Die in einer Kiste geborene Maus
Eine Kiste war das Haus,
Und Geburtsort einer Maus.
Monate bringt sie in Ruh,
Und Zufriedenheit hier zu;
Denn sie glaubt, ein besseres Leben
Könnt es anderswo nicht geben.
Endlich bricht bei unsrer Maus
Doch die Lust zu wandern aus;
Bloß darum, damit sie sähe,
Ob die Welt noch weiter gehe.
Eine kleine Ritze beut
Ihr hierzu Gelegenheit;
Sie entschlüpfet zu dem Haus
Durch die Öffnung husch hinaus.
Da sie voller Wißbegierde
Alles ganz genau durchspürte,
Und Gerichte dort und da
Von verschiednen Arten sah;
Fing sie an daran zu speisen,
Sie zu loben, und zu preisen:
"Schande!" rief sie endlich aus,
"Weil ich in der Einfalt wähnte,
Daß es außer meinem Haus
Gar nichts bessers geben könnte."—
* * *
Diese Fabel malt den Toren,
Der den Ort, wo er geboren,
Blindhin liebt, als träfe man
Anderswo nichts gutes an.
Der Habicht und der
Bauer
Der Habicht wollt' ein Täubchen fangen,
Und blieb in einer Schlinge hangen.
Als nun ein Bauersmann den Tod
Dem Taubenfeinde angedroht,
Sprach er: "Ach! schone, lieber Mann!
Ich hab ja dir nichts leids getan."
"Und ich," versetzt der Bauer, "glaube,
Es kränkte dich auch nicht die Taube."
* * *
Der leidet billig selbst den Tod,
Der ihn der Unschuld angedroht.
Das Weib
bittet um ihres Mannes Tod
Den schwerlich kranken Gatten sah
Die Gattin seinem Tode nah.
"Wie?" jammert sie, "Tod, du Tyrann!
Steinharter! raubest mir den Mann?
Halt ein! — doch ist's des Schicksals Schluß,
Daß dir geopfert werden muß —
Hier ist dein Opfer, komm herbei!"
Der Tod kommt auf das Klaggeschrei.
Die Überraschte bebt, und spricht:
"O Tod! o Tod! ich rief ja nicht,
Um mich zu nehmen, dich hierher;
Den nimm zum Opfer — da liegt er."
* * *
Ein Wortgepränge macht der gleisnerische Schmerz:
Doch wenn Gefahren droh'n, dann redet erst das Herz.
Der Affe,
der Esel und der Maulwurf
"O könnt' ich doch auch Hörner tragen!"
Fing einst der Esel an zu klagen.
Der Affe seufzet: "Ach! und ich
Bin ohne Schweif — das kränket mich."
"Schweigt," sprach der Maulwurf, "seht mich Blinden —
Läßt sich ein ärmeres Tier noch finden?"
O Mensch! was lebst du deine Tage
In Traurigkeit, und steter Klage?
Du darfst ja nur auf andre blicken,
Die noch weit größre Wehen drücken;
Und denken: diese leiden mehr —
So ist dein Leiden halb so schwer.
Der Wolf und
das Stachelschwein
Mach dich zum Streite stets gefaßt,
Wenn du bekannte Feinde hast.
Es sah einmal ein Stachelschwein
Der Wolf bei leerem Magen;
Doch wollte er so kühn nicht sein,
Und einen Angriff wagen.
Die Stachelschanze schreckte ihn,
Auf diese Beute loszuzieh'n —
Er sann daher auf Kniffe.
"Was läßt du, als ein Mann im Streit,
Dich stets bewaffnet sehen;"
Sprach er, "da zu gewisser Zeit
Auch Krieger wehrlos stehen?
Was für ein Feind schreckt dich so sehr,
Auf welchen zielet dein Gewehr,
Da Fried und Ordnung herrschen?
O folge meinem Rat vielmehr,
Leg deine Waffen nieder;
Glaub mir! sie schänden dich zu sehr —
Befrei die zarten Glieder."
"Bewaffnet wider Feinde stehn,"
Versetzt das Schwein, "ist nicht nur schön,
Auch gut zu allen Zeiten."
Das kranke Pferd
und der Hund
Ein Hund, der sich von Leichen nährte,
Sprach einst zu einem kranken Pferde:
Wie lebest du? — Der Kranke spricht:
Zwar schlecht; doch, wie du wünschest, nicht.
* * *
Es nehme diese kluge Mähre
Die geizge Erbezunft zur Lehre.
Der ungetreue
Hund und der Hirt
Melampen gab die wollne Herde
Ein Hirt, daß sie beschützet werde;
Doch war das Übel ihm nicht kund —
Von seiner Treue wich der Hund.
Verdorben waren seine Sitten,
Wie Wölfe fing er an zu wüten,
Und hatte grausam, und vermessen
So manches Wolltier aufgefressen.
Nun sucht die gräulichen Verbrechen
Der Hirt mit seinem Tod zu rächen.
"Mich schlachten," rief der Hund ihm zu,
"Als wäre ich ein Wolf, willst du?
Sei klug, und deinem Diener gut,
Vergieße feindlich Wolfesblut." —
"Die Wölfe kann ich Feinde nennen,"
Sprach jener, "weil sie's selbst bekennen.
Dich aber, der mein Freund mir schien,
Und durch wolfsart'ge Lastertat
Die Treue mir gebrochen hat,
Muß ich vielmehr zur Strafe zieh'n."
* * *
Geschildert wird durch das Gedicht
Der doppelt große Bösewicht,
Der von Treulosigkeit verleitet
Zu fernern Lastertaten schreitet.
Der herrschgierige
Hecht
Ein Hecht, der wild und mächtig war,
Beherrschte eine Fischeschar.
Ihr Wohnort war ein tiefer Fluß;
Doch hatte bald der Fürst Verdruß:
Es wollte ihm der Platz zu klein
Für seine Freßbegierde sein.
"Die Freßlust," sprach er, "herrscht in mir,
Ihr Feuer zehret für und für
An meiner Brust — und leider ist
Der Raum zu eng, der mich umschließt.
Ich muß in fremden Gegenden
Mich um ein weiteres Reich umseh'n.
Vom Wandrer Salm (noch denk' ich dran)
Erfuhr ich, daß der Ozean
Sich unbeschreiblich weit ergieße,
Wo sich's nach Willkür schwärmen ließe.
In diese Gegend fall ich ein —
Da kann es nicht gefehlt sein.
Es wird mir Künstler leicht gelingen,
Des Meergottes Scharen zu bezwingen:
Ich sah schon längst für Schlund und Zahn
Das Flußvolk als ein Spielwerk an."
Er sprach's, und fuhr hinab den Fluß,
Dem Meere zu mit raschem Schuß.
Kaum brach er bei der Mündung aus,
So wurde er des Meerwolfs Schmaus.
* * *
Wie schrecklich würde diese Welt,
O böse Herrschbegierde!
Von dir gemartert, und gequält —
Wenn Dummheit dich nicht führte.
Der grüne Esel
Ein Mann färbt seinen Esel grün,
Und läßt ihn so die Stadt durchzieh'n.
Für lächerlich sah jedermann
Anfänglich die Erscheinung an.
Gleich eilten Knaben, Greise, Frauen,
Den grünen Esel zu beschauen:
Sie drangen in die Wette hin,
Und scherzten freudevoll um ihn;
Doch lachte bald die ganze Stadt
Sich an dem Wundertiere satt.
Am grünen Esel sah'n die Toren
Nichts, als ein Tier mit langen Ohren.
* * *
Gewöhnlich ist es in der Welt,
Daß in die Länge nichts gefällt.
Der Löwe und der Frosch
Es machte einst ein Frosch den Löwen
Durch sein gewaltig Plaudern beben.
Er glaubt, ein großes Tier sei da;
Indes er aber rückwärts sah,
Kam dieser Frosch aus seiner Pfütze —
Der Löwe quetschet ihn mit Hitze.
* * *
Den Tapfern blinde Furcht einjagen,
Läßt sich nicht ohne Nachteil wagen.
Der Bauer und das Glück
Im Boden grub ein Bauersmann
So gähling einen Schatz heraus.
Er nahm ihn rasch, trug ihn nach Haus,
Und sah ihn als kein Glücksgut an;
Vielmehr als eine solche Gabe,
Die er mit Recht verdient habe.
Nun hatte ihm in wenig Tagen
Ein Dieb den Schatz davon getragen.
Zu trösten war der Mann nicht mehr;
Er heult bestürzt und toll umher,
Und schimpft das Glück ganz lästerlich.
Das Glück versetzt: "Was kränkst du mich
Durch unverdienten Schimpf so sehr,
Als ob ich Schuld am Diebstahl wär?
Du hast ja, was man dir entwandt,
Als meine Gabe nicht erkannt." —
Die Tulpe
Voll Hoffnung blühte einem Manne
Die allerschönste Tulipane,
Und jedes Auge, das sie sah,
Verweilte mit Vergnügen da.
Ihr Leib, der schlank, und aufrecht war, —
Wies seine prächt'gen Schätze dar.
Der Kelch, ihr Haupt, war zierlich rund,
Holdselig, feuervoll, und bunt.
Als nun die lüsterne Begierde
Hierher die Kenner alle führte,
Der Tulpen schönste zu beseh'n,
Und alle sie bewunderten,
Sie liebten, nur nach ihr sich sehnten,
Und gern ihr eignes Gut sie nennten;
War einer so verschmitzt und kühn,
Und nahm sie gähling diebisch hin.
* * *
Hier lernet, daß man hart behält,
Was vielen andern wohlgefällt.
Die Knaben und die
Frösche
Von Fröschen voll war eine Pfütze.
Am Ufer nahmen Knaben Sitze,
Und töteten so bloß zum Spiele
Der armen Teichbewohner viele;
Der es gewagt, den Kopf zu strecken,
Den schlugen sie mit langen Stecken.
Da sprach ein Frosch von fern zu ihnen:
"Grausame! Menschen ohne Herz!
Euch kann zum Zeitvertreib und Scherz
Die große Niederlage dienen?"
* * *
Dies trifft die unverschämte Macht,
Die Arme unterdrückt, und lacht.
Die Fische
Sehr große Fische fing ein Mann
Im Netz — die kleine Schar entrann.
Es drangen mit dem schmalen Leibe
Zur wässerichen Fensterscheibe
In dem von Garn gemachten Haus:
Die Dingelchen husch husch hinaus.
* * *
Nach Großen greift das Glück nicht leer,
Und fällt oft lahm auf Niedre her.
Die Rose und das
Tausendschön
Wo ist ein Mensch in dieser Welt,
Dem nicht mein Purpurschmuck gefällt,
Den mein Geruch voll Lieblichkeit
Nicht höchst entzücket, und erfreut?
So hatte, stolz auf ihre Pracht,
Die Rose sich einst groß gemacht.
Es hörte dies ein Tausendschön,
Und sprach: "ich muß es eingesteh'n,
So etwas ist mir nicht gegeben —
Hingegen aber langes Leben.
Der fliegende Fisch
Man trifft im großen Ozean
Mit Flügeln viele Fische an.
Da hatte einer von den Jungen
Sich über andre aufgeschwungen.
"Ein Vogel," sprach er, "ha! bin ich —
Hier zu verweilen schäm' ich mich.
Ich flieg vom düstern Vaterort,
Und diesen stummen Tieren fort.
Ich will, um glücklicher zu leben,
Nach einer Insel mich begeben,
Und dort mit süßen Melodeien
Bei Vögeln mich im Hain erfreuen:
O ja!" — Er wollte noch mehr sagen;
Doch leider! merkte er, daß ihn
Die trocknen Flossen nicht mehr tragen,
Und sank auf seinen Geburtsort hin;
Denn wenn es ihm an Nässe fehlt,
So ist das Fliegen eingestellt.
* * *
Es schwingt sich mancher Geist sehr hoch in dieser Welt:
Glück zu! daß er ja nicht bald in den Abgrund fällt.
Die Sonne und der Wind
Es stritten, wer mehr Kräfte hätte,
Einst Wind und Sonne um die Wette.
Nach diesem langen Zanke sah'n
Sie endlich einen Wandersmann;
Und beide sprachen: "prüfen wir
Die Stärke an dem Manne hier:
Zwingt einer von uns beiden ihn,
Den Reisemantel auszuziehn;
Der kann mit allem Rechte sagen,
Er ab den Sieg davon getragen." —
Zuerst fing auf den Wandersmann
Der Wind voll Wut zu blasen an:
Er aber hüllt sich stärker ein,
Um vor dem Sturm geschützt zu sein.
Weil jenem der Versuch mißlungen,
Ließ Phöbus seine heißen Strahlen
Ganz sachte auf den Wandrer fallen.
Bald ward des Mannes Haut durchdrungen;
Er riß erhitzt aus freien Stücken
Den schweren Mantel von dem Rücken.
* * *
Gewalt vertreiben mit Gewalt
So manche in der Welt;
Doch reißt die Gütigkeit sie bald,
Wohin es ihr gefällt.
Der Bauer und der
Storch
Es brachte einst ein Bauersmann
Am Feld verborgne Schlingen an.
Hier mußte unter Kranichen,
Und Gänsen, welche die schönen Saaten
Des Bauers abgefressen hatten,
Sich auch ein Storch gefangen seh'n.
Er fleht: "O Mann verschone, mich!
Kein Kranich, keine Gans bin ich:
So fromm, so schuldlos, und so rein
Kann keiner aus den Vögeln sein;
Der so, wie ich, die Eltern liebt,
Und ihnen Speis' im Alter gibt.
Ich nütz' auch euch; denn ich verschlinge
Schlang', Eidechs' — all die gift'gen Dinge."
"Ich geb es zu," versetzt der Mann,
"Daß alles dieses wahr sein kann;
Doch fing ich dich bei Schuldigen —
Wie sie mußt du den Tod aussteh'n.
* * *
Wer Bösewichten sich in Lastern beigesellt,
Der wird mit Recht bestraft — hat er auch nicht
gefehlt.
Die Glieder und der
Magen
Es wollten einen bessern Stand,
Nebst andern Gliedern, Fuß und Hand,
Und lästerten mit schweren Klagen,
Als einen trägen Teil, den Magen,
Daß sie ihn alle guten Bissen
Allein verschlingen sehen müssen.
Man schloß: "er soll die Ruhe meiden —
Wo nicht, so muß er Hunger leiden." —
Um Speise bat nun oft der Magen —
Sie ward ihm trotzig abgeschlagen.
Der Hunger machte nach und nach
Ihn schlapp, und samt den Gliedern schwach.
Verrichten wollte ihre Werke
Die Hand — umsonst — weg war die Stärke:
Denn durch Entwöhnung ward der Magen
Unfähig, eine Speise zu tragen.
So hörte dann der Lebenslauf
Beim Magen, wie den Gliedern auf.
* * *
Am meisten nützt der dummen Welt
Oft der, den sie für müßig hält.
Das Fischchen und
der Fischer
Ein Fischchen, das an der Angel hing,
Rief zu dem Fischer, der es fing:
"Verschone mich! ich bin zu klein —
Ich bitte, wirf mich wieder ein!
Ich wachse — wenn ich größer bin,
Wirst du aus mir mehr Nutzen zieh'n."
Er sprach: "du mußt gebraten sein —
Ich kauf' um Geld nicht Hoffnung ein."
Der Hund und der Ochs
Zu einer vollen Krippe nahte
Sich einst ein Ochs, der Hunger hatte.
Da lag ein Hund, und trieb das Tier
Mit Murren alsbald von hier.
"Die Mißgunst," sprach der Ochs zu ihm,
"Bestrafe Zeus gerechter Grimm;
Weil du von Heu dich selbst nicht nährst,
Und andern den Genuß verwehrst!"
* * *
Laßt neidische, verfluchte Seelen!
Die kleine Mähre euch empfehlen,
Die ihr dem andern nicht vergönnt,
Was ihr doch selbst nicht nützen könnt.
Der Knabe und das Glück
Als einst an eines Brunnens Rand
Das Glück ein Knäbchen schlafend fand,
Sprach es zu ihm: "steh auf mein Kind?
Und meide diesen Ort geschwind —
Fielst du hinein, so sagte man,
Nicht du — ich wäre Schuld daran.
Jupiter und das Kamel
Großes Mißvergnügen fand
Das Kamel an seinem Stand';
Fing wehmütig an zu klagen,
Daß die Stiere Hörner tragen,
Und es aller Waffen frei,
Andrer Tiere Spielwerk sei.
Endlich stieg zum Zeus sein Flehen,
Es mit Hörnern zu versehen:
Aber er ließ unerhört,
Was das dumme Tier begehrt;
Stümmelte im vollem Grimm
Noch dazu die Ohren ihm:
* * *
Drum genieße stets zufrieden,
Was das Schicksal dir beschieden.
Der Wolf und der Bock
Weiden ging die Geiß einmal,
Und verschloß den Bock im Stall.
"Öffne ja (war ihre Lehre)
Niemand, bis ich wiederkehre!"
Leise hergeschlichen kam
Isegrim, der dies vernahm;
Pochte an der Tür, und sprach:
"Aufgemacht!" — Der Bock rief: "nein;"
(Denn er sah die Falschheit ein)
"Ziegenstimme höre ich;
Aber, Wolf! ich kenne dich
Durch die Ritzen in der Tür —
Du kommst nicht herein zu mir."
* * *
Schwachen kann man's leicht vergeben,
Wenn sie im Mißtrauen leben.
Die Schafe und die
Wölfe
Frieden stifteten recht feierlich
Einst Schafe und Wölfe unter sich.
So, daß sie Geiseln wechselten,
Den Frieden zu bekräftigen.
Der Wolf gab seine junge Schar,
Das Schaf die starken Hunde dar.
Die guten Schafe fingen dann
Freimütiger zu scherzen an,
Um von des Friedens edlen Gaben
Vollständigen Genuß zu haben.
Die jungen Wölfe heulten sehr,
Und riefen ihre Mütter her.
Sie stürmten voll Wut herbei,
Und brachen schandhaft ihre Treu.
Darauf zerfleischt der Wölfe Zahn
Die Schafe, die sich hilflos sah'n.
* * *
Weit schädlicher, als kriegen, ist
Der Friede, den man listig schließt.
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