Fabelverzeichnis

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Je me suis souvent dit: Voilà de quelle sorte
L'homme agit, et qu'il se comporte
En mille occasions les animaux!
                                            La Fontaine

 
Fabeln 3/1
 
Der Schäfer und sein Hund
Der Affe und die Katze
Die Frösche und der Kranich
Der Hund und die Schafe
Die Schildkröte und die beiden Enten
Der Schäfer und seine Herde
Der junge Löwe
Die Frau und das Licht
Die beiden Esel
Die beiden Flaschen

Der Löwe und die Tiere
Die Hunde und die Katzen
Die Krebse
Der Adler und die Elster
Der Hund und der Igel
Der Holzhauer und der Baum
Der Affe und der Gärtner
Die Frösche und die Sonne
Das Pulver
Der Obstbaum und der Gärtner

 


Der Schäfer und sein Hund

Ein Schäfer hatte einen vortrefflichen dänischen Hund, der allen Wölfen furchtbar war,
aber des Tages ein großes Brot fraß. Der Schäfer wollte sparen; er schaffte den großen
Hund ab, und nahm zwei kleine Spitze dafür. — "Sie werden noch besser wachen!" —
sagte er: — "und kosten doch bei weitem nicht so viel." —
Aber er betrog sich. In der ersten Nacht schon kam der Wolf, und fraß Hunde und Schafe.
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Nationen! Die Allianz eines mächtigen Staates ist nützlicher, als die Freundschaft noch so
vieler kleiner ohnmächtiger Fürsten!

Der Affe und die Katze

Der Affe und die Katze saßen um einen Herd, wo der Koch Maronen backte. — "Was für
ein Leckerbissen!" — sagte der Affe, indem er sich zur Katze wendete: — "Wie wäre es,
wenn du sie herausholtest? Hätte ich die Pfoten dazu! ich wüßte, was ich täte." —
So fuhr er fort die Katze zu bereden; und es wirkte. Bedächtig zog sie die erste aus der
Asche; flugs schlang sie der Affe hinunter: sie wollte jetzt die zweite holen;
und verbrannte sich die Pfoten.
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So opfert ihr euch auf, Generäle, für die Vorteile eines indolenten wollüstigen Königs!
So vergießet ihr euer Blut, Nationen! für die Launen eines hinterlistigen Ministers!

Die Frösche und der Kranich

Ein alter Kranich, der halb blind war, starb vor Hunger, weil er die Frösche nicht mehr
sehen konnte. Eines Tages saß er traurig und nüchtern am Ufer eines Teiches, als er
einen Frosch auf sich zukommen sah.
"Ach!" — rief er: — "Soeben hörte ich es! In acht Tagen wird der Herr fischen! Eile, und
sage es deinen Freunden!"
Eine Schreckenspost für alle Fische! Die Verwirrung war allgemein. Was wird man
anfangen? wie wird man sich retten? — Der Kranich wird um Rat gefragt.
"Seid ohne Sorgen!" — sprach er: — "Ich will euch einen nach dem andern in Sicherheit
bringen." — Man nimmt es an. Er trägt sie alle in einen kleinen schmalen Bach, und
verzehrt sie einen nach dem andern.
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Politiker! Wo ist eure Klugheit? Mit alten Feinden Schutz und Trutzbündnisse zu schließen!

Der Hund und die Schafe

Ein Schäferhund hatte die böse Gewohnheit, die Schafe blutig zu beißen. Sie beschwerten
sich endlich. — "Geh!" — sagte der Schäfer: "Du machst es wie die Soldaten mit uns.
Du sollst die Schafe bewachen; und schindest sie." —

Die Schildkröte und die beiden Enten

Eine Schildkröte hatte mit zwei Enten Bekanntschaft gemacht. — "Ich möchte wohl gern
die Welt sehen!" — sagte sie: — "Wenn ich nur fliegen könnte!" — Die Enten schafften
indessen Rat. Sie mußte einen Stock in den Mund nehmen: jede Ente faßte an einem
Ende an; und so flogen sie mit ihr fort.
Wie erstaunten die Bauern! Welche Ausrufungen! — "Das ist die Schildkrötenkönigin!" —
schrie alles. — "Ja, ich bin es! " rief das eitle Tier: — aber indem sie den Mund öffnete,
ließ sie den Stock los, und stürzte zum allgemeinen Gelächter herunter.
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Wie mancher Große wurde auf seinen Reisen allgemein bewundert, so lange er — schwieg.

Der Schäfer und seine Herde

"Auf, meine Freunde!" — rief ein Schäfer seinen Schafen zu: — "Mut und Tapferkeit!
Fürchtet euch nicht vor dem Wolf, haltet nur treulich zusammen, und stehet fest und
unverzagt!"
Die Schafe versprachen es, und alle schworen, den Wolf zu töten. Aber kaum zeigte er
sich in der Ferne — "Ach!" — schrien sie: — "Er möchte uns auch zerreißen, wie unsere
Brüder!" — und liefen davon.
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Anrede an geschlagene Armeen! Siehe die Zeitungen!

Der junge Löwe

"Sire!" — sagte der Fuchs, als Staatsminister des Leoparden: — "Sei auf deiner Hut!
Dein Nachbar, der junge Löwe verspricht etwas!" — "Du irrst Dich!" — antwortete der
Leopard: — "Es ist ein Kind!" —
Zwei Jahre vergingen; der Löwe wuchs heran. — "Sire!" — sagte der Fuchs: — "Noch ist
es Zeit! Reibe ihn auf, oder suche seine Freundschaft! Beides wird leicht sein! Seine
Zähne sind noch nicht alle gewachsen; sein Charakter ist noch nicht entwickelt." —
"Du, irrst dich!" — antwortete der Leopard:— "Es ist ein Schwächling!"
Zwei andere Jahre waren vergangen; der Löwe war herangewachsen. Schon erscholl das
Gerücht von seiner Tapferkeit. "Sire!" — sagte der Fuchs: — "Opfere eine Kleinigkeit auf!
Gib, ehe er nimmt!" — "Du bist ein Feiger!" antwortete der Leopard: — "Ich verachte ihn:
er komme!" —
Der Löwe kam; und der Leopard bezahlte mit seinem Tode.
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Geschichte der — n Macht und der Politiker in Norden.

Die Frau und das Licht

Eine Frau hatte ihren Ring verloren; sie zündete ein Licht an, ihn zu suchen. Aber kaum
hatte sie ihn gefunden, als sie das Licht ausblies.
"Undankbare!" — sprach dieses: — "Du machst es wie manche Fürsten! Sie vernichten
das Verdienst, sobald sie es nicht mehr brauchen."

Die beiden Esel

Zwei Esel, die bei einem Priester dienten, stahlen ein Rauchfaß, und flohen in das Feld.
Ein Reisender, der vorüberging, sah sie im Gebüsche sitzen, wie sie sich wechselweise
das Rauchfaß unter die Nase schwenkten.
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"Kabinetskomplimente!" — sagte er: — "Kleine Fürsten, die sich einander wie Souveräne behandeln!"

Die beiden Flaschen

Zwei Flaschen, eine Weinflasche und eine Bierflasche, waren in Feindschaft geraten.
Die letztere hatte die erste verachtet; beide schworen sich den Untergang. Der Kampf
begann; sie trafen aufeinander, und beide zerbrachen.
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Wem fällt dabei nicht Frankreich und England ein!

Der Löwe und die Tiere

1.

Die Tiere vernahmen, daß der Jäger dem Löwen nachstellte. Sie machten sich auf, um
ihrem König beizustehen. Freilich hielten sie nun treulich Wache; aber rings umher ward
auch alles in eine Wüste verwandelt.
"Es sind Hilfstruppen!" sagte der Löwe zu seinen Vertrauten:— Sie machen es wie die
O —r in der Pfalz."

2.

In einigen Wochen war die Provision verzehrt, und auf dem ganzen Gebiete kein Blatt
und kein Gräschen mehr. Die Tiere beratschlagten, was zu tun wäre. — "Die Gefahr
ist vorüber!" — hieß es: — "Laßt uns fortziehen!" — "Nein!" — sagte der Leopard: —
"Wir sind noch nicht bezahlt; der Löwe muß uns schadlos halten!" — Was geschah?
Sie nahmen das Gebiet des Löwen weg, und in kurzem fiel der arme Flüchtling in die
Grube des Jägers.
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Vergleiche das Schicksal von M—n!

Die Hunde und die Katzen

Ein Dutzend Hunde, und eben so viel Katzen lebten in dem Hause eines Mannes ganz
friedlich beisammen. Durch Zufall ließ der Hausherr einmal die Speisekammer offen,
und ging spazieren. Was für ein Getümmel! Alles strömte hinein; jeder Hund, jede Katze
wollte allein Herr sein. Die Schwächern verbinden sich indessen mit den Stärkern, und
endlich beginnt der fürchterlichste Kampf.
Von beiden Seiten waren schon mehrere geblieben, als der Hausherr zurückkam. —
"Eine wahre europäische Republik!" — sagte er; und stiftete Ruhe mit der Peitsche.

Die Krebse

Eine Anzahl junger und alter Krebse war zusammen gefangen worden. Die Betrübnis war
allgemein. — "Wäret ihr feigen Buben nur nicht rückwärts gegangen!" — sagten die
Alten. — "Wie?" — antworteten jene: "Und ihr ginget wohl vorwärts?" —
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Vorwürfe der All—ten in Italien, die alle liefen. — Vorwürfe gewisser Generäle, die alle
nichts wert waren. — Siehe die Kabinettsberichte von —!

Der Adler und die Elster

Der Adler begegnete einer Elster. Er hatte einen guten Augenblick: er wollte seine
Herablassung zeigen; er ließ sich in ein Gespräch mit ihr ein. — "Erzähle mir doch
etwas!" — sagte er.
Die Elster begann mit der ganzen ärgerlichen Chronik Ihrer Bekannten. Sie hatte so viel
von Majestätsverbrechen, von heimlichen Feinden, von drohenden Bewegungen zu
entdecken, daß der Adler endlich die Geduld verlor.
"Meinst du, Elende!" — sagte er endlich entrüstet: — "Ich sei wie die leichtgläubigen
Fürsten? Einen Adler betrügt man nicht ungestraft." — Und er erwürgte sie.
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Politische Spione! Nichtswürdige heimliche Ankläger! Alberne Demokratenriecher! Elende
Revolutionsspürhunde! — Ein guter Fürst verachtet euch: merket euch das!

Der Hund und der Igel

Ein glattgeschorner Hund hatte das Bein gebrochen, und mußte im Felde liegen bleiben.
Es war im Sommer; eine Menge Fliegen versammelten sich um ihn, und zerstachen ihn
erbärmlich.
Ein Igel, der in der Nähe hauste, hörte seine Klagen. — "Warte!" — sagte er mitleidig: —
"Ich will dich bald erlösen; ich will sie alle aufspießen!" — Mit diesen Worten kugelte er
sich zusammen, und warf sich auf den Hund. — "Ach!" — schrie dieser: — "Grausamer!
Du verwundest mich noch zehnmal ärger!" — Aber der Igel ließ sich nicht stören.
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Ecce iterum Au — i! Cf. Geschichte des Krieges am Rheine.

Der Holzhauer und der Baum

Ein Holzhauer hatte sein Beil verloren; endlich fand er das Eisen allein wieder. — "Gib mir
ein wenig Holz zum Griffe!" — sagte er zu einem Baume: — "und ich will dich auf ewig
verschonen." Der Baum willigte ein; der Holzhauer machte seinen Griff, und kaum ist er
fertig, so fällt der Baum.
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Nationen! Ihr bindet euch eure eigenen Ruten! Eure Geschenke, eure Aufopferungen
werden nur zu oft wider euch selbst gebraucht!

Der Affe und der Gärtner

Ein Affe sah dem Gärtner zu, wie er hier unnütze Äste absägte, dort taube Blüten
abpflückte. Als nun der Gärtner endlich fortging, riß sich der Affe los, und wollte ihn
nachahmen. Aber was geschah? Er pflückte alle Blüten ab, zerknickte alle Äste, und
verdarb den ganzen Garten.
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Reformen! — Alles muß mit Verstand und mit Maß geschehen!

Die Frösche und die Sonne

Die Frösche beschwerten sich über die Sonne. "Sie verbrennt alle unsere Wohnungen!"
— klagten sie: — "Laß sie verlöschen, Vater der Götter!" —
"Verlöschen" — sagte Jupiter: — "Um der Frösche willen?" — und wendete sich wütend weg.
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Und so soll Kunst und Literatur, Vernunft und Aufklärung verbannt werden — um des
Pfaffengeschmeißes willen? — Verbannet sie selbst, ihr Nationen!

Das Pulver

Ein unvorsichtiger Arbeiter ließ einen Funken in ein Pulverfaß fallen; die Masse flog auf,
und verbrannte ihm den ganzen Körper! Er fluchte wie ein Wütender.— "Aber warum
brachtest du Feuer daran?" — sagte ein Knabe zu ihm: und er war beschämt.
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Warum reizet ihr die Nationen? Die Schuld ist eure!

Der Obstbaum und der Gärtner

"Das ist alles für mich!" — sagte ein Gärtner zu seinem Freunde, dem er einen
reichbeladenen Obstbaum zeigte.— "Für dich?" — antwortete der Baum: — "Ich trage
Frucht um meiner selbst willen! Ich kann dich entbehren; du ziehst Vorteil von mir."
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Fürsten! Die Nation ist alles ohne euch; ihr seid nichts ohne sie.