Der Kater
Ein Kater von der Cyperart
Bekam, so lang er jung, oft manchen guten Bissen
Von seines Wirtes Tisch; doch als er älter ward:
So wollten Herr und Knecht nichts weiter von ihm wissen.
Ein jeder suchte sich nun seiner zu entziehn.
Itzt, da ihm ihre Gunst am meisten nötig schien,
Verfolgt ihn, wer ihn sah. Man wollt ihn gar ermorden.
Er war vor Alter blind, auf alle Pfoten lahm,
Und zu der Mäusejagd schon längst unbrauchbar worden;
Deswegen war man ihm im ganzen Hause gram,
Man warf ihn endlich auf die Gasse,
Zum Zeichen, daß man sich um seinen Unterhalt
Nun weiter unbekümmert lasse.
Der Kater hatte nicht die Kraft und die Gewalt,
Nur einen Fußbreit fortzukriechen
Er rafft sich dreimal auf, und fiel, zu seiner Qual,
Auch dreimal wieder um, indem ihm jedesmal
Die Pfoten aus einander wichen.
Der Hunger kam dazu; der nagt ohn Unterlaß
An seinem nüchternen und brotgeleerten Magen.
Der Kater machte zwar hierüber viele Klagen;
Er maunzte fleißig gnug; doch niemand bracht ihm was.
Bis endlich aus des Nachbars Hause
Ein mitleidsvoller Pudel kam,
Der diesen kranken Freund auf seinen Rücken nahm.
Und bei des Stadtvogts Hochzeitsschmause,
Mit seiner neuen Last bis in die Stube kroch.
Er kam, doch nicht allein; er hatte viel Begleiter,
Und trat hier vor den Tisch mit seinem blinden Reiter.
Der Kater, der so gleich die warmen Speisen roch,
Sprach seinen Bettelspruch nach katzischem Gebrauch:
O speist und tränkt mich auch! mich auch! mich auch! mich
auch!
Das war ein rechter Spaß für unsre Hochzeitgäste!
Sie lachten sich halb krank. Ein jeder warf was hin,
Fleisch, Fische, Semmel, Brot. Der Hund war klug hierin,
Er sah und wählte sich das meiste und das beste.
Das nur, was übrig blieb, und was er selbst nicht fraß,
Das nahm er in das Maul, und langt es in der Eile
Dem Reiter zu, der auf ihm saß.
Der aber merkt es gleich, wie falsch man mit ihm teile;
Er murrte, weil der Hund das beste schon verzehrt,
Und warf ihm trotzig vor, er habe kein Gewissen.
Du irrest, sprach der Hund; denn wär ich nicht dein Pferd,
Was meinst du? Du bekämst wahrhaftig keinen Bissen;
Daß man dir hier was gibt, geschieht bloß meinetwegen,
Und wenn du nicht zufrieden bist:
So komm, ich will dich gleich auf jenen Haufen Mist
An deine alte Stelle legen;
Da hungre, wie du willst! Wer fremder Gnade lebt,
Tut närrisch, wenn er stets nach gleicher Teilung strebt;
So einer, der sich selbst mit nichts zu helfen weis,
Der muß so grob nicht sein, und Rechnung fordern wollen
Von Leuten, welche ihn, durch ihre Müh und Fleiß,
Aus bloßer Gnad, erhalten sollen.
Wer läßt sich wohl umsonst in eine Freundschaft ein?
Das Mitleid auch so gar will schon bezahlet sein.
Der
Bratenwender und die Wanduhr
Ein Bratenwender ließ sich einst die lange Ruh,
Die Frucht der magren Fastenzeiten,
Zu großer Ungeduld verleiten;
Er rief der nahen Wanduhr zu,
Die vor der Küche hing, und auf dem Zifferblatte
Den Mittag schon vorbei, und Eins gewiesen hatte:
Was machst du? Schau doch nach, woran dies etwan fehlt;
Der Weiser geht nicht recht; du hast dich sehr verzählt,
Und, wie aus dem Erfolg ganz deutlich zu ermessen,
Die elfte Stunde gar vergessen.
Vergessen? sprach die Uhr, schau! ob das möglich sei?
Mein Zeiger, wie du siehst, weist schon auf halber Zwei;
Das will ja ganz was anders sagen.
Der Bratenwender schrie: Das glaub ich nimmermehr!
Im Ernst! du gehst zu früh, es soll noch elfe schlagen;
Denn wenn es schon so langsam wär;
So hätt ich lange schon den Bratspieß wenden müssen;
Besinn dich nur! Es kann kaum halber Zehne sein.
Ich muß wohl, sprach die Uhr, am allerbesten wissen,
Wie viel ich schlagen soll; drum rede mir nicht ein;
Ein jeder muß sein Tun verstehen;
Und da du leider! nur ein Bratenwender bist,
Werd ich, als eine Uhr, die weit vollkommner ist,
Zu dir wahrhaftig nicht erst in die Schule gehen.
* * *
Ein jeder dünkt sich klug. So ists durch alle Länder,
Man tadelt Sachen oft, die unsers Tuns nicht sind,
Und daher kommt man auch mit seinem Unheil blind,
So wohl als hier der Bratenwender.
Der Apfelbaum
Ein junger Apfelbaum, der an dem Zaune stand,
Und gnug Gelegenheit hier fand,
Vor andern sich der Welt zu zeigen,
Bekam deswegen auch manch scheeles Angesicht.
Die andern gönnten ihm den kleinen Vorteil nicht,
Indem er mit den mehrsten Zweigen
Sich von dem Garten ab und auf die Gasse hing,
So daß ihn jedermann, der hier vorüber ging,
Erblicken und bewundern mußte.
Ein Kirschbaum, welcher seinen Neid
Am wenigsten zu bergen wußte,
Rief immer: Bückt euch doch aus Ehrerbietigkeit!
Seht doch den großen Herrn, der, mir und euch zur Schande,
Dort auf dem Zaune Gala macht,
Als wär er, wie er denkt, bei seiner schlechten Pracht,
Der schönste Baum im ganzen Lande;
Ich glaube gar, er sieht sich um,
Ob auch die Leute, die hier kommen,
Die Hüte vor ihm abgenommen;
Er macht sich recht mit Fleiße krumm;
In Wahrheit! gebt nur Achtung drauf!
Er legt sich auf den Zaun mit seinen Armen auf,
Als wenn ihm Jung und Alt die Äste küssen sollte;
Als wenn er jedermann geneigt umarmen wollte.
Ihr Spötter! sprach der Apfelbaum,
Gebt doch der Billigkeit vernünftig Platz und Raum!
Wie lange wollt ihr mich mit losen Reden quälen?
Der Gärtner, wie ihr wißt, hat mich hierher gestellt;
Und habt ihr ihm was zu befehlen:
So sagts; so setzt mich selbst wohin es euch gefällt.
Du Prahler, sagten sie, was stehst du dort allein?
Weswegen pflegst du dich der Gasse zuzukehren,
Als wenn wir, wie wir sind, nicht deines gleichen wären;
Du willst doch wenigstens was ganz besondres sein.
Ein alter Pflaumenbaum, der immer noch geschwiegen,
Rief endlich: Sagt mir doch, ihr Nachbarn! was ihr denkt?
Daß ihr den Apfelbaum des Vorzugs wegen kränkt?
O schweigt und gönnet ihm dies rühmliche Vergnügen,
Das einem Unglück ähnlich sieht;
Ihr wißt nicht, was es nach sich zieht,
Ich hab es auch gehabt, und mag es nicht mehr haben;
Wer stets nach Schlägen ringt, der tret an seine statt;
Ich dank es Gott, daß mich der Gärtner ausgegraben,
Und von dem Zaun entfernet hat.
Der Apfelbaum empfand die Wahrheit dieser Worte;
So bald er Früchte trug, erkannt er die Gefahr,
Die ihm an diesem freien Orte,
Von früh bis in die Nacht fast unvermeidlich war.
Beständig hing der Zaun voll klein und großer Jungen,
Die an den Blanken sich bis auf die Äste schwungen;
Der eine schlug ihn hier, der andre zerrt ihn da,
Und nahm die Äpfel, die er sah,
Noch eh sie kaum halb reif geworden.
Ach! helft mir! schrie der Baum; man wird mich gar ermorden!
O wohl euch, die ihr dort, wie im Verborgnen, steht,
Und lange nicht so viel Verdruß und Unrecht leidet!
Was meint ihr? Habt ihr mich nicht ohne Grund beneidet?
Ihr sehet es ja selbst, wie übel mirs hier geht.
* * *
Wer aller Augen nach sich zieht,
Hat bei dem besten Wohlergehen,
Weit mehr Verfolgung auszustehen,
Als der, auf welchen niemand sieht;
Wer wie im Winkel lebt, und im Verborgnen wohnet,
Wird, weil ihn niemand kennt, von Neid und Haß verschonet.
Die
Redlichkeit und der Eidschwur
Die alte Redlichkeit sah einen Eidschwur gehn;
Hört! rief sie, guter Freund! bleibt doch ein wenig stehn,
Und sagt mir, wer ihr seid. Ich bin ein Advokate,
Und heiße so und so; wer aber bist denn du?
So viel ich ungefähr aus deiner Tracht errate,
Geht dir an Ehr und Glück vielleicht mehr ab, als zu;
Ich glaube gar, du gehst hausieren;
Pfui! Betteln steht nicht hübsch. Ach! sprach die
Redlichkeit,
Ich weis ja sonst nichts zu hantieren,
Und würde mir dabei das Leben noch so leid;
Warum verstößt man mich, so daß ich voll Verdruß,
Von Haus und Hof verjagt, das Elend bauen muß?
Du, fing der Eidschwur an, bist um das Deine kommen?
Hast Haus und Hof gehabt? Wer hat dirs denn genommen?
Wer sind die Leute, die dich pressen?
Und daß du sehen sollst, wie groß mein Mitleid sei,
Schau! wo du schwören kannst: So helf ich dir aufs neu
Zu allem, was du je besessen;
Wie will ich, fuhr er fort, und pocht auf seine Brust,
Dein längstverstorbnes Recht von Toten auferwecken!
Wie will ich, mit gerechter Lust,
Die Räuber deines Glückes in Kett und Banden stecken!
Ich müßte mich denn sehr betrügen,
Sonst seh ich sie im Geist schon auf dem Rade liegen.
Es geh nun wie es geh; verlaß dich nur auf mich;
Allein wo bist du her? und wie nennst du denn dich?
Ich muß doch wissen, wem ich diene.
Ich, sprach das arme Weib, mit einer blöden Miene,
Bin noch von jener Welt; man heißt mich itzger Zeit
Die alte deutsche Redlichkeit,
Lauf! schrie der Advokat, ich zieh mein Wort zurücke;
Dein Unglück ist der Grund zu meinem eignen Glücke.
Wenn ich dir diente; So dient ich wider mich;
Gesetzt ich wär ein Tor und unterstützte dich:
Ich würde mir dadurch ja selbst die Grube graben;
Wo du bist, wird man mich nicht weiter nötig haben.
* * *
Wenn alle Schelmen redlich wären,
So dürfte man nicht mehr sein eignes Wort beschwören,
Wie in der allerersten Zeit,
Als niemand damals noch von einem Eidschwur wußte.
Als noch das Ja! und Nein! der alten Redlichkeit,
Mit weit gewißrer Sicherheit,
Im Handel und Gericht den Ausschlag geben mußte!
Die Eulen und die
Schwäne
Dort, wo ein seichter Strom ein alt und wüstes Schloß
Von allen Seiten her umfloß,
Da sungen, wenn die Nacht den Himmel überzieht,
Die Eulen allemal ihr spätes Morgenlied,
Und ließen, Trotz den Nachtigallen!
Den Menschen zum Verdruß, hier ihre Stimm erschallen.
Sie wunderten sich oft, daß um das Schloß herum
Die Schwän im Wasser stets pausierten;
Und daß sie nicht zugleich mit ihnen musizierten.
Ihr Nachbarn! sagten sie; seid ihr denn immer stumm?
Wollt ihr den Schöpfer nicht durch euer Loblied ehren?
Laßt euch doch auch einmal, wie unser einer, hören!
Bestätigt euren Ruf! ihr wißt ja, daß die Welt
Euch für die besten Sänger hält.
Ihr wißt, daß euer Nam schon längst im Musenorden
Ein Bei- und Ehrenwort der guten Dichter worden;
Daher sich auch zu unsrer Zeit
Die Eib- und Pleiß- und Oveiß- und Boberschwäne schreiben.
Wollt ihr nun im Besitz des guten Rufes bleiben:
So zeigt uns doch einmal, was ihr für Sänger seid;
Wenn euch die Menschen gleich vom Hörensagen preisen;
Wer unsern Beifall sucht, der muß uns Proben weisen.
Verzeiht uns, sprach ein Schwan, wir wissen unsre Pflicht;
Wir Schwäne singen eher nicht,
Als nur den Augenblick, wenn wir die Welt verlassen;
Bis dahin müßt ihr schon mit eurer Neugier passen.
Wiewohl der rechte Grund von ihrem Schweigen war
Die augenscheinliche Gefahr,
Sich durch ihr wirklich heischres Singen,
Um den erlangten Ruf zu bringen.
* * *
Wie mancher, den der Ruf auf den Parnaß gebracht,
Wär auch, dem Rufe nach, ein Dichter stets geblieben,
Hätt er nur kein Gedicht geschrieben
Und öffentlich bekannt gemacht.
Der
Klavierspieler auf dem Turme
Ein kleiner Organist, und wo denn? auf dem Lande,
Ein Mann von großem Unverstande,
Der gleichwohl, seiner Meinung nach,
Den Pleißamphion selbst, den weltberühmten Bach,
So, wie das Sprichwort sagt, in Sack zu spielen wußte,
Beging oft manchen tollen Streich,
Der ihn und seinen Stolz zugleich,
Zum Spott der Bauern machen mußte.
Ich will dem Leser hier davon was offenbaren.
Der Graf von N. N. kam einst durch das Dorf gefahren.
Herr Nachbar! sagte man, den macht euch itzt zum Gönner!
Er ist von dem Klavier ein ganz besondrer Kenner;
Wenn der euch spielen hört; wie würd er sich erfreun!
Es würde wenigstens nicht euer Schade sein;
Ihr dürftet, kurz und gut, nur auf den Kirchturm gehn,
Und wenn ihr da, anstatt der Pauken und Trompeten,
Und in Ermangelung der Zinken und der Flöten,
Den alten Marsch des Prinz Eugen
Auf dem Klaviere spielen wolltet:
Ich glaube, daß ihr euch was rechts verdienen solltet.
Was tat der Organist? Er billigte die Sachen,
Begab sich auf den Turm, und ließ sich wirklich hier
Sein nachgetragenes Klavier
Dort bei dem Glockenstuhl am Fenster feste machen.
Vorher hat er noch, für ein gewisses Geld,
Des Totengräbers Weib zur Schildwach aufgestellt,
Die ihm, so bald etwan der Graf erscheinen sollte,
Durch Schwenkung ihrer Hand, die Losung geben wollte.
Von der verwendete er nun auch keinen Blick,
Und hielt sich stets gefaßt, bei halbberührten Saiten,
Gleich auf den ersten Wink mit völliger Musik
Den Grafen durch das Dorf bestmöglich zu begleiten.
Und schaut! itzt winkt das Weib, schaut! wie der Organist
Itzt auf einmal voll Geist und voll Bewegung ist;
Schau! wie er seinen Kopf bald Ost bald Westwerts regt;
Mit was für Nachdruck er die Griffe niederschlägt,
Als wenn er wirklich Holz auf dem Klaviere hackte;
Schaut! wie der Boden biegt von seines Fußes Takte;
Schaut! wie er sich entfärbt; er wird wie eine Leiche;
Ist niemand, der ihm itzt die Balsambüchse reiche?
Er hat sich aus dem Ton verirrt,
Weil ihm die Flüchtigkeit den Gang der Hand verwirrt;
Spielt aber immer fort, bis daß er sich besinnet.
Schaut! was die Angst nicht tut, und wie ihm vom Gesicht
Der Schweiß, der durch die Haut der blassen Wangen bricht,
Auf Hand und Brustlatz häufig rinnet.
Doch alle diese Müh wär fruchtlos abgelaufen,
(Denn niemand hörte was aus dem gesamten Haufen)
Wenn nicht die Totengräberin
Mit vollem Halse rief: Herr Graf! ei! seht doch hin!
Dort oben! schaut! und, daß ihrs wißt,
Der Spielmann auf dem Turm ist unser Organist.
Ach! sprach der Graf, zu hoch! das heißt, vorbei gezielet;
Ich seh zwar, daß er fleißig spielet,
Allein hier hör ich nichts; von weiten klingts zu schwach!
Ja! wenn ich übers Kirchendach,
Gleich nahe bei dem Turm, vorbei gefahren käme,
Wer weis, ob ich auch da den leisen Schall vernähme?
* * *
Man muß das Längenmaß von seinen Kräften wissen,
Sonst wird man sich gar oft umsonst bemühen müssen;
Denn wer nicht allemal vorher genau erwägt,
Wie weit ihn sein Vermögen trägt,
Der muß auch allemal mit Schand und Schimpf bestehen,
Indem er weiter zielt, als seine Kräfte gehen.
Der Fuchs
Ein Fuchs, der um die Freiheit kam,
Trug, wie Gefangne tun, an einem seiner Füße
Ein eisern Hindernis, das ihm und seinem Bisse,
Durch seine Festigkeit, den Weg zur Flucht benahm.
Sein Nagen war umsonst. Er sah wohl, daß die Kette,
An der er, wie ein Bauerhund,
Beim Eingang in das Schloß, stets angefesselt stund,
Zum Brechen kein Belieben hätte;
Und dennoch wünscht er sich davon befreit zu sein.
Was tat der Fuchs im Grimm? Er hatte sich das Bein,
Das angebunden war, mit Großmut abgebissen,
Und hinkte nun auf dreien Füssen
Dem nahen Walde zu. Hier kroch er in sein Haus,
Kurierte sich und ging nach diesem wieder aus;
Da denn fast jedermann sich eine Freude machte,
Und über seinen Gang recht unbarmherzig lachte.
Schaut! rief ein junger Fuchs, ihr Nachbarn! seht euch um!
Hier kommt ein neu Oraculum!
Herr Dreifuß! wartet doch, und merkt auf unsre Fragen!
Ihr müßt uns heute noch den Götterausspruch sagen.
Mein! sprach der lahme Fuchs, welch Wahnwitz nimmt euch ein?
Ist das wohl klug getan, daß ihr mich spotten wollet,
Statt daß ihr mich beklagen sollet?
Pfui! schämt euch! wollet ihr der Menschen Affen sein,
Die über fremdes Unglück lachen,
Und mit des Nachbars Schmerz sich närrisch lustig machen?
Die Wintersaaten
Zwo nachbarliche Wintersaaten,
Die auf ihr grünes Kleid sich viel zu gute taten,
Empörten sich zugleich mit heftigem Geschrei,
Als itzt der späte Herbst die Winterliberei,
Den warmen Rock aus Schnee, dem Felde liefern wollte,
Damit es nicht erfrieren sollte.
Was? sprach die jüngste Saat, geh weg! du bist nicht klug;
Wir haben, wie du siehst, vorhin schon Kleider gnug,
Behalt dir deinen Pelz; wir mögen ihn nicht haben,
Indem wir gar nicht Willens sind,
Uns unter Schnee und Eis lebendig zu begraben;
Man stirbt nicht gleich von Frost und Wind.
Ihr Kinder! sprach der Herbst, ich rat euch, haltet stille!
Ihr kennt den Frost noch nicht; ihr seid zu zart und weich,
Und müßt erfrieren, wenn ich euch
Nicht in die weiße Bärhaut hülle;
Fragt nur das Erdbeerkraut, das dort am Rande grünet,
Dem dieses Winterkleid schon in das vierte Jahr
Zur Brustwehr vor den Frost und zur Erhaltung dienet.
Inzwischen, wenn ihr wollt, so rennt in die Gefahr;
Machts mit dem Schöpfer aus! will der euch frei erklären;
Will ders zufrieden sein, daß euch der Schnee verschont.
Gut! so geschehe sein Begehren!
Und seht! Gott, der im Himmel wohnt,
Der auch der Narren Wunsch manchmal im Zorne stillet
Und ihr Gebet zur Straf erfüllet,
Erteilte den betörten Saaten
Den Freibrief, weil sie ihn so sehnlich darum baten,
Das Winterkleid nicht anzuziehn.
So bald nun kurz hierauf der erste Schnee erschiene
So ließ Gott einen Westwind kommen,
Der beide Backen voll genommen;
Der alles auf die Seite blies,
Und nicht ein Flöckchen Schnee, von unten an bis oben,
Auf unsre Saaten fallen ließ.
Sie fingen auch schon an, sich und ihr Glück zu loben,
Und höhnten ihre Nachbarn aus,
Die nur noch durch den Schnee mit ihren Spitzen stachen.
Wo steckt ihr? fragten sie, wagts nur, und steigt heraus!
Doch eben als sie dies mit vielem Hochmut sprachen,
Versengte sie der Frost, der, nach gewohnter Art,
Itzt mit den lang-gewordnen Nächten,
Die auch den Mittag selbst in seiner Wärme schwächten,
Beständig größer wuchs und immer strenger ward.
Ach! weh uns! riefen sie, wir sind so gut als hin;
Ach! itzt geschieht uns recht, daß wir erfrieren müssen,
Dieweil wir uns aus Eigensinn,
Die Ordnung nicht belieben ließen,
Die Gott mit Laub und Gras so weislich unterhält.
Wem dessen Wirtschaft nicht gefällt,
Der hat wohl ganz gewiß den rechten Witz verloren;
Wir wollten klüger sein, und sterben nun als Toren.
Die Kinder
Ein Postknecht, der zu viel auf Wein und Brandtwein hielt,
Und gern bei Leuten saß, die fleißig Prosit! sagen,
Verlor von seinem Reisewagen
Einst nächtlich einen Sack, mit Franzgeld angefüllt.
Es war kaum völlig lichter Tag,
So kam ein Haufen kleiner Jungen
An eben diesen Ort geschrieen und gesprungen.
Sie fanden den verlornen Sack,
Eröffneten ihn auch; doch ohne daß sie sich
Darüber sonderlich erfreuten.
Das Silber hat gemeiniglich
Noch keinen Wert bei jungen Leuten.
Sie wußten lange nicht, was damit zu machen sei.
Gleich über floß ein Strom vorbei,
Auf dem ein Dutzend Enten schwamm;
Daher die Kinder Lust bekamen,
Mit Werfen sich die Zeit, gut kindisch, zu vertreiben.
Es waren Steine gnug um den erhabnen Rand,
Die mochten immer liegen bleiben;
Sie griffen in den Sack, und schmissen, ohn Verstand,
Die harten Taler nach den Enten,
Als wenn sie sie nun sonst zu gar nichts brauchen könnten.
Es regnete hier wirklich Geld;
Jedoch nur für das Volk der nassen Unterwelt.
Die kleine Schützenbrüderschaft
Bestrebte sich aus aller Kraft,
Den Reichtum schleunigst zu erschöpfen.
Sie zielten insgesamt den Enten nach den Köpfen;
Geschah gleich hier und da manch fehlgegangner Schuß,
So traf man wenigstens doch allemal den Fluß.
In einer halben Viertelstunde
Lag fast das ganze Geld im Wasser auf dem Grunde.
Und schaut! als eben itzt der letzte Wurf geschah,
Kam unser Postknecht gleich ins Dorf zurück geritten.
O wie erschrak der Kerl! Wie ward er voller Wüten!
Indem er selber noch die schöne Kurzweil sah,
Wie diese Buben hier sein Geld ins Wasser schmissen.
Wenn nicht das Volk im Dorfe kam,
Und die Partei der Kinder nahm,
Ich glaub, er hätte sie im Eifer gar zerrissen.
Geht! sprach man, wißt ihr nicht, daß Kinder, Kinder sind?
Sind die Erwachsnen doch oft diesfalls gleich so blind;
Der Zehnte weis kaum recht, wozu der Reichtum nütze,
Drum mäßigt euch in eurer Hitze!
* * *
In Wahrheit! Sinnt nur nach, ob mancher reicher Prasser
Nicht diesen Kindern ähnlich sieht?
Ist ja dabei ein Unterschied;
So wird es dieser sein: Er zielt nicht in das Wasser,
Er wirft sein schönes Geld, so viel ihm möglich ist,
Itzt prächtig in die Luft, itzt schändlich auf den Mist.
Der Bär und der Fuchs
Ein Fuchs besprach sich oft mit einem alten Bäre,
Wie etwan da und dort ein Fang zu machen wäre;
Besonders riet er ihm, er möchte mit ihm gehn,
Und aus des Müllers Stall sich eine Ziege holen.
Er sprach: Ich hab ihm selbst, ich will dirs nur gestehn,
Schon manche Henne weggestohlen.
So bald es Abend wird: So geh ich wieder hin.
Komm mit! was wirst du dir erst groß Bedenken machen?
Wir wollen Morgen früh, bei weit zufriednerm Sinn,
Mit einem fetten Maule lachen.
Sie wanderten hierauf nach dem besagten Ziele;
Der Fuchs lief stets voran; der Bär ging ganz gemach
Der Leitung seines Führers nach.
Er hörte kaum den Schall der klapperhaften Mühle,
So dreht er wieder um, und zitterte so sehr,
Als wenn sein Leib ein Blatt von einer Pappel wär.
Ach! rief er, mir vergeht die Lust zu diesem Schmause;
O hör doch nur den Schall, der uns entgegen kracht!
Der Donner ist gewiß nicht weit hierum zu Hause,
Wer weis, was für ein Gott des Müllers Vieh bewacht?
O komm! kehr mit mir um, und wage dich nicht weiter!
Vom Unglück weit davon, das ist der beste Rat.
Du bist doch, sprach der Fuchs, im Ernst und in der Tat
Ein recht verzagter Bärenhäuter,
Das, was dich furchtsam macht, das ist kein Donnerknall,
Vor dem oft freilich auch die stärksten Tiere beben;
Ich höre weiter nichts, als einen leeren Schall,
Den alle Mühlen von sich geben.
Inzwischen, sprach der Bär, muß auch der bloße Schein,
Er sei so falsch er will, für mich erschrecklich sein;
Denn alle Linien in meinen Pratzen sagen,
Der Donner werde mich erschlagen;
Drum gib dir keine Müh, ich kann nicht weiter gehn.
So bleib nur, rief der Fuchs, zum wenigsten hier stehn,
Damit dein scheues Ohr von ferne,
Und gleichsam nach und nach, den Schall vertragen lerne;
Gleich bin ich wieder da. Er kam im Augenblick,
Und bracht in seinem Maul ein fettes Huhn getragen,
Und führte seinen Freund nach Wunsch in den Wald zurück.
Der Fuchs beredete den Bär nach dreien Tagen,
Itzt wieder mit zu gehn. Komm, sprach er, fasse Mut!
Man kann durch Müh und Zeit die größte Furcht bezwingen;
Und was man nicht auf einmal tut,
Das läßt sich nach und nach vollbringen.
Der Bär ging wieder mit, und war der Mühle schon
Auf zwanzig Schritte näher kommen,
Eh ihn die Donnerfurcht von neuem eingenommen;
Dreht aber wieder um, und lief gescheucht davon.
Denn andern Abend drauf, versucht er es aufs neu,
Wie weit er seine Furcht zu zähmen fähig sei;
Kam aber diesen Gang noch nicht zu seinem Ziele.
Er kam zwar dieses mal ganz nahe bei der Mühle,
Hatte aber nicht das Herz, im Kuhstall einzubrechen,
Aus Furcht, der Himmel möcht es rächen;
Es donnerte noch sehr, je näher er itzt war,
Um desto stärker ward der Abscheu der Gefahr.
Den dritten Abend kam er wieder.
Die Ziegen meckerten. Er hörts, und dieser Schall
Wirft seine Zagheit glücklich nieder.
Er wird vor Freuden taub, bricht wirklich in den Stall,
Und holt sich da in aller Eil
Die wichtigste, die beste Ziege,
Ohn alle Sorg und Furcht, daß ihn ein Donnerkeil
Hier über dieser Tat erschlüge.
An statt gescheucht davon zu fliehn,
War der Verwegene nun endlich so gar kühn,
Daß er den Kettenhund, der vor der Mühle wachte,
Und ein erschrecklich Lärmen machte,
Ins Müllers Gegenwart recht freventlich erbiß,
Und ohne Scheu in Stücke riß.
* * *
O seht, was die Gewohnheit tut!
Sie gibt oft auch so gar den Hasen Herz und Mut,
Besiegt die frömmste Furcht, und macht der eitlen Jugend
Das Laster nach und nach zur angenehmsten Tugend.
Der Wolf, der
Leu und der Hund
Ein Wolf hatt einst ein Pferd bewältigt und erbissen,
Und fing itzt eben an, mit gutem Appetit
Die Frucht des Sieges zu genießen.
Ein Leu, der sich umsonst um seinen Raub bemüht,
Durchstrich den ganzen Wald, und kam mit leerem Magen
Dahin, wo unser Held die Mittagsmahlzeit hielt,
Der sich zu allem Glück den Hunger schon gestillt.
Den Wolf verdroß es zwar, doch durft er sich nicht wagen,
Den ungebetnen Gast, der stärker war als er,
Mit scheelen Augen anzublicken.
Es fiel ihm in der Tat recht schwer,
Sich diesfalls in die Zeit zu schicken.
Was, dacht er, will ich tun? Gesetzt, ich sagte: Nein!
Und widersetzte mich: So frißt er ungebeten;
Und gleichwohl scheint es fast ein Schimpf für mich zu sein,
Ihm mein erworbnes Gut gutwillig abzutreten.
Als wenn der Zwang der Not, die kein Gesetze hört,
Die auch oft Helden selbst dem Stärkren weichen lehrt,
Der Tapferkeit zuwider liefe.
Kurz um, er hing den Kopf, und tat, als wenn er schliefe;
Als hört und sah ers nicht, daß jemand anders kam,
Und Teil an seiner Mahlzeit nahm.
Es ließ sichs auch der Leu um desto besser schmecken.
Er schien, dem Ansehn nach, entfernt von der Gefahr,
Dem Wirte, der entschlafen war,
Durch seinen Appetit die Galle zu erwecken.
Inzwischen kam nun auch ein magrer Hund herbei,
Der wußte seinen Trieb unmöglich zu bezähmen,
Ein Maul voll Pferdefleisch mit auf den Weg zu nehmen,
In Meinung, daß der Wolf im Ernst entschlafen sei.
Allein der ward bezahlt. Der Wolf sprang auf ihn zu,
Erwürgt ihn auf der Stell, und sprach: Was willst denn du?
Wer hat dir den Beruf zu meinem Mahl gegeben?
Ich schlafe zwar: allein ich schlafe darum eben
Nicht allen Leuten zu gefallen.
* * *
Das, was man einem gönnt, erlaubt man nicht gleich allen.
Das Zipperlein
und der Kranke
Die Lung und Milzbeschwer, der Lend und Nierenstein,
Nebst andern schweren Leibesplagen,
Begegneten dem Zipperlein.
Du hast hier, sagten sie, vielleicht ein Bein zu nagen,
Drum sieht man dich so oft aus diesem Hause gehn;
Du mußt bei seinem Herrn in großer Gnade stehn,
Er muß dich wenigstens nicht hassen,
Sonst würd er dich gewiß so oft nicht vor sich lassen.
Ach! sprach das Zipperlein, es geht mir so, wie euch,
Mein Schicksal ist dem euren gleich;
Kommt mit und seht es selbst, wie wenig mir der Kranke
Für meinen Amtsbesuch, für meine Mühe, danke.
Sie gingen alle mit und hörten mit Verdruß,
Wie der erboste Mann das Zipperlein verfluchte,
Und ihm den kaum berührten Fuß
Gewaltsam zu entreißen suchte.
Schaut! rief das Zipperlein, der Mensch ist recht wie blind;
Er will mit allem Fleiß von seiner Schuld nichts wissen,
Und mahn ich ihn darum: So läßt er sichs verdrießen,
Nach Art derjenigen, die böse Zahler sind
Er tut, als dürft er dies sein Leben,
Das doch ein Darlehn ist, Gott niemals wieder geben;
Er führt sogar auch nicht einmal
Von diesem fremden Kapital
Die christgebräuchlichen Interessen,
Die stets gefällig sind, durch Glaub und Tugend, ab.
Gedenken wir ihm an das Grab:
So ruft er: laßt mir Zeit! ihr müßt mich nicht so pressen,
Ich habe das und das noch in der Welt zu tun;
Wenn das vollendet ist: Dann kommt, dann will ich ruhn.
Doch eh er dieses noch zu Stande bringen kann,
So fängt er schon was Neues an,
Und ist noch böse drauf, als wollt er sich zerreißen,
Wenn wir ihn höflich gnug die Schuld bezahlen heißen.
Er spricht, wir wären grob, und glaubt es wirklich nicht,
Daß die Erinnerung zu seinem Heil geschieht.
Hört! rief der alte Herr, auf seinem Krankenpfühle,
Das Zipperlein hat Recht, so matt und schwach ich bin:
So merk ich doch gar wohl, wohin
Dies tröstliche Gespräche ziele;
Ich wollte herzlich gern mein Leben
Noch diesen Augenblick dem Himmel wieder geben,
Wenn man die Sache nur so einzurichten wüßte,
Daß ich nicht auch zugleich die Welt verlassen müßte.
Da habt ihrs! sprach das Zipperlein;
Ich mahn ihn um die Schuld, und such ihn zu bewegen,
Die Hoffnung, ewig hier zu sein,
Als etwas närrisches, nicht länger mehr zu hegen.
Und dennoch hegt er sie, Trotz aller seiner Not!
Gut! rief der kranke Mann, ich will von hinnen scheiden,
Nur mahnt mich weiter nicht; ihr sehts, ich kanns nicht
leiden;
Ein krankes Leben ist ja schon ein halber Tod.
Ihr habt mirs durch den Schmerz die Hälfte schon genommen.
Drum, daß ich meine Schuld Gott ganz bezahlen kann,
So geht und laßt mich erst zu vollen Kräften kommen!
Das Zipperlein ging fort, in Meinung, daß der Mann
Von nun an willig sterben sollte;
Der aber, als der Schmerz vollkommen außen blieb,
Nun desto weniger die Welt gesegnen wollte;
Das Leben war ihm erst recht lieb.
Der Rabe und die Taube
Ein Rabe, welcher auch als wie ein Rabe stahl,
Tat einst in einem Kaufmannsladen,
Als ein Dukatendieb, gewaltiggroßen Schaden.
Er war hierin sehr schlau, so daß er allemal
Den Raub so unvermerkt vollbrachte.
Daß eben niemand auf ihn dachte.
Das beste war hier noch dabei,
Er nahm sie alle ungewogen;
Er fragte keinen erst: Ob er auch wichtig sei?
Denn außer diesem wird der Nehmer oft betrogen.
Manch gelber Ludewig, manch goldner Leopold,
Manch Joseph und manch Karl, manch Kaiser und manch König
Bereicherten sein Nest; doch das war noch zu wenig.
Der Rabe war und blieb ein rechter Narr aufs Gold;
Er wünscht es ganz allein zu haben,
Nicht, daß es ihm etwas zu etwas nütze sei;
Nein! denn er wollt es nur dort auf dem Stall ins Heu,
Wo sein Dukatenkirchhof war,
Bei jene schon verscharrte Schar,
Aus bloßem Eigensinn, verstecken und vergraben.
O Torheit, welche sich der Müh wohl nicht verlohnte,
Einst rief er seiner Nachbarin,
Die nicht gar weit davon im Taubenschlage wohnte;
Komm, sagt er, schau einmal, wie reich ich itzund bin!
Was meinest du dazu? Herr Nachbar! sprach die Taube,
Wie schmecken denn die Dinger hier?
Welch weitentferntes Land bringt diese Frucht herfür?
Ists etwa eine Art von einem gelben Laube,
Das in der neuerfundnen Welt
Dem deutschen Schlehdorn gleicht und rund ins Auge fällt?
Das ist mir eine fremde Sache;
Ich weis nicht, was ich daraus mache;
Das Ding muß wenigstens gar gut zu essen sein.
Das taugt zum Essen nicht, erwiderte der Rabe.
Je nu! was nützt dirs denn? fiel jene wieder ein;
Ein Ding, von welchem ich gar keinen Nutzen habe,
Das hüb ich mir doch wohl nicht so behutsam auf.
Es scheinet, daß ich hier, sprach unser Krösus drauf,
Dem Blinden um die Farbe frage.
Man hört es wohl, dir ist kein edler Trieb bewußt;
Ist das nicht Nutzens gnug? Ich habe meine Lust.
Indem ich dieses Gold allhier zusammen trage.
Ich hätte dich gleichwohl, erwiderte die Taube,
Für klüger angesehn. Was hilft ein trockner Born?
Wen sättigt Zeuxis Bild mit der gemalten Traube?
Ich gebe dir auch nicht das kleinste Weizenkorn,
An dem ich mich mit Recht ergötze,
Für alle deine Lust, für alle deine Schätze.
Die Raupen und der
Gärtner
Ein Gärtner, der schon oft den Garten durchgesucht,
Und auf die Raupen stets ein wachsam Auge hatte,
Fand einst an einem Birnbaumblatte,
Das ganz umsponnen war, den Anfang einer Zucht,
Der er den Untergang mit seiner Schere dräute.
Die Raupe, die sich selbst nichts Gutes prophezeite,
Rief: Hört doch, guter Freund? Schont meiner Jugend noch,
Und schickt mich, kann es sein, nicht vor der Zeit zu Grabe;
Ich weis nicht, wie ich mich hierher verirret habe,
Mit Fleiß ists nicht geschehn; darum verzeiht mirs doch.
Denn hätte mirs ein Mensch gesagt,
Daß diese Bäume hier in eurer Absicht stünden.
So hätt ichs nimmermehr gewagt,
Aus Ehrfurcht gegen euch, mein Wohnhaus hier zu finden.
Ein jeder, wie ihr wißt, bleibt doch gemeiniglich
Gern an dem Orte, wo er sich
Schon einmal fest gesetzt und eingerichtet hat.
Verliert ihr was dabei: So ists ein einzig Blatt;
Ein Blatt und weiter nichts, was hat denn das zu sagen?
Deswegen wird der Baum schon seine Früchte tragen.
Dop! ich versprech euch noch dazu,
Daß ich und meine Brut euch keinen Schaden tu,
Es wär denn, daß es nicht nach meinem Willen ginge;
Denn schaut! sobald ich sie nur auf die Beine bringe,
So nehm ich sie mit fort und spreche sonst wo ein;
Des Nachbars Garten soll von mir und meinen Kindern
In kurzer Zelt verwüstet sein
Den Obstbaum, der dort steht, den will ich ihm schon
plündern.
Daß weder Frucht noch Laub auf Zweig und Ast erscheint;
Seht! das versprech ich euch: Was wollt ihr mehr begehren?
Der Gärtner war dem Nachbar feind,
Drum konnt ihn dieser Grund auch leicht so weit betören,
Daß er die Raupe bleiben hieß,
Und sie in ihrem Nest geruhig sitzen ließ.
Er sprach: Ich kann ihr ja gar leicht ein Blatt vergönnen;
Es fehlt an Laube nicht, ein Blatt? was ist es mehr?
Die Raupe möchte mich sonst einen Geizhals nennen,
Als wenn ich gar zu scharf und voller Mißgunst wär.
Der Gärtner schlich nach diesem fort,
Und kam in langer Zeit nicht wieder an den Ort.
Inzwischen ging die Brut der Raupen gut von statten;
Die Kinder wuchsen groß, sie blieben aber da,
Benagten Stamm und Ast, so daß sie schon beinah
Den halben Baum gefressen hatten,
Eh unser Gärtner noch des Schadens kundig ward.
Der Mann erzürnte sich. Er griff an seinen Bart,
Und schwur, in seinem künftgen Leben
Nicht einer Raupe mehr Gehör und Platz zu geben,
Auch nicht einmal des Nachts im Traume.
Denn, sprach er, geb ich ihr auf einem Blatte statt,
So bringt mich eben dieses Blatt
Um alle Blätter auf dem Baume.
* * *
Das Laster ist hierin dem Ungeziefer gleich,
Räumt ihm nur einen Fuß breit ein:
Es macht sich selber Platz; in kurzem wird es euch
In völligen Besitz zu nehmen fähig sein.
Der Harnisch und
der Fingerhut
Ein kleiner Fingerhut sah einen Harnisch liegen.
Nu! sprach er, lebst du noch? Ist schon der Krieg vorbei?
Du magst, anstatt mit Stahl und Blei,
Nunmehr mit Staub und Roste kriegen.
Ich lobe mich; mich braucht man immer.
Die Schneider und das Frauenzimmer
Bedienen meiner sich zu Krieg und Friedenszeit;
Ich übertreffe dich in diesem Stücke weit.
Wie weit denn? Ists nicht wahr, fiel hier der Harnisch ein,
Du bist doch in der Welt nicht sonderlich viel nütze;
Wenn ich den ganzen Mann vor Schuß und Hieb beschütze,
Beschützest du ein Glied, der Dienst ist ziemlich klein.
Wer keine Brille hat, der wird ihn kaum erkiesen;
Ich wundre mich gleichwohl, daß du dich so vergehst,
Und, als ein schwacher Zwerg, mir hier, als einem Riesen,
Recht wider alles Recht nach Rang und Vorzug stehst.
Was macht dich denn so stolz, so trotzig, so verwegen?
Denn ob ein Schneider sich in seinen Finger sticht,
Daran ist wohl der Welt so gar viel nicht gelegen.
Von solchen Wunden stirbt man nicht;
Hingegen wenn ein großer Held,
Dem ein verwegnes Blei ein Loch ins Herz geschlagen,
Erblaßt von seinem Pferde fällt;
Das will schon etwas mehrers sagen.
Und überhaupt, es sollten sich,
Die Mannspersonen sonderlich,
Der läppischen Zärtlichkeit im rechten Ernste schämen,
Dich auch nur in die Hand zu nehmen.
Wer wird so weibisch tun? Wer wird so furchtsam sein?
Von Männern sollte man das nimmermehr vermuten.
Sie fürchten sich, und seht! der Grund der Furcht ist klein.
Man glaubt, der Finger möchte bluten,
Darum verwahrt man ihn, eh noch der Stich geschieht.
O, rief der Fingerhut, mein Freund! vergiß dich nicht!
Du hättest davon schweigen sollen;
Denn wenn wir von der Furcht hier etwas reden wollen:
So stammst du eben von ihr her.
Man würde wahrlich! nichts von Helm und Panzer wissen,
Wenn nicht die liebe Furcht, das Leben einzubüßen,
Im Feld oft so gar groß und so besorglich wär.
Was? fuhr der Harnisch auf, die Leute die mich tragen,
Sind frei von aller Furcht, sind Helden voller Mut,
Die für das Vaterland ihr Leben und ihr Blut
Stets herzhaft in die Schanze schlagen.
Ist, sprach der Fingerhut, die Furcht nicht schuld daran:
Weswegen ziehn sie dich denn an?
Belästigen sie sich mit dir zum Zeitvertreibe?
Und warum streiten sie nicht mehr mit bloßem Leibe?
So fiel auch der Verdacht der Furcht auf einmal hin.
Der Harnisch sprach: Du bist nicht recht belehrt hierin,
Man braucht mich nicht aus Furcht, nein! aus Behutsamkeit.
Gut! rief der Fingerhut, ich lasse mich belehren:
Allein ich finde hier noch keinen Unterscheid.
Im Ernst, jedoch dein Wort in Ehren!
Behutsamkeit und Furcht ist hier fast einerlei.
Ich glaube, daß die Furcht, die dich vordem gemacht,
Der Furcht, die mich hervor gebracht,
An Größe der Person weit überlegen sei,
Und da wir dergestalt von einer Mutter stammen,
So schau doch nur! wie kannst du mich
Des Ursprungs wegen wohl verdammen?
Denn was mich diesfalls schimpft, das schimpft zugleich auch
dich.
Das große A
Ein großgemaltes A war wie ein kleines Haus,
Bei welchem hier und da zwo grüne Linden stunden,
Die ihr versilbert Laut um Dach und Giebel wunden;
Das A hielt auch davor, es hätte viel voraus,
Und glaubte (Seht! wie weit oft Groß und Pracht verleiten)
Es müßte wenigstens ein ganzes Wort bedeuten.
Es rief den andern zu: Was seid ihr gegen mir?
Wo ist ein Buchstabe meines gleichen?
Und müßt ihr mir nicht alle hier
An Größe, Pracht und Schönheit weichen?
O! sprach ein kleines A, dem dieser Stolz verdroß,
Wir sind, so wie wir sind, dem Werte nach so groß,
Als du wohl immermehr, Trotz! deinen Nebenzügen,
Die nichts zur Sache tun, und Kinder nur vergnügen.
Was helfen dir die Bäume da?
Ich bin deswegen doch, so wohl als du, ein A!
Drum glaube, daß ich mich vor dir noch nicht verkrieche.
Was nützt das Außenwerk der silberfarbnen Striche?
Die wunderschöne Schmiererei?
Der innerliche Wert bleibt immer einerlei.
Hört! sprach daß große A, ich will nur etwas fragen;
Hat mich der Schreiber denn umsonst so groß gemacht?
Weswegen gab er euch nicht eben diese Pracht?
Ich habe ganz gewiß weit mehr, als ihr, zu sagen;
Ich nehme, wie ihr seht, mehr Grund und Boden ein.
Der Vorschrift vierter Teil will meiner Läng und Breite
Noch immer fast zu wenig sein;
Denn für dergleichen große Leute,
Wie unsereiner ist, gehört mehr Raum und Platz,
Als kaum für hundert eures gleichen.
Sagt! ist das in der Welt nicht ein beglaubter Satz,
Der Reichtum sei ein Vorzugszeichen?
Ein Merkmal höh- und edler Sinnen?
Ein meilenlanger Wald ist besser als ein Strauch.
Je mehr man Land besitzt! Je größer ist man auch.
Du wirst doch, sagte man, damit hier nichts gewinnen,
Du bleibst doch wer du bist; ein Buchstab und nichts mehr,
Wenn auch dein Umfang gleich noch zehnmal größer wär.
Daß noch auf dieser Welt kein A so groß gewesen;
Gib Achtung! Wenn man uns wird lesen:
So wird dir ganz gewiß dein eitler Stolz vergehn;
So wirst du sehn, wer Recht wird haben.
Der Schreiber gab hierauf die Vorschrift einem Knaben,
Lies! sprach er, denn man muß die Worte vor verstehn,
Und wissen, was man schreibt. Der Knabe sagte: Ja!
Allein das kenn ich nicht. Er wies auf unser A;
Er hielt es für ein Bild, das nur die Seite zierte.
Nicht aber auch ein Buchstab sei.
Statt Adam las er dam, und ging das A vorbei,
Als er das Anfangswort zusammen buchstabierte.
Der Schreiber sprach! Mein Sohn! wo hast du dein Gesicht?
Heißt das den Hauptzug stets genau ins Auge fassen?
Schau hier! das ist ein A. Du mußt dich eben nicht
Die Ausstaffierungsart hier irremachen lassen.
Der Knabe wunderte sich in der Tat recht sehr,
So daß er es kaum glauben wollte,
Daß dieses große Bild im lesen doch nichts mehr,
Als bloß ein A bedeuten sollte.
* * *
Dies A ist jeder Mensch, der, Trotz der eitlen Pracht!
Trotz aller Herrlichkeit, die seinen Titel füllt!
Trotz allem, was er hat! bei dem, der ihn gemacht,
Deswegen doch nicht mehr, als andre Menschen gilt.
Die Nachteule
und die Nachtigall
Als eine Nachteul einst, bei stiller Abendruh,
Die Nachtigall bereden wollte,
Daß sie mit ihr zugleich ein Nest bewohnen sollte,
So rief sie ihr von weiten zu:
Wie stehts denn? Bist du mir noch immer abgeneigt,
Wie gestern und wie ehegestern?
Wie kommt es, daß dein Haß beständig höher steigt?
Besinn dich! Sind wir denn nicht halbe Namensschwestern?
Denn hör nur: Nachteul! Nachtigall!
O was für Ähnlichkeit entdeckt uns dieser Schall!
Welch Wort kann auf der Welt dem andern gleicher klingen?
O möchten wirs doch auch zu einer Gleichheit bringen!
O daß wir uns noch stets so feind und fremde sind,
Als Leute, welche sich ohn alle Ursach hassen!
Ich weis auch nicht, woher sich dieser Groll entspinnt;
Ich weis auch nicht, warum wir ihn nicht fahren lassen.
Komm her und laß uns Freunde sein!
Komm her und nimm Besitz! mein halbes Haus ist dein;
Denn hör nur, liebes Kind! ich sänge manchmal gerne,
Und suchte dir des Nachts mit pfeifen beizustehn;
Allein es will mir noch nicht recht vom Munde gehn;
Vielleicht, daß ich was durch deinen Umgang lerne;
Vielleicht bessert sich mein Lied durch deine Lieder,
Wenn du mir näher bist, wenn du mich sehen läßt,
Wie man die Luft so stark durch Kehl und Gaumen preßt,
Und wie dein schneller Ton bald hoch, bald wieder nieder,
Itzt stiegt, itzt kreucht, itzt steigt, itzt fällt,
Und wenn er in der Tiefe girret,
Und, wenn er in der Höh aus vollem Halse schwirret,
Das Lob der größten Kunst von jedermann erhält;
Komm! unterweise mich! ich will mich gar nicht schämen,
Als eine Schülerin, die Lust und Fleiß verspricht.
In Zukunft Lehr und Unterricht
Von dir begierig anzunehmen.
Ach! rief die Nachtigall, ich merke deine List;
Ich sehe schon, warum du nun so freundlich bist,
Die vorgegebne Lust zum Singen
Rührt von dem Hunger her, drum meid ich die Gefahr;
Du möchtest mich vielleicht wohl gar,
Aus liebe zur Musik, um Stimm und Leben bringen.
So einen Schüler mag ich nicht,
Von dem die ganze Welt beständig übel spricht;
Der stärker ist, als ich. Wir sind die besten Leute,
Doch niemals in der Näh, und immer von der Weite.
* * *
Das Lob ist allemal gefährlich anzuhören,
Von einem Feinde sonderlich;
Man läßt sich von Natur gar leicht dadurch betören;
Und eben darum lobt er dich.
Die Wachteln
Zwo Wachteln hatten sich ihr Nest ins Korn gemacht,
Und unter dem Verdeck der ellenlangen Ähren,
Auch ihre Jungen hier schon glücklich ausgebracht.
Das wollte nun der Er zu seinem Ruhm erklären.
Schau! sprach er zu der Sie, wir sind so lange Zeit
Hier schon in Ruh und Sicherheit;
Wo rührt das her? von mir, kaum spür ich Leute kommen,
So ruf ich: Geht hier weg! man folgt auch dem Verbot,
Man läßt uns ungestört, wir leiden keine Not,
Kein Räuber hat uns noch die Kinder abgenommen;
Und, wie gesagt, das kommt von meinem Zuruf her;
Ja! liebes Weib! wenn ich nicht stets so wachsam wär,
Und das verwegne Volk, das hier vorüber eilt,
So herzhaft abzuweisen wüßte:
Es hätte sich schon längst in unser Nest geteilt,
So daß ich neben dir vor Schmerz vergehen müßte.
Ich weis wohl, daß du mirs manchmal für übel hast,
Wenn ich das: Geht hier weg! in einem Atem fast
Neunmal zu wiederholen pflege;
Allein enthalte dich des Tadelns, und erwäge,
Daß du ein Weib nur bist, ich aber, als dein Mann,
Mir nimmermehr von dir befehlen lassen kann;
Der beste Weiberrat ist ohnedem nichts nütze.
O sachte! sprach die Sie, ich weis nicht, wie du bist,
Und woher der Verdacht bei dir entstanden ist,
Daß ich, als dein Gemahl, gar keinen Witz besitze;
Verzeih dirs Gott! mein Schatz! du gehst hierin zu weit.
Wahr ists, ich habe dich, doch stets mit Höflichkeit,
Gebeten, lieber still zu schweigen,
Als durch den starken Laut den Leuten anzuzeigen,
Daß Wachteln in der Nähe sind.
Ich seh nicht, wie wir hier verborgen bleiben sollen,
Wenn wir uns selbst verraten wollen.
Die Menschen sind nicht taub und blind;
Ich sorg, ich sorge, lieber Mann!
Daß uns, eh du es denkst, ein Unglück treffen kann.
O schweig doch wenigstens, wenn jemand kommt gegangen;
Du weißt, man sucht uns stets die Kinder aufzufangen.
Erspar dir doch die Müh, erwiderte der Er,
Ich kann dein Klügeln nicht vertragen,
Das Weiber furchtsam sind, das weis ich schon vorher,
Ich mache, was ich will, du darfst mir gar nichts sagen.
Inzwischen kam ein Schwarm von losen Jungen an.
Was tat Herr Wachtel? schaut! er schrie, der Frau zum
Possen,
Ihr Kinder! geht hier weg! Das war nicht gut getan.
Weil, wie die Frau gesagt, die Kinder daraus schlossen,
Daß im Getreide sich ein Wachtelnest befand.
Der größte Knabe gab den übrigen ein Zeichen,
Nicht von der Stelle weg zu weichen;
Er winkte ihnen mit der Hand,
Und ging in aller Eil dem nahen Schalle nach.
Er drang sich durch das Korn und schlich zwar sehr gemach;
Allein die Wachtel spürt es gleich,
Daß etwas durch die Ähren rauschte.
Still! sprach sie, lieber Mann! mir ahnt ein
Unglücksstreich.
So bald der Er nur schwieg, so stund der Knab und lauschte,
Hielt seinen Atem an und rührte sich nicht mehr,
Als wenn er auf der Stell in Stein verwandelt wär;
Und endlich schlug der Er von neuen weiter fort.
Der Knabe lief drauf zu, kam an den rechten Ort,
Und nahm im Neste hier die halb gewachsnen Jungen.
Die Sie, nachdem sie sich ganz trostlos aufgeschwungen,
Rief ihrem Manne zu: Wie schön kann dein Geschrei
Verfolgung und Gefahr entfernen!
Nun magst du durch den Raub der eignen Kinder lernen,
Daß auch der Weiberrat nicht zu verachten sei.
Der Tabak
Das weltberühmte Kraut, das oft so teuer glimmt;
Der Tabak, dessen Rauch, laut Günthers Knasterliede,
Dem Ambra noch den Vorzug nimmt,
War einst des Übeln Nachrufs müde,
Daß man ihm alle Schuld stets aufzubürden suchte.
Daß man ihn allemal ununtersucht verfluchte,
So oft etwa ein schneller Brand
Aus Unvorsichtigkeit entstand.
Was hilft mir, rief er aus, das Lob der besten Dichter?
Der Beifall der gelehrten Welt?
Wenn mich der Unverstand so vieler Splitterrichter
Für einen Unglückszunder hält,
Der manches schöne Dorf in Rauch und Glut verzehret,
Und manche wohlgebaute Stadt
In einen Aschenhaufen kehret;
So oft des Feuers Wut ein Haus ergriffen hat,
So fragt man nicht, woher der Brand entstanden sei?
Man pflegt nur gleich auf mich zu schließen;
Man schreit nur über mich, und legt mir, ohn Gewissen,
Die Schuld des ganzen Schadens bei.
Hab ein einzigmal ein Dorf in Brand gesteckt,
Das hat mir den Verdacht erweckt.
Allein ist denn daraus die Folge zu erzwingen,
Man möge jedesmal, Trotz aller Billigkeit!
Den Ursprung und die Schuld auf meine Rechnung bringen?
Wer einmal strafbar ist, ists drum nicht allezeit.
Ach! hub ein Kater an, davon wär viel zu sagen.
Es geht mir eben so; ich hab einmal genascht,
Und wenn des Nachbars Hund ein Stücke Fleisch erhascht,
So werd ich ohne Schuld an seiner Statt geschlagen.
Ich sage, was ich will, man bleibt darauf beruhn:
Was einer einmal tut, das scheint er stets zu tun.
* * *
Wen eine schlimme Tat einmal verdächtig macht,
Kommt nimmermehr aus dem Verdacht.
Er mag auch hundert Jahre leben:
So wird ihm doch die Schuld, auch ohne Schuld, gegeben.
Der Feigenbaum
Der Felgenbaum blüht niemals nicht,
Wenn auch im Frühjahr gleich an allen Gartenbäumen
Die Blüt aus ihren Knospen bricht.
Freund! sprach ein Kirschenbaum, du wirst die Zeit
versäumen,
Wenn du noch blühen willst, so muß es bald geschehn,
Der Winter ist vorbei, soll man dir das erst sagen?
Ich glaube gar, du pflegst die Blumen, die wir tragen,
Für einen neuen Schnee, aus Irrtum, anzusehn;
Du Träumer! wirst du nicht bald aus dem Schlaf erwachen?
Was meinst du? willst du nicht nach unserm Beispiel blühn,
Und dem, der dich gepflanzt, für Pflegung und Bemühn,
Zu deinen Früchten Hoffnung machen?
Denn wenn du das nicht tust, was bringst du ihm denn ein?
Und womit willst du ihm den Wartungszins entrichten?
Du wirst vielleicht ein Obstbaum sein,
Nach Art der Tannen und der Fichten.
O! rief der Feigenbaum, erwartet nur die Zeit!
Ihr habt mich kaum erblickt, und glaubt, mich schon zu
kennen;
Und untersteht euch, so frei und ungescheut,
Mich einen wilden Baum zu nennen.
Schaut, Schaut, ob nicht euer Witz hier aus dem Wege
schweift;
Laßt mich nur erst den Herbst erleben,
Und wenn da keine Frucht an meinen Zweigen reift:
So will ich euch gewonnen geben.
* * *
Es läßt sich nicht so leicht von heut auf morgen schließen,
Bei Leuten sonderlich, die einem fremde sind.
Itzt übertrefft ihr sie; wie aber könnt ihr wissen,
Ob nicht ihr künftigs Glück dem euren abgewinnt?
Wir Menschen bleiben ja nicht stets in einem Stande.
Wer gegenwartig liegt, liegt drum nicht allezeit.
Ihr schimpft, ihr schändet ihn zu eurer eignen Schande,
Wenn euch der Morgen lehrt, daß ihr geringer seid.
Der Schmied
Ein Schmied, der ohne Grund sein Weib für untreu hielt,
Wollt, als er Vater ward, sein junges Ebenbild
Nicht für sein Fleisch und Blut erkennen.
Er wußte keinen Freund zu nennen,
Der ihm verdächtig schien. Man redete ihm zu;
Man sagt ihm, daß er sich hier selber Unrecht tu.
Und sucht ihm, Grund für Grund, den Argwohn zu benehmen:
Allein er wollte sich zu keinem Ja! bequemen,
Er saß und hing den Kopf, sah starr und unbewegt,
Gleich einem, welcher sich mit viel Gedanken schlägt,
Und nicht bestimmen kann, wie ihm zu helfen sei.
Zum Glücke fiel ihm hier die Adlerprobe bei,
Wie nämlich in dergleichen Fällen,
In welchen die Vernunft sich schwer zurechte finde,
Die Adler, wenn sie nicht gewisse Väter sind,
Die Jungen in die Sonne stellen;
Und selbe fremd und unecht nennen,
So fern sie ihre Augen nicht,
Nach ihrer angebornen Pflicht,
Den Phöbusstrahlen steif entgegen halten können.
Der Einfall, sprach er selbst, ist ungezweifelt gut,
Ich glaube, daß ich mich dadurch zurechte finde;
Denn was bei Adlern sonst der Brand der Sonne tut,
Das tut bei einem Schmiedekinde
Vermutlich eben auch ein glühend, heißes Eisen;
Die Probe wird es deutlich weisen.
Gleich lief er auf die Werkstatt zu,
Und ließ, zu seiner Seelenruh,
Die stärkste Stange glühend werden;
Die nahm er in die Hand, und hielt sie, als ein Tor,
Jedoch beständig noch mit sorglichen Gebärden,
Dem Erben in der Wiege vor;
Und seht! das gute Kind schlug gleich die Augen auf,
Und schien, mit unverwandten Blicken,
Dem Vater dergestalt den Zweifel aufzurücken.
Der Schmied erfreute sich, und schwur nun selbst daraus,
Daß dieses Kind ihm angehöre,
Und daß sein Weib kein Weib, wie manche Weiber wäre.
* * *
Den Blinden hilft kein Licht. Wer die Vernunft nicht hört,
Und aller Billigkeit den Rücken trotzig kehrt,
Den muß oft auch sogar die Torheit klüger machen!
Doch diese Narrenkur gerät nicht immer gut,
Die Lehrerin ist nicht gewiß in ihren Sachen.
Denn wenn das Glück nicht stets dabei das Beste tut,
So steht der Schüler in Gefahr,
Daß er das zwiefach wird, was er vor einfach war.
Die Krähe
Die Krähe hatte sich einst in der Kunst zu lügen,
Und andre Tiere zu betrügen,
Bekannt und weltberühmt gemacht;
Sie hatt es in der Tat hierin sehr hoch gebracht.
Denn wenn etwa ein guter Bissen,
Ein Aas, auf einem Anger lag,
So wußte sie den ganzen Tag
Die Raben, die ihr sonst zu wenig übrig ließen,
Durch ihren Zuruf zu verscheuchen.
Flieht! rief sie, weil der Mensch dies Aas vergiftet hat;
Man sucht uns hier den Tod zu reichen.
Wer nicht mehr hungern will, der esse sich nur satt;
Er kann sich hier auf ewig laben,
Und wird, ich bin ihm gut dafür,
Auf der Welt nichts mehr nötig haben.
Wie nun ein jedes kluges Tier
Sein Leben zärtlich liebt, und alles sorgsam fliehet,
Was seinen Untergang vermutlich nach sich ziehet,
So floh das Rabenvolk das Aas und die Gefahr,
So daß die Lügnerin, befreit von allen Gästen,
Ihr Fleisch für sich behielt, und nun im Stande war,
Sich fast den ganzen Tag allein damit zu mästen;
Denn länger währt es nicht, so ward es schon entdeckt,
Daß die Betrügerin die ganze Schar der Raben,
Durch einen falschen Dunst, gescheucht und abgeschreckt,
Um alles ungeteilt für sich allein zu haben.
Indessen sann sie schon auf einen neuen Streich.
Sie war auch, wie gesagt, an List und schlimmen Ränken,
An Einfall und Erfindung reich,
Und brauchte wenig Zelt, sich so was auszudenken.
Das lügen ward bei ihr so ein gewohntes Ding,
Daß nie ein wahres Wort aus ihrem Schnabel ging;
Und endlich mochte sie erzählen, was sie wollte,
Und wenn es noch so glaublich schien,
So pflegte man ihr doch den Beifall zu entziehn;
Man wußte, was man glauben sollte.
Du bist zwar, sprach ein Star, an List nicht zu ergründen:
Allein was nützt dir das? Was hast du für Gewinn?
Man nennt dich überall die große Lügnerin;
Kann man auch für ein Tier ein ärgres Schimpfwort finden?
Pfui! schäm dich doch einmal, und leug nicht allezeit!
Und seht! bei der Gelegenheit
Versprach es unsre Kräh, sie wolle sich bequemen,
Und doch zum wenigsten vor ihrem Ende noch
Einmal ein wahres Wort auf ihre Zunge nehmen.
Sie rief den Drosseln zu: Ihr Freunde! fliehet doch!
Sucht euch und euer Nest in Sicherheit zu stellen,
Daß euch und eurer Brut kein Unglück widerfährt;
Man wird die Buche morgen fällen,
Der Förster hats gesagt, ich hab es selbst gehört.
Glaubts nur! ich täusch euch hier mit keinem leeren Traume.
Die Drosseln kehrten sich an diese Warnung nicht,
So gründlich sie auch war, und blieben auf dem Baume
So lange, bis sie den Bericht
Drauf aus Erfahrung glauben mußten,
Und ihrer Kinder Fall und Tod,
Bei allzuspät geglaubter Not,
Als schon die Buche fiel, nicht mehr zu ändern wußten.
Schaut! rief die Krähe hier, ihr seid des Unglücks wert;
Ich hab es euch gesagt; ihr habt es zwar gehört,
Allein ihr habts nicht glauben wollen;
Drum gebt euch selbst die Schuld, denn ich kann nichts
dafür.
Der Drosseln Antwort war: Die Nachricht hätt uns hier
Nur jemand anders geben sollen,
So hätten wirs geglaubt und uns danach gerichtet;
Denn alles, was du sagst, scheint jedermann erdichtet.
* * *
Schaut! Einem Lügner ist die Wahrheit nicht viel nütze!
Man mißt ihm keinen Glauben bei.
Er sagt sie oder nicht, so ist das einerlei.
Gesetzt auch, daß sie sich auf Grund und Zeugen stütze.
Man sieht auf den Kredit, worin man sich gesetzt;
Der Zehnte fragt nicht nach dem Grunde.
Drum wird die Wahrheit oft, in eines Lügners Munde,
Weil eben der sie sagt, der Lüge gleich geschätzt.
Der Hirsch und das
Pferd
Ein Hirsch ward auf den Füßen krank,
Und mußte lediglich von fremder Gnade leben,
Denn hätt ihm niemand was gegeben:
So stürb er ohne Speis und Trank.
Einst sah er ungefähr ein Pferd vorüber traben:
Ach! rief er, guter Freund! bring mir doch auch etwas!
Soll ich durch deinen Dienst nicht auch ein Maul voll Gras
Von jener fetten Trift für mich zu hoffen haben?
Erbarm dich über mich! du siehst, ich kann nicht fort,
Sonst würd ich dir hier nicht beschwerlich fallen wollen.
Wie? rief das spröde Pferd, die fette Weide dort
Wird dir vielleicht ins Maul von selbst laufen sollen?
Ein Tagedieb, wie du, her vor der Arbeit flieht,
Und, aus Gemächlichkeit, in fremde Hände sieht,
Muß auch die Frucht der Arbeit meiden,
Und recht und billig Hunger leiden.
Du Bettler! kannst du denn nicht selbst nach Nahrung gehn?
Haha! das Bettelbrot schmeckt unvergleichlich schön;
Ich will dich wenigstens mit meinen Liebeswerken
Gewiß nicht in der Faulheit stärken.
Mein! sprach der kranke Hirsch, das fällt von selber hin;
Schau her! du darfst ja nur erwägen,
Wie elend und wie schwach ich bin.
O Himmel! könnt ich mich nach Wunsch und Willen regen,
Wie gern ernährt ich mich durch meinen eignen Fleiß!
Indessen weil kein Tier sein Glück und Unglück weis,
So glaube, da mich Gott zu dieser Last versehen,
Was mir geschehen sei, könnt andern auch geschehen.
Wodurch sich endlich noch das Pferd bewegen ließ,
Daß es dem Hirsch, jedoch mit stürmischen Gebärden,
Und gleichsam aus Verdruß, des Bettlers los zu werden,
Die ausgebetne Gnad ungnädig gnug erwies.
Nach diesem brach das Pferd an einem großen Steine,
Durch einen schweren Fall, sich beide Vorderbeine,
So daß es, da es sich nicht selbst zu raten wußte,
Nun auch den Unterhalt von andern bitten mußte.
Der Hirsch, der mittlerweile zu vollen Kräften kam,
Und sich des Pferdes Fall recht tief zu Herzen nahm,
Begab sich gleich aus freien Stücken,
Und ungebeten hin, und bracht ihm junge Wicken
Und Haberähren gnug, und stund ihm treulich bei.
Ach! rief das kranke Pferd, ich hätte nicht gemeinet,
Daß so viel Dankbarkeit bei dir zu finden sei.
Du irrest, sprach der Hirsch; denn was ich an dir tu,
Das schreib beileibe! nicht der Dankbegierde zu,
Die eben hier nicht nötig scheinet;
Du hast mir zwar vordem ein Maul voll Gras gebracht;
Allein du hast mirs auch, du wirst es noch wohl wissen,
Mit größtem Ungestüm verächtlich vorgeschmissen;
Wer so gilbt, hat sich schon dafür bezahlt gemacht.
* * *
Der auszustehende Verdruß
Scheint manchmal hier und da die Dankpflicht aufzuheben,
Wofern die Gebenden mit bittern Worten geben.
Denn eben die Geduld, die einer haben muß,
Der was erhalten will, bezahlt die größten Gaben,
Die oft um diesen Preis noch viel zu teuer sein.
Wofür ich danken soll, das muß auch nicht den Schein
Gekaufter Sachen an sich haben.
Das Licht
Ein Licht, das nach der Freiheit lechzte,
War der Laterne feind, die es gefangen hielt.
Du, sprach es, bist wohl recht Ägyptens Ebenbild;
Ich glaube, wenn ich mich zu Tode kreiß und ächzte,
Du ließest mich doch nicht aus der Gefangenschaft;
Dein Einschluß, schau nur her! vermindert Strahl und Kraft,
Ich schmelze fast vor eigner Hitze,
Und werd in kurzem hier in nichts zerronnen sein;
Mein, wider die Vernunft, hier eingesperrter Schein,
Wär in der freien Luft noch eins so stark und nütze,
Ich bitte, laß mich nur heraus.
Nein! sagte die Latern, der Wind geht itzt zu heftig;
Verbirg dich immer noch, er wehet dich sonst aus.
Und grade, sprach das Licht, als wär ich nicht so kräftig,
Ihm Widerstand zu tun. Wenn er die Lampen dort
Die über uns am Himmel brennen,
Nicht auszulöschen weis: So trau nur auf mein Wort,
Er soll mir weniger, als gar nichts, schaden können.
O das klingt lächerlich! versetzte die Latern;
Wer wird so widersinnig schließen?
Du solltest dich hierin doch zu erinnern wissen,
Ein anders sei ein Licht, ein anders sei ein Stern.
Dem sei nun, wie ihm sei, erwiderte das Licht,
Du und mein Herr, ihr kennt mich alle beide nicht,
Sonst suchtet ihr mich nicht lebendig zu begraben;
Und, kurz und gut, ich will die Freiheit wieder haben.
Hier stolperte der Mann, der die Laterne trug,
So, daß er sich ein Loch in alle Scheiben schlug.
Gib Achtung, rief das Licht, nun will ich erst recht
brennen!
Nun werd ich noch so weit die Strahlen werfen können,
Und alle Finsternis von Gass' und Markt vertreiben!
Allein das Wort war kaum heraus:
So blies der Äolus durch die zerbrochnen Scheiben,
Und löscht im Augenblick das Licht auf einmal aus.
* * *
Gott hat die Menschen oft, zu ihrer Sicherheit,
Durch Armut und durch Niedrigkeit,
Aus Liebe für ihr Heil, umschlossen und umzäunet.
Wem diese Vorsicht nun verhaßt und widrig scheinet;
Wem diese Brustwehr nicht gefällt,
Der hat sich selbst dadurch dem Unglück bloß gestellt.
Der Knabe
Ein kleiner Knabe stieg auf einen großen Berg.
Hier sah er um und um, mit herzlichem Vergnügen,
Sechs Dörfer wenigstens zu seinen Füßen liegen.
Er war zwar selber noch, dem Ansehn nach, ein Zwerg,
Doch weil er höher stund: So hielt er sich für groß,
Und glaubte, daß sein Maß weit über andre gehe,
Indem er von des Berges Höhe
Auf seine eigne Länge schloß.
Er schien sich nun mit einem Male
Ein großgewachsner Mann zu sein;
Hingegen schienen ihm hier andre Leute klein.
Den größten Samson in dem Tale
Sah sein allhier entstandner Wahn
Für einen kleinen David an.
Und kurz, der Knabe sah gleich unten an dem Berge
Den langen Maulwurffänger gehn;
Dem winkt er mit der Hand, er sollte stille stehn,
Er meint, es sei der kleine Görge,
Der mit ihm in der Schul auf einer Banke saß,
Noch mit der Kreide schrieb, und noch im Psalter las;
Dem hatt er was zu hinterbringen,
Drum kam er auch in vollem Springen,
Den steilen Berg herab in größter Eil geflogen,
Und fand sich unverhofft in seinem Wahn betrogen.
Der Maulwurffänger war noch da.
Hört! sprach er, sagt mir doch, wo ist der kleine Görge,
Den ich dort oben auf dem Berge
Vor kurzer Zeit hier gehen sah?
Ich war es, sprach der Mann, denn sonst war niemand hier.
Das kann nicht möglich sein, erwiderte der Knabe;
Der, den ich hier gesehen habe,
War lange nicht so groß, als ihr.
* * *
Auch die Erwachsnen selbst äfft oft ein falscher Schein.
Wie nun? macht Berg und Tal nicht wirklich groß und klein?
Man muß die Leute näher kennen.
Nicht alle, die hoch stehn, sind darum groß zu nennen;
Weil auch bei denen sich die wahre Größe finde,
Die in dem Tale wohnhaft sind.
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