Fabelverzeichnis
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Die Rosen im Garten,
Die Gräser im Tal,
Der Adler in den Wolken,
Das Würmchen im Sonnenstrahl,
Die Sterne des Himmels,
Die Fischlein im Meeresgrund:
Sie loben ihren Schöpfer
Zu jeglicher Stund'. —
Den Weisen, Allliebenden,
Den Alles Erfüllenden,
Ihn preise dein Mund,
Ihm danke dein Herz!
Auf Ihn darfst du bauen
Im Glück und im Schmerz!

 

Quelle der Fabeln:

Friedrich Hoffmann/Hofprediger in Ballenstedt
Lebensweisheit in Fabeln für die Jugend/Stuttgart 1840/Hoffmann'sche Verlags-Buchhandlung
 
I.
Gottes Liebe. — Lobe den Herrn

 
Wandersmann und Lerche
Die fromme Nachtigall
Der Adler und die Lerche
Maiblümchen und Knabe
Die beiden Rosenstöcke
Blumen loben Gott
Süßer Schlaf
Goldhähnchen und Rabe
Morgengesang der Nachtigall
Danken
Die Eichel und der Kürbis

 
Die Sonne und die Tiere
Der Reisende
Die alte und die junge Wachtel
Der Hamster und die Lerche
Zeus und das Schaf

 

Wandersmann und Lerche

W.
Lerche, wie früh schon fliegest du
Jauchzend der Morgensonne zu?
L.
Will dem lieben Gott mit Singen
Dank für Leben und Nahrung bringen;
Das ist von Alters her mein Brauch;
Wandersmann, deiner doch wohl auch?

Und wie so laut in der Luft sie sang,
Und wie er schritt mit munterm Gang,
War es so froh, so hell den Zwei'n
Im lieben, klaren Sonnenschein.
Und Gott, der Herr im Himmel droben,
Hörte gar gern ihr Danken und Loben.
                                                  Hey

Die fromme Nachtigall

Streitend mit dem Widerhall
Sang der Mann der Nachtigall
Tag und Nacht und ward nicht müde,
Und von seinem Morgenliede,
Das man weit erschallen hört,
Ward ich oft im Schlaf gestört,
Wenn sich von des Tages Sorgen
Noch mein müdes Haupt erholte
Und ich gern noch schlummern wollte.
Aber jüngst an einem Morgen
Der verjüngten Natur,
Als ich meint', er hätte nur
Seinem Weibchen was gesungen,
Das bei seinen lieben Jungen,
Von Aurorens Tränen naß,
Horchend auf dem Neste saß,
Hört' ich, daß das Weibchen sprach:

Kinder, folgt dem Vater nach!
Hört, er singt euch Tag und Nacht
Diesen Gott, der euch gemacht!

Und seitdem werd' ich mit Freuden
An dem frühsten Morgen wach,
Und ermuntre mich, und springe
Von dem sanften Lager auf,
Eile hin in vollem Lauf,
Nach der offnen Gartentür,
Und: "Wach auf, mein Herz, und singe!"
Sing' ich alsobald mit ihr.

Mit verdoppelt lautem Schall
Schlägt die fromme Nachtigall
In mein Lied alsdann, und hüpft
Oft wohl eine ganze Stunde
Nächst um mich herum, und schlüpft,
Speise tragend in dem Munde,
Nicht zu ihren lieben Jungen,
Bis wir haben ausgesungen.
                                           Gleim

Der Adler und die Lerche

Ein Adler traf auf seiner Bahn
Zur Sonn' einst eine Lerche an,
Und hörte sie
Die schönste Melodie
Dem stillen Himmel singen.

Die ausgebreiteten und Eil gewohnten Schwingen
Verweilten sich; langsamer ward der Flug,
Und still die Luft, die ihren König trug.

Sitz' auf! spricht er zur Lerch', ich werde
Dich in den Himmel tragen,
Mein Fittig sei dein Wagen!

Nein, sagte sie, ich singe
Dem Schöpfer aller Dinge,
Hienieden an der Erde.
Nach einer höhern Sphäre
Flieg' du, zu seiner Ehre.
                                           Gleim

Maiblümchen und Knabe

Maiblümchen blickt aus den Blättern heraus
Wie aus einem lieblichen, grünen Haus.
Die ersten Knöspchen hat's aufgetan,
Es sieht sich die Erde, die bräutliche, an.
Und höher wächst es; Ein Glöckchen nach dem Andern
Siehet der Knab' aus dem Häuschen wandern.
Nun steht es da, gar lieblich geschmückt,
Es freut sich Jeder, der es erblickt;
Ringsum die Luft
Erfüllt's mit Duft;
Und die Glöckchen läuten im Morgenlicht,
Es ist nur Schade, man hört es nicht.

Der Knabe sagt: Maiblümchen, wie zart
Ist bei dir Glanz und Duft gepaart!
Du bist mir die liebste Blum' im Garten,
Ich werde dich sorglich pflegen und warten.

Maiblümchen freut sich und spricht geschwind:
Ich danke dir herzlich, du liebes Kind,
Und deiner Liebe freundliche Gaben
Sollen mir Blätter und Krönchen laben.
Doch sieh, mein Wachsen, Duften und Blühn
Kommt nicht durch dein und mein Bemühn;
Das kommt vom lieben Vater droben,
Den wollen wir alle Beide loben.
Denn auch dein Wachsen und dein Gedeihn
Wird wohl vom lieben Vater sein.
                                                Hoffmann

Die beiden Rosenstöcke

In einem feinen Blumentopfe,
Von zarten Händen wohl gepflegt,
An grüne Stäbchen angebunden,
Verlebte seine Stunden
Ein Rosenstock.
Ein anderer stand im freien Lande
Der ohne Pfleg' und ohne Bande
Die Zweige hierhin, dorthin beugte,
Wie's am Behaglichsten ihm deuchte.
Das zarte Kind im Töpfchen sprach:
O Bruder, wie beklag' ich dich!
Gewiß, gefahrvoll ist dein Leben;
Du bist den Stürmen preisgegeben,
Mußt sicherlich viel Durst erleiden,
Der Sonne Glut
Versengt das Haupt dir und die Glieder;
Du sinkst wohl bald verwelkt danieder.
Sobald mich dürstet, kommt der Herr
Mit blankem Kännchen, gießt die Flut
Des klaren Wassers mir auf's Haupt
Bewacht mich bei der Stürme Wüten
Und freut sich innigst meiner Blüten.

Mein Bruder, hub der andere an,
Ich freue mich, daß du zufrieden
Bist mit dem Los, das dir beschieden;
Doch mögest du mich nicht beklagen!
Tief schlag' ich in der Erde Schoß
Die freien Wurzeln, sauge Kraft
Aus ihrer Brust, bin frei und stark, —
Ich fürchte nicht der Stürme Wüten.
Und wenn ich heut gedürstet habe,
Wohl morgen auch, bringt süße Labe
Der Frühe Tau;
Wenn länger ich nach Labung schmachte,
Schickt mir mein Herr aus seinem Hause
Dort oben in des Tages Glut
Erquickung durch des Regens Flut;
Der Herr hat meiner nie vergessen,
Er sorgt für mich mit Lieb' und Huld;
Und lieber Bruder, kurz und gut:
Man steht wohl sicherer in Gottes Schutze,
Als in der Menschen Hut!
                                               Hoffmann

Blumen loben Gott

Der Mond am klaren Himmel steht,
Ein lauer Wind aus Süden weht.
Es ist so still im Hain, im Feld,
Die Vögel schlafen, es schläft die Welt.

Die Blumen wachen; sie hauchen Duft
Hinaus in die weiche Sommerluft;
Es legt der Mond ein Silberband
Um ihrer Kelche zarten Rand.

Die Rose, der Blumen Königin,
Spricht zu der lieben Nachbarin,
Der Lilie: die ganze Macht
Des Schöpfers spricht aus meiner Pracht.

Den süßen Duft, dies rote Gewand,
Den Wunderbau gab seine Hand;
Ich duft' und blühe zu seinem Ruhm,
Ich bin und bleibe sein Eigentum.

Die Lilie sagt: ein reiner Geist,
Der seinen Schöpfer ewig preist,
Kam still in stiller Sommernacht
Und hat mir Duft und Glanz gebracht,

Und mit der Engel Lied im Chor
Steigt nun mein Dank zu Gott empor.
Ich bin des Herrn; so lang ich bin,
Lob' ich den Herrn mit reinem Sinn.

Die Nachtviole, die düstere, spricht:
Mir gab der Schöpfer ein Angesicht
Nicht hold und rosig, voll Farbenpracht,
Der Dämmerung gleich ich, oder der Nacht.

Doch gab er Duft mir, stark und mild,
Der euch und mich mit Wonn' erfüllt
Und froh blick' ich empor zum Herrn,
Ich preis' ihn laut, ich lob' ihn gern.

Und Veilchen, Nelken und Majoran,
Sie stimmen all' ihr Loblied an;
Es ist keine Blume, so voll oder zart,
Sie preist ihren Schöpfer nach ihrer Art.

Und du mit dem klaren Angesicht,
Du mit dem Geiste voll Kraft und Licht.
Du mit dem Auge, das schaut nach oben, —
Du wolltest nicht deinen Schöpfer loben?
                                                Hoffmann

Süßer Schlaf

Blättchen will schlafen am Baum,
Ist schon in halbem Traum,
Bewegt sich leis und lind
Im sanften Abendwind,
Wie eine Wiege mit einem Kind;
Blättchen, schlaf ein!

Da kommt ein kleines, leichtes Ding,
Ein später Schwärmer, ein Schmetterling,
Sucht auf dem Blättchen seine Ruh,
Ist müde, tut die Äuglein zu,
Zieht die Fühlhörnerchen ein, —
Schwärmer, schlaf ein!

Durch die Wolken bricht
Freundlich des Mondes Licht,
Ein Strahl, — o wie klar und mild! —
Fliegt durch das Luftgefild,
Küßt mit sanftem Hauch
Schmetterling, Blatt und Strauch,
Weckt die Träumer aus ihrer Ruh;
Die sagen: wache nur du,
Wir schließen die Äuglein wieder zu.
Haben Keinem ein Leid gebracht,
Haben immer nur Liebes gedacht,
Hingen bösen Wünschen nicht nach,
Waren froh den ganzen Tag,
Nun tun wir die müden Augen zu;
Lichter Strahl, wache du!
Gute Nacht!

Der Mondesstrahl lächelt und wacht.

Kindlein, warst du lieb und gut,
Tatest das Deine mit frohem Mut:
Lächelt am Abend dir süße Ruh,
Tust froh die hellen Augen zu;
Auch dich bewacht
Ein Strahl in der Nacht!
                                         Hoffmann

Goldhähnchen und Rabe

Von den Dächern hängen Säulen herab.
Gleich blitzenden Silberkristallen;
Das Land ist ein weites, stilles Grab,
Verödet sind rings der Wälder Hallen.

Vor dem großen Hause, dicht umgeben
Von kahlen Bäumen, scheint Alles zu leben;
Da hüpfet der Sperlinge muntere Schar,
Die Lerche mit grauem Häubchen im Haar,
Da sieht man den kleinen Zaunkönig stolzieren,
Den dunklen Raben umherspazieren;
Dich auch, Goldhähnchen, schön geschmückt
Mit güldener Krone, seh' ich beglückt
Unter den Raben und den Andern
Flattern und auf und nieder wandern.
Vor dem großen Hause sind Körner gestreut,
Die speisen die Vöglein, hoch erfreut.
Und als nun das Goldhähnchen satt war kaum,
Flog es empor auf den höchsten Baum
Und sang, von stillem Dank durchglüht,
Mit heller Stimme sein liebliches Lied.

Ein Rabe kommt und setzt sich zur Seite;
Er tadelt gern, hat Lust zum Streite,
Er spricht: es ist still hier weit und breit,
Was singst du zur öden Winterszeit?
Spare dein Stimmchen bis zu des Lenzes Tagen,
Jetzt darf man nicht jubeln, soll man nur klagen;
Du wirst ja ganz heiser, laß dir doch sagen!

Goldhähnchen hebet sein Krönchen empor,
Singet nur lustiger, denn zuvor;
Sagt: lieber Rabe, du kannst nicht singen,
Magst im Stillen deinen Dank darbringen!
Mein Lied ertönet dem zum Preise,
Der auch im Winter uns schaffet Speise;
Man soll überall und zu jeder Zeit
Loben des Schöpfers Herrlichkeit;
Drum schallet empor über Schnee und Eis
Mein helles Stimmchen voll Dank und Preis!
                                                    Hoffmann

Morgengesang der Nachtigall

Weißt du, was die Nachtigall singt? An jeglichem Morgen
Singt sie: "wer bist du, Mensch, daß dich die Liebe nicht weckt?
Siehe, das Lüftchen weht, es säuseln die Blätter der Bäume;
Jegliche Blume fühlt sich neu gestärket und jung;
Jegliches Blatt der Rose wird Zunge, den Schöpfer zu preisen,
Zunge wird jegliches Laub; — und du verstummest, o Mensch?"
                                                    Herder
(aus dem persischen)

Danken

Du holest, liebe Nachtigall,
So tief aus Herzens Grunde
Den süßen Lieb- und Lobesschall;
Und ich mit Herz und Munde
Bin früh und spät und weit und breit
Stumm allezeit.

Du schwingest, liebe Lerche, dich
So fröhlich
Hin in die kalte Morgenluft,
Verlierest dich
In Weihrauchduft,
Und schwebst, ein unsichtbarer Schall,
Und singst Natur
Und grüne Flur —
Und ich bin ohne Hall!

So will ich denn mit wehmutsvollem Schweigen,
O Vater der Natur,
Auf jeder deiner Spur
Zum stummen Danke mich auf deinen Fußtritt neigen.
                                                                  Herder

Die Eichel und der Kürbis


Sohn, mit Weisheit und Verstand
Ordnete des Schöpfers Hand
Alle Dinge. Sieh' umher!
Keines steht von Ungefähr,
Wo es steht. Das Firmament,
Wo die große Sonne brennt,
Und der kleinste Sonnenstaub,
Deines Atems leichter Raub,
Trat, auf Gottes mächtig Wort,
Jegliches an seinen Ort.
Alles ist in seiner Welt
Ganz vollkommen. Dennoch hält
Mancher Tor es nicht dafür,
Und kunstrichtert Gott in ihr.

So ein Tor war jener Mann,
Den ich dir nicht nennen kann,
Der, als er an schwachen Ranken
Einen Kürbis hängen sah,
Groß und schwer, wie deiner da,
Den du selbst gezogen hast,
Den verwegenen Gedanken
Hegte: Nein, solche Last
Hätt' ich an so schwaches Reis
Wahrlich doch nicht aufgehangen.
Manchen Kürbis, gelb und weiß.
Reih' bei Reih', in gleichem Raum,
Hätt' ich wollen lassen prangen
Hoch am starken Eichenbaum!

Also denkend geht er fort
Und gelanget an den Ort
Einer Eiche, lagert sich
Längelang in ihren Schatten,
Und schläft ein. —
                       Die Winde hatten
Manche Woche nicht geweht;
Aber, als er schläft, ensteht
In der Eiche hohem Wipfel
Ein Gelispel. Starke Weste
Schütteln ihre vollen Äste,
Und es stürzt, von dem Bewegen,
Prasselnd ein geschwinder Regen
Reifer Eicheln von dem Gipfel!
Viele liegen auf dem Grase,
Aber eine fällt gerade
Dem Kunstrichter auf die Nase.

Plötzlich springt er auf und sieht,
Daß sie blutet. Dieser Schade
Geht noch an, denkt er, und flieht,
Und bereuet auf der Flucht
Den Gedanken, welcher wollte,
Daß der Eichbaum eine Frucht
Gleich dem Kürbis tragen sollte.

Träfe ein Kürbis mein Gesicht,
Sprach er, nein, so lebt' ich nicht.
O wie dumm hab' ich gedacht!
Gott hat Alles wohl gemacht.
                                    Lafontaine

Die Sonne und die Tiere

"O Sonne, scheine nicht so heiß!
Ich muß vor Mattigkeit und Schweiß
Bei meiner Arbeit schier erliegen!"
So rief der Esel. — "Dank für deinen heitern Schein,
"O Sonne!" rief die Schlange, "mit Vergnügen
Leg' ich mich stundenlang hinein."
Die Eule schrie: "Verschone mein Gesicht
Mit deinem mir verhaßten Licht,
O Sonne! kann ich doch kein Schlupfloch finden,
Wohin dein Strahl nicht dringt! Ich werde noch erblinden."
"Wohltät'ge Sonne, sei mir lange geneigt!"
Hub eine Feldmaus an. "Es reifen meine Ähren;
Vollauf kann ich mich wieder nähren."
Die Sonne hört es an, scheint fort — und schweigt.
                                                                   Willamov

Der Reisende

Ein Wandrer bat den Gott der Götter,
Den Zeus, bei ungestümem Wetter,
Um stille Luft und Sonnenschein:
Umsonst! Zeus läßt sich nicht bewegen;
Der Himmel stürmt mit Wind und Regen,
Denn stürmisch sollt' es heute sein.

Der Wandrer setzt, mit bittrer Klage,
Daß Zeus mit Fleiß die Menschen plage,
Die saure Reise mühsam fort.
So oft ein neuer Sturmwind wütet,
Und schnell ihm, still zu stehn, gebietet;
So oft ertönt ein Lästerwort.

Ein naher Wald soll ihn beschirmen;
Er eilt, dem Regen und den Stürmen
In diesem Holze zu entgehn;
Doch eh' der Wald ihn aufgenommen,
So sieht er einen Räuber kommen
Und bleibt vor Furcht im Regen stehn.

Der Räuber greift nach seinem Bogen,
Den schon die Nässe schlaff gezogen.
Er zielt und faßt den Pilger wohl;
Doch Wind und Regen sind zuwider,
Der Pfeil fällt matt vor dem danieder,
Dem er das Herz durchbohren soll.

"O Törichter!" läßt Zeus sich hören:
"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren,
Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt?
Hätt' ich dir Sonnenschein gegeben,
So hätte dir der Pfeil das Leben,
Das dir der Sturm erhielt, geraubt."
                                              Gellert

Die alte und die junge Wachtel

Ein Wachtelchen, im Lenz geboren,
Das noch die große Reise nicht getan,
Kam zitternd zu der Mutter, und hub an:
Ach Mutter, weißt du schon? Wir sind verloren!
Ach Mutter, Mutter, drüben steh'n
Zwei Menschen im Gefild und dreh'n
Zwei große Schwerter hin und wieder;
Die Halme fallen rauschend nieder! —
Die Mutter sprach: Mein Kind, die Menschen mähen. —
Ach Mutter, rief das Kind, sieh', wo sie gehen
Da wird der Boden glatt und kahl! —
Bald, sprach die Mutter, wird das ganze Tal
Statt Halmen dürre Stoppeln zeigen.

Das Küchlein sah mit bangem Schweigen
Der Mutter Ruh' und heit'res Antlitz an.
Ach Mutter! seufzt es, was soll dann
Uns Arme schützen und ernähren,
Wenn vor der Sichel Halm und Ähren
Gefallen sind? —
Die Mutter lächelte und sprach: Mein liebes Kind,
Das wird die Zeit dich lehren.

Der Hamster und die Lerche

Ein Ungewitter zog mit Donner, Sturm und Schloßen
Daher; es lag zerknickt die hohe Halmensaat,
Und banges Schweigen ruht auf Höhen und Gefilden,
Doch im Gewölk erscholl der Lerche wirbelnd Lied,
Und singend schwebte sie auf's Saatenfeld hernieder.
Da kam aus seiner Höhl' ein Hamster und begann:
"Sprich, wie vermagst du noch in solcher Zeit zu singen?
Verderben siehst du hier; die Zukunft dräuet Not — —"

Die Lerche sprach: "Vom Staub uns himmelan zu heben,
Ward uns Gesang und Flügelschwung gegeben —
Sieh', durch die Wolken bricht des Himmels Strahl hervor."
So sang die Lerch' und schwang von Neuem sich empor.
                                                                           — — —

Zeus und das Schaf



Vollendet hatte Zeus das Schöpfungswerk.
Auf seiner Tatze lag der Löw' und schlief,
Der Elephant hob drohend seinen Rüssel,
Der Eber wetzte seinen Zahn, der Stier
Wies seines Hornes Kraft mit wildem Blick,
Rings um den Igel starrt ein Stachelwald.

Nur flehend hob das neugebor'ne Lamm
Den Blick zu Jovi's Thron. — "Was fehlt dir?"
Sprach Vater Zeus. "Du scheinst zu klagen, rede!"
Da sprach das fromme Lamm: ""Was soll uns schützen?
Nur mir allein fehlt Waff' und Wehr."" —
"In deinen Augen ruht der Unschuld Blick,
Leicht kräuselt sich der Wolle weißes Vlies
In tausend Löckchen um den runden Leib.
So stehest du in Unschuld schön. Getrost!
Ein höher Herz nimmt deiner wohl sich an."

So sprach der Wesen Vater. — Sieh' es kam
Das erste Menschenpaar. Sie sah'n das Lamm
Und trugen es auf sanfter Hand zur Hütte,
Bereiteten ein Lager ihm und sagten:
"Das hat gewißlich Zeus uns zugedacht;
D'rum hat er ihm die Unschuld abgebildet."

So ward der Mensch des Lammes Schirm und Wehr;
Der Menschenunschuld Schirm und Wehr ist Gott.
                                                           Krummacher