Die Raupe und der Schmetterling
Dicht an der Erd' auf dunklem Strauche saß
Eine rauhbehaarte Raup' und fraß
Das herbe Laub. Da schwebte auf leichtem Gefieder
Vom bläulichen Himmel ein Schmetterling nieder,
Ihn trugen die spielenden Wellen der Lüfte
Zur Blume, da trank er die würzigen Düfte.
Die Raup' erhob erstaunt vom dunklen Strauch
Ihr tierisch Haupt und seufzt': Auf niederm Bauch
Muß ich mich kriechend im Staube plagen,
Indes den Vogel dort durch die heitere Luft
Vier goldgeschmückte Schwingen tragen.
Ihn nährt der Blumen Saft und Duft,
Und ich muß herbes Laub zernagen! —
Der Sommervogel sang: Getrost mein verkleideter Bruder,
nicht immer
Wirst du dich plagen im rauhen Gewand;
Bald wird auch dich die freundliche Hand
Der Mutter bekleiden mit Schimmer!
Bald wird ein doppeltes Flügelpaar
Auch dich zum fröhlichen Leben erheben,
Den Staub abschüttelnd, verjüngt wie ein Aar,
Wirst du in den Lüften und Düften dann schweben. —
Drum glaube und harre der besseren Zeit,
Und trage geduldig dein staubiges Kleid. —
So sang der Schmetterling. — Doch das bestaubte
Gewürm erhob den schweren Kopf und schnaubte
Den Vogel an, und ließ die scharfen Klaun,
Gebiß und Borstenhaar ihn schaun.
Drauf neigt' es die trägen Glieder
Zum halbzernagten Blatt hernieder.
Und Psychens Vöglein auf goldenen Flügeln
Entschwebte zu blühenden Tälern und Hügeln.
Der Rhein und das
Bächlein
Irrend in des Kiestals Krümme
Floß ein Bächlein, wehmutvoll
Wie ein leiser Seufzer, scholl
Durch das Tal des Bächleins Stimme:
Trostlos wandle ich meine Bahn,
Ach! wer nimmt sich meiner an?
Und des Bächleins banges Klagen
Tönt' in Vater Rheines Ohr,
Und er hob sein Haupt empor
Freundlich, und begann zu fragen:
Trauernd Bächlein, sage mir
Woher kommst, was willt du hier?
Rieselnd sang des Bächleins Welle:
Drüben auf des Berges Höhn,
Wo die dunklen Eichen stehn,
Springt aus Felsen meine Quelle,
Hier mein Brünnlein hell und klar
Tränkt' ein Nachtigallenpaar. —
Und, wo auf des Berges Mitte
Im Gebüsch das Strohdach ruht,
Fließt verweilend meine Flut
Um des armen Mannes Hütte,
Bis im Stillen angefüllt,
Ihm sein Börnlein überquillt.
Tiefer, an dem Felsenstege
Hängt ein wilder Rosenstrauch,
Harrend, daß mit kühlem Hauch
Ich ihm Blatt und Knospen pflege.
Wenn die Röslein rötlich blühn,
Rötlich mir die Wellen glühn
Aber jetzt — verwaist und trübe
Irr' ich zwischen Kies und Sand,
Und das öde stumme Land
Hat nichts, was ich pfleg' und liebe.
Trostlos wandle ich meine Bahn.
Ach! wer nimmt sich meiner an!
Vater Rhein voll Erbarmen
Sah des armen Bächleins Schmerz,
Und ihm schlug sein Vaterherz,
Und er stand mit offnen Armen —
Vater Rhein mild und groß
Nahm das Kind in seinen Schoß.
Der
Elephant, das Pferd und der Esel
Ein Elephant erschien vor Roma's Tor
Mit einem Turm auf breitem Rücken.
Bewundernd schaut' ein Roß zu ihm empor,
Mit edlem Stolz und Ruhe in den Blicken.
Da trat aus dichtem Schwarm ein Eselein hervor,
Und sah, und schien im Staunen ganz verloren —
Woher, befragte ihn das kriegerische Roß,
Dein dumpfes Staunen und Entzücken?
Was hast du denn an diesem Tierkoloß
Zum Augenmerk dir auserkoren?
Der Esel sprach: Die großen Ohren!
Zeus und das Reich
der Vögel
Das Reich der Vögel ward von bitterm Zwist zerrüttet,
Es strebt' ein jeder nur nach eignem Zweck und Vorteil
Und eitlem Ruhm, beherrscht von schnöder Gier und
Selbstsucht,
Nicht des gesamten Bluts und Vaterlands gdenkend.
So rissen bald der Zucht und Sitten heil'ge Bande.
Da nahte sich dem Thron des hohen Weltbeherrschers
Sein auserkorner Aar und sprach die weisen Worte:
Dem irdischen Geschlecht entsprossen, liegt noch immer
Des alten Volkes Los und Schicksal mir am Herzen.
Drum fleh ich dir, o Zeus, erbarme dich der Toren,
Die jetzt mit Unverstand einander selbst zerfleischen!
Verleih Gesetz und Zwang, daß sie, der alten Würde
Gedenkend, sich zum Bund' ein eignes Volk, vereinen!
Zeus winkt' Erhöhung und berief zum Herrscherthrone
Des Vogelreichs ein fremd Geschlecht, den grauen Vampir.
Da stieg zu Jovis Thron die allgemeine Klage:
Wie! soll ein fremd Getier, bedeckt mit rauhen Zotten,
Das leichtbeschwingte Volk der Lüfte nun beherrschen?
O schaut, ein kahles Fell voll Runzeln ist sein Fittich,
So schwankt und wackelt es im Dunkel durch die Lüfte,
Kein Schweif noch Feder ziert den ungestalten Fremdling,
Ein unbekannter Laut ertönt von seinen Lippen —
O wohl uns, als wir noch vereint zu einem Volke,
Selbständig unsers Bunds gemeinsam uns erfreuten!
Zeus Aar vernahm der Luftbewohner Klag' und sagte:
Ich bat dich nur, o Zeus, dem Hader abzuhelfen —
Du aber hast mit Spott der Armen Zwist vergolten!
Zeus lächelte und sprach: Dies soll die Blinden heilen!
Jetzt lernen sie zuvor des eignen Volkes Würde
Erkennen! Dann erst mag das Selbstgefühl des Wertes
Der edlen Freiheit Sinn in ihrer Brust erwecken.
Wird dein betörtes Volk des Lichts, sich würdig zeigen,
Dann wird aus dunkler Nacht, der Tag herniedersteigen!
Der Hund und die Katze
Zum alten Hofhund sprach des Hauses Katze:
Komm, laß uns Freunde sein! du gehest täglich
Zu andern deines Volks. Verschmäh nicht ferner
Die Hausgenossin, laß uns traulich leben!
Gern will ich dir die Zeit durch Spiel verkürzen.
So sprach die Katze schmeichelnd; doch der Alte
Bewegte stumm sein ernstes Haupt, und streckte
Sich gähnend auf die Flur des Hauses nieder.
Doch knurrend schlich mit aufgehobnem Schweife
Und rundem Rücken auf den leisen Tatzen
Die weiße Miß rings um den Hund und sagte:
So sprich doch auch zu mir ein freundlich Wörtchen!
Oft sah ich dich mit jungen Hündlein spielen.
Willst du die Hausgenossin denn verschmähen?
Bin ich nicht weich, wie Samt, und so reinlich
Gleichwie ein Lamm, gewaschen in der Schwemme;
Gewandt und klug dabei? Nicht bloß die Mäuse,
Auch Tauben und Kaninchen kann ich jagen;
Ich will, mein Freund, dich pflegen und erwärmen,
Und jeden Raub getreulich mit dir teilen.
Da hob der Hund sein ernstes Haupt und sagte:
Laß mich in Ruh', ich mag nicht deine Freundschaft,
Obwohl du dich so mancher Tugend rühmest!
Zwei Dinge sind mir ewig unausstehlich:
Heimtückisch birgt dein Fuß die scharfen Tatzen,
Bis auf den Schlag, den du dem Feind versetzest,
Und wenn du schmeichelhaft den Schweif erhebest,
Dann sinnt dein gierig Herz auf Blut und Tücke.
Entweihe nicht das Wort der Treu und Freundschaft!
Wo Wahrheit fehlt, da kann sie nimmer wohnen.
So sprach der Hund und neigte sich zur Ruhe.
Der Affe und der Hund
Ein Orangutang hatte sich
Mit Menschenkleidung säuberlich
Nach neuster Mode aufgeschmückt.
Den Hut in seine Stirn gedrückt
Trat er nun seine Wallfart an,
Und zwar mit solchem Schaugepränge,
Als wär' er Sultan Soliman,
Und ihm die weite Welt zu enge.
Das Dörflein sah den fremden Herrn,
Und wich ihm aus, und grüßte ihn von fern.
Doch als im seligen Genuß
Der hohen Würde Petz zum Gruß
Den großen Hut vom Kopfe nahm,
Und man ihm in die Augen sah,
Da hieß es: Seht den Narren da!
Man rief und schrie und zischt' ihn aus.
Petz aber lief voll Gram und Scham;
Und als er nun nach Hause kam,
Sprach er zu Phylax seinem Freund:
Ich habe wunderfest gemeint,
Daß ich dem Herrn der Tiere glich,
Und siehe! man verspottet mich,
Und treibt mich fort mit Ungestüm!
Ei! sprach der Hund, du gleichest ihm
Aufs Haar; allein bloß äußerlich
Deshalb, mein Freund, verlacht man dich.
* * *
Der reiche Stox will auch ein Denker sein.
Das Sein ist schwer; er wählt den Schein;
Sein Bildersaal, sein blanker Bücherschrein
Verkünden dir den weisen Mann,
Doch Jammer! Niemand glaubt daran.
Der Knabe und die
Quelle
An eines Bächleins Quelle
Ein Knabe spielend stand,
Er trug ein Stäblein in der Hand
Und taucht' es in die Welle.
Und wenn es in die Welle sank,
Das Stäblein schien gebogen,
Und dann herausgezogen
Erschien es wieder grad' und schlank.
Das deucht dem Knaben wunderbar,
Er sprach erzürnt zur Quelle:
Du bist zwar klar und helle,
Allein dein Börnlein hell und klar
Hat mich getäuschet immerdar —
Du hast mich schnöde belogen,
Geh! bin dir nicht gewogen!
Da tönte fein und helle
Ein Stimmchen aus der Quelle:
Mein Kind, ich täusche und trüge nicht!
Dein eignes blödes Augenlicht
Vermag nicht, meiner Wellen Spiel
Vollkömmlich durchzuschauen,
Drum solltest künftig nicht zuviel
Dem eignen Blicke trauen.
Das Rind und die Ziege
Am Weg erhob sich eine Schierlingspflanze.
Ein grasend Rind bemerkte sie und sprach:
Du lockest mich vergebens,
Du Feindin meines Lebens,
Hekates Kraut, dich treffe Fluch Schmach!
Indes kam eine kranke Ziege
Des Weges und verschlang mir Gier
Das Unglückskraut. — O armes Tier!
Rief jetzt das Rind, Pan helfe dir!
Du stirbst! — Erspare dein Geschrei,
Erwiderte die kranke Ziege,
Dir wär' es Gift, mir ist es Arznei!
Die Schwalben
und die Philosophen
Fürwahr, sprach eine Schwalbe, ich hätte nie gedacht,
Daß wir bei euch so hoch in Ehren
Und Ansehn stehn. Ihr disputiert mit Macht,
Wie wir des Winters uns erwehren.
Der eine schreit: Sie schlafen in den Teichen!
Ein andrer schwört: Sie ziehen fort in großen Schwärmen —
Ich sah sie selber streichen!
Kurz, ihr erhebt ein solches Lärmen
Um uns, daß wir aus eurem Streit
Jetzt eure Gunst, und unsre Wichtigkeit
Mit Dank erkennen und verehren. —
Wie! fiel der Mensch der Tochter Progne's ein,
Ihr wähnt, daß wir um eurethalben
Uns streiten! — O ihr arme Schwalben!
Ob euer altes Volk und Reich
Sich selbst zernichte oder mehre,
Das gilt uns allen völlig gleich;
Denn unser Zweck ist einzig unsre Ehre.
Zeus und der Adler
Der Adler trat vor Jovis Thron und sagte:
Man nennet mich der Luftbewohner König,
Auch dringt mein Flug vor allen bis zur Sonne,
Es blicket mir kein sterblich Auge nach.
Allein dem König ziemt, in allen Dingen
Voranzustehn. Und doch, O Zeus, versagtest
Du mir die süße Kraft, womit du viele
Von meinem Volk geschmückt, des Liedes Gabe.
Nur wann der Erd' ich mich entschwinge, tönt
Mein Fittich; schweigend schwebt mein hoher Flug
Im weiten Raum der himmlischen Gefilde.
Zeus lächelte den Adler an und sprach:
Dein Flügelschwung, mein Kind, ist dein Gesang,
Und wenn du droben schwebst, dein stiller Flug
Du hast erreicht, was jene noch erflehn!
Der Brite und der
Indianer
Wo vom Gebirg und schroffem Felsgeklüfte
Der Niagarastrom durch die erschrocknen Lüfte
Mit Donnersturm hernieder schäumt und stäubt.
Daß sein Getös die Völker rings betäubt —
Hier stand ein Meer-durchspäh'nder Brite
Und sah des Stromes Sturz tiefsinnend an,
Da trat zu ihm aus seiner Hütte
Ein Indianer und sprach: Willkommen, weißer Mann,
O laß auch mich die weisen Lehren,
Die jetzt dein kluges Herz dir sagt,
Ich bitte dich, von deinen Lippen hören!
Der Brite sprach unwillig: Mir behagt
Nicht eures Stroms gewaltig Toben,
Das ihm die Bahn durch Felsen bricht.
Warum, anstatt zerstäubend hier von oben
Zu stürzen, schmiegt sein harter Sinn sich nicht
Vor diesem Fels, und läßt zu seinen Füßen
Durchs ebne Tal sein breites Wasser fließen?
Dann prangten Schiff in seiner stolzen Flut,
Und brächten euch der Ferne Frucht und Gut. —
Doch betete auch dann, mein kluger Brite,
Vor seinem Strom des Landes freier Mann
Den großen Geist noch an? —
Antwortete der Wilde und ging in seine Hütte.
Das erste Gewitter
Schwer auf dem Tale lag ein schwüler Qualm
Von Dünsten, Pest und bleiche Seuchen brütend.
Beklemmt und keuchend ging, des Menschen Odem,
Erkrankend schlich der Tiere träges Volk.
Da flehten laut die Sterblichen zum Himmel:
Ihr hohen Mächte helft und tilgt den Dunst,
Der unsers Lebens Hauch vergiftend drückt!
Laßt neue Luft und Kühlung niederströmen!
Ihr Flehen ward erhört. Ein schwarz Gewölk
Umzog wie Nacht des Himmels blauen Raum,
Und harrend sahn die Menschen jetzt empor.
Im düstern schwarzen Zelt, so sprach man, wohnen
Des Himmels Mächte; harrt, sie werden bald
Die Hüll' eröffnend, in das kranke Tal
Die reine Luft erquicklich niederströmen.
Jetzt neigte.sich der Wolken blauer Schwall,
Es zuckt ein Wetterstrahl, und krachend rollte
Des Donners ernster Ruf von Tal zu Tal,
Blitz folgt' auf Blitz, die Höhn und Tiefen bebten.
Ein Sturm zerriß wie Flocken das Gewölk.
Die Menschen flohn voll Angst in Felsgeklüfte.
Da rauscht' ein Regenguß, vom steten Donner
Begleitet. Endlich schwieg das rollende Getöse,
Mild säuselte der Regen auf die Fluren,
Und lieblich duftend quoll des Feldes Hauch.
Die Menschen traten nun zurück ins Leben,
Mit frohem Blick, doch halb bestürzt und sprachen:
Empfanget Dank, ihr ewig hohen Mächte,
Für eure Huld! — Allein weshalb vereinet
Sich eure Gunst mit Angst und wildem Schrecken?
Aus dunkler Wolke kam darauf die Antwort:
Erschaffend wirkt des Himmels Kraft im Stillen;
Wenn sie Verderben tilgt auf tiefer Erde,
Kann rauschend nur die hohe Macht sich nahn.
Die Stimme schwieg — und in den Wolken stand
Mit stillem Glanz des Himmels hoher Bogen.
Jupiter, Minerva
und Bacchus
Von des Olympus Höhen sahn die Götter,
Versammelt um den alten Weltbeherrscher,
Zur Erd' hinab, der Tiere zahllos Heer
Und ihr Gewimmel rings umher betrachtend.
Da sprach zu Zeus die ernste weise Tochter:
Dürft' ich dein Werk zu tadeln mich erkühnen,
So bät ich dich, vertilge das Geschlecht,
Das von Arachne stammt, der frechen Dirne,
Die mir zum Trotz die zarten Fäden wob,
Den Himmlischen es gleich zu tun wähnend.
Vertilg', o Zeus, das schnöde Raubgewürm!
Verfolgt nicht ihre blinde Wut
Mein fleißig Volk, die arbeitfrohen Bienen?
Entstellt nicht das Gespinst der Brut
Altär' und Tempel, wo die Sterblichen uns dienen!
So zürnte Athenä und der ewig heitre
Kronion schwieg und schaute die Versammlung.
Da trat hervor der jugendliche Bacchus
Und sprach: Fürwahr da wären meine Reben
Von Fliegenschwärmen bald verheert —
Arachne's Kinder sollen leben!
Sie sind mir mehr als deine Bienen wert! —
So zürnten sie. Da lächelte der Vater
Und sprach: Ihr übertreibt auf beiden Seiten,
Du Tochter, deinen Haß; du, Sohn, den Schutz —
Athenä läßt vom alten Groll sich leiten,
Und Evan, du vom Eigennutz.
Sagt, wollt ihr, statt ihn klug zu sichten,
Den Weizen mit dem Lolch verstreun?
Man muß um andre recht zu richten,
Selbst frei von Leidenschaften sein.
Die Flöte
Trauernd stand der Mensch und schaute
Auf der neuerschaffnen Erde
Um sich her die jungen Wesen,
Von der Hand der Himmelsmächte
Weise und wunderschön gestaltet.
O ihr ewigen Herrscher, rief er,
Habt ihr uns Menschen spottend
Teile eures Lichts verliehen,
Daß wir, eure Werke schauend,
Euch die Schöpferkraft beneiden?
Wunderbar habt ihr das Ganze
Und das einzelne gebildet.
Aber uns, den ersten Söhnen
Eurer Schöpfung, ist verwehret,
Eigner Bildung zu gedenken.
Zeus vernahm des Menschen Klage,
Und er sandte seine Tochter
Pallas auf die Erde nieder
Zu dem klagenden Geschlechte,
Trost und Weisheit ihm zu bringen.
Pallas lehrte nun den Menschen,
Aus des Buchsbaums hartem Aste
Künstlich eine Flöte bilden
Und mit seines Mundes Odem
Den getrennten Ast beseelen.
Kenne, sprach sie zum erfreuten
Erdensohn, nur deine Kräfte.
Zwar vermagst du nicht zu schaffen —
Aber strebe nach dem Höhern:
Das Erschaffne zu begeistern.
Der Fels und der
Apfelbaum
Am Wege stand ein Fels, des Berges Grenze,
Und hob sein ernstes Haupt bis in die Wolken.
Der Wandrer weilend sah zu ihm hinauf
Und maß den Riesenstein mit bangem Staunen.
Ein Apfelbaum an seinem Fuße sprach:
Dich preiset Jedermann, obwohl du keinen
Gewinn den Menschen bringst. Ja, es verwächst
Und welkt mir oft die Frucht in deinem Schatten.
Und doch vergißt man mich und meine Gaben,
Man pflückt mich leer, und staunt dich nur an.
Vermöchtest du der Wurzel Saft in Frucht
Zu wandeln, gern vergönnt' ich dir den Preis.
Da sprach der Riesenstein: verlange nicht
Vom ernsten Fels des Baumes süße Frucht!
Sieh, meinem Fuße entspringt des Baches Quelle
Und Wolken trägt mein Haupt.
Das Turteltaubennest
Zwei Knaben wandelten im Wald,
Ein Vogelnest zu suchen.
Da war ein Plätzgen schaurigstil!
Im Dunkel junger Buchen.
Und in dem Dunkel saß ein Nest,
Gebaut von harten Stäben.
Das arme Tierchen! seufzten sie,
Und standen so daneben.
Da hob ein brütend Täubchen wohl
Die Äuglein frisch und munter
Aus seinem Nest, und sah sie an,
Und sprach vom Baum herunter:
Ihr lieben Knaben, denkt nur nicht,
Daß mirs so übel ginge!
Schaut meine Äuglein! bin ich nicht
Vergnügt und guter Dinge?
Wenn mir die freundliche Natur
Solch schlechtes Bettlein gibt,
So gab sie mir ein Männchen auch,
Das mich getreulich liebet.
Sie hat uns warmes Blut verliehn,
Und Herzen frei von Kummer.
Was sie am Bettlein uns versagt,
Ersetzet sie am Schlummer.
Die Raupe und die
Spinne
Im zähen Leime grub sich eine Raupe
Ihr Sterbgehäus' und wob aus zarten Fäden
Sich ein Gespinst, das rings den Leib verhüllte.
Die schönere Verwandlung vorbereitend. —
Von ihrem luft'gen Sitz sah eine Spinne
Der Arbeit zu. Sie sprach: Was soll das Netz?
Anstatt zum klugen Fang es auszubreiten.
Webst du dir selbst, o Törin, Tod und Grab!
Mags immer sein! antwortete die Raupe,
Es ist Bedürfnis mir und reger Trieb,
Ein solches Lager jetzt mir zu bereiten,
Und dunkel schwebt um mich die leise Ahnung,
Als sollt' ich einst aus diesem engen Grabe
Zu höherm Licht erstehn und freiem Leben.
Erstehen! sprach mit Hohn die kluge Spinne;
Wirst du denn je das zähe Netz zerreißen?
Und wenn du dies vermöchtest, wirst du auch
Der Erde harten Schoß durchwühlen können,
Das Grabgewölb zersprengend? — Törin, nein!
Was tot ist, bleibt tot! — Wann sahst du je
Die Fliege in meinem Netz vom Tode erwachen?
So sprach die kluge Spinn', indessen wob
Die Raup' ihr Totenkleid und schlummerte ein.
Der Winter deckte ihr Grab mit Schnee, die Spinne
Verträumte im hohlen Ast die rauhe Zeit.
Im Frühling spann sie am gewohnten Zweig
Ihr Netz und spähte rings nach Raub und Beute.
Da regte sich der Staub, die Hülle sprang,
Und aus des Leimes Spalt kam unversehrt
Ein Vöglein zartbeschwingt ans Tageslicht.
Es ließ sich auf der Blumen schönste nieder,
In ihrem Kelch der Flügel Gold entfaltend. —
Die Spinne sah erstaunt aus ihrem Netz. —
Das neugeborne Kind des Lichtes sprach:
Wie könnte wohl im engbeschränkten Raum
Und trüglichen Gespinst der Eigensucht
Das sanfte Licht des Glaubens dir sich nahn? —
Schau denn an mir; was die Natur verheißt,
Das hält sie auch! — Dir gab sie das Gewebe
Zum Raube, — mir zur höheren Entfaltung.
Dir hielt sie Wort im irdischen Bedarf,
Wie könnte sie im höhern denn mich täuschen?
Der Wiedehopf, der
Kuckuck und die Vögel
Dem Krönungstag des Adelers zu Ehren
Begingen einst die Vögel allzumal
Im Wald ein Fest. Von ihren Jubelchören
Erschollen ringsum Berg und Tal.
Kein Vogel blieb daheim, sogar der Wiedhopf
Erschien aus seiner stillen Wüste;
Als aber freundlich ihn das Sängerchor begrüßte,
Da schüttelte ein Kuckuck seinen Kopf
Und sprach: Wie sie den Toren preisen!
Ist nicht sein Lied ein ewig Einerlei?
Und schleppt er nicht aus allen Wagengleisen
Zu seinem Nest den Schmutz herbei?
Ihn unterbrach mit Spott und Lachen
Der Waldbewohner buntes Chor:
Er selbst vermag kein Nest zu machen
Und sein Geschrei ermüdet jedes Ohr,
Und doch will er sich unterwinden . . . .
Der Adler sprach: Ei, gönnt dem blinden
Geschlecht der Torheit schnöde Frucht!
Das quälende Bewußtsein eigner Sünden
Erzeuget Schmäh- und Tadelsucht! —
Luna und Aurora
Selene trat einst vor Aurorens Zelt
Und sprach: Mit Wonne und Entzücken
Verehret dich die ganze Welt!
Kaum läßest du dein strahlend Antlitz blicken,
So steigt zu dir, ein jubelnd Chor,
Des Menschen Lobgesang, der Vögel Lied empor.
Wer könnte auch die Opfer dir mißgönnen,
Die dankbar dir die Erde zollt,
Wenn überströmt von deinem Gold
Des Morgens offne Tore brennen!
Allein, laß mich auch dieses wissen,
Weshalb du vor der Sonn' entweichst,
Und wenn die Nacht erscheint, vor ihren Finsternissen
In dein Gezelt herniedersteigst.
Mich, wechselt auch mein Angesicht,
Vertreibt nicht Finsternis, noch Sonn' und Sternenlicht.
Ja sprach Aurora, darum eben
Zerstöret meinen Ruhm kein Neid.
Ich weiß durch Stolz ihn zu erheben,
Und schütz' ihn durch Bescheidenheit.
Ich fliehe nicht; wenn Phöbus naht, verhülle
Ich mich vor seinem Strahlenblick,
Und kommt die Nacht, dann wandle ich in das stille
Gezelt des Uranus zurück.
Der Übermut und die
Dummheit
Kaum war der Laster zahllos Heer
Pandorens Unheilsbüchs' entflogen,
So füllten sie den Erdkreis, und durchzogen
Ein bunt Gewimmel, Land und Meer.
Die Ehrsucht gründete Paläste,
Der Geiz bezog Gewölb' aus festem Stein,
Die Wollust lud zu ihren Mahlen Gäste,
Und zahllos fanden sie sich ein.
Die Dummheit nur, im nebelgrauen
Gewände, ließ sich nirgend schauen.
Sie birgt sich gern, so lange sie vermag.
So war beinah der ganze Unglückstag
Für sie untätig hingeflossen. —
Da traf sie endlich den ersehnten Hausgenossen.
Der Übermut, von innen hohl und leer,
Von außen gleißend, kam daher. —
Kaum ward die Dummheit ihn gewahr.
So rannte sie voll Sehnsucht ihm entgegen.
Von nun an folg' ich dir auf deinen Wegen!
Sie sprachs. Da wurden sie ein Paar.
Nicht lange währt' es, da gebar
Die Mutter einen Balg von wundersamer Art.
Der Vater glaubte Amors Selbstvertrauen,
Und Amors Kraft und Reiz in ihm zu schauen.
Die Mutter wähnt' in seinem Wesen
Minervens Weisheit und Verstand zu lesen.
So meinten sie, das liebe Kindlein sei
Ein Götterkind, und nannten's Spötterei. —
Mit seines Vaters Wahn und Stolz begabt, hält
Es sich geschickt, in Jovis Donnerzelt
Und Plutos Reich, mit keckem Blick zu dringen.
So flattert auf der Mutter Eulenschwingen,
Das Zwitterwesen durch die Welt.
Zeus und die Löwin
Warum versagtest du, sprach eine Löwin, mir
Die gelbe Mähn', o Zeus, des Mannes Stolz und Zier?
Sie zeigt dir, sprach der Gott, des Gatten Kraft und Trutz,
Und bürgt dir seinen Schirm und Schutz.
So trägt er nur die Mähne dir zu Ehren. —
Dir ward das Größere verliehn:
Bemähnte Löwen zu gebären
Ist dein Beruf und Wert. Wohlan denn, fühle ihn!
Boreas und Zephir
im Wettkampf
Einst stritten um den Rang in Aeols Hallen
Der rauhe Nord und milde Süd.
Sahst du, sprach Boreas, je Fichten vor dir fallen
Und Eichen wanken? Vor mir flieht
Der stolze Mensch, das kühne Wild;
Von meines Mundes Odem schwillt
Das Meer, mir zittert das Gefild!
Wahr ist's, hub Zephyr an, dein Ungestüm verheeret —
Doch sieh auch meine Kraft! In meinem Odem blüht
Die stille Flur, die mich als ihren Vater ehret,
Wenn sie dich zitternd kommen sieht!
Und wenn durch mich die Rosenknospe schwillt
Und mir der fromme Hirt die Opferschale füllt.
Dann jauchzen Haine und Gefild!
Der Winde Herr entschied den Streit:
Die stille Kraft, die ein Geschöpf erfreut,
Den zarten Keim verborgen hegt,
Und Emens Lebens sorgsam pflegt,
Ist mehr des Götterbeifalls wert,
Als die Gewalt, die Tausende zerstört.
B.
Wie sollte Boreas die Schmach verschmerzen,
Die ihm des Sieges Palm' absprach?
Er schwieg und sann mit tieferbostem Herzen
Der Rache und Vergeltung nach.
Der Lenz erschien, der Schnee verschwand,
Und Zephyr nahm den Zauberstab und band
Die Flügel um; sein harrete das Land.
Sieh, plötzlich stand der Nord gerüstet ihm zur Seite,
Er trat erzürnend vor ihm hin,
Und sprach: Wohlan, in unserm Ehrenstreite
Sei Flora jetzt Kampfrichterin!
Auch Rosen kann mein Hauch erziehn,
Bald soll mein Pflegling schöner blühn,
Und dir vor Scham die Stirne glühn! —
Der zarte Zephyr schwieg, und Flora pries,
Indem sie ihm die Rosenstaude wies,
Die Sanftmut und Bescheidenheit
Des Lieblings ihrer Blumenau.
Gefühl des eignen Wertes beut,
Sprach Flora, niemals sich zur Schau.
Die Wahrheit schweigt — und wenn sie spricht,
Umstrahlt des innern Friedens Licht
Ihr sanftes Wort und heitres Angesicht. —
* * *
Auf einer Höh an Rhodos Küste standen
Zwei Rosenstauden schlank und schön,
Zum Kampf bestimmt. Olympier selbst fanden
Sich ein, den Wettstreit anzusehn.
Ach, Florens zarte Kinder sahn
Den finstern Nord mit Zittern an,
Voll Furcht und schnelles Flugs entflohn
Vor seines dunklen Auges Drohn
Die Sylphen. Jeder Kelch, einst ihrer Liebe Thron,
Ward leer. Ach, seufzten sie, im Streite
Der Starken sind wir Schwachen ihre Beute! —
* * *
Nun öffnete der Nord den Mund, und Flora bebte
Um ihr geliebtes zartes Kind.
Die Staude krümmte sich, die Knospe strebte
Ihm zu entgehn; umsonst! der rauhe Wind
Zerriß mit Mut Gezweig und Laub,
Und, seines kalten Odems Raub,
Lag Florens Hoffnung nun im Staub.
Der Süd umhauchte jetzt die Staude, traulich schmiegte
Die Knospe sich an seinen Schoß.
Er löste sie mit sanfter Hand, und wiegte
Die schönen Kindlein alle groß.
Da blühten sie mit voller Brust
Der Götter und der Menschen Lust,
Der eignen Schönheit unbewußt.
Der Zephyr sah entzückt die Rosen blühn.
Die Götter pflückten sie und kränzten ihn.—
O, sprachen sie, das Schöne nur entfaltet
Sich da, wo Kraft und Liebe waltet!
Das Wachtelnetz
In einem Weizenfelde saß
Mit sehnsuchtvollem Herzen
Ein Wachtelmännchen, und nicht aß
Noch trank vor Liebesschmerzen.
Vom Morgen bis zum Abend klang
Sein Liedlein durch die Ähren,
Doch wollte viele Tage lang
Kein Weibchen ihn erhören.
Zuletzt in stiller Dämm'rung scholl
Ein Stimmchen aus der Ferne.
Ein Stimmchen süß und sehnsuchtvoll!
Das hörte Männchen gerne.
Schnell schlüpft' es durch die Hälmlein hin
Mit Bangen und Verlangen;
Da saß es, mit verstörtem Sinn,
Im Wachtelnetz gefangen.
O weh mir! — seufzt' es bitterlich
Vom seidnen Garn umzogen,
O wehe mir! wie hat man mich
So listiglich betrogen!
Ich ward bei süßen Melodein
Gefesselt und umwunden,
Und habe kaltes Elfenbein
Statt warmer Liebe funden!
O laßt, ihr Männchen allzumal.
Durch Tön' euch nicht betören! —
Er sprachs; nur eine kleine Zahl
Vernahm des Vögleins Lehren!
Die Henne mit den
Küchlein und der Habicht
Einst führte eine Henne
Ihre Küchlein aus der Tenne
Auf das Feld, und sorgenleer
Lief das Häuflein um sie her
Und scharret' in denm gelben Sand
Voll Freuden, wenn's ein Körnlein fand.
Urplötzlich rief die Henne:
O ihr Kindlein kommt zur Tenne!
Hurtig! eilet! denn ich seh
Dort den Habicht in der Höh! —
Das Häuflein lief zum Scheunentor
Und schaute in die Luft empor.
O! rief drauf das eine
Zu dem andern: Ist's das kleine
Pünktchen, das dort oben schwebt!
Und die Mutter drum erhebt
Solch Geschrei! was fällt ihr ein?
Ein Käfer scheint es nur zu sein!
Auf rauschendem Gefieder
Schwang der Habicht sich hernieder
Auf die kleine bange Schar.
Nun erst sahn sie die Gefahr.
Die Mutter gluchzte hier und dort.
Umsonst, er riß zwei Küchlein fort.
Ihr lieben Mägdlein fliehet,
Wenn die Mutter warnt; sie siehet
Heller die Gefahr von fern,
Und ihr sehet sie nicht gern —
Wenn ihr des Truges Kralle seht,
Ihr Mägdlein, ach! dann ist's zu spät!
Die alte und die
junge Forelle
An eines Bächleins Quelle,
Das sich in den Rhein ergoß,
Zog eine Steinforelle
Sich ein jung Forellchen groß.
Rings umzäunt von Dorngeflechte
Und von schroffen Steinen, sahn
Beide weder Mensch noch Hechte
Sich dem stillen Börnlein nahn!
Söhnlein, laß dich nie verleiten
Sprach die Mutter, in den Bach,
Der dich lockt, hinabzugleiten!
Da ist nichts, als Weh und Ach!
Daß dich nicht der Trug verderbe,
Der so manchen schon verdarb,
Kindlein bleib im kleinen Erbe!
Also sagte sie und starb.
Und das Söhnlein sah im kühlen
Bach von ferne eine Schar
Fröhlicher Forellchen spielen
Sonder Jammer und Gefahr.
Und nun kam mit frohen Blicken
Der Gefängling auch hervor,
Tanzte auf des Bächleins Mücken,
Wälzte sich im Schilf und Rohr.
Lustig taumelt' er und fragte:
Wo sind die Gefahren nun?
Keiner der Gesellen wagte
Es dem Kühnen gleich zu tun.
Ihm behagt es immer besser
In der neuen weiten Welt.
Weiter ward der Bach und größer,
Bis er in den Rheinstrom fällt.
Hier nun riß mit Wetterschnelle
Ihn des Stroms Gewalt entlang
Traurig blickt' er nach der Quelle,
Als ihn ach! ein Hecht verschlang.
Die alte und die
junge Wachtel
Ein Wachtelchen, im Lenz geboren,
Das noch die große Reise nicht getan,
Kam zitternd zu der Mutter und hub an:
Ach Mutter, weißt du schon, wir sind verloren!
Ach Mutter, Mutter, drüben stehn
Zwei Menschen im Gefild' und drehn
Zwei große Schwerter hin und wieder,
Die Halme fallen rauschend nieder! — —
Die Mutter sprach: Mein Kind, die Menschen mähen.
Ach Mutter, rief das Kind, sieh, wo sie gehen.
Da wird der Boden glatt und kahl!
Bald, sprach die Mutter, wird das ganze Tal
Statt Halmen dürre Stoppeln zeigen.
Das Küchlein sah mit bangem Schweigen
Der Mutter Ruh und heitres Antlitz an.
Ach Mutter! seufzt' es, was soll dann
Uns arme schützen und ernähren,
Wenn vor der Sichel Halm' und Ähren
Gefallen sind?? — —
Die Mutter lächelte und sprach: Mein liebes Kind,
Das wird die Zeit dich lehren.
Flora und die
Nymphe des Felsen
Als Flora ging, das Land zu schmücken,
Da trat zu ihr von eines Felsen Rücken
Die Nymphe des Gesteins. — O wandle nicht vorbei,
Bat sie — auch meine Wohnung sei
Ein Zeuge deiner schöpferischen Milde,
Womit du Auen und Gefilde
Verherrlichst! laß auch mich auf diesen kahlen Höhn
Die Spuren deines Wandelns sehn!
Die Blumenschöpferin vernahm die fromme Bitte
Und ging. Da sproß aus ihrem Tritte
Der Erdbeer niedres Kraut; aus hellem Grün
Sah man ein Blümchen, weiß wie licht, erblühn.
Hier soll der Mensch, so sprach sie, an dem grauen
Gestein des Himmels Pflege schauen
Er lern' ihr traun' Wem sie sich segnend naht,
Dem blühet auch der rauhe Pfad.
* * *
So stand der Fels geschmückt. — Die Oreade bückte
Sich zu der neuen Schöpfung, und erblickte
Mit Lust in Blüt' und Blatt am zackigen Gestein
Des Irdischen und Himmlischen Verein.
Doch sieh, es stieg in ihr ein neuer Wunsch empor:
O möchte Flora nur die Blüte höher heben,
Und ihr des Veilchens Düfte geben!
Dann tönt' um meines Felsen Fuß
Der Talbewohner Freud und Gruß!
Und Flora sprach: Wo Licht und Unschuld wohnen,
Da muß die Gottheit weilen und belohnen. —
Um süßen Duft in reifer Frucht zu ziehn,
Läßt ohne Duft sie diese Kelche blühn —
Verborgen sind der Götter stille Pfade,
Drum harre nur des Ausgangs, Oreade!
Dir gaben sie des Felsen stille Kluft
Zum Wohnsitz; — mir der Blume Duft.
* * *
Die Blumenzeit verschwand, der Erdbeer weiße Blüte
Verwelkt' und immer röter glühte
Die zarte Frucht, als hülle das Gestein
Der Abendröte Purpur ein.
Sanft gaukelten die Sommerlüfte
Und trugen durchs besonnte Tal
Der reifen Beeren Balsamdüfte,
Als lüden sie zu einem Freudenmahl.
Bald nahte nun ein Schwarm von Hirten und Hirtinnen,
Den Schmaus mit Dank und Jubel zu beginnen,
Den freundlich ihnen jetzt der Felsen bot,
Und ringsum tönten Freudenlieder.
Sanft lächelnd stieg die Oreas hernieder,
Und sah entzückt am zackigten Gestein,
Die Menschen sich der Göttergabe freun!
|