Fabelverzeichnis
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zu Buch 23
 

Sanftmut ist ein mildes Feuer,
Das erwärmt durch seine Glut.
Zorn ist Flamme, die verzehret,
Was sie faßt, mit blinder Wut.
 
XXII.
Sei sanftmütig! — Hüte dich vor Zorn! — Räche dich nicht!

 
Die beiden Ziegen
Der Hengst und die Wespe
Der Tiger, der Leopard und der Löwe
Sonne und Wind
Das geduldige Schaf
Die zwei Kaninchen
Das Pferd kommt in Dienstschaft
Das Schwein und die Biene
Der rachsüchtige Hund
Der Mann und das Vögelein
Der Landmann und das Vögelein
Der Knabe und die Biene
Der Bauer, sein Hund und die Schlange
Der Löwe und der Ziegenbock

Die beiden Ziegen

Zwei Ziegen begegneten sich mitten auf einem schmalen Stege, der über ein Wasser führte;
keine wollte weichen. Sie versuchten ihre Kräfte gegen einander, sie rannten mit den
Köpfen tüchtig zusammen, sie glitten aus und stürzten beide in's Wasser, wo sie umkamen.
O Nachgiebigkeit, wie viel Unheil könntest du verhüten!


Der Hengst und die Wespe

Eine kleine Wespe stach
Einen Hengst. Er schlug nach ihr;
Und die kleine Wespe sprach:
Hengstchen, schlag' doch nicht nach mir,
Sieh, ich sitz' an sichern, Orte,
Hengstchen sieh! du triffst mich nicht!
Hengstchen gibt ihr gute Worte.
Und die kleine Wespe spricht:
Sanftmut findet doch Gehör!
Sieh nun stech' ich dich nicht mehr!
                                                Gleim


Der Tiger, der Leopard und der Löwe

Der Tiger und der Leopard vereinten
Sich einst, den Löwen zu bestehn,
Und alle Tiere harreten und meinten,
Den Untergang des Löwenreichs zu sehn.
Der Kampf begann. — Die fürchterlichen Katzen
Bestürmten ihn mit blinder Wut;
Laut knirschte das Gebiß, es starreten die Tatzen,
Die Zungen dürsteten nach Blut.

Der Löwe stand; — sein ernster stiller Blick
Verkündete die Ruhe seiner Seele.
Die Feinde lagen mit zerschmettertem Genick;
Er aber ging in seine Höhle.
Seht, sprach ein Elephant, die feste Kraft
Verdient zu herrschen und zu siegen.
Dem Geist gebührt der Preis. Die Leidenschaft
Muß vor der Ruh' erliegen.

Sonne und Wind

Einst stritten sich Sonne und Wind: wer von ihnen beiden der Stärkere sei? Man ward
einig; derienige sollte dafür gelten, der einen Wanderer, den sie so eben vor sich sahen,
am ersten nötigen würde, seinen Mantel abzulegen.
Sogleich fing der Wind zu stürmen an. Regen und Hagelschauer unterstützten ihn.
Der arme Wanderer wehklagte; aber er wickelte sich immer fester und fester in seinen
Mantel ein und setzte seinen Weg fort, so gut er konnte.
Jetzt kam die Reihe an die Sonne. Senkrecht und kräftig ließ sie ihre Strahlen
herabfallen. Himmel und Erde wurden heiter; die Lüfte erwärmten sich. Der Wanderer
vermochte nicht länger seinen Mantel auf den Schultern zu leiden. Er warf ihn ab und
erquickte sich im Schatten eines Baumes, indes die Sonne sich ihres Sieges erfreute.

*   *   *

Zehnmal sicherer wirken Milde und Freundlichkeit, als Ungestüm und Strenge.
                                                                                                       Camerarius

Das geduldige Schaf

Ein Schäfchen war so niedlich,
Der holden Unschuld gleich;
Es war so sanft, so friedlich,
Das Fellchen seidenweich.
Des Pächters wilder Bube
Nahm, weil es ihm gefiel,
Es zu sich in die Stube,
Und trieb damit sein Spiel.
Doch bald des Spielens müde,
Fand er es nicht mehr schön;
Da ließ er es in Frieden
Zu seinem Hirten gehn.
Und als es bei der Herde
Nun aufgenommen ward,
Da fand es die Beschwerde
Von mancher Art nicht hart,
Es schien sich vor dem Scheren,
Wie andre, nicht zu scheun;
Denn frühe Leiden lehren
Dereinst geduldig sein.

Die zwei Kaninchen

Unter eines Kirschbaums Schatten
Hielten zwei Kaninchen Rast,
Zwei Kaninchen, Wirt und Gast,
Und, als sie geruhet hatten,
Scherzen sie im Gras herum,
Treten manches Blümchen krumm,
Das erst gestern aufgeblühet,
Hüpfen hin und hüpfen her,
Bis der Gast von ungefähr
Über sich was Fremdes stehet.

Gleich hebt er den Kopf empor,
Macht ein Männchen, spitzt das Ohr,
Und erblicket einen Schützen,
Zwar von Stein (das wußt' er nicht),
Der sein Rohr auf ihn gericht,
Um ihm auf den Pelz zu blitzen.
Unserm Häschen wird so heiß,
Daß es nicht zu bleiben weiß.

Endlich merkt das sein Geselle,
Freund, rief er, was soll das sein?
Jagt dir etwas Schrecken ein?
Freilich grauet meinem Felle
Vor dem Jäger, der dort liegt.

Ach! sprach jener, sei vergnügt,
Der hat keinen ausgerottet.
Wisse, dieser böse Mann,
Zielt so lang ich denken kann.

Zorn mit Ohnmacht wird verspottet.
                                       Lichtwer

Das Pferd kommt in Dienstschaft

Noch lebte das mutige Pferd in völliger Freiheit; denn dem Menschen war es noch nicht
eingefallen, es sich dienstbar zu machen. Es tummelte sich lustig und fröhlich auf seiner
fetten, mit Wald bekränzten Aue, lief aus Lust so schnell gegen den Wind, daß Mähne
und Schweif aufwehten, blieb an dem Rande des Waldes stehen, spitzte die Ohren, und
wieherte hell auf vor Freude, und meinte, es sei das mutigste und schönste unter allen Tieren.

Da trabte Horn, der Edelhirsch, mit mächtigem Geweihe aus dem Walde hervor, und
wollte dem Hochmut nicht länger zusehen. Im Hui hatte er dem Pferde einen solchen
Stoß versetzt, daß es bald umgestürzt wäre. Es lief eilig davon, aber noch eiliger
verfolgte es der Hirsch. Es war vergeblich, daß es mit seinen Hufen kräftig hinten
ausschlug; denn der gewandte Hirsch wich behende aus, und zerstieß grimmig Kopf und
Weichen des Pferdes, so daß es die Weide verlassen mußte.
Das Pferd wollte sich durchaus rächen, und klagte dem Menschen seinen Verdruß, und
bat ihn, sich mit dem Jagdspieß auf seinen Rücken zu setzen, den Hirsch zu verfolgen
und zu erlegen. Der Mensch war das zufrieden. Das Pferd mußte sich Zaum und Gebiß
anlegen lassen, und der Mensch machte sich Sporen von hartem Dorn, nahm Spieß und
Schwert und Bogen, und stieg auf.
Sie trafen den Hirsch am Bache, wo er sich sicher hielt; aber er hatte ein Paar Pfeile im
Rücken, fast eher noch, als er seine Feinde gewahr ward. Schnell begab er sich auf die
Flucht, hinein in den Wald, schnell aber waren auch Roß und Mann hinter ihm drein.
Der Hirsch blieb mit seinem Geweihe im Gesträuch hängen, und der Mensch erstach ihn
mit dem Spieß.
Da ward das Pferd froh, daß es seine Rache gestillt hatte, und bat nun den Menschen,
abzusteigen, und Zaum und Gebiß abzustreifen.
Nein! sagte der Mensch, so hurtig möchte es nicht wohl gehen. Es ist uns Alles ja gut
gelungen. Nun mußt du mir den Hirsch heimtragen, der für meine Freunde einen
köstlichen Braten geben soll. Dann mußt du mir die Mühle ziehen, daß ich Mehl zum
Backwerk bekomme; du sollst auch die Hülsen davon haben. Alsdann brauchen wir Holz
zum Kochen und Braten, das sollst du herbeiführen, und wenn die Gäste satt sind, mußt
du sie nach Hause tragen.
Da ward das Pferd wild und wollte den Reiter absetzen. Der aber riß es mit dem Gebiß so
gewaltig, stach es mit den Dornsporen so blutig, und schlug es mit dem Schwerte so
grimmig, daß es Mut und Sprache verlor.
Seit dieser Zeit ist das Pferd in der Knechtschaft des Menschen.
                                                                                 Nach Stesichorus von Himera

Das Schwein und die Biene

Ein Schwein ward von einer Biene gestochen. Voll Wut über diese Beleidigung brach es,
wie wahnwitzig, in den Bienengarten und warf zur Rache alle Bienenstöcke, die ihm
aufstießen, über den Haufen.
Aber eben diese Gewalttätigkeit reizte die ganzen übrigen Schwärme. Zu vielen
Tausenden fielen sie über dasselbe her, und mit unzähligen Wunden bedeckt rettete es
sich nur durch eine schnelle schimpfliche Flucht vor dem gewissen Tode.

*   *   *

Es ist ratsam, Beleidigungen gelassen zu ertragen. Denn eine blinde Rache verstärkt und
vervielfältigt nur unser Leiden.
                                                                                                        Nach Abstemins

Der rachsüchtige Hund

Schon seit der Schöpfung ist es keinem Tier erlaubt,
An seines Gleichen sich bis auf den Tod zu rächen.
Ein Wolf, der einen Wolf des Lebenslichts beraubt,
Begeht dem Tierrecht nach das schändlichste Verbrechen.

Einst hatt' ein böser Hund Streit mit zwei andern Hunden,
Und weil er sie zugleich für sich zu stark befunden,
Dacht' er auf Hinterlist (der Mensch hat auch die Art).
Den einen, dessen er am ersten mächtig ward,
Erwürgt er schlafend in der Nacht,
Vom andern bracht' er aus, daß er die Tat vollbracht,
So grausam war er in der Rache.
Auch schlief er selbst, und gab die Sache,
Gerichtlich an. Sein Feind ward plötzlich eingezogen.
Der Löwe, den der Mord zu großem Zorn bewogen,
Schrieb sich die Anklag' hinter's Ohr;
(Das war sein Protokoll;) und als nach wenig Stunden
Der ganze Schöppenstuhl sich bei ihm eingefunden,
So kam es zum Verhör. Man nahm den Täter vor:
Er leugnete die Tat. Der Kläger war zugegen,
Benannte Zeit und Ort, und wie der Mord geschehn,
Schwur bei des Löwen Mähn', er hab' es selbst gesehn:
Um durch den hohen Schwur die Richter zu bewegen,
Die Untersuchung abzubrechen.
Der Löwe rief: Verzieht! Wir laufen sonst Gefahr,
Das Urteil übereilt zu sprechen.
Ein Umstand ist hier noch nicht klar:
Du, Kläger, sagst, es sei der Mord bei Nacht geschehen;
Kann man denn wohl bei Nacht ein Ding recht deutlich sehen?
Der Kläger stutzte hier, besann sich, sprach darauf:
Der volle Mond ging eben auf.
Und du wirst untergehn, versetzt der Löw'; ihr wißt,
Ihr Räte, daß der Mond jetzt noch nicht sichtbar ist,
Laßt den Beklagten los, straft den an seiner Statt,
Der ihn so falsch beschuldigt hat.
Kaum war das Urteil ausgesprochen,
So war dem Lügner schon der freche Hals gebrochen.

Seit dieser Zeit entstand die Mode
(Und noch behalten sie die Hunde treulich bei),
Den guten Vollmond anzubellen,
Die vom Geschlecht des Lügners sind,
Verewigen den Haß von Kind zu Kindeskind,
Und wollen nächtlich noch den Mond zur Rede stellen,
Warum er damals nicht bei Nacht erschienen sei,
Als wär' er dadurch Schuld an ihres Ahnherrn Tod.
                                                    Ramler's Fabellese

Der Mann und das Vögelein

Ein Vogler fing ein Vögelein,
Das sprach zum Vogler: Sieh, wie klein,
Wie leicht ich bin! Was nütz' ich dir?
Laß mich zum Walde wiederkehren:
Aus Dankbarkeit will ich dafür
Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren.
Wohlan! laß sehn, versetzt der Mann,
Was mich ein Zeisig lehren kann.

Das Vögelein war herzlich froh,
Und sagte zu dem Vogler so:
Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann
Glaubt nur, was er begreifen kann,
Und grämet sich zu keiner Frist,
Um etwas, das unmöglich ist.

Ein rarer Spruch! versetzt der Mann,
Den sich ein Jeder sagen kann.
Wer glaubt wohl ungereimte Dinge?
Jedoch dein Wert ist so geringe,
Daß ich damit zufrieden bin;
So fliege denn nur wieder hin,
Du Närrchen! ich entlasse dich.

Das Vögelein, so bald es sich
Auf einen nahen Baum gesetzet,
Denkt, laßt uns sehen, ob der Mann,
Der meinen Spruch so wenig schätzet,
Nun auch die Probe halten kann;
O! fängt es zu dem Vogler an,
O! seht ihn doch den dummen Mann,
Den auch ein Zeisig äffen kann.
Denn wisse nur, mein Leib enthält
Das größte Kleinod von der Welt,
Den herrlichsten Karfunkelstein.
Zwei Tonnen Goldes waren dein,
Die hast du mit mir fliegen lassen.
Weg fliegt darauf das Vögelein;
Bald kommt es wieder, aufzupassen,
Ob sich der Mann hat lehren lassen.

Der flucht und schlägt sich vor die Stirn.
Mann! ruft es, hast du denn kein Hirn?
Geht wohl ein großer Edelstein
So leicht in meinen Schlund hinein,
Als Saat von Mohn, von Hanf, von Rüben?
Du warst zu gierig, lieber Mann,
Sonst wärst du bei Vernunft geblieben.
Nimm immer noch ein Sprüchlein an:
Begier macht blind, und Wünsche trügen.
Nun geh'! und ich will weiter fliegen.
                                  Ramler's Fabellese

Der Landmann und das Vögelein

Ein Landmann hatte einen Garten,
Er pflegte Tulpen drin zu warten,
Zypressen, Rosen, Oleander,
Orangen, Äpfel durcheinander;
Narzissen taumelten vor Lust
Jasminen sinkend an die Brust,
Von allen Ästen scholl Gesang
Fortführend den Verstand entlang.
Der Herr des Gartens war lebendig
Wie Elephanten vielverständig.
Das Wasser strömt in allen Ecken,
Den Seelen Labung zu entdecken.

Er ging vorbei am Frühlingshain,
Da sah er drin ein Vögelein,
Das streckte Schnabel aus und Klauen
Nach Allem, was es konnte schauen.
Es rafft zusammen, frisch und froh,
Was immer da lag, reif und roh.
Der Landmann zornig so auffährt,
Daß Glut des Zorns die Welt verzehrt.
Er spannt das Netz, wirft Korn hinein.
Es ging in's Netz das Vögelein:
Der Mann gleich einem Diwe sprang,
Weil, was er wünschte, ihm gelang,
Warf weg das Netz, und zog die Klinge,
Dein letztes Lied, o Vogel, singe!
Das Vögelein sprach jämmerlich:
O guter Mann, Gott hüte dich!
Was treibt dich denn zu diesem Werke?
Du mehrst durch mich nicht deine Stärke,
Laß ab von dieser blut'gen Tat,
Ich gebe dir dreifachen Rat:
Zuerst bekümmre du dich nicht,
Wenn Jemand, was nicht möglich, spricht;
Für's zweite mach nicht böses Blut,
Wenn du verloren hast ein Gut,
Und drittens rat ich dir aus Gründen,
Du suche nicht, was nicht zu finden.
Willst du nicht Leiden geben Platz,
So sei dir dieser Rach ein Schatz.

Der Mann wollt' jetzt großmütig sein,
Er machte frei das Vogelein,
Es flog aus seiner Hand vergnügt,
Dem Pfeil gleich, der vom Bogen fliegt;
Es setzte sich auf einen Ast,
Und sprach zum Manne wohlgefaßt:
Weißt du, was du verloren hast,
Weißt, wer gewesen ist dein Gast?
Begraben liegt im Magen mein
Groß wie ein Ei ein Edelstein.
Ich seh', dir will nicht das Geschick,
Du hättest sonst gemacht dein Glück.

Den Mann die Reue nun ankam,
Die Freude war verkehrt in Gram.
Er sinnt auf neuen Trug und List,
Weil er nach Gold begierig ist.
Er sprach zum Vogel: Laß dies sein,
Du bist mehr wert als Edelstein,
Komm, sei mein Gast beim Festgelage,
Erfrische meines Lebens Tage.
Du sollst an meinem Herzen ruh'n,
Ich will dir ja kein Leid antun.
Es lacht das Vögelein als Sieger,
Und spricht: O törichter Betrüger!
Bevor ich dir geraten gut,
War unverweigert dir mein Blut.
Da du den Rat von mir vernommen,
Was soll ich weiter dir noch frommen.
Riet ich dir nicht aus guten Gründen:
"Du suche nicht, was nicht zu finden."
Was wolltest du denn meinen Rat,
Wenn er nicht nützet dir zur Tat.
Wie bärge denn ein Vögelein
Den eiergroßen Edelstein?
Ein Vogel leget Eier frei,
Was nützt im Magen ihm das Ei!
Hast du bedenket nicht hernach,
Es ist unmöglich, was ich sprach.
Und wenn verloren ist das Gut,
Was machest du dir böses Blut?
Damit dir's so nicht mag ergehen,
Soll nicht dein Sinn nach Reichtum stehen.
                      Aus dem Persischen des Ferchani

Der Knabe und die Biene

In eine Blume war ein Bienchen einst gekrochen.
Die Blume pflückte sich ein Kind in einen Strauß,
Und trieb mit Ungestüm den kleinen Gast heraus.
"So herrisch?" rief das Bienchen zürnend aus.
"Vermutlich wardst du nie gestochen?
Du sahst doch wohl, daß ich auf diese Blume flog,
Und ruhig meinen Honig sog?
Denkst du vielleicht, ich sei zu klein,
Dich, kleiner Mensch, zu strafen? Nein,
So klein ich bin, so soll dich's reu'n!"
So sprach sie, und den Augenblick
War's auch gescheh'n. Doch, ach der Stachel blieb zurück.
Drum starb sie und erfuhr zu spät: daß, wer gern Rache
An Andern übt, sich selber elend mache.
                                                         Bremische Beiträge

Der Bauer, sein Hund und die Schlange


Ein Bauer, der auf den Markt gehen mußte, ließ sein kleines Kind ganz allein daheim in
der Wiege liegen, und übertrug einem treuen Hunde die Bewachung desselben.
Kaum war der Bauer fort, so schlich sich eine Schlange an die Wiege, umflocht den
Knaben und wollte ihn töten, als schnell der Hund herbeisprang und den giftigen Wurm
entzwei biß.
Aber eben bei diesem Kampfe schlug die Wiege um; der Landmann, als er heimkam, sah
beim ersten Tritt in's Zimmer diese Zerstörung, diese umgestürzte Wiege und unweit
davon den Hund Mit noch blutigem Munde.
Ein jäher Zorn übermannte ihn bei diesem Anblick. — Elender! — rief er dem Hunde zu,
— du solltest der Hüter sein, und bist ein Mörder geworden! — Eine Axt fiel ihm von
ungefähr in die Hände. Er nahm sie und erschlug den Hund.
Aber wie erstaunte er, als er die Wiege aufhob und unter ihr sein schon beweintes Kind
unbeschädigt, wohl aber neben ihm die getötete Schlange fand. Jetzt sah er erst ein,
was indes vorgegangen sein könnte; jetzt bereuete er zu tausendmalen, aber vergebens,
den Mord, den er an seinem treuesten Freunde und Diener begangen hatte.

Hüte dich vor Jähzorn! Was du in ihm tust, kann dir oft äußerst gerecht und äußerst
nützlich dünken, und dessen ungeachtet höchst unbillig und höchst schädlich sein.
                                                                                                            Orientalisch

Der Löwe und der Ziegenbock


Der Löwe war nicht aufgeräumt,
Und hatt' ihm nicht vom Alp geträumt,
So war ihm sonst was widerfahren,
Der Fuchs und Bär verkrochen sich,
Weil sie dabei gemeiniglich
Des Lebens nicht gesichert waren.
Es hörte damals ganz allein
Der Geißbock ohne sich zu scheun
Den Löwen poltern, schmälen, wittern,
Da war kein Fluch, er mußte dran,
Da sollte stracks vor seinem Zahn
Der Wald und alle Tiere zittern.

Nachdem er sich recht satt geflucht,
So wandt' er seine Donnerstimme
Zum Bock und fragt im halben Grimme,
Weswegen er ihn jetzt besucht?
Der arme Geißbock war zur Stunde
Mit einer guten Antwort da,
Sie hatte Not und Recht zum Grunde;
Doch da hieraus der Wütrich sah,
Daß dieses nichts verfangen wollte,
So sprang er jählings auf ihn zu,
Und schrie, als ob er bersten sollte,
Du Bösewicht, du Bube du!
Wie hast du dir das Herz genommen,
Mit einem Bart zu uns zu kommen,
Da du schon längst berichtet bist,
Daß uns ein Bart zuwider ist?
O himmelschreiendes Verbrechen!
So große Bosheit muß ich rächen,
Was? einen Bart? das ist zu viel!
Der Tod des Bocks beschloß das Spiel.

Des Narren Zorn entbrennt noch mehr,
Wenn er nichts hat, ihn anzublasen,
Und bloß darüber raset er,
Daß er nicht Ursach' hat, zu rasen.
                                              Lichtwer