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XIII.
Bescheidenheit. Stolz und Hochmut 2

 
Der Wassertropfen
Der Wandersmann und der Kolibri
Der Kuckuck
Die Raupe und der Regenwurm
Die zwei Totenköpfe
Der weiße Bock
Die Gänse und der Hahn
Das Pferd und die Bremse
Der Pfau und die Henne
Der Rabe, der den Adler spielen will
Der Esel in der Löwenhaut
Der Hirsch
Vom Frosch und dem Ochsen
Der Frosch und die Wassermaus
Das Streitroß und der Esel
Der Rabe und das Eichhorn
Hase
Das Johanniswürmchen
Das Veilchen und die Grashalme
Das Pferd und der Esel
Die Päonie und die Rose
Der Rangstreit der Tiere
Der Pommer und der Kater

 

Der Wassertropfen

Ein Tropfen Wasser fiel aus einer Wolke herab in's Weltmeer.
"Ach!" rief er, "was bin ich unter dieser zahllosen, unübersehlichen Menge?
Ein Nichts; fast weniger noch, als nichts!"
Eine Muschel hörte dies; tat sich auf, und verschlang den bescheidenen Tropfen.
In ihr ward er zu einer unschätzbaren Perle, und prangt jetzt in der Krone des
persischen Monarchen, schöner als alle übrigen Juwelen desselben.

*   *   *

Wer seine Niedrigkeit fühlt und gesteht,
den pflegt das Schicksal oft hoch zu erhöhen.
                                                                                Orientalisch


Der Wandersmann und der Kolibri

Ein Mensch, der sich die Welt nie überdrüssig sah,
Der hinter Nubien, zu London und Surate,
In Lappland, Tripoli und Japon Brüder hatte,
Kam endlich nach Amerika.
Dergleichen lange Fahrt pflegt Schiffer abzumatten,
Er warf sich unter einen Baum,
Um unter dessen kühlen Schatten
Ein wenig auszuruhn; allein er schlummert kaum,
Als ihn ein stark Geräusch erwecket,
Davon er keinen Grund entdecket.
Indem er um sich sieht, so fliegt ein Vögelein
Aus dem belaubten Ast, in dessen bunten Flügeln
Sich Gold und Iris Farben spiegeln.
Der Vogel selbst war wunderklein,
Und kaum von Maienkäfers Dicke.
Kannst du so rauschen, o du Mücke!
Rief hier der Wandersmann. Ja, sprach der Kolibri,
Hierüber darfst du dich nicht härmen,
Es heißt beim Menschen wie beim Vieh:
Der Kleinste macht den größten Lärmen.
                                                        Lichtwer
Der Kuckuck

Der Kuckuck sprach mit einem Star,
Der aus der Stadt entflohen war.
Was spricht man, fing er an zu schreien,
Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien?
Was spricht man von der Nachtigall?
"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder."
Und von der Lerche? rief er wieder.
"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall."
Und von der Amsel? fuhr er fort.
"Auch diese lobt man hier und dort."
Ich muß dich doch noch etwas fragen:
Was, rief er, spricht man denn von mir?
"Das," sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen:
Denn keine Seele spricht von dir."
So will ich, fuhr er fort, mich an dem Undank rächen,
Und ewig von mir selber sprechen.
                                                                    Gellert

Die Raupe und der Regenwurm

                         Die Raupe

Wie schön ist doch die Welt für mich gebauet!
So weit mein scharfes Auge schauet,
Bewundert es, geschaffen mir zum Glück,
Der großen Götter Meisterstück.
Für mich macht dieses warme Wetter
Die Sonne, die so hell vom Himmel auf mich scheint;
Denn Kälte, weiß sie, ist mein Feind.
Für mich trägt dieser Baum so weiche, süße Blätter;
Denn wer genießt sie sonst, als ich?
Auch Blumen zeugte die Natur für mich.
Denn wenn ich einst verwandelt werde
Und mich vergöttert von der Erde
Erhebe, trink' ich ihren Nektarsaft.
Ja, weil die dunkle Nacht mir kein Vergnügen schafft,
So geht die Sonne nie zur Ruh',
Sie schicke mir denn erst die glänzende Laterne,
Den Mond, und tausend blanke Sterne,
Wenn Niemand wacht, als ich, zu meinem Dienste zu.
Sprich, Regenwürmchen, sind wir Raupen nicht beglückt?

                         Der Regenwurm

Und Regenwürmer sind wohl nichts, erhabne Made,
Als Ungeziefer? nicht? Es ist um dich doch Schade!
Du hättest dich zum Menschen gut geschickt.
                                                            Willamov

Die zwei Totenköpfe

Beim Graben einer Grube sah
Ein Totenkopf den andern liegen,
Und sprach: "Wer bist du, der so nah
Sich darf zu meiner Gruft verfügen?"
"Ich war," sprach der, "ein Ruderknecht,
Aß schwarzes Brot, trank aus den Flüssen,
Schlief auf der Erde, lebte schlecht,
An Schuh und Kleidern abgerissen.
Bis der erwünschte Tod mich fand,
Den ich oft inniglich begehret;
Der hat mich aus dem Joch gespannt,
Und mir die Freiheit nun gewähret."

"Gemeiner Kerl, hinweg von mir!"
Schrie ihm der andre Kopf entgegen.
"Nichtswürdiger! was willst du hier?
Dein Zuspruch ist mir ungelegen.
Ich bin ein andrer Mann, als du!
Ich bin mit Königen verwandt,
Und nicht aus Pöbelblut entsprossen!
Ich trage Stern und Ordensband!
Ich fahr' in prächtigen Karossen;
Ich streue Tonnen Goldes aus!
Ein großer Palast ist mein Haus;
Im Keller hab' ich Fässer Weine
Aus Ungarn, Welschland und vom Rheine!"

"Ich bin! ich hab'! — Ach armer Mann!
Ich war, ich hatte! mußt du sagen,"
Hub hier des Sklaven Schädel an.
"Du hast ja nichts mit her getragen.
Ich seh' nicht Stern, nicht Ordensband,
Auch nicht dein königlich Gewand;
Ich seh' nicht deine Fässer Wein
Aus Ungarn, Welschland und vom Rhein;
Ich seh' nicht deine Tonnen Gold,
Nicht deine prächtigen Karrossen;
Was du besessen und genossen,
Blieb alles auf der Oberwelt;
Dort oben war ein Unterschied,
Hier sind wir gleicher Herrlichkeit.
Hier gleicht dein Schädel jedem Schädel;
Schön sieht wie häßlich, arm wie reich;
Dumm sieht wie klug aus, schlecht wie edel:
Der Tod macht Hack' und Zepter gleich."
                                                      Triller

Der weiße Bock

Der schönste weiße Bock, der in der Herde war,
Wird zu dem Bacchusfest geführet.
Von Golde strahlt der Hörner Paar,
Mit Blumen ist das Haupt gezieret;
Das Tympanon ertönt, die helle Cymbel klingt,
Ein Chor von Knaben tanzt und singt.
Ei! denkt der Bock, was hat's mit diesen Festlichkeiten,
Mit diesem herrlichen Empfange zu bedeuten?
Wer bin ich denn? Bin ich ein großer Herr?
Bin ich ein Gott? — Jetzt überschreitet er
Des reich geschmückten Tempels Schwelle.
Mit Weihrauchdampf empfängt man ihn;
Die Priester liegen auf den Knien,
Die Flamme macht den Altar helle. —
Bei meinem Bart! man huldigt mir.
Du gutes Volk! ich will dafür
Dir allzeit gnädig sein. — Es summt indessen
Ihm eine große Brems' um's Ohr.
Er wirft voll Stolz den Kopf empor:
Mir, einem Gott, so nahe? wie vermessen!
Verächtliches Geschmeiß, hinweg! — Erhabner Gott!
Verzeihe mir, versetzt mit bitterm Spott
Die Brems': ich warte hier, von deinem Rumpf zu essen.
Das Messer blinkt: im Blute liegt der Gott.

Stolzieret nicht mit euren Herrlichkeiten,
Ihr Toren! Keiner weiß, wohin sie leiten.

Die Gänse und der Hahn

                     Die Gänse
Wir haben einst zu unsrer ew'gen Ehre
Durch unsre Wachsamkeit
Roms Kapitol vom Untergang befreit.
                     Der Hahn
Ei! was ich höre!
Habt ihr denn auch die Stadt beschützet?
                     Die Gänse
                                      Nein
                     Der Hahn
Nicht? — Nun so haltet ja mit eurem Prahlen ein.
                                                        Willamov

Das Pferd und die Bremse

Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden,
Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt,
Und, wie ein Mensch, stolz in Gebärden,
Trug seinen Herrn durch einen Wald;
Als mitten in dem stolzen Gange
Ihm eine Brems' entgegen zog
Und durstig auf die nasse Stange
An seinem blanken Zaume flog.
Sie leckte von dem heißen Schaume,
Der am Gebisse niederfloß.
"Geschmeiß!" sprach stolz das wilde Roß,
"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume?
Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich?
Wie darfst du wohl ein Pferd erbittern?
Ich schüttle nur, so mußt du zittern."
Es schüttelte: die Bremse wich.

Allein sie suchte sich zu rächen;
Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,
Und stach den Schimmel in das Maul.
Das Pferd erschrak und blieb vor Schrecken
In Wurzeln mit den Eisen stecken,
Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul.

*   *   *

Auf sich den Haß der Niedern laden,
Dies stürzet oft den größten Mann.
Wer dir als Freund nicht nützen kann,
Kann immer doch, als Feind, dir schaden.
                                                 Gellert


Der Pfau und die Henne

Zur Henne sprach der Pfau: Sieh doch einmal,
Wie stolz und trotzig tritt dein Hahn daher!
Und dennoch sagt kein Mensch: der stolze Hahn!
Nur mich nennt Jedermann den stolzen Pfau.
Das Huhn versetzt: der Mensch verzeihet gern
Den Stolz, der auf Verdienst gegründet ist.
Mein Hahn ist stolz auf seine Wachsamkeit
Und Mannheit; du bist nur auf Federn stolz.
                                                     Lessing

Der Rabe, der den Adler spielen will


Ein Adler sah aus hohen Lüften
Ein Lämmchen, das auf grünen Triften
Recht munter sprang in froher Lust.
Da schoß er schnell herab und packte
Mit seinen Krallen es und hackte
Den Schnabel tief in seine Brust.

Ein schwarzer Rabe saß nicht ferne,
Der hätte mitgeschmaus't so gerne,
Allein der Adler lud ihn nicht. —
Da dacht' er flugs: bin's auch kapabel,
Bin fast so groß, hab' Krallen, Schnabel,
Ich hol' mir selbst ein Lammgericht.

Gedacht, getan! — Er fliegt hinunter
Zur Herde, die auf kunterbunter
Und blum'ger Wiese weidet dort.
Ein feister Hammel ward erkoren.
Halt, sagte Merkgenau, verloren
Bist du! Dich trag' ich mit mir fort.

Flugs packt er ihn und will nun fliegen,
Doch ruhig bleibt der Hammel liegen,
Er ist dem Raben viel zu schwer.
Wie er das merkt, will er nicht weilen
Und beutelos zu Neste eilen,
Doch, fest verstrickt, kann er nicht mehr.

Der Schäfer, der nicht fern gestanden.
Kam lächelnd nun. — Von diesen Banden,
Sprach er, will ich dich wohl befrei'n;
Doch weil du töricht und vermessen
Dich überschätzet und vergessen,
Magst du im Käfig es bereu'n.
                                        Lafontaine

Der Esel in der Löwenhaut

Ein Esel fand einst eine Löwenhaut. —
Da fiel ihm ein, sich selbst zum Spaß hineinzustecken,
Und schnell floh jedes Tier vor Schrecken.

Seht doch! Das hätt' ich mir kaum selber zugetraut!
Ja, ja, die Schuld lag bloß an meinem grauen Felle;
Sonst wär' ich längst auf dieser Ehrenstelle,
Die mir gebührt. Gleichviel! Was lange währt, wird gut!
Ei, ei! was doch ein Kleid nicht tut!
Ein Andrer mag in Zukunft Säcke tragen!
Ich will mich nicht mehr mit der Arbeit plagen;
Ich pflege mich und fülle meinen Magen,
Und schlaf', um wieder auszuruh'n
Wie andre große Herren tun.
Ich geh', wenn's mir beliebt, auch wohl einmal spazieren,
Und lasse mich von Menschen und von Tieren
Nach Stand'sgebühr gehörig respektieren.
Der Mensch wird, denk' ich, doch auch so verständig sein
Und sich vor meinem Kleide scheu'n?

Indessen kam ein Schwarm von Jungen
In aller Lust daher gesprungen.
Die waren ihm schon ziemlich nah',
Als einer, der zuerst den neuen Löwen sah,
"Ein Löwe!" rief, und schnell entfloh der ganze Haufen.

Seht, fuhr der Esel fort, wie ich euch jagen kann!
Und das hat bloß mein stattlich Kleid getan!
Halt, halt! Ihr sollt mir besser laufen,
Fang ich nur erst zu brüllen an! —
Stracks ließ er seine Stimm' aus vollem Halse hören;
Doch statt die Furcht der Knaben zu vermehren,
So macht er, daß sie stille steh'n.

Was heißt denn das? Ha, ha! nun fällt mir's ein;
Sie können wohl vor Angst nicht von der Stelle geh'n.
Ja, ja, das wird's gewißlich sein.
Bald sollt ihr gar vor Schrecken niederfallen! —
D'rauf läßt er sein Geschrei zum zweiten Mal erschallen,
Doch statt daß sie zur Erde niederfallen,
Kommt einer gar zurück. Der Esel, ihn zu schrecken,
Geht auf ihn los. Allein zum Unglück guckt ein Ohr
Von seinem dummen Kopf hervor.
Der kühne Knabe sieht's, und droht ihm mit dem Stecken;
Auf einmal fällt dem Esel aller Mut.
Er kehrt sich um und spricht: Für diesmal ist's schon gut!
Ich merke, daß ihr bloß aus Unverstand es tut.
D'rum könnt ihr jetzt nur eurer Wege gehen;
Und überdem seh' ich hier eine Distel stehen.
Er bückt den trägen Kopf zur Erde langsam nieder
Und rupft sie ab. Schnell ruft der Knabe seine Brüder:
Kommt, kommt! das ist ein Tier, das keine Maus zerreißt!
Seht nur, wie schön es Disteln speist!
Wir wollen es nach Hause schicken!
Ein Sack gehört auf seinen Rücken
Und keine Löwenhaut! Jetzt kam mit Lustgeschrei
Die ganze frohe Schar herbei;
Fort, riefen sie, fort mit dir in die Mühle!
Der Esel lief. — Das war das Ende von dem Spiele.
                                                               Lafontaine

Der Hirsch

Ein junger Hirsch preist über Alles sein Geweih,
Verwickelt sich in Zweigen, wird nicht wieder frei.
Man greift ihn an, — er ist gefangen! —
Der Hochmut bleibt in seinen eig'nen Netzen hangen.
                                    Aus dem franz. des Mollevaut

Vom Frosch und dem Ochsen

Einen grossen Ochssen an der weyd
Ersach ein Frosch, da war jm leyd,
Das er nicht war in solcher moß
Gewachssen, wie der Ochsse groß,
Und sprach zu seinem Son, sich zu,
Ich werd wos wissen was ich thu,
Ich wil mich sehre groß machen,
Daß ich dem Ochssen in alle fachen
Gleich werd, jedermann wundern sich,
Sprech, sih, der Frosch ist dem Ochssen gleich.
Er bließ sich auff und sprach zum Son,
Sih lieber hab ichs nit getan?
Er sprach, Vatter, jr werdts nit thun,
Darumb laßt ab bey zeiten nun.
Der Frosch sprach, sihe zum andern mal
Ob ichs nicht schier erlangen sol?
Der Son sprach, Vatter, ich bitt, laßt ab
Oder ich euch zu letzst gesehen hab.
Der Frosch sprach, kostets ein Königreich,
Heut wil ich sein dem Ochssen gleich,
Bließ mit aller macht so hoch,
Das er zu zweien stücken brach.
                     Burkard Waldis 1490 1556

Der Frosch und die Wassermaus

Ein Frosch sah einen fetten Stier
Am Rande seines Sumpfes grasen:
Ein kleines Tier ist oft ein stolzes Tier,
Schnell fing er an sich aufzublasen,
Und sprach zur Wassermaus: "Sieh, Mäuschen, sieh doch hin!
Dort trabt ein Stier; sieh mich nur an! nicht wahr, ich bin
So groß, als er?" — "Noch lange nicht." — "Doch nun?" — "Vergebens
Strengst du dich an." — "Jetzt ganz gewiß, Frau Nachbarin?"
Noch weit gefehlt." — "Die Kräfte meines Lebens
Setz' ich daran, und wär's mein Untergang."
Sprach's, blies sich stärker auf — zersprang.
                                                                    Michaelis

Das Streitroß und der Esel


Ein stolzes, schön aufgezäumtes und gesatteltes Roß begegnete auf einem schmalen
Fußsteige einem armen Esel, der unter seiner schweren Last kaum fortzuschleichen vermochte.
"Mir aus dem Wege!" rief das Pferd, "sieh an meinem Wappen und Geschirr, daß ich das
Roß eines Fürsten bin! Nur an der Spitze seiner Heere reitet er mich. Alle folgen mir;
Alles ehrt ihn und mich. Fort, niedriges Tier, oder du sollst meinen Huf an deiner Stirn fühlen!"
Der arme Esel kroch beschämt bei Seite, und murmelte heimlich bei sich selbst: "ach,
was wollte ich d'rum geben, wenn ich mit diesem glücklichen Tiere tauschen könnte!"

Viele Wochen wollte ihm dieser Gedanke nicht aus dem Kopfe, und erschwerte ihm sein
ohnedem mühseliges Leben noch mehr. Doch bevor sechs Monate verflossen waren, ging
der Esel wieder einmal über das Feld und erblickte eben dasselbe Pferd, aber —
o Wunder! lahm, abgezehrt, in einen Mistkarren zur niedrigsten Arbeit eingespannt.
"Ei, ei," rief er ganz betreten, "welche Veränderung ist hier vorgegangen?" — "Mich traf,"
war des Rosses demütige Antwort, "eine Kugel in der letzten Schlacht. Mein Herr stürzte
mit mir und verschenkte mich nachher. Ich blieb lahm und wie es mir jetzt geht, siehst du selbst."

*   *   *

Sei doch nie auf Glück oder Stärke stolz! Ein einziger Augenblick kann oft beide vernichten.
                                                                                                                      Aesop

Der Rabe und das Eichhorn



Ein Rabe saß auf einem Felsen. Ihn sah das Eichhorn da sitzen, und sprach: "Jetzt soll
ein Beweis meiner Stärke dich staunend machen; denn ich will dir zeigen, wie ich Berge
umstoße." Kaum gesagt, lief es gegen den Felsen mit aller Gewalt; aber statt daß er
wankte, zerschellte an ihm das Horn, und das stolze Tier fiel vor Schmerzen nieder.

"Armes Eichhorn!" rief der Rabe, "den Beweis deiner Stärke bleibst du mir schuldig;
aber den Beweis deiner Dummheit und die Wahrheit des Satzes: daß Hochmut alle Dinge
zerstört, gabst du mir ungebeten."
                                                                                                Holzmann

Hase

Mut, Herr Hirsch! spricht der Hase,
Männchen machend im Grase, —
Mut! ich tu' es dir kund,
Daß ich bekämpfe den Hund,
Wenn er auf die Jagd
Einmal sich nur noch wagt.

Wau! wau! wau! es klingt;
Hase erschrickt und entspringt;
Hund hat ihn bald beim Kragen,
Hilft kein Bitten, kein Klagen;
Hirsch ruft mit lautem Schalle:
Hochmut kommt vor dem Falle!
                         Erdmann Stiller

Das Johanniswürmchen

In einer warmen Sommernacht,
Die Taugewölke dunkel macht,
Fliegt ein Johanniswürmchen zwischen Hecken
Von wilden Rosen, stolz auf seine Pracht;
Läßt fern durch seinen Schimmer sich entdecken.
"Ach, wie so schön bin ich!" so spricht
Es in sich selbst; "o welch' ein helles Licht,
Das mit dem Glanz der Sterne streitet!
Ist um mich her durch mich verbreitet!
Mir gleicht im weiten Reiche der Natur
An Reizen keine Kreatur."
So spricht es, als die Nachtigall
Von fern das glänzende Insekt
Im dornigen Gebüsch entdeckt.
Gleich hascht sie es und frißt's, die gier'ge Sängerin! —
Und Leben, Stolz und Glanz ist hin.

*   *   *

Kommt Hochmut, wie man spricht, nicht immer
Kurz vor dem Fall? Wer dies vergißt,
Empfindet, wie der eitlen Ehre Schimmer
Oft seines Unglücks Ursach ist.
                                                Weppen

Das Veilchen und die Grashalme

Ein Veilchen stand im grünen Moose,
In dichter Halmen kühlem Schoße,
Und streute seinen Balsamduft
Rings in die milde Frühlingsluft.
Da sprach mit Stolz und Übermut
Zum Veilchen, das im Schatten ruht,
Der Halmen einer, der hier stand:
"Du bist geschützt vor Sonnenbrand,
Den manches Blümchen schwer empfand;
Du bist gebettet hier im Schatten,
Indes die Andern all' ermatten;
Es bleichen deine Farben nicht,
Wie heftig auch die Sonne sticht.
Nun sprich, wem dankst du diese Güte,
Daß nicht dein Kelch schon längst verblühte?"
Das Veilchen sprach: "Zum Teil von dir
Genieß' ich diesen Schatten hier;
Doch kommt er nicht von dir allein.
Auf dein Verdienst, so schwach und klein,
Ist's lächerlich, noch stolz zu sein."
                                             Anschütz

Das Pferd und der Esel

"Mit einem Esel geh' ich nicht!
Es würde mir zum Schimpf gereichen,
Wenn ich es tät; ich kenne meine Pflicht,
Und gehe nur mit meines Gleichen.
Der Esel ist ja bis zum Ekel faul,
Schleicht nur einher und hänget Kopf und Maul,
Und kann sonst nichts, als gar gewaltig schreien,
Wie schön, wie schlank bin ich! bei mir geht's hop, hop, hop,
Im schnellsten, flüchtigsten Galopp,
Daß Tier und Mensch sich d'rüber freuen!"
Es war ein Pferd, das so zum Esel sprach,
Und stolz und übermütig gleich hernach
Umher flog, daß es staubte;
Doch da es sich für sehr bewundert glaubte,
Gestürzt danieder lag.
Der Esel folgt gelassen langsam nach,
Und da er's liegen sah — es war bei einem Baume —
Ging er hinzu, ergriff das Pferd beim Zaume,
Half ihm dann glücklich wieder auf
Und ging stillschweigend seinen Lauf.

*   *   *

Wen du mit deinem Stolz und Übermute kränkest,
Kann oft dir nützlich sein, eh' du es denkest.
Und wenn er hilft und die Beleidigung vergißt:
Sprich, wer von Beiden edler ist? —
                                                           Seidel

Die Päonie und die Rose

                             Die Päonie
O Rose, sprich einmal, ist nicht der Mensch ein Tor?
Mir, der Päonie, zieht er euch Rosen vor.
Wie groß, wie voll bin ich! Ich, ohne Dorn geboren,
Ich glüh' in meinem Purpur gleich Auroren;
Ich bin, und ich allein, des größten Gartens Zier.
Sprich, Rose, die du selbst mir stillen Beifall winkest,
Was tadelt denn der Mensch an mir? —
                             Die Rose.
Daß du so prahlst und doch nur stinkest.
                                                            Willamov

Der Rangstreit der Tiere
in vier Fabeln

                                                           I.

Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. "Ihn zu schlichten," sprach das
Pferd, "lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner von den streitenden
Teilen, und kann desto unparteiischer sein."
"Aber hat er auch den Verstand dazu?" ließ sich ein Maulwurf hören. "Er braucht wirklich
den allerfeinsten. unsere oft tief versteckte Vollkommenheiten zu erkennen."
"Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster.
"Jawohl!" rief auch der Igel. "Ich glaube es nimmermehr, daß der Mensch
Scharfsichtigkeit genug besitzet."
"Schweigt ihr!" befahl das Pferd. "Wir wissen es schon: Wer sich auf die Güte seiner
Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines
Richters in Zweifel zu ziehen."

                                                           II.

Der Mensch ward Richter. — "Noch ein Wort," rief ihm der majestätische Löwe zu,
bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Wert bestimmen?"
"Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel," antwortete der Mensch,
"in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid."
"Vortrefflich!" versetzte der beleidigte Löwe. "Wie weit würde ich alsdann unter den Esel
zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verlaß die Versammlung!"

                                                           III.

Der Mensch entfernte sich. — "Nun," sprach der höhnische Maulwurf, —
(und ihm stimmte der Hamster und der Igel wieder bei) — "siehst du, Pferd? der Löwe
meint es auch, daß der Mensch unser Richter nicht sein kann. Der Löwe denkt, wie wir."
"Aber aus bessern Gründen, als ihr!" sagte der Löwe, und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.

                                                           IV.

Der Löwe fuhr weiter fort: "Der Rangstreit, wenn ich es recht überlege, ist ein
nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vornehmsten oder für den Geringsten;
es gilt mir gleichviel. Genug, ich kenne mich!" — Und so ging er aus der Versammlung.
Ihm folgte der weise Elephant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, der kluge Fuchs,
das edle Pferd; kurz alle, die ihren Wert fühlten, oder zu fühlen glaubten.
Die sich am letzten wegbegaben, und über die zerrissene Versammlung am meisten
murrten, waren — der Affe und der Esel.
                                                                                                       Lessing

Der Pommer und der Kater

Ein Pommer ward von einem Schusse lahm,
Der seinem Herrn, den er beschützen wollte,
Verräterisch das Leben nahm.
Unwissend, wie er nun sein Brot verdienen sollte,
Kroch er betrübt bis in die nächste Stadt,
An deren Tor ein Kater zu ihm trat,
Dem eines Abtes Koch vor wenig Tagen,
Weil er ein Rebhuhn stahl, das Bein zerschlagen.
Sie unterhielten sich von ihren Unglücksfällen;
Zuletzt sprach Mautz: "Freund, laß uns doch durch's Land
Als ein Paar treue Spießgesellen,
Hausieren geh'n!" Der Pommer sagte: "Nein!
Wir sind zwar Beide lahm; — allein
"Ich möchte doch nicht gern mit dir verglichen sein."
                                                                  Pfeffel