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Der Meide Kranz

Der meide kranz ist kurz nach 1360 entstanden; 2950 Verse; im Prolog gewidmet an
Kaiser Karl IV. (Fürstenlob).

Systematische Wertelehre in Form einer quasi akademischen Begriffsdiskussion, die das
ererbte System der Wissenschaften mit einer überständisch gefassten Ethik verbindet.
Allegorische Personifizierung der 12 Wissenschaften, die die Krone der Jungfrau Maria
zieren, und unter denen schließlich der Theologie die Vorrangstellung zuerkannt wird.
Im 2. Teil Streit um die Vormacht zwischen der Natur und den 12 Tugenden, den die
Theologie zu Gunsten der Tugenden entscheidet.

Quelle:
©https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/14Jh/Muegeln/mue_meid.html
Die Bilder sind aus der ©Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg

 

Prolog

 

In lop der höchsten wirdikeit,
die nie der himmel überschreit
noch nimmer ummesweifen kan,
ich tummer fa zu tichten an.

5.
got erster urhap aller ding:
des himmels sterne, zirkel, ring,
erd, engel, mer, nature stark
floß durch dins milden herzen sark.
der ding ein ummegende sweif,

10.
naturen hant dich nie begreif,
das sie dir, schepfer, gebe stat.
kein sin erspüren mak din pfat,
wie ader wo din wesen ist:
das ist verborgen aller list.

15.
Natura wenet doch, wie du
in osten, here, wonest nu,
sint dem das erste wegn sich nam,
davon geburt den tiren quam.
nicht das du sist nach bunde da:

20.
kein maß der zit dich mißet gra.
naturen bundes bistu fri,
ouch stürt koin dink din edeli.
du bist ouch aller formen an,
wie formen orden uß dir ran:

25.
pin unde müde bistu ler.
zu dir stet aller geiste ger.
drifaldik, doch eins wesens got,
unwegelich gar sunder spot,
vernunst dich nicht begrifet min,

30.
doch muß von not ein keiser sin:
darnach sint fürsten, darnach wart
des ritters und gebures art.
sust bistu, got, ein anefank:
durch dines herzen klamme drank

35.
naturen art in rechter saß.
du linge, zirkel, winkelmaß:
nach dir sich alles wesen mißt;
ouch von dem zentrum fürt din list
die lingen zu dem ummesweif.

40.
wie menschen sin dich nie begreif,
in dingen du doch bist bekant:
dich murer bi der mur ich fant
und doch dich leider nie gesach.
min oug ist sam der ülen swach,

45.
das nicht der sunnen mak gesen
und küset doch irs lichtes bren.
sust, her, in dingen kenn ich dich,
die du, got, schepfest mechtiklich
und gibst in leben unde nar,

50.
die sust ertrenkte todes mar.
ich ruf dich sam das küchel an
des raben, das er hat gelan,
das an dir eine suchet trost:
es ruft dich an und wirt erlost.

55.
sust löse, got, die sinne min
von strenger unvernünste lin,
das ich gesprechen müg ein ticht,
davon der name werd gericht
der tochter und der ammen din,

60.
die dich gebar an alle pin.
die selben maget ruf ich an
zu stür uf mines tichtes ban,
darnach den waren gottes frünt,
künk Karlen, das sin leben künt:

65.
er mochte brechen und enbricht:
des gap im got sin war gericht,
das er in volle geben mak
der tugnde lon und bruches slak.

 


©Aus der Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg