andern Bücher nahmen sich
Immittelst doch der Bibel treulich an;
Die Predigtbücher sonderlich
Bemühten sich, für sie und wider den Roman
Das Wort nach Möglichkeit zu führen.
Du Lästrer! sprachen sie, was hilft dir dein Stolzieren,
Und deiner Kleidung eitle Pracht,
Die beiderseits auf schlechtem Grunde ruhn?
Der Band macht nicht gelehrt; das muß der Inhalt tun;
Du bist ja nur zum Zeitvertreib gemacht;
Der Nutzen ist sehr schlecht und ziemlich kurz gemessen;
Sobald man dich einmal gelesen hat;
So stängelt man dich hin, so hat man deiner satt.
Man liest ein neues Buch, und deiner wird vergessen;
Weil einem der Geschmack und alle Lust vergeht,
So bald man weis, was in dir steht.
Der Bibel gegenteils wird niemand überdrüssig,
Ihr Endzweck ist von größter Wichtigkeit;
Da ihr Romane stets entbehrlich, überflüssig,
Und schädlicher, als nützlich seid.
Die Bibel kann kein Mensch entbehren,
Dich aber wohl; ja ja! Man sollte dich,
Und zwar der Jugend sonderlich,
Mit aller Macht verbieten und verwehren.

O, sprach das Liebesbuch, ihr pergamentnen Herrn!
Nehmt ihr nur selbst den Wanderstab!
Ihr mögt euch wider mich auch noch so heftig sperrn:
Ihr predigt mir gleichwohl mein schönes Kleid nicht ab.
Verdien ichs nicht? Was schadts? Gnug! daß ich es besitze;
Kurzum, gehabt euch wohl! mich schläfert, gute Nacht!
Ja schlaf nur! riefen sie, du bist zu sonst nichts nütze.
Indessen lernen wir aus deiner eitlen Pracht,
Das schönste Kleid wird oft für einen Narren gemacht.

Der Zaun

Ein alter Zaun, der ziemlich höflich war,
(Denn wenn der Wind recht ging, so schien es manchmal gar,
Als wenn er in der Tat die Leute grüßen wollte)
Bat seinen Herrn, damit er ihn
Mit frischen Pfählen stützen sollte.
Hört, sprach er, wo ihr denkt noch länger zu verziehn,
Mit Rat und Tat mir an die Hand zu gehen:
So fall ich um; ich kann unmöglich länger stehen.
Zwei Pfähle tun es schon, mehr brauch ich itzund nicht,
Das wird so viel nicht kosten können;
Denn wenn mich Sturm und Wind nun vollends gar zerbricht,
So ist der Schaden ja gedoppelt groß zu nennen.
Ich bitt euch, überschlagt es doch!
Ein neuer Zaun kommt hoch; stützt lieber euern alten!
Ich rat euch gut; ihr könnt mich itzund noch
Mit wenigem im Stand erhalten,
Dadurch erspart ihr viel. Der Rat war billig gnug;

Jedoch der Grundherr war, wie junge Leute sind,
Auf seinen Nutzen nicht recht klug;
Indem er noch dazu von Herzen drüber lachte,
Wenn ihm der morsche Zaun, bei Regen, Sturm und Wind,
So tiefe Reverenze machte.
Inzwischen faulten nach und nach
Die Pfähle vollends ab, so daß er gar zerbrach.
Er sank auf einmal um, als wollt er nieder kauern,
Und stürzte vor sich hin. Da lag der Zaun nunmehr,
Als wenn er umgeblasen wär,
Wie dort zu Jericho die Mauern.
Hätt ihn sein Herr gestützt, ich glaub er stünde noch.
Erst ließ der schlechte Wirt sich wenig Kosten reuen;
Nun durft er nicht einmal den größren Aufwand scheuen,
So ungern ers auch tat, der Notfall zwang ihn doch,
Für mehr als zehnmal so viel Geld,
Durch einen neuen Zaun die Grenzen zu verwahren.

*   *   *

Dergleichen Wirte gibts noch sehr viel in der Welt,
Die einen Gulden zu ersparen,
Den sie der Notdurft reichen sollen,
Viel lieber künftig gar zwölf Gulden darben wollen.

Der Igel

Ein Igel, den man sich nicht fauler wünschen kann,
Sah jeden Tag für einen Sonntag an;
Drum lag er stets in seinem Loche
Und feierte die ganze Woche
Aus angemaßter Heiligkeit.
Er brachte seine Lebenszeit,
So, wie er sprach, in gottgelassner Ruh
Mit geistlichen Gedanken zu.
Er bat die andern oft, das Stehlen abzuschaffen:
Wie mögt ihr, rief er aus, in das, was zeitlich ist,
Euch stets so unerlaubt vergaffen!
Weh dem, der sich den Fluch an fremdem Brote frißt!

Die ganze Nachbarschaft bewunderte sein Leben.
Ein Muselmann kann seinen Mahomet
Kaum mehr verehren und erheben.
Er fastete und war dabei doch dick und fett;
Daher entstund der Ruf, die Engel speisten ihn.
So ungewohnt und neu auch diese Sache schien:
So war sie für das Volk, das es nicht besser wußte,
Gleichwohl ein Glaubenswort, das niemand leugnen mußte.
Besonders der gemeine Mann,
Der allen Lügen Raum und Beifall geben kann,
Nahm dieses Wunder gleich mit aller Ehrfurcht an.

Den Igel hätt ich sehen wollen,
Der diese Fabel nur in Zweifel ziehen sollen;
Die andern hätten ihn gleich auf der Stell zerrissen.
Der englische Betrug ward endlich offenbar.
Des Heuchlers Vetter starb, der sonst sein Engel war,
Der ihn, doch insgeheim und ohn der andern Wissen,
Beinah ein ganzes Jahr zeither ernähren müssen.
(Mein! sagt mir doch, wo mehr dergleichen Vettern sein?)
Früh sprach der gute Freund in allen Gärten ein.
Trotz ihren hocherhabnen Zäumen!
Und wälzte sich mit Fleiß hier unter allen Bäumen.
Das abgefallne Obst, das sich durch diese List
An seinen Stacheln aufgespießt,
Gab ihm beim weitergehn nach Hause das Geleite.
Drauf lief der Schalk und trug die mitgebrachte Beute
In aller Still dem frommen Vetter an,
Und teilte mit ihm das Obst, das er gestohlen.
Der Heuchler fraß es im verhohlen.
Er tat auch wohl und klug daran;
Weil man viel leichter fasten kann,
Wenn man sich erst recht satt gegessen.
Jedoch als sein Versorger tot;
So bracht ihm niemand mehr zu essen;
So ward er von der Hungersnot
Gezwungen auszugehn, und selbst mit Schweiß und Müh,
In Gärten hier und da sein täglich Brot zu suchen.
Anstatt der andern Raub noch ferner zu verfluchen,
Stahl er nun selbst und war ein Dieb so gut, wie sie.

*   *   *

Wer gnug zu leben hat, kann leicht zufrieden sein
Und die Gerechtigkeit als eine Tugend preisen;
Ach! risse nur einmal der Mangel bei ihm ein,
Die Sache würde sich alsdann schon anders weisen.

Der Schemel und die Stühle

Ein Dutzend Stühle in einem Zimmer
Verspottete den Schemel immer,
Der bei der Stubentür im Winkel sich befand.
Nicht daß man darauf sitzen sollte;
Die Köchin trat nur drauf, damit sie hoch gnug stand,
Wenn sie die Wanduhr stellen wollte.
Die Stühle nannten ihn den Herrn von
Bon repos.
Juchhe! rief einer aus, wir haben uns zu freun,
Es wird in kurzer Zeit hier eine Hochzeit sein,
Der gnädige Holzbock dort hat einer Schütte Stroh
Sein hohes Jawort schon gegeben;
Denn gleich und gleich gesellt sich gern.
Mein! sprach ein andrer Stuhl, seht doch den großen Herrn!
Er mag mit uns nicht in Gemeinschaft leben;
Drum steht der Narr im Winkel dort allein.
Hört, schrie der dritte Stuhl, welch Zeit mags itzund sein?
Herr Nachbar! sagt uns doch, wie viel die Uhr geschlagen?

Ihr Spötter! rief der Schemel aus,
Ich weis davon so viel, als eine tote Maus;
Inzwischen sagt mir doch, was heißt das närrische Fragen?
Ich glaube, daß ihr mich damit zu ärgern denkt;
Allein verzeiht mir nur, es wird euch nicht gelingen.
Wer losen Mäulern sich zu Liebe grämt und kränkt,
Der wird sein Leben kaum zur halben Hälfte bringen.
Ich mach euch diese Freude nicht;
Ich leb itzt ohnedem in meinen besten Jahren.
Daß ich ein Schemel bin, wie man verächtlich spricht,
Das weis ich schon, ich darfs von euch nicht erst erfahren.
Allein was kann denn ich dafür,
Daß man aus mir mit Fleiß was schlechtes schnitzen wollen?
Hätt ich mich selber machen sollen:
Vielleicht wär ich auch ein Stuhl so gut, als ihr;
Ihr seid das, was ihr seid, so wohl als ich aus Gnaden.
Drum laßt mich doch nur stehn, und gönnt mir diesen Ort!
Doch nein! ihr wünscht mich lieber fort,
Und zwar zu eurem eignen Schaden.

Hierauf geschah es nun, daß jemand ungefähr,
Als wenn es so bestellt und abgeredet wär,
Den Schemel aus der Stube nahm.
Da nun des Morgens früh die Köchin wiederkam,
Und keinen Schemel fand: So trat sie auf die Stühle.

*   *   *

Der Großen Spötterei hat den gemeinen Mann,
Den man doch in der Welt nicht leicht entraten kann,
Gemeiniglich zu ihrem Ziele.
Allein sie sehn die Sache nicht recht ein.
Gesetzt der Bauer stirbt, wer soll den Adel nähren?
Wenn keine schlechten Leute wären:
So könnt auch niemand vornehm sein.

Die weiße Maus

Ein Bauer fing einst eine weiße Maus.
Die Nachricht davon lief gleich durch das ganze Haus,
Weib, Kinder, Magd und Knecht, bis auf den Lämmerjungen,
Der nicht zugegen war, kam gleich herbei gesprungen,
Das schöne Tierchen anzusehn;
Dergleichen seltner Fang war niemals noch geschehn.
Sie wunderten sich alle drüber,
Und wußten sich nicht gnug deswegen zu erfreun.
Nur bloß des Bauern Weib schien ganz bestürzt zu sein,
Die Augen gingen ihr vor Furcht und Schrecken über.
Ach! rief sie, dies bedeutet was.
Die Maus sieht nicht umsonst so blaß.
O Kinder, bessert euch, es wird ein Sterben kommen!
Wiewohl, man lachte sie mit dieser Deutung aus.

Inzwischen ward die wundervolle Maus
Nach Möglichkeit verpflegt, und wohl in Acht genommen.
Es ging ihr weiter nichts, als nur die Freiheit ab;
Die Kinder reichten ihr stets mehr, als sie verzehrte,
Brot, Semmel, Kuchen, Fleisch, und was ihr Herz begehrte.
Man ließ sie keinen sehn, der nicht ein Trinkgeld gab.
Dies trug dem Bauer schon was ein;
Drum ließ er seiner Maus vollauf zu fressen geben,
Und wünscht ihr noch dazu ein rechtes langes Leben;
(So eigennützig sind die Wünsche insgemein!)

Die andern ordentlichen Mäuse
Beneideten ihr nun den Vorrat ihrer Speise;
Sie gönnten ihr die guten Tage nicht.
Ach! seht doch, sprachen sie, mit mißvergnügtem Blicke,
So schrecklich ungleich teilt das Glücke,
Daß klugen Leuten oft das trockne Brot gebricht.
Damit die Narren nur recht kostbar schmausen können.
Die hier so wohl versorgte Maus
Ist eine Maus, wie wir; was hat sie denn voraus?
Ist denn der Welt an ihr mehr als an uns gelegen?
Vielleicht der weißen Haare wegen,
Die endlich noch wohl leidlich stehn,
Und unsern grauen kaum an Werte gleiche gehn.

O Schade! sprach die Maus, für meinen Überfluß!
Dies alles, was ihr rühmt, gereicht mir nur zur Plage;
Die Freiheit, die ich darben muß,
Versalzet mir die scheinbar guten Tage.
Der Hunger, der euch drückt, fällt lange nicht so schwer,
Als der verwehrte Trieb, sein eigner Herr zu sein.
Ihr Toren! wüßtet ihr, wie mir zu Mute wär:
Ihr würdet mir gewiß mein Schicksal nicht beschrein.

*   *   *

Und sollte man nur manchen Hofmann fragen,
Der allem Ansehn nach, von Not und Kummer frei,
Vergnügt und prächtig lebt, wie ihm zu Mute sei?
Er würd euch eben das vielleicht zur Antwort sagen.

Der Degen und der Bratspieß

Ein Bratspieß rief einst einem Degen zu:
Herr Bruder! guten Tag! wie gehts? wie lebest du?
Was? Ich dein Bruder sein? versetzt der Degen,
Du grober Kerl! was macht dich so verwegen,
Mich dir an Würden gleich, auf deutsch, für nichts zu schätzen?

O schweig! du kommst bei mir wahrhaftig unrecht an.
Bin ich denn, sprach der Spieß, nicht auch ein Ehrenmann?
Du mußt mich eben nicht so tief herunter setzen.
So vornehm als du bist, so vornehm bin auch ich,
Ich mag dich nicht einmal zu meinem Bruder haben;
Du Mörder! dein verfluchter Stich
Hat manchen schon durchbohrt, und Lung und Herz durchgraben.
Was hast du nicht für Krüppel schon gemacht,
Und manchen tapfren Held um Arm und Hand gebracht!
Geh, und berühm dich noch mit deinen Mordgeschichten,
Und mache, wie du willst, vom Blutvergießen Staat,
Den Menschen, Gottes Werk, verstümmeln und vernichten,
Ist eine schlechte Heldentat.

Kerl! raisonniert nur nicht! schrie der erboste Degen,
Mein Handwerk bringt der Welt schon Nutzen gnugsam ein;
Wer würde sonder mich doch wohl im Stande sein,
Recht und Gerechtigkeit zu hegen?
Auf meiner Spitze pflegt der Länder Glück zu ruhn;
Im Felde muß ich stets die besten Dienste tun,
Den Feind gewaltsam aufzureiben,
Den mein erfochtner Sieg erlegt, verjagt, zerstreut;
Du kannst dafür daheim, mit mehr Gemächlichkeit,
Bei deinen Kälbervierteln bleiben!
Das Fett, das davon rinnt, ist eine schlechte Beute.

Indessen werden doch, sprach unser Spieß, die Leute
Von meiner Arbeit fett, von deiner krumm und lahm;
Deswegen sind dir auch die mehrsten Menschen gram,
Mir sind sie gegenteils fast alle wohlgewogen;
Ich bin, gesteh es nur! weit nützlicher, als du.

Der Degen sprach: Das ist erlogen.
Schau, dort kommt jemand auf uns zu,
Der mag uns, wenn du willst, entscheiden.
Es sei so, rief der Spieß, das kann ich gar wohl leiden.
Der Schiedsmann war ein armer Kohlenmann,
Der kein gebratnes Fleisch sein lebenlang gerochen,
Geschweige denn gespeist. Man hielt ihn freundlich an.
Was meint ihr, wem er recht gesprochen?
Der Mann erwählte sich den Degen,
Und hieb im Walde mit die wilden Tiere tot;
Bei seinem Stückchen Käs und Brot
War ihm am Bratspieß nichts gelegen.

*   *   *

Man strebt umsonst nach Ansehn, Rang und Ehren,
Bei Leuten, die uns leicht entraten und entbehren.
Wer uns nicht nötig hat, ist auch nicht unser Freund.
Wer hätt wohl viel von dem, was ihm nicht brauchbar scheint?
Der Bratspieß war schon gut; allein der Kohlenbrenner
War überhaupt davon ein gar zu schlechter Kenner.

Der Säufer

Ein reicher junger Herr begab sich einst auf Reisen;
Des Nutzens wegen? Nein! er reiste nur, wie wir,
Aus Wollust und aus Neubegier,
Die ließ er sich den Weg zu Schand und Lastern weisen.
In Deutschland lernt er nichts, als heldenmäßig saufen;
In Frankreich, wo man sich ein weit Gewissen macht,
Ward ihm der Kunstgriff beigebracht,
Der Unschuld und der Zucht mit Ehren zu entlaufen.
Die grünen Bärtgens* lockten ihn,
Von da nach England zu ziehn.
Er schluckte manches Hundert ein;
Man sagt ihm, daß sie auch nicht gern im Trocknen lägen,
Drum mußte drauf gesoffen sein.
Der Portwein schmeckt ihm gut. Kurz, der Verdauung wegen
Besoff er sich manchmal, daß er zu Boden sank.

*Bärtgens/
Groenbaarties sind die besten englischen Austern.

Einst macht ers gar zu bunt. Er wurde sterbenskrank,
So elend, daß es schien, er würde gleich beschließen.
Es sprang ihm niemand bei mit Rat und Trost und Hand,
Warum? Er war hier noch zu fremd und unbekannt.
Bloß das mitleidige Gewissen,
Das nebst der Mäßigkeit in England seßhaft war,
Besorgte sich um ihn; es wußte die Gefahr,
Die diesem Zungen Herrn den Untergang gedräut.
Auf! sprach es zu der Mäßigkeit,
Frau Schwester! komm, geh mit, den Kranken zu besuchen;
Ich weis wohl, daß er sich an dir versündigt hat,
Wir könnten ihn mit Recht, so hassen, als verfluchen;
Doch wo ich bitten darf, gib der Erbarmung statt!
Der Zuspruch wird vielleicht nicht ohne Nutzen sein.

Die Mäßigkeit ging mit. Sie fanden nun den Kranken
Bei ziemlich nüchternen Gedanken,
Er bat, sie möchten ihm nur diesmal noch verzeihn;
Er schwur auch noch dazu der künftgen Bessrung wegen.
Ach! helft mir, fuhr er fort, und geht und sucht für mich,
Beim Jupiter ein gut Wort einzulegen;
Erzählt ihm meine Reu; vielleicht erbarmt er sich,
Und macht mich wieder frisch. Drauf gingen sie nun fort,
Und hinterließen ihm ihr Wort,
Sie wollten für sein Leben bitten;
Nur möcht er künftig ja sich vor dem Weine hüten:
Denn wo er sich noch einmal so verginge;
So war es aus mit ihm, und kein Erretten mehr.

Ihr Vorspruch fand bei Gott zwar leicht und bald Gehör,
Doch anders nicht, als unter dem Bedinge:
Sie müßten beiderseits, wie bei dergleichen Fällen
Es sonst gebräuchlich sei, für den geschwornen Eid
Der künftig bessern Nüchternheit
Drei, monatliche Bürgschaft stellen.
Denn, sagte Jupiter, wenn ihr es nicht versteht,
Ich weis es schon, wie's heut zu Tage geht,
Der Bursche wird den Schwur bei guter Zelt vergessen;
Ich halte mich an euch. Sie sprachen unterdessen,
Aus guter Meinung, gut, und bildeten sich ein,
Der Kranke würde seinen Eid,
Zum wenigsten so eine kurze Zeit,
Zu halten in dem Stande sein.
Sie redeten ihm zu, sich nicht zu übernehmen,
Damit sie nicht durch ihn in Schimpf und Schaden kämen.

Acht Tage hielt er sich. Drauf kam er in ein Haus,
Wo Punsch getrunken ward. Hier ging sein Eid zu Ende.
Er nahm den Löffel in die Hände,
Und leerte einen Napf stets nach dem andern aus.
Der Mäßigkeit und dem Gewissen
Ward bange mit der Caution.
Laß gnug sein! sprachen sie, du hast die Labung schon;
Denn wo du dich besäufst: So kannst du leicht schließen,
Was drauf erfolgen wird; bedenke deinen Eid:
Komm fort! itzt ist die hohe Zeit.
Allein was war zu tun? Der Kerl wich nicht vom Platze;
Er macht es grade wie die Katze,
Die, wie
la Motte schreibt, den teuren Eid vergaß,
Und zwar kein Vogelfleisch doch Fledermäuse fraß.
Ihr Bitten, Stoßen, Warnen, Winken,
War alles ohne Frucht. Er sprach: Was wirds denn sein?
Ist das nicht gut genug? Ich saufe keinen Wein;
Ich suppe nur: Wie kann ich mich betrinken?
Ihr und Gott Jupiter könnt über mich nicht klagen,
Ihr wolltet mir denn gar das Essen untersagen.

Inzwischen ward er voll, fiel untern Tisch, schlief ein.
Gott Jupiter, schien sehr ergrimmt zu sein;
Er ließ die Bürgen vor sich kommen,
Sie wurden auch gleich in Verhör genommen;
Sie sagten: lieber Gott! wir sind nicht Schuld daran,
Wir haben beiderseits das Unsrige getan;
Wir haben ihn gewarnt, wir haben ihn gebeten,
Den Eidschwur nicht zu übertreten.
Er hat uns nicht gefolgt. Ihr bleibt in meiner Huld,
Rief der erzürnte Gott: ich geb euch keine Schuld;
Deswegen such ich das Verbrechen,
Auch an dem Täter nur, und nicht an euch zu rächen.
Geht hin, und meldet ihm die längste Krankheit an.

Der Säufer ward nunmehr aufs Bette hingerissen.
Ach! sprach die Mäßigkeit, ingleichen das Gewissen,
Der arme Mensch ist übel dran;
Sein Elend geht ihm recht zu Herzen.
Er winselt und beklagt sich über tausend Schmerzen;
Doch gleichwohl weis er nicht sein Unrecht einzusehn,
Es scheint, er glaube gar, ihm sei zuviel geschehn.
Das ists, sprach Jupiter, dem Narren ist nur leid,
Daß er die Strafe fühlt, die ich ihm zugesprochen,
Nicht, daß er seinen Eid gebrochen.

*   *   *

Ihr armen Schlesier! Ihr seufzet, heult und schreit.
Warum denn? Weil ihr itzt viel Not und Hunger duldet;
Nicht darum, daß ihr ihn verschuldet.
Der Säufer war ein Narr: Sagt, ob ihr klüger seid?

Das Windspiel und der Dachshund

Ein Windspiel stach einst einen Dachshund an,
Als hätt ihn die Natur nur oben hin gemacht.
Du hast zwar einen Leib, doch keine Beine dran,
Du bist ein halber Hund, und wirst nur ausgelacht;
Mich jammert nur dein ehrliches Gemüte,
Dem wider alles Recht so viel zu kurz geschehn;
Geh nur, verkreuch dich in die Hütte,
Und laß dich gar nicht weiter sehn.

Allein der Dachshund sprach: Mein Freund! du irrest, sieh;
Wir Tiere sind an Gaben verschieden.
Ich bin so, wie ich bin, mit der Natur zufrieden.
Wenn ich ein Windspiel worden wär:
So würd ich freilich nicht so niederbeinigt sein.
Ein Dachshund, so wie ich, braucht keine längren Füße,
Und wenn mir die Natur die deinen überließe:
Was brachte mir der Tausch doch wohl für Vorteil ein?

Ha ha! Mehr als zu viel! rief unser Windspiel aus,
Siehst du den Hasen dort auf jener Wiese springen?
Bedenk einmal, wie weit er schon voraus,
Den will ich gleich zurücke bringen;
Was meinst du? Hast du Lust zu wetten?
Es soll mir gar was leichtes sein;
Ich weis gewiß, du holest ihn nicht ein,
Und wüßtest du dir auch das Leben mit zu retten;
Versuchs und tu mirs nach! In einem Augenblicke
Kam der geschwinde Hund dem Hasen glücklich bei,
Und brachten im Triumph, mit vieler Prahlerei,
Sogleich aus seiner Flucht zurücke.
Schau, sprach er, das kann ich! Ist nun mein Vorzug klar?

Der Dachshund ward zu seinem Glücke
Von weiten einen Dachs gewahr.
Herr Bruder! sprach er, hol mir den:
So will ich dir gewonnen geben.
Der Windhund sagte: Gleich! du wirst dein Wunder sehn.
Er stieß getrost drauf los; allein er kam daneben,
Der schlaue Dachs begab sich in sein Loch.
Der Windhund trat davor, stieß grobe Reden aus,
Und forderte den Dachs heraus,
Der Dachs, der immer tiefer kroch,
Nahm keinen Schimpf nicht an. Ha! rief er, so verwegen?
Ich komm dir nicht hinaus; itzt ist mirs nicht gelegen;
Erspar dir nur die Müh; du wirst dir nichts erstehn;
Du kannst indessen schon einmal nach Hause gehn,
Du möchtest sonst auf mich zu lange warten müssen.
Geh nur! ich mag von dir nichts wissen.

Der Dachshund kam dazu. Wie, sprach er, siehts denn aus?
Wo hast du deinen Feind? Der Sieg währt trefflich lange!
Dort kroch er in das Loch. Nu, hol ihn nur heraus!
Ist dir etwan der Eingang zu gedrange?
Mir nicht. Schau her! So muß mans machen.
Er kroch dem Dachse nach, und zog ihn gleich hervor.
Gelt! rief er, lauf nun hin, und schreib dirs hinters Ohr:
Man müsse keinen nicht so schlechterdings verlachen,
Es fallen überall die Gaben ungleich aus.
Doch hat ein jeder stets vor andern was voraus.

Die Spinne und die Bienen

Die größte Spinne von der Welt,
Ein rechter Vampir für die Fliegen,
Hatt einst, um ihren Durst nach Blute zu vergnügen,
Ihr selbstgemachtes Garn recht künstlich aufgestellt.
Den Ort der Stallung gab das Dach an einem Hause,
Woran das Schwalbenvolk sonst anzubauen pflegt.
Hier hatte sie den Grund zu ihrem künftgen Schmause
Den Fliegenkirchhof angelegt.

Indem sie nun so saß, und auf ihr Wildbret paßte,
Durchflog ein Bienenschwarm das nahgelegne Feld,
Und bat sich auf den Klee hier gleichsam selbst zu Gaste,
Als ein berühmtes Volk, das viel von Blumen hält.
Die Spinne schrie die Bienen neidisch an:
Was wollt ihr? packt euch fort! ihr habt hier nichts verloren.
Die Blumen sind für mich, und nicht für euch geboren.
Die Bienen kehrten sich nicht dran,
Und schmausten ungestört drauflos.
Die Spinne, welches dies um desto mehr verdroß,
Rief: Hört! der Bauer kommt! der wird euch Dieben schon,
Die Mahlzeit zu gesegnet wissen.
Ich rat euch gut, fliegt lieber bald davon!
Er tritt euch ganz gewiß mit Füßen;
Ich kenn ihn schon an seiner trotzgen Miene.

Wir sind so blöde nicht, sprach eine junge Biene,
Den will ich sehn, der uns die Blumen hier verwehrt,
Und uns in unsrer Arbeit stört;
Wir lassen uns so leicht nicht furchtsam machen.
Bekümmre dich nur selbst um dich und deine Sachen.
Was? hörte man die Spinne schrein,
Ist das erlaubt, ein Weib von so viel Jahren
So unbescheiden anzufahren?
Ich könnte, grobes Tier! schon deine Mutter sein.
Wo bleibt die Höflichkeit, die du mir schuldig bist?
Ein Kind, das, so wie du, noch nicht weit kommen ist,
Muß alten Leuten nicht so trotzig widersprechen.

Je! sprach die Honigsammlerin,
Was hab ich denn gesagt? Ist das denn ein Verbrechen,
Daß ich so offenherzig bin?
Wenn du gleich älter bist - - wiewohl das fragt sich noch;
Das Alter, welches uns mit Ehr und Rang vermählet,
Wird nur den Taten nach, nicht nach der Zeit gezählet;
Was weißt du Gutes von dir? Wohlan! erzähl mirs doch,
Und zeige mir, wie weit du älter bist, als ich;
Ich schätz dich in der Tat viel jünger noch, als mich,
Ich geh ins dritte Jahr. Gut! rief die Jägerin:
So rechne denn einmal, ob ich nicht älter bin?
Mein Alter hat bereits das sechste Jahr erstiegen.

O! fuhr die Biene fort, darauf kommts hier nicht an;
Sag erst, was hast du denn die ganze Zeit getan?
Ich spinne, wie du siehst, und lebe von den Fliegen,
Die sich in meinem Garn versitzt.
Wem, gab die Biene drauf, hat dieses was genützt?
Dem Menschen? dem wir Tiere dienen?
O nein! ihr Spinnen dient nur euch;
Ganz anders ist es mit uns Bienen.
Wir dienen uns, doch andern auch zugleich.
Den Honig, welchen wir, nach der gewohnten Art,
Als einen Schatz in unsre Zellen tragen,
Wird halb für unsern Wirt, halb für uns selbst gespart;
Was ist der Welt gedient mit deinem Fliegenjagen?
O wer sein Lebenlang, von seiner Kindheit an,
Wie du, nichts nützliches getan:
Der mache sich nur nicht mit seinen Jahren breit;
Verdienste machen groß, nicht die verfloßne Zeit.
Das Alter an sich selbst ist gar kein Ehrenzeichen;
Es ist vielmehr ein Schimpf für dich und deinesgleichen;
Und wärest du so alt, als Erd und Himmel sind,
Du bleibst, dem Werte nach, gleichwohl noch stets ein Kind.

Die Tugenden und das Laster

Ein abgelegner Ort, von Bäumen dicht umgeben,
Bewog die Tugenden, bei ihrem müßgen Leben
Sich hier durch einen Spaß die Grillen zu vertreiben.
Sie wählten sich das Heiratsspiel;
Warum? das Frauenvolk hält vom Hochzeitmachen viel,
Sie wollen insgesamt nicht gerne Jungfern bleiben.
Die Großmut paarte sich hier mit der Gütigkeit;
Die Keuschheit ward durchs Los der Liebe beigezählet,
Die Demut hatte man der Gottesfurcht vermählet;
Die Tapferkeit ward Braut mit der Bescheidenheit.
Es ward auf diesen Fuß so lange fortgefahren,
Bis alle Tugenden teils Braut, teils Bräutgam waren.

Gott Jupiter sah eine lange Zeit
Der angestellten Lustbarkeit
Mit Wohlgefallen zu, rief aber endlich aus:
Was für ein Nutzen kommt aus diesem Spiel heraus?
Wißt ihr die edle Zeit nicht besser anzulegen?
Besinnt ihr euch nicht mehr, daß ihr der Menschen wegen
Von mir erschaffen seid? Nur fort mit euch von hier!
Dort bei den Menschen müsset ihr
Euch suchen an den Mann zu bringen.
Bewerbet euch um sie! Es wird euch schon gelingen.
Geht! geht! doch daß ihr auch vonsammen unterschieden
Und auch zugleich beliebter seid:
So schenk ich hiermit einer jeden
Ein ihrer Art gemäßes Kleid.

Die Schar der Tugenden war nun dahin bedacht,
Durch Hilfe dieser neuen Tracht,
Sich bei den Menschen einzulieben;
Allein sie irrten sich in ihrer Rechnung sehr.
Sie fanden in der Tat bei wenigen Gehör;
Die mehrsten hatten sich den Lastern schon verschrieben.
Schien jemand gegen sie ein zärtlich Herz zu hegen:
So war es doch nur auf den Schein;
Man liebte sie nur bloß der schönen Kleidung wegen.

Den Lastern schien gleichwohl dabei nicht wohl zu sein,
Der Stolz, die Wollust und der Neid
Beschlossen einen Rat sogleich bei guter Zeit
Die Tugenden gewaltsam zu bekriegen.
Ihr Freunde sprach die List, wir werden uns betrügen,
Mit Nachdruck und Gewalt scheint hier nicht viel zu tun.
Der Sieg ist zweifelhaft; man laß es drauf beruhn;
Ich werde schon was wissen auszusinnen.
Ein kluger Streich kann oft mehr als die Macht, gewinnen.
Schon gut! itzt fällt mir gleich was ein,
Denn da die Tugenden nur bloß der Kleidung wegen
Bei vielen angenehm und gern gesehen sein:
So dürfen wir nur Hand zu Werke legen,
Damit wir sie um ihre Kleider bringen.
Sobald man sie wird nackend sehn:
Wird ihnen jedermann den Rücken schimpflich drehn.
Und sie, wie ehedem, aus Land und Stadt verdringen.

Dies traf auch alles richtig ein.
Die nackten Tugenden verloren ihre Freunde,
Dafür bekamen sie viel tausend neue Feinde;
Man suchte sie ohndem für zänkisch auszuschrein,
Für ein verbissenes Volk, das alles Sünde nennte,
Ein Volk, dem man den Kopf nicht tief gnug hängen könnte.
Kurzum, sie machten sich bei jedermann verhaßt.
Ihr frommer Eigensinn ward aller Welt zur Last;
Die Menschen wollten nichts von ihnen weiter wissen,
Indem sie sie verächtlich von sich stießen.

Die Tugenden beklagten sich
Drauf bei dem Jupiter, sein Mitleid zu erregen.
Des Kleiderraubs und der Verachtung wegen.
Allein der weise Gott sprach: Schweigt! Ich werde mich
Deswegen nicht erst selber rächen;
Die Menschen strafen sich hier selbst durch ihr Verbrechen.
Die Laster konnten sich ohn alle Furcht und Scheu,
Vor Jupiters gereizten Donnerkeilen,
In die gestohlnen Kleider teilen.
Der Rock der Gottesfurcht kam an die Heuchelei;
Der Geiz nahm den Habit der klugen Sparsamkeit;
Die Nächstenliebe mußt ihr Kleid
An die Verschwendung überlassen.
Wer wollte nun so schöne Laster hassen?
Und obgleich hier und da noch manche Tugend war:
So mußte sie doch stets, aus Furcht vor der Gefahr,
Verborgen vor der Welt, ganz schlecht und dürftig leben.
Den Lastern ward der Rang durchgehends Preis gegeben,
Die aller Augen an sich zogen,
Und in der frommen Tracht die ganze Welt betrogen.

*   *   *

Der Leser fragt vielleicht: Wo dies geschehen sei?
Allein ich setze hier den Ort mit Fleiß nicht bei,
O Einfalt! sprech ich drauf; was fragt man denn erst: Wo?
Es geht ja allenthalben so.