Der Hahn und der Fuchs
Ein Hahn hatte sehr lang auf erhabene Dinge sein Augenmerk
und Nachdenken gerichtet;
auf den Lauf der Wolken, auf den Glanz der Sonne und auf die
übrigen Körper des
Firmaments. Jetzt glaubte er nun mächtig viele Weisheit
erbeutet zu haben, setzte sich
auf einen Baum und krähte vor Freuden, so hell als er's
vermochte.
Bald stellt ein Fuchs sich ein, und fragte: worüber er sich
so vergnüge? Der Eitle teilte
seine sämtlichen Bemerkungen ihm mit: daß die Sonne nicht im
Meere untergehe; daß
der Mond nach bestimmten Gesetzen wachse und abnehme, und
andere dergleichen
Dinge mehr, die allerdings neu für das Hahnengeschlecht und
desto älter für das unsrige sind.
Schnell fing der Fuchs, gleichsam voll entzückten Muts, zu
tanzen an, und rief aus: ewig
sei es der schaffenden Natur verdankt, daß sie die Weisheit
auch uns Tieren gab, und sie
nicht allein dem stolzen Menschen vorbehielt. Vorzüglich du,
mein Hahn, vorzüglich du
machst, wie ich höre, allen unsern Geschlechtern Ehre. O
komm herab, daß ich dein
verständiges Haupt mit Ehrfurcht küssen kann!
Der Arme glaubt es und flog herab; aber kaum war er dem
Fuchs nahe gekommen, als er
schon dessen mörderischen Zahn in seinem Nacken fühlte.
Umsonst beklagt er sich. —
Es ist billig, spottete der Würger, daß der Strafe leide,
der den Lauf der Gestirne kennt
und den Lauf der Dinge auf Erden darüber vergißt; vergißt,
daß Schmeichelworte Wind
und wir Füchse Feinde des Hühnergeschlechtes sind. —
Die beiden Fliegen
Die Stechfliege
Was schwärmst du denn immer?
Unhöflicher Gast!
Du fällst hier im Zimmer
Entsetzlich zur Last!
Viel Unlust erleiden
Die Menschen durch dich.
Sei doch so bescheiden
Und sittsam, wie ich!
Die Brummfliege
O, bleib' mir zu Hause
Mit deiner Moral!
Was macht mein Gesause
Dem Menschen für Qual?
Ihm wär' es erfreulich,
Wenn du mir nur glich'st;
Du lebest so heilig,
So ehrbar, und — stichst!
Langbein
Der Adler und die
Schnecke
Der Adler
Wie find' ich dich, du träges Tier,
Auf diesem Eichenwipfel hier?
Wie kamst du her? — So rede doch!
Die Schnecke
Je nun, ich kroch!
* * *
Sein hohes Ehrenamt gewann
Nicht anders mancher Schneckenmann.
Langbein
Der Rabe und der Fuchs
1
Ein Stück vergiftet Fleisch, vom Gärtner für die Katzen
Des Nachbars hingeworfen, fand ein Rabe, faßt es
In seine Klauen, flog damit auf einen Eichbaum,
Die Beute zu verzehren, als ein Fuchs herbeischlich
Und rief: Sei mir gesegnet, würdiger Gesandter
Des großen Donnerers! — Für wen denn, fragt der Rabe,
Siehst du mich an? — Für wen? erwidert dieser, bist du
Denn nicht der wackre Sonnenadler, welcher täglich
Vom Throne Jupiters auf diesen Baum herabkommt?
Seh' ich denn nicht in deiner sieggewohnten Klaue
Die Gabe, welche mir dein Gott zu senden fortfährt?
Der Rabe freute sich, daß man für einen Adler
Ihn ansah, für der Vogel König und Zeus Liebling.
Ich muß den Fuchs nicht aus dem Irrtum bringen, dacht' er,
Und ließ großmütig dumm das Fleisch herunterfallen,
Und flog nun stolz davon. Der Fuchs fing boshaft lachend
Es auf und fraß es. Doch bald ward die Schadenfreude
In schmerzliches Gefühl verwandelt: denn nun wirkte
Das Gift und der Betrüger starb.
Verdammte
Schmeichler,
O daß ihr euch sonst nichts als Gift erloben möchtet!
Lessing
Die Toleranz
Der Adler hielt auf der bereiften Spitze
Des himmelhohen Kaukasus
Sein Parlament. Er legte seine Blitze
Voll Huld zu seines Thrones Fuß,
Und wog den Großen und dem Volke
Das Recht in gleichen Schalen aus.
Da fuhr, gleich einem Strahl aus einer Donnerwolke,
Ein Habicht in das Oberhaus.
Er hielt ein fremdes Tier in seinen Krallen:
Es war ein alter Kakadu,
Der Indostan verließ, um durch die Welt zu wallen.
Sieh, rief dem Schach der Schnapphahn zu,
Hier ist ein arger Wicht, der dir dein Erzamt raubet:
Ein Philosoph, der den Olymp zerstört,
Der keinen Zeus und keinen Pluto glaubet,
Und nur bei seinem Brama schwört.
Ja, was noch ärger ist, er macht sich ein Gewissen,
Die Kost, die meinen König nährt,
Das Fleisch der Tiere zu genießen:
Drum halt' ich ihn des Todes wert.
Da Zeus ihn leben läßt, so lass' auch ich ihn leben,
Versetzt der gute Schach, und winkt, ihn los zu geben.
Der Inquisitor platzte fast vor Wut;
Allein das Hofgesind, zumal die Papageien,
Der Virtuos' aus Kalekut,
Und die beredte Gänsebrut
Vergötterten in wilden Melodeien
Des Königs Toleranz und Edelmut.
Schweigt! rief der Potentat, und sah die bunte Herde
Der Schmeichler mit Verachtung an:
Ein Fürst, der nicht verfolgt, ist noch kein Gott der Erde,
Ist weiter nichts, als — kein Tyrann.
Pfeffel
Der Fuchz und der Rapp
Ein Fuchz hungern began,
Unter einen hohen Baum er kan,
Uf den ein rapp kam gepflogen
Mit einem Kes gezogen,
Den er geraubet hatte do;
Das was der Fuchz unmassen fro.
Do in der Fuchz erst an sach,
Mit glatten Worten er do sprach:
Got gruez dich lieber Herre min,
Uiwer diener wil ich sin.
Und iemer wesen niwer knecht,
Das dünkt mich billig unde recht.
Jo sind so edel und so rich,
Kein vogel mag sin uiwer glich
In allen Kuinierichen;
Ich wên uich (euch) muos entwichen
Der sperwer und das faelkelin,
Der habk und ouch des pfawe schin.
Sueß ist uiwer (eurer) kêlen schal,
Uiwer stim hoert man überal
In dem walt erklingen,
Wen ir geraten singen:
Des hab ich wol genomen war.
Der rapp sprach, das soll sin an alle var.
Er liez sin stim uus und sang,
Das es dur den walt erklang.
In dem gesang enpfiehl im do
Der kês; das wart der Fuchz vil fro
Des muost der rappe schamrot stân,
Darzuo muost er den schaden hân.
Boner
Der Rabe und der Fuchs
2
Herr Dummbart Rabe saß auf einem Baum,
Und hielt im Schnabel einen Käse.
Den Braten witterte Schelm Reineke kaum,
So schlich er zu ihm hin und sprach so ungefähr:
Ei guten Tag, mein bester Herr von Rabe!
Sie sind mir, traun, ein wunderschöner Herr!
Nie sah ich so viel Glanz, nie so viel Lieblichkeit.
Ja, gliche Ihr Gesang dem prächtigen Gefieder,
Sie wär'n, bei meiner Ehr', ich lüge nicht,
Der Phönix aller Sänger dieses Waldes. —
Das süße Wort dringt ihm durch Mark und Bein,
Er muß die schöne Stimme hören lassen,
Und sperrt den dicken Schnabel mächtig auf,
Hin fällt der Käse auf die Erde.
Flink hascht der Fuchs ihn auf, und spricht:
Ei, mein scharmanter Herr, Sie wissen wohl noch nicht,
Daß Schmeichler nur auf Kosten Andrer leben,
Besonders solcher Gimpel, so wie Sie.
Behalten Sie die Lehr'; Dank für den Käse!
Verblüfft und arg beschämt stand nun der Rabe da,
Und schwur, zu späte zwar ein wenig,
Nie sollt' ihn täuschen wieder so ein Schalk.
Lafontaine
Der Bettler und der
Hund
Ein alter Bettler flehte still
Um Brot vor einem Schloß;
Da sprang mit grimmigem Gebrüll
Der Hofhund auf ihn los.
"Was tut dir's," sprach der Greis, halbtot
An's Burgtor angeschmiegt,
"Wenn unser eins sein Stückchen Brot,
Das dir nichts kostet, kriegt?"
"Ich gönnte dir," sprach Mustapha,
"Dein Brot nicht? bist du toll?
Ei, eben darum bell ich ja,
Daß man dir's bringen soll."
* * *
Der Dogge, der am lautesten brüllt,
Ist oft das beste Tier.
Mehr, als ein süßer Schranze, gilt
Ein edler Murrkopf mir.
Pfeffel
Der Affe im Wasser
Ein Affe, welcher in Gefahr,
Im Meere zu ertrinken, war;
Rief kläglich mit gebrochnen Worten:
"Neptun errette doch den armen Morten!
Er will auch deinem Dienst sich weih'n.
Will dir zu Ehren sich kastei'n,
Nicht näschig mehr, nicht beißig sein.
Ach, wär's nicht um sein junges Leben Schade!"
So seufzt er angstvoll, und sogleich
Wirft eine Well' ihn an's Gestade.
Vergnügt ergreift er das Gesträuch,
Das von der Klipp' herunterhängt, und spricht:
"Neptun, bemühe dich nur nicht:
Jetzt kann sich Morten selber retten."
* * *
Man sagt uns nach, daß wir auf unsern Krankenbetten
So frommer Morten viele hätten.
Lieberkühn
Die Marder und die
Hühner
Die Marder, welche gehört hatten, daß die Hühner krank
seien, bekleideten sich mit
Pfauenhaut, um sie zu besuchen. Wir grüßen euch, o Hühner,
sagten sie zu ihnen.
Wie geht es mit euch und eurer Gesundheit? Diese erwiderten
ihnen: wir werden uns gut
befinden, wenn wir euch nicht mehr sehen werden.
Diese Fabel bezeichnet den, welcher Freundschaft heuchelt,
und den Haß im Herzen
trägt.
Lôkman
Der Fuchs und das
Eichhorn
Der Fuchs, ein Attila der Hähne
Und Hühner, war nunmehr betagt
Und schwach, verlor fast alle Zähne,
Und ward vom Podagra geplagt.
Ein wohl bewährtes Sprichwort sagt:
Der allerärgste Schelm auf Erden
Muß noch zuletzt ein Mucker werden:
Warum? ist hier die Frage nicht.
Genug, der alte Bösewicht
Begonnte seine Räubereien
Durch Seufzen, Fasten und Kasteien
Vor allen Tieren zu bereuen.
Mit tränenvollem Angesicht
Trat er nach den zermalmten Knochen
Von einem feisten Auerhahn.
Dem er nur erst vor wenig Wochen
Voll Grausamkeit den Hals gebrochen,
Andächtig eine Wallfahrt an.
Er wählte sich die rausten Stege,
Die man im Walde finden kann,
Und traf auf dem verwachs'nen Wege
Ein junges rasches Eichhorn an;
Das sah er mit vergnügten Sprüngen
Sich auf die höchsten Wipfel schwingen.
Und schnell erhebt sich in der Brust
Des Büßers eine fromme Lust
Sich an dem Tänzer zu erbauen,
Und in der Näh' ihm zuzuschauen.
Sei mir gegrüßet, lieber Sohn!
So sprach er in gebrochnem Ton:
Ich sehe mit vergnügtem Herzen
Dich so beglückt, so sorgenfrei
Des Lebens Gram von dannen scherzen.
Doch ich gestehe dir dabei,
Daß ich auf meinen Pilgerzügen
Vorlängst ein graues Eichhorn fand,
Das diese seltne Kunst zu fliegen
Weit besser noch als du verstand.
Der Vorwurf kränkte Mätzchens Ehre.
Ich denke, hub es spöttisch an,
Daß ich die Traub' erreichen kann,
Die viel zu hoch dem Fuchse wäre.
O! sprach der Alte, glaube mir,
Du kannst mit jenem Wundertier
Auf keine Weise dich vergleichen:
Es drückte fest die Augen zu,
Und konnte doch so flink als du
Die Wipfel weit entfernter Eichen
Mit einem sichern Sprung erreichen.
Ha! sprach das Eichhorn, armer Greis!
Das kann ich auch, so viel ich weiß.
Es schließt sogleich die Augenlider,
Nimmt einen ungemess'nen Satz,
Und stürzet auf den Rasenplatz
Vor unsers Fuchses Füße nieder,
Der plötzlich alle seine Kraft
Verräterisch zusammenrafft,
Den kühnen Springer bei dem Nacken
Mit scharfen Krallen anzupacken.
Das Eichhorn schrie: Barmherzigkeit!
Herr Fuchs! der Spaß geht allzuweit;
Sie tun als wollten Sie mich fressen.
Gemach! mein lieber kleiner Sohn,
Sprach Reineke mit bitterm Hohn:
Das Spaßen hab' ich längst vergessen;
Ich suche mir ein Abendessen.
Auf diesen freundlichen Bericht
Rief Mätzchen voller Angst und Grauen:
Ihr Götter, welch' ein Strafgericht
Gibt mich in dieses Heuchlers Klauen?
Jedoch ich schweig' und murre nicht.
Du aber bist ein Bösewicht:
Dich sah ich erst als Pilger wallen,
Ich hörte dein Gebet erschallen;
Und nun dankst du den Göttern nicht,
Die so viel Gutes dir erweisen
Und dich mit meinem Fleische speisen.
Ein Meister in der Heuchelei
Bleibt auch bei seinen Freveltaten
Dem Schein der Gottesfurcht getreu.
Der Falsche, den erhaltnen Braten
Hinab zu schlingen schon bereit,
Blickt jetzt voll Ernst und Heiligkeit
Nach des Olymps azurnen Kreisen,
Und faltet, um den Zeus zu preisen,
Der Pfoten blutgefärbtes Paar.
Das Eichhorn nimmt den Zeitpunkt wahr,
Und schneller als des Habichts Schwingen
Durch die zerteilten Lüfte dringen,
Erreicht es einen nahen Ast.
Froh sieht es unter tausend Fluchen
Den Feind in eine Höhle kriechen,
Und ruft ihm nach: Mein frommer Gast,
Willst du forthin ein Eichhorn speisen,
Mußt du nicht eh' die Götter preisen,
Als bis du es verzehret hast.
Pfeffel
Der Igel und der Dachs
Von seiner Lagerstatt vertrieben,
Durchzog ein Igel Feld und Wald
Nach einem neuen Aufenthalt;
Doch nirgend zeigte man Belieben,
Die Pflicht der Gastfreundschaft zu üben.
Er kam zuletzt an eines Dachses Bau,
Und bat, ihn darin aufzunehmen.
"Ich hoffe, Nachbar," sprach er schlau,
Du wirst das Volk umher beschämen,
Das mir, dem eine wilde Jagd
Sein Kämmerlein bis in den Grund zerstörte.
Hartherzig Dach und Fach versagt.
Ein Felsensinn, der mich empörte!
Braucht ich etwa viel Raum, dann wär's ein andrer Fall;
Allein sieh her, ich rolle mich bescheiden,
Daß ich kaum größer bin als eines Kindes Ball,
Und so kannst du mich wohl in einem Winkel leiden."
Er zog jetzt seine Stacheln ein,
Und kugelte sich möglichst klein.
Der Dachs, ein guter Tropf, sah diesem Gaukelspiele
Mit weiten Augen zu, und sagte: "Komm herein!
Ich habe zwar kein großes Haus, wie Viele,
Jedoch auch nicht ihr Herz von Stein."
Der Fremdling war zwei volle Stunden
Ein stiller, angenehmer Gast.
Er lag, als wär' er festgebunden,
Und fiel dem Wirte nicht zur Last.
Doch nun begann der tote Knäu'l zu leben;
Er streckte sich und seine Stacheln aus,
Verließ den Platz, den man ihm eingegeben,
Und streifte frech durch's ganze Haus.
Das mußte wohl den braven Dachs verdrießen;
Er liebte, wie bekannt, ein Schläfchen ungemein,
Und konnte dessen nicht genießen;
Drum bat er sanft, kein Störefried zu sein.
Beleidigt aber drang mit seinen scharfen Spießen
Der böse Schalk gewaltig auf ihn ein,
Verfolgte rasch von Schritt zu Schritte
Den unbehülflichen Patron,
Trieb ihn verwundet aus der Hütte,
Und nahm allein Besitz davon.
"O, welche schändliche Belohnung
Des guten Werks, das ich getan!"
Sprach zu sich selbst der Dachs und sah die werte Wohnung
Schwermütig mit dem Rücken an.
"Was fehlt dir, Freund? Hast du nicht ausgeschlafen?"
Fragt' ihn ein Fuchs, als Beide sich
Bald drauf im freien Felde trafen.
Der Dachs erzählte weinerlich,
Wie es dem tückischen Gesellen
Gelungen war, ihn um sein Haus zu prellen.
"Der Schurke!" rief der Fuchs; "er war zuvor bei mir
Und flehte kriechend um Quartier;
Ich aber schloß vor ihm bedächtig meinen Zwinger,
Denn er ist mir als Heuchler schon bekannt.
Mich warnte vor dem Unheilsbringer
Ein Sprichwort, das ich oft auf Menschenzungen fand.
Es lautet, wenn ich's recht verstand:
Gibt man den Schelmen einen Finger,
So nehmen sie die ganze Hand."
Langbein
Der Adler, die Sau und
die Katze
Einst baute sich der Vögel Königin
Ein Nest auf einen Eichenbaum.
Die Katze fand im hohlen Stamme Raum,
Die Bache lagerte sich an die Wurzel hin.
Sie lebten nachbarlich und still; es ward noch nie
Die Ruh' und Eintracht unterbrochen;
Doch falscher Argwohn störte sie.
Die Katze kam zum Adler hingekrochen,
Und sprach: "Hört! unser Kinder Tod,
Wo nicht der unsrige — doch das zu unterscheiden
Fällt Mutterherzen schwer — scheint gar nicht zu vermeiden.
Ein guter Freund warnt in der Not!
Seht nur, ich bitte, seht! wie wühlt die wilde Sau!
Sie gräbt, und will den Baum gern aus der Wurzel heben.
Trau, schau, wem! Wie muß ich arme Frau
An unsern Kindern das erleben!
Sobald die Eiche fällt, die schon beschädigt ist,
So seh' ich, wie die Sau die lieben Kätzchen frißt,
Die ich verlaßnes Weib, wer weiß, wie lange,
Wer weiß, ob heute nicht zum letzten Mal umfange!"
Nachdem sie dies gesagt, schleicht sie zur Bache hin.
"Ach allerliebste Nachbarin!
Euch ahnt's wohl nimmermehr, warum ich traurig bin?
Die Kinder jammern mich, die eure Brüste saugen.
Man traue keinen Adleraugen!
Könnt ihr auch schweigen? Gebt doch Acht,
Wie über uns der böse Vogel wacht!
Ich weiß, er schärfet schon die Klauen,
Und raubet, wenn ihr euch aus eurem Lager macht,
Die schönen Kinderchen! Doch alles im Vertrauen!
Nur sagt mir nicht hernach: das hätt' ich nicht gedacht!"
Nun wünscht sie seufzend gute Nacht,
Geht nächtlich aus, kehrt nächtlich in ihr Loch zurücke,
Und freut sich der gelung'nen Tücke.
Der Adler hütet stets das Nest,
Damit der Bache Zahn nicht seine Jungen spieße,
So wie die Sau den Eichbaum nicht verläßt,
Damit der Adler nicht auf ihre Ferkel schieße.
So groß nun Beider Mangel war,
So fürchteten sie doch der Ihrigen Gefahr;
Und da sie stets in ihrer Wohnung blieben,
So wurden sie von Durst und Hunger aufgerieben,
Und die Betrognen dienten bald
Dem falschen Katzenmaul zum neuen Unterhalt.
* * *
Was können böse Zungen nicht
Leichtgläubigen für Stacheln hinterlassen!
Wer lügt, wie jener Weise spricht,
Ist ärger als ein Dieb zu hassen.
Hagedorn
Der Auerochs, der Hund
und der Wolf
Ein Wolf jagt einen Hund. Man denke die Gefahr,
Worin der Flüchtling schwebt. — Er läuft mit schneller Eile
Zum Auerochsen hin, der in der Nähe war,
Und fleht mit Zuversicht, daß er ihm Schutz erteile.
Er wird erhört. Doch ihn verfolgt sein Feind
Und spricht: „Ich komme, Herr, dein einzig Kalb zu rächen,
Der Schnapphahn hat's erwürgt; ich sah es, ich, dein Freund,
Und den verwirkten Hals soll ihm kein Andrer brechen."
Schon brüllt der Auerochs voll Zorn
Und zeigt dem Hunde schon sein fürchterliches Horn.
Doch dieser wirft sich flehend nieder,
Beteuert hoch: ihm sei das rohe Fleisch zuwider —
Als drauf der Kläger ihm mit Zeugen droht,
Kommt unverletzt das junge Kalb gesprungen.
Den frechen Lügner trifft der Tod.
Den wünsch' ich allen Lästerzungen.
Hagedorn
Der Löwe und der Fuchs
Zum Löwen sprach der Fuchs: Ich muß
Dir endlich nur gestehen, mein Verdruß
Hat sonst kein Ende:
Der Esel spricht von dir nicht gut;
Er sagt: was ich an dir zu loben fände,
Das wiss' er nicht; dein Heldeumut
Sei zweifelhaft; du gäbst ihm keine Proben
Von Großmut und Gerechtigkeit;
Du würgetest die Unschuld, suchtest Streit;
Er könne dich nicht lieben und nicht loben.
Ein Weilchen schwieg der Löwe still;
Dann sprach er: Fuchs! er spreche, was er will;
Denn was von mir ein Esel spricht,
Das acht' ich nicht.
Gleim
Die Fledermaus
Die Fledermaus rief: O Wiesel!
Vor Ängsten ergreift mich ein Friesel.
Dein bin ich kein würdiger Schmaus,
Ich bin ja nicht Vogel, nur — Maus.
Großmütig sagte das Wiesel:
Die Mausart, wahrlich, ist neu;
Doch hab' ich kein Herz von Kiesel!
Und ließ die Fledermaus frei.
Die Fledermaus rief: O Schuhu,
Verschone mich, edelster Uhu!
Dein bin ich kein würdiger Schmaus.
Ich bin ja ein Vogel, nicht Maus.
Ei, sprach der Tyrann der Mäuse,
Die Vogelart ist mir neu;
Doch entflieg' aus unserem Kreise!
Und ließ die Fledermaus frei.
Die Fledermaus rief: O Katze!
Laß ab von mir seltenstem Schatze,
Dem Adler dien' ich zum Schmaus:
Zugleich bin ich Vogel und Maus. —
"Nein, Prahler, du sollst mir verderben,
Nicht umsonst hab' ich dich erzielt!
Auch möge Jeder so sterben,
Der zweierlei Rollen spielt!"
Johann Christoph Friedrich Haug
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