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Fabeln 1/2
 
Der Fuchs und die Weintraube
Der Wolf in Schafskleidern
Der Hausvater und das Götzenbild
Das Kamel und die Menschen
Das Pferd und der Hirsch
Der Fuchs und die Büste
Die beiden Töpfe
Das Chamäleon und die Vögel
Der Esel und der Hase

Der Berg
Die beiden Ärzte
Der Esel mit den Reliquien
Der Hirsch und der Zaun
Der Hund und die Feile
Das Rebhuhn und die wilde Ente
Die beiden Mäuse und die Ratten
Der Affe und die Nüsse

 


Der Fuchs und die Weintraube

Ein Fuchs sah eine schöne Weintraube hängen. Er bekam Appetit danach, und wollte an
dem Spalier hinaufspringen. Da sie aber zu hoch hing, konnte er sie nicht erreichen. —
"Aber sie ist ja so nicht reif!" — sagte er endlich verächtlich, und ging fort.
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Geschichte gewisser Rückzüge! — Aufgehobene Belagerungen! Rapporte
kommandierender Generäle!

Der Wolf in Schafskleidern

Ein alter Wolf, den die Kräfte verlassen hatten, suchte durch List zu ersetzen, was ihm an
Stärke fehlte. Er nahm eine Schafshaut und verkleidete sich so gut, daß er unbemerkt
mit in die Hürde kam. Schon glaubte er gewonnen zu haben, und wartete nur auf die
Nacht um sein Bubenstück auszuführen, als der Hund ihn am Geruch erkannte.
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Despoten! Vergebens macht ihr die guten, populären Fürsten. Ihr könnt den einfältigen
Haufen täuschen, der Kluge erkennt euch immer an etwas.

Der Hausvater und das Götzenbild

Ein Peruaner hatte ein hölzernes Götzenbild in seinem Hause, das er als den Schutzgott
desselben verehrte, Er überhäufte es mit Geschenken und Ehrenbezeugungen;
gleichwohl brachte es ihm wenig Glück.
Als er nun eines Tages seine Axt, sein Beil und seinen Kahn verloren hatte; so kam er
voller Grimm nach Hause, machte sich über sein Götzenbild her, und zerschlug es.
"Ha!" — rief er freudig, als eine Menge Goldstücke herausfielen: — "Warum habe ich das
nicht eher getan?"
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Was sollen die Klöster und die Pfaffen mit ihren Messen und Prozessionen? Nehmet ihr
Gold, und machet sie zu Soldaten! Das wird dem Feinde Abbruch tun.

Das Kamel und die Menschen

Der Erste, der ein Kamel erblickte, hatte in seinem Leben noch keines gesehen. Er floh
davor, wie vor einem Ungeheuer. Der Zweite wurde schon dreister; er blieb stehen, und
betrachtete es in der Ferne. Der Dritte ging beherzt darauf zu, und besah es in der Nähe.
Der Vierte warf ihm eine Schlinge um den Hals, zähmte es durch Hunger, und machte es
zum Lasttier.
"Ach!" — sagte das Kamel zu sich selbst: — "Ich kann mich trösten; den Königen ist
es nicht besser gegangen! Erst abgöttische Ehrfurcht und das heiligste Stillschweigen!
Zuletzt Entthronungen und Nationalkonvente!

Das Pferd und der Hirsch

Als die Tiere noch in ihrer Freiheit lebten, hatte das Pferd den Tod des Hirsches
beschlossen, den es haßte. Nach einigen vergeblichen Versuchen bat es den Menschen
um seinen Beistand, und ließ ihn aufsitzen. Er legte dem Pferde Gebiß an, nahm einen
Wurfspieß, verfolgte den Hirsch, und erlegte ihn glücklich.
"Sei bedankt!" — sagte das Pferd: — und wollte fortgehen. Aber der Mensch hielt es mit
dem Gebiß zurück. — "Nein!" — gab er zur Antwort: — "So habe ich es nicht gemeint!" —
Und von nun an blieb das Pferd in der Sklaverei.
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Die Geschichte von P —n seit 1765.

Der Fuchs und die Büste

Ein Fuchs trat in die Werkstätte eines Künstlers, und sah eine hohle Büste von Gips mit
einer Krone. "Ach wie schön!" — rief er aus: "Wenn sie nur auch Gehirn hätte!" —

Der Fuchs wußte nicht, daß die Kronen in der Regel auf leeren Köpfen stehen; so wie
umgekehrt die leeren Köpfe auf den Kronen!

Die beiden Töpfe

Der allgemeine Krieg war bis in die Küche gedrungen. Der Kessel hatte ein Manifest
gegen den eisernen Topf erlassen; und dieser wollte sich mit seinem Nachbar, dem
tönernen Topf, verbinden. — "Aber bedenke, mein teurer Bruder!" — war die Antwort:—
"Ich bin so schwach, so zerbrechlich! Wenn er auf mich stürzte, ich wäre auf immer
verloren!" — "Sei ohne Sorge!" —erwiderte er: — "Ich werde mich vor dich stellen,
und dich decken."
Der Traktat war geschlossen; die Feindseligkeiten gingen an; der Kessel stürzte wütend
auf seine Feinde. Doch der tönerne Topf fühlte den Schlag allein, und bekam eine
ziemliche Wunde.
Ein zweiter Angriff; er bekam noch eine. Ein dritter; und er war in Stücken.
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Ohnmächtige Alliierte großer Mächte gegen noch größere! England und Sardinien!

Das Chamäleon und die Vögel

"Es lebe die schwarze Farbe!" — schrie der Rabe. Ein Chamäleon hörte es, und färbte
sich schwarz. — "Nein, die weiße soll leben!" rief einige Minuten darauf der Schwan;
und flugs wurde es wieder wei0. — "Pfui, Schwarz und Weiß!" — sagte der Zeisig: —
"Gelb ist die schönste!" —"Gelb?" — fiel die Wachtel ein: —"Grau willst du sagen" —
"Und ich meine Grün! Grün!" — wiederholte der Papagei.
Das Chamäleon nahm alle Farben an, in einem Augenblicke, eine nach der andern.
Es wollte sich alle Vögel zu Freunden machen; und wurde allen verächtlich.
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Zeitungsschreiber! — Politische Amphibien! — Hofleute! —

Der Esel und der Hase

"Fort!" — sagte der Löwe zu seinem Geheimschreiber, dem Luchse.— "Setze mir gleich
ein Dekret auf! Sie sollen mir alle aus dem Lande! Alles was Hörner hat! Sie sind mir zu
klug! Es sind lauter Jakobiner!" —
Das Dekret wurde gegeben, und alle gehörnte Tiere mußten das Land verlassen. —
"Ach! — sagte der Esel zum Hasen: — "Wie wird es uns gehen! Wie leicht kann man
unsere Ohren für Hörner ansehen!" — Der Hase schlug vor, sich an den Geheimschreiber
zu wenden.
Sie trugen Ihre Sache vor. — "Seid unbesorgt!" — war die Antwort: — "Esel und Hasen
verkennt man nicht!" —
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Wem fallen hier nicht gewisse andere Dekrete ein?

Der Berg

Der Donner rollte, die Erde zitterte, der Berg wankte von seinem Fuße bis zum Gipfel,
die ganze Natur war in Aufruhr.
"Was wird da herauskommen?" — sagten die erschrockenen Bauern, die in die Ebene
geflohen waren: — "Wird er eine neue Schöpfung gebären? Wird er eine neue Provinz
von sich geben?" —
In dem Augenblicke borst der Berg mit einem schrecklichen Getöse; und es kam nichts
heraus, als — Wind.
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Die Konvention von —z!

Die beiden Ärzte

"Ich sage, er stirbt!! — "Und ich behaupte, er bleibt leben," — So stritten sich zwei
Ärzte, die man zu gleicher Zeit zu einem Kranken gerufen hatte. — Indes sie nun jeder
den andern zu überzeugen suchten, verschied der Kranke.
"Habe ich's nicht gesagt?" — triumphierte der Erste. — "Hätte er mir geglaubt, er lebte
noch!" — sagte der Andere. —
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Seht unsere neuen politischen Astrologen an! Mit welcher Unverschämtheit sie den
Staaten die Nativität stellen!

Der Esel mit den Reliquien

Ein Esel trug ein Kästchen mit Reliquien. Die frommen Seelen, die ihm begegneten,
warfen sich andächtig in den Kot davor nieder. — "Wie verehrt ich bin!" — sagte der
Esel, und reckte seine Ohren hoch in die Luft: — "Alles beugt sich vor mir!"

"Elender Wicht!" — gab ihm sein Treiber zur Antwort: — "Du räsonierst wie ein —sel mit
Stern und Orden!"

Der Hirsch und der Zaun

Ein Hirsch, der von der Jagd verfolgt wurde, rettete sich mit einem kühnen Sprunge
hinter einen lebendigen Zaun. Die Hunde hatten die Fährte verloren; die Jäger wollten
umkehren; als der Hirsch anfing an den Blättern zu nagen.
Wie undankbar! Aber in dem Augenblicke verriet er sich auch; man stürzte auf ihn zu,
und der Zaun wurde mit seinem Blute gefärbt.
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Emigrierte! Merkt euch das!

Der Hund und die Feile

Eine Feile fiel vom Tische herunter, und beschädigte einen Hund. Wütend stürzte er über
sie her, und wollte sie zerreißen.
"Laß das gut sein!" — sagte sie: — "Eher würdest du dir die Zähne ausbeißen."
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Alliierte! so macht doch Frieden!

Das Rebhuhn und die wilde Ente

Ein Rebhuhn wurde von einem Geier ergriffen. Eine wilde Ente, die es sah, frohlockte mit
boshafter Schadenfreude darüber. "Deine Zeit wird auch kommen!" — rief ihr das
sterbende Rebhuhn zu: und in dem Augenblicke traf sie der Schuß eines Jägers.
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Girondisten! Die Jakobiner feierten euren Tod als ihren Triumph. Die Zeit hat euch
gerächt!

Die beiden Mäuse und die Ratten

Zwei Mäuse hatten eine Auster gefunden, und jede wollte sie allein haben: man beschloß
endlich die Ratte zum Schiedsrichter zu nehmen, und überlieferte ihr das streitige Gut.
Sie öffnete die Auster, und schluckte sie hinunter: — "Hier ist für jeden eine Schale!" —
sagte sie: — "Das erste war für die Gebühren."
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L —r Streitigkeiten!

Der Affe und die Nüsse

Ein Affe nahm zwei Nüsse. Um sie zu öffnen, drückte er sie heftig gegen einander.
Die schwächste zerbrach. Jetzt kam eine dritte, eine vierte, und so ein Hundert an die
Reihe; immer wurde eine durch die andere zerdrückt als auf einmal ein Felsenstück
losbrach, und den Affen selbst zerschmetterte.
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Orleans, Brissot, Danton. Vinrent u. s. w. Der Affe war Robespierre!