Fabelverzeichnis

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Fabeln 28-54
 
Flora, Pomona und Zeus
Ceres und die Erde
Flora und die Menschen
Die Hirten und der Rosenstrauch
Äsop und der Esel
Die Frosch-Bildung
Der Seekrebs und die Robbe
Der Laubfrosch und die Nachtigall
Der Adler, das Kaninchen und die...
Die Maus und der Priester
Die Gänse, die Enten und der...
Der Rhein un der Bach
Die Frösche und die Nachtigall
Die Taube und die Schlange
Der Jagdhund, der Schäferhund und..
Der Hund und das Pferd
Die Dohle und die Nüsse
Der Floh und der Hund
Zeus und die Sonne
Die Hummel und die Biene
Der Gärtnerknabe und die...
Das Käuzlein und die Schwalben
Die Nachtigallen und die Pfauen
Der Sturmvogel und die...
Der Falke und der Reiher
Der Knabe und die Eidechse
Die Natur, Flora und der...

Flora, Pomona und Zeus

In den Olymp trat Flora und Pomone,
Mit ihnen kam ein ganzes Nymphenchor.
Voll Ehrfurcht traten sie zum hohen Strahlenthrone,
Und baten Vater Zeus um ein geneigtes Ohr.

Wir kommen, sprachen sie, O Vater, von der Erde
Dich anzuflehen, daß der launigte April
Aus unserm Lenz verbannet werde!

Er tobt und stürmt und raset, wie er will,
Hub Flora zürnend an, verdirbt mir Laub und Blüten,
Macht plötzlich dann den trüben Himmel klar,
Und locket mich mit meiner Blumenschar
Ins Feld, um grimmiger zu wüten.

Ja, fiel Pomona ein, und meine armen Bäume
Zerknickt er, kommt's ihm in den Sinn,
Wälzt sich in Blumenstaub, und alle meine Träume
Von goldnen Herbsten sind dahin!
Der Trotzige! Die Zweige stehn entlaubt,
Und lachend flicht er sich die Blüten, um das Haupt! —
Kein Wunder, daß ihn Venus sich erkor
Zum Lieblingsmond, er gleicht dem kühnen Cypripor. —

Zeus lächelte von seines Thrones Höhn
Und sprach: Ihr seid zur stillen Pfleg' ersehn;
Er aber ward mit kühner Kraft geboren.
Drum hab ich ihn zum Kampf erkoren,
Des Winters Wut und Stürme zu bestehn.
Bald siegt der Winter und gebieret Sturm und Wetter,
Bald triumphiert der Lenz und schmücket Wald und Flur,
Bis jener ganz entflieht. Dann blühen Knosp' und Blätter,
Des Frühlings Hauch durch strömet die Natur.
Der Mai wird nun das Fest des Friedens, milde Weste
Umgaukeln ihn, ihm dankt der Hain, der Mensch, der Wurm — —
Sagt, wollet ihr des Maien Friedensfest? —
Wohlan, so duldet erst den Sturm.

*   *   *

Der Weise sieht verheerend über Trümmer
Den Wettersturm der Zeiten wehn —
Er schweigt und hofft. Wird auch mit neuem Schimmer
Aus dunkler Gegenwart die Zukunft auferstehn!

Ceres und die Erde

Von Schmerz erfüllt um Proserpinens Raub,
Der Erde weiten Raum umsonst durchspähend,
Kam Ceres endlich trauernd in Eleusis
Gefilden an. Des frommen Keleus Hütte
Empfing die Göttin gern. Das bracht' ihm Segen.

Noch lag die Erde wüst und ungebaut,
Nur Gras und Moos und wild Gesträuch bedeckte
Der Mutter Schoß; kein goldnes Ährenfeld
Umrauschte sie. Da trat aus Keleus Hütte
Die Göttin in das Feld, an ihrer Hand
Triptolemos, des frommen Mannes Sohn,
Geleitend, und sie gab dem kühnen Jüngling
Die Axt; es sank vor ihm des Waldes Dickicht.
Bei jedem Schlag, der ihre Kinder traf,
Erseufzte still und trauernd Mutter Erde.

Nun reichte Ceres ihm des Pfluges Schar,
Am Joche stand gezähmt des Büffels Kraft,
Und wühlend drang des Eisens scharfer Zahn
Tief in der Erde Busen. Tellus hob
Ihr Haupt empor und sprach mit bittrer Trauer:
Ach! muß, sogar von deiner Hand gelehrt,
Der Erde Sohn, o Göttin, meinen Schoß,
Der ihn gebar und nährt, durchwühlen? Sprich,
Was ist denn meine Schuld, daß mich der Zorn
Der Himmlischen verwundet und zerreißt?
Still ohne Glanz durchwandle ich meine Bahn,
Und pfleg in meinem Schoß der Kinder Schar,
Und du empörst mein eigenes Geschlecht
Nun gegen mich! — Was hab ich denn getan,
Daß sich an mir dein Gram, o Göttin, rächt?

So klagt' und jammerte die Mutter Erde,
Indes der Pflug die tiefen Furchen zog.

Die Göttin schwieg und reichte Weizenkörner
Dem Jüngling und gebot, die goldne Saat
Ins aufgerißne kühle Land zu streun.
Das Werk vollbringend schritt er durch die Furchen,
Doch Ceres war aus seinem Blick verschwunden.

Bald keimte nun die Saat, ein grüner Mantel
Umwallten Halmen bald der Erde Schoß,
Und aus dem Halm erwuchs die volle Ähre,
Goldfarbig wogt' im Glanz der milden Sonne
Das Erntefeld, durchflochten mit Cyanen.
Da lächelte die neugeschmückte Erde,
Und sprach: Verzeih, o Ceres, meine Klagen.
Im Schmerz der Wunde, die dein Pflug mir gab,
Vermocht' ich nicht zu hoffen, daß der Kranz,
Der deine Schläfe ziert, den Busen mir
Einst schmücken sollt'! — O Göttin habe Dank! —

Flora und die Menschen

In jener goldnen Zeit der Jugendwelt,
Als noch die Menschen auf der Erde sahn
Die Götter wandeln, und bei ihrem Schaffen
Zuschauten kindlich, oft auch kindisch wohl
Darein zu reden sich erkühnten; sah
Ein muntres Volk der Blumengöttin zu,
Als sie des Frühlings stumme Kinder schuf.

Gleichwie ein Kind, wenn es das Gute hat,
Das Neue will, so sprach das Völkchen auch
Zur Blumengöttin: Alle andern Götter
Erschufen auch noch zum Empfindungslosen,
Das sie beherrschen, andre neue Wesen.
Neptun rief aus des Meeres Ungestüm
Das edle Roß, und Here schuf den Pfau,
Dione bildete der Tauben sanft Geschlecht. —
So pfleg' auch du nicht bloß der Pflanzenwelt,
Laß auch ein Leben irgendwo erblühen.
Das frei und mit Gefühl sich selbst bewegt. —

Die Göttin neigte lächelnd ihren Blick
Zur Erde hin. Da wölbte sich der Staub,
Und eine Raupe wand sich los und kroch.

Seht, eine Wurzel lebt und kriechet! rief das Volk,
Zur Hälft' erstaunt, zur Hälfte spöttelnd. Flora
Verließ die Spottenden. Die Raupe fraß
Mit träger Gier der Pflanzen grünen Schmuck.
O, rief das Volk, nun hat sie sich sogar
Verderben selbst in eigner Welt bereitet!

Bald lag die Raup' erstorben im Gehäuse.
Man stand umher und schüttelte den Kopf.
Ein Weiser sprach: Gebt acht, aus diesem Balg
Wird bald ein großes Raupenheer entspringen.
Zum Untergang der Blumenwelt. Erschuf
Nicht auch der Kriegesgott den grimmen Wolf? —
Des ist der Vorwitz Schuld. Die Göttin schwand.
Wird jemals uns ihr Antlitz wiederkehren?

Er sprachs, und trauernd stand das Volk umher
Da kam zum zweiten Mal die Blumengöttin,
Ihr sanfter Fuß berührte das Gehäuse,
Da spaltete sich schnell das runde Grab,
Und neues Leben quoll hervor ans Licht.
Ein Leben wunderbar! Ein Götterkind!
Der schönsten Blume glich sein Schwingenpaar,
Im Kopfe glänzten Augen wie Kristall,
Statt des Gebisses bog in schlanker Windung
Sich eine Nektarröhre um die Brust —
So schwebt' empor das neugeborne Wesen,
Sein Flügel glüht' in Purpurglanz und Gold,
Es ließ sich auf der Blumen schönste nieder,
Die Blume bot ihm ihren Saft und Duft. —

Erstaunt sah itzt das Volk den Schmetterling
Und rief: Was erst der niedern Wurzel glich,
Schwebt nun, der Blumen Genius, empor?

Und Flora sprach: Vermeßt euch künftig nicht,
Der Götter Werk nach Menschenart zu richten.
Der Mensch ist blind, die Götter handeln stets
Nach eignem Rat und tief, verborgnem Wesen.

Seitdem ward Flora niemals mehr gesehen.
Ihr Herold ist des Sommervogels Flug.

Die Hirten und der Rosenstrauch

Ein Hirtenmädchen stand vor einem Rosenstrauch,
Bewundernd seine schönen Kinder.
Sie lächelte; die Lüftchen wehten linder,
Und hüllten sie in Duft und Blütenhauch.

So, sprach sie, blühet mir Amynt, er ist mir gut!
Dein Herz bleibt ewig mir verbunden! —
Sie pflückte nun zwei Rosen, und zwei Wunden
Gab ihr der Rose Dorn, da quoll das Blut.
Der Blumenstrauß entfiel der Hirtin Hand, voll Zorn
Sah sie die hingeworfnen Rosen.
Verwünscht, begann sie, sei dein falsches Kosen!
Wozu bei deiner Wohlgestalt der Dorn?

Dieselbe Kraft, mein Kind, erwiderte der Strauch,
Der meinen Stamm mit Stacheln schützet,
Und deine Hand, die kühne, blutig ritzet,
Erfreuet dich in meines Duftes Hauch.

*   *   *

Jetzt kam Amynt, der Hirt, mit leisem Tritt gegangen,
Indes, den Blick auf ihren Strauß gewandt,
Die Hirtin stumm und sinnend stand,
Ihm schlug das Herz vor freudigem Verlangen.
Sieh, es umfloß ein Hauch aus heißem Munde
Des Mägdleins Stirn — Sie wandt' und sträubte sich
Erzürnend, und im Sträuben gab ein Stich
Des Rosendorns dem Jüngling eine Wunde.

Der Jüngling lächelte und sprach: Verdient mein Kosen
Und meiner Liebe Sehnsucht diesen Zorn?
Umlagert denn sogar ein spitzer Dorn
Auch dieser Wangen Duft und Rosen? —

Sie sprach: Dieselbe Kraft, die gegen dich sich sträubet,
Bewahret, wie der Dorn am Rosenstrauch,
Der Lieb' und Unschuld zarten Hauch,
Daß er dir blühet und dir bleibet!

Äsop und der Esel

Zu jenem Phryger, dem die seltne Göttergabe
Verliehen ward, den Sinn der Tiere zu ergründen,
Und das in tiefer Brust verschloßne Wort zu deuten,
Trat selbstgenüglich einst ein alter grauer Esel.
Ich komm', o weiser Mann, begann er, meines Volkes
Bewunderung und Dank und Ehrfurcht dir zu zeugen,
Daß du, der Annalist des großen Tiergeschlechtes
Und seiner Taten, auch der unsrigen gedachtest.
Wenn irgendwo durch dich der Mut des Löwen glänzet;
Wo stolz und kühn der Hirsch sein ästiges Geweihe
Erhebt, der Adler rauscht, das Roß den Boden stampfet,
Der Hund die Herde schützt, da handelt und erscheinet
Fast immer auch ein Glied von unserm hochgeehrten
Gesipp. Das tut uns wohl in unserm stillen Leben,
Drum bring ich dir den Dank im Namen meines Volkes.

Ich mag nicht eures Danks, antwortete Äsopus,
Viel lieber wär' es mir, ich braucht' euch nie zu nennen.
Allein, wenn irgendwo das Treffliche sich zeiget,
Begegnet stets in euch und andern eures Gleichen
Mir die Erbärmlichkeit zugleich auf allen Wegen.

Die Frosch-Bildung

Ein alter kahler Frosch bestieg sein Schilfkatheder
Ihm schwoll der Bauch, ihm strotzte das Geäder,
Die Frösche horchten rings, er öffnete den Mund
Den hohlen, breiten, und tat männiglichen kund:

Geneigte Brüder, leiht mir euer günstig Ohr!
Auf daß ihr lernt, euch selbst nach Würden ehren,
Will ich euch jetzt der Ordnung nach belehren:
Wie die Natur vor andern uns erkor
Zu ihrem Lieblingsvolk. — Bemerket denn zuvor:
Aus Eiern in der Flut wie Perlen hingegossen
Sind wir, den Schwänen gleich, entsprossen;
Doch seltsam! ohne Glieder drehten
Wir uns, geschwänzt gleich himmlischen Kometen,
Im Wasser hin und her, und auf und ab; es klang
Im Röhricht noch kein Froschgesang!

Natur wie gut bist du! Sie schuf euch nun zwei kleine,
Zwei Ärmchen an die Brust, man nennt sie Vorderbeine.
So schwammt ihr, reihenden Sirenen völlig gleich,
Halb Frosch' und halbgeschwänzt im Teich.
Noch war der Mund geschlossen; es erklang
Im Röhricht noch kein Froschgesang!

Soll denn mein Lieblingsvolk, dem ich die holden Gaben
Des Sangs bestimmte, nur zwei Vorderbeinchen haben?
So sprach die Schöpferin Natur, und wunderbar!
Sie schuf zum ersten euch ein zweites Beinchenpaar!
Vierbeinig und geschwänzt — so schwammt ihr, wie im Nil
Das Göttertier, das große Krokodil.
Noch wart ihr stumm, wie jenes; es erklang
Im Röhricht noch kein Froschgesang!

Vergnügt sah die Natur euch jetzt im Wasser schweben —
Nein, sprach sie, schlanker soll mein Völkchen sich erheben.
Dies hindert nur der Schweif, der hinterher sich krümmt.
Mein Volk ist zum Gesang bestimmt!

Sie sprachs und es geschah; ihr schwammt nun ohne Schweife,
Geglättet und gefeilt. — So kamet ihr zur Reife.
Allein noch war es still im Teich, und es erklang
Im Röhricht noch kein Froschgesang!

Nachdem sie mütterlich euch nun die Hinterteile
Gerundet und poliert, da legte sie die Feile
Auch an das Vorderteil, und schuf in euren Schlund
Zwei Blasen, wunderbar! daß euer Sängermund
Des Lenzes Wiederkehr, den Glanz der Abendröte,
Die Sommernacht im Schilf besing' und austrompete.
So ward das große Werk vollendet; es erklang
Melodisch nun der Frösche Chorgesang." —

So sprach der alte Frosch, und Brekekex erklang
Im Röhricht Beifall ihm und lauter Froschgesang.

Der Seekrebs und die Robbe

Ein plumper Seekrebs kroch am Meere
Im Sande hin und her, und machte mit der Schere,
Viel wundersame Züge und Gestalten.

Ihn sah' ein Robb' und sprach: Darf ich dich fragen
Worauf du sinnst? — Das will ich dir wohl sagen,
Antwortete der Krebs, ich mach' ein Lobgedicht
Dem Könige des Ozeans zu Ehren —
Du spottest mein! wer will es mir verwehren? —

Nicht doch, erwiderte die Robbe, armer Wicht!
Ich glaub' es gem. Ihr pfleget ja den Magen
Im Kopf zu tragen!

Der Laubfrosch und die Nachtigall

Ein Laubfrosch saß auf einem Baum,
Und blies sich auf und schrie aus voller Kehle.
Im kühlen Erlenstrauch versteckt sang Philomele
Ihr hohes Lied, und merkte jenen kaum.
Allein der grüne Schwätzer schrie,
Als ob es um ein Reich gegolten hätte,
Und zwar, so wähnt' er, um die Wette
Mit Philomelens Melodie.

Am Ende ward die Nachtigall
Des häßlichen Geräusches müde,
Sie wählte sich zu ihrem Liede
Des fernen Bächleins Wasserfall.

Ei! rief der Frosch mit hohem Mut
Und quäkte noch einmal so helle,
Sie fliehet diese schöne Stelle!
Was doch der scheele Neid nicht tut!

*   *   *

Der Weise trifft im fernsten Winkel
Sich selbst, und mehr bedarf er nicht.
Die gütige Natur! sie gab zum Gleichgewicht
Dem Toren Eigendünkel.

Der Adler, das Kaninchen und die Lerche

Auf hohem Fels erbaut' ein Adler sich sein Nest,
Und ein Kaninchen wohnt' am Fuß in dunkler Kluft.
O, welche Kühnheit, sprachs, auf solchen Schwindelhöhen
Den Sitz erbaun! Gehört auch dies zum König heißen.
Ich möcht' um solchen Preis fürwahr nicht König heißen.

Der Adler hatte nun den kühnen Bau vollendet.
Der junge Lenz erschien, die Sonne strahlte milder,
Hoch im Gewölk erscholl der Lerche Freudenlied.

Da hob der Aar sich auf von seiner Felsenwohnung,
Sein Flügelschlag erklang durchs tauende Gewölk,
An dessen goldnem Saum die Lerche hing. Sie sah
Des Adlers kühnen Flug gen Himmel. Ihr Gesang
Verstummte. Schweigend sank sie nieder in die Saat.

Die Maus und der Priester

In einem Heiligtum Apollons stand
Des Gottes Bild von eines Meisters Hand
Mit zarter Kunst aus feinem Holz geschnitten.
Ein Mäuslein, das schon lange Not gelitten,
Erklomm das schöne Götterbild,
Um mit verwegnem Zahn es zu benagen.

Kaum aber hatt' es seinen Magen
Mit einer Lock' Apollons angefüllt,
Da tat die Tür sich auf— es trat
Ein Priester in das Gotteshaus.
Er kam und sah und griff die Maus. —
"Verwegne stirb!" — Da flehte und bat
Das Tier um Gnad'! ach hub es zitternd an,
Ich fand sonst nichts für meinen Zahn —
Und das Benagen ist so unsere Natur.
So schone denn noch einmal meines Lebens!
Allein das Mäuslein bat vergebens.
Und des Zerquetschten Seele fuhr —
Wohin? — brauch ich es dir zu sagen,
Verhaßtes krittelndes Geschlecht,
Das aufgebläht von Dünkel sich erfrecht,
Mit keckem Zahn das Schönste zu benagen?

Die Gänse, die Enten und der Schwan

Ein Dutzend Gänse und Enten schwammen
Am Ufer eines Teichs beisammen,
Da ruderte auch ein weißer Schwan,
In stiller Majestät heran.

Ei sehet doch, wie der sich brüstet!
Hub itzt ein Entchen an, mich lüstet,
Den Stolzen näher zu beschauen:

Wie dünkt er sich so wunderschön!
Als trotzte er Goldfasan und Pfauen — —

O! zischte ein Gänschen, laßt ihn gehn
Man kann ihn nur zur Hälfte sehn;
Doch weil ich's einmal sagen muß —
Was man nicht sieht, — ein Schwanenfuß — —

Ja, ja! fiel nun ein Entchen ein,
Sein Fuß muß zum Entsetzen sein!
Ei! schnatterte die ganze Schar,
Man sieht es ja ganz sonnenklar!

*   *   *

Wer andrer Ehre kühn benagt,
Und keck den frechsten Tadel wagt,
Braucht nicht um Beifall bang zu sein;
Der große Haufen stimmt mit ein.

Der Rhein un der Bach

Ein kleiner Bach sprach einst zum Vater Rhein:
Du bist ein schöner Strom, das räumt der Neid dir ein,
Und stattlich wandelst du die lange Heldenbahn
Von Gotthards Hochgebirg zum Ozean.

Allein, wenn schäumend du mit Zorn und Brausen
Durchs Felsgeklüft dich wälzest, daß von Grausen
Ergriffen rings die bange Erd' erbebt — —
Vermeinst du, daß auch dieses dich erhebt? —

Es ist, sprach Vater Rhein, der frischen Jugend eigen,
In kühner Tat die stolze Kraft zu zeigen.
Und in der Tat ist auch ihr Ziel erreicht.
Sie kümmert nicht die Frucht, die jene zeugt. — —

Doch, ist der Jugend Tat das ganze Leben? —
Betrachte mich als Mann! beschaue meine Reben,
Die Wimpel, die auf meinen Wogen wehn,
Die Täler um mich her, die Berge, Städte, Höh'n! —

Wohl! sprach der Bach, allein wo bleibt denn deine Milde,
Wenn hochaufschwellend deine Flut
Den Damm zerreißt, die trauernden Gefilde
Und Hof und Haus zerstört mit ungehemmter Wut. . . .
Zuweilen laß auch ich aus meinem Schoß
Die kleinen muntern Wellen los —
Allein statt Dämm' und Eichen fortzuspülen,
Siehst du sie kaum ein Bäumchen unterwühlen —
Und dennoch preist nur dich der Sänger Lied . . .

Ich bleibe selbst in meinen Fehlern groß,
Antwortete der Rhein, das ist der Unterschied.

Die Frösche und die Nachtigall

Des Moorgrunds Erlenwald versteckte
Die Nachtigall; sie sang ihr Frühlingslied.
Ein alter Frosch erblickte sie und reckte
Sein kahles Haupt empor. — Du bist umsonst bemüht!
Begann der Frosch, uns zu gefallen.
Am Abend wird auch unser Lied erschallen.
Wir haben ja so gut Gesang, wie du!

Nun! sprach die Nachtigall, so lasset mich in Ruh!
Sie sprachs und flog ins dunkle Heiligtum
Des Buchenhains und sang des Lenzes Ruhm.

*   *   *

Vergebens glaubte sich die Nachtigall in Friede
Und Sicherheit. — Wann wird ein Schwätzer müde;
Vor allen, wenn Bekehrungssucht ihn treibt?

Der Frosch erschien und bat, ein kluges Wort zu hören.
Ja, glaube, fuhr er fort, wir Frösche ehren
Dein helles Kehlchen; doch vermöchten wir
Zu unserm Chorgesang dich zu bewegen;
Du würdest, Schwester, glaub' es mir,
Dir mehr Bewunderung erregen.
Bedenke nur! Uns trifft man überall,
Wald, Flur und Wies ertönt von unserm Schall.
Seit Weltbeginn ist dein Geschlecht kleiner.
Von eurem Volk sitzt hie und da nur Einer
Und singt. — Wie viel sind unsrer Sängerkehlen!
Wie Sand am Meer, wer kann sie zählen?
Wir singen häufiger und länger,
Wir sind die wahren Frühlingssänger!

Der Kahlkopf sprachs, da ließ in tausend Chören
Das Froschgeschlecht aus jedem Sumpf sich hören:
Wir singen häufiger und länger,
Wir sind die echten Frühlingssänger!

Und Philomele flog zum stillen Heiligtum
Des Eichenhains und sang des Lenzes Ruhm.

Die Taube und die Schlange

Ein Täubchen saß auf einer Nelkenstange
Im Sonnenschein. Da regte sich der Strauch,
Es wand sich eine bunte Schlange
Hervor und sprach: Ei, freuest du dich auch,
Mein Schwesterchen, der süßen Sonnenstrahlen,
Die unser beider Hals mit goldnem Schein
Und buntem Farbenglanz bemalen.
O komm und laß in traulichem Verein
Uns dieser Nelken Duft erfreun!

Ich, deine Schwester! sprach die Taube —
Du letztest dich am blut'gen Raube —
Wie könnten wir denn Freunde sein?
O komm hinab, und sieh und glaube!
Antwortete die Schlange, — schaue nur
Hier meinen Nacken! Hat nicht die Natur
Ihn eben so geschmückt, wie deinen? Sieh den Glanz,
Der rötlichschön aus unsern Augen funkelt,
Und den Rubin und Diamant verdunkelt!
Du bist der Luft, und ich der Erde Kranz!
Der kleine Unterschied, daß du gen Himmel fleuchst. . .

Und daß — erwiderte die Taube,
Du Gift in deinem Zahne tragest,
Dich tückisch unter Blumen legest,
Und mit dem Bauch im Staube kreuchst!

Sie sprachs. Der Hals des Drachen quoll
Von Zorn und schwarzem Gifte,
Des frommen Täubchens Flug erscholl
Im hohen Reich der Lüfte.

Der Jagdhund, der Schäferhund und der Schäfer

Ein Jagdhund, dem sein harter Herr
Durch Schläg' und Qual das Leben trübte,
Und ihn dazu mit karger Kost
Im Hungerleiden täglich übte,
Begann bald trotz dem schlausten Raben
Zu stehlen, und die Beute zu vergraben.

Einst grub er einen Knochen ein,
Ein Schäferhund fand ihn beim Scharren,
Und trat hinzu. Doch jener fing nun an,
Den Fremdling grimmig anzuschnarren,
Gleich einer wütenden Hyäne,
Wies er dem Fix die spitzen Zähne.

Der Hirt rief seinen Hund und sprach:
Vergönn' ihm seine Winkelfreuden!
Er glaubt, du würdest, wie sein Herr,
Ihm seinen Knochenraub beneiden.
Der Selbstsucht und des Argwohns Quelle,
Tyrannendruck, — ist seines Lebens Hölle.

Der Hund und das Pferd

Der gierigste von allen Hunden,
Packan, so glaub' ich, hieß man ihn,
Hatt' einen Habersack gefunden.
Er legte sich darüber hin.
Ein Gaul litt bittern Hunger — aber
Packan, der Filz, besaß den Haber.

Ach, sprach das magre Pferd zum Hunde,
Erbarme dich doch meiner Not!
Hier steh' ich schon so manche Stunde,
Und habe weder Heu noch Brot! —
So bat der Gaul um Mitleid — aber
Packan verblieb auf seinem Haber.

Hat nicht der Mensch zum Ebenbilde
Der Treue dein Geschlecht ersehn?
Und sollte denn zu deiner Milde
Umsonst der arme Bruder flehn!
So schmeichelte der Klepper — aber
Packan umarmte seinen Haber.

Der Gaul fuhr fort: Ich weiß der Haber
Gehöret zwar, so wie es scheint,
Nach allem Rechte dir; wie aber,
Du issest ihn doch selbst nicht, Freund?
So bündig sprach der Arme — aber
Packan umfaßte seinen Haber.

Jetzt ward der Gaul des Bittens müde,
Und hub ergrimmt zu drohen an:
Verdammter Geiz! Krieg oder Friede!
Bedenk, daß ich dich töten kann!
So droht der Klepper — aber
Packan hielt fest an seinem Haber.

So blieb er starr und stierend liegen,
Und hütete des Pferdes Blick,
Und sah mit gierigem Vergnügen
Auf seinen vollen Sack zurück.
So pflegt' er seines Schatzes — aber
Bald lag er tot auf seinem Haber.

*   *   *

Suchst du die Habsucht zu bekehren,
Fluch und Enterbung ist dein Lohn —
Ihr sind der Weisheit heil'ge Lehren,
Natur und Gott ein Spott und Hohn. —
So laß dem Geiz sein Gold — es labe
Wofern es mag, ihn auch im Grabe!

Die Dohle und die Nüsse

Eine karge Dohle stahl
Emsig eine Menge Nüsse,
Pflückte Strauch und Bäume kahl,
Und verbarg die Beut' im Tal.

Und nun flog sie Tag und Nacht
Um den eingescharrten Haufen,
Aber Mißgunst und Verdacht
Quälten sie bei Tag und Nacht.

Und was sie mit Müh' erwarb,
Wagte sie nicht zu genießen,
Und in Sorg und Angst verdarb
Ihres Lebens Keim, — sie starb.

Und die Nüsse fingen an
Jetzt zum Baum emporzuwachsen,
Dieser bot dem Wandersmann
Kühlung, Frucht und Obdach an.

*   *   *

Harpax sammelt dürstiglich
Ohne selber zu genießen —
Laß dich dieses nicht verdrießen!
Sieh, er sammelt nicht für sich.

Der Floh und der Hund

Ein kecker Floh kroch einem Hund ins Ohr
Und trieb ein Ungetüm auf seinem Trommelfelle,
Daß er ein wütig Angstgebelle
Begann und schier Geduld und Kraft verlor.
Zuletzt erschien das Bräunchen zart
Und wie auf einem Fürstensitze
Erholt' es sich hoch auf des Ohres Spitze,
Und räusperte und strich den Bart.

Wann, sprach der Springer, wird die Welt
Verdienst und Kraft nach Würden ehren?
Ich kann den Löwen brüllen lehren.
Gestehet es, ich bin ein Held!

Zeus und die Sonne

Die Sonne trat vor Jovis Thron
Und klagend hub sie an: Was ist mein Lohn,
O Vater Zeus, daß ich die dunkle Erde
An unsichtbaren Banden leite,
Und Licht und Leben ihr bereite? —
Wie selten blickt sie meine Strahlenbahn
Mit Dank und mit Bewundrung an!
Nur dann, o Zeus! wenn ich verfinstert werde;
Dann tummelt sich das träge Volk der Erde,
Dann starren Weiber, Kinder, Greise. — —

Gedulde dich, sprach Zeus, es ist so ihre Weise.

Die Hummel und die Biene

Dem regen Fleiß in einem Bienenstock
Sah eine träge Hummel zu.
Ein Bienchen fragte sie: Was schauest du?

Die Hummel sprach: Ihr bildet euch wohl ein,
Daß ich euch euren Fleiß beneide,
Und euren großen Vorrat — Nein!
Ermattet von Genuß und Freude,
Bedürft' ich nur, ein wenig auszuruhn —

Die Biene sprach: Das magst du tun?
Jedoch wenn du dich nur nach Ruhe sehnest,
Und dich kein Neid und Mißgunst quält,
Warum, mein lieber Freund, erwähnest
Du denn des Vorrats, der dir fehlt?
Ich glaub, es mangelt dir bei deinen Hochgenüssen
Was du vergeblich suchst, — die Ruhe im Gewissen.

Der Gärtnerknabe und die Schneeglöckchen

Zu den ersten Winterglöckchen,
Welche vor dem Frühling blühten,
Sprach der blonde Gärtnerknabe:
O ihr verwegene, törichte Blumen
Seht, es bedecket ja
Schnee noch die Felder,
Und ihr erscheinet
Nackend in kalter
Eisgestalt blühend!
Schmückten der Tulpe
Brennende Farben,
Und der Nelken balsamische Düfte
Eure Kelche, so möchtet ihr immer
Wagen, vor andern
Kindern des Lenzes
Euch zu erheben, verwegene Blumen!

Also sprach der Gärtnerknabe,
Zu den ersten Winterglöckchen,
Welche vor dem Frühling blühten.

Ihm antworteten die Blumen:
Knabe, wir kommen
Nicht um zu glänzen
Unter den Blumen;
Nein, um des nahenden
Lenzes Glanz
Dir zu verkünden.
Siehe, drum tragen wir
Des trauernden Winters
Farbe, doch blühend
Auf grünenden Blättern. —
Ernst und erfreulich
Stehen wir, deutend
Rauher Zeit Grenzen. —
Stille und Einfalt
Ist unser Wesen.
Denn die Natur erkor
Uns zu Prophetinnen.

Das Käuzlein und die Schwalben

Ein Käuzlein kam beim ersten Dämmerlicht
Von seinem Flug zur alten Burg zurück,
Und suchte seinen Sitz in stiller Kluft.

Warum verbirgst du dich so ängstlich? sprach
Zur Todverkünderin ein Schwalbenpaar.
Wir singen unser Lied bei hellem Tag,
Und jeder freut sich unsrer Wiederkehr.

Die Eule sprach: Das glaub' ich wohl, ihr singt
Des Frühlings Lust, des Sommers Wiederkehr. —
Mich aber hat des Schicksals dunkle Macht
Zu seiner Stimm' ersehn: Vergänglichkeit,
Und Tod und Trümmer ist mein ernstes Wort.
Wie Geister wandeln schwebt mein leiser Flug,
Mein Klageruf ertönt wie Grabgesang.
Der Wahrheit Wort vernimmt bei seiner Lust
Der Mensch nicht gern; im lustigen Gewand
Und halbverhüllt begehrt er sie zu schaun.
So muß ich denn bei hellem Tageslicht
In dunkler Kluft mich seinem Blick entziehn,
Und nur im Dämmerschein darf sich mein Flug
Und kurzer Laut dem Sitz der Menschen nahn.

Vernimmt denn auch der Mensch das ernste Wort
Der Wahrheit? fragte jetzt das Schwalbenpaar.

Sie schlummern! sprach der Kauz; — nur hie und da
Ein Kranker hebt vom Pfühl sein mattes Haupt,
Und hört den ernsten Ruf, erschrickt und bebt. —
Der frühe Wandrer doppelt seinen Schritt,
Und sehnend forscht sein Blick nach Morgenrot. —

Die Nachtigallen und die Pfauen

Um seinen Landsitz schuf ein reicher Mann
Sich einen Park von mancherlei Gehölz,
Ein murmelnd Bächlein floß im stillen Hain,
Doch hörte man seit langer Zeit nicht mehr
Der Nachtigall erfreulichen Gesang.
Denn im Gebüsch versteckt beschlich sie oft
Des Hofes Katzenvolk und würgte dann
Der Sänger frommes Paar mitsamt der Brut.

Die Nachtigall entfloh. — Des Hofes Herr
Befahl dem Gärtner nun, mit Kunst und Fleiß
Die Sängerin zu locken ins Gebüsch.
Er ging und bot ihr Köder dar, und sprach:
Wo findest du ein kühleres Gehölz,
Als diesen Park, das klare Bächlein beut
Dir seinen Trank, und Echo harret dein.

Umsonst! die Nachtigall blieb unbewegt.
Denn im Gebiet der finstern Tyrannei
Kann nicht des Liedes freie Kraft gedeihn. —

In seinem Park hielt sich der Reiche nun
Der bunten Pfaun laut schreiendes Geschlecht.

Der Sturmvogel und die Schiffenden

Ein Schiff durchschnitt des Meeres blaue Bahn,
Das Segel schwoll, die Wellen spielten
Sanft rauschend um den Kiel, Delphine wühlten
Und wälzten scherzend sich im Ozean.
Vom fernen Eiland trugen sanfte Lüfte
Des Zimtwaldes Düfte.

Das Schiffvolk lag im milden Sonnenschein,
Und vom Verdeck ertönten Jubellieder,
Vermischt mit lautem Scherz, zum frohen Wein,
Und leiser plätscherten die Wogen.
Da kam ein Sturmfink hergeflogen,
Und ließ sich auf das Steuer nieder.

Den Unglücksvogel sah der Steuermann. Fürwahr!
Du Freudenstörer, hub er an,
Du konntest nie uns ungelegner kommen!
Doch soll dir dein Prophetenamt nicht frommen.
Dir selbst verkünde die Gefahr!

Er sprachs, ergriff die Büchse, traf
Des Vogels Brust; er fiel. Doch eh des Todes Schlaf
Sein Aug' umschloß, erscholl aus seinem Munde
Der ernste Spruch: Ihr wähnet im Propheten
Der Wahrheit heilge Kraft zu töten!
Umsonst! es naht die ernste Stunde,
Und euer Sträuben hemmt sie nicht.
Dann wird ihr Wort zum Sturm, ihr stilles Licht
Wird sich zu Feuerflammen röten! —
Er sprachs, da floß sein Leben aus der Wunde.

Gewölk stieg auf, hoch schwoll im Sturm die Flut.
Der Blitz zerriß den Mast, es scholl Gewimmer;
Des Ozeans empörte Wut
Verschlang des Schiffes Trümmer.

Der Falke und der Reiher

Ein Edelfalke bekämpft' in hoher Luft
Den Reiher. Endlich fiel gelähmt und blutend
Der letzte in des Jägers Hand. Da sagte
Der Reiher: Ach, wie kannst du deine edle
Natur so sehr verleugnen, daß du selbst
Dein eigen Volk bekämpfend, es der Herrschaft
Des Menschen übergibst? Was hat dich denn
Zu solcher Tat und schnödem Sinn bewogen?

Der Falke seufzt' und sprach: Die eigne Knechtschaft!
Man fing mich auf, man legte mich in Fesseln
Und blendete mein scharfes Augenlicht —
So mußt' ich nun im engen Dunkel hausen;
Mir schwand der Freiheit göttlich Hochgefühl
Und kühner Mut — an dessen Stelle trat
Der kleine Sinn und niedre Eigennutz,
Der nach Genuß und eitlem Lobe strebt.
Halbfrei entließ man mich zur ersten Beize;
Der Weidmann pries des Flugs gewandte Kraft
Mit feilem Wort; so kam ich tiefer stets
Ins Sklavenjoch — ach! höre auf zu fragen.

Der Reiher sah den Falken an, und sprach:
Wohlan, ermanne dich noch jetzt, zerbrich
Die schnöde Schmach der Knechtschaft! Auf, und wage
Nur frei zu sein! dein Leben ist gewonnen.

Der Edelfalke stand schweigend. — Plötzlich scholl
Des Falkners Ruf — er zitterte; zum zweiten
Erscholl der Ruf. — Mit Blitzesschnelle entflog
Der Sklave nun zu neuem Fang und Mord.

Der Knabe und die Eidechse

Ein Knabe ging zur Frühlingszeit im Walde,
Des neugebornen Lenzes sich zu freuen.
Entzückt beschaut' er Schmetterling und Blumen,
An ihrer Wohlgestalt sein Herz ergötzend.

Da regten sich des Brombeers welke Blätter,
Und sieh! es schlich geschmückt mit bunten Streifen
Ein glatter Molch hervor aus dürrem Laube.
Der Knab' entwich dem bunten Tier zur Seite.

Du schautest doch, begann das Tier zu reden,
Die Blumen und die bunten Sommervögel
Mit Wohlgefallen — sprich, weshalb entweichet
Dein scheuer Fuß vor mir? Bin ich denn minder
Des Lenzes Kind, geschmückt mit schönen Farben?

Der Knabe sprach: Die Blumen blühn und duften
In stiller Kraft, die Sommervögel schweben;
Du aber wohnst versteckt im Laub und schleichest —
Drum macht dein bunter Schuppenglanz mich bange.
Die Unschuld, mein' ich, trägt ein andres Wesen. . . .

Ich bin so klein, wie könnt' ich dir denn schaden?
Antwortete des Tieres schwarze Zunge.

Der Knabe sprach: Des müssen wir uns freuen.
Geh, denn du trägst des Krokodils Gebärde!

Die Natur, Flora und der Totenkopf

Als die Natur der Schmetterlinge Volk,
Ein schwebend Blumenreich im Reich der Luft,
Erschuf, und nun das fröhlich-bunte Heer
Auf tausendfach geschmückten Schwingen flog
Die Schöpferin umkreisend, schaute sie
Die neue Welt mit stiller Lust, und sprach:
Noch ein Geschöpf entstehe, das den Ernst,
So hab' ichs gern, der Fröhlichkeit vermählt!

Sieh, es entstand der wundersame Sphinx,
Der auf des Rückens Flaum das Schreckenbild
Des Moders trägt, des Totenkopfs Gestalt.
So nennen auch die Menschen ihn, jedoch
Des Vogels GötternamE ist Atropos.

Die Blumengöttin sah das düstre Mal
Des Abendvogels und erschrak und sprach:
Wie! du entstellst des Lebens frohes Reich
Durch solch ein Schreckgebild! Ists nicht genug,
Daß, ach! wenn nur zu schnell der Lenz entfleucht.
Die Kindlein mir verblühen und vergehn!

Antwortend sprach die freundliche Natur:
Verblühen — nicht vergehn! Bewahr ich sie
Nicht treulich dir, mein Kind, in meinem Schoß,
Bis sie des Himmels milder Hauch und Strahl
Von neuem ruft? — Der Abendvogel trägt
Des Todes Bild nicht trauernd. Sieh, ich gab
Ihm ja der Schwingen Kraft, ein Doppelpaar!
So trägt er froh des Todes Bild empor,
Und trinkt getrost der Blumen Saft und Duft.