Das Vergnügen und der Schmerz
Du Freundliche! wer bist du?" sprach der Mensch. —
"Vergnügen
Werd' ich genannt." — "Und du, aus dessen finstern Zügen
Verdruß und Trübsinn spricht?"
"Ich bin der Schmerz." — "Dich mag ich nicht;
Doch du, holdseliges Vergnügen,
Sollst mein sein, nimmer von mir geh'n!"
"Nein, guter Freund," versetzte das Vergnügen,
"Was du begehrst, kann nicht gescheh'n.
Wer mich verlangt, muß sich bequemen,
Auch meinen Nachbar aufzunehmen,
Den zum Gefährten mir der Himmel auserkor.
Seit uns des Schicksals Hand verbunden,
Hat man uns nie getrennt gefunden;
Bald folg' ich nach, bald geh' ich vor."
Willamov
Der Adler und die Schildkröte
Eine Schildkröte hatte den sonderbaren Einfall, fliegen zu
wollen. Oft bat sie den Adler um
Unterricht; immer stellte er ihr vor, daß dieser Wunsch ganz
der Vernunft und ihrer Natur
zuwider sei; doch je mehr er Schwierigkeiten machte, desto
hartnäckiger bestand sie darauf.
Endlich ihres Ungestüms müde, nahm er sie einst mit sich in
die Luft und ließ sie fallen,
als er ungefähr Turms hoch gekommen war. Der Erfolg
bestätigte seine Rede; denn sie
zerschmetterte, als sie hinab zur Erde kam.
* * *
Strebe nicht nach Dingen, die von der Natur selbst dir
untersagt sind;
Bemühungen dieser Art sind eine sträfliche Eitelkeit, die
zum Verderben führt.
Aesop
Der Wolf
Ein Wolf, der ein eingebildeter Gesell war, und mit Tieren
höheren Ranges Umgang haben
wollte, wünschte bei einem Feste, das der Löwe gab, zu
erscheinen; da man aber wußte,
daß er Aas fresse und darum als von niederer Kaste angesehen
wurde, so wollte er nicht
in seinem eigenen Gewande erscheinen. Er schlich deshalb
einigen Jägern nach, um sich
des Fells eines vornehmen Tieres, das sie etwa erlegen
möchten, zu bemächtigen, und
hielt sich für sehr glücklich, als er ein Büffelfell
erwischte.
Er zog alsbald diese Kleidung an, war, als er sich in einem
benachbarten Bache
betrachtete, ganz erfreut über seine Gestalt, stieß mit den
Hörnern umher und machte
manche lächerliche Sprünge. Als er es endlich für Zeit
hielt, dem Könige der Tiere seine
Aufwartung zu machen, begab er sich zu dem Festgelage. Als
er den königlichen Wald
betrat, erblickte ihn eine Meute Panther, die für den König
jagten und augenblicklich
riefen: was ist das? der Büffel gehört nicht zu uns; er ißt
nicht an unserer Tafel!
Büffelfleisch aber, rief ein Anderer, ist nicht zu
verachten, und wir erzeigen unserm Herrn
einen Gefallen, wenn wir ihn damit versehen!
So fielen sie über den verkappten Wolf her und rissen ihn in
Stücke.
Fabel der Hindus
Die Mücke
In freier Luft sich wiegend, sprach
Die kleine, zart gebaute Mücke
Hier stellt mir stets die Schwalbe nach;
Die schlingt in einem Augenblicke
Der Unsern tausend auf. Nein, nein! des Bauern Dach
Ist sicherer. Sie fliegt hinein, und sieht, es kleben
An jedem Balken Spinneweben,
In welchen dürre Mückenkörper schweben.
So schützt ihr Bauern euern Gast?
Fort, spricht sie, nach des Edelmanns Palast!
Schon summt sie in dem offnen Saale:
Der schöne Saal! wo meiner Sicherheit
Nicht Schwalbe und nicht Spinne dräut.
Der Abend kommt. Zum angestellten Mahle
Wird schon die Tafel aufgedeckt
Und der kristallne Kronenleuchter angesteckt.
Ha! ruft sie, welch' ein Glanz! Fliegt hin, versenget
Die Flügelchen, und seufzt, als sie am Wachse hänget:
In freier Luft, im niedern, Hüttchen drohten mir
Nur äußre Feinde, mich zu morden;
Ich Unbesonnene bin hier
Aus Lust zum Glanz mein eigner Feind geworden.
Ramler's
Fabellese
Hüttenreichtum
Goldgeschmückte Vögel wohnen
In der Palmen Schatten-Kronen;
Überfluß erfüllt ihr Haus,
Blüt' und Frucht Jahr ein und aus.
Und sie haben nichts zu tun,
Als vom Essen auszuruhn,
Als zu putzen sich, zu spiegeln
Und in Ästen sich zu wiegeln.
Also schau'n hinab sie stumm,
Köpfchen wiegend, voll Verachten
Auf die Hütten ringsherum,
Wo die Lerchen übernachten.
Doch aus schwarzem Grund hervor
Schwingen die mit frohen Psalmen
Weithin über alle Palmen
Sich zum blauen Himmelstor.
Fröhlich
Das
Grillchen und der Schmetterling
Ein armes Grillchen saß
Versteckt im hohen Gras,
Auf einem bunten Hügel.
Hier sah das kleine Ding
Den schönsten Schmetterling
Mit ausgespanntem Flügel
Im Pomp vorüberzieh'n.
Ein lichtes Farbenspiel
Von Gold, Ultramarin
Und Silber und Karmin
War sein Gewand; das Futter
Glich einer Perlenmutter.
Der wilde Stutzer wog
Sich in der Luft, und flog
Von Rosen und Narzissen
Und Lilien, und sog
Mit wonnetrunk'nen Küssen
Den Balsamnektar ein.
"Ach!" rief das Grillchen, "müssen
Die Herren ganz allein
Auf Erden glücklich sein?
Was immer reizt und blendet,
Das hat schon die Natur
Dem Gecken da verschwendet,
Und ich? Man sehe nur
Die traurige Figur,
Die ich zu Markte trage.
Auch war auf unsrer Flur
Nach mir noch keine Frage;
Kaum blickt man auf mich hin.
O, lieber gar begraben,
Als das sein, was ich bin."
So sprach die Siedlerin,
Als eine Rotte Knaben
Den Berg herunterging.
Sie sah'n den Schmetterling
Auf einer Tulpe naschen.
Husch lief der ganze Troß,
Den Harlekin zu haschen.
Hut, Schnupftuch, Mütze schoß
Auf ihn von jeder Seite
Und ach! der arme Tropf
Ward fliehend ihre Beute.
Hans faßte ihn am Schopf,
Fritz packt' ihn bei den Füßen,
Und kurz, er ward zerrissen.
Das Grillchen sah den Strauß
Von einer Wiesenblume;
"Ach!" rief es schaudernd aus —
"Wenn man beim eitlen Ruhme,
Zu glänzen, so viel wagt,
So hat mein Eigendünkel
Mit Unrecht sich beklagt.
Wie lieb wird nun mein Winkel
Mir sein! Wer sich erhebt,
Muß stets in Sorgen schweben;
Nur der kann glücklich leben,
Der im Verborgnen lebt."
Pfeffel
Niederes Los
Zu der niedern Trauerweide.
Grünend an dem klaren Bach,
Sagt die Pappel: "Wachs mir nach
Zu der Höhe stolzer Freude!"
Und die Weide sprach dawider:
"Pappel, neige dich hernieder
Zu des Baches frischen Wellen,
Wo mir solche Freuden quellen,
Die du droben nicht genossen:
Schau, wie hier die Blumen sprossen,
Und die Sterne sich erhellen!"
Fröhlich
Arm und reich
Winterwinde wie schneidig sie gehn,
Lustig hinter den Fenstern stehn
Tannenzweige im Sonnenschein,
Drunter und drüber Singvögelein.
Nachbarn auf dem beschneiten Baum,
Warm sich gebend im engen Raum,
Denken: "Genießet dort innen die Freuden;
Ach! sie schienen uns wohl zum Beneiden,
Sähen das eigene Glück wir nicht ein:
Täglich der Hülf' uns von oben zu freu'n,
Täglich ein Körnchen wieder zu finden,
Täglicher Not uns frisch zu entwinden,
Stark im Glauben der nahenden Zeit,
Da des Frühlings Unendlichkeit
Alle vergilt die bestandenen Leiden.
Kaum aber werdet, ihr drinnen, beneiden
Armer Vögelein Winterfreuden?"
Fröhlich
Der Hänfling
Ein Hänfling, den der erste Flug
Aus seiner Eltern Neste trug,
Hub an die Wälder zu beschauen,
Und wünschte sich hier anzubauen.
Ein edler Trieb! denn eigner Herd
Ist, sagt das Sprichwort, Goldes wert.
Der Eichbaum schien für ihn allein
Der Niederlassung wert zu sein.
Hier thron' ich, sprach er, wie mein König;
So hohe Nester gibt es wenig.
Allein als kaum der neue Sitz
Vollendet war, traf ihn der Blitz.
Es war ein Glück bei der Gefahr,
Daß unser Prinz im Hanfe war.
Er kam, sobald es ausgewittert,
Und fand die Eiche halb zersplittert.
Da sah er mit Bestürzung ein,
Er könne hier nicht sicher sein.
Mit umgekehrtem Eigensinn
Begab er sich zur Erde hin,
Und baut' im niedrigsten Gesträuche,
Scheu vor dem Mißgeschick der Eiche.
Doch bald gereut' ihn dieser Rat,
Als ihm das Vieh sein Nest zertrat.
Da baut' er sich das dritte Haus,
Und las ein dunkles Büschchen aus,
Fern von den Wolken in den Lüften,
Fern von den Herden in den Triften;
Ein Büschchen, das in Ruhe liegt,
Da lebt er noch, und lebt vergnügt.
* * *
Vergnügte Tage findet man,
Wenn man sie hier noch finden kann,
Nicht bei dem Thron, nicht in den Hütten.
Kannst du vom Himmel es erbitten,
So sei dein eigner Herr und Knecht.
Dies bleibt des Mittelstandes Recht.
Die beiden Maultiere
Zwei Maultier', eines mit des Amtmanns Kasse,
Das andre mit des Müllers Haber wohl bepackt,
Marschierten Einen Weg. Der Esel mit dem Fasse
Voll Münze trabte nach dem Takt,
Warf stolz den Kopf empor, ließ hell die Schellen klingen,
Und blickte triumphierend oft
Den Nachbar an, der still einherging. Plötzlich springen
Sechs Räuber aus dem Busch, die lang' auf Raub gehofft.
Dem Kassendiener wird die Barschaft angehalten,
Und, als er sich zur Wehre setzt, der Kopf gespalten;
Den Haberträger läßt man ruhig gehn.
Der ruft: Dank sei der Armut! ich bin ohne Wunden.
Schatzmeister! dir wär' auch kein Leid geschehn,
Hätt'st du beim Müller einen Dienst gefunden.
v. Wulfen
Die beiden Esel
Zwei Esel gingen einen Weg!
Der eine war mit Korn beladen,
Mit Gold der andere. Stolz und keck
Sah dieser über seinen Kameraden
Und seine magre Bürde weg
Er trug weit schwerer zwar; allein
Er hätt' um Vieles nicht erleichtert mögen sein.
Mit stolzem Gange, lauter Schelle
Schritt er einher: sein schweigender Geselle
Schlich hinten drein; als plötzlich auf das Geld
Ein Haufe gier'ger Räuber fällt,
Den Esel bei dem Zügel hält
Und, da er sich zur Wehre stellt,
Mit vielen Wunden ihn erleget.
Ist das (seufzt er im Sterbeton),
Ist das der mir versprochne Lohn?
Der Andre da, der keine Schätze träget,
Kommt mit der bloßen Furcht davon,
Entgeht den Räubern, dem Verderben,
Und ich muß bluten und muß sterben.
Mein Freund (versetzt sein Bruder hier),
Es ist nicht immer gut, ein hohes Amt bekleiden.
Wärst du, wie ich, ein schlichtes Müllertier,
Du würdest keine Schmerzen leiden.
Lafontaine
Der Adler und
der Schmetterling
Ein Sonnenadler, den sein Flug
Bis auf die höchsten Wolken trug,
Ward durch den Wald von tausend Zungen
Als aller Vögel Fürst besungen.
Lob zeugt den Neid; ein Schmetterling,
Ein kleines, aber stolzes Ding,
Vermaß sich ohne Scheu, dem Adler gleich zu fliegen,
Wo nicht ihm annoch obzusiegen.
Der Adler nahm den Wettstreit an,
Als man ihm solches kund getan,
Und ließ dem Molkendiebe sagen,
Es morgen früh mit ihm zu wagen.
Der Adler war schon lange da,
Eh' sein Bestreiter kam, der auf der kurzen Reise
Auf manches Blümchen flog, und da- und dorthin sah,
Nach aller Schmetterlinge Weise.
So kam er an, und gleich darauf
Erhob der Adler sich zu den saphirnen Höhen;
Der kleine Harlekin rafft sich nun gleichfalls auf,
Und läßt die bunten Flügel gehen.
Allein er war nicht weit, als schon ein Wirbel kam,
Der ihn vor aller Augen nahm,
Und rücklings mit herunter brachte.
Es war kein Vogel, der nicht lachte.
Von der
Katze, die bei Hofe speiste
Das Kätzchen einer armen Frau
War zu beklagen:
Es konnte manchmal kaum Miau
Vor Hunger sagen.
Einst trat daher, mit stolzem Blick,
Ein feister Kater.
"Potz tausend!" rief's, "was seid ihr dick,
Ihr alter Vater!
Ihr nährt euch besser, als ich hier
Im dunkeln Häuschen.
Wie selten, ach! erjag' ich mir
Ein dürres Mäuschen!
Sonst hab' ich noch, so alt ich bin,
Kein Fleisch genossen.
Euch aber ist wohl immerhin
Viel zugeflossen?"
"Ja!" sagte Heinz, "ich kann fürwahr
Mein Bäuchlein mästen.
Mich zählt der Hof das ganze Jahr
Zu seinen Gästen.
Ich schmause mit mehr Andern noch
Dort in der Küche.
Bisweilen donnert zwar der Koch
Gewalt'ge Flüche.
Doch uns erzittern nicht darob
Gleich Herz und Glieder.
Wir denken: Nu, der Mensch ist grob,
Und kommen wieder.
Ich will auch dich, du Jammerbild
Zum Schmaus hinführen,
Daß du nicht mehr nach Kammerwild
Darfst mühsam spüren."
Die Katze nahm ihn frisch beim Wort,
Und froh nicht wenig
Ging sie mit Vater Heinz sofort
Zu Tisch beim König.
Mehr Gäste standen schon bereit,
Was zu erhaschen;
Doch ließ man erst, aus Höflichkeit,
Die Fremde naschen.
Hui! schoß der Koch her, wie ein Pfeil,
Griff sie mit Schnaufen,
Stutzt ihr den Schwanz mit seinem Beil,
Und ließ sie laufen.
Noch auf der Gasse ging's ihr schlecht,
Da schrie Jan Hagel:
"Sieh, Leckermaul, du kamst mit Recht
Um deinen Zagel!"
Gewitzigt kehrte sie zurück
Zu ihren Mäusen,
Und rief: "Wie fährlich ist das Glück,
Bei Hof zu speisen!"
Langbein
Die
Schlacht der Wiesel und der Mäuse
Das Wiesel- und das Katzenvolk
Ist ein geschworner Feind der Mäuse;
Und wär'n die Pförtchen noch so eng,
Wodurch gar flink die Mäuslein schlüpfen,
Längst hätt' das Volk mit schlankem Bauch,
Sie, wie ich glaube, aufgeschmauset.
Einst, da sie war'n in großer Zahl,
Da sammelte der Mäusekönig
Ein gar gewalt'ges Kriegesheer
Von seinen tapfern Untertanen.
Die Wiesel waren auch nicht faul,
Und ließen wehen ihre Fahnen.
Und darf man trauen dem Gerücht,
So blieb der Kampf lang' unentschieden.
Begierig trank die Flur das Blut
Von mehr denn einer Kriegesschar.
Allein das schrecklichste Gemetzel
Erlitt das mächt'ge Mäuseheer.
Vollständig war die Niederlage,
Trotz ihrem tapfern Artarpax,
Und Psykarpax, Meridarpax,
Die ganz in Blut und Staub gehüllet
Dem Feinde boten lang' die Spitz'.
Nichts half ihr Mut ganz ohne gleichen,
Sie mußten doch dem Schicksal weichen:
Und siehe da, sie flohen all'
Soldaten, wie auch General';
Ja, selbst der tapfre Feldmarschall
Floh blitzschnell über Berg und Tal.
Die Großen wurden all' erschlagen,
Indes ohn' Müh' der niedre Troß
In seine Löcher sich verkroch.
Die Großen aber, deren Häupter
Mit Federbüschen war'n geziert,
Die stolz bis an die Wolken reichten,
Um zu bezeichnen Würd' und Rang,
Auch um das Wieselvolk zu schrecken,
Die fanden all' den Untergang:
Denn vor den Löchern und den Ritzen,
Da blieb der stolze Kopfschmuck sitzen.
* * *
So bringen Stolz und Eitelkeit
Uns oftmals in Verlegenheit.
Schon mancher Große hat sein Kleid,
Sein prächt'ges Ordensband bereut.
Der Niedere entwischt durch Ritzen,
Wo stets der Hohe bleibet sitzen.
Lafontaine
Der Elephant
Ein Elephant, dem man längst nachgestellt,
Da er manch' Reis- und Weizenfeld,
Wo er es nicht ganz' aufgezehret,
Durch seinen schweren Tritt verheeret
Fiel einst in einen tiefen Schacht,
Den man zum Fang schlau angebracht,
Indem man ihn auf's Künstlichste verstecket,
Und überall mit Strauch und Moos bedecket,
Hier wußt' er nicht, wie ihm geschah;
Denn, da er keinen Ausweg sah,
Und eingeschlossen aller Enden,
Konnt' er sich vorwärts nicht, nicht rückwärts wenden.
Was war zu tun? Sein Ungemach
Beseufzt er unter Weh und Ach!
Indes fiel eine Maus denselben Weg hinunter;
Doch raffte sie sich auf, und keck und munter
Lief sie die nächste Wand hinauf,
Und sah voll Mitleid auf den Elephanten nieder;
Er rief ihr nach: "O, glücklich Tier!
Du hebst dich leicht von deinem Falle wieder;
Wohl dir und wehe mir!
Denn stürzt ein Großer, unser einer,
Erhebt er sich so leicht nicht als du Kleiner!"
* * *
Beneide nicht die Großen dieser Welt!
Der Strauch hebt sich im Sturm, die Eiche liegt gefällt.
Christian Felix Weiße
Der Fischreiher
Am Ufer eines Bachs, auf einer Wiese ging
Ein Reiher ernsthaft hin, auf langen, dürren Beinen,
Mit langem Hals, woran ein langer Schnabel hing.
Des Baches Wasser floß auf harten Kieselsteinen,
Durchsichtiger als ein Kristall,
Bergab, mit angenehmem Schall,
Und stand dann wieder tief. Vom Himmel ohne Wolke
Fiel warmer Sonnenstrahl
Auf seine Fläche, drang zum kalten Wasservolke,
Lockt es herauf im Haufen ohne Zahl;
Es letzte sich, war guter Dinge
Und machte tausend krumme Sprünge
Am warmen Sonnenstrahl.
Herr Reiher, wie so faul? Du schnappest nicht einmal
Mit deinem langen Schnabel zu,
Und holst dir einen Hecht? du zauderst? wartest du
Auf einen Karpfen? Ei! wie wird es dich gereu'n:
Wenn du wirst wollen, wird nicht sein.
Wie ernsthaft stehet er! wie still!
Wie drehet er den Hals, den er nicht brauchen will!
Freund von gesunder Mäßigkeit,
Besinnt er sich, und denkt: Es ist noch Zeit.
Stets essen ist gemeiner Vögel Weise! —
Bald aber hungert ihn, und nun sieht er sich um
Nach Karpfen oder Hecht;
Allein verschwunden ist das ganze Fischgeschlecht.
Nur Schleie schwimmen noch; allein er ist nicht dumm,
Er hat Geschmack. Schlei ist zu schlechte Speise
Für eines Reihers Mund. Er läßt sie ziehn,
Und immer mehr noch hungert ihn.
Er geht vom Ufer ab und watet in den Bach.
Gründlinge trifft er an, fragt aber nichts darnach;
Er lässet sie in Frieden schwimmen, spricht:
Gründlinge frißt ein Reiher nicht.
Darnach den Schnabel aufzutun,
Das wäre Schimpf für einen Leckermund;
Er sagt es, und es geht, was Fisch ist, auf den Grund.
Nicht einer läßt sich seh'n. Ei, Leckermund, wie nun?
Nachdem er lang' umsonst gesuchet und geschnappt,
Wird mit genauer Not ein Frosch von ihm ertappt.
* * *
Nach großen Dingen nur zu trachten
Und Kleinigkeiten zu verachten,
Ist Torheit; darum spannet doch
Die Saiten, bitt' ich, nicht zu hoch,
Und seid mit dem, was euch beschieden,
Wenn es nur etwas ist, zufrieden.
Dies sag' ich Reihern nicht allein,
Auch Menschen kann es nützlich sein.
Lafontaine
Der Fuchs und der Adler
Es lebt aus Reinekens Geschlechte
Ein jung' und eitler Abkömmling,
Der oft mit mehrerm Glück als Rechte —
Der schnellen Hunde Spur entging.
Da lag er nun vor seinem Loche
Und lachte bei sich der Gefahr,
Der er noch in vergangner Woche
Durch einen Sprung entronnen war.
"Sagt," rief er, "Höfe, Wiesen, Ställe,
Ihr Zeugen meiner Tapferkeit,
Wer stiehlt wie ich? wer sieht so helle?
Wer läuft so schnell? wer riecht so weit?"
Vertieft in solchen Wunderdingen
Bemerkt er eines Adlers Flug,
Wie ihn mit ausgestreckten Schwingen
Das stille Meer der Lüfte trug.
"O könnt' ich fliegen, wie die Vögel!
Den Neid," so seufzt er, "macht ich stumm,
Euch aber kahl, ihr Bauernflegel;
Wie gern gäb' er ein Ohr darum!"
Jetzt legt ein Schuß den Adler nieder,
Der Fuchs nimmt es mit Schrecken wahr,
Zu fliegen wünscht er nimmer wieder,
Je höher Stand, je mehr Gefahr.
Lichtwer
Die Fahne und der
Teppich
Zu Bagdad im Palaste redet einst
Die Kriegesfahne so den Teppich an:
"Wir, Eines Herren Diener, ich und du,
Wie anders gar ist unser Dienst und Lohn!
Ich, matt von Zügen, und mit Staub bedeckt,
Bin ohne Rast und Ruh, auf Reisen stets,
Und allenthalben der Gefahr voran.
Du, fern von Wüsten, Staub, Gefahr und Müh,
Von Schlachten fern und von Belagerung.
Weilst hier am Hofe unter Jünglingen
Und Jungfrau'n, schöner als der schöne Mond,
Von Salben duftend, mir an Herrlichkeit
Und Ehre weit voran. Ich, in der Hand
Der Diener, jetzt der rauhen Winde Spiel,
Jetzt eingefesselt und dahin gestellt." —
Der weiche Teppich sprach: "Dagegen hebst
Du auch dein stolzes Haupt zu Sternen auf;
Ich liege hier zu meines Herren Fuß
Und bin als Sklave nur geehrt und reich.
Wer ehrsuchtvoll sein Haupt erhebet, der
Sucht in der Höhe selbst Gefahr und Sturm."
Herder (Nach d. Persischen)
Der irdene und
der eiserne Topf
Es ward einst Hänschen Irdenpott
Zu einer Reise eingeladen
Vom stolzen Herrn von Eisenpott.
Doch jener wähnt, es sei nur Spott,
Und spricht: Dank schönstens, Ihro Gnaden!
Für mich ist wohl nur Sicherheit
Allein auf diesem Feuerherde.
Denn, ach! die kleinste Kleinigkeit
Zertrümmert mich zu Staub und Erde;
Ich bin ein schwächlicher Gesell.
Doch Ihro Gnaden hartes Fell
Schützt Sie vor jeglicher Gefährde. —
Wir nehmen euch in unsern Schutz.
Wir bieten jedem Unfall Trutz,
Bewahren euch vor allem Schaden;
Denn zeigt sich irgendwo ein Stein,
Der eurer Haut verderblich wäre.
So springen Wir flugs zwischen ein;
Verlasset euch auf Uns, auf Ehre! —
Und Hänschen traut dem Ehrenmann,
Gesellet sich zum Panzermann,
Und flugs hebt auch die Reise an.
Da geht es auf drei Beinen hin;
Man wackelt hierher und dorthin,
Zum Sprechen ganz nach Lahmer Weise;
Es ist 'ne pudelnärr'sche Reise.
Und treffen sie auf einen Stein,
Da schwankt der Kopf, hebt sich das Bein,
Und Hänschen fühlt den Puff allein.
Fürwahr, noch sind's nicht hundert Schritt,
Paff, gibt es einen gnäd'gen Tritt.
Und Hänschen liegt in tausend Scherben.
Stürzt' er nicht selbst sich in's Verderben?
* * *
Drum bleibe hübsch bei deinesgleichen,
Sonst kannst du Hänschen auch wohl gleichen.
Lafontaine
Der Geist des Salomo
Ein ehrlicher Greis trug des Tages Last und Hitze, sein Feld
mit eigener Hand zu pflügen,
und mit eigener Hand den reinen Samen in den lockern Schoß
der willigen Erde zu streuen.
Auf einmal stand unter dem breiten Schatten einer Linde eine
göttliche Erscheinung vor
ihm da! Der Greis stutzte.
Ich bin Salomo! sagte mit vertraulicher Stimme das Phantom.
Was machst du hier, Alter?
Wenn du Salomo bist, versetzte der Alte, wie kannst du
fragen? Du schicktest mich in
meiner Jugend zu der Ameise; ich sah ihren Wandel, und
lernte von ihr fleißig sein und
sammeln. Was ich da lernte, das tue ich noch.
Du hast deine Lektion nur halb gelernt, versetzte der Geist.
Geh' noch einmal hin zur
Ameise und lerne nun auch von ihr in dem Winter deiner Jahre
ruhen, und des
Gesammelten genießen!
Lessing
Das Podagra und die
Spinne
Das Podagra und eine Spinne,
Geführt von ihrem Eigensinne,
Entschlossen sich die Welt zu sehn,
Und Abenteuern nachzugehn.
Sie trafen auf dem Weg' einander,
Und reiseten nunmehr selbander.
Ich dächte, sprach das Podagra,
Wir setzen nach dem Dorfe da
Zusammen unsre Reise fort;
Es scheint ein wohlgelegner Ort.
Der Spinne war das eben recht;
Sie kamen an das Dorf. Geschwächt
Vom Gehen, kraftlos und halb lahm
War unser Podagra, und nahm
So bald als möglich voll Begier
Beim ersten Bauer sein Quartier.
Die Spinne hält sich für gescheiter,
Und nimmt den Weg ein wenig weiter,
Bis zu des Edelmannes Haus.
Hier wählet sie den Saal sich aus,
Worin man mit der größten Pracht
Zu einem Gastmahl Anstalt macht.
Sie läuft zum Fenster. Dieses schien
Ihr sehr bequem ihr Netz zu ziehn.
Doch als es kaum gezogen war,
Nimmt eine Stubenmagd es wahr,
Die mit dem Besen drüber fährt,
Und unbarmherzig es zerstört.
Die Spinne hub von Neuem an
Zu weben, wie sie erst gethan.
Bald aber ward der Saal voll Damen
Und Herrn; auch viele Diener kamen.
Ein naseweiser Bursche sah
Der Spinne Netz: Was machst du da?
Rief er, und stieß voll Übermut
Quer durch ihr Fliegennetz den Hut.
Die Spinne ließ sich's nicht verdrießen;
Sie heftete mit muntern Füßen
Ihr hangend halb zerstörtes Nest
Zum dritten Mal am Rahmen fest.
Da trat ein junges Fräulein hin,
Und sah die schwarze Spinnerin
Am Fenster hangen, und schrie laut:
Ach, Herr Baron! mir graut! mir graut!
Und wies mit Schrecken auf die Spinne.
Kaum ward der Herr Baron sie inne,
So zog er als ein Held den Degen,
Fing an im Netz herumzufegen,
So daß mit Not die Spinn' entkam,
Und aus dem Saal den Abschied nahm.
Dem Podagra ging's eben so;
Es ward der Herberg wenig froh.
Nachdem es lange g'nug gesessen,
Sprach es: Ich möcht' ein wenig essen.
Der Bauer brachte trocken Brot,
Zu dem er ihm kalt Wasser bot.
Dies schien nach einer langen Reise
Dem Podagra sehr schlechte Speise;
Es aß nicht viel, trank kaum dazu,
Und sprach betrübt: Bringt mich zur Ruh.
Da gab der Bauer ihm zum Bette
Gar eine harte Lagerstätte,
Worauf ein wenig Stroh nur lag.
Es krümmte sich hier, bis der Tag
Im Osten an zu grauen fing,
Worauf es seufzend weiter ging.
Es traf die Spinne wieder an,
Die gar kein Auge zugetan;
Und alle beide klagten sich
Ihr Elend, und wie jämmerlich
Ein jedes die vergangne Nacht
Bei seinem Wirte zugebracht.
Ich seh', wohl, wo der Knoten sitzt,
Sprach drauf das Podagra: dir nützt
Zum Aufenthalte kein Palast;
So wie ich niemals Ruh und Rast
Bei schlechten Bauern finden kann.
Darum geh' du zum armen Mann,
Und ich will deinen Junker seh'n:
So soll das Ding weit besser geh'n.
Die Spinne war nicht unzufrieden
Mit diesem Vorschlag, und sie schieden,
So bald der Abend wieder kam.
Das Podagra voll Hoffnung nahm
Zum Schloß des Gutsherrn seinen Gang.
Mit welchem freudigen Empfang
Ward's hier vom Junker aufgenommen!
Kaum sah er es gehinket kommen,
So nahm er's höflich bei der Hand,
Führt's in sein Kabinett. Hier stand
Ein Kanapee mit vielen Kissen;
Er legt ihm drei davon zu Füßen,
Spricht: Ihre Gnaden fordern dreist,
Was Ihrem Gaum' willkommen heißt.
Drauf ruft er seine Diener her.
Man bringt den Tisch; der wird nicht leer
Von Tee, von Kaffee, von Orsade,
Von Chocolad', von Limonade.
Nun kommt der Mittag. Von der Menge
Der Schüsseln ward die Tafel enge.
Da kam französisches Ragout;
Ein lockrer Pudding kam dazu,
Und Rostbeef, nach der Briten Art;
Auch Austern, mit und ohne Bart;
Gebratne folgten, nach Gebrauch,
Und ein Kapaun mit Austern auch.
Noch kamen Austern in Pasteten.
Auch Fisch mit Austern bis zum Töten;
Dann schöne Braten von Fasan,
Vom Rebhuhn und vom Ortolan;
Kurz, alles was die Schmausewelt
Für echte Leckerbissen hält,
War so im Überflusse da,
Als irgend in Hammonia
(Hamburg)
Die Weine? ha! wer kann sie zählen?
Gewiß hier durfte keiner fehlen;
Und alle gingen trefflich ab,
Vom Mosler bis zum Wein vom Kap.
So daß das Podagra so gar
Gesättigt bis zum Ekel war.
Die Spinne trat zum armen Mann
Indessen auch die Wallfahrt an.
Sie fand bei ihm ein freies Leben;
Fing an zu haspeln und zu weben
Nach Herzenslust mit Füßen, Händen,
An Türen, Fenstern, Balken, Wänden;
Verfertigte manch' schönes Netz
Nach ihres Eigensinns Gesetz,
Bald rund, bald eckig, schmal und breit,
Mit vielen Strahlen, eng und weit,
Beherrschte so das ganze Haus,
Und niemand stört' und trieb sie aus.
Als beide Wanderer darauf
Von ungefähr nach Monds Verlauf
Sich wiedersehn, da rühmen beide,
Mit welcher nie genoßnen Freude
Ihr Leben nun versüßet sei.
Man bleibt forthin der Herberg treu,
Und wünscht sich Glück auf beiden Seiten.
Und so wohnt noch zu diesen Zeiten
Die Spinne bei den Armen gern,
Das Podagra bei großen Herrn.
Zachariä nach Burkard Waldis
Der Affe
Ein Affe dachte hin und her,
Es wär' doch besser, faselt er,
Wenn ich ein Mensch geworden wär'.
Da ließ ich Wasser Wasser sein,
Und speiste Braten, tränke Wein;
Da könnt' ich mich in Ruhe pflegen,
Den Kopf auf weiche Polster legen,
Und hätt' ich Ämter noch dabei,
Die wären für mich Spielerei
Und ich besorgte sie so nebenher.
Doch würd' auch dies für mich zu schwer,
So hielt' ich einen Sekretär;
Denn in der Welt kann alles geh'n,
Man muß den Vorteil nur versteh'n. —
Da ließ ich mich dem Volke seh'n!
Ich hätte Uhren, Ring und Degen
Und sechs Bediente meinetwegen.
Von silbernen und goldnen Tressen schwer,
Die gingen hinter ihrer Gnaden her.
Ich hielte Kutscher, Pferd und Wagen,
Und dürft' in meinen alten Tagen
Mich nicht mit müden Füßen plagen.
Und hätt' ich nun den Tag recht lustig zugebracht,
So könnt' ich jede Nacht
Mit wahrem fürstlichen Vergnügen
In meinen Eiderdunen liegen.
Potz Stern! das müßt' ein Leben sein!
Ihn höret Zeus, und fällt dem Affen ein:
Sei Mensch; und Mensch von hohem Range!
Nur komm mit keinen Klagen mehr;
Du findest künftig nicht Gehör.
Gedacht, geschehn! Es währete nicht lange,
Daß er das neue Glück genoß,
Und Wein wie Wasser in sich goß,
Da ward dem jungen Herren bange.
Es melden sich das Podagra,
Und hundert Schäden hie und da;
Bei Tage jammert er nach Ruh,
Des Nachts schloß er kein Auge zu.
Zeus, rief er, Zeus erbarm dich mein,
Und laß mich wieder Affe sein!
* * *
Wie oft tut ihr, ihr niedern Stände,
Den Wunsch, den dieser Affe tat.
O folget lieber gutem Rat,
Braucht eure Fuß' und eure Hände!
Und nie vertauscht um Ehr' und Gut
Zufriedenheit und frohen Mut.
|