Die Frösche und der Storch
Die Frösche waren ihrer Freiheit überdrüssig und baten den
Jupiter um einen König.
Jupiter, um sie zu versuchen, warf einen Klotz herab. Das
Getöse, mit welchem er
hinunter fiel, scheuchte sie alle in ihren Sumpf.
Lange wagten sie nicht, aus ihm hervorzukommen. Einer nur,
kühner als die übrigen,
streckte leise und allmälig den Kopf empor. Der neue König
lag noch ruhig an seinem
ersten Orte. Diese Erfahrung ward bald den andern Fröschen
mitgeteilt. Mutig kamen sie
hervor, hüpften sogar auf dem Klotze selbst herum, und
sprachen: laßt uns den Jupiter
um einen andern Fürsten bitten; denn dieser ist uns viel zu
stille.
Sie erhielten einen andern in der Person des Storchs, und
bald rächte dieser die
Beleidigung, die seinem Vorfahren erwiesen worden. Wo nur
einer seiner Untertanen ihm
in den Weg kam, da ward er auch verschlungen. Bald
verminderte sich die Zahl der
mutwilligen Frösche; der Überrest bat abermals den Jupiter
entweder um einen gütigen
Regenten, oder um die Rückgabe ihrer alten Freiheit.
Doch der Gott erwiderte: Dies Unglück war euer eigener
Wille. Zur Strafe gab ich euch
den Storch. Ertragt ihn nun, so gut ihr könnt!
* * *
Fast nie ist der Mensch mit seinem Stande zufrieden. Erst,
wenn derselbe sich ändert,
sieht er gemeiniglich ein, daß das Ältere besser war.
Aesop
Täubchen
Täubchen, du auf dem Dache dort,
Sage, was girrst du in einem fort,
Wendest das Köpfchen so her und hin?
T. Weil ich so gar zu fröhlich bin,
Weil mich vom Himmel der Schöpfer mein
Wärmt mit dem lieben Sonnenschein.
Droben das Täubchen girrte so
Unten der Knabe spielte froh,
Mochten am lieben Sonnenschein
Jedes sich recht von Herzen freu'n.
Und vom Himmel der Schöpfer sah
Gerne die Lust der beiden da.
Hey
Nicht viel
bedarf's, um froh zu sein
Der Fink sitzt auf dem Neste,
Hat kleine liebe Gäste,
Sie froren und jetzt hungern sie.
Der Vater ohne viele Müh
Bringt Raupen, Körner schnell herbei,
Sie schmausen und sind froh dabei.
Das Pfauenauge, schwarz und braun,
Mit blauem Aug' auf jedem Flügel,
Will sich die Gegend recht beschaun,
Fliegt über Bäch' und über Hügel,
Setzt auf ein rotes Blümchen sich,
Saugt Honig, freut sich inniglich.
Ein schüchternes, gar kluges Reh
Steht auf der freien Bergeshöh',
Schaut rings mit hellem Aug' umher,
Wo wohl die beste Weide war,
Schmaust hier ein Blatt und dort die Kräuter,
Ist überschwenglich froh und heiter.
Ja Alle, gibt's auch wen'ger heut
Als gestern, sind voll Fröhlichkeit,
Sind stets mit dem zufrieden eben,
Was ihnen, der sie schuf, gegeben.
Sie prägen uns die Lehre ein:
Nicht viel bedarf's, um froh zu sein!
Hoffmann
Der Uhu und die Lerche
Es saß ein Uhu lange Zeit
Im Schatten einer hohlen Eiche,
Der höchsten in dem deutschen Reiche,
In einer öden Traurigkeit.
Hoch über ihn ließ sorgenfrei
Sich eine muntre Lerche hören,
Und meldete der Sänger Chören,
Daß ietzt der Frühling nahe sei.
Ihr Lied dringt aus den heitern Lüften
In's grüne Tal, belebt die Triften,
Der Uhu horcht, und ächzt dabei,
Daß er nicht auch so fröhlich sei.
Die Ungeduld ermuntert ihn,
Sich aus dem Neste zu bemühen,
Die feige Lerche wollt' entfliehen,
Sie wollte noch, als er erschien.
Doch war der armen Lerche bange,
So dauerte die Angst nicht lange,
Als sie zu ihrem Trost vernahm,
Daß er in Friede zu ihr kam.
Es schien dem Uhu zweifelsfrei
Das Lerchenfleisch noch nichts zu taugen,
Er schwur bei seinen großen Augen,
Daß er für jetzt nicht hungrig sei.
Die Neugier, sprach er, dich zu fragen,
Hat mich an diesen Ort getragen.
Bekenne, was die Ursach ist,
Daß du beständig fröhlich bist?
Monarch der Eulen, sagte sie,
Wer stets gesunde Tage zählet,
Und fliegen kann, wohin er wählet,
Wie kann der trauren? Fragst du, wie?
Fiel ihr der Uhu in die Rede,
Du scheinst ja sonst mir ziemlich blöde,
Gedenkst du niemals an den Tod,
Noch was dir Herbst und Winter droht?
Ich denke, sprach sie, wohl daran,
Allein der Tod ist unvermeidlich,
Die Herbst- und Winternot noch leidlich,
Und jetzt geht ja der Frühling an.
Ich leb' indessen nach der Lehre,
Die ich von jenem Schäfer höre,
Der dort im Grünen vor uns liegt,
Ein Weiser sei nie mißvergnügt.
Geh nur, du kleine Närrin du,
Fiel der Bescheid aus, das sind Lehren,
Die für die Lerchen nur gehören;
Die Lerche flog dem Schäfer zu,
Und sang ganz heimlich auf der Reise:
Wer fröhlich sein will, der sei weise.
* * *
Merkt, Freunde, was die Lerche spricht,
Und kehrt euch an die Uhu's nicht.
Lichtwer
Die Eintagsfliege
und die Krähe
Am Flusse Hipanis gibt es eine Art von Insekten, die auf's
längste einen Tag leben.
Eines
derselben, schon beinahe zwölf Stunden alt und also ein
Greis unter den übrigen, rief:
O erwünschter Tod, warum verziehst du so lange? Ich habe
gegessen, getrunken, und
sehe schon Kinder von mir. Was bleibt mir also noch zu
wünschen übrig? Als ich geboren
ward, war jene glänzende Scheibe im Aufgehen; jetzt senkt
sie sich schon zum
Untergange. Was würde aus mir werden, wenn ich sie gar
überlebte? Laß daher nun mein
langes und glückliches Leben sich enden! —
Nicht fern von ihm saß eine fast hundertjährige Krähe. Sie
hörte dieses Gebet, seufzte
und sprach: ach! gestern noch beschwerte ich mich, daß meine
Kräfte schon abnehmen
und dies Geschöpf, das ich an Lebensdauer so viele
tausendmal übertreffe, hält sich für
alt und glücklich? O nun erkenne ich es: —
Nur der lebt lange, der zufrieden lebt!
Nach
Desbillons
Der junge
Krebs und die Seemuschel
Der Muschel, die am seichten Strande
Ihr Haus bald von einander bog,
Bald wieder fest zusammenzog,
Sah einst, mit Neid und Unverstande,
Ein junger Krebs aus seiner Höhle zu.
O Muschel, wie beglückt bist du!
O daß wir Krebse nur so elend wohnen müssen!
Bald stößt der Nachbar mich aus meiner Wohnung aus,
Und bald der Sturm. Du hast dein eigen steinern Haus,
Kannst, wenn du willst, es öffnen und verschließen.
Erlaube mir nur einen Augenblick,
Ich weiß, du gönnest mir dies Glück,
In deinem Schlosse Platz zu nehmen.
"Ich," sprach sie: "sollte mich zwar schämen,
In mein nicht ausgeputztes Haus, —
Denn in der Tat sieht's jetzt nicht reinlich aus, —
Vornehme Herren einzunehmen.
Doch, dienet es zu ihrer Ruh,
Auf kurze Zeit zu mir sich zu verfügen:
So dien' ich ihnen mit Vergnügen,
Wir haben Platz." — Er kommt. Sie schließt ihr Schloß fest
zu.
Mach auf! schreit er, denn ich ersticke! —
"Bald," spricht sie: "will ich dich befrei'n;
Sieh erst der Mißgunst Torheit ein,
Und lerne hier, zu deinem Glücke,
Durch G'nügsamkeit zufrieden sein."
Gellert
Die Spinne und die
Schnecke
Spinne
Wie ist's möglich nur, o Schnecke,
Daß dein ganzes Sein
In ein Haus, so eng und klein
Sich verstecke?
Sieh, ich lebe
In Palästen und ich webe
Mein Gespinst um Königsthrone.
Schnecke
Klein, doch mein
Ist das Haus, das ich bewohne.
Eduard v. Schenk
Adler und Taube
Ein Adlerjüngling hob die Flügel
Nach Raub aus;
Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt
Der rechten Schwinge Sehnkraft ab.
Er stürzt hinab in einen Myrthenhain,
Fraß seinen Schmerz drei Tage lang,
Und zuckt' an Qual
Drei lange, lange Nächte lang;
Zuletzt heilt ihn
Allgegenwärt'ger Balsam
Allheilender Natur.
Er schleicht aus dem Gebüsch hervor
Und reckt die Flügel — ach!
Die Schwingkraft — weggeschnitten —
Hebt sich mühsam kaum
Am Boden weg
Unwürd'gem Raubbedürfnis nach,
Und ruht tieftrauernd
Auf dem niedern Fels am Bach;
Er blickt zur Eich' hinauf,
Hinauf zum Himmel,
Und eine Träne füllt sein hohes Aug'.
Da kommt mutwillig durch die Myrthenäste
Daher gerauscht ein Taubenpaar,
Läßt sich herab und wandelt nickend
Über goldnen Sand am Bach,
Und ruckt einander an;
Ihr rötlich Auge buhlt umher,
Erblickt den Innigtrauernden.
Der Tauber schwingt neugiergesellig sich
Zum nahen Busch, und blickt
Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an.
"Du trauerst!" liebelt er;
"Sei gutes Mutes, Freund!
Hast du zur ruhigen Glückseligkeit
Nicht Alles hier?
Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges freu'n,
Der vor des Tages Glut dich schützt?
Kannst du der Abendsonne Schein
Auf weichem Moos am Bache nicht
Die Brust entgegenheben?
Du wandelst durch der Blumen frischen Tau,
Pflückst aus dem Überfluß
Des Waldgebüsches dir
Geleg'ne Speise, letzest
Den leichten Durst am Silberquell, —
O Freund! das wahre Glück
Ist die Genügsamkeit,
Und die Genügsamkeit
Hat überall genug."
",O Weise!" sprach der Adler, und tief ernst
Versinkt er tiefer in sich selbst:
"O Weisheit! Du redest wie eine Taube!"
Goethe
Die Stadt- und die
Landmaus
Eine Stadtmaus besuchte einst ihre Freundin, die auf dem
Lande lebte und ward von ihr
so froh und so gut empfangen, als es ihr nur immer möglich
war. Schimmlichte
Brotrinden, dumpfichte Grütze, alter Speck und vertrockneter
Käse wurden aufgetischt;
unaufhörlich nötigte die Wirtin, doch ja zuzulangen; und aus
Höflichkeit stellte sich auch
die Stadtmaus, als ob es ihr schmecke. Aber heimlich ekelte
ihr vor diesen Gerichten,
und beim Abschied lud sie ihre Freundin ein, sie nun auch in
der Stadt zu besuchen.
Diese war zur Begleitung sogleich erbötig; beide Mäuse
schlüpften zusammen fort und
gegen Mitternacht kamen sie in dem prächtigen Palaste eines
reichen Mannes an, wo die
Stadtmaus ihr Wesen zu treiben pflegte. Diese zeigte nun
ihrem Gast alle Gewölbe,
Kammern und Küchen, wo sie ihren Vorrat aufbewahret, und
führte sie endlich in einen
Speisesaal, wo sich die Überbleibsel eines kostbaren
Abendschmauses befanden.
Hier lagerten sie sich auf einem damastnen Ruhebette. Die
Städterin legte ihrer Freundin
wohl zwanzig Leckerbissen vor; und die Landmaus, welche
niemals noch dergleichen
gesehen hatte, war heimlich bereits entschlossen, dem Rat
ihrer Wirtin zu folgen, und
ihre dunkle ländliche Wohnung mit dieser glänzenden zu
vertauschen; als plötzlich ein
fürchterliches Getöse in ihre Ohren drang.
Die Flügeltüren des Zimmers sprangen auf und ein Schwarm von
lärmenden Bedienten
beiderlei Geschlechts trat herein, um sich bei den übrig
gebliebenen Speisen gütlich zu
tun. Die armen Mäuse entflohen mit äußerster Bestürzung.
Vorzüglich war die Landmaus
übel dran, die hier noch keinen Bescheid wußte und in einer
ähnlichen Gefahr noch
niemals sich befunden hatte. Mit genauer Not rettete sie
sich in einen Winkel, wo sie mit
steter Todesangst sich verbarg, bis die Gesellschaft sich
wieder entfernte.
Als das Haus endlich ruhig geworden war, wandte sich die
Fremde zu ihrer Wirtin und
fragte: ist dies, liebe Schwester, der Nachtisch zu deinem
allerdings herrlichen Gastmahl?
Vergib mir meinen schlechten Geschmack, wenn ich
spornstreichs jetzt in meine Höhle zu
meinen schimmlichten Käse zurückkehre; lieber will ich dort
meine ärmliche Kost in Ruhe
genießen, als hier die leckerhafteste Speise, die von so
tödlichen Schrecken und
Gefahren versalzen wird.
* * *
Wünsche dir nicht das Leben im Getümmel der großen Welt! Sei
vielmehr zufrieden mit
einem geringen Stande, sobald nur Sicherheit damit verbunden
ist.
Nach
Horaz
Die Stadt- und die
Feldmaus
Einst lud mit vielen Komplimenten,
Auf Ortolanen, wilde Enten,
Und hundert andre Leckerei'n,
Die Stadtmaus eine Feldmaus ein.
Ein Teppich von durchwirktet Seide
Trug stolz ein silbernes Servis,
Wo, bei der unbezahlten Freude,
Sich's Wirt und Fremdling schmecken ließ.
Nichts war beim leckern Mahl vergessen,
Was nach der Mode sich gehört.
Doch plötzlich wird, im besten Essen,
Die Lust der Schmausenden gestört.
Es raschelt, wie mit einem Schlüssel,
Was an der Türe zum Gemach.
Der Wirt springt über Tisch und Schüssel
In's Loch, der Fremde hinten nach.
Der Lärm hört auf; mit vollem Sprunge
Macht sich die Compagnie hervor.
"Da," spricht der Wirt, "ist Rinderzunge!
Komm, Fremdling, leg' dir wieder vor."
"Ich danke," sprach der Kostverächter
Zum Städter, "morgen komm zu mir.
Im Felde leben wir zwar schlechter,
Allein weit ruhiger, als hier."
Michaelis
Die Rose und der
Schmetterling
Eine Rose, die in einem etwas versteckten Winkel des Gartens
blühte, beneidete ihre
Schwestern, die sie in der Mitte desselben von fern
erblickte. "Sie ziehn," sprach sie,
"aller Augen auf sich; werden bewundert und gelobt. Ich lebe
und sterbe unbemerkt." —
"So stirbst du wenigstens um ein gutes Teil später,"
erwiderte ein Schmetterling,
der ihrer Klage zugehört hatte, "denn jene trifft die Hitze
des Tages, der vollste Strahl
der Sonne; zu oft reißt sie ein Vorübergehender ganz ab;
indes du hier im Kühlen stehst,
und in Schatten und Entfernung dein Leben wenigstens
zweifach genießest."
* * *
Beneide diejenigen nicht, die vornehmer sind, als du;
gewöhnlich ist das Leben,
das von fern glänzt, in der Nähe betrachtet, kurz und
drückend.
Desbillons
Die beiden Kornähren
Ein Windhalm stieg empor, von keiner Last gedrückt,
Der sprach zu einem Halm mit einer vollen Ähre:
Wie kommt es, daß dein Haupt so nach dem Boden nickt?
Mein Freund, versetzte der, dem Brüderchen zur Lehre,
Ich stünde freilich nicht so lief herab gebückt,
Wenn ich so leer, wie du, in meiner Stirne wäre.
Jost steigt am Hof empor und ist doch ungeschickt.
Der weise Lycidas lebt ohne Rang und Ehre.
Die Wünsche des Esels
Ein Esel wuchs heran, und sollte nun
Dem Gärtner, seinen Herren, Dienste tun;
Man packet eine ganze Herde
Von Frühlingsblumen ihm in Töpfen mit der Erde
An jedem Morgen auf, und treibet ihn
Damit zum nahen Städtchen hin.
"Das Frühjahr, seh' ich, macht uns Eseln viel Beschwerde.
O Sommer, komm doch bald!" — Er kommt; die Ruhe nicht.
Man gibt dem Grautier Kohl, Salat und Rüben
Zu schleppen. Schwerer, da die Sonne heißer sticht.
"Geduld! der Herbst macht dieser Qual ein Ende."
Ihr Knechte, ruft im Herbst der Gärtner, rührt die Hände!
Das Obst den Bäumen abgepflückt,
Und tücht'ge Lasten nach der Stadt geschickt.
"Ein neues Kreuz! Doch in den Wintertagen
Gibt mir gewiß die Erde nichts zu tragen.
O Winter, eil' herbei!" Der Winter schleicht heran.
Dem Knechte wird nun anbefohlen,
Des Tages zweimal Mist zu holen.
"Nun Mist? und zweimal gar? O Lenz, komm bald heran!"
Der Knabe wünschet sich zum Jüngling, der zum Mann;
Der Alte finge gern beim Knaben wieder an. —
Ramler's Fabellese
Das Eichhorn und
der Leopard
Auf einem Eichbaum sprang von Zweig zu Zweigen
Ein muntres Eichhorn hin und her,
Hinauf, hinab, die Kreuz und Quer:
Man weiß, Behendigkeit ist diesem Tierchen eigen.
Doch ach! jetzt springt es fehl und fällt
Auf einen Leopard, der Mittagsruhe hält.
Die Majestät erwacht, zürnt, reckt sich in die Höhe,
Und zeigt der Zähne fürchterliche Reih'n.
Das Eichhorn macht sich vor der Hoheit klein,
Fällt zitternd auf die Knie. Doch, wie es in der Nähe
Der Leopard beseh'n, spricht er: "Ich schenke dir
Das Leben, doch bedingt; das heißt, du sagest mir,
Warum ihr Dingerchen beständig hüpft und springet,
Und guter Laune seid, indes in meinem Reich
Mich Langeweile drückt?" — "Ja Herr, das will ich euch,
Weil ihr so gnädig mich empfinget,
Aufrichtig sagen. Doch wer die Wahrheit spricht,
Muß höher steh'n, als wer sie höret.
Darf ich den Baum hinauf, von dem ich fiel?" — "Wer wehret
Es dir? Steig' auf!" — Es tat's und sprach: "Mit Zuversicht
Kann ich von hier herab euch mein Geheimnis lehren.
Ihr möchtet gerne von mir hören,
Warum ich immer lustig bin: —
Die Unschuld gibt mir frohen Sinn;
Mein Wissen ist: nichts Böses wissen.
Herr, das untrügliche Rezept
Zur Heiterkeit, ein gut Gewissen,
Fehlt euch, weil euch mit Natterbissen
Das eure quält. Bei Tag und Nacht schleppt
Ihr euch mit dem Gefühl der Ungerechtigkeiten,
Die ihr begingt; der Grausamkeiten,
Die ihr verübt. Wie manches Reh zerreißt
Ihr, während ich zu meinen Brüdern eilte
Und eine Nuß mit ihnen teilte!
Ihr haßt; ich lieb'! In diesen Worten ist
Viel Sinn, viel Wahrheit; glaubt es nur.
Wie oft hört' ich in meiner Jugend
Aus meines Vaters Mund: Sohn, fließt dein Glück aus Tugend,
So wird dir Frohsinn zur Natur."
— — —
Die Taube und die
Schlange
Ein Täubchen saß auf einer Nelkenpflanze
Im Sonnenschein. Da regte sich der Strauch.
Es wand sich eine bunte Schlange hervor
Und sprach: "Ei, freuest du dich auch,
Mein Schwesterchen, der süßen Sonnenstrahlen,
Die unser Beider Hals mit gold'nem Schein
Und buntem Farbenglanz bemalen.
O komm, und laß im traulichen Verein
Uns dieses Nelkendufts erfreu'n!" —
"Ich, deine Schwester?" sprach die Taube —
"Du letzest dich am blut'gen Raube —
Wie könnten wir denn Freunde sein?" —
"O komm herab, und sieh und glaube!"
Antwortete die Schlange; "schaue
Nur hier meinen Nacken! Hat nicht die Natur ihn eben
So geschmückt, wie deinen? Sieh den Glanz,
Der rötlich schön aus unsern Augen funkelt!
Und den Rubin und Diamant verdunkelt;
Du bist der Luft und ich der Erde Kranz!
Der kleine Unterschied, daß du gen Himmel fleuchst." —
"Und daß," erwiderte die Taube,
"Du Gift in deinem Zahne trägst,
Dich tückisch unter Blumen legst,
Und mit dem Bauch im Staube kreuchst!"
Sie sprach's. Der Hals des Drachen quoll
Von Zorn und schwarzem Gifte;
Das Täubchen aber schwang im Flug
Sich fröhlich auf in's Reich der Lüfte.
Krummacher
Stimme der Turteltaube
Zwei junge Knaben gingen zu Wald,
Vöglein und Nester zu suchen.
Sie fanden ein Plätzchen, schaurig und still,
Im Dunkel junger Buchen,
Und in dem Dunkel war ein Nest,
Gebaut von harten Stäben!
Arm Vöglein! Vöglein! sagten sie,
Und standen voll Mitleid daneben.
Da hob ein brütendes Täubchen fein
Mit muntern und frischen Augen,
Das Köpflein aus dem Nest hervor,
Und sprach vom Baum herunter:
Denkt, liebe Knaben, denket doch nicht
Daß mir's so übel erginge!
Schaut meine Äugelein — bin ich denn nicht
Gar munter und fröhlicher Dinge?
Wenn mir die freundliche, liebe Natur
Solch schlechtes Bettlein gleich giebet,
So gab sie mir einen Gehilfen doch auch,
Der mich immer von Herzen geliebet!
Sie hat uns warmes Blut verliehn,
Und Herzen frei von Kummer,
Und hat sie ein weiches Bett uns versagt,
So fehlt's uns doch nimmer an Schlummer.
Die Schwalben
Wie sehr ändern Zeit und Umstände die Gesinnungen der
Menschen! Der Reichgewordene,
der Emporgestiegene denkt ganz anders, als zuvor der Arme
und Niedrige dachte.
Der festen Seelen, die sich selbst gleich bleiben, sind nur
wenige.
In eines armen Mannes Haus
Kam lange Zeit, von Jahr zu Jahr,
Zur Frühlingszeit ein Schwalbenpaar.
Mit Freuden nahm der arme Mann
Sie auf, und schlug ein Brettchen an,
Worauf sie sich ihr Nest erbauten,
Und frohen Muts herniederschauten.
Sie zogen fort. — — Der arme Mann
Ward unverhofft durch Erbschaft reich.
Da ward das alte Haus sogleich
Zerstöret und neu aufgeführt,
Mit Marmorsäulen ausgeziert.
— Das Schwalbenbrettchen riß man nieder;
Indessen kommt das Pärchen wieder,
Und zwitscherte sein Morgenlied.
"Fort!" rief der reiche Mann voll Wut;
"Vertilget mir die böse Brut!! —"
Schnell unsre zarten Vögel floh'n,
Und sangen noch im frohen Ton:
"Wir geh'n! Wo Lieb' und Frohsinn weilen,
Bedarf es nicht der Marmorsäulen."
Das Füllen
Ein Füllen, das die schwere Bürde
Des stolzen Reiters nie gefühlt,
Den blanken Zaum für eine Würde
Der zugerittnen Pferde hielt;
Dies Füllen lief nach allen Pferden,
Worauf es einen Mann erblickt,
Und wünschte bald ein Roß zu werden,
Das Sattel, Zaum und Reiter schmückt.
Wie selten kennt die Ehrbegierde
Das Glück, das sie zu wünschen pflegt!
Das Reitzeug, die gewünschte Zierde,
Wird diesem Füllen aufgelegt.
Man führt es streichelnd hin und wieder,
Daß sich's zum Zwang gewöhnen soll;
Stolz geht das Füllen auf und nieder,
Und stolz gefällt sich's selber wohl.
Es kam mit prahlenden Gebärden
Zurück in den verlaß'nen Stand,
Und machte wiehernd allen Pferden
Sein neu erhaltnes Glück bekannt.
"Ach!" sprach es zu dem nächsten Gaule:
"Mich lobten Alle, die mich sah'n:
Ein roter Zaum lief von dem Maule
Die schwarzen Mähnen stolz hinan."
Allein wie ging's am andern Tage?
Das Füllen kam betrübt zurück,
Und schwitzend sprach es: "Welche Plage
Macht mir mein eingebildet Glück!
Zwar dient der Zaum mich auszuputzen,
Er ist zu meines Reiters Nutzen
Und meiner Sklaverei erdacht."
* * *
Was wünscht man nicht in jungen Tagen?
Ein Glück, das in die Augen fällt;
Das Glück, ein glänzend Amt zu tragen,
Das Keiner doch zu spät erhält.
Man eilt vergnügt, es zu erreichen,
Und, seiner Freiheit ungetreu,
Strebt man nach stolzen Ehrenzeichen,
Und desto tiefrer Sklaverei.
Gellert
Die junge Fliege
Es sahen jüngst zwei junge Fliegen
Mit Gift vermischten Zucker liegen;
Gleich flog die Eine auf das Gift.
"Ach!" sprach die Ältere: "du kennst noch nicht die Tücke
Der Menschen — Schwesterchen! vom Zucker bleib' zurücke;
Damit dich nicht ein Unfall trifft;
Laß dich nicht durch den Schein verleiten!"
"Du irrst," antwortet sie, "mit Augen sollst du seh'n,
Wie sanft des Zuckers Süßigkeiten
Unschädlich mir zu Halse geh'n."
Drei Mal umsummte sie den leckerhaften Bissen,
Und drei Mal sagt ihr die Gefahr:
Mit deinem Tod wirst du bezahlen müssen,
Des Zuckers neuer Reiz bringt neue Sehnsucht dar!
Beherzt entreißt sie sich den Hindernissen,
Fliegt auf den Zucker, saugt und will entflieh'n:
Zu spät fühlt sie das Gift, tot fällt sie hin!
Pfeffel
Das Lämmchen
Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee,
Ging einst mit auf die Weide;
Mutwillig sprang es in dem Klee
Mit ausgelaß'ner Freude.
Hopp, hopp, ging's über Stock und Stein
Mit unvorsicht'gen Sprüngen;
"Kind," rief die Mutter, "Kind, halt ein,
Es wird, es muß mißlingen!"
Allein das Lämmchen hüpfte fort
Berg auf, Berg ab, in Freuden;
Doch endlich mußt's am Hügel dort
Für seinen Leichtsinn leiden.
Am Hügel lag ein großer Stein,
Den wollt' es überspringen;
Seht da, es springt und bricht ein Bein,
Aus war nun Lust und Springen.
* * *
Ihr lieben muntern Kinder schreibt
Es tief in eure Herzen:
Die Freuden, die man übertreibt,
Verwandeln sich in Schmerzen.
Bertuch
Die Fliegen
"Was mag wohl in der Schale sein?
Gift oder Zucker? Wer will's wagen,
Wer fliegt von uns zuerst hinein?"
Sprach eine Fliege zu der andern. — "Ich will's wagen,"
Rief eine. — "Welche Kost! Ich kann es euch nicht sagen,
Wie süß. Verlangt ihr es so gut, wie ich,
So fliegt herbei! Hier ist genug für euch und mich."
Sie taten's. — "Welch' Gericht! Das ist Ambrosia!"
So hieß es jetzt; bald aber hier und da:
"O weh! o weh! wie wird mir! Falsche, das ist Gift —
Du mordest uns, Verfluchte!" — "Flucht mir nicht! Mich
trifft
Ein gleiches Schicksal. Ach, daß keine sich
Mir widersetzte! keine klüger war als ich!"
Sie sprach's, fiel tot dahin; mit ihr der ganze Haufen. —
Man muß nicht mit Gefahr sich kurze Lust erkaufen!
Willamov
Die Wespen im
Honigtopfe
Ein Schwarm Wespen war in einen Honigtopf gekrochen und ließ
es sich allda wohlschmecken.
Doch jetzt, als sie wieder fort wollten, konnten sie nicht,
denn die zähe Süßigkeit hatte
Flügel und Füße unbrauchbar gemacht. Kläglich jammerten sie
nun über ihr nahes Ende.
Eine Einzige hatte sich vorsichtig am Rande gehalten,
weniger genossen, aber auch sich
nicht gefangen. — "Ihr dauert mich, Schwestern!" sprach sie,
indem sie fortflog, "aber ihr
hättet auch die Schwierigkeit des Herauskommens bedenken
sollen, ehe ihr so tief euch
hineinwagtet."
* * *
Der Weg zum sündhaften Vergnügen ist leicht; desto schwerer
fällt es, von ihm sich
loszureißen. Daran denke man vorher, denn nachher ist es zu
spät und fruchtlos.
Meißner
Die Jünglinge
"Laß uns", sagt ein Bach zum andern,
Lustig in die Täler wandern;
Blumenmatten, Wald und Lieder
Rufen uns zu sich hernieder!"
"Warte doch!" sprach der Geselle;
"Noch zu klein ist unsre Welle.
Du verlörest dich in Bälde
Auf dem breiten Sonnenfelde.
Birg dich vor den gier'gen Strahlen,
Stärke dich in Bergesgründen;
Doppelt wirst du dann in Talen
Freuden finden und verkünden!"
Doch, umsonst zurückgerufen,
Sprang von des Gebirges Stufen
Jener mit Gejauchz hinab
In sein Jugendfreuden-Grab.
Und der andre suchte Nahrung
In des tiefen Schachts Verwahrung.
Und es sprudelt seine Welle
Jetzo von des Berges Schwelle,
Heilsam Jedem, der begegnet,
Alle segnend, allgesegnet.
Fröhlich
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