Der Löwe und der Fuchs
Einst trat ein Löwe, durch die Hitze des Tages ermattet, in
eine Höhle, um sich dort in
den Schatten zu legen. Kaum hatte er sich auf die Erde
geworfen, als ein Hamster über
seinen Rücken lief; der Löwe erhob sich eilig und sah rechts
und links um sich, als ob er
äußerst erschrocken wäre. Ein Fuchs, der es sah, fing an zu
lachen; — ich fürchte diesen
Hamster nicht, erwiderte der Löwe, aber ich bin darüber
zornig, daß man mich zu
verachten wagt!
Diese Fabel bezeichnet, daß Verachtung für deu Weisen
schrecklicher als Tod ist.
Lôkman
Der Fuchs
Ein alter Fuchs fühlt sich dem Tode nah,
Er fastet, spielt den Heiligen, kasteit die Glieder:
Doch traut' ihm nicht einz'ges Hühnchen da;
Ein übler Ruf ersetzet sich nicht wieder!
Mollevaut
Klage über das Zeitalter
Ein Fuchs lief voll von Seelengram,
Ein andrer Fuchs zu selbem kam?
Er sprach: was kündest du mir an?
"Nach Eseln jagt heut der Sultan."
Er sprach: du bist ein Esel nicht —
Ja wohl! allein ein kurz Gesicht,
Das unterscheidet nicht genau,
Ob Esel oder Fuchs es schau'.
Drum fürcht' ich, Bruder, mich mit Recht,
Daß mir's ergeh' als Esel schlecht:
Im eselhaften Menschenreich
Hält man die Füchse Eseln gleich!"
Aus dem Persischen des Ewhadeddin Enweri
Die Großmut
Als der Löwe die Maus, die in ihrem Spiele unvorsichtiger
Weise in seine Klauen gefallen
war, wieder in die Freiheit setzte, tadelte der Fuchs seine
Gelindigkeit und sagte: mir
hätte die Maus es mit dem Leben bezahlen müssen; denn wenn
sie gleich den Vorsatz
nicht gehabt hat, dir Schaden zuzufügen, so hat sie doch ein
gefährliches Beispiel
gegeben, wie man dir in deinem Schlafe auf den Hals springen
und dich verwunden
könnte. Der Löwe versetzte: du hättest gehandelt wie der
Fuchs, aber ich bin der Löwe.
Bodmer
Das Roß und der Stier
Ein feurig Roß ließ einen dreisten Knaben
Geduldig auf sich vorwärts traben.
Ein wilder Stier, der ihm begegnet, sprach!
"Pfui, Schande! und du läßt dich so gemach
Sogar von einem Knaben reiten?
Das stolze Roß — wie ändern sich die Zeiten!"
"Schweig!" wiehert ernst der Gaul ihm zu,
"Ein edles Roß denkt nicht wie du.
Ihn abzuwerfen kann nicht Ruhm mir bringen,
Da er nicht Kraft hat, meine Kraft zu zwingen!"
Ziehnert
Der Wolf auf dem
Totenbette
Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen
prüfenden Blick auf sein
vergangenes Leben zurück. Ich bin freilich ein Sünder, sagte
er; aber doch, hoffe ich,
keiner von den größten. Ich habe Böses getan; aber auch viel
Gutes. Einsmals, erinnere
ich mich, kam mir ein blökendes Lamm, welches sich von der
Herde verirrt hatte,
so nahe, daß ich es gar leicht hätte würgen können; und ich
tat ihm nichts. Zu eben
dieser Zeit hörte ich die Spöttereien und Schmähungen eines
Schafes mit der
bewundernswürdigsten Gleichgültigkeit an, ob ich schon keine
schützenden Hunde zu
fürchten hatte.
Und das Alles kann ich dir bezeugen, fiel ihm Freund Fuchs,
der ihn zum Tode bereiten
half, in's Wort. Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller
Umstände dabei. Es war zu
eben der Zeit, als du dich an dem Beine so jämmerlich
würgtest, das dir der gutherzige
Kranich hernach aus dem Schlunde zog.
Lessing
Die Nachtigall
und die Ameise
Eine Nachtigall hatte auf einem Aste ihr Nest gemacht,
worunter eine schwache Ameise
auf wenige Tage ihr Lager aufschlug. Die Nachtigall umflog
Tag und Nacht das
Rosenbeet, und ergoß ihr Lied in herzraubenden Melodien. Die
Ameise war Nacht und Tag
geschäftig, und die Nachtigall freute sich in Fluren und
Gärten ihrer eigenen Töne.
Sie koste mit der Rose von ihren Geheimnissen und machte den
Ostwind zu ihrem
Vertrauten. Die schwache Ameise, als sie die Schmeicheleien
der Rose und das Flehen
der Nachtigall sah, sprach sie zu sich selbst: Was wird aus
diesem Geschwätze zu
anderer Zeit wohl herauskommen? Als nun die schöne
Jahreszeit verflossen war, und der
Herbstwind daher fuhr, traten Dornen an die Stelle der
Rosen, und Raben nahmen den
Sitz der Nachtigallen ein. Es stürmten die Herbstorkane, und
beraubten die Bäume ihres
Schmuckes, die Blätter wurden gelb und die Luft kalt. Aus
den Wolken fielen Perlen,
und in der Luft flog der Kampher des Schnee's. Da kam die
Nachtigall auf einmal in den
Garten, in dem nicht mehr Farbe der Rosen noch Geruch der
Jasminen war. Ihre tausend
Sagen kundige Zunge verstummte. Da war keine Rose, deren
Bild sie anschauen,
kein Grün, dessen Schönheit sie betrachten konnte. Im
entblätterten Haine entsank ihr
der Mut, und in der allgemeinen Stille erstarb ihr der Ton
in der Kehle. Sie erinnerte sich,
daß in vorigen Tagen eine Ameise an diesem Baume gewohnt und
viele Körner
gesammelt. Ich will heute zu ihr gehen, dachte sie sich, und
vermöge guter
Nachbarschaft etwas von ihr begehren. So ging nun die
Nachtigall nackt und hungrig zur
Türe der Ameise hin, und sprach: Die Freigebigkeit ist ein
Wahrzeichen deines Glückes,
und das Kapital meines Wohlstandes. Ich habe das kostbare
Leben fahrlässig
durchgebracht, du aber bist fleißig gewesen, und hast
Proviant gesammelt.
Was wird es denn auch sein, wenn du mich heute von diesem
Unglücke großmütig
rettest! — Die Ameise sprach: du brachtest die Nacht zu mit
verliebtem Rat, und ich mit
emsiger Tat. Du warst bald mit der Blüte der Rosen
beschäftigt, und bald stolz auf den
Anblick des Frühlings. Wußtest du denn nicht, daß auf den
Frühling der Herbst folgt,
und daß jede Straße durch Wüsten führt?
Freunde, wendet die Erzählung von der Nachtigall aus euren
eignen Zustand an,
und wisset, daß auf alles Leben Tod folgt, und auf jeden
Genuß Trennung. Der Trank des
Lebens ist nicht ohne Hefen, und der Atlas des Daseins hat
Streifen!
Saadi
Die Ameise und die
Zikade
Vom Hunger matt, und ganz erstarrt von Kälte
Schleicht die Zikade, nur noch halb am Leben,
Zur Ameis langsam hin voll Angst und Beben,
Und klagt ihr, daß ihr Kraft und Speise fehlte.
Sie bittet sehr, weil sie der Winter quälte,
Da sonst der Sommer Nahrung ihr gegeben,
Sie möchte mitleidsvoll ihr Aug' erheben,
Weil jeder Aufschub ihrem Leben gelte.
Die Ameis sprach: "Wo warst du vor'ges Jahr,
Als ich zu Sommerzeit mir volle Lasten
Von Speisen mühvoll trug zu meinem Neste?" —
"Da sang ich Lieder in der Freunde Schar,
War satt und froh." — Und sie sprach: Meine Beste,
Du konntest sammeln auch; nun magst du fasten."
* * *
Denkt in des Lebens Lenz an den Januar!
Pavesi
(Italienisch)
Der Hirsch, der
sich im Wasser besieht
Ein Hirsch bewunderte sein prächtiges Geweih
Am Spiegel einer klaren Quelle.
Wie prächtig! auf derselben Stelle,
Wo Königs-Kronen steh'n! und wie so stolz, so frei!
Auch ist mein ganzer Leib vollkommen, nur allein
Die Beine nicht, die sollten stärker sein!
Und als er sie besieht, mit ernstlichem Gesicht,
Hört er im nahen Busch ein Jägerhorn erschallen,
Sieht eine Jagd von dem Gebirge fallen,
Erschrickt und flieht! Nun aber hilft ihm nicht
Das prächtige Geweih dem nahen Tod entfliehn,
Nicht sein vollkommner Leib, die Beine retten ihn!
Die reißen, wie ein Pfeil, die prächtige Gestalt
Mit sich durch's weite Feld, und fliegen in den Wald!
Hier aber halten ihn, im vogelschnellen Lauf,
An starken Zweigen oft die vierzehn Enden auf.
Er reißt sich los, und flucht darauf;
Lobt seine Beine nun, und lernet noch im Flieh'n
Das Nützliche dem Schönen vorzuzieh'n.
Gleim
Die Nachtigall und
der Falk
Als ein Rosenstrauch auf einem Gartenbeete aufblühte, kam
eine Nachtigall zu einem
Falken und sprach zu ihm: "Wie hast du denn, der du unter
allen Vögeln keinen Laut von
dir gibst, die Schale des Eies, aus dem du geboren bist,
durchbrochen? So sage mir dies
doch endlich einmal. So lange du mit verschlossenem Munde
atmest, hast du zu
Niemanden auch nicht einmal ein einziges gescheites Wort
gesprochen. Dein Wohnsitz ist
ein eiserner Ring, deine Nahrung' die Brust eines
auserlesenen Rebhuhns. Ich, die ich mit
jedem Augenwinke hunderte von köstlichen Edelsteinen auf
eine bewunderungswürdige
Weise aus meiner Brust hervorschütte, — warum mache ich
denn, von meinem Instinkt
geleitet, Jagd auf Würmer? Warum sind Dornen mir zur Wohnung
angewiesen?"
Der Falk antwortete ihr: "Magst du noch so wenig von mir
hören, hab' Acht auf mein
Stillschweigen, und schweige du selbst. Ich, mit der Arbeit
nicht unbekannt, vollbringe
Unzähliges, und darum rühme ich mich doch nicht einer
einzigen Tat. Geh', denn die
Natur schuf dich zur Törin; du tust nichts, und verrätst
Unzähliges. Ich, wenn ich auf
der Jagd auf Alles aufmerksam bin, empfange die Brust des
Rebhuhns aus der Hand des
Königs. Du, da durchaus nichts an dir ist, außer deinem
Gesange, iß Würmer, wohne in
Dornen, und nun geh' deine Wege."
Nisami (Persisch)
Der Feigenbaum
und Mandelbaum
Der Mandelbaum sprach zum Feigenbaum: "Woher kommt es denn,
daß du allein unter
allen Bäumen, die im Herbste Früchte tragen, im Frühjahr
keine Blüten hast?"
Der Feigenbaum antwortete: "Um es nicht so zu machen, wie
du, der du oft im Frühjahr
blühst und doch im Herbste keine Früchte trägst."
Die Jugend soll daraus lernen, daß sie nicht zu früh mit
ihrem bißchen Wissen flunkern soll.
Baldi
(Italienisch)
Die Katze und der Käse
Es spitzt das Ohr der karge Herr vom Haus,
Weil er im Kämmerlein Geräusch vernommen,
Er späht, und sieht, daß eine kühne Maus
Ganz heimlich ist mit List hereingekommen,
Und wie? sie nagte ihm die Dielen aus;
Die hat den fettesten Käs sich vorgenommen,
Der Pfiff'ge schließt die Katze in die Kammer,
Die Katze frißt die Maus, allein die Böse,
Es ist ein Jammer,
Frißt nach der Maus auch seinen ganzen Käse.
Ein gier'ger Alliierter schadet mehr,
Als grimm'ger Feinde wohl ein ganzes Heer.
Roberti
(Italienisch.)
Der Besitzer des Bogens
Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem
er sehr weit und sehr
sicher schoß, und den er ungemein wert hielt. Einst aber,
als er ihn aufmerksam
betrachtete, sprach er: Ein wenig zu plump bist du doch!
Alle deine Zierde ist die Glätte.
Schade! — Doch dem ist abzuhelfen; fiel ihm ein. Ich will
hingehen und den besten
Künstler Bilder in den Bogen schnitzen lassen. — Er ging
hin; und der Künstler schnitzte
eine ganze Jagd auf den Bogen; und was hätte sich besser auf
einen Bogen geschickt,
als eine Jagd?
Der Mann war voller Freuden. "Du verdienest diese Zierraten,
mein lieber Bogen!" —Indem will
er ihn versuchen; er spannt, und der Bogen — zerbricht.
Lessing
Der Knabe und
der Schmetterling
Ein Knabe, der, sich zu vergnügen,
Im Felde Schmetterlinge fing,
Sah einen Trauermantel fliegen,
Den allerschönsten Schmetterling.
Ach! rief er keuchend, laß dich fangen!
Du sollst in meinem Schränkchen prangen,
Mein allerliebster Schmetterling!
Und sprang mit diesen Worten über Tal und Hügel
Dem Vogel nach, der bald sich niederließ,
Sich sonnte; bald mit schnellem Flügel
Dem droh'nden Hute sich entriß;
Den kleinen Jäger jetzt auf Seitenwege führte,
Dann rückwärts flog, dann links, dann rechter Hand,
Und wenn der Knab' ihn fast berührte,
Schnell hinter einem Strauch verschwand.
Mein Kleiner läßt sich immer äffen.
Der Vogel fliegt zum Bach, er läuft ihm nach
Und wirft, ihn endlich noch zu treffen,
Den Hut darüber in den Bach.
Doch selber der Verlust vom Hute
Bewaffnet ihn mit neuem Mute.
Er jagte, warf und schlug, und seht! er fing,
Gleich da die Sonne unterging,
Zwar freilich nach verlornem Hute;
Zwar Leib und Kleid voll Staub; zwar bebend vor der Rute —
Doch, was tut das! genug, er fing
Den allerliebsten Schmetterling!
Michaelis
Flora und die Blumen
Kinderchen des holden, süßen Frühlings,
Hört, o hört der Mutter treue Warnung!
Wenn ein lauer Winterwest euch heuchelt,
Trauet nicht dem heuchelnd bösen Mörder!
Wartet, bis der goldne Vater ruft,
Bis die treue Mutter euch erscheinet,
Die euch weckt aus euren Winterbettchen
Und euch Kleider bringt und schöne Häubchen.
Also sprach zu ihren Blumenkindern
Flora scheidend, und ging auf zum Himmel,
Alle Blumen sagten ihr Gehorsam
Und Geduld zu, bis sie wieder käme.
Als sie kam, der goldne Vater Frühling
Rief die Kinder aus dem Winterschlafe,
Und die Mutter brachte schöne Kleider,
Lief umher und sucht und zählet alle.
Ach da fand sie manches schöne Knöspchen
Früh hervorgelockt vom bösen Mörder.
Ausgetreten war's aus seiner Zelle,
Hatt' hervorgeblickt mit seinen Äuglein;
Und war bald erstarret von des bösen
Heuchelnden Verführers Hauch vergiftet:
Dem, der Winterwest war Frost geworden,
Und erstarret stand das arme Blümchen.
Traurig rief die Mutter ihrem Zephyr,
Der es brach; und sie begrub es weinend.
Ach das ungeduld'ge frühe Blümchen
Prangt nun nimmer mehr im Lenz der Flora!
Herder (Nach dem Persischen)
Der Goldfasan
Es war einst eine Hungersnot
Im Tierreich, alles schrie nach Brot;
Die Vögel fielen aus der Luft,
Wie Mücken in die weite Gruft.
Ein Goldfasan schlich matt und schwer
Und ächzend durch den Hain umher;
Ihm sah ein Specht von ferne zu
Und sagte: Freund, was ächzest du?
An deiner Stelle hätt' ich bald
Den fettesten Tisch im ganzen Wald;
Verkaufe nur dein reiches Kleid,
So hast du Brot auf lange Zeit.
Dem Goldfasan gefiel der Rat,
Er setzte seinen ganzen Staat
Bei einem alten Hamster ab,
Der ihm zwo Metzen Korn drum gab.
Nun pflegt er sich bei Fürstenkost;
Doch plötzlich fiel ein Winterfrost,
Und plötzlich war der arme Narr
Am nackten Leibe blau und starr.
O weh mir! sprach er nun zum Specht,
Mein guter Freund, dein Rat war schlecht;
Ich weiß, man stirbt aus Hungersnot,
Doch wer erfriert, ist gleichfalls tot.
Pfeffel
Die Esel
Die Esel beklagten sich bei dem Zeus, daß die Menschen mit
ihnen zu grausam
umgingen. Unser starker Rücken, sagten sie, trägt ihre
Lasten, unter welchen sie und
jedes schwächere Tier erliegen müßten. Und doch wollen sie
uns, durch unbarmherzige
Schläge, zu einer Geschwindigkeit nötigen, die uns durch die
Last unmöglich gemacht
würde, wenn sie uns auch die Natur nicht versagt hätte.
Verbiete ihnen, Zeus, so unbillig
zu sein, wenn sich die Menschen anders etwas Böses verbieten
lassen. Wir wollen ihnen
dienen, weil es scheinet, daß du uns dazu erschaffen hast;
allein geschlagen wollen wir
ohne Ursache nicht sein.
Mein Geschöpf, antwortete Zeus ihrem Sprecher, die Bitte ist
nicht ungerecht; aber ich
sehe keine Möglichkeit, die Menschen zu überzeugen, daß eure
natürliche Langsamkeit
keine Faulheit sei. Und so lange sie dieses glauben, werdet
ihr geschlagen werden.
—Doch ich sinne euer Schicksal zu erleichtern. — Die
Unempfindlichkeit soll von nun an
euer Teil sein; eure Haut soll sich gegen die Schläge
verhärten, und den Arm des
Treibers ermüden.
Zeus, schrieen die Esel, du bist allezeit weise und gnädig!
— Sie gingen erfreut von
seinem Throne, als dem Throne der allgemeinen Liebe.
Lessing
Der Fall des großen
Baumes und der kleinen Bäume
Der Sturm erhob sich, und fuhr brüllend und reißend durch
die Gipfel der Bäume, die ihre
Häupter vor ihm neigen mußten.
"Zürne und tose nur," sagte ein starkstämmiger stattlicher
Baum, "stürme nur; ob ich
wohl mich ein wenig vor dir beugen muß, trotz' ich doch
deiner Gewalt und stehe fest!"
"Ja stürme und tose nur," plauderte eine Gruppe kleiner
Bäume, die unter dem Schutze
des Großen standen, "stürme nur; der Große steht fest und
schützt uns!"
Aber der Sturm nahm seinen ganzen Atem zusammen. Krach! und
noch einmal: krach!
und der große stolze Baum lag entwurzelt da, und ach! die
meisten kleinen Bäume hatte
er in seinem krachenden Falle mit zerschmettert.
Der Affe und die Uhr
Ein Herr, genötigt auszugehen,
Vergaß aus großer Eil die Sackuhr an der Wand;
Wo sie sein zahmer Affe fand,
Und tat, was er gar oft von seinem Herrn gesehen.
Er machte sie mit einer Binde
Sich um den Leib, und gleich darauf
Sah er darnach, und sprach: "Die Uhr geht zu geschwinde!"
Er zog sie gleich von neuem auf;
Er öffnete das Glas, und stellte sie zurücke;
Doch in dem andern Augenblicke
Zog er sie wieder vor. "Seht," spricht das kluge Tier,
"Sie will nunmehr zu langsam gehen;
Das wäre schön! Wie helf ' ich ihr?"
Er rückt am kleinen Zifferblättchen,
Hält sie dann altklug an das Ohr:
"Der ganze Schlag ist falsch!" Er nimmt sie nochmals vor,
Und künstelt unten an dem Kettchen,
Stößt in die Räderchen, und rüttelt, rückt und dreht,
Bis gar das Ührchen stille steht.
* * *
Es ging ihm, wie es Jedem geht,
Der etwas meistern will, wovon er nichts versteht.
Lichtwer
Die Schildkröte
und die Enten
Es schloß die Schildkröt' einmal Freundschaft
Am Meeresufer mit zwei Gänsen,
Und ungestört von Schicksalsleiden
Befestigte sich dieser Bund;
Doch eines Tages, als der Himmel
Die schöne Eintracht stören wollte,
Ergriff die Gänse Lust am Meer,
Und sie beschlossen fortzureisen.
Die Schildkröt' sprach mit Weinen: Freunde,
Die ihr nicht Trennungsschmerzen fühlt,
Ich habe euer gutes Glück
Und euren Schmerz bisher geteilt,
Und ist wie Stein der Rücken hart,
So schlägt mir's Herz im Busen zart,
Ich habe Niemanden als euch,
Und eure Treue schützet mich,
Ich teile meine Kraft mit euch,
Und alle Macht kommt mir von euch.
Ich bin nun in mich selbst gekehrt
Und unterliege dieser Last.
Es war nicht fern davon ein Teich,
Worauf ein Stecken flottend schwamm.
Es nahm ihn eine Gans von einer,
Die andre von der andern Seite.
Die Schildkröt' griff ihn mit dem Mund
Und schlug darein die Zähne fest,
Um mit den Gänsen fortzureisen.
Ein neuer Vogel, Gast der Gänse. —
Als sie nun zogen über's Land,
Ging's über einen Haufen Volkes,
Sie schrieen allzusammen: Wunder!
Zwei Gänse, so die Schildkröt' tragen:
Die Schildkröt' hört's, und sprach:
Die Neider seien alle blind!
Doch wie sie's sprach, so stürzt sie auch
Von jener Höh' zur Erde nieder.
So trägt ein einzig unnütz Wort,
Das Glück und auch das Leben fort.
Dschami! statt unnütz mit dem Wort zu schalten,
Sollst du den Mund verschlossen halten.
Aus dem Persischen des Dschami
Der Hirsch und der
Fuchs
Der Hirsch sprach zu dem Fuchse: Nun wehe uns armen
schwächern Tieren! Der Löwe
hat sich mit dem Wolfe verbunden.
Mit dem Wolfe? sagte der Fuchs. Das mag noch hingehen! Der
Löwe brüllet, der Wolf
heulet; und so werdet ihr euch noch oft bei Zeiten mit der
Flucht retten können.
Aber alsdenn, alsdenn möchte es um uns alle geschehen sein,
wenn es dem gewaltigen
Löwen einfallen sollte, sich mit dem schleichenden Luchse zu
verbinden.
Lessing
Die Biene und die Henne
"Nun, Biene!" sprach die träge Henne,
"Das muß ich in der Tat gesteh'n,
So lange Zeit, als ich dich kenne,
So seh' ich dich auch müßig geh'n.
Du sinnst auf nichts als dein Vergnügen;
Im Garten auf die Blumen fliegen,
Und ihren Blüten Saft entzieh'n,
Mag eben nicht gar sehr bemüh'n.
Bleib' immer auf der Nelke sitzen,
Dann fliege zu dem Rosenstrauch.
Wär' ich, wie du, ich tät' es auch.
Was brauchst du andern viel zu nützen?
Genug, daß wir so manchen Morgen
Mit Eiern unser Haus versorgen."
"O!" rief die Biene, "spotte nicht
Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
Nicht so, wie du, bei jedem Eie
Aus vollem Halse zehnmal schreie
So denkst du, wär' ich ohne Fleiß.
Der Bienenstock sei mein Beweis,
Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
Ich, oder eine träge Henne?
Denn, wenn wir auf den Blumen liegen,
So sind wir nicht auf uns bedacht;
Wir sammeln Saft, der Honig macht,
Um fremde Zungen zu vergnügen,
Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
Und schreien wir bei warmen Tagen,
Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
Uns nicht, wie du, im Neste heisch,
So präge es dir klüglich ein:
Wir hassen allen stolzen Schein;
Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen
Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.
Auch hat uns die Natur beschenkt,
Und einen Stachel eingesenkt,
Mit dem wir die bestrafen sollen,
Die, was sie selber nicht versteh'n,
Doch meistern und verachten wollen:
Drum, Henne! rat' ich dir, zu geh'n."
Gellert
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