Fabelverzeichnis
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zu Buch 24
 

Wer And'rer Glück mit Neid betrachtet,
Sich über And'rer Unglück freut:
Der ist nicht wert, daß seinen Tagen
Der Himmel eine Freude beut!
 
XXIII.
Sei nicht neidisch und schadenfroh!

 
Die eherne Bildsäule
Das Johanniswürmchen
Der Hund und die Kuh
Das Veilchen und die Rose
Mylord und Spitz
Der Schwan und die Krähen
Der Apfelbaum und der Nelkenstock
Der Fuchs ohne Schwanz
Der Tanzbär
Der Hühnerhund
Der Kettenhund und der Pfau

 
Die Schafe und ihr Herr
Die Weide und der Dornstrauch
Der Esel, der Rabe und der Hirt
Bestrafte Schadenfreude
Der Hase und das Rebhuhn

 

Die eherne Bildsäule

Die eherne Bildsäule eines vortrefflichen Künstlers schmolz durch die Hitze einer
wütenden Feuersbrunst in einen Klumpen. Dieser Klumpen kam einem anderen Künstler
in die Hände, und durch seine Geschicklichkeit verfertigte er eine neue Bildsäule daraus;
von der erstern in dem, was sie vorstellte, unterschieden, an Geschmack und Schönheit
aber ihr gleich.
Der Neid sah es und knirschte. Endlich besann er sich auf einen armseligen Trost.
"Der gute Mann würde dieses noch ganz erträgliche Stück auch nicht hervorgebracht
haben, wenn ihm nicht die Materie der alten Bildsäule dabei zu statten gekommen wäre!"
                                                                                                            Lessing


Das Johanniswürmchen

Ein Johanniswürmchen saß,
Seines Demantscheins
Unbewußt, im weichen Gras
Eines Eichenhains.

Leise schlich aus faulem Moos
Sich ein Ungetüm,
Eine Kröte, her und schoß
All' ihr Gift nach ihm.
"Ach! was hab' ich dir getan?"
Rief der Wurm ihr zu.
"Ei!" fuhr ihn das Untier an,
"Warum glänzest du?"
                                  Pfeffel

Der Hund und die Kuh

Ein Spitz hielt Mittagsruh
Auf einem weichen Bunde
Von Grummet. Eine Kuh
Schlich, hungrig, sich hinzu.
Kaum zeigt sie sich dem Hunde,
So bellt er wild sie an.
Und wehrt ihr, sich zu nah'n.
"Das Heu kann dich nicht nähren,"
Sprach sie voll Traurigkeit,
"Und mir willst du es wehren?"
Wie häßlich ist der Neid!
                                    Pfeffel

Das Veilchen und die Rose

Ein Veilchen stand verborgen da
Auf einem Blumenbeete,
Und eine Rose war ihm nah,
Schön, wie die Morgenröte.

"Du kleine Niedliche," sprach sie,
"Warum so tief gebücket?
Was die Natur dir mild verlieh,
Dein Wohlgeruch entzücket.

Du ahnest diesen Vorzug kaum
Vor mancher stolzen Blume;
Gib nicht dem finstern Neide Raum
Bei deren Lob und Ruhme."

Das Veilchen lächelt sanft und spricht:
"Ich suche nicht zu glänzen;
Mir gnügt's, wenn mich ein Mädchen bricht,
Das Haar sich zu bekränzen.

Was mir die gütige Natur,
Die Alles schafft, beschieden,
Scheint es auch Andern wenig nur,
Ich bin damit zufrieden.

Dir gab sie schön're Farb' und Pracht,
Dir süßern Duft. Mit Rechte
Wird dir die Huldigung gebracht
Vom blumigen Geschlechte."

"Ich liebe dich," sprach drauf die Ros',
Und glänzte gleich der Sonne.
"Du bist im kleinen Kreise groß,
Du bist der Weisen Wonne."

Der Gärtner hatte zugehört,
Und sprach nach einem Weilchen:
"Wie seid ihr Beide mir so wert,
Du, Rose, und du, Veilchen!

O möchten doch die großen Herrn
Verdienst der Niedern schätzen,
Und diese, sonder Neid, sich gern
An And'rer Größ' ergötzen!"
                                       Seidel

Mylord und Spitz

Stets blieb der Schoßhund Mylord mager,
So sehr das Fräulein ihn auch pflag,
So mühsam man ihm auch das Lager
Bepolsterte, auf dem er lag.

Er durfte mit am Tische sitzen
Und mancher Stuhl war ihm zu hart;
Doch konnt' er niemals seh'n, daß Spitzen,
Dem Haushund, Brot gegeben ward.
Erschrecklich fing er an zu knurren,
Zu Berge sträubte sich sein Haar;
Er ließ nicht eher nach zu murren,
Bis dieser aus der Stube war,
Als ob dem Armen nichts gehöre.
Spitz trug das Alles. Nur ein Wort,
Ein Wink nur nach der Stubentüre —
Und Spitz geht mir nichts, dir nichts fort.

Was hat nun der für seine Treue?
Sein Lager ist kein weiches Bett;
Zufrieden liegt er auf der Streue,
Bewacht das Haus, wird dick und fett.
Trotz daß ihm Leckerbissen nähren,
Ist dennoch Mylords Lebenslauf
Sehr traurig; Neid und Mißgunst zehren
Ihn bei lebend'gem Leibe auf.
Sein Blut fing schäumend an zu kochen;
Er fuhr vom weichsten seid'nen Schoß,
Erblickt er Spitzen bei dem Knochen,
Den er verschmäht, auf Spitzen los.
Umsonst, daß ihm das Fräulein streichelt,
Der Domestiken ganzes Chor
Ihm um des Fräuleins willen schmeichelt.
O! er bleibt elend, nach wie vor.
Was half ihm nun bei seinem Neide
Sein Glück? Nie hat es ihn ergötzt,
Und ohne Ruh und ohne Freude
Starb er, höchst mißvergnügt zuletzt,
Daß er das Spitzen lassen mußte,
Was er mit einem fröhlichen
Gemüt nicht zu genießen wußte.
So lohnt der Neid dem Neidenden!

Das Laster straft sich schon hienieden.
Der Neider sei ein Beispiel: gebt
Ihm Königreich', ob er zufrieden
Bei mäß'gem Glücke Andrer lebt?
                    Christoph August Tiedge


Der Schwan und die Krähen

Ein Schwan, der, unbekannt mit seinem eig'nen Wert,
Auf seine Farben, weiß wie Schnee,
Nie Stolz in seiner Brust genährt,
Sie bloß nur zu erhalten suchte, ruderte
In seiner Unschuld hin auf stiller See.

Ihn sah ein Haufen schwarze Krähen.
So weiß, so reizend ihn zu sehen
Und sich so schwarz, so voller Häßlichkeit,
Das, dachten sie, erfüllt von Neid
Und Bosheit, ist nicht auszustehen.
"Was," krächzten sie, "fällt unsrer Gans denn ein,
Stets so geputzt, so weiß zu sein?
Mein lieber Geck, meint Er, Er darf uns trutzen?
Das glaub er nicht, Herr Gänserich!
Wart' guter Freund, wir wollen dich schon putzen!
Du sollst geputzt sein, denk' an mich!"

So höhnten sie den armen Schwan und füllten
Mit Kot die Schnäbel alle an,
Und schleuderten, voll Grimm, ihn auf den armen Schwan
Und lachten laut. "Nicht wahr," fing eine an,
"Nicht wahr, ha! ha! wir können schön vergülden?"

Der Schwan sah sie mit einem Blicke
Voll Mitleids und Verachtung an:
"Besudelt habt ihr euch nur selbst durch eure Tücke;
Das tut mir leid, denn sonst ist mir daran,
Was ihr mir tatet, nichts gelegen."
So sprach der edle Schwan mit kaltem Blut
Und tauchte sich in die kristall'ne Flut,
Und kam daraus in einem Augenblick
Noch weißer wie zuvor zurück.

Die Krähen hätten bersten mögen.
                                                       Fr. Schmitt

Der Apfelbaum und der Nelkenstock

Ein großer Apfelbaum, der immer Durst empfand,
Ward einem Nelkenstock, der ihm zur Seite blühte,
Gar aus der Weise gram, weil ihm des Gärtners Hand
Bisweilen Wasser gab, wenn er vor Hitze glühte.

Nein! sprach der Neidhart einst mit Hohn,
Du bist wohl eines Junkers Sohn,
Den Andre Tag vor Tag aus Pflicht bedienen sollen;
Doch glaub' es mir nur sicher zu,
Es läßt recht lächerlich, wenn kleine Herren, wie du,
Als große Fürsten leben wollen.
Ich dächte wohl, mein Stamm, den stets die Sonne sengt,
Sei zehnmal eher wert, daß er einmal besprengt,
Und aus des Gärtners Krug vor dir getränket werde.

O, sprach der Nelkenstock, dich tränkt ja schon die Erde,
Dich tränkt die feuchte Witterung,
Die geben dir genug zu deiner Sättigung;
Was mir Erquickung gibt, das würde dich verderben,
Die viele Feuchtigkeit nützt deiner Wurzel nicht,
Genug, wenn sie ihr nicht gebricht,
Von mehrern würde sie ersterben.

So strebt der Neid nach fremder Ehre,
Die öfters sein Verderben wäre.
                                                           Lichtwer

Der Fuchs ohne Schwanz


Reineke verirrte sich
In die ihm gelegten Stricke
Und, wiewohl er selbst entwich,
Ließ er doch den Schwanz zurücke.

Um nicht lächerlichen sein,
Predigt er den Füchsen ein,
Auch den ihren abzulegen.
Seine Hörer zu bewegen,
Sprach er, als ein Cicero:
Erstlich will's der Wohlstand so,
Um sich zierlicher zu regen;
Denn man trabt damit zu schwer
Und zu unbequem einher.
Zweitens macht ein Schweif so kenntlich,
Drittens hält er in dem Lauf
Oft den schnellsten Brandfuchs auf.
Viertens riecht er stark, und endlich . . . . .

Stumpfer Redner, schweige du,
Rief ein alter Fuchs ihm zu:
Was du lehrest, wird verlachet.
Nur der Neid ist, was dich quält,
Der den Vorzug, der dir fehlt,
Andern gern zuwider machet.
                                            Lafontaine

Der Tanzbär


Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
Entrann, und wählte sich den frühern Aufenthalt.
Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen,
Und brummten freudig durch den Wald.
Und wo ein Bär den andern sah,
Da hieß es: Petz ist wieder da!
Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden,
Was er geseh'n, gehört, getan;
Und fing, da er vom Tanzen red'te,
Als ging er noch an seiner Kette,
Auf polnisch schön zu tanzen an.
Die Brüder, die ihn tanzen sah'n,
Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder;
Allein anstatt, wie er, zu geh'n,
So konnten sie kaum aufrecht steh'n,
Und mancher fiel die Länge lang danieder.
Um desto mehr ließ sich der Tänzer seh'n;
Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
"Fort," schrieen alle, "fort mit dir!
Du, Narr, willst klüger sein als wir?" —
Man zwang den Petz, davon zu laufen.

*   *   *

Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
Weil dann dir Jeder ähnlich ist.
Doch je geschickter du vor allen andern bist,
Je mehr nimm dich in Acht, dich prahlend seh'n zu lassen
Zwar wird man wohl auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen,
Doch bald macht dir aus der Geschicklichkeit
Der Neid ein unverzeihliches Verbrechen.
                                                          Gellert
Der Hühnerhund

Des kranken Mopses gutes Leben
Begehrt der neidische Bellin,
Bellin, vor dem die Hasen beben,
Das Rebhuhn fällt, die Füchse fliehn.
Seht, wie das Glück den Dummen grünet!
Was nützt wohl, spricht er, dieser Hund?
Faul ist er und auch ungesund;
Doch wird er als ein Prinz bedienet.
Auf Polstern ruht er, süße Kuchen
Und Hühnerbrüste nähren ihn,
Seht, wie sich Herr und Frau bemühn,
Ihm Leckerbissen auszusuchen!
Ich bin gesund: was ist mein Dank,
Wenn ich Feld, Busch und Sumpf durchkrochen?
Hart Brot und abgenagte Knochen, —
Warum bin ich nicht gleichfalls krank?

Es hat nach jenes Weisen Lehren,
Das gute Glück zu mancher Zeit
Die grausame Gefälligkeit,
Der Toren Wünsche zu erhören.
Bellin war krank, als Mops genas.
Sobald der Hausherr dies vernommen,
Ließ er den alten Jäger kommen,
Und sprach: erschieß das Rabenaas!

Der Hühnerhund erschrak gar heftig,
Als er den Todesspruch vernahm;
Und dieses Schrecken war so kräftig,
Daß er schnell auf die Beine kam.
Er floh, von Todesangst begleitet,
Und lernte, — daß Zufriedenheit
Auch schlechte Bissen würzt; und Neid
Dem Neider nichts als Gift bereitet.
                                Ramler's Fabellese

Der Kettenhund und der Pfau

Herr Türk, ein Kettenhund, der äußerst wachsam war
Und Haus und Hof behüten mußte,
Und wenn ein Nachtdieb kam, den Vogt von der Gefahr
Durchdringender zu warnen wußte,
Als ein Nachtwächterhorn, sprach oft mit einem Hunde,
Der aus der Nachbarschaft sehr fleißig zu ihm kam,
Besonders um die Mittagsstunde,
Wann Türk die Mahlzeit zu sich nahm.
Einst, als die Tafel aufgehoben,
Fing jener an: fürwahr! du dienst dem besten Herrn;
Sein gutes, mildes Herz ist nicht genug zu loben.
Das ist doch noch ein Mann, der seiner Diener Fleiß,
Wie sich gebührt, zu schätzen weiß.
Ich gönne dir dein Glück zwar gern,
Und ohne daß ich es aus Mißgunst dir bebelle,
Doch wünscht' ich auf ein Jahr mich wohl an deine Stelle.
Ach! sprach der Kettenherr, so gut es um mich steht,
Mein Freund, so kann ich mich doch nicht zufrieden geben.
Es ärgert mich der Pfau, der dort im Hofe geht;
Der Pfau verbittert mir das Leben.
Ihn loben Herr und Knecht, und Niemand lobet mich.
Er hat es in der Tat viel besser noch, als ich:
Er gafft, er geht herum, er kann spazieren geh'n,
Er darf den ganzen Tag nichts tun;
Ich muß den ganzen Tag hier angebunden steh'n,
Und darf auch nicht bei Nachtzeit ruh'n.
Kein Wunder wenn ich mich einmal an ihm vergreife,
Sieh nur die Blumen in dem Schweife,
Die wie die Feuerwürmer glüh'n,
Und aller Augen auf sich zieh'n,
Sind giftig, und dies Gift muß ich stets in mich saugen.

Ihn hört der Pfau, und spricht: mein Freund!
So lange dir mein Glück beneidenswürdig scheint,
Wirst du dein eigenes zu schmecken niemals taugen;
Das Gift steckt nicht in mir, es steckt in deinen Augen.
                                                    Ramler's Fabellese

Die Schafe und ihr Herr

                              Die Schafe

Du bist doch ungerecht! Uns Schafen, die wir dich
Mit unsrer Milch, mit unsern Kindern speisen,
Mit Wolle decken, willst du keinen Dank erweisen:
Fast durch das ganze Jahr geht es uns kümmerlich.
Wir selber müssen uns von fern die Nahrung holen.
Uns gibst du nichts, wir geben alles dir.
Und dies unnütze Tier,
Das deine Nachbarn oft, und oft dich selbst bestohlen,
Der Hund, der nichts als bellt und schreit,
Genießt so viele Gütigkeit.
Du lässest Nahrung ihm von deinem Tische reichen.
Was ist dem Undank' zu vergleichen?

                              Der Herr

Der Hund nützt mir und euch, mehr als ihr denkt.
Denn ohne seinen Schutz wär't ihr in euren Horden
Schon längst der Wölfe Raub geworden.
Ihr selbst seid ungerecht, wenn euch sein Vorzug kränkt.

*  *  *

Mißgönnt dem Krieger nicht, ihr Bürger, Rang und Orden!
                                                                      Willamov

Die Weide und der Dornstrauch

Die Weide sprach zum Dornstrauch: sage mir, warum
Du stets dem Wanderer das Kleid zu rauben suchst?
Was nützet dir sein Kleid? — Der Schadenfroh versetzt:
Behalten will ich's nicht, zerreißen will ich's nur.
                                                                    Lessing

Der Esel, der Rabe und der Hirt

Ein Esel weidete auf einer Wiese; ein Rabe, der ihn da erblickte, flog ihm auf den Rücken,
und weil er eine wundgeriebene Stelle fand, hackte er mit seinem Schnabel in das rohe Fleisch.
Der arme Esel, den dieses natürlich schmerzte, gab sich alle mögliche Mühe,
den ungezogenen Gast los zu werden; aber vergebens. Nicht weit von ihm lag der Hüter.
Es hätte diesen zwei Schritte und einen Schlag gekostet, so wär der Rabe verjagt.
Doch des Esels Sprünge und Gebärden dünkten ihm so possierlich, daß er mit lautem
Lachen diesem Auftritte zusah.
"O!" rief der Esel endlich, "jetzt fühle ich doppelt mein Leiden, da derjenige mich noch
dazu auslacht, der mir billig helfen sollte."

*   *   *

Nichts schmerzt so bitter, als zum Schaden noch Spott erleiden zu müssen; und nichts ist
auch sicherer das Kennzeichen einer unedlen Seele, als die Ausstoßung eines solchen Spottes.
                                                                                                                     Aesop

Bestrafte Schadenfreude

Ein Adler war mit seinen scharfen Krallen
Auf einen Hasen hergefallen;
Der Hase war dem Tode nah.
Ein kecker Sperling kam und sah
Des armen Hasen Unglück an
Und rief frohlockend: "Lieber Mann!
Wie hast du dich so klug gehabt,
Man nennt dich sonst doch den Geschwinden;
War denn kein Ausweg jetzt zu finden?"
Des Sperlings Spott war kaum zu Ende,
Als ihm von hinten gar behende
Ein Habicht naht, und ihn ergriff,
Und unsanft mit den Krallen kniff.

Erfreu' dich nicht an Andrer Leid;
Wer weiß, dein Unglück ist nicht weit.

Der Hase und das Rebhuhn

Ein Has' und Rebhuhn fanden Beide
Im Vorholz, Feld und Busch, Fraß, Sicherheit und Freude;
Und jener saß ganz ruhig im Getreide,
Als Söllmann und die Jagd rasch in's Gehege drang,
Und fürchterlich zum Absprung zwang.
Zu oft ist manche Lust benachbart mit dem Leide.
Sie rahmen ihn herum: er läuft, und ach! wie schnell!
Doch seine Fährte kennt der treue Waldgesell.
Im Lager drückt er sich: noch hofft er zu entwischen;
Allein, der Waidmann weiß die Stöber anzufrischen:
Der Flüchtling wird erreicht, so sehr er sich verbirgt,
Und, weil der Retter fehlt, indem er schreit, erwürgt.
Das Rebhuhn sah's, und sprach: der Tor pflegt sich zu preisen,
Wie prahlend rühmt er mir der Läufe Vorzug an!
Nun stirbt er lächerlich und muß auch mir beweisen,
Zehn Hasen können nicht, was ein Strick Hunde kann.
Es höhnt: allein, wie lang? Es schoß aus ferner Höhe
Ein Habicht auf das Huhn herab;
Und, daß man oft den Hohn sogleich bestrafet sehe,
Bekräftigte der Stoß, den er dem Spötter gab.

Auf ein gewisses Glück kann Niemand Rechnung machen,
Und nichts ist törichter, als Solche zu belachen,
Die ihr Verhängnis drückt. Rührt dich nicht Andrer Leid,
Feind, so verdienest du barmherz'ger Henker Neid.
Die wären glücklicher, so oft sie Menschen quälen,
Besäßen sie dein Herz, dem Lieb' und Mitleid fehlen.
                                                                    Lafontaine