Die zwei Sperlinge
In einem trocknen Mißjahre quälte der Hunger zwei Sperlinge
hart. — "Fliege noch einmal umher,
Bruder," sprach der Schwächste von ihnen, "und sieh dich um,
ob du irgendwo Nahrung
entdeckest. Ich flöge gern mit, aber ich kann nicht mehr.
Findest du Speise, so bringe auch mir
etwas mit. Aber nur bald, denn sonst hat der Hunger mich
getötet."
Der Stärkere versprach es und flog aus. Das Glück war ihm
günstig. Er sah einen Kirschbaum voll
reifer Früchte. "O," rief er aus, "geborgen ist nun mein
Freund und ich! flog hinzu, kostete,
fand die Kirschen vortrefflich, und stillte seinen Hunger
bis zum Übermaß.
Eine Stunde verfließt, die Sonne senkt sich zum Untergange.
Jetzt will er, mit einigen Kirschen
beladen, zu seinem Freunde zurückkehren. Aber er fühlt sich
noch selbst so matt; sieht immer
noch eine Kirsche, die ihn einladet; und so bleibt er, bis
er einschläft.
Erst am Morgen erwacht er wieder, und eilt zu seinem
verlassenen Freunde. Er findet ihn
— auf dem Rücken liegend, und tot.
* * *
Nichts sei dir heiliger, als die Erfüllung eines
Versprechens, zumal wenn es dem Notdürftigen erteilt
worden. Es vergißt sich im eignen Glück des andern Unglück
nur allzuleicht.
Nach Desbillons
Der Sonnenzeiger und die Glockenuhr
Zum Sonnenzeiger sprach die Glockenuhr:
"Ich bitte dich, mir doch die Stund' jetzt auzugeben!"
(Es war ein trüber Tag: auch sprach die Stolze nur,
Ihn zu erniedrigen, sich selber zu erheben.)
"Ich weiß sie nicht," versetzt der Zeiger ihr;
"Die Stunde sieht man nur an mir,
Wenn sich das Sonnenlicht am Himmel eingefunden."
"Du dauerst mich," fuhr jene fort.
"Was mich betrifft, ich bin an keinen Ort,
An keine Zeit und an kein Licht gebunden;
Ununterbrochen währt mein Lauf.
Zieht man in meinem Leib ein Rad des Morgens auf,
So zeig' ich, Tag und Nacht durch alle Stunden.
Auch zeig' ich nicht allein, ich schlag' auch; doch von dir
Hör' ich nicht einen Laut. Es scheint, du kannst nicht
zählen;
Nun höre mich: eins, zwei, drei, vier,
So viel ist's an der Zeit! nie wird der Ton mir fehlen."
Indem sie spricht, zerteilet sich sogleich
Der Wolkenschleier; alle Nebel fliehen,
Und Phöbus steht allein und strahlenreich
Am Himmel. Ährenfeld und Teich und Felsen glühen,
Der Zeiger weiset drei, ein Viertel noch dazu.
"Wie nun!" so spricht er, "zweifelst du,
Ob ich, vom Phöbus selbst belehrt, die Wahrheit sage?
Antworten kannst du zwar auf jede Frage;
Doch wer dir trauet, läuft Gefahr,
Daß er bald allzuviel, bald allzuwenig zählet.
Ich schweige, wenn mir Helle fehlet;
Ich rede selten, aber wahr."
v.
Nicolai
Der Affe
Kaum hatte noch des Schneiders Hand
Ein buntes komisches Gewand
Dem muntern Affen umgehangen,
So gab sein Rock ihm das Verlangen,
Sich in dem Spiegel zu beseh'n.
"In Wahrheit," sprach er, "ich bin schön!
So viel ich mir geschmeichelt habe,
So kann dem jungen Herrn der Rock nicht besser steh'n.
"Komm," rief er, "kleiner Edelknabe!
Wir müssen uns zugleich im Spiegel seh'n."
Er kam. Der Aff' erschrak, verzerrte das Gesicht,
Stieß an den Hut, und rückte die Perücke;
Und doch glich er dem Junker nicht!
Der Spiegel warf, was er empfing, zurücke:
Ein närrisch haariges Gesicht
In einer struppigen Perücke.
Der Junker lacht. "Pfui," hub der Äff' erbittert an,
"Pfui, Spiegel, wie du lügst! Was hab' ich dir getan?"
Der Spiegel läuft darauf von seinem Hauchen an,
Und zeigt jetzt keinen Affen weiter.
"Das dacht' ich," rief er sehr erfreut,
"Die Schuld liegt nicht an meiner Häßlichkeit;
Nein, junger Herr, der Spiegel war nicht heiter!"
Schon eilte Junker Fritz mit der Begebenheit,
Sie dem Magister zu erzählen;
Und diesem konnt' es gar nicht fehlen,
Mit einer glücklichen Moral
(Er war gelehrt) sie zu beseelen.
"Nun," sprach er, "setzen Sie einmal
Die Wahrheit an des Spiegels Stelle.
Sie zeigt den Toren Häßlichkeit;
Der Tor, der sich vor ihrem Lichte scheut,
Verhüllt sie d'rauf in Dunkelheit,
Und schmeichelt sich, sie sei nicht helle."
Gellert
Der Hund und die Katze
Zum alten Hofhund sprach des Hauses Katze:
"Komm, laß uns Freunde sein! Du gehest täglich
Zu Andern deines Volks. Verschmäh' nicht ferner
Die Hausgenossin; laßt uns traulich leben;
Gern will ich dir die Zeit durch Spiel verkürzen."
So sprach die Katze schmeichelnd; doch der Alte
Bewegte stumm sein ernstes Haupt, und streckte
Sich gähnend auf die Flur des Hauses nieder.
Und knurrend schlich mit aufgehobnem Schweife
Und rundem Rücken auf den leisen Tatzen
Die weiße Miez rings um den Hund, und sagte:
"So sprich doch auch zu mir ein freundlich Wörtchen!
Oft sah ich dich mit jungen Hündlein spielen;
Willst du die Hausgenossin denn verschmähend
Bin ich nicht weich wie Sammet und so reinlich,
Gleichwie ein Lamm, gewaschen in der Schwemme,
Gewandt und klug dabei? Nicht bloß die Mäuse,
Auch Tauben und Kaninchen kann ich jagen;
Ich will, mein Freund, dich pflegen und erwärmen,
Und jeden Raub getreulich mit dir teilen."
Da hob der Hund sein ernstes Haupt und sagte:
"Laß mich in Ruh', ich mag nicht deine Freundschaft,
Obwohl du dich so mancher Tugend rühmst!
Zwei Dinge sind mir ewig unausstehlich:
Heimtückisch birgt dein Fuß die scharfen Tatzen
Bis auf den Schlag, den du dem Feind versetzest,
Und wenn du schmeichelhaft den Schwanz erhebest,
Dann sinnt dein gierig Herz auf Blut und Tücke.
Entweihe nicht das Wort der Treu' und Freundschaft!
Wo Wahrheit fehlt, da kann sie nimmer wohnen."
So sprach der Hund und legte sich zur Ruhe.
Der Maulwurf
Zur hellen Mittagsstunde wagt
Ein Maulwurf sich aus seinen dunkeln Höhlen
An's Tageslicht herauf und sagt:
"Ich hörte ja so vielerlei erzählen
Vom Licht und seinem schönen Glanz,
Von Blumen und von bunten Farben,
Von Büschen, Bäumen, Weizengarben;
Ich traue dem doch nicht so ganz.
Der Hamster sagt, er hab' es selbst geseh'n,
Doch soll er mich nicht hintergeh'n;
Von weitem her hat man gut lügen.
Ich will mit eignen Augen seh'n."
Er watschelt fort, der weise Forscher, schaut
Mit eignen Augen: aber nicht vertraut
Mit dieser schönen Tageshelle,
Erkennt er vom Boden kaum die Stelle,
Die er mit seinem Körper deckt,
Und alles Andre bleibt ihm dunkel und versteckt,
Er kehrt in seine Finsternis zurück,
Und wünscht sich und den Seinen Glück,
Daß er die Wahrheit endlich doch entdeckt.
"Ich dacht' es längst, noch eh' ich dieses Mittel wählte:
Ein Märchen ist es, was man mir erzählte."
* * *
Wozu soll diese Fabel taugen?
Das, lieben Leute, weiß ich nicht.
Dies weiß ich wohl, man sieht nicht ohne Licht;
Und, wer da seh'n will — stärke seine Augen.
Karoline
Rudolphi
Der Fuchs und der Iltis
Einst hatt' ein Iltis eine Gans gefangen;
Er trug sie fort mit vieler Müh'.
In rechter Zeit kam Reineke gegangen.
"Ei, speisest du nun gar solch' grobes Federvieh?"
Sprach er den Räuber lächelnd an.
"Ich meinte, nur die zarte Taube
Sei deine Kost. Fürwahr, ich glaube,
Du hast zum Notbehelf den Schreier abgetan."
"Ja, wolltest du zwei Küchlein dafür geben,"
Begann der Iltis, "gäb' ich sie wohl hin."
"Freund, zwei? ich will dir fünfe geben,"
Rief Meister Fuchs, "so wahr ich ehrlich bin!"
Mit Freuden ward der Vorschlag angenommen,
Und Meister Fuchs — er soll noch wiederkommen.
* * *
Wer schnell, und mehr als du verlangst, verspricht,
Hat Lug im Herzen — trau' ihm nicht!
Krummacher
Der
Sturmvogel und die Schiffenden
Ein Schiff durchschnitt das blaue Meer; die Segel schwollen,
sanft spielten die Wellen um
den Kiel, Delphine scherzten, und vom fernen Eiland trugen
sanfte Lüfte die Düfte des
Zimmetwaldes herüber. Das Schiffsvolk hatte sich in den
milden Sonnenschein
hingestreckt; vom Verdeck tönten frohe Lieder zum köstlichen
Weine, leise plätscherten
die Wogen. Da setzte sich ein Sturmvogel auf das Steuer.
Ergrimmt sprach der Steuermann zu dem Unglückspropheten:
"Ungelegener hättest du
uns nicht kommen können; doch nicht uns, dir verkündest du
Gefahr."
In dem Augenblicke griff er nach der Büchse, zielte, und
warf den Vogel herab.
Doch dieser hatte noch so viel Kraft, Folgendes zu sagen:
"Ihr glaubt mit mir die
Wahrheit zu töten. Umsonst! es naht die ernste Stunde, und
euer Sträuben wird ihren
Lauf nicht aufhalten." Jetzt verschied er.
Nicht lange darauf stieg Gewölk auf, und die Flut schwoll
hoch empor, gejagt vom
Sturme. Ein Blitz zerriß den Mastbaum; Alle im Schiffe
riefen: "Wir sind verloren!"
Und das Schiff wurde vom Meere verschlungen.
* * *
Schon oft wähnten die Menschen, die Wahrheit zu vertilgen,
wenn sie die Verkündiger
derselben vertilgten; doch Wahrheit bleibt und ist ewig wie
Gott. Oft blühte sie aus der
Asche ihrer Propheten auf, und an ihrer Gestalt und an ihrem
Wohlgeruche ergötzen sich
noch die Völker des Erdbodens. Nur der Einfältige hält an
einem trüben Tage, wo die
Wolken den Himmel bedecken, die Sonne für verschwunden; über
Wolken und Stürmen
prangt sie in himmlischer Schönheit.
Der Rotkäfer und die
Biene
Der Rotkäfer sagte einst zur Biene: wenn du mich mitnähmest,
würde ich eben so guten,
und mehr Honig als du, machen. Die Biene willigte ein, aber
da der Käfer es ihr nicht
nachmachen konnte, stach sie ihn mit ihrem Stachel. Auf dem
Punkte, zu sterben, sagte
er zu sich selbst: gewiß, ich habe mein Schicksal verdient,
unfähig, selbst Pech zu
machen, warum wollte ich Honig bereiten?
Diese Fabel lehrt, daß viele Menschen sich viele Dinge
zuschreiben, in denen sie sich als
geschickt bezeichnen; aber kaum hat man sie auf die Probe
gestellt, so erkennt man,
daß sie lügen, und daß sie nach ihrem Verdienste belohnt
worden sind.
Lôkman
Die Äxte
Ein Zimmermann ließ seine Axt in einen tiefen Strom fallen,
und bat den Flußgott
inbrünstig, er möchte ihm, da er arm sei, wieder dazu
verhelfen. Der Flußgott war so
gnädig, stieg auf und brachte eine — goldne Axt zum
Vorschein.
"Das ist die meinige nicht!" sprach der Zimmermann ganz
gelassen. — Der Geist tauchte
von Neuem unter und langte eine silberne hervor.
"Auch diese gehört mir nicht!" sprach der Arme, und zum
dritten Male langte der Flußgott
eine Axt von Eisen mit einem hölzernen Stiele heraus. —
"Das ist die rechte! das ist sie!" rief der Arbeitsmann
fröhlich.
"Gut, ich sehe, du bist eben so wahrhaft und ehrlich, als
arm," sprach der mitleidige
Geist. "Zur Belohnung nimm alle drei mit!"
Diese Geschichte ward bald in der ganzen Gegend ruchbar. Ein
Schalk, der sie erfahren,
nahm sich vor, zu versuchen, ob auch gegen ihn der Flußgott
so mildtätig sein würde.
Er ließ seine Axt mit Willen in den Strom fallen, flehte zum
Flußgott, und hatte das
Vergnügen, ihn aufsteigen zu sehen. Er klagte ihm seinen
Verlust, und der Geist brachte,
wie vorhin, eine goldne Axt hervor.
"Ist sie das, mein Sohn?"
"Ja, ja! das ist sie!" antwortete der Lügner, und griff
schon darnach.
"Halt! Nichtswürdiger!" erschallte nun die Stimme des
erzürnten Geistes, "glaubst du
denjenigen zu hintergehen, der bis in's Innere deines
Herzens blicken kann? Zur Strafe
deines Lugs und Betrugs verliere auch dasjenige, was bisher
dein war!" Und ohne Axt
mußte er nach Hause wandern.
Gemeiniglich ist auch hier auf Erden schon unser eigener
Schaden die Folge unsrer Lügen.
Meißner nach Aesop
Der junge Löwe
und sein Vater
Ein junger Löw' von niedrigem Gemüte
Entehrte frühe schon sein königlich Geblüte.
Er dürstete nach Lob und Schmeichelei,
Gleichgültig, wer sein Freund und sein Bewundrer sei.
Bei Eseln war er gern und Schweinen,
Um dort als Präsident und König zu erscheinen.
Wie ging's? Er nahm den Gang der plumpen Esel an
Und schrie sein Aha-han, so roh man's schreien kann.
Nach einem derben Schmaus, im Taumel grober Freude
Wälzt auf dem Rücken er sich auf der nassen Weide.
Zum Esel ward er bald bis an ihr langes Ohr
In solcher Spießgesellen Chor.
Wollt' Ihro Herrlichkeit den edlen Kreis erfreuen,
Eh' noch ihr Witz den kühnen Sprung gewagt
Und einen platten Einfall ausgesagt,
Hört man die Esel schon ihr Bravo! Bravo! schreien.
Er grunzte künstlich wie ein Schwein
Und stürzte sich in Sumpf und Pfütz' hinein,
Und Schwein und Esel rief: "Ei, wie Ihr' Herrlichkeit
So trefflich grunzt, so liebreich Y-a schreit;
Wer schwöre nicht, er würd' vom Esel oder Schwein
Erzogen und gebildet sein?
Wo sollt' ein Löwe sonst in Pfützen wühlen lernen?
Wo labt ein Löwe sich an Disteln und an Dornen?"
Auf so viel Beifall stolz, berauscht von seinem Glück,
Kehrt an des Vaters Hof der junge Prinz zurück.
Er glaubte, seiner Kunst werd' sich der Hof erfreuen,
Und fängt erst an, sein Y-a herzuschreien,
Grunzt dann in dumpfem Ton natürlich wie ein Schwein,
Und springt darauf zum trübsten Sumpf hinein.
Der Vater Löwe fing sich an zu grämen
Und des geschickten Sohns zu schämen.
"Nein," ruft er, "du bist nicht mein Sohn!
Du schändest mein Geblüt, verwirkt hast du den Thron!
Aus deinen Sitten kenn' ich dein geführtes Leben;
Von Eseln, Schweinen nur warst du bisher umgeben."
"Ei," rief der junge Prinz, "geschätzt, geliebt war ich
Von allen Tieren, die mich näher kannten,
Die ihren König mich, ihr Vorbild, Muster nannten."
"Und darum," sprach der Löw', "veracht' ich dich.
Wen Esel nur und Schweine schätzen,
Der kann sich Löwen nie zur Seite setzen."
Nach Gay
Der Esel und das
Schwein
Ein Esel sprach: Nun! das befremdet mich!
Ich bin den Menschen lächerlich;
Kein Tier ist wohl verachteter als ich,
Und gleichwohl seh' ich nicht, weswegen.
Der Mensch muß es nicht überlegen.
Ich bin ein arbeitsames Tier,
Die Last kommt nicht von meinem Rücken;
Ja, man beladet mich fast über die Gebühr.
Auch weiß ich mit Geduld in Alles mich zu schicken.
Fällt unserm Knecht ein Gang nur ein,
So muß ich ihm anstatt des Pferdes sein.
Früh fängt es oft kaum an zu tagen,
So muß ich zum Verkauf die Gartenfrüchte tragen
Und die Verkäuferin dazu.
Zum Müller trag' ich das Getreide,
Und wenn ich hundert Wege tu',
Bedarf ich keiner fetten Weide.
Man braucht die Sorge nicht, ob mir die Mahlzeit schmeckt;
Denn Disteln selbst sind mein Konfekt.
Gewiß! an Mäßigkeit hab' ich nicht meines Gleichen,
Die Menschen tun nicht recht, daß sie mich so verschmähn.
Zwar muß ich an Gestalt dem Pferde freilich weichen
Und mir bewundernd nachzusehn,
Bleibt Niemand auf der Straße stehn.
So hab' ich, wie ich mir das selber nicht verhehle,
Auch keine Nachtigallenkehle.
Doch, wenn man nur gerecht mit mir verfährt,
Sind diese Fehler ja kaum des Erwähnens wert.
Bei Menschen dich zum Spott zu machen,
Reicht schon ein Fehler zu: antwortet ihm ein Schwein.
Wir mögen noch so nützlich sein,
So hindert sie das nicht, uns höhnisch zu verlachen,
Weil ich in Pfützen mich manchmal herumgewühlt,
So weißt du selbst, wie sie dem Namen, den ich führe,
Zu allen Zeiten mitgespielt.
Doch schmeck' ich ihnen gut. — Was klagen zwar wir Tiere?
Da seines Gleichen selbst kein Mensch zu schonen pflegt.
Die Menschen sind einmal zur Schmähsucht aufgelegt,
Und sie betrachten alle Leute
Allein von ihrer schlimmen Seite.
Schlegel
Der Specht und die
Taube
Der Specht und die Taube hatten den Pfau besucht. — Wie
gefiel dir heute unser Wirt? —
fragte der Specht auf dem Heimwege; — ist er nicht ein
widriges Geschöpf? Sein Stolz,
seine unförmlichen Füße, seine häßliche Stimme — sind sie
nicht unerträglich? —
Auf alles dieses — erwiderte die sanfte Taube, — hatte ich
keine Zeit zu sehen; denn ich
hatte genug an der Schönheit seines Kopfes, an den
herrlichen Farben seiner Federn, und
an seinem majestätischen Schweife zu bewundern.
Der Redliche blickt mehr auf die Tugenden, der Bösewicht auf
die Fehler seines Nächsten.
Desbillons
Die Gärtnerin und
die Biene
Eine kleine Biene flog
Emsig hin und her, und sog
Süßigkeit aus allen Blumen.
Bienchen, spricht die Gartnerin,
Die sie bei der Arbeit trifft,
Manche Blume hat doch Gift,
Und du saugst aus allen Blumen?
Ja, sagt sie zur Gärtnerin,
Ja, das Gift laß ich darin!
Gleim
Der Mann und das
Möpslein
Das kleine kläffende Möpslein hatte einen Mann angebellt,
und ihm nach der Wade geschnappt.
Ich bin sanftmütig, sagte der Mann, ich will dir nichts tun;
aber ich will dich ein ganz klein wenig
verleumden!
Das Hündchen ist toll! rief der Mann; nehme sich ein Jeder
um Gotteswillen in Acht!
Da huben die Leute ihre Stöcke auf, und schlugen das
Hündlein tot.
Das wirkt Verleumdung!
Die Schlange
In Afrika war eine Schlange,
Die alle Tier' ohn' Ursach' biß.
Und was sie biß. das trieb's nicht lange,
Die Wunde schwoll, es starb gewiß.
Dies ging ihr lange Zeit von statten,
Bis, da sie einst im Grase spielt,
Sie endlich ihren eignen Schatten
Für eine fremde Schlange hielt.
Da biß sie, weil sie es nicht wußte,
Mit einer solchen Wut nach sich,
Daß sie davon selbst sterben mußte;
Daran, Verleumder, spiegle dich.
Lichtwer
Der Löwe, der Fuchs und
der Wolf
Der Löwe ward alt und kränklich; alle Tiere kamen, ihn zu
besuchen; nur der Fuchs
verzog. Dies schien dem Wolfe eine erwünschte Gelegenheit zu
sein, seinem Feinde zu
schaden, und er versicherte den Monarchen: nur Stolz und
Neid halte Reineken zurück.
Noch bei Zeiten gewarnt und von dieser Anklage
benachrichtigt, erschien der Fuchs
sogleich. Er fand den Löwen äußerst aufgebracht, und kaum
konnte er sich das Gehör
eines Augenblicks verschaffen.
Daß ich nicht eher dir aufwartete, — sprach er dann, — daran
ist keine Vernachläßigung,
sondern die Mühe schuld, die ich Tag und Nacht mir gab, um
ein Mittel für Ew. Majestät
Unpäßlichkeit aufzufinden. Endlich gelang es mir mit einem,
das unfehlbar ist.
Und was wäre dieses? — fragte der Löwe zwar noch
verdrießlich, doch schon aufmerksam.
Wenn einem Wolf, — so sagt ein alter Arzt, der niemals log,
— wenn einem Wolf, noch
lebend, die Haut über den Kopf gezogen wird, so geneset der
Kranke, der in diese noch
warme Haut sich hüllt, auch von der schwersten Krankheit
unverzüglich.
Der Wolf, der mit Schadenfreude selbst zusehen wollen, wie
der Löwe seinen Feind
mißhandeln werde, las jetzt sogleich in den Mienen des
Monarchen, daß der Vorschlag
des Fuchses ihm nicht mißfalle und versuchte erschrocken
sich fortzuschleichen.
Doch der Fuchs und die königlichen Trabanten vertraten ihm
den Weg; sein Todesurteil
ward gesprochen. Der Fuchs selbst half es mit vollziehen,
und der schmerzlich sterbende
Wolf erkannte nun:
Daß Bosheit und Verleumdung oft seinem eigenen Erfinder den
Untergang bringt.
Aesop
Das junge
Huhn und der alte Fuchs
Ein junges unerfahrenes Huhn hatte sich, während es auf dem
Boden nach Gewürm und
Körnern scharrte, von dem Hühnerstalle, in dem es zur Welt
gekommen, nach und nach
so weit entfernt, daß es schon sehr spät war, als es seine
Unbedachtsamkeit bemerkte,
und eben wollte es wieder dahin zurückkehren, als ein alter
Fuchs ihm in den Weg trat.
Zitternd denkt schon das arme Hühnchen an seinen nahen Tod;
doch Herr Reineke, ihm
näher tretend, spricht: "Dein Erschrecken, liebes Kind,
wundert mich weiter gar nicht;
es ist dies die Schuld meiner Kameraden, jenes
Raubgesindels, dessen Blutdurst die Erde
mit Furcht und Schrecken erfüllt hat. Ich vermag nun zwar
nicht, ihre Sinnesart zu
ändern, suche aber durch meinen guten Rat das arme,
unschuldige Geflügel wenigstens
vor den räuberischen Angriffen derselben zu sichern. Mich
nur dann glücklich fühlend,
wenn ich Andern nützlich sein kann, wollte ich auch jetzt
nach deiner Behausung gehen,
um die Deinigen zu benachrichtigen, daß ein eben so
boshafter als schlauer Fuchs im
Sinne hat, euch zu überfallen. Ich komme zu eurem Schutz."
Das leichtgläubige Huhn führt den Schalk, so von ihm betört,
nach dem Hühnerstalle,
wo derselbe, nachdem jenes die wohlmeinende Absicht seines
Begleiters vorgebracht
hat, auch leicht Eintritt erhält; doch kaum ist er darin,
als er unter dem Hühnervolke ein
fürchterliches Blutbad anrichtet; ohne Unterschied des
Geschlechts und Alters wird Alles
von ihm erwürgt: Hähne, Hühner, Küchlein und Kapaun, alle
finden unter seinen gierigen
Zähnen den Tod.
* * *
Der Böseste unter deu Bösen ist der Heuchler.
Aus dem Französischen, nach Florian
Hier das Original!
La jeune Poule et le vieux Renard
Une poulette jeune et sans expérience,
En trottant, cloquetant, grattant,
Se trouva, je ne sais comment,
Fort loin du poulailler, berceau de son enfance.
Elle s'en aperçut qu'il étoit déja tard.
Comme elle y retournoit, voici qu'un vieux renard
A ses yeux troublés se présente.
La pauvre poulette tremblante
Recommanda son ame à Dieu.
Mais le renard, s'approchant d'elle,
Lui dit: Hélas! mademoiselle,
Votre frayeur m'étonne peu;
C'est la faute de mes confrères,
Gens de sac et de corde, infàmes ravisseurs.
Dont les appétits sanguinaires
Ont rempli la terre d'horreurs.
Je ne puis les changer, mais du moins je travaille
A préserver par mes conseils
L'innocente et foible volaille
Des attentats de mes pareils.
Je ne me trouve heureux qu'en me rendant utile;
Et j'allois de ce pas jusque dans votre asile
Pour avertir vos sceurs qu'il court un mauvais bruit,
Cest qu'un certain renard, méchant autant qu'habile
Doit vous attaquer cette nuit.
Je viens veiller pour vous. La crédule innocente
Vers le poulailler le conduit;
A peine est-il dans ce réduit,
Qu'il tue, étrangle, égorge, et sa griffe sanglante
Entasse les mourants sur la terre étendus,
Comme fit Diomède au quartier de Rhésus.
Il croqua tout, grandes, petites,
Coqs, poulets et chapons; tout périt sous ses dents.
La pire espèce de méchants
Est celle des vieux hypocrites.
Der Knabe und die
Eidechse
Ein Knabe ging zur Frühlingszeit im Walde,
Des neugebornen Lenzes sich zu freuen.
Entzückt beschaut' er Schmetterling und Blumen,
An ihrer Wohlgestalt sein Herz ergötzend.
Da regten sich des Brombeers welke Blätter,
Und sieh'! es schlich, geschmückt mir bunten Streifen,
Ein glatter Molch hervor aus dürrem Laube.
Der Knab' entwich dem bunten Tier zur Seite.
"Du schautest doch," begann das Tier zu reden,
"Die Blumen und die bunten Sommervögel
Mit Wohlgefallen; — sprich, weshalb entweichet
Dein scheuer Fuß vor mir? Bin ich denn minder
Des Lenzes Kind, nicht auch voll schöner Farben?"
Der Knabe sprach: "Die Blumen blüh'n und duften
In stiller Kraft, die Sommervögel schweben;
Du aber wohnst versteckt im Laub und schleichest; —
D'rum macht dein bunter Schuppenglanz mich bange;
Die Unschuld, mein' ich, trägt ein andres Wesen."
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