Der Löwe und der Fuchs
Ein Löwe, der alt und schwach geworden war, konnte kein Tier
mehr angreifen.
Er beschloß, List anzuwenden, um sich Nahrung zu
verschaffen; und, indem er sich krank
stellte, lagerte er sich in eine Höhle. Jedes Mal, wenn ein
Tier ihn besuchen wollte, wurde
es zerrissen, und im Innern der Höhle verschlungen. Der
Fuchs kam auch dahin, und
grüßte den Löwen, indem er am Eingange der Höhle stehen
blieb. Wie befindest du dich,
o König der Tiere, fragte er ihn. Warum, erwiderte der Löwe,
trittst du nicht in meine
Höhle ein, Vater der kleinen Festung? (Gründer der
unterirdischen Höhlen oder
Festungen.) Ich würde dir glauben, versetzte der Fuchs, wenn
ich nicht die Spuren vieler
Tiere sähe, die wohl hineingegangen, aber von denen Keines
wieder herausgegangen ist.
Diese Fabel bezeichnet, daß man keine Sache unternehmen muß,
ohne sie vorher
sorgfältig geprüft zu haben.
Lôkman
Fischlein
Fischlein! Fischlein! du armer Wicht,
Schnappe nur ja nach der Angel nicht;
Geht dir so schnell zum Halse hinein,
Reißt dich blutig und macht dir Pein.
Siehst du nicht sitzen den Knaben dort?
Fischlein, geschwinde schwimme fort!
Fischlein mocht' es wohl besser wissen,
Sah nur nach dem fetten Bissen.
Meinte, der Knabe mit seiner Schnur
Wäre hier so zum Scherze nur.
Da schwamm es herbei, da schnappt es zu.
Nun zappelst du, armes Fischlein du.
Hey
Spinne und Fliege
Spinne:
Fliege, du Teure, ich bitte dich,
Besuche doch ein wenig mich!
Ich will dir ein frohes Stündchen bereiten,
Dich reichlich bewirten mit Süßigkeiten.
Fliege:
Frau Spinne, da komm ich sogleich zu dir,
Denn Süßigkeiten behagen mir.
Die Spinne ihrer List sich freut,
Die Fliege besucht sie ungescheut.
Doch ach! kaum hat sie sich niedergesetzt,
Fühlt sie sich gefangen, geknebelt, verletzt;
Da seufzt sie: Du Böse, du hast gelogen!
Ach, wer leicht glaubt, wird leicht betrogen!
Erdmann Stiller
Falke und Vöglein
Lichter Sonnenstrahl
Hoch auf den Gipfeln
Waldiger Höh'n!
Glocken im Tal,
Gesang in den Wipfeln, —
Wie ist's doch heute so schön!
Ein Falke schwebt hoch auf ungebahnten Gleisen
In weiten, in engeren Kreisen,
Sieht ein Vöglein im Tal.
Vöglein, hab' Acht,
Fürchte des Falken Macht!
Vöglein sieht ihn schweben,
Bangt für sein Leben,
Flüchtet eiligst zum Baume hin,
Da ist sein Nestchen drin.
"Kommst du nun, Feind so schlimm,
Trotz' ich wohl deinem Grimm!"
Falk schießt herab wie ein Pfeil;
Vöglein in Eil
Husch! in den Baum hinein, —
Falke, wo mag's sein?
Blickst umher voller Wut?
Mäßige nur dein Verlangen,
Du wirst es nicht fangen!
Vorsicht war gut.
Hoffmann
Der Gärtner, der Dieb
und der Fuchs
Zu Jemen lebte einst ein Gärtner, der einen kleinen Fuchs
als Wächter hatte. Dieser
blickte mit scharfem Auge des Weges entlang und hütete des
Gärtners Hütte. Siehe! da
kam ein Dieb herbei, und machte viele und mancherlei
Versuche, zu stehlen; aber trotz
aller bisher angewandten Schlauheit konnte er sein Vorhaben
nicht zur Ausführung
bringen. Nun machte er aber noch einen Versuch, und dieser
führte ihn zum Ziele.
Wenn der Fuchs nach ihm hinblickte, schloß er beide Augen,
und stellte sich sogar, als sei
er tot. Dieser erheuchelte Zustand des schlauen Gesellen
machte auf den kleinen
Wächter einen starken Eindruck; ihn wandelte Müdigkeit an,
und er verfiel sehr bald
darauf in einen tiefen Schlaf. Was konnte dem Diebe
willkommener sein? Behutsam
schlich er jetzt zur Hütte, raubte einen mit Geld gefüllten
Beutel, worauf er es besonders
abgesehen hatte, und eilte davon.
Jeder, wer nun auf diese Art und Weise sich dem Schlafe
übergibt, büßt seinen guten
Namen, oder seine Freiheit ein.
Nach dem Persischen des Nisami
Die Taube
Eine dürstende Taube flog dahin, um sich Wasser zu suchen,
und da sie auf einer Mauer
eine mit Wasser gefüllte Vase bemerkte, stürzte sie schnell
dahin und stieß sich so sehr
gegen das Gefäß, daß ihre Halskrause zerschellte. Ich
Unglückliche, sagte sie, ich, die ich
durch meine Eile, Wasser zu finden, mich selbst verloren
habe.
Diese Fabel zeigt uns, daß Vorsicht und Langsamkeit im
Geschäfte mehr als Geschwindigkeit und
Schnelligkeit nützen.
Lôkman
Der alte und der
junge Fuchs
Der alte Fuchs spricht: "Söhnchen, liebes Söhnchen, nimm
dich in Acht vor Fangeisen,
vor Fußeisen!" Der Vater beschrieb ihm diese gefährlichen
Dinge nicht nur, sondern
zeigte ihm dieselben auch; denn er ging mit ihm da und dort
herum.
Der junge Fuchs hatte — denn sein Vater zeigte ihm das auch
— schon zwei Füchse mit
zerschmetterten Köpfen in Fangeisen gefunden. — Jetzt, da er
einmal allein umherstrich,
kam er an eine Falle, die mit künstlicher Lockspeise bedeckt
war.
"Hä! hä!" rief der junge Fuchs schmunzelnd — "du denkst
wohl, daß du mich betören
willst? — Nein! nein! — meinen Kopf sollst du nicht
bekommen, sondern ich will dir eben
so glücklich entgehen, als mein Vater."
"Aber, der Tausend! wenn ich den Vater an List übertreffen
und ihn ein wenig beschämen
könnte? — Wenn ich durch eine ganz neue List ein Mittel
ausfindig machte, die Beute zu
erlangen, ohne Gefahr zu laufen? — O, wie schön! — Ja, ich
finde es, das Mittel! —
Ich beuge klüglich den Kopf zurück, und reiße mit der Pfote
schnell das Fleisch ab! —
O, das kann nicht mißlingen!"
Es mißlang aber doch! Er griff schnell hinein; den Kopf
verlor er zwar nicht, aber die Pfote. —
Und an diese hatte er nicht gedacht!
Der Wolf und die
junge Ziege
Einst will die Zieg' auf frische Weide gehen,
Um sich und ihr geliebtes Kind
Mit süßer Milch auf's neue zu versehen.
Sie schließt, so wie die Mütter sind,
Die Tür behutsam zu, und spricht
Zum Hipplein: hüte dich, bei deinem Leben!
Sie dem zu öffnen, der dir nicht
Zuvor das Losungswort gegeben:
Es sterbe Isegrim und sein Gezücht!
Als sie es sprach, ging eben auf den Zeh'n
Ein Wolf vorbei, hört und behält das Zeichen,
Und hat das Glück, sich ungeseh'n
Davonzuschleichen.
Nun aber ist die Mutter fort,
So kehrt er um, pocht an und sagt das Losungswort.
Mißtrauisch guckt jedoch das Hipplein durch die Ritze
Und ruft: gib erst weiß Pfötchen her!
Der Wolf muß, wie man weiß, gar oft durch Sumpf und Pfütze,
Und also hält weiß Pfötchen bei ihm schwer.
Er sieht sich in sein Netz gefangen
Und macht zum zweitenmale sich davon.
Dem Zieglein wär' es schlecht ergangen,
Hätt' es dem mütterlichen Ton,
Den Isegrim so schlau, so glücklich aufgefangen,
Geradezu getraut: allein
Die Jugend kann nie zu behutsam sein.
Lafontaine
Reineke und Braun, oder
der Fuchs und der Bär
Traue nie dem Falschen, und nimm dich vor dem, was du am
meisten und liebsten
begehrest, am meisten in Acht.
Reineke steht vor seinem Bau und hatte schon von fern den
Vetter Bär herantraben
sehen, der in dem Walde umhergewandelt war, Honig zu suchen.
"Ich will dir schon einen Possen spielen!" sprach Reineke.
Weil er falsch und tückisch war,
so suchte er überall Schaden und Unheil anzurichten. Daran
hatte er seine Freude,
wie alle schlechte Seelen.
"Wie geht's, Vetter?" brummte freundlich der herangekommene
Bär; "wie geht's?" —
"Schmale Bissen, sehr schmale Bissen, liebster Ohm!"
erwiderte der Fuchs.
"Kein Hühnchen, kein Gänschen, kein Entlein! Die Bauern sind
zu klug, die Hunde zu
garstig. Nichts als Honig, immer und immer Lumpenhonig,
womit wir uns behelfen
müssen; will uns nicht bekommen."
"Was? Honig?" sagte Vetter Braun; "Honig solltet ihr nicht
verachten, Vetter; das ist ein
köstlicher Bissen, ein Leckerbissen, will ich euch sagen.
Ich wollte nur, ich wüßte wo
dergleichen wäre!"
Nun war der ehrliche Braun schon bestrickt, und seine allzu
große Liebe zum Honig
wurde ihm sehr verderblich.
Reineke sagt: "Ich weiß einen Baum, da ist ein ganzer
Honigtopf innen." — Das war aber
ein Eichbaum, der im Hofe eines Zimmermannes auf dem
nächsten Dorfe lag. Der Baum
sollte gespalten werden, und war an einem Ende schon durch
Keile auseinander
getrieben, und weiter hinauf gab es auch Keile — recht
glatte, mittelst welcher der Baum
am andern Tage völlig sollte gespalten werden.
Zu diesem Baum führt Reineke den Ohm in dunkler Nacht und
sprach: "Oheim, mitten im
Baume steckt der Honigstock. Zwängt nur Kopf und Pratzen
recht tief hinein, so springt
der Block voneinander, und ihr könnt dann vom Honig ganz
nach Belieben essen.
Doch tut nicht zu viel; denn wiewohl es euer Magen verträgt,
so ist allzuviel doch ungesund."
"Maß ist zu allen Dingen gut, wie ich wohl weiß," sagte der
betörte lüsterne Braun, und
tat, wie ihm gesagt war. Und indem er mit Kopf und Füßen den
Stamm aufreißen will,
fliegen ein paar Keile heraus, wo Reineke mit geholfen
hatte, indem er an den Keilen zog.
Der Baum schnappt zusammen, und der arme Braun ist gefangen.
Braun heult und plärrt
in seiner Not gräulich und jämmerlich, kratzt mit den
Hinterfüßen, und treibt es so arg,
daß der Zimmermann aufwachte und herbeikam. Als das der
Fuchs sah, rief er: "Ist der
Honig gut? Esset doch ja nicht zu viel! Der Zimmermann
kommt, wie ich sehe, und wird
euch einen guten Trunk bringen." Damit schlich der Hämische
davon.
Der Zimmermann kam und rief die Nachbarn zusammen, die noch
auf einem Gastgelag waren. —
Damit ging's los.
Sie nahmen Wehr und Waffen. Der hatte eine Mistgabel, jener
einen Dreschflegel, dieser
einen alten Spieß, und jener eine Hacke; und Knittel und
Stangen, Zaunpfähle und
Schemelbeine fehlten nicht.
Jetzt schlugen sie aus Leibeskraft mit großer Lust auf den
armen Bär los.
Dieser heulte erbärmlich, indem er in der Angst all' seine
Kraft zusammennahm, um
loszukommen. Ach kam er los; aber die Haut neben den Ohren
und um den Kopf
her blieb stecken, und strömlings lief das Blut über den
Kopf, und von den Füßen blieb
das Fell auch darin. Er konnte nicht sogleich fort und bekam
jetzt erst die Ladung.
Wie richteten sie ihn zu! Einer mit einem lahmen Beine, der
Andere mit einer breiten
Nase, Gerold mit den krummen Fingern trieben es am ärgsten,
und die Weiber waren
auch nicht faul, und hieben tapfer mit los.
Der Bär erhob sich endlich wütend vor Schmerz, brach durch
das Gesindel durch,
und hinkte, so gut er konnte, dem Walde zu, wo er seine
blutigen Wunden in einem Bache wusch.
Viel Wochen gingen hin, ehe Alles geheilt war, und der arme
Braun hatte eben so lange
eine treuherzige Unvorsichtigkeit zu bereuen.
Aus Reineke Fuchs
Der Fuchs und der
Ziegenbock
Gar traulich zogen einstens über Feld
Herr Reineke, der schlauste aller Schelme,
Und Meppen, sein gar stark behörnter Freund,
Der nicht viel weiter sah, als seine Nase reichte.
Zu einem Ziehborn führte sie der Durst.
Man stieg hinab, wo man denn wacker zechte,
Und sich es wunderherrlich schmecken ließ.
Als sie nun fertig, sprach der Fuchs zum Bocke:
He, he, Gevatter, was ist nun zu tun?
Zwar hat's geschmeckt, allein wir können hier nicht bleiben.
Hör, stemme deine Füße gen die Wand,
Da klimm' ich dir hinauf längs deinem Rücken,
Ersteige dann dein mächt'ges Hörnerpaar,
Erhasche so den Brunnenschwengel,
Und bin dir wie ein Blitz hinaus;
Nachher helf ich denn meinem Herzensmeppchen —
Bei meinem Bart! du bist ein kluger Kauz,
Entgegnete Herr Meppen lustig meckernd;
Auf Ehre, ich bewundre dein Genie.
Ja, ja, da hätt' ich lange suchen können,
Und doch wär's mir wohl eingefallen nie.
Der Fuchs springt 'naus, läßt seinen Trauten sitzen,
Und hält ihm einen wackeren Sermon,
Welch' eine Tugend sei die Resignation.
Hätt' dir der Himmel so viel Witz beschieden,
Sprach er, als Haar' du hast in deinem Zottelbart,
Da wärst du wahrlich nicht wie ein Dummbart
In diesen Born mit mir gestiegen.
Hier steh' ich oben frank und frei:
Nun, sei nicht faul, und komm' mir nachgestiegen;
Nur strenge hübsch die Knochen an.
Hätt' ich nur Zeit, ich wollte dir schon helfen;
Doch leider ruft mich ein Geschäfte ab.
* * *
Bei allem, was du tust, bedenke fein das Ende.
Lafontaine
Die Katzen und der
Hausherr
Tier' und Menschen schliefen feste,
Selbst der Hausprophete schwieg,
Als ein Schwarm geschwänzter Gäste
Von den nächsten Dächern stieg.
In dem Vorsaal eines Reichen
Stimmten sie ihr Liedchen an,
So ein Lied, das Stein' erweichen,
Menschen rasend machen kann.
Hinz, des Murners Schwiegervater,
Schlug den Takt erbärmlich schön,
Und zwei abgelebte Kater
Quälten sich, ihm beizustehen.
Endlich tanzen alle Katzen,
Poltern, lärmen, daß es kracht,
Zischen, heulen, sprudeln, kratzen,
Bis der Herr im Haus erwacht.
Dieser springt mit einem Prügel
In dem finstern Saal herum,
Schlägt um sich, zerstößt den Spiegel,
Wirft ein Dutzend Schalen um.
Stolpert über ein'ge Späne,
Stürzt im Fallen auf die Uhr,
Und zerbricht zwei Reihen Zähne:
Blinder Eifer schadet nur.
Lichtwer
Die Wachtel und
der Hänfling
Zur Wachtel, welche der Gefahr
Des Garns mit Not entgangen war,
Ließ sich der stolze Hänfling nieder.
"Mich dauert," sprach er, "dein Gefieder,
O! sage, wie es immer kam,
Daß man dir deine Freiheit nahm?"
"Mich," sprach sie, "lockte jene Flur,
Und ich, zu lüstern von Natur,
Flog hin, und tiefer im Getreide,
Hört' ich den Ton der Lieb' und Freude,
Ich lief; kaum naht ich mich dem Ton,
So hatte mich das Netz auch schon."
"Das Netz," sprach dieser, "nicht zu seh'n!
Dir Flattergeist ist recht gescheh'n.
Man muß, will man ein Glück genießen,
Die Freiheit zu behaupten wissen;
Und wenn ich noch so lüstern wär',
Ein Netz, das fängt mich nimmermehr!"
Er fliegt und ruft noch: "merk' es dir!"
Kurz d'rauf sieht sie den Freund, der ihr
Den weisen Unterricht gegeben,
Auf einer Vogelrute kleben.
"Sprich," rief sie, "sprich doch, wie es kam,
Daß man dir deine Freiheit nahm?"
"Die Freundin," sprach er,"ging mir nah,
Die ich in diesem Bauer sah.
Sie rief; von Sehnsucht angezogen,
Zu sehen sie, kam ich geflogen.
Nun weiß ich nicht, durch welche List
Mein Fuß hier angefesselt ist!"
"Die Rute," sprach sie, "nicht zu seh'n?
Dir Flattergeist ist recht gescheh'n:
Man muß, will man ein Glück genießen,
Die Freiheit zu behaupten wissen.
Nun lerne, wenn dich's nicht verdrießt,
Wie nah der Fall dem Sichern ist."
Gellert
Die Gemse und die Ziege
Des Himmels Nachbarin, die Gemse, kletterte
Auf hohen Alpen: "Flüchtige!"
Rief eine Ziege, "warte doch.
So hoch komm' ich doch auch wohl noch!"
Sie wartet und mit leichter Müh'
Erreicht die Ziege sie
Und spricht: "Sieh nun, bin ich nicht da?
Kann ich nicht klettern?"
"Ja, du kannst," antwortet diese ihr, "allein
Nimm dich in Acht, sonst brichst du Hals und Bein;
Denn sieh herauf,
Nach jener Höh', dem Himmel nah',
Da klettr' ich nun hinauf."
Und plötzlich machte sie sich auf,
Erreichte bald
Den nächsten Gipfel, stand darauf
In kaum zu sehender Gestalt,
Und rief hinab: "Nun komm' herauf!"
Der Ziege schwindelte
Vor der zu steilen Höh'.
Doch, dachte sie, gewagt ist halb gewonnen;
Komm ich auch allenfalls,
Wenn ich nicht weiter kann,
Nur halb hinan.
Kaum hatte sie das kühne Werk begonnen.
So stürzte sie und brach den Hals.
Gleim
Das Reh und der Eber
Der Tor schließt erst sein Taubenhaus alsdann,
Wenn es der Marder ausgeleeret;
Er, welchen nichts in seinem Schlafe störet,
Sieht das nur, was geschieht: allein der weise Mann
Sieht das auch, was geschehen kann;
Ihn trifft der Überfall in seinem Harnisch an.
Es ist umsonst, daß man die Mannschaft dann vermehret,
Die Panzer schmiedet, sich bewehret,
Die Mauern flickt, die Tore schließt,
Wenn Hannibal schon vor den Toren ist.
An einem Fichtenbaum, der fest wie eine Mauer
Des Nordes spottete, weil er so manches Jahr
In Wettern abgehärtet war,
Wetzt' einst ein Eber seine Hauer.
Dies sieht ein Reh, und spricht: "Was droht dir für Gefahr?
Wo ist der Feind, daß du dich rüstest?
Ja, ließe sich ein Bär, ein Wolf zum mind'sten seh'n,
Mit dem du jetzt den Zweikampf wagen müßtest,
So wäre, was du tust, gar schön.
Doch jetzt, was denkest du? denn alle deine Hitze,
Macht dir nur Müh', und ist nichts nütze.
Es muß um deinen Kopf nicht allzurichtig steh'n." —
"Schweig!" spricht das kluge Schwein, "dein Auge reicht
nicht weit.
Weh' solchen Toren, die dir glauben!
Wenn nun der Wolf schon in der Nähe dräut,
Dann ist es wohl noch Wetzen's Zeit!
So weißt du nicht, daß Sicherheit
Den schon gewissen Sieg kann rauben?"
Johann
Adolf Schlegel
Der Storch und der
Landmann
Ein armer unschuldiger Storch flog mit einer Herde von
Kranichen und wilden Gänsen,
und hatte das Unglück, nebst ihnen in ein Netz zu fallen,
welches der Landmann
eigentlich nur für die letztern aufgestellt hatte.
Er berief sich daher auf seine Einfalt, auf sein gutes Herz,
auf seine Liebe zum Menschen,
auf sein Verdienst in Vertilgung schädlicher Gewürme und auf
andre ähnliche
Eigenschaften mehr.
"Alles dieses," erwiderte der Vogelsteller, "kann sehr wahr
sein. Aber ich behandle dich
jetzt nach der Gesellschaft, in welcher ich dich finde, und
nach dem Sprichwort:
mitgefangen, mit gehangen."
Nach Aesop
Die Salzquelle
Gedrückt von Durst und Hitze hatt' ein Wand'rer
Die Wüstenei zurückgelegt. Erquicklich
Erschienen endlich ihm des Landes Bäume.
"Nur noch ein Quell!" so seufzt' er. Nicht vergebens!
Aus Hügeln quoll ein Bächlein. "O, gesegnet
Sei mir die langersehnte süße Labung!"
Er sprach's, und legte sich auf's Knie, und schlürfte
Aus hohler Hand des Baches milde Gabe. —
Doch schneller noch entströmte seinen Lippen
Der bitt're Trank. — Er rief mit wildem Zürnen:
"Verwünschte Flut! Mich lockte deine Täuschung,
Und jetzt erfüllst du mir den Mund mit Ekel!
Auf ewig müsse dir dein Born versiegen!"
Und im Kristallgewölb' vernahm die Nymphe
Den harten Fluch. Sie trat hervor und sagte:
"Verwünsche deinen Unmut, nicht die Quelle!
Des Salzes Born ist dieses Landes Segen."
Der Rabe und die Eule
"Wann kommst du doch aus deiner Höhle?
Wann hören wir die Lieder deiner Kehle,
Trübselig Stiefkind der Natur?" —
Zur Eule sagte dies der Rabe —
"Ich möchte wissen, was an solcher Kreatur
Minerva wohl gefunden habe!"
"Du zwingest mich, o Rabe, dir,"
Erwidert sie, "zwei Gaben anzuzeigen.
Die liebt Minerva sehr an mir;
Allein ich fand sie nicht an dir:
Ich kann im Finstern seh'n und schweigen."
Der Hund und das
Krokodil
Ein Hund trank laufend aus dem Nil:
Dies sah ein großes Krokodil,
Und rief: O Lieber! nimm dir Zeit
Und trinke mit Gemächlichkeit;
Im Laufen kann dir's nicht gedeihn.
Komm her! hier ist das Wasser rein;
Du siehst, ich trink' es selber hier.
Dein Wasser tränk' ich wohl, versetzt der Hund; allein
Ich seh', du willst mein Fleisch dafür.
Bedrohet dich ein Bösewicht,
So ist er so gefährlich nicht,
Als wenn er freundlich mit dir spricht.
Phädrus
Die Katze und die
Sperlinge
Eine Schar Sperlinge hatte einen Bauernhof zum Wohnsitz
erwählt, da sie auf einem
nahe gelegenen Hirsefelde reichliche Nahrung fanden; auch
brachten die Herren Spatzen
auf letzterem größtenteils zu, die vollen Ähren plündernd.
Gewöhnlich lauerte ihnen dort
der alte Hauskater, wiewohl vergebens, auf; sobald er sich
blicken ließ, flogen die flinken
Vögel laut zwitschernd davon. Wie nun ihrer habhaft werden?
Tag und Nacht grübelt und
sinnt Freund Murner darüber nach, bis ihm endlich folgende
List einfällt. Er hält die eine
Pfote in's Wasser und steckt sie dann in einen Haufen
Hirsekörner, wo nun diese rings
herum an derselben hängen bleiben. Darauf schleicht er, auf
drei Beinen, nach dem
Hirsefelde hin, legt sich dort auf den Rücken, die mit
Körnern bedeckte Pfote
emporstreckend, und rührt sich nicht. Durch die einer
vorzüglich dicken Hirsenähre
gleichenden Pfote wird einer der Sperlinge getäuscht; er
fliegt ganz sorglos heran, um
davon zu naschen, aber — schnell wie der Blitz hat ihn die
andere Pfote gefangen, und so
erwischte die listige Katze wohl noch an zwanzig dieser
näschigen Vögel. Ein alter
Sperling wird endlich die Falle gewahr, und hält sich
wohlweislich davon entfernt.
Aber von diesem Tage an in jeder Ähre eine Katzenpfote
erblickend, zieht er sich tief in
sein dunkles Loch zurück und verläßt es nie wieder; er
erduldet Hunger und Elend,
und stirbt so endlich, indem er dem Tode entgehen will.
* * *
Vorsicht ist zwar an sich gut und löblich, aber zu weit
getrieben, kann sie zur Torheit
werden und Spott und Schaden bringen.
Aus dem Französischen, nach Florian
|