Die Lerche und der Kuckuck
Zur Lerche, als sie sich einst mit lieblichem Gesang von der
Erde in die Luft erhob, sprach
ein Kuckuck spöttisch von einem Ulmenbaume: "Wie albern
handelst du! Du schwebst
stets singend in Lüften. Vom frühesten Morgen bis in die
späteste Nacht, vom ersten
Lenz bis weit in den Herbst hinein hört man deinen Gesang,
und wozu?
Um die undankbaren Menschen zu entzücken, die dir Netze
stellen, um ihren Gaumen mit
deinem Fette zu kitzeln."
"Was soll ich denn aber tun?" fragte die Lerche.
"Pflege," antwortete der Kuckuck, "auf deinem Neste der
Ruhe, und mußt du ja singen,
so singe noch schlechter, als ich. Sängen Eulen und Raben so
schön wie du, längst wäre
es ihnen wie dir ergangen; jetzt labt sich kein Leckergaumen
an ihnen."
"Du glaubst also," begann wieder die Lerche, "daß mir nur
des Singens wegen Schlingen
gelegt werden? Nein! um mein Fleisch ist's ihnen bloß zu
tun. Wie schlecht singen
Truthahn und Gans, und doch müssen sie ihren Hals hergeben!
Aber der Undank der
Menschen soll mich nicht zum Schweigen bringen. Ich singe,
weil es meine Pflicht ist,
zu singen. Ich finde Lohn genug in der Erfüllung meiner
Pflicht.
—
— —
Wächter
K. Willst, Wächter, mit spazieren geh'n?
W. Ich tät' es wohl gern, doch darf's nicht gescheh'n.
K. Warum nicht? wir gehen nur ein Paar Schritt;
Geschwinde, du Hündchen, komm nur mit!
W. Ei nicht doch! da bliebe das Haus allein
Und schliche wohl gar ein Dieb herein.
Wie sie da gingen und er dort lag,
Da sah er ihnen so freundlich nach;
Dann lief er umher eine halbe Stunde
Um's Haus und auf dem Hof in die Runde.
Doch als sie heimkehrten von ihren Wegen,
Da sprang er ihnen voll Lust entgegen.
Hey
Die Amsel und die
Nachtigall
Amsel
Warum singst du so unvergleichlich schön,
Da doch, du mußt es selbst gesteh'n,
Kein Mensch im Tal und auf den Höh'n
Auf deine Lieder jetzo merkt? Des ganzen Waldes Chor,
Singt selbst dem Echo Lieder vor,
Und horcht nicht auf dein schmachtend Lied;
Da hast du denn vergeblich dich bemüht.
Wär' ich wie du, ich unterließ' das Singen.
Nachtigall
Ich tät' es auch, Gevatterin,
Und lebte ganz nach deinem Sinn,
Wenn mir die Pflicht nicht süßer wäre
Als alles Lob und alle Ehre.
— — —
Der Hund und der Dieb
Eine Diebsbande wollte in das Haus eines Landmannes
einbrechen; aber sein Hund war noch
wach und fing an, heftig zu bellen. Einer von den Dieben
suchte ihn zu besänftigen, und bot ihm
ein Stück Fleisch an.
"Nein," sprach der Hund, "ich werde mich nicht bestechen
lassen, um meinen Herrn an einen
Fremden zu verraten. Auch wäre es wahrlich töricht, eines
einzigen leckern Bissens halber
denjenigen zu vergessen, der bisher mir so manches Gute tat,
und künftig noch zu tun vermag!"
Er bellte hier immer stärker, und die Diebe entflohen.
* * *
Man vergesse nie seiner Pflicht eines frohen Augenblicks
halber; denn die Neue folgt nur allzubald
und allzudauernd nach.
Nach Aesop
Der Löwe und der Tiger
Der Löwe sprach zum Königstiger:
Du, in so vielen Schlachten Sieger,
Du, von der Tierwelt hochgeehrt,
Nicht tapfer bloß, nein auch gelehrt,
In allen Dingen wohl erfahren, —
Du sollst mir jetzt das Reich bewahren.
Ich zieh' auf Monate hinaus,
Behüte du mir Land und Haus!
Der Tiger war ganz einverstanden;
Der Löwe zog aus seinen Landen.
Kaum war er fort, so sprach der Tiger:
O nicht umsonst nennst Du mich Sieger!
Du sollst mich wohlgerüstet finden,
Dich selber werd' ich überwinden!
Er drückt das Volk mit Frevelmute,
Er sättigt sich mit seinem Blute,
Er schwelgt und wütet Tag und Nacht
Und zwingt dabei durch seine Macht
Den Rat, das Heer, ihm beizustehn;
Ja Alles muß nach seinem Willen gehn.
Urplötzlich fliegen von den Marken
Die Boten her vom Leu, dem Starken;
"Der König kommt; er hält Gericht,
Ob jeder Tat nach Recht und Pflicht."
Der Tiger lacht und spricht voll Hohn:
Der König wird empfangen seinen Lohn.
Nun ruft er stracks das Heer zusammen.
Die dunkeln Augen sprühen Flammen,
Sein Wort ist Donner. "Hört ihr Scharen,"
So ruft er, "unerschrocken in Gefahren,
In Schlachten kühn, durch mich stets Überwinder,
Der Löwe kommt, der alte Sünder,
Mit seiner Schar und blutbegierig droht
Euch Allen er den sichern Tod.
Auf! nehmet ihm die längst entweihte Krone,
Ich geb' euch dann das Land zum Lohne!
Zeigt starken Mut: denn ihr sollt wissen,
Wer feig ist, wird von mir zerrissen!"
Und vorwärts geht's bergauf, bergab,
Jetzt im Galopp und jetzt im Trab,
Nicht Einer wagt es, Halt zu machen,
Ein Jeder scheut des Tigers Rachen.
Sieh! dort auf jenem Berge steht
Der Löw' in seiner Majestät,
Allein, entfernt von seiner Schar.
Er spricht ein Wort und wunderbar, —
Kaum hört des Tigers Heer den Ton
So ist's im vollen Laufe schon
Zum alten, lieben König Leu
Und ruft: "wir bleiben dir getreu!"
Der Tiger will vor Wut zerplatzen.
Er greift sein eignes Heer nun an
Und Mancher fühlt den scharfen Zahn,
Die Wucht der unbesiegten Tatzen.
Da naht der Leu in seiner Macht;
Ein Schlag, — noch einer, — laut erkracht
Des Tigers Haupt, er streckt die Glieder,
Er brüllt und sinket tot darnieder.
* * *
Der Ungetreue litt den Tod mit Recht. —
Merk' dir's, erblühendes Geschlecht!
Hoffmann
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