Fabelverzeichnis
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zu Buch 13-2
 

Bist du bescheiden,
Mag Jeder dich leiden.
Wirst du dich dein überheben,
Wirst du viel Böses erleben.
 
XIII.
Bescheidenheit. Stolz und Hochmut 1

 
Der Grashüpfer
Das Heupferd und der Grashüpfer
Der kleine Löwenhund
Die beiden Hähne
Der Löwe und der Hase
Der Feigenbaum und die andern Bäume
Der Regenbogen und die Sonne
Der Diamant und der Bergkristall
Der Pfau und der Haushahn
Die Gans
Die Gans und die Schwäne
Der Pfau und der Kranich
Das Veilchen und die Distel
Die zwei Schnecken
Jupiter und der Pfau
Die Lerche
Zeus und das Pferd
Der Widder und der Stier
Das Kutschpferd
Der Ochs und der Esel
Der Fuchs und die Pauke
Der Ziegenbock und der Hofhund
Der Pflug und das Schwert

 

Der Grashüpfer

Für wie wichtig hält sich doch mancher kleine Wicht!

Ein Grashüpfer war mit der ganzen Welt unzufrieden geworden, nur mit sich nicht,
und die ganze Welt, meinte er, habe es auf ihn angelegt, und wolle ihm — ohne Zweifel
seiner Verdienste wegen — weh tun; denn er sei wohl unter vielen noch der einzige,
der etwas wert sei.
Was half's, daß ihm ein Freund seine grilligen Einbildungen auszureden suchte! Er hörte
ihn nicht an, er wanderte aus und dachte: "Ihr sollt mich schon vermissen; wenn ich fort
bin, ihr werdet schon sehen."
Er wanderte aus, aber er wurde von Niemand vermißt. Ein paar Tage nacheinander
hüpfte der Hüpfer fort, und kam weiter und immer weiter, wohl an fünfhundert Schritt
weit, oder wohl gar noch mehr. Da glaubt' er in einer neuen Welt zu sein; da sieht er
unbekannte Menschen, findet herrliche Fluren, herrliche Felder, mit schweren Ähren
belastet, und herrliches Klima.
"Ah!" spricht er, "hier habe ich eine Freistätte gegen meine Feinde gefunden, und hier
will ich still und zufrieden leben." — Damit hüpft er in's Getreide, da wo es am höchsten
und dichtesten stand, und preist seinen glücklichen Entschluß.
Aber am andern Morgen kommen die Schnitter, die reifen Saaten zu mähen.
Unter Lachen und Scherzen, unter fröhlichem Lärm und Gesängen stellen sich die
Schnitter in Reihe und Glied, und legen die Sicheln an, und unter den Hieben der
klingenden Sicheln fallen die Saaten, und der Boden wird entblößt.
"O," schrie der arme Hüpfer, "wie hart verfolgt mich mein unglückliches Schicksal! Alles
ist mir doch entgegen! Kaum haben sie es weg, daß ich da bin, so suchen sie mich schon
auf, um mich zu verderben, und verwüsten ihre köstlichsten Güter, nur damit ich ihnen
nicht entkommen möge. Sie würden selbst, glaub' ich, Feuer an ihre Erntefelder anlegen,
nur um mich nicht zu verfehlen."
In der äußersten Verzweiflung hüpfte er auf einen Halm.
"Hier, meine Herren," sagte er, "hier bin ich; ich liefere mich Ihnen freiwillig aus, und Sie
brauchen sich nicht so entsetzlich viel Mühe um meinetwillen zu geben."
Zufällig sieht ihn ein Schnitter, bückt sich, greift ihn mit der Hand auf, — und indem der
Hüpfer denkt, jetzt werde er zerdrückt werden, wirft ihn der Schnitter auf ein frisches
Grasplätzchen, und sagt: "Da friß, du klein Närrchen!"
Wahr ist es, der Grashüpfer war etwas hypochondrisch, aber eingebildet noch weit mehr.


Das Heupferd und der Grashüpfer

Ein Wagen Heu, den Veltens Hand
Zu hoch gebaut, zu schlecht bespannt,
Konnt' endlich von den matten Pferden
Nicht weiter fortgezogen werden.
Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch,
Ein zehn Mal wiederholter Fluch,
War aber, wie der Peitsche Schlagen,
Zu schwach bei diesem schweren Wagen.
Ein Heupferd, das bei der Gefahr
Zu oberst auf dem Wiesbaum war,
Sprang jetzt herab und sprach mit Lachen:
"Ich will's dem Viehe leichter machen!"
D'rauf ward der Wagen fortgerückt.
"Ei!" rief das Heupferd ganz entzückt,
"Du Fuhrmann mußt an mich gedenken;
Den schuld'gen Dank will ich dir schenken."
                                                   Gellert

Der kleine Löwenhund

Wie albern, wie lächerlich macht uns die Eitelkeit!

Der Elephant war auf den Königsthron der Tiere erhoben. Um einmal Frieden und Ruhe
im Tierreiche zu schaffen, verbannte er die blutgierigen Löwen, die ihm immer zuwider
waren. Er hatte sie gedemütigt, und sie mußten weichen. Mit schweigendem Grimme
zogen sie aus ihrem Vaterlande.
Ein Löwenhündchen, weil es doch auch eine Mähne hatte wie ein Löwe, fing an, sich
traurig zu beklagen. Es redet die Fluren und Felder an, wo es geboren war, und wo es
gelebt hatte; es nimmt mit schluchzenden Worten und mit tränenden Augen Abschied
von ihnen, und verwünscht den Tyrannen, der es vertreibt.
Ein alter ehrlicher Pudel hat seine seltsamen Klagen gehört, aber nicht begriffen, was es
will. Gerührt von dem Jammer des Hündchens, fragt er: "Was kann dich denn nötigen,
zu fliehen? Was ist dir denn widerfahren, das dich forttreibt?"
"O Himmel!" ruft der Kleine, "was mich forttreibt? Kennst du den grausamen Befehl
nicht, der uns auf immer verjagt?"
"Uns?" fragt der Pudel.
"Euch nicht," spricht der Kleine, "aber mich, mich!"
"Dich? Wie denn so?" fragt der Pudel.
"Artige Frage!" erwidert das Hündlein; "bin ich denn nicht auch ein Löwe?"

Die beiden Hähne


Zwei Hähne schlugen sich auf einem Misthaufen; der Eine war Sieger, und der Andere
war sogleich auf einen Rückzug bedacht. Der Sieger bestieg einen Hügel und fing an mit
den Flügeln zu schlagen, und seinen Ruhm stolz zu besingen. Ein Raubvogel, der ihn
bemerkte, stieß auf ihn, und nahm ihn in demselben Augenblicke mit sich fort.

Diese Fabel sagt uns, daß der Mensch sich nicht seiner Vorzüge rühmen soll.
                                                                                                         Lôkman

Der Löwe und der Hase



Der Schlechteste vergleicht dem Besten sich,
Kann's nicht in Tugend sein, an Schwachheit doch.
Ein Hase, welcher sich seit kurzer Zeit
Des Löwen Gunst erworben hatte, fragt
Einst seinen Gönner: Ist es wahr, daß euch,
Ihr tapfern Löwen, der geringste Hahn
Durch Krähen in die Flucht jagt? — Allerdings,
Versetzt der Löwe: jedem großen Tier
Hängt eine Schwachheit an. Der Elephant
Entsetzt sich vor dem Grunzen eines Schweins;
Ist's möglich? unterbricht das Häschen ihn:
Ja, nun begreif' ich allererst, warum
Wir Hasen uns so vor den Hunden scheu'n.
                                                     Lessing

Der Feigenbaum und die andern Bäume

Es sprach einmal der Feigenbaum
Zu Quitten-, Kirsch- und Apfelbäumen:
"Wie gönnt der Mensch euch so viel Raum!
Euch sollt' er aus dem Wege räumen!
Denn sauer seid ihr insgesamt,
Die ihr von sauren Eltern stammt.
Unendlich übertreff' ich euch.
Wer nur in meine Frucht gebissen,
Hat voll Entzücken rufen müssen:
Wie zuckersüß! wie honigreich! —
Könnt' ich doch von der Stelle gehen!
Ich schäme mich, bei euch zu stehen."
Sie sagten: "Stolzer Feigenbaum!
Wir geben Alle, was wir können.
Und gönnt der Gärtner uns den Raum,
Warum willst du ihn uns nicht gönnen?
Es scheint, weil er uns stehen ließ,
Daß ihn vor unserm Obst nicht schau're;
Das deine schmeckt ihm oft zu süß,
Und dann erwählt er sich das saure.
Besäß' er deine Frucht allein,
Sie würd' ihm bald zum Ekel sein."
                                    von Knonau

Der Regenbogen und die Sonne

Ein schöner Regenbogen glänzte in den Wolken. Wer ihn erblickte, lobte ihn; aber eben
dieses Lob machte gar bald ihn stolz. Nicht zufrieden damit, die Wolken um sich her zu
verachten, rühmte er sich auch, unendlich schöner zu sein, als die Sonne, die zwar
glänzend genug, aber nur einfärbig wäre.
Die Sonne horte dies. "Ich will nicht einmal mit dir wetteifern, schöner Bogen!" sprach sie
lächelnd, verbarg ihren Strahl in Wolken, und in eben dem Augenblicke — verschwand
der Regenbogen.
                                                                                                        Nach Richer

Der Diamant und der Bergkristall

Ein heller Bergkristall und roher Diamant,
Von einem Reisenden verloren,
Gerieten auf ein Häufchen Sand,
Und warteten, für wen das Schicksal sie erkoren.
Der Demant war getrost: Ich hoffe, daß ich hier
(So dacht' er) nicht veralten werde;
Mein innrer Wert verspricht es mir.
Der Erste, der vorbeigeht, nimmt mich von der Erde.
Allein der Bergkristall verführte das Gesicht;
Ihn sah ein Knabe, der ihn zu sich steckte;
Den edlern Nachbar kannt' er nicht,
Den kurz darauf der Sand bedeckte.

Auch unter Menschen wird der Blendling hochgeschätzt,
Der Würdige zurückgesetzt.
Das kleinere Verdienst weiß sich zu zeigen,
Die große Tugend pflegt zu schweigen.
                                                  Ramler's Fabellese

Der Pfau und der Haushahn

Ein eitler Pfau sprach einst zu einem Hahn:
"Ein Jeder schaut mich mit Bewundrung an;
Allein, wer hätte nicht auch etwas auszusetzen?
Der Eine tadelt mein Geschrei, ein Andrer sagt,
Mein Schenkel sei nicht schön,
Anstatt am Glanz sich zu ergötzen,
Womit mein Schweif im Sonnenschein so herrlich prangt.
Wie kann man so vermessen und ungerecht in seinem Urteil sein?" —
"Man sollte dankbar sich des Schönen freu'n,
Mein lieber Pfau!" fiel ihm der Haushahn ein;
"Man würde gern Geschrei und Fuß vergessen,
Allein, du willst gepriesen sein
Und Jedem mit Gewalt gefallen,
Und so, mein Freund, mißfällst Du Allen."
                                                                        Krummacher

Die Gans

Die Federn einer Gans beschämten den neugebornen Schnee.
Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur, glaubte sie eher zu einem Schwane,
als zu dem, was sie war, geboren zu sein. Sie sonderte sich von ihres Gleichen ab, und
schwamm einsam und majestätisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hals,
dessen verräterischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte. Bald suchte sie ihm die
prächtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das würdigste Ansehen eines Vogels
des Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemühung brachte
sie es nicht weiter, als daß sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.
                                                                                                                 Lessing

Die Gans und die Schwäne
(Abgekürzt)

Die Natur mag ihre Pflicht vernachläßigen, aber selten verlangt sie die Hilfe der Kunst:
vertrauet ihr, sie ist euer sicherster Freund, und eure Gestalt ist nicht gemacht, daß ihr
sie bessern sollt.

Eine gezierte, leere, eitle Gans, die lauteste des schnatternden Zuges, verlangte mit
stolzem und emporgerichtetem Kopfe den Vortritt vor den übrigen. Sie sagte: "Ich lache
über das Menschengeschlecht, welches sagt, Gänse wackeln bei ihrem Gange: blickt
her! die verleumderische Lüge ist entdeckt, kein stolzer Mann ist so aufgerichtet.
Jener Pfau, Gott! wie eitel ist dies Geschöpf auf seinen prächtigen Schweif! wenn wir
beide entkleidet würden, ich wollte mein Wort zum Pfande setzen, dann würde eine Gans
der vorzüglichere Vogel sein. Die Natur bedeckt, um ihre eigenen Fehler zu verhüllen,
ihr verpfuschtes Werk mit einer glänzenden Außenseite; wenn die Gänse mit halb
solchem Äußern angetan wären, würde ein Mensch den Pfau bewundern? Nein!"—

So prahlend schreitet sie quer über die Wiese, die schnatternde Brut begleitet ihren
Gang; die Sonne schoß ihre mittäglichen Strahlen herab, die Schwäne spielten in dem
Strome; das schneeige Gefieder derselben und ihre stattliche Pracht rief ihren Groll
hervor: "Was wir da," rief sie, "wieder für Anmaßung sehen! Solche Geschöpfe! Wie sie
mich nachahmen! Ein jeder Narr will über das Wasser schweben, weil es von uns Gänsen
bekannt ist, daß wir schwimmen? Diese werden bald Bescheidenheit lernen und ihre
eigene Nichtigkeit erkennen." So sagend springt sie mit ausgebreiteten Schwingen leicht
auf die Wogen, ihr Busen schwellt, sie spreizt ihr Gefieder, und nimmt des Schwans stattlichen
Stolz an. Verachtung und Spott folgt, und Ausbrüche von Lachen erschüttern die Flut. —
Ein Schwan, überlegen den übrigen, sprang hervor, und redet so die Närrin an:
"Eingebildetes Ding! aufgeblasen von Stolz, deine Ziererei verlachen Alle; diese Mienen
machen deine Dummheit kund, und zeigen dich ganz, wie du bist. Zwischen deines
Gleichen in der Herde bist du dem öffentlichen Spott entgangen, und bist, wie deine
Teile zum Guten beitragen, für eine ehrenhafte wackelnde Gans gehalten!"

Lerne die Vorschriften der Weisheit! wisse, Narrheit ist der Stolz der Toren! und wenn ihr
strebt, die Natur zu verbergen, enthüllt ihr nur ihre Mängel.
                                                                             Nach dem Englischen des Moore

Der Pfau und der Kranich

Mit einem Kranich zankte sich
Ein stolzer Pfau. "Wie," sprach er, "dich
Wirst du doch nicht mit mir vergleichen?
Du mußt mir ja in Allem weichen.
Sieh nur einmal, mein schönes Kleid
Ist aller andern Vögel Neid;
Mein langer spiegelvoller Schwanz
Und meines Halses Wunderglanz
Macht mich zu dieses Hofes Zier.
Doch du, was hast du denn an dir,
Das mir den Vorzug streitig macht?
Du gehst einher in Bauerntracht,
In einem alten grauen Kittel,
Hast keinen Rang und keinen Titel."

Der Kranich sprach: "Da hast du Recht!
Mein Rang ist klein, mein Rock ist schlecht;
Doch hab' ich hier zwei gute Flügel.
Hoch über Land und Meer und Hügel
Schwing' ich mich auf, beseh' die Welt,
Und welches Land mir dann gefällt,
Nach diesem steuert mein Gefieder.
Wenn ich es will, laß ich mich nieder,
Find' aller Orten meinen Herd,
Und esse, was mein Herz begehrt;
Da du hingegen stets in Wust
Auf deinem Hofe bleiben mußt,
Und, wenn du dich zum Flug ermannst,
Kaum auf die Scheuer fliegen kannst,
D'rum sieh' mich so gering nicht an!
Nicht immer macht das Kleid den Mann."
                                              Zachariä

Das Veilchen und die Distel

Im Lenz, wenn sich nach langer Trauer wieder
Die Flur zum ersten Mal in Gold und Blumen hüllt,
Und jedes Herz mit Wonne füllt,
Setzt' einst ein Mädchen sich zu einem Veilchen nieder,
Und sang des lieben Blümchens Lob.
Eine alte Distel ward dem Blümchen gram darob,
Und wußte sich vor Bosheit kaum zu fassen.
Das Mädchen hatte jetzt den stillen Ort verlassen;
Sogleich begann der neid'sche Distelsinn:
"Ei, wie beliebt ist Jungfer Nachbarin
Im blauen Flügelkleid. Das Lob, ich muß es sagen,
War fein und wohlbedacht.
Darf ich mich untersteh'n, zu fragen,
Ob's nicht ein wenig Schwindel macht?"
Das Veilchen sagte nicht ein Wort,
Und heftig fuhr die Distel fort:
"An einem Dinge, das versteckt im Moose lebt,
Vor jedem rauhen Lüftchen bebt,
Und welkt in jedem Sonnenschein,
Ein blaues Wunder seh'n, und laut darüber schrei'n,
Ist das nicht unerhört?
Ist solch' ein Ding des Lobes wert?
Traun! dazu wäre wohl manch' beß'rer Stoff zu wählen.
Sah mich das Mädchen nicht? Ich stehe doch hier frei!"
So schwatzte sie noch Mancherlei,
Das nicht verdient, es zu erzählen.
Das Veilchen aber schwieg, und hauchte süßen Duft
In die vom West bewegte Luft.

*   *   *

So schweigt oft das Verdienst, wenn Neider spottend schrei'n;
Die, ließ es sich mit ihnen ein,
Nur desto lauter würden schrei'n.
                                                                        Stamford

Die zwei Schnecken

Zwei Schnecken kamen einst in Streit.
Warum? das läßt sich niemand träumen;
Denkt, um den Preis der Schnelligkeit.
So wahr ist es, daß Stolz und Neid
Auch in den trägsten Seelen keimen.
Zum Kampfgericht erwählte man
Drei biedre Frösche; diese steckten
Den Kampfplatz ab, und als sie quäckten,
So hub das Schneckenpaar den Wettlauf an.
Es hatte sich auf seiner Bahn
Schon lange mühsam fortgewunden,
Und dennoch in zwei langen Stunden
Zwei Spannen kaum zurückgelegt.
Die Richter saßen unbewegt.
Und gähnten, matt vom langen Harren:
"Nein, das ist nicht mehr auszusteh'n,"
Erscholl der Richterspruch; "ihr Narren!
Lernt, eh' ihr laufen wollt, erst geh'n."
                                               Pfeffel
Jupiter und der Pfau

Der Pfau sprach zu dem Jupiter:
"Du hast mir, Allgewaltiger,
Das schönste Kleid zwar angezogen,
Es übertrifft den Regenbogen;
Doch eins ist, was mich heftig quält,
Daß mir's an guter Stimme fehlt.
Verbeß're sie! damit man spreche,
Ich sei das Tier, dem nichts gebreche."

"Nein," sprach Gott Jupiter, "mein Sohn,
Behalte deinen üblen Ton:
Es würden mehr Vollkommenheiten
Dich nur zum Übermut verleiten;
Voll Dünkel machtest du wohl dich
Zum Jupiter, zum Pfaue mich.

Die Lerche

Die Lerche, die zu Dämons Freuden,
Frei im Gemach, ihr Lied oft sang,
Und ungewohnt, den Widerhall zu leiden,
Der aus dem nahen Zimmer drang,
Mit desto stärkrer Stimme sang,
Saß jetzt dem Spiegel gegenüber,
Und sang, und sah ihr eignes Bild,
Und floß, mit Eifersucht erfüllt,
Von schmetternden Gesängen über.
Sie bildete, zu ihrer Pein,
An ihrem eignen Widerschein
Sich einen Nebenbuhler ein.

Noch oft erhöhte sie die Stimme;
Allein umsonst war Kunst und Müh',
Stets sang der Widerhall, wie sie.
Sie schoß darauf mit ehrsuchtsvollem Grimme
Auf ihren Nebenbuhler zu,
Den ihr der Spiegel vorgelogen,
Und starb, sich selbst zu sehr gewogen,
Fast so, Ruhmsüchtiger, wie du,
Durch Eitelkeit und durch ein Nichts betrogen.
                                                         Gellert

Zeus und das Pferd

Vater der Tiere und Menschen, so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus,
man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, womit du die Welt gezieret, und meine
Eigenliebe heißt mich es glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch Verschiedenes an mir
zu bessern sein? —
Und was meinst du denn, daß an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme Lehre an; sprach
der gute Gott und lächelte.
Vielleicht, sprach das Pferd weiter, würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher
und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen;
eine breite Brust würde meine Stärke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt
hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel
anerschaffen sein, den mir der wohltätige Reiter auflegt.
Gut, versetzte Zeus, gedulde dich einen Augenblick! Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach
das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisierter
Stoff; und plötzlich stand vor dem Throne — das häßliche Kamel.
Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.
Hier sind höhere und schmächtigere Beine, sprach Zeus; hier ist ein langer
Schwanenhals; hier ist eine breite Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du,
Pferd, daß ich dich so umbilden soll?
Das Pferd zitterte noch.
Geh, fuhr Zeus fort; diesmal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner
Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues
Geschöpf — Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das Kamel — und das Pferd erblicke
dich nie, ohne zu schaudern.
                                                                                                           Lessing

Der Widder und der Stier


Ein Widder war von der Natur mit vorzüglicher Stärke begabt worden. Niemand bei der
Herde und unter seinen Brüdern widerstand den gewaltigen Hörnern desselben.
Aber eben dieser Stärke überhob sich der Tor; hielt sich für unüberwindlich und bot
einem Stier, der ihm aufstieß, den Kampf an.
Sie rannten zusammen; halb bewußtlos und mit zerschmetterter Stirne sank der Widder
zu Boden; sein Gegner ging siegreich von dannen; als der Arme wieder von seiner
Betäubung erwachte, kam einer seiner Freunde des Weges vorbei, sah ihn liegen und
fragte: was er denn da mache?
Ich lerne mich selbst kennen! war des Widders demütige Antwort.
                                                                                                       Camerarius

Das Kutschpferd



Ein Kutschpferd sah einst einen Gaul den Pflug
Im Acker zieh'n. Es wieherte vor Stolz und trug
Das Haupt empor, begann die Schenkel schön zu heben:
Wann kannst du, sprach's, dir solch' ein Anseh'n geben?
Und wann bewundert dich die Welt?
"Schweig," rief der Gaul, "und laß mich ruhig pflügen:
"Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
Wo würdest du den Hafer kriegen,
Der deine Schenkel stolz erhält?" —

*   *   *

Die ihr die Niedern so verachtet,
Vornehme Müßiggänger, wißt,
Daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet,
Daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet,
Auf ihren Fleiß gegründet ist.
Ist der, der sich und euch durch seine Händ' ernährt,
Nichts Bessers als Verachtung wert?
Gesetzt, du hättest beßre Sitten,
So ist der Vorzug doch nicht dein:
Denn stammtest du aus ihren Hütten,
So hättest du auch ihre Sitten;
Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein,
Wenn sie wie du erzogen wären.
Dich kann die Welt sehr leicht, sie aber nicht entbehren.
                                                                    Gellert

Der Ochs und der Esel

Ochs und Esel zankten sich
Beim Spaziergang um die Wette,
Wer am meisten Weisheit hätte;
Keiner siegte, keiner wich.

Endlich kam man überein,
Daß der Löwe, wenn er wollte,
Diesen Streit entscheiden sollte;
Und was konnte klüger sein?

Beide treten tief gebückt
Vor des Tierbeherrschers Throne,
Der mit einem edlen Hohne
Auf das Paar herunterblickt.

Endlich sprach die Majestät
Zu dem Esel und dem Farren:
"Ihr seid alle Beide Narren!"
Jeder gafft ihn an und geht.
                                Pfeffel

Der Fuchs und die Pauke

Ein Fuchs kam in einen Wald, in welchem eine Pauke an einen Baum aufgehängt war.
So oft ein Wind wehte, schlugen die durch denselben bewegten Zweige die Pauke an,
und es erschallte ihr starker, bewundernswürdiger Ton. Der Fuchs ging dem Ton, den er
vernommen, nach, bis er zur Pauke kam. Er fand dieselbe sehr dickleibig, und glaubte
deshalb sicherlich, daß sie viel Fett und Fleisch haben müsse. Er machte sich dann an
dieselbige, bis daß er sie entzwei brachte. Allein als er sah, daß sie hohl war und nichts in
ihr, sprach er: "Ich weiß nicht, wie das möglich ist, daß das gehaltloseste Ding den lautesten
Ton von sich gibt und den größten Körperumfang hat."
                                                                                                                Bidpai

Der Ziegenbock und der Hofhund

Ein Ziegenbock betrat mit hoher Gravität
Den Meierhof, wo schon das andre Vieh
Versammelt war, und wie ein Völkerhirt
Des Griechenheeres schritt er auf und ab.
Man sah ihn schweigend an. Er aber tat
Sein wohlbehaartes Mundwerk auf und sprach:
"Ich wäre wohl des Hofes Herr und Fürst,
Wenn dem Verdienst der Ehrenkranz gebührt.
Seht hier an meiner Stirn den hohen Hörnerschmuck,
Der Krone gleich, ein Zeichen meiner Kraft!
An meinem Kinne schaut den langen weißen Bart,
Der Würd' und Weisheit sicheres Symbol.
Leicht ist mein Schritt, und wenn der Lenz erscheint,
Die hohe Zeit, wo Alles sich vermehrt,
Dann duft' ich lieblich, gleichwie — Eigenlob,
Fiel ihm der Hofhund ein und faßt' am Bart
Den Helden. Dieser ließ des Kinnes halbe Zier
Zurück und floh zu Stall. Der Hof erscholl
Voll lauten Beifalls um des Barts zerzausten Raub.

Das Räucherwerk, das man sich selber streut,
Wird doch zuletzt und immer zu Gestank.
Das zeiget euch der Fabel weises Wort. —
                                                   Krummacher

Der Pflug und das Schwert

In einem stillen Tal, wo noch kein blut'ger Krieg
Die Geißel der Zerstörung wild geschwungen,
Wo zu des Landmanns Dach, berauscht von seinem Sieg,
Kein Plünderer gewaltsam eingedrungen,
Wo noch das Angstgeschrei der Unterjochten schwieg,
Lag neben einem Pflug das Schwert von einem Krieger,
Noch rauchend von vergoß'nem Menschenblut.
"Fort!" rief es aus mit frohem Übermut,
"Verächtlich Werkzeug, tatenloser Pflug!
Die Stelle hier ist für dich viel zu gut;
Ich diene nur dem ruhmbekränzten Sieger.
Fort, weg mit dir!" Geduldig schwieg der Pflug,
Bis daß zuletzt im übermüt'gen Grimme
Das stolze Schwert nach seinem Nachbar schlug.
Da sprach der Pflug mit ernster, fester Stimme:
"O prahle nicht mit deinem falschen Wert!
Woher dein Recht, so stolz dich zu erheben?
Ich sorg' erhaltend für der Menschen Leben,
Und du zerstörst es grausam, Schwert!"
                                                       Müchler