Das Geschenk der Feen
Zu der Wiege eines jungen Prinzen, der in der Folge einer
der größten Regenten seines
Landes ward, traten zwei wohltätige Feen.
Ich schenke diesem meinem Lieblinge, sagte die eine, den
scharfsichtigen Blick des
Adlers, dem in seinem weiten Reiche auch die kleinste Mücke
nicht entgeht.
Das Geschenk ist schön, unterbrach sie die zweite Fee. Der
Prinz wird ein einsichtsvoller
Monarch werden. Aber der Adler besitzt nicht allein
Scharfsichtigkeit, die kleinsten
Mücken zu bemerken; er besitzt auch edle Verachtung, ihnen
nicht nachzujagen.
Und diese nehme der Prinz von mir zum Geschenk!
Ich danke dir, Schwester, für diese weise Einschränkung,
versetzte die erste Fee.
Es ist wahr; viele würden weit größere Könige gewesen sein,
wenn sie sich weniger mit
ihrem durchdringenden Verstande bis zu den kleinsten
Angelegenheiten hätten
erniedrigen wollen.
Lessing
Die Fabel Jothams
die er dem Volke erzählte
Ihr Männer, ihr Herren von Sichem, höret mich,
Und Gott wird euch auch hören!
Es gingen die Bäume einmal,
Zu salben einen König über sich.
Sie kamen zum Ölbaum:
"Sei König über uns!"
Da sprach zu ihnen der Ölbaum:
"Soll ich aufgeben meinen fetten Saft,
Ob dem mich Götter und Menschen ehren,
Und hingeh'n, daß ich über den Bäumen schwebe?"
Da sprachen die Bäume zum Feigenbaume:
"Komm du, sei unser König!"
Da sprach zu ihnen der Feigenbaum:
"Soll ich aufgeben meine Süßigkeit
Und schöne Jahresfrucht
Und hingeh'n, daß ich über den Bäumen schwebe?"
Da sprachen die Bäume zum Weinstock:
"Komm du, sei unser König!"
Da sprach zu ihnen der Weinstock:
"Soll ich aufgeben meinen süßen Most,
Der Götter und Menschen fröhlich macht,
Und hingeh'n, daß ich über den Bäumen schwebe?"
Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch:
"Komm du, sei unser König!"
Der Dornbusch sprach zu den Bäumen:
"Wenn es denn wahr ist, daß ihr mich
Zu eurem Könige salbt,
So kommet und vertraut euch meinem Schatten.
Wo aber nicht,
So gehe Feuer vom Dornbusch aus
Und fresse die Zedern Libanons!"
Buch der
Richter 9
Taube im Fangkäfig
Täublein, Täublein, im Käfig da,
Nimm dich in Acht, der Aar ist nah!
T. Sein Nahsein macht mir keine Sorgen,
Ich fürchte ihn nicht, bin hier geborgen,
Und wagt er zu tief sich in mein Haus,
Ist's gar wohl mit seinem Leben aus.
Der Aar sieht den Raub, stürzt sausend herunter;
Willkommen im Kerker! spricht's Täublein munter.
O wär' ich, klagt jener, nur einmal noch frei,
Käm' ich dir, du Falsche, wohl anders bei!
T. Zu spät! denn gehandelt und dann bedacht,
Hat Manchem schon großes Leid gebracht.
Erdmann
Stiller
Der Affe
Ein Affe sah ein paar geschickte Knaben
Im Brett einmal die Dame zieh'n,
Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben,
Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien,
Als könnt' er selbst die Dame zieh'n.
Er legte bald sein Mißvergnügen,
Bald seinen Beifall an den Tag.
Er schüttelte den Kopf jetzt bei des Einen Zügen,
Und billigte darauf des Andern Schlag.
Der Eine, der gern siegen wollte,
Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu zieh'n;
Der Affe stieß darauf an ihn,
Und nickte, daß er machen sollte.
"Doch welchen Stein soll ich denn zieh'n,
Wenn du's so gut verstehst?" sprach der erzürnte Knabe,
"Den? jenen? oder diesen da,
Auf welchem ich den Finger habe?"
Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah,
Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja!
* * *
Um deren Weisheit zu ergründen,
Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstünden,
So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja
Bei deinen Fragen hurtig da,
So kannst du mathematisch schließen,
Daß sie nicht das Geringste wissen.
Gellert
Die Grille
Nun, gute Nacht, du schnöde Welt!
Wo nur der Tor und der Verbrecher
Der Tugend Ruhm und Lohn erhält:
Wo man den kleinen Lebensbecher
Bis auf die Hefen mir vergällt:
Wo mich das große Vieh mit Füßen
Zertritt, das kleine gar verzehrt.
Zwar wird die Welt mich bald vermissen;
Je nun, sie war nicht meiner wert;
Auch will ich sie auf ewig fliehen
Und mich in eine Klause ziehen,
Wo sie nichts mehr von mir erfährt.
So sang, geplagt von schwarzer Galle,
Jüngst eine Grille, die im Gras
Am bunten Fuß des Jura saß,
Ihr Klagelied dem Widerhalle.
Allein er schwieg. Ein Heupferd nur, —
Es hüpfte fröhlich durch die Flur, —
Belauschte die Jeremiade.
Wie, sprach es, Bäschen, bist du klug?
Was äfft dich für ein Selbstbetrug?
Vom Elephanten bis zur Made
Beschied uns Zeus ein gleiches Los.
Er reicht uns manche milde Gabe
Aus seiner Erde vollem Schoß,
Und führet alle klein und groß,
Auf ihrem eignen Weg zum Grabe.
Die Feinde, die dich schrecken, sind
Gespenster, die dein Stolz erfunden.
Drum glaube mir, mein liebes Kind,
Genieß des Lebens kurze Stunden,
Und laß den Dingen ihren Lauf.
Die Grille merkte nicht darauf,
Und blieb auf ihrem strengen Schlusse,
Die Welt zu fliehn. Mit schnellem Fuße
Durchwallte sie zwölf Stunden lang
Das Labyrinth der grünen Matte,
Wo sie das Licht erblicket hatte
Und kam bei Sonnenuntergang
In einem unbekannten Lande,
Ihr lag es an des Erdballs Rande,
Auf einem Weizenacker an.
Die dichtgedrängten Ähren bogen
Sich hin und her in hohen Wogen,
Gleich einem goldnen Ozean.
Auf diesem unentweihten Boden,
Wo mich kein Feind erreichen kann,
Hier bei den frommen Antipoden,
Beschließ' ich meine Pilgersbahn.
In dieses Waldes dunkeln Schatten
Winkt mir die Ruhe, welche mir
Die Feinde nie vergönnet hatten.
So sprach das unzufriedne Tier
Und schmiegte nun, befreit von Sorgen,
Sich unter einen Erdenkloß.
Noch schlief es, als am frühen Morgen
Der Gutsherr mit dem frohen Troß
Der Schnitter ihre Ruhe kürzte,
Und unter lautem Flötenklang
Mit Feldgeschrei und Jubelsang
Auf den betauten Acker stürzte.
Der Sichel blanke Schärfe hieb,
Wie Rolands Schwert der Heiden Glieder,
Der Ähren falbes Dickicht nieder,
So daß im Feld nichts übrig blieb,
Als Stoppeln und entblößte Schollen.
Nun, rief die Grille, seh' ich wohl,
Daß bis zum Nord' und Süderpol
Die Feinde mich verfolgen wollen.
Ach! kaum entging ich ihrer Wut,
So sammelt sich die ganze Brut
Um ihrer Beute nachzurennen;
Ja, sie verheeren selbst ihr Gut,
Damit sie nur mich haschen können,
Und würden, käm' es darauf an,
Mit eigner Hand es gar verbrennen.
Hier, Mörder, färbet euern Zahn
Mit euers Opfers reinem Blute!
Beschließt das ekle Trauerspiel.
Sie sprach's und trat mit heitrem Mute
Aus ihrem staubichten Asyl.
Ein Knabe, für ihr Aug' ein Riese,
Ergriff sie, trug vom kahlen Platz
Sie sanft auf eine Wiese
Und rief ihr zu: da friß, mein Schatz!
Pfeffel
Die Verlegenheit
bei der Wahl
Drei Schmetterlinge flogen über die Heide im Sonnenscheine;
sie neckten einen Knaben,
indem sie unter seinen Händen, vor seiner Nase sich
kreuzend, hin und her schwebten.
Weithin verlockten sie ihn; plötzlich trennten sie sich und
setzten sich gemeinsam auf die
Blumen dreier Thymianbüschchen nieder, in einer kleinen
Entfernung von einander an
den Blüten sich labend.
Der Knabe war außer sich; alle drei hatte er verfolgt auf
einmal, — (vergiß nicht des
Wortes: man muß nicht zweien Hasen zugleich nachfolgen!) —
nun weiß er nicht,
welchen soll er ergreifen? Alle haben sie gleich schöne
Farben, die von ihren
ausgebreiteten Flügeln auf den Blumen wiederstrahlen; — er
wird befangen,
steht unbeweglich, ist ungewiß, — seine Hand bleibt leer;
bei dem zu vielen Wünschen
entscheidet er sich für Nichts.
O laßt sie in Frieden, die Schmetterlinge, sie trüben ja die
Luft nicht, die wir atmen;
laßt sie in Frieden, diese flatternden Nebenbuhler unsrer
schönsten Blumen, die, gleich
ihnen, ach! nur einen Sommer leben! Zerstört nicht den Flaum
ihrer Flügel, — ihrer
Flügel, welche Bedingung ihrer Freiheit sind, ohne die sie
besser nicht geboren wären! —
Zeigen sich uns aber mehrere Wege bei der Wahl eines Berufs,
— lasset keine Zeit uns
verlieren! wählen lasset uns, es muß sein; zwischen zwei
Zweifeln schweben ist in der
Tat etwas sehr Übles.
Nach
dem franz. des Guérin (Leon)
Der Fuchs
Es fand der Fuchs ein Buch im Grase,
Ein Buch im Grase? sagest du?
Wie kam das Buch in's Gras? Mein Freund, laß mich in Ruh,
Ich sag', er fand es da, und fand es mit der Nase,
So lautet, sag' ich, der Bericht,
Und fand er es im Grase nicht,
Wo hätt' er es denn sonst gefunden?
Das Buch, in Leder eingebunden,
Das Meister Fuchs im Grase fand,
War, o beweinenswürd'ger Schade!
Die weltberühmte Vulpiade,
Sonst Reineke der Fuchs genannt.
Es steckte zwar der Fuchs die Nase tief hinein,
Es schien, als hätt' er Lust, zu lesen;
Allein, wie konnt' es möglich sein?
Er war auf Schulen nie gewesen.
Der gute Schlucker suchte hier
Ein Pflaster für den leeren Magen,
Er suchte Fleisch und fand Papier.
Er wollte schon den Band zernagen,
Als er im Buche selbst sein Bildnis hier und da
Nicht ohne Schrecken glänzen sah.
Sofort ward es von ihm durchbildert;
Und seht! der Fuchs erstaunt. Er fand sich überall
Bei manchem Glücks- und Unglücksfall,
Recht nach dem Leben abgeschildert.
Vor andern rührt' ihn die Gefahr,
Die ihn bis untern Galgen brachte,
Und gar zum armen Sünder machte,
Weil alles so natürlich war.
Man sprach das Urteil über ihn,
Der weiße Stab lag ihm zu Füßen.
Der Galgen stand vor ihm, und schien
Ihn schon als Hauswirt zu begrüßen.
Der Kater Hinz hielt einen Strick,
Und hieß ihn auf die Leiter treten,
Der Bär hub an, mit ihm zu beten
So nahe schien allhier sein letzter Augenblick.
Hier schimpft und sprach der Hühnerdieb:
Entweder mein Gedächtniskasten
Hat so viel Löcher als ein Sieb,
Wo nicht, so lügen die Phantasten,
Die dies gemalt, mit allem Fleiß:
Denn nach der Bilder Sinn zu raten,
So steh'n hier viel von meinen Taten,
Davon ich keine Silbe weiß.
* * *
Was da der Fuchs sagt, würden wir
Von hundert alten Helden hören,
Wenn sie der Bücher, die wir hier
Von ihnen lesen, kundig wären.
Lichtwer
Der Esel
Es trug ein Esel eines Volkes Götzen
Und Jedermann ging in Prozession,
Nun kennt man ja die guten Esel schon,
Wie wichtig sie sich immer schätzen.
Auch dieser Esel war so kühn
Und meinte: alle die Gesänge,
Das Niederknien, das Gepränge,
Kurz, Alles sei für ihn.
Ein klüg'res Tier, das dieser Dummheit lachte,
Rief ihm in's Ohr: Herr Esel, glaube mir,
Die Reverenz, die jetzt der Pöbel machte,
Galt deinem Götzen und nicht dir.
* * *
Was hier die Fabel spricht, gehöret
Für manche Excellenz und manche Herrlichkeit.
Was auch der Pöbel oft an Ihro Gnaden ehret,
Wovor er tief sich bückt, es ist — sein Kleid!
v.
Löwen
Die Dogge und der
Schöps
Einst fiel ein schlimmer Wolf durch eines Doggen Mut.
Kaum lag entseelt der Schächer auf der Erde,
So nahte blökend sich die frohe Herde.
Die Schafe wälzten sich in des Erschlagnen Blut;
Die Böcke tanzten einen Siegesreigen.
Der Dogge nur sah in gesetzter Ruh
Dem ekelhaften Schauspiel zu.
Wie, rief ein Schöps, du kannst bei unserm Feste schweigen?
Er starb ja doch durch dich, der reißende Despot.
Pfui, sprach der Hund, er ist ja tot!
Pfeffel
Der Panther und der
Leopard
Kein Schelm will Schelmen ähnlich sehen.
Man sah den Panther und den Leopard
Einst vor Chronions Throne stehen.
Herr, sprach der Leopard, es ist schon oft geschehen,
Daß, wenn vom Panther hier ein Mord verübet ward,
Auf mich der Argwohn fiel. Das ist auch meine Klage,
Rief jener aus; man kennt die Mordbegier
Des Leopards. er ist des Waldes Plage.
Darum, o Herrscher, bitten wir,
So schlossen sie zugleich, den einen von uns beiden
In einen andern Balg zu kleiden.
Warum, versetzte Zeus, hat das Gerücht
Das fromme Zebra nie mit euch vermenget?
Auch das ist bunt. Geht, geht, man irret nicht,
Wenn man euch alle beide hänget.
Pfeffel
Die zwei Pferde
Zween Klepper aus der Berberei,
Die selbst den Rabikan im Lauf erreichet hätten,
Gerieten einst in Streit; ein jeder wollte wetten,
Daß er der schnellste Reiter sei.
Wir wollen uns darum nicht raufen,
Sprach Meister Fuchs, der weite Raum
Von hier bis dort zu jenem Baum
Sei unser Ziel; nach diesem laß uns laufen.
Gut, sprach der Schimmel, gut; in kurzem sollst du seh'n,
Was unser einer kann. Ein Hufschlag gab das Zeichen,
Kein Bolzen kann so schnell die Luft durchstreichen,
Fortune's Rad kann sich nicht schneller dreh'n,
Als unsre Kämpfer nach dem Ziele fliegen.
Bedeckt mit Staub und weißem Schaum
Erreichen sie zu gleicher Zeit den Baum.
Hier stand der Schweißfuchs still. Ich, ich will siegen!
Rief ihm der Schimmel zu, sprang über einen Rain,
Der zehn Fuß weiter lag, dann über ein paar Hecken;
Hier glitt er aus und brach ein Bein.
Freund, sprach der Fuchs zum armen Gecken:
Wer zu weit springen will, kann leicht zu Grunde geh'n;
Ich lobe mir die Kunst, am Ziele still zu steh'n.
Pfeffel
Der Affe und der Bär
Ein Aff' und Bär, zween nahe Vettern,
Gleich groß, gleich näschig und gleich alt,
Auch gleich geschickt im Steig' und Klettern
Durchstrichen eifrig Feld und Wald.
Um ihrer Magen Zorn zu stillen,
Der Bär ging langsam, traurig, krumm,
Als wie ein Schuldner, und fing Grillen,
Der Affe sah sich munter um
Der Hunger macht ihm leichte Glieder,
Ein Luftsprung kostet ihm nicht viel,
Jetzt sieht er auf, jetzt vor sich nieder,
Ein Affe lebt und stirbt im Spiel,
Was nützen diese Fleischergänge,
Rief hier der Affe mit Verdruß,
Wenn ich auf einen Baum mich schwänge,
Darauf sich alles zeigen muß,
So dürften wir nicht länger suchen,
Sofort bemerkt' er einen Baum,
Die Königin der hohen Buchen,
Er kroch hinauf, man sah ihn kaum.
Drauf setzt er sich, beroch das Wetter,
Guckt endlich wieder in den Wald;
O Vetter, schrie er, lieber Vetter,
Du bist ja wie ein Zwerg gestalt.
Was ist dir immer widerfahren,
Du bist noch einer Erbse groß,
Da wir sonst gleiche Länge waren.
O Vetterchen, dich hör' ich bloß,
Antwortete der Bär erbittert,
Und nun ward das Gezanke scharf,
Bis, da sie endlich ausgewittert,
Der Affe sich herunter warf.
Wie nun? rief Petz, so bald er drunten;
Wie nun? versetzt der Pavian,
Warst du denn oben, und du unten?
Sie sahen sich verwundernd an.
Du bist ein Bär: und du ein Affe,
Fiel Aff' und Bär einander ein,
Hier ist nichts, das uns Nutzen schaffe,
Die Buche muß bezaubert sein.
* * *
Wenn du einmal an Ehren steigst,
Und deinen Freunden und Verwandten,
Die dich als ihres gleichen kannten,
Ein fremd und stolzes Auge zeigst,
So geh' in dich, und untersuche
Der Fabel Sinn, er weist auf dich.
Denn glaube mir nur sicherlich,
Du bist das Äffchen auf der Buche.
Lichtwer
Der Wegweiser
Ein Pilger, der den Weg verfehlte,
Geriet in einen finstern Wald,
Von dem man Raub und Mord erzählte.
Mit bangem Fuß, vor Schrecken kalt,
Irrt er bis an den Abend fort,
Und stoßt zuletzt auf einen Ort,
Wo sich zwei schmale Pfade scheiden.
Voll neuen Kummers steht er hier
Und seufzet: "Ach, wer zeiget mir
Den rechten Weg von diesen!"
Nachdem er lange Zeit sich hin und her
Nach Spuren umgeseh'n, sieht er von ungefähr
Zur Rechten eine schwarze Säule
Mit einem roten Kopf und einer langen Hand,
Auf der mit großen Lettern stand:
Ich führe dich nach einer kleinen Weile
In eine sich're Ruhestatt.
Der arme Pilger küßt die Säule,
Die seine Furcht vertrieben hat,
Und geht; allein nach einer Weile
Dreht er sich um, und ruft: "Ach, liebe Säule,
Wie leicht kann ich die Bahn, verseh'n.
O möchtest du doch mit mir geh'n!"
Schnell öffnet hier der rote Kopf den Mund und spricht:
"Ich rate nur, selbst geh' ich nicht."
Pfeffel
Der Bettelmann und
der Tod
Ein alter Bettelmann ging über eine Brücke.
Des Lebens müd' und satt fiel ihm hier ein,
Durch einen Sprung von aller Not sich zu befrei'n.
Die Furcht, kein ehrlich Grab zu finden, hielt zum Glücke
Von diesem Selbstmord ihn zurücke.
Doch hielt ihn dies nicht ab, zu jammern und zu schrei'n:
"O Tod, verkürze meine Pein!
O Tod, erbarme dich!" — In diesem Augenblicke
Erschien der Tod. Vor Schrecken fiel die Krücke
Dem Alten aus der Hand, und in den Strom hinein.
"Hier bin ich," sprach der Tod, "mich deiner zu erbarmen."
"So? lieber Tod," versetzte jener, "bist du hier?
Mein Trost, mein Stab entfiel mir Armen;
Schwimm ihm doch nach, und hol' ihn mir!"
Drollinger
Die Eule
Die Eule flog, nach einer alten Sage,
Gleich andern Vögeln nur am Tage,
Und schlief bei Nacht. Einst, als ihr Wildbret rar,
Durch Frost und Wassernot, geworden war,
Fing sie, genagt vom Hunger, kläglich an zu schreien
"O Pallas! kannst du mir die Gabe nicht verleihen,
Den Raub bei dunkler Nacht zu seh'n?"
Die Tochter Jupiters erhört ihr Fleh'n:
Die Eule sieht, wohin sich jedes Tier verstecket;
Kein Zeisig, keine Maus bleibt unentdecket.
Gesättigt und müde von der Jagd
Schläft sie, sobald die Sonn' erwacht.
Das Jahr darauf ist fruchtbar; alles hecket
Und mehrt sich siebenfach. Der Eule schmecket
Die Einsamkeit nicht mehr; sie sucht die nächste Nacht
Kein Futter; schlafen will sie, bis der Tag sie wecket.
Doch kaum erscheint der Tag, so schmerzet sie das Licht;
Sie taumelt, stößt sich, wird von Alt und Jung genecket,
Und sieht forthin am Tage nicht.
* * *
Hast du dich von der Welt verwöhnet,
So taugst du nicht mehr für die Welt;
Dein Scharfsinn in der Schrift gefällt,
Dein Umgang aber wird verhöhnet.
Helk
Das Mammut und der
Elephant
Im Reich der Schatten traf der Elephant
Den Mammut an. Er war ihm unbekannt.
Betroffen, sich auf einmal klein zu sehen,
(Auch in der Unterwelt verdrießt das große Herrn,)
Blieb er verstummt ein Weilchen vor ihm stehen.
Doch er besann sich bald. Freund, welcher fremde Stern
Hat dich erzeugt? So fragt er den Giganten.
"Das Erdenrund." Nun, das begreif' ich nicht.
Wie ging es zu, daß wir uns gar nicht kannten?
Du kamst mir niemals zu Gesicht.
Auch hat man nie von dir gesprochen!
"Schon längst erlosch mein Stamm, dies löst das Rätsel dir;
Allein seit Kurzem spricht die halbe Welt von mir,
Die Menschen fanden meine Knochen,
Und nun zankt die Gelehrtenschar
Sich matt und heisch, nun, was ich war,
Und was ich nicht war, auszumachen."
Gut, sprach der Elephant, darüber kannst du lachen.
Ich kam so leicht nicht weg Zum Glücke starbt ihr aus;
Sonst würdet ihr schon mehr vom Herrn der Schöpfung wissen.
Auf meinen Rücken bauten sie ein Haus,
Du würdest gar ein Dorf auf deinem tragen müssen.
Pfeffel
Der Storch und die Eule
Zum Storche kam einmal die Eule
Und hub mit finstern Blicken an:
"O weine mit mir Tränen! teile,
Was ich allein nicht tragen kann.
Wie sehr hat sich die Welt verschlimmert!
Der Tauben Unschuld wird verkannt,
Und wer mit bunten Federn schimmert,
Wird gut, wer raubt, wird groß genannt.
O weißt du keinen Ort der Erde,
Wo's anders ist? Ich bin bereit,
Daß ich darauf Bewohner werde;
Du reisest jährlich ja so weit."
"Nun ja," sprach drauf der Storch, "ich reise;
Doch fand ich's überall wie hier.
Der Habicht würgt nach alter Weise
Die Taub' und stillt die Raubbegier.
Der Kuckuck rufet seinen Namen,
Der Uhu heult, der Papagei
Sucht seine Weisheit auszukramen,
Die Henne schreit und legt ihr Ei.
Der Pfau geht stolz einher und brüstet
Mit seinen bunten Federn sich.
Die Lerche steigt, der Sperling nistet,
Und pflanzt sich fort wie du und ich.
Du solltest nur nicht mürrisch grübeln,
Nicht finster allen Umgang scheu'n,
Du würdest von erträumten Übeln
Dann frei und froh und glücklich sein.''
Seidel
Die Zauberlaterne
Ein ausgelernter Pavian
Versah den Posten eines Knappen
Bei einem Raritätenmann.
Man sah ihn stolz auf seinem Rappen,
Ein Pudel war's, als Harlekin
Mit seinem Herrn das Reich durchzieh'n.
Bald hüpft er mit der leichten Sohle
Des Sylphen auf dem Seil daher.
Bald präsentiert er das Gewehr
Mit einer hölzernen Pistole,
Und holt aus dem entzückten Kreis
Des Volks, mit einer Kapriole,
Die hingeworfne Nuß, zum Preis
Für seine wunderbaren Schwänke.
Einst hielt den Meister in der Schenke
Ein voller Krug mit Puff zurück,
Und Matz beschloß, ein Zauberstück
Von eigner Art und Kunst zu wagen,
Er schmückt sich mit Barett und Kragen,
Tritt feierlich vor jedes Haus
Und locket Schweine, Hunde, Katzen,
Kapaunen, Gänse. Mäuse, Ratzen,
Durch lauten Trommelschlag heraus.
"Ihr Leutchen, wollt ihr mit mir gehen,
So sollt ihr Wunderdinge sehen;
Ein Schauspiel — kurz, ein Augenfest,
Mit dem sich nichts vergleichen läßt
Auf unsrer ganzen Erdensphäre,
Und Alles gratis, ohne Lohn.
Mich reizt kein Vorteil, bloß die Ehre."
Nach dieser Proklamation
Erhebt sich Matz mit einem Heere
Von Kunden in sein Standquartier,
Wählt einen Platz in kluger Ferne
Für jeden Gast nach Stand'sgebühr;
Verschließt die Laden und die Tür
Und eilt zur magischen Laterne,
Die schon in einer Ecke stand.
Die Menge schwieg. Der Sykophant
Schritt zum pathetischen Prologe,
Und ward, wie mancher Demagoge,
Der auch ein großes Tier sich wähnt,
Zuerst beklatscht, zuletzt begähnt.
Dann schob er eine bunte Scheibe
In die Laterne. "Jeder reibe
Sich erst die Augen. Nun gebt Acht!
Seht hier der Sonne hohe Pracht,
Den lieben Mond und die Gestirne
Des Firmaments! Nun sehet ihr
Den guten Vater Adam hier
Mit Eva, seiner holden Dirne!
He, he! seht ihr's vorüberzieh'n
Der Tiere Heer, den stolzen Leuen,
Den Sonnenadler samt den Haien
Und Krokodil? Ha! seht ihr ihn,
Der Schöpfung Meisterstück, den Affen" — —
"Du träumest!" unterbrach die Schar,
"Wo nicht, so haben wir den Star;
So steif wir auch die Wand begaffen,
So seh'n wir nichts." — "Ich glaube zwar,"
Versetzt ein Truthahn, "viel zu sehen;
Allein, die Wahrheit zu gestehen,
Ich weiß nicht, was." Der Cicero
Ließ sich dadurch nicht irre machen,
Er zeigte seine sieben Sachen
So lang', bis die Versammlung floh.
War ihr die Schuld wohl beizumessend
Ach nein! auch der Laterne nicht.
Der Doktor hatte nur ein Licht
Zuerst hineinzutun vergessen.
Pfeffel
Das Kamel und das
Trampeltier
Fort! geh' mir aus dem Wege.
So sprach an einem Stege
Zum biedern Trampeltier
Einst das Kamel. — Dir weichen?
Sprach jenes; ei, wofür?
Meinst du, daß unser einer,
Rief das Kamel, von deiner
Verworfnen Kaste sei?
Du hast nur einen Buckel,
Und ich, ich habe zwei!
Pfeffel
Der Fuchs und die
Trauben
Ein Fuchs, der auf die Beute ging,
Fand einen Weinstock, der voll schwarzer Trauben
An einem hohen Ulmbaum hing.
Sie schienen ihm ein köstliche Ding,
Allein beschwerlich abzuklauben.
Er schlich umher, den nächsten Zugang auszuspäh'n;
Umsonst! kein Sprung war abzuseh'n.
Sich selbst nicht vor dem Trupp der Vögel zu beschämen,
Der auf den Bäumen saß, kehrt er sich um, und spricht,
Und zieht dabei verächtlich das Gesicht.
Was soll ich mir viel Mühe nehmen?
Sie sind ja herb', und taugen nicht.
Nach
Aesop
Der Kiebitz und der
Kater
Ein wilder Kater schleicht kurz vor der Nacht
In's Feld, auf Beut' und Raub bedacht.
Ein Kiebitz, der mit elterlicher Zärtlichkeit
Für seine Jungen wacht,
Vernimmt ihn, flattert auf und schreit,
Und winselt, als er sich dem Orte naht,
Wo er sein Nest recht gut verborgen hat.
Er rauscht um ihn herum, in Kreisen,
Und selber ihm sein Nest zu weisen,
Macht er durch sein Geschrei den Kater aufmerksam,
Der seinen Weg wohl nicht dahin genommen hätte,
Jetzt aber zu den armen Jungen kam,
Und sie aus ihrem warmen Bette
Mit räuberischer Klaue nahm.
Er trieb sogar noch mit dem Kiebitz sein Gespötte,
Daß er so schön ihn angewiesen hätte.
* * *
Der Kiebitz hat viel seines Gleichen,
Zum Beispiel euch, ihr unruhvollen Reichen,
Die ihr nach eurem Schatz, den ängstlich ihr bewacht,
Den Räuber, selber lüstern macht.
Weppen
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