Fabelverzeichnis
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Als du eintratest in das Leben,
Hat die Liebe dich empfangen;
Hat dir jeden Tag gegeben
Sichern Schutz und treue Pflege.
Sie bewacht mit zarter Sorge
Jetzt noch jeden deiner Wege:
Liebe wieder! folge willig!
Dankbar sein ist recht und billig!
Dankbar sei du jederzeit
Dem, der Gutes dir verleiht!

 
III.
Elternliebe — Kindesdank. Dank gegen Wohltäter

 
Das Schaf
Der Schoßhund, der Haushund und der.....
Küchlein
Lamm
Mäuschen
Kind und Schwalbe
Die Schwanenmutter
Die wilde Ziege und der Weinstock
Der kranke Hund
Der Wolf und der Storch
Der Knabe und die Schlange
Das Schwein und die Eiche
Der Hirsch und der Weinstock
Die beiden Hunde

Das Schaf

Als Jupiter das Fest seiner Vermählung feierte, und alle Tiere ihm Geschenke brachten,
Vermißte Juno das Schaf.
Wo bleibt das Schaf? fragte die Göttin. Warum versäumt das fromme Schaf, uns sein
Wohlmeinendes Geschenk zu bringen?
Und der Hund nahm das Wort und sprach: Zürne nicht, Göttin! Ich habe das Schaf noch
heute gesehen; es war sehr betrübt, und jammerte laut.
Und warum jammerte das Schaf? fragte die schon gerührte Göttin.
Ich Ärmste! so sprach es. Ich habe jetzt weder Wolle noch Milch; was werde ich dem
Jupiter schenken? Soll ich, ich allein, leer vor ihm erscheinen? Lieber will ich hingehen,
und den Hirten bitten, daß er mich ihm opfere! Indem drang, mit des Hirten Gebete,
der Rauch des geopferten Schafes, dem Jupiter ein süßer Geruch durch die Wolken.
Und jetzt hätte Juno die erste Träne geweint, wenn Tränen ein unsterbliches Auge benetzten.
                                                                                                                    Lessing


Der Schoßhund, der Haushund und der Schäferhund

                    Der Schoßhund
Wie kannst du doch so elend leben,
Armsel'ges Tier? Auf schlechtem Stroh
Schläfst du im härtesten Frost. — Ich läge schon nicht so!
Mir kann oft kaum mein Kissen Wärme geben.
Und magre Knochen, trocknes Brot —
Das wär' nun vollends gar mein Tod.
                    Der Haushund
O solltest du nur müssen!
Du würdest dich wohl d'rein zu schicken wissen.
Gewohnheit macht mein Elend leicht.
                    Der Schäferhund
Was Elend? du hast nicht zu klagen:
Dir wird dein Fraß doch ordentlich gereicht;
Du kannst an kräft'gen Knochen nagen;
Des Nachts liegst du bedeckt im sanften Schlaf,
Wenn ich in Kälte, Sturm und Regen,
Auf freiem Feld mich auf die Erde legen
Und Nacht um Nacht für jedes Schaf
Die Wache halten muß. Naht sich ein Wolf den Herden,
So muß durch mich mit ihm der Streit geführet werden.
Und was wird mir für meine saure Pflicht?
Nur hartes Brot — das ist mein tägliches Gericht.
Nun sagt, ob ihr nicht recht dem Glück im Schoße sitzet?
Jedoch, ich kenn' die Menschen schon:
Je saurer man sich's macht, je mehr man ihnen nützet,
Um desto schlecht'rer ist der Lohn.
                                                                 Willamov


Küchlein

Küchlein, was lauft ihr so
Alle zur Mutter froh?
Tat sie dort einen Fund,
Würmchen aus tiefem Grund,
Ruft nun und locket gleich,
Gibt es zum Futter euch?

Und die Henne freute sich sehr,
Wie sie da pickten um sie her,
Sah auf die muntern Dinger nieder,
Scharrte dann, rief und lockte wieder,
Bis sie alle zufrieden sah;
Selbst erst das letzte nahm sie da.
                                                  Hey

Lamm

Lämmchen, was schreist du so kläglich dort?
L. Meine liebe Mutter ist fort.
Fürchtest du dich, daß in der Zeit
Irgend Jemand dir tu' ein Leid?
L. Fürchten, ich wüßte nicht was; ach nein!
Möchte nur gern bei der Mutter sein.
Und wie die Mutter hörte das Schrei'n,
Kam sie gleich aus dem Garten herein,
Rief es nur einmal mit sanftem Ton;
Siehe, da hört' es das Lämmchen schon,
Läuft, so geschwind es laufen kann,
Drängt sich dicht an die Mutter an.
                                                     Hey

Mäuschen

Frau:    Mäuschen, was schleppst du dort
Mir das Stück Zucker fort?
M.        Liebe Frau, ach vergib,
Habe vier Kinder lieb;
Waren so hungrig noch.
Gute Frau, laß mir's doch.

Da lachte die Frau in ihrem Sinn,
Und sagte: nun Mäuschen, so lauf' nur hin!
Ich wollte ja meinem Kinde so eben
Auch etwas für den Hunger geben.
Das Mäuschen lief fort, o wie geschwind!
Die Frau ging fröhlich zu ihrem Kind!
                                                      Hey


Kind und Schwalbe

K. Schwälbchen, du liebes, nun bist du ja
Wieder von deiner Wand'rung da.
Erzähle mir doch: wer sagte dir,
Daß es wieder Frühling würde hier?

S. Der liebe Gott im fernen Land,
Der sagte mir's, der hat mich hergesandt.

Und wie sie so weit war hergeflogen,
Da hat sie sich nicht in der Zeit betrogen.
Der Schnee schmolz weg, die Sonne schien warm,
Es spielte manch' fröhlicher Mückenschwarm;
Die Schwalbe litt keinen Mangel noch Not,
Sie fand für sich und die Kinder Brot.
                                                             Hey

Die Schwanenmutter

Die Schwanenmutter schwimmt auf dem Teich,
Sie ist einer großen Schneeflocke gleich.
Durch grüne Binsen, durch schwankendes Rohr
Glänzt leuchtend ihr weißer Hals hervor;
Ganz majestätisch rudert sie fort
Zu den Kinderchen im Dickicht dort;
Sie hat ihnen süße Speise gefangen,
Die wird erwartet mit großem Verlangen.
Jetzt lockt sie die Kleinen mit einem Ton,
Sie kommen herbei, — da sind sie schon;
Sie schmausen gar hastig, es schmeckt ihnen gut;
Nun schwimmen umher sie mit fröhlichem Mut,
Sie waschen die Hälschen, sie tauchen kreuz und quer,
Schäkern immer um Mütterchen her;
Läßt Eines beim Schwimmen Ermüdung blicken,
So nimmt's die Mutter auf ihren Rücken,
Wölbet die Flügel wie zu einer Halle,
Damit das Kindlein nicht nieder falle;
Da ruht sich's so sanft, da ruht sich's so weich,
Kein Lager ist dem Bettlein gleich.
Und jede Gefahr und jede Not,
Die den lieben Kinderchen droht,
Weiß Mütterlein klug abzuwehren;
Gibt in der Still' ihnen weise Lehren,
Sagt ihnen, was sie meiden müssen
Und Alles unter Spielen, Schäkern und Küssen
Die Amsel, die gemütliche, sieht
Das liebliche Spiel und singt ein Lied
Hoch oben auf dem höchsten Ast
Von Mutterlieb' und Mutterlast.
Und als sie das hat ausgesungen,
Fliegt sie zum Nest und herzt ihre Jungen.

Ihr Kinder, o vergesset nie
Der Mütter Liebe, der Mütter Müh!
                                             Hoffmann

Die wilde Ziege und der Weinstock


Eine wilde Ziege, die von den Jägern verfolgt ward, flüchtete sich in einen Weinberg und
verbarg sich da unter den breiten Blättern eines Weinstocks. Wirklich entging sie auch dadurch
der Aufmerksamkeit ihrer Verfolger, und kaum glaubte sie außer Gefahr zu sein, als sie sich über
über die Reben hermachte, und eben diejenigen Blätter abfraß, die vor kurzem noch so treulich
ihre Hörner versteckt hatten.
Doch von ungefähr war einer von den Jägern etwas zurückgeblieben. Er vernahm das Geräusch,
entdeckte die Ursache gar bald, rief seine Gefährten herbei, und die Ziege ward erlegt.
Ach, — seufzte sie, indem sie verschied, — ich selbst muß meinen Tod für eine gerechte Strafe erkennen, weil ich meinen Beschützer so undankbar zu behandeln vermochte! —

*   *   *

Merke es sich jeder Lebenslang! Jedes Laster zwar ist schändlich, aber schändlicher als der
Undank ist keines.
                                                                                                            Nach Aesop

Der kranke Hund



Ein Hühnerhund, der sich ein Bein gebrochen,
Lag hungrig auf der harten Streu.
Sein alter Freund, ein Pudel, kam herbei,
Und bot ihm einen Hammelknochen.
"Nimm," rief der Kater, "ihn nicht an,
Sonst wird dein Helfer dein Tyrann!"
Der Kranke schwieg und aß, und reichte, still erfreut,
Dem Freund die lahme Pfote dar.

*   *   *

Wer vor der Dankbarkeit sich scheut,
Ist schon im Herzen undankbar.
                                                             Pfeffel

Der Wolf und der Storch

Die Wölfe essen nicht, sie schlingen:
Zumal bei hohen Gasterei'n:
Dann schlucken sie und stopfen sich und zwingen
Mit aller Macht das Essen sich hinein.
So ging es einem Wolf: ihm blieb ein Bein
Bei einem Hochzeitschmaus im Halse stecken.
Ein Storch kam anspaziert auf seinen dünnen Stöcken:
Der Wolf winkt ihm von weitem zu: denn schrei'n,
Das konnt er nicht. Der Storch mit seinen Schnabelzangen
Zieht ihm den Knochen aus dem Schlund
Und fordert seinen Lohn. — Gevatter, Sie verlangen
Wohl gar noch Lohn? Das ist mir doch zu bunt!
Versetzt der Wolf. Sie haben Kopf und Hals
Aus meinem Hals frisch und gesund
Herausgezogen, und — possierlich! — und
Verlangen Lohn? — verlangen Lohn deshalb? —
Geh', Undankbarer, geh' und hüte
Vor meinen Klauen dich: du mißbrauchst meine Güte!
                                                                 Lafontaine

Der Knabe und die Schlange

    Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. Mein liebes Tierchen, sagte der Knabe,
ich würde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre.
Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es wohl
gelesen, wie es einem armen Landmann ging, der eine vielleicht von deinen Ureltern, die
er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob und sie in seinen erwärmenden
Busen steckte. Kaum fühlte sich die Böse wieder, als sie ihren Wohltäter biß, und der
gute freundliche Mann mußte sterben.
    Ich erstaune, sagte die Schlange. Wie parteiisch eure Geschichtsschreiber sein müssen!
Die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders. Dein freundlicher Mann glaubte, die
Schlange sei wirklich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so
steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne Haut abzustreifen. War das recht?
    Ach, schweig nur, erwiderte der Knabe. Welcher Undankbare hätte sich nicht zu
entschuldigen gewußt.
    Recht, mein Sohn, fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehört hatte, dem Knaben
in's Wort. Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem außerordentlichen Undanke
hören solltest, so untersuche ja alle Umstände genau, bevor du einen Menschen mit so
einem abscheulichen Schandflecke brandmarken lässest. Wahre Wohltäter haben selten
Undankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Menschheit hoffen, — niemals. Aber die
Wohltäter mit kleinen eigennützigen Absichten, die sind es wert, mein Sohn, daß sie
Undank anstatt Erkenntlichkeit einwuchern.
                                                                                                          Lessing

Das Schwein und die Eiche



Ein gierig Schwein las unter einem hohen Eichbaum
Die abgefall'nen Eicheln auf: indem es eine
Zerbiß, verschlang es schon die andre mit den Augen.
Da rief der Eichbaum endlich: Undankbares Mastvieh!
Du nährest dich von meiner Frucht, und richtest keinen
Dankbaren Blick zu mir empor? Das Schwein hält inne,
Doch nur auf einen Augenblick, und grunzt zur Antwort:
Dankbaren Blick sollte dir nicht fehlen, hättest
Du meinetwegen deine Früchte fallen lassen.

Der Undankbare findet stets Entschuldigungen:
Dies lehrt die Sau; der Eichbaum lehrt: für keine Wohltat
Das auszugeben, was wir nicht verweigern können.
                                                                          — — —

Der Hirsch und der Weinstock



Ein Spießhirsch, dem die nahe Jagd
Die schlanken Läufe zittern macht,
Flieht schnell zu Holz und tut sich nieder.
Der Leithund sucht durch Busch und Flur,
Verfolget Fährte, Schritt und Spur,
Und findet ihn im Prudel wieder.

Der Hirsch verändert seinen Stand,
Und springt in ein verzäuntes Land,
Wo bald ein Weinberg ihn verstecket.
Des Hüfthorns Ruf, das Jagdgeschrei,
Der muntre Trupp zieht rasch vorbei:
Sein Widergang bleibt unentdecket.

Und nun fängt er mit scharfem Zahn
Den Weinstock zu benagen an,
Zerbricht, entblättert, Zweige, Reben.
Man hetzt auf dies Geräusch zurück.
Der Packer springt im Augenblick
Heran, ihm einen Fang zu geben.

Er schreit, indem der Meute Wut
Ihn jetzt zerfleischt, und sich mit Blut
Die Wurzeln und die Ranken färben:
Ich sterbe, weil ich den verletzt,
Der mich in Sicherheit gesetzt.

So sollten, die ihm gleich sind, sterben.
                                                  — — —

Die beiden Hunde

Daß oft die allerbesten Gaben
Die wenigsten Bewundrer haben,
Und daß der größte Teil der Welt
Das Schlechte für das Gute hält.
Dies Übel sieht man alle Tage.
Allein, wie wehrt man dieser Pest?
Ich zweifle, daß sich diese Plage
Aus unsrer Welt verdrängen läßt.
Ein einzig Mittel ist auf Erden,
Allein es ist unendlich schwer;
Die Narren müssen weise werden,
Und seht! sie werden's nimmermehr.
Nie kennen sie den Wert der Dinge.
Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand;
Sie loben ewig das Geringe,
Weil sie das Gute nie gekannt.

*   *   *

Zwei Hunde dienten einem Herrn.
Das eine von den beiden Tieren,
Joli, verstand die Kunst, sich lustig aufzuführen
Und wer ihn sah, ertrug ihn gern.
Er holte die verlornen Dinge
Und spielte voller Ungestüm.
Man lobte seinen Scherz, belachte seine Sprünge;
Seht, hieß es, alles lebt an ihm!
Oft biß er mitten in dem Streicheln:
So falsch und boshaft war sein Herz!
Gleich fing er wieder an zu schmeicheln:
Dann hieß sein Biß ein feiner Scherz.
Er war verzagt und ungezogen;
Doch ob er gleich zur Unzeit bellt' und schrie,
So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen;
Er hieß der lustige Joli.
Mit ihm vergnügte sich Lisette,
Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette,
Und beide teilten ihre Zeit
In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit.

Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen,
Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen,
Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus,
Ging öfters auf die Jagd mit aus;
War treu und herzhaft in Gefahr,
Und bellte nicht, als wenn es nötig war.
Er stirbt. Man hört ihn kaum erwähnen;
Man trägt ihn ungerühmt hinaus.
Joli stirbt auch. Da fließen Tränen!
Seht, ihn beklagt das ganze Haus;
Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz.

So gilt ein bißchen Witz mehr als ein gutes Herz.
                                                                   Gellert