Die Wohltaten
(In zwei Fabeln)
I.
Hast du wohl einen größern Wohltäter unter den Tieren, als
uns? fragte die Biene den Menschen.
Jawohl! erwiderte dieser.
"Und wen?"
Das Schaf! denn seine Wolle ist mir notwendig, und dein
Honig ist mir nur angenehm.
II.
Und willst du noch einen Grund wissen, warum ich das Schaf
für meinen größern Wohltäter halte,
als dich, Biene? Das Schaf schenket mir seine Wolle ohne die
geringste Schwierigkeit;
aber wenn du mir deinen Honig schenkst, muß ich mich immer
vor deinem Stachel fürchten.
Lessing
Das Almosen
Ein armer Mann ging auf der Landstraße hin; er hatte noch
drei Silbermünzen in seiner Tasche.
Ein Ärmerer begegnete ihm und sprach: siehe ich verhungere
bald und habe nichts,
meinen Hunger zu stillen.
Da gab ihm der Arme zwei Silbermünzen und sprach: gehe hin,
kaufe dir Brot.
Der Ärmere nahm es mit Dank. Während er sich entfernen
wollte, sprach das gegebene
Almosen zu dem Geber:
Siehe, ich war klein, du hast mich groß gemacht; ich war
beneidet, du hast mich lieb und
wert gemacht; ich hatte keinen festen Sitz, du hast mir
einen angewiesen; ich war unter
deiner Hut, nun bist du unter der meinigen.
Darauf ging der Beschenkte fort. Der Geber beugte sich zur
Erde und dankte dem großen
Gott in seinem Herzen.
Nach dem Persischen
Der Fuchs
Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der
andern Seite gut herab zu
kommen, ergriff er einen nahen Dornenstrauch. Er ließ sich
auch glücklich daran nieder,
nur daß ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. Elende
Helfer, rief der Fuchs, die nicht
helfen können, ohne zu schaden.
Lessing
Sperling und Pferd
Sp. Pferdchen, du hast die Krippe voll,
Gibst mir wohl auch einen kleinen Zoll,
Ein einziges Körnlein oder zwei;
Du wirst noch immer satt dabei.
Pf. Nimm, kecker Vogel, nur immer hin,
Genug ist für mich und dich darin!
Und sie aßen zusammen, die zwei,
Litt keiner Mangel und Not dabei.
Und als denn der Sommer kam so warm,
Da kam auch manch' böser Fliegenschwarm;
Doch der Sperling fing hundert auf einmal,
Da hatte das Pferd nicht Not noch Qual.
Hey
Hündlein im Wasser
Im Teiche plätschert ein kleines Tier
Und bittet: O schenket Erbarmen mir!
Ein böser Bube warf mich herein,
Schon sink' ich, bald werd' ich des Todes sein.
Du lieber Knabe errette mich,
Ich will auch immer recht lieben dich!
Der Knabe rettet das Hündlein — halb tot
Vor Kälte — und tröstet's in seiner Not;
Er trocknet es ab, beschwichtigt sein Schrei'n
Und wickelt es in sein Röcklein ein,
Verpfleget es sorgsam von dieser Stund',
Da wird es ein großer und treuer Hund.
Erdmann
Stiller
Das Kind und das
Täubchen
1.
Du Täubchen mit den roten Äugelein,
Du sollst mein allerbestes Tierchen sein;
Nur einmal komm auf meinen Schoß,
O fürchte nichts, ich gebe dich wieder los!
"Du liebes Kind, ich möcht' es wohl wagen,
Doch gestern hast du mein Männchen geschlagen;
Das war betrübt, ich war nicht froh,
Du machst's mit mir wohl eben so."
O nein, lieb Täubchen! komm, erhör' mein Flehn,
Ich tu' dir nichts zu leid, du wirst es sehn;
Du sollst mein schönstes Spielzeug haben
Und auch mit Kuchen will ich dich laben!
"Ich käme gern, doch warnt mich was im Herzen;
Wir Täubchen scheuen uns gar sehr vor Schmerzen,
Und wen wir ein Mal bös gesehn,
Dem trau'n wir nicht, spräch' er auch noch so schön!"
2.
Das Täubchen fliegt davon, das Kindlein weint;
"So böse war's doch wirklich nicht gemeint!
Doch wahr ist's wohl, ich muß mich schämen,
Nun will ich recht in Acht mich nehmen;
Des Tänbcheus Liebe zu gewinnen
Will ich nichts Arges mehr beginnen."
Und wo das Kind das Täubchen sah,
Trat's ihm mit Schmeichelworten nah;
Die besten Krümchen, süßes Brot,
Was Gutes ihm die Mutter bot,
Das barg es schnell in seine Taschen
Und warf's dem Täubchen hin zum naschen;
Auch keinem Tierchen tat's ein Leid,
Es hatte mit keinem Wesen Streit.
Einst saß im Garten still das Kind,
Da flog das Täubchen her geschwind;
"Du Täubchen mit den roten Äugelein,
Du sollst mein allerbestes Tierchen sein!
Nun kommst du doch auf meinen Schoß?
O fürchte nichts, ich gebe dich wieder los!"
Das Täubchen blickt das Kindlein an
Und husch! auf seinen Schoß fliegt's dann,
Schmiegt, keiner Furcht sich mehr bewußt,
Sich an des guten Kindes Brust.
Da saßen sie nun alle Beide
Und waren voll Lust und voll Freude.
O daß es euch im Gedächtnis bliebe:
Durch Liebe nur gewinnt man Liebe!
Hoffmann
Das Vogelnest
Auf schlankem Baum, in dichtem Gezweig
Ein Hänfling wohnt, — ein König in seinem Reich;
Er lebt mit seinem Weibchen in Frieden,
Sechs Kinderchen sind ihnen beschieden;
Sie sind sehr zart, sie können noch nicht fliegen,
Lassen von Vater und Mutter sich wiegen;
Vater erfreut sie durch liebliches Singen,
Mütterchen muß ihnen Speise bringen.
Ein Knabe kommt, ach! böse von Herzen,
Er hört das Singen, er sieht das Scherzen,
Er denkt: o wartet! euch muß ich haben,
Dann will ich euch unter dem Baume begraben!
Er klimmt empor; doch der Stamm ist glatt,
Er fällt zur Erde, — wird endlich matt
Und ruft voll Trotz in erhöhter Wut:
"Wenigstens will ich der Alten Blut!"
Die flattern umher und bitten so sehr,
Der Knabe schenkt ihnen kein Gehör.
Schon hat er den Bogen in seiner Hand,
Der Pfeil liegt darauf, die Sehn' ist gespannt;
Bald liegen die beiden Vöglein tot,
Die Erd' ist von ihrem Blute rot.
Nun geht er von dannen der Bösewicht:
Einst trifft ihn ein gerechtes Gericht!
Und die Vöglein, die jungen, in den Zweigen? —
Wird kein Erretter sich ihnen zeigen?
Wer wird sie nähren, wer wird sie behüten?
In dichtem Gebüsch, verhüllt von Blüten.
Sah ein Ammer des Knaben Wüten;
Sein kleines Herz hat bang geschlagen,
Er konnte nichts zur Abwehr wagen.
Doch jetzt fliegt er aus dem Versteck hervor,
Hierhin und dorthin, hinab und empor
Und sammelt im Schnabel mancherlei Samen,
Wie sie die alten Hänflinge nahmen.
Er trägt sie schnell zu den Vögelein
Und spricht: ich will euer Vater sein,
Ich will euch versorgen und beschützen,
Nur müßt ihr still und artig sitzen
Und wenn euch die Federn gewachsen sind,
Lehr' ich euch fliegen, gewandt und geschwind,
Daß euch der böse Knabe nicht fange!
Er nährte sie heut', er nährte sie lange,
Sie standen täglich unter seiner Hut,
Sie waren dankbar und blieben ihm gut.
Ich hab' es gehört, will's zu Herzen mir nehmen.
Ach' sollten die Tiere die Menschen beschämen?
Hoffmann
Der Gärtner und
das Tulpenbeet
Der Gärtner still und wartend steht
An einem schönen Tulpenbeet;
Da sind drei Hügelchen zu schaun.
O Wunder! eben — sieh doch, traun!
Erhebt die Erde nochmals sich, —
"O Maulwurf, Maulwurf, hätt' ich dich!"
So spricht der Gärtner, gibt wohl Acht
Und eh' der Maulwurf sich's gedacht,
Hat ihn des Gärtners Hand ergriffen, —
Nun wird ihm das Garaus gemacht.
Doch hat der Gärtner zweien Tulpen
Das Würzelchen fast ganz entblößt;
Die fangen laut zu schreien an:
"Du gar zu böser Gärtnersmann,
Ist das wohl Recht, daß ohn' Erbarmen
Du Deck' und Nahrung nimmst uns Armen?
Wir werden wahrlich noch verschmachten,
Du mußtest besser auf uns achten!"
Und alle Tulpen stimmen ein, —
Wem sollte da nicht bange sein?
Doch jener läßt sich gar nicht stören,
Er hüllet sorgsam, leis und fein
Die Würzelchen in frisches Erdreich ein.
Begießt sie mit des Wassers kühler Flut,
Daß sie nicht schmachten in des Tages Glut
Und saget dann: seid still, ihr Toren,
Ihr wäret insgesamt verloren,
Hätt' ich den Räuber nicht gefangen!
Und müßt ihr Beid' auch etwas leiden,
Tut ihr's für eure Schwestern nicht mit Freuden?
Wer nicht für Andre Manches opfern kann,
Den sieht man mit Verachtung an!
Hoffmann
Knabe und Hyazinthe
"Der Sturm hat lang und scharf geweht,
Was ward aus meinem Blumenbeet?"
So spricht der Knabe, früh am Morgen,
Eilt schnell hinaus, das Herz voll Sorgen.
Doch wie? in stürmevoller Nacht —
Hat sie ein Engel denn bewacht,
Die lieben Blumen allzumal?
Sie funkeln hell im Sonnenstrahl!
Nur Eine — weh! noch gestern war
Wohl unter ihrer Schwestern Schar
Die Schönste sie an Duft, Gestalt,
Nur Eine brach des Sturms Gewalt!
Die Hyazinthe, — wer sie sah,
Der liebte sie, — liegt sterbend da.
Sie seufzt: o hilf mir, liebes Kind,
Eh' meines Lebens Quell verrinnt!
Er hebt sie auf, die Glöcklein beben,
Der Schaft, zu schwach zum Widerstreben,
Beugt welk, ermattet sich hinab, —
Er neigt sich in sein frühes Grab.
Der Knabe nimmt ein Schälchen schnell
Und füllt's mit Wasser klar und hell,
Er stellt die Blume tief hinein,
"Das wird der Kranken heilsam sein!"
Und sieh! zwei Stunden kaum verstreichen,
Da ist der Tod von ihr gewichen;
Die Glocken hängen schlank und schön
Am Stiel und süße Düfte wehn
Aus allen Kelchen frisch dem Knaben
Entgegen, ihm das Herz zu laben.
"O Blume, wie erfreust du mich!"
""Du liebes Kind, ich blüh' für dich!""
* * *
Ist's Freude schon, ein Blümchen zu beleben,
Welch' hohe Wonne wird dir's geben,
Gelingt es dir, den Bruder aufzurichten
Und seines Lebens Nacht zu lichten.
Hoffmann
Hänfling und Meise
Die kleine Meis' ist gar bös gesinnt
Gegen des Hänflings jüngstes Kind;
Das hat ihr einst einen Mohnkopf genommen,
Nur aus Versehn, — 's ist ihm übel bekommen!
Die Meise, wo sie den Hänfling erblickt,
Mit spitzem Schnabel in's Haupt ihm pickt,
Und dabei schimpft und lästert sie sehr;
Der junge Hänfling erträgt's kaum mehr.
Da denkt er am Abend in seiner Not:
Glüht wieder auf das Morgenrot,
So will ich den ganzen Tag mich bestreben,
Der Meise recht viel Schönes zu geben,
Vielleicht wird sie gütiger mir gesinnt.
Er schlummert ein; die Nacht verrinnt
Und mit dem ersten Morgenstrahl
Fliegt unser Hänfling in das Tal
Und sammelt, wie in ein Töpfchen,
Samen und Körner in's Kröpfchen,
Das Leckerste, was er nur finden kann,
Und trägt's zur bösen Meise dann.
Die zürnt zwar anfangs, doch nimmt sie an,
Was Hänfling mühsam zusammenträgt
Und demutsvoll zu Füßen ihr legt;
Ja endlich wird ihr Herzchen bewegt
Von Liebe zum Hänfling; du kleiner Mann,
So spricht sie, jetzo seh' ich es ein,
Man kann dir gar nicht böse sein,
Ich bin dein guter Freund fortan!
Sie blieb's auch. Dem Hänflinge war's gelungen,
Er hatte durch Wohltun den Feind bezwungen.
Hoffmann
Amsel und Drossel
Drossel sitzt betrübt am Bach,
Denkt der schweren Sünde nach,
Daß sie gestern, neiderfüllt,
Amselchen hat tief gekränkt.
Während sie noch sinnt und denkt,
Kommt schon Amsel hergeflogen,
Leicht und frisch, des Frohsinns Bild.
Amsel
Guten Morgen, Drossel, liebe!
Warum blickst du doch so trübe?
Sag', weshalb du traurig bist!
Drossel
Weil ich dich mit arger List —
Ach du weißt ja — gestern Morgen —
Amsel
Drossel! mach' dir keine Sorgen!
Hab' schon Alles längst vergessen,
Laß uns süße Beeren essen!
Sie flogen dahin mit frohem Mut,
Waren sich wieder herzlich gut;
Setzten sich zu den Beeren nieder!
Sangen zusammen süße Lieder.
Der Drossel blieb stets im Gemüte
Amselchens Großmut und Güte.
Hoffmann
Das Pferd und der Esel
Ein Esel trug einst eine schwere Last;
Ein ledig Pferd ging neben ihm. Du hast
Auf deinem Rücken nichts, sprach das beladne Tier:
O liebes Pferdchen, hilf doch mir!
Was helfen? rief der grobe Gaul:
Man kennt euch Esel wohl, ihr seid nur faul.
Trag' immer zu. Ich sterbe, liebes Pferd!
Die Last erdrückt mich, rette mich!
Die Hälfte wär' ein Spiel für dich.
Ich will nicht, sprach das Pferd.
Kurz, unter dem zu schweren Sack
Erlag der Esel. Sack und Pack
Lud man sogleich dem Rappen auf,
Des Esels Haut noch oben drauf.
Hätt' ich die Hälft' ihm abgenommen,
Wie gut wär' ich davon gekommen!
Denkt jetzt der Gaul, dem fast das Rückgrat bricht.
Ich denk': einander beizustehn ist Bruderpflicht.
Ramlers' Fabellese
Die Biene und
der Schmetterling
"Wie du doch immer hier und dort
Von Blum' auf Blume hüpfest,
Und Nahrung suchst und mit ihr fort
Zur dunkeln Zelle schlüpfest!
Du Törin, du! denn klug kann ich —
Du wirst es mir vergönnen,
Ich rede frei — klug kann ich dich,
Beim Jupiter! nicht nennen.
Für wen trägst du den Vorrat heim
In langen Sommertagen?
Hast du denn Wachs und Honigseim
Für dich hinweggetragen?
Die Habsucht lauert schon und läßt
Dir kaum das liebe Leben;
Sie raubt dir Alles. — Solch ein Fest
Sollt' ich der Habsucht geben?"
"So eigennützig denk' ich nicht,"
Versetzte drauf die Biene,
"Mir ist es Freud'.und süße Pflicht,
Wenn ich auch Andern diene."
Seidel
Die Biene und die Taube
Ein Bienchen trank, und fiel darüber in den Bach.
Dies sah voll Mitleid eine Taube
Und warf ein Blättchen von der Laube,
Worauf sie saß, ihm zu. Das Bienchen schwamm darnach,
Und half sich glücklich aus dem Bach.
Den andern Tag saß unsre Taube
Zufrieden wieder auf der Laube.
Ein Jäger hatte jetzt sein Rohr auf sie gespannt.
Mein Bienchen kommt; pick! sticht's ihn in die Hand,
Paff! geht der ganze Schuß daneben.
Die Taub' entflieht, und dankt nun auch der Bien' ihr Leben.
* * *
Nimm dich, voll Menschenhuld, der Kleinsten willig an,
Und denke, daß dir oft der Kleinste nützen kann.
Michaelis
Die Bienen
In einem Bienenstock entspann sich einst ein Streit
Der bürgerlichen Eitelkeit,
Mit einem Wort: ein Streit der Ehre,
Wer edler und unedler wäre?
"O," rief die stolzere Partei,
"Was braucht man lang' zu fragen,
Wer besser oder schlechter sei?
Wir, die wir in den warmen Tagen
Die Höschen in den Zellen tragen,
Und stets mit Kunst beschäftigt sind,
Daß unser Rost von Honig rinnt,
Wer sieht es nicht, daß wir die Bessern sind?
Was braucht man also noch zu fragen?"
"So?" fielen hier die Andern ein,
"Wo wird denn euer Honig sein,
Wofern wir nicht das Wasser künstlich tragen?
Daß euer Stachel uns gebricht,
Das schadet unserm Werte nicht;
Genug, daß wir das Amt getreu verwalten,
Wozu der Staat uns für geschickt gehalten.
So niedrig unsre Pflicht euch scheint,
So soll euch doch der Ausgang lehren,
Daß wir, mit euch zugleich vereint,
Zur ganzen Republik gehören."
Sie trugen drauf kein Wasser mehr.
Nun mußten die, die Honig machten,
Flieh'n, oder in der Brut verschmachten,
Und viele Zellen wurden leer.
Der Weiser rief darauf den Rest der Untertanen,
Um sie zur Eintracht zu ermahnen.
"Der Unterschied in eurer Pflicht
Erzeugt," sprach er, "den Vorzug nicht;
Nur die dem Staat am treu'sten dienen,
Dies sind allein die bessern Bienen."
Gleim
Die Spinne
Hochmütig über ihre Künste,
Warf vom durchsichtigen Gespinste
Die Spinne einen finstern Blick
Auf einen Seidenwurm zurück,
So aufgebläht, wie ein Pedant,
Der jetzt, von seinem Wert erhitzet,
In Werken seiner eignen Hand
Bis an den Bart vergraben sitzet,
Und auf den Schüler, der ihn grüßt,
Den Blick mit halben Augen schließt.
Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen
Der Herr zur Lust mit sich in's Haus getragen,
Sieht dieser Spinne lange zu,
Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?"
"Unwissender!" läßt sich die Spinn' erbittert hören,
"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören?
Ich webe für die Ewigkeit."
Doch kaum erteilte sie den trotzigen Bescheid,
So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen,
Von den noch nicht geputzten Wänden
Die Spinne nebst der Ewigkeit. —
* * *
Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.
Gellert
Der Esel und der Hund
Steht euch einander bei: so will es die Natur.
Einst übertrat der Esel diese Lehre —
Sonst eine gute Kreatur, —
Bei der ich diesen Zug mir nicht vermuten wäre.
Er ging mit seinem Herrn und etwas Proviant,
Und einer Stirn, worauf kein Wort geschrieben stand,
Und einem Hunde über Land.
Sie kamen durch ein Tal, wo schöne Weide stand,
Der Herr legt sich in's Gras, verschläft die Mittagsstunde,
Der Esel weidet unterdes.
Zwar Disteln gab es nicht; doch einem Leckermunde
Schmeckt auch gemeine Kost, wenn es
Nicht anders ist. Wer wollte immer schmausen?
Denkt Herr Apicius, und macht — Kartoffelpausen
Wie Herr Apicius denkt unser Esel auch,
Und frißt sein Gras. Allein des Hundes leerer Bauch
Bellt lauter, als sein Hals: o Eselchen, ich bitte,
Laß deinen Korb zu mir herab;
Ich nehme mir nur ein paar Schnitte
Zum Anbiß. — Doch der Esel gab
Zur Antwort — nichts: er hätte ja indessen
Ein Maul voll weniger gefressen;
Das ging nicht an: er schwieg. Der Andre heult' und bat
In Einem fort; bis ihm im vollen Essen
Der Esel sagt: mein Freund, ich gebe dir den Rat,
Zu warten; sieh, dein Herr muß bald erwachen,
Und macht dich dann, wie immer, satt.
Indem sie so noch Beide sprachen,
Erscheint ein Wolf — noch hungriger als sie.
Jetzt rief der Esel: hilf mir Schwachen!
Der Hund versetzt: mein Freund, dein Herr wird bald
erwachen.
Ich rate dir indessen: flieh'!
Und holt der Wolf dich ein, zerschmettre ihm den Rachen;
Man hat dich ja erst heute früh
Beschlagen: einen Schlag, und er wird liegen müssen. —
Allein der Wolf weiß sich schon vorzuseh'n,
Und Meister Esel ward zerrissen.
D'rum ist es gut, sich beizusteh'n.
Lafontaine
Der Löwe und die Mus
Eis mals ein loewe sich ergieng,
In einem walde do er vieng
Ein mus diu wolt er ertoedet han.
Si sprach her loewe länd mich gan,
Es zimt nit uiwer biderbkeit,
Noch lob noch ere lit daran,
Uib ir mich toedent lant mich gan;
Was eren mag ein kuing bejagen,
Uib von im wirt ein knecht erslagen,
Des er gewalt het wen er wil,
Ist im des eren, der ist nit vil.
Was großer signust mag das sin,
Uib ein loew ein muiselin
Ertoedet; der het eren me
Der geschahen mag und nit tout we.
Lasset ir mich herr genesen,
Ich mag nich vil wol nutze wesen
Und mag uich keinen schaden tuon,
Noch minr denn dem aren ein huon.
Der loewe liez sin zuirnen sin
Und lieze vri das muiselin;
Des wart es inneklichen fro,
Ich will uich danken sprach es do.
Nu wart es ouch nit lang gespart
Wan das der loew gevangen wart
In einem netze das was stark;
Er hette geben tusent mark,
Das er dar uz wsr gewesen,
Er wand sicher nit genesen.
Da er alsus gevangen lag
Da kam diu mus s das der tag
Uf gieng und kam zum loewen hiu.
Sie sprach: got grueß uich herre min,
Was klaget ir, was ist uiver not?
Ich bin gevangen uf den tot
Sprach der loewe zur der mus.
Sie sprach, ir kommet wol her us,
Ich hilf uich umb uiwer leben,
Wan ir das ouch mir hand geben.
Was sol ich uich me sagen?
Die mus geriet das netz genagen
Und mit den zenen bissen
Und welt es gern zerrissen
Enzwei, do wart ein grosses loch.
Vil bald der loewe floch.
Der mus danken er began;
Sie sprach, ich han es gern getan.
Gedenk wie der gewaltig si
Dem miltikeit wonet bi.
Gewalt erbermde haben sol,
Der mer dem minre sol vertragen,
Nuitz mag der sin der nit mag schaden.
Der loew die kleinen mus liez gan,
Die er wol moegt ertoedet han;
So mogt im schade nit enwesen,
Doch muost er von ir hilf genesen;
Si gedacht was er ir het getan
Und half im das er dannan kam.
Ulrich Boner
Der Löwe und die Maus
So viel es möglich ist, muß man dem Nächsten dienen;
Oft kann ein Kleiner uns von großem Nutzen sein.
Exempel fallen mir bei Schocken ein;
Doch ich begnüge mich mit zwei'n.
Ein Löwe lag und schlief zur Mittagszeit im Grünen:
Ein Mäuschen ohne umzuschau'n,
Wohin es sprang — so machen's manche Toren
Mit großen Herren — sprang ihm grade in die Klau'n,
Es hält sein Leben für verloren;
Allein der Löwe zeigt sich groß und schenkt
Das Leben ihm, zeigt was er ist, und denkt
Nicht weiter d'ran. — Wer hätte glauben sollen,
Daß dieses Mäuschen einst des Löwen Retter sei! —
Genug; ein Netz fing ihn: sein brüllendes Geschrei,
Lautschallend, wie wenn Donner rollen,
Befreit ihn nicht; doch rief's die Maus herbei.
Die nagt, mit bester Kraft und Wollen,
Bis sich der Löwe retten kann.
Oft hat Geduld und Zeit mehr als Gewalt getan!
Lafontaine
Der Wolf und die
sechs Schäfer
Der arge Wolf, der jetzt sein Alter fühlte,
Kam zu dem Schäfer Hylas, dessen Hürde nah
Bei seiner Höhle war, und klagte gleisnerisch:
Du frommer Schäfer nennest mich ein reißendes,
Blutgieriges Geschöpf; das bin ich wahrlich nicht.
An deine Schafe muß ich, wenn ich hungrig bin,
Mich freilich halten: denn der Hunger schmerzt; allein
Wenn du mich sättigst, wirst du ganz gewiß mit mir
Zufrieden sein. Es ist kein Tier sanftmütiger
Als ich, sobald ich satt bin. — Ja, das glaub' ich dir,
Versetzt der Schäfer; doch wann bist du satt? Der Geiz
Und du sind nie zu sättigen. Geh' deinen Weg!
Der Abgewies'ne ging zum zweiten Schäfer hin.
Du weißt es, Schäfer, hub er an, ich könnte dir
Das Jahr durch viele Schafe würgen: gibst du sechs
Mir jedes Jahr, so will ich gern zufrieden sein;
Dann schläfst du sicher und bedarfst der Hunde nicht.
Sechs Schafe, sprach der Schäfer, sind für manchen Wirt
Schon eine feine Herde. — Nun! weil du es bist,
Begnüg' ich mich mit fünfen, sprach der schlaue Gast, —
Fünf Schafe forderst du? Mehr opfert man dem Pan
Im ganzen Jahre nicht. — Der Wolf fuhr fort: Doch vier
Gibst du mir gern. Der Schäfer schüttelte den Kopf. —
Doch drei? doch zwei? — Nicht eins! war endlich der
Bescheid.
Er wäre töricht zinsbar einem Feinde sich
Zu machen, wenn die Wachsamkeit uns schützen kann.
Der Wolf denkt bei sich selbst: Der dritte Sprung gelang
Mir allemal, und ging zum dritten Schäfer hin.
Es geht mir nahe, sprach er, daß ich unter euch,
Ihr Schäfer, als ein räuberisches böses Tier
Verschrieen bin. Wie Unrecht man mir tut, Montan,
Das will ich dir beweisen. Wenn du jährlich mir
Ein Schaf gibst, soll in jenem Walde, den nur ich
Bisher unsicher machte, deine Herde frei
Und unbeschädigt weiden dürfen. Denke nur,
Welch' eine Kleinigkeit: ein Schaf! Großmütiger,
Uneigennütziger als ich, ist wohl kein Wolf.
Du lachst, Montan? was ist dir denn so lächerlich? —
Daß du mit deiner Großmut erst so spät erscheinst.
Wie alt bist du? — Was kümmert dich mein Alter? stark
Genug bin ich, daß ich die liebsten Lämmer dir
Erwürgen kann. — Gemach nur! alter Isegrim:
Dein ausgebißnes Maul verrät! es, daß du dich
Mit weniger Gefahr zu nähren denkst. Du spielst
Die Rolle des Uneigennützigen nur schlecht.
Der Wolf war über diesen Hohn zwar sehr ergrimmt,
Doch faßt er sich und ging zum vierten Schäfer hin,
Dem jetzt sein treuer Hund gestorben war. Der Schalk
Macht diesen Umstand sich zu Nutze. Guter Hirt!
Mit meinen Brüdern in dem Walde bin ich so
Zerfallen, daß ich mich mit ihnen nimmermehr
Versöhnen kann. Du weißt, wie furchtbar sie dir sind:
Doch nimmst du statt des dir verstorbnen Hundes mich
In Dienst, so soll es keiner wagen ungestraft
Von deinen Schafen eines nur scheel anzusehn.
Das schwör' ich. — Also willst du gegen dein Geschlecht
Im Walde sie beschützen? — Freilich will ich das. —
Sehr wohl! Doch wenn du nun in meiner Hürde wohnst,
Wer schützet meine Schafe gegen dich? Man nimmt,
Vor Dieben sich zu sichern, keinen Dieb in's Haus. —
Ich höre, sprach der Wolf, du witzelst. Lebe wohl!
Wär' ich nicht alt, so seufzte mit verbißner Wut
Der Wolf, ich wüßte mich zu rächen: doch nun muß
Ich in die Zeit mich schicken; und so ging er auch
Zum fünften Schäfer. Diesen fragt er: Kennst du mich?
Der Schäfer spricht: Ich kenne deines Gleichen. Nein,
Versetzt der Wolf, du kennest meines Gleichen nicht.
Ich bin ein Wolf von sonderbarer Art, und wert,
Dein Freund zu sein und aller Schäfer Freund. — Worin
Bist du so sonderbar? — Ich kann kein lebend Schaf
Verzehren, wenn mir's auch das Leben kostete.
Mit abgestorbnen Schafen nähr' ich mich allein.
Ist dies nicht lobenswert? Daher erlaube mir,
Bei deiner Herde mich zuweilen umzusehn,
Ob nicht ein krankes oder totes Schaf vielleicht —
Erspare dir die Worte, rief der Hirt: ein Freund
Von mir muß auch nicht tote Schafe fressen. Frißt
Ein Tier erst tote Schafe, scheinen ihm gar leicht
Im Hunger kranke Schafe tot, gesunde krank.
Auf meine Freundschaft mache keine Rechnung. Geh'!
Zu meinem Zwecke zu gelangen muß ich wohl
Mein Liebstes wagen. Dieses denkend geht er noch
Zum sechsten Schäfer. Schäfer, fragt er, wie gefällt
Mein Pelz dir! — Laß ihn näher sehen! Er ist schön:
Die Hunde haben dir das Fell wohl nie zerzaust. —
So höre, Schäfer! ich bin alt, und werd' es wohl
Nicht lange treiben: füttre mich zu Tod', und ich
Vermache meinen Pelz dir, Ei! versetzt der Hirt:
Verstehst auch du die Listen unserer geizigen
Graubärte? Nein, mein Freund! am Ende kostete
Dein Pelz mir zehnmal mehr, als er an Wert beträgt.
Doch wenn es dir ein Ernst mit dem Vermächtnis ist,
So werd' ich in Empfang es nehmen. Hiermit griff
Der Schäfer nach der Keule. Doch der Wolf entsprang.
Ihr Unbarmherzigen, so rief er wütend aus:
Ihr wollt nicht, daß ich leben soll? So sterb' ich denn
Als euer Feind, eh' Hunger langsam mich verzehrt.
Schnell brach er in die Wohnungen der Schäfer ein,
Riß ihre Kinder nieder, bis man ihn zuletzt
Mit Müh' erschlug. Nun seufzten alle: Hätten wir
Den alten Räuber nicht auf's Äußerste gebracht,
Ihm Raum zur Besserung, so notgedrungen sie
Auch war, vergönnt: der Schade wäre minder groß.
Lessing
Der Wolf und der
Schäfer
Durch eine fürchterliche Seuche kam ein Schäfer
Um alles Vieh. Der Wolf erfuhr es bald, ging zu ihm
Und stattete sein Beileid ab. Du guter Schäfer,
Begann er: ist es möglich? deine ganze Herde
Verlorest du? die liebe, fromme, fette Herde?
Ach! um das Unglück möcht' ich Blut statt Tränen weinen.
Dein Mitleid ist mir glaublich, war des Schäfers Antwort:
Auch unter uns sind viele, welche Mitleid tragen,
Wenn ihnen selbst das Unglück ihres Nächsten schadet.
Lessing
Der Bauer und die
Schlange
Ein Ackersmann fand eine Schlange,
Die fast erstarrt vor Kälte war.
Sein Arm entriß sie der Gefahr
Und ihrem nahen Untergange.
Er nahm sie mit sich in sein Haus
Und sucht' ihr einen Winkel aus,
Wo noch ein Rest von Reisern glühte.
Doch als ihr Frost und Not entwich,
Erholte, regt' und hub sie sich,
Und lohnte dem mit Biß und Stich,
Den ihre Rettung so bemühte.
* * *
Betrogne Huld und Zärtlichkeit,
Die Frevlern blindlings Hilfe beut!
Hier folgt der Schaden stets der Güte.
Hagedorn
Tamino und Pamina
Ein Windhund, der Tamino hieß,
Betrug sich oft sehr ungeraten.
Einst stahl er einen ganzen Braten,
Den ohne Schutz der Koch verließ,
Und machte glücklich mit dem Raube
Sich fort in eine Gartenlaube.
Indem er da mit Gier und Hast
Die Zähne brauchte, kam als Gast
Ein Löwenhündchen aus dem Hause.
"Herr Kam'rad, halb Part vom Schmause!"
Rief's lustig: "meine Wenigkeit
Dient wieder bei Gelegenheit."
"Man sollte sich des Bettelns schämen!"
Sprach jener: "doch zur Not magst du
Für diesmal einen Mund voll nehmen."
Pamina langte schüchtern zu.
Indessen donnerten die Flüche
Des Bratenmeisters in der Küche,
Und er erriet den Dieb im Nu.
Er stürmte fort, ihn zu entdecken,
Und feindlich führt' ein Ungefähr,
Den beiden Schmausenden zum Schrecken,
Mit einem fürchterlichen Stecken
Ihn schnurstracks in den Garten her.
Tamino setzte, wie mit Schwingen,
Sich über'n Zaun in Sicherheit;
Doch, nicht gebaut zu solchen Sprüngen,
Entkam der Löwenzwerg nicht weit,
Ward jämmerlich vom Koch gebleut,
Und ließ sein Weh durch's Haus erklingen.
"Was gibt's?" begann der edle Hund
Sarastro, ein betagter Pudel.
Pamina tat ihr Unglück kund.
"O Törin!" sprach der graue Mund:
"Du hast in diesen Schlägestrudel
Durch einen Fehltritt dich gebracht!
Pfui! deinem Magen bloß zu Liebe
Hast du mit einem Schelm und Diebe
Vertraute Kumpanei gemacht."
"Ach, lieber, alter Vater!" sagte
Das Hündchen: "warum schmälet Ihr?
Tamino, wenn ihn Hunger plagte,
Kam fleißig auch als Gast zu mir.
Saht Ihr doch selber mich bisweilen
Die kleine Schüssel mit ihm teilen,
Und lobtet mich sogar dafür!"
"Ganz recht!" erwiderte der Weise,
"Die Tat war gut, die ich erhob.
Wer fremdem Hunger seine Speise
Mildherzig reicht, verdienet Lob.
Gib, wem du willst! Da sei Bedenken
Und kalte Vorsicht gern verbannt;
Doch naht man dir sich mit Geschenken,
So nimm sie nur aus reiner Hand!"
Langbein
Der Phönix und das
Rebhuhn
Ein Rebhuhn sah durch eine Flut
Den Weizenvorrat weggespület,
Den es für seine kleine Brut
Gesammelt hatte. Niemand fühlet
Den Gram, den seine Brust empfand,
Als eine Mutter. Bebend wand
Es seine Flügel, lautes Ächzen
Erscholl durch das verheerte Feld.
Der fromme Phönix hört das Krächzen
Und floh aus seinem Palmenzelt
Versteckt herbei. Sein Ohr belauschet
Die Märtyrin, ihr Kummer schwellt sein Herz;
Er naht sich ihr. "Wer tauschet
Mir Weizen gegen Gerste aus?"
Sprach er. "Ach!" rief das Huhn, "ich habe
Kaum tausend Körner noch im Haus."
"Die nehm' ich an. Zur Gegengabe,"
Versetzt der Phönix, "wird der Strauß
Ein Malter Gerste zu dir tragen."
Das Huhn verstummt; sein Auge floß
Und sagte mehr, als Hymnen sagen.
Jetzt reißt das Band der Zunge los.
"O Heil dir!" schluchzt es, "unser Leben
Ist dein Werk. Das Geschenk ist groß;
Noch größer ist die Art zu geben."
Pfeffel
Ursprung der Rose
Den Rosenzweig benagt ein Lämmchen auf der Weide,
Es tut's nur sich zur Lust, es tut's nicht ihm zu Leide.
Dafür hat Rosendorn dem Lämmchen abgezwackt
Ein Flöckchen Wolle nur; es ward davon nicht nackt.
Das Flöckchen hielt der Dorn in scharfen Fingern fest;
Da kam die Nachtigall und wollte bau'n ihr Nest.
Sie sprach: Tu' auf die Hand und gib das Flöckchen mir,
Und ist mein Nest gebaut, sing' ich zum Danke dir.
Er gab, sie nahm und baut', und als sie nun gesungen,
Da ist am Rosendorn vor Lust die Ros' entsprungen!
Friedrich Rückert
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