Die Mücke und die Biene
Eine Mücke, die aus einem Weinkeller kam, begegnete einer
Biene. — "Wenn ich nun
einmal die Süßigkeiten so liebte, wie du," redete sie solche
an, "so würde ich sie
wenigstens nicht mit so großer Mühe suchen. Mach's, wie ich
so eben gemacht; such' in
die Weinkeller, zu schlüpfen! Dort findest du Reichtum in
Menge; und was ist süßer als
Wein? Was köstlicher, denn er?"
""Du hast Recht; er ist kostlich und süß. Aber er berauscht
auch und mein Honig ist eine
Arznei. Zudem, gute Mücke, man hört dir's an, daß du das
Vergnügen der Arbeit nie
kanntest. Eben dies mühsame Zusammensuchen meines Honigs
macht mir ihn doppelt süßer.""
Die Grille und die Ameise
Eine faule Grille sang
Einen ganzen Sommer lang
Und war immer ohne Sorgen
Für den andern Morgen.
Weil der Sommer Nahrung hat,
Wurde sie auch täglich satt;
Aber als der Winter kam,
Der der Flur das Leben nahm,
Alles tot und öde stand,
Und kein Würmchen mehr sich fand,
Da trieb sie der Hunger hin
Zu der Ameise: Nachbarin,
Ich bin hungrig, gib mir doch
Ein klein wenig nur zu leben!
Deine Kammer hat ja noch
Großen Vorrat, und ich will
Alles ehrlich wiedergeben
Mit den Zinsen im April.
Schwesterchen, wie brachtest du
Deine Zeit im Sommer zu?
Sage mir, was tatest du?
Was ich tat? Du weißt es ja,
Ich trieb holde Musika,
Sang beständig; hast du mich
Nicht vernommen, und konnt' ich,
Schwesterchen, was Besseres tun? —
Grillchen, nein: doch tanze nun!
Lafontaine
Der Elephant
Ein junger Elephant sollt' einst zum Tanz
Geschickt gemacht und unterrichtet werden.
Wie mochte der sich wohl gebärden!
Man denke sich nur seine ganze Lage ganz.
Ein ungeheures Tier mit säulenförm'gen Füßen,
Schwerfällig schon zum geh'n, soll nun
Sich dreh'n und wenden müssen,
Sich dabei zu benehmen wissen,
Und nach Musik und Takt dies Alles tun!
Ich möchte wohl dies Kunststück seh'n,
Und würde gern, des seltnen Schauspiels wegen,
Das Eintrittsgeld dafür erlegen.
Doch lasset uns zurück zu unserm Schüler geh'n.
Er horchet aufmerksam auf alle Lehren,
Die man ihm gibt, und merkt sich jeden Schritt;
Allein er macht doch manchen falschen Tritt,
Und muß sich droh'n und schelten hören.
Der erste Tag des Unterrichts
Ist endlich glücklich überstanden,
Der Abend naht, die Nacht ist schon vorhanden;
In seiner Ruhe stört ihn nichts.
Doch unser Elephant denkt jetzt an keinen Schlummer;
Der Ehrtrieb, der ihn ganz beherrschet, hält ihn noch wach,
Und Ungelehrigkeit und Schande macht ihm Kummer.
Er wiederholt daher von dem verfloss'nen Tag
Den Unterricht, den man ihm gab;
Geht sinnend auf und ab,
Und übet sich, bis es der Wächter höret,
Den sein Geräusch im Schlafe störet.
Der kommt mit vieler Angst herbei,
Zu wissen, was geschehen sei.
Und welch' ein Schauspiel muß er sehen!
Erstaunt bleibt er bei seinem Zögling stehen,
Bewundert dessen Fleiß, und mit gerührtem Blick
Kehrt er in's Kämmerlein zurück.
* * *
Wer sieht das Rühmliche der Ehr- und Wißbegierde
Nicht hier beim Elephanten ein?
O möchte sie doch auch die Zierde
Des Knaben und des Jünglings sein!
Seidel
Die Krähen und
der Wasserkrug
Zwei durstige Krähen flogen umher, und fanden ein Gefäß, auf
dessen Boden zwar ein
gutes Teil Wasser sich befand; doch das Gefäß war selbst
allzuhoch und allzuenge.
Sie versuchten es umzustoßen, oder zu zerbrechen. Beides war
vergebens, und eine
dieser Krähen flog mißmutig weiter.
Aber die andere blieb, sann weiter nach, und versuchte es
zuletzt auf eine neue Art.
Unweit von diesem Wasserkruge lagen häufig kleine
Kieselsteine hier und da verstreut.
Sie holte deren herbei, und warf sie nach und nach in's
Wasser. Immer höher und höher
stieg dasselbige. Ehe eine halbe Stunde verging, konnte die
Krähe ihren Durst bequem
und reichlich stillen.
Verzweifle nicht bei Schwierigkeiten! Anhaltende Mühe hat
schon manches durchgesetzt,
was anfangs unmöglich schien.
Nach
Flavius Avianus
Die Wespe und die Biene
Als ein Landmann einst seinen Bienen bei vorfallendem Mangel
Nahrung reichte, sah eine
Wespe von Weitem zu und rief mit bitterem Unwillen:
Welches eigennützige Geschöpf doch der Mensch ist! Euch gibt
er Wohnung und Kost im
Winter, auf euch verwendet er Sorgfalt und Mühe; selbst
manchen Stich von euch
verschmerzt er schweigend. Warum? weil er zu einer andern
Zeit wieder Wachs und
Honig von euch erwartet! — Uns hingegen? Glaubst du wohl,
daß uns dieser Geizige den
kleinsten Liebesdienst erwiese? —
Auch hätte er wahrlich sehr Unrecht, wenn er es täte! —
erwiderte die Biene, — denn an
ewige Müßiggänger sind Vorsorge und Wohltaten verschwendet.
—
Aesop
Die Spinne und der
Hänfling
In einer durch die Kunst gemachten Wüstenei
Hing eine Spinne froh und frei,
Als Eremit im engen Fensterrahmen;
Begann ihr Werk und sah dabei
Im wilden Lustgehölz von Birken, Ulmen, Buchen,
Verschied'ne Vögel mancherlei
Zu Nestern sich zusammensuchen.
Ein wohlerfahrner Hänfling zog
Auf einen Ast, der seine Zweige bog,
Der Spinne Fenster zu beschatten.
In voller Arbeit hüpft' und flog
Er hin und wieder mit dem Gatten!
Indessen jene bloß auf ihre Fäden sann,
Und aus sich selbst den Zeug zur Hütte spann.
"Die armen Vöglein," hub sie an,
"Wie Mann und Weibchen sich um ihren Bau ermatten!
Was holen sie von Ost und West
Nicht Alles her, und steht das Nest,
Dann neue Sorge, stetes Reisen
Durch Garten, Hof und Feld, die junge Brut zu speisen!
Dann fürchten sie des Hauses jähen Sturz,
Wenn Knaben durch die Hecke rauschen,
Und flattern auf, und jammern; kurz,
Ich möchte nicht mit ihnen tauschen.
Da kann ich, ohne Stroh und Leim,
Nach eig'ner Lust Gezelte stricken,
Erwarte Fliegen d'rin und Mücken,
Und sitz', in mich gehüllt, daheim.
Ich zitt're nicht, daß jemand mich verjage,
Weil überall ein Winkel ist,
Zur Wohnung mir genug, und weil zu jeder Frist
Ich alles Meine bei mir trage."
Der Hänfling war so eben recht
Auf einen nahen Ast gekommen,
Hatt' über sich und sein Geschlecht
Die weise Rede wohl vernommen,
Und flog zum Fensterrahmen hin,
Und sagte: "Liebe Nachbarin,
Ich lobe deinen klugen Sinn,
Der zwischen kahlen, finstern Mauern
Dich hier so glücklich macht in deinem Selbstgespinn,
Als ich im grünen Walde bin;
Uns aber mußt du nicht bedauern.
Im grünen Walde gibt es zwar
Nicht wenig Arbeit und Gefahr,
Und Räuber groß und klein, die täglich auf uns lauern;
Wir zittern oft: jedoch wer nie will trauern,
Hat keine Freuden auch; und dünkt es dich nicht schön,
Aus freier Luft hinab in's reiche Tal zu seh'n?
Wir brauchen viel zum Flechten und Bewinden,
Doch ist es Wonne, das zu finden.
Uns lohnen Flur und Wald mit ihrer Herrlichkeit;
Wir suchen gern ein Körnchen weit und breit.
Nicht selten wurde mir um Nest und Futter bange;
Indessen regt' ich mich, entfloh dem Untergange,
Und froher sang ich dann durch Busch' und Bäume hin.
Ich dächte, liebe Nachbarin,
Wir nutzten das, was uns Natur gegeben:
Zum Nisten mir, und dir zum Weben."
Jacobi
Der Fuchs und der Igel
Ein stolzer Fuchs besprach sich mit dem Igel und fragte ihn:
wie er es mache, wenn ihn
die Hunde verfolgten? "Ich habe dann einen einzigen
Kunstgriff!" antwortete der Igel
ganz bescheiden.
"Einen einzigen? Ja freilich dann bedaure ich dich; denn ich
habe deren doch wenigstens
hundert."
So prahlte der Fuchs, und in eben dem Augenblick hörten sie
die Hunde bellen; sahen,
bevor sie entfliehen konnten, Jäger herbeieilen. Der Igel
rollte sich in eine Kugel
zusammen. Überall war er nun stachlicht. Die Hunde bissen
sich an ihm blutig.
Abgeschreckt dadurch gingen sie auf den Fuchs los. Vergebens
nahm dieser zu List und
Seitensprüngen seine Zuflucht. Er machte freilich den Hunden
ihren Sieg schwer, aber er
ward doch endlich erhascht und gewürgt.
"Acht" seufzte der Igel, der von fern zusah, "ach, daß er
noch lebte! Jetzt würde er
eingesteh'n, daß eine Kunst, recht erlernt, besser als
hundert nichtige sei."
Camerarius Joachim d. J.
1534-1598
Die Kröte und die
Wassermaus
Von den Ufern einer See
Krochen einst des Abends späte
Eine Wassermaus und Kröte
An den Bergen in die Höh'.
Aber mitten in dem Wandern
Rollt die eine mit der andern
Plötzlich in den See hinab,
Und so sehr die Kröte rang
Und den Leib zum Schwimmen zwang
Fand sie doch allda ihr Grab. —
— Also ging's der armen Kröte.
Ihr Gesell, die Wassermaus,
Machte sich nicht viel daraus;
Sie treibt ihr Gewerb' in Flüssen
Wenn es auf dem Lande ruht.
Also, sag' ich, ist es gut,
Mehr als eine Kunst zu wissen.
Das Eichhorn und
seine Mutter
Ein Eichhorn hörte schon an seiner Mutter Brust,
Den Hochgeschmack der Mandeln preisen,
So wie der Sommer wuchs, so wuchs mit ihm die Lust,
Von dieser Fürstenkost zu speisen.
Die Zeit erschien; die Frucht wird abgepflückt.
Der kleine Lecker beißt entzückt
Die bittre Schelfe durch, und stampft und grinzt und spucket
"Ein Esel," rief er aus. "wer solches Zeug verschlucket!
Beim Pan! die Mutter hat mich nur geneckt;
Ich schenk' ihr meinen Teil an ihrem Göttermahle:
Allein laß seh'n, was besser unten steckt!"
Er räumt die Hülse weg, und kommt nun auf die Schale.
"Was ist denn das? — Verwünscht, ein Kieselstein!
Ho! ho! zum dritten Mal will ich der Narr nicht sein;
Fort mit der dummen Frucht!" Sie flog in einen Graben.
Die Mutter, die kein Wort vom Selbstgespräch verlor,
Sprang nun aus einem Busch hervor:
"Du zürnst umsonst!" sprach sie zum naseweisen Knaben,
Und brach den Kiesel auf. "An dir liegt nur die Schuld;
Ein wenig Arbeit mehr, ein wenig mehr Geduld,
So würdest du den Kern gefunden haben."
Pfeffel
Die Wachtel und
ihre Kinder
Hoch wallte das goldene Weizenfeld,
Und baute der Wachtel ein Wohngezelt.
Sie flog einst früh in Geschäften aus,
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in großer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei, und begann:
Der Weizen ist reif, die Mahd muß gescheh'n,
Geh', bitte die Nachbarn, ihn morgen zu mäh'n."
"O!" sagte die Wachtel, "dann ist es noch Zeit;
Nicht flugs sind die Nachbarn zu Diensten bereit."
D'rauf flog sie des folgenden Tages aus,
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in neuer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei, und begann:
Uns ließen die treulosen Nachbarn im Stich;
Geh' rings nun zu unsern Verwandten und sprich:
Wollt ihr meinen Vater recht wohlgemut seh'n,
So helfet ihm morgen sein Weizenfeld mäh'n!"
"O!" sagte die Wachtel, "dann ist es noch Zeit;
Nicht flugs ist die Sippschaft zur Hilfe bereit."
D'rauf flog sie des folgenden Tages aus,
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in höchster Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei, und begann:
Uns ließen auch unsre Verwandten im Stich;
Ich rechne nun einzig auf dich und mich.
Wir wollen, wenn morgen die Hähne kräh'n,
Selbander uns rüsten, den Weizen zu mäh'n."
"Ja!" sagte die Wachtel, "nun ist's an der Zeit;
Macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit!
Wer Nachbarn und Vettern die Arbeit vertraut,
Dem wird nur ein Schloß in die Luft hin gebaut;
Doch unter dem Streben der eigenen Hand
Erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand."
Die Wachtel entfloh mit den Kleinen geschwind,
Und über die Stoppeln ging Tags d'rauf der Wind.
Langbein
Der Derwisch, die Krähe
und der Falke
Einer jener Frömmlinge, die, sich aller irdischen Dinge
entschlagend, das Gelübde tun,
auf Güter zu verzichten, die sie nicht besitzen, um von
denen ihrer Mitmenschen zu
leben, ein Derwisch mit einem Wort, ging eines Tages betend
und bettelnd umher, als
das Klaggeschrei einer jungen Krähe, die, beinahe noch ganz
ohne Federn, von ihren
lieblosen Eltern verlassen ward, sein Ohr traf. Der Derwisch
blickt umher und gewahrt
den armen Vogel, wie er den noch halb nackten Kopf aus
seinem Neste hervorstreckt;
in demselben Augenblick läßt sich hoch aus den Wolken ein
Falke auf letzteres herab,
und, den Schnabel voller Futter, bringt er der klagenden
Waise die ersehnte Nahrung.
"O anbetungswürdige Vorsehung des Allmächtigen!" ruft der
Derwisch aus: "ehe daß
ein Unschuldiger hilflos umkomme, bewegst du einen von Natur
so hartherzigen Vogel
zum Mitleiden. Und ich, auch ein Geschöpf des Allerhöchsten,
sollte mühevoll mein Brot
suchen! Nein, beim Propheten, schwöre ich es: von jetzt an
gebe ich, unbekümmert,
mein Schicksal in die Hände desjenigen, der für die ganze
Natur so liebevoll sorgt."
Mit diesen Worten streckt der Derwisch sich auf den grünen
Rasen hin, und bewundert,
sorgenlos ruhend, die Wunder der Schöpfung und die hohe
Ordnung des Weltalls.
Der Abend bricht herein; unser Einsiedler empfindet,
während er sein Gebet verrichtet,
etwas Hunger. "Es hat nichts zu sagen," tröstet er sich:
"mein Abendbrot wird schon
kommen." Das Abendbrot aber kommt nicht. "Nun gut, ich werde
schlafen; der
morgende Tag wird mir gewiß die nötige Nahrung bringen." Der
Morgen graut, die Sonne
scheint, allein das gehoffte Frühstück bleibt aus. Jetzt
fängt er an, sich etwas zu
wundern, beharrt aber noch immer bei seiner Zuversicht, und
glaubt, mit jedem
Augenblick sein Mittagsbrot zu empfangen. Niemand bringt ihm
etwas. Der Tag ist
verstrichen, und der nüchtern gebliebene Derwisch hatte mit
neidischem Blick gesehen,
wie der Falke regelmäßig seinem lieben Pfleglinge das nötige
Futter brachte. Plötzlich
hört er jenen folgende Worte zu Letzterem sagen: "So lange
du, mein liebes Kind, nicht
selbst für deine Bedürfnisse sorgen konntest, habe ich dich
sorgsam gepflegt; jetzt aber,
da du größer geworden, werde ich nicht wiederkommen. Der
Schöpfer empfiehlt unserer
Sorgfalt die Schwachen und Unglücklichen, aber schwach sein,
und faul, ist ein großer
Unterschied. Wir empfingen unser Dasein nur, um für uns oder
für Andere zu arbeiten.
Jeder, der sich von dieser heiligen Pflicht lossagt, wird
von der Vorsehung durch Mange
dafür bestraft." Als der Falke dies gesprochen, schwang er
sich wieder in die Lüfte.
Ergriffen von den Worten des Falken, sieht der bekehrte
Derwisch seinen Irrtum ein,
und als er das nächste Dorf erreicht hat, tritt er bei einem
Landmann als Knecht in
Dienst.
Aus dem Französischen, nach Florian
Der Sperling
und seine vier Kinder
Ein Sperling wohnte mit seinen vier Jungen im Gemäuer eines
alten Turms. Da kam ein
gewaltiger Windstoß, riß die Steine aus dem Turme, und
führte mit heftigem Ungestüm
die Jungen davon.
Da trug der Alte tief Leid um seine Jungen, denen er nicht
einmal gute Lehren mit in die
Welt hatte geben können, wie sie sich vor Schlingen, Katzen
und Würfen in Acht nehmen
sollten, und jammerte, daß es den armen Kleinen nun gar übel
möchte ergehen.
Aber im Herbst fand der Vater auf einem Weizenfelde, wo
viele Sperlinge beisammen
waren, alle seine vier Kinder wieder. Nachdem er sich mit
ihnen erst gesättigt und satt
gefreut hatte, fragte er sie nach der Reihe, wie es denn
ihnen ergangen sei.
Da spricht der Älteste: Als der Wind mich fortriß, saß ich
traurig und kläglich auf einer
Dornhecke, neben einem Fahrwege, und von allen Vögeln, die
da waren, nahm sich
keiner meiner an. Aber es kam ein Bauer mit einem Sack Korn,
wo aus einem Löchlein
sich ein paar Körnlein verzettelten, und da las ich mit den
andern Vöglein auch auf.
So hab ich gelernt: wo viele Leute sich regen und schaffen,
da hilft sich ein Einzelner
wohl auch noch mit durch, wenn er nur nicht müßig ist. —
O! das ist eine gute Lehre, sprach der Vater; wer die
recht lernt, der kommt schon durch.
Der Vater fragte nun den zweiten Sohn, wie es ihm denn
ergangen sei? —
Mich führte der Wind, sprach er, in ein Gasthaus, wo Junker
und arme Leute, Reiter und
Fußleute und allerlei Volk einkehrten. Da sah ich zu, wie
sie den Hafer schwangen, und
was die Gluckhenne mit ihren Küchlein aß, und wie da und
dort mit andern Dingen ein
Brosamlein oder zwei auf den Hof geworfen wurden; da hab ich
auch mitgesucht, und
mein Körnlein und Krümlein davon gebracht; denn ich ließ mir
keine Mühe verdrießen,
und war auch mit Wenigem zufrieden, konnte es einmal nicht
viel sein.
O! eine gute Lehre hast du auch gelernt, mein Hänsle,
sagte der alte Sperling; — wer
sich keine Mühe verdrießen läßt, und mit Wenigem sich
begnügt, kommt schon aller Orten durch!
Und du? fragte der Vater den Dritten.
Mich trieb das Windgebraus in den Garten eines Kaufmanns, wo
ich mich an einem
Baumzweige festhielt, bis der Ungestüm vorüber, und alles
wieder still und heiter war.
Es kam aber der Kaufmann in den Garten, und weil er mich
ansah, meinte ich, er würde
sich meiner wohl erbarmen; denn ich sah gar trübselig aus.
Aber er schlich in tiefen
Gedanken dahin, und mochte wohl über Gewinn und Verlust
rechnen; da hatte er zur
Barmherzigkeit keine Zeit für mich Armen. Mein Hunger war
groß; da aß ich eine Raupe,
deren Haar mich in Hals und Kehle brannte; aber ich starb
doch nicht daran, und so
suchte ich ihrer mehr und immer mehr auf, mochten sie
aussehen grün oder gelb, grau
oder bunt, ich gewöhnte mich bald an sie, da es nicht anders
sein konnte.
Recht gut, sprach der Vater, wenn man sich bei Zeiten
gewöhnt an dürftige Kost! Hat
man's dann besser einmal, so ist man desto froher.
Ja, Vater, so habe ich's erfahren, sprach der dritte Sohn;
denn als die Erbsen Schoten
wurden, holte ich mir die Erbsen heraus, und aß auch
Maulbeeren und rote Kirschen
dazu, saß in Ruhe unter der Blätterlaube, und war glücklich
und froh.
Und du aber, mein klein Gacknestlein, sagte der Vater zum
jüngsten Kinde, wie bist du
denn durchgekommen? Du konntest ja kaum erst fliegen! —
Ja, so war es, lieber Vater; ich war so jung und schwach,
und darum warf mich der Wind,
weil ich nicht widerstreben konnte, durch den Turm in die
Kirche herab und auf die
Kanzeldecke, daß ich wie tot da lag. Und als am andern
Morgen der Pfarrer auf die Kanzel
trat, erschrak ich gar heftig und sehr. — Aber ich hörte
bald gar tröstliche Worte: es solle
Niemand verzagen. Dem lieben Gott sei die kleinste Kreatur
nicht zu klein und zu gering,
selbst der Sperling nicht, den Niemand achte; Gott gebe ihm
sein Würmlein und sein
Körnlein, und lasse ihn nicht aus seiner Hand und Obhut,
auch verleihe er ihm Speise und Obdach.
Da ward ich recht gestärkt und getröstet, und dachte: der
liebe Gott wir dich ja auch
wohl erhalten. Indem kam eine fette Spinne gekrochen, die
ich verzehrte, dann eine
Fliege und wieder eine Spinne und wieder eine Fliege, bis
das Gotteshaus von Spinnen
und Fliegen gesäubert war. — Und die Kirchkinder kannten
mich alle an meinen zwei
weißen Federn, und lobten mich, weil ich ihr Gotteshaus rein
hielt, und tat mir Niemand
Leides. — Nun, denk ich, wenn ich nützlich bin, wird Gott
mir schon helfen, auch in der Not.
Du hast, sagte der Vater, du hast das Rechte gelernt,
Gotteshaus ist überall, wo du
Nützliches schaffen willst. Und sich auf Gott verlassen und
nützlich sein, und wiederum:
nützlich sein, und Gott vertraun, dies ist die beste Lehre,
um durchzukommen im Leben.
Löhr's Fabelbuch
Der Esel und der Hase
Es wollten vor uralten Zeiten
Die Tiere mit den Vögeln streiten;
Sie musterten ihr Kriegesheer.
Ein alter und erfahrener Bär
Ward zu dem Feldzug General.
Als dieser in der Krieger Zahl
Den Hasen und den Esel sah,
Sprach er zum Löwen: Diese doch
Sind nichts als Schurken, auf mein Wort!
Man jage sie vom Heere fort.
Der Tiere weiser König sprach:
Mein lieber Feldherr, nur gemach!
Uns kommen beide sehr gelegen,
Ob sie dir gleich die Gall' erregen:
Wir brauchen zum Kurier den Hasen.
Der Esel soll zum Treffen blasen,
Den Feind mit seiner Stimm' erschrecken
Und unsern Kriegern Mut erwecken.
Laßt den Geringen auch nicht müßig;
Im Staat ist Keiner überflüssig,
So schlecht er sein mag von Natur, —
Gebt ihm die rechte Stelle nur.
Ramler's Fabellese
Die Biene und die
Bremse
Eine Bremse war einst die Zuschauerin der Arbeit mehrerer
Bienen. "Hm!" fing sie
endlich an zu summen, "was das doch für ein steifes,
gezwungenes, langsames Geschäft
ist! Zu was nützt es, Alles so abzuzirkeln, so sorgfältig
einzuteilen, und so rein zu
machen? Ihr würdet zehn Mal ein- und ausfliegen können, in
der Zeit, die ihr mit dieser
unnötigen Ordnung verliert."
"Störe uns nicht!" antwortete eine Biene; "Unordnung scheint
zu fördern, und ist am
Ende der größte Zeitverlust. Aber die Hälfte seiner Arbeit
hat derjenige getan, der sich an
Ordnung gewöhnt."
Kazner
Der Hase und die
Schildkröte
Sei vogelschnell; wenn du nicht pünktlich bist,
So wirst du doch das Ziel verfehlen.
Zur Warnung laß ein Beispiel dir erzählen.
Das Tier, dem Langsamkeit Natur, nicht Fehler ist,
Die Schildkröt' und ein Hase, red'ten
Von ihren Gaben einst. Was, sprach sie, willst du wetten,
Ich übertreffe dich im Lauf?
Im Laufe? mich? du bist, dein Wort in Ehren!
Nicht klug. Geh' hin, mein Schatz, und kauf'
Dir etwas Niesewurz, das Hirn dir umzukehren. —
Klug oder nicht; ich wette. — Man bestimmt
Den Preis; wie viel es ist, was man für Richter nimmt
Und dies und das, gehöret nicht zur Sache.
Der Hase denkt: Wenn ich vier Sätze mache,
Vier Sätze, wie sie auf der Jagd
Der bald erreichte Hase macht,
So bin ich schon am Ziel: D'rum hab' ich Zeit die Fülle.
Er gras't, macht Männchen, lieget stille,
Riecht in den Wind. Indes greift sich das Schildtier an,
Eilt langsam, wie der weise Mann;
Gewiß, daß jeder Schritt es seinem Ziele näh're,
Rückt es allmälich fort. Sein stolzer Feind, verschmäht
Den leichten Sieg und hält's für Ehre,
Spät auszulaufen, tut, als wäre
Gar keine Wette da: doch, seht!
Testudo ist nur einen Zoll vom Ziele.
Jetzt schießt er, wie ein Pfeil, ihr nach. Zu spät!
Sie hatt' es schon erreicht. — Verspiele
Ich nun? fragt sie, bin ich nicht recht gescheit?
Was hilft dir deine Schnelligkeit?
Wie? nicht einmal die Kröten auszujagen?
Und hattest doch kein Haus zu tragen!
Lafontaine
Der Esel, ein
Flötenspieler
Sei diese kleine Fabel
Gut oder schlecht, gleichviel;
Sie lief in die Hände
Mir von ungefähr.
Über eine Wiese,
Nah bei meinem Dorf,
Ging ein wack'rer Esel
Ganz von ungefähr.
Eine Flöte fand er,
Die ein Schäfer dort
Hatte liegen lassen
Ganz von ungefähr.
Wohl besah', beroch sie
Lang das Eselein,
Und hinein er schnaufte
Ganz von ungefähr.
Und sein Wind verfeinte
In der Flöte sich;
Und die Flöte tönte
Ganz von ungefähr.
"Ei!" begann der Esel,
"Ei, wie spiel' ich schön!
Sag' ein's noch, die Esel
Musizieren schlecht."
So gibt's wohl noch Esel,
Die auch ohne Kunst
Es bisweilen treffen
Ganz von ungefähr.
Bertuch, nach dem spanischen des Yriarte
Der Fuchs, der Spürhund
und der Luchs
Vor des Kroniden Thron erschienen
Der Fuchs, der Spürhund und der Luchs,
Und baten ihn mit demutsvollen Mienen
Um ein Gehör; der Redner war der Fuchs.
"Wir kennen, Herr, den Wert der hohen Gaben,
Die wir von deiner Huld empfangen haben:
Kein Tier hat solchen Blick, als sie dem Luchs verlieh;
Der Spürhund riecht das Wild auf viele tausend Schritte,
Und mich erhebst du zum Genie.
Indessen würden wir — und dies ist unsre Bitte —
Doch alle Drei noch weit vollkommner sein,
Wenn Jeder unter uns auch das Talent empfinge,
Was jene Beide schmückt." — "Den Vorschlag geh ich ein,
Erwidert Zeus, doch nur mit dem Bedinge
(Und unveränderlich bleibt dieser Schluß):
Von seinen eignen Gaben muß
Ein Jeder seinem Freund ein gleiches Maß erteilen,
Als er von ihm erlangte." — Das Triumvirat
Nimmt froh die Klausel an. — "Nun kehrt zurücke,
Und sagt den Brüdern, was der Vater der Geschicke
Für euren kühnen Ehrgeiz tat."
Das Kleeblatt küßt dem Gotte die Sandalen,
Und gleich dem jungen Arzt, der sich zum ersten Male
Dem Volk als Doktor zeigt, geh'n sie stolz in den Rat,
Und geben ihm Bericht, was sie für neue Gaben
Vom Herrscher der Natur empfangen haben.
Nicht ohne Neid vernahm der Brüder Schar
Den Vorzug; aber eh' ein Tag verstrichen war,
Hieß es: der Fuchs ist vor den Kopf geschlagen,
Der Spürhund taugt nicht mehr zum Jagen,
Und Argus Luchs bekommt den Star.
* * *
Wer Alles werden will auf Erden,
Wird nie vollkommen werden.
Pfeffel
Der junge Baum und
der Wind
Der Baum
Gemach, Herr Wind! gemach! o weh!
Er sieht ja, daß ich allein hier steh'.
An Eichenwäldern mag Sein wilder Zorn sich rächen;
Ich bin ein junger Baum, Er wird mich noch zerbrechen.
Der Wind
Ein junger Baum bist du? — Gut, lieber junger Baum,
Um desto mehr kannst du dich schmiegen.
Sieh' dort die alten Bäume liegen;
Oft faßt' ich sie nur kaum.
Nur fein Geduld!
Je mehr ich dich zerzausen werde,
Je fester wurzelst du dich in die Erde.
Willamov
Der
Schmetterling und die Biene
Ein schöner bunter Schmetterling
(Ich glaub', es war ein Pfauenauge) hing
An einem Hyazinthenstocke,
Und spiegelte mit Wohlgefälligkeit
Im Sonnenglanz sein samtnes Federkleid.
Jetzt sah er in dem Kelch von einer Silberglocke
Ein Bienchen. — Voller Zorn schrie er: "Was will das hier?
Ein kleines, so armsel'ges Tier,
Wagt sich so nah' zu mir?
Man sieht's an seinem här'nen Rock,
Daß es von Staub geboren ist,
Im Staub zu kriechen, auserkies't;
Bestimmt, sein bißchen Brot mit plagen zu erwerben,
Und in der Dunkelheit zu leben und zu sterben.
Herr Gärtner! (hier rief er den Gärtner zu sich hin)
So wahr ich, seh' Er selbst, das Kind der Schönheit bin,
So ist der Anblick mir nicht länger auszusteh'n!
Vertreib' Er doch die schmutz'ge Nachbarin;
Noch besser ist's, den Hals ihr umzudreh'n!"
Der Gärtner hörte lang' schon dem Geschwätze zu.
"Du bunter Taugenichts!" sprach er, "was schwatzest du?
Dir hab' ich Lust, den Hals zu brechen!
Du kannst von deiner Herkunft sprechen?
Du, eine Raupe sonst, für uns die größte Last,
Die du mir Blüt' und Blatt im Lenz zerfressen hast?
Und nun nichts tust, als in der Luft umher zu gaukeln,
Und, auf dein Kleidchen stolz, auf Blumen dich zu schaukeln,
Und wenn du deine Zeit unnütz vertan,
Uns ein Geschmeiß von Raupen herzusetzen?
Und dieses Bienchen siehst du mit Verachtung an?
Ja freilich, wenn wir bloß den Wert nach Kleidern schätzen,—
Und doch wiss', wenn Geburt was wär',
Sie ist ein Königskind; allein sie ist weit mehr,
Ist Fleiß und Arbeit selbst, prangt nicht mit falschem
Glanze,
Baut Häuser, sammelt mühsam ein,
Und nicht von Andrer Gut, auch nicht für sich allein,
Sie sammelt Schätze für das Ganze.
Wart', wart'! du sollst es sehen!" — und hiermit hascht er
ihn;
Er zappelte und wollt' entflieh'n.
Umsonst. Er ward zum Bienenstock getragen,
Und in den Korb hineingesteckt.
Hier hatt' er kaum der Bienen Fleiß entdeckt,
Sie ihn, so kriegt' ein Schwarm ihn bei dem Kragen,
Und schrie: "Fort, fort mit dir!
Kein Stolz und Müßiggang gilt hier!
Wir kennen kein Verdienst, das Stand und Schneider geben,
Und leben nicht, um bloß zu leben;
Wer jenes nicht durch innern Wert erwirbt,
Ist nicht des Lebens wert, und wert nur, daß er stirbt."
Weiße
Die Fische
Der Hochmut kam einmal in's Meer,
Und fuhr den Fischen in die Köpfe.
Es sehnten sich fast alle Seegeschöpfe,
Vom krummen Blackfisch bis zum langen Stör,
Nach Standserhöhungen. Des Fischmonarchen Haus
War jeden Tag voll Supplikanten:
Die wirkten sich gewisse Titel aus,
In denen sie sich selbst verkannten.
Dem Krampffisch kam der Rang am letzten in den Sinn:
Er schwamm zum Walfisch, klagte nach der Länge,
Daß Krampffisch so schlechtweg forthin
Ein wenig zu verächtlich klänge:
D'rum möcht' er gern ein Fisch von Stande sein.
Der gute König willigt auch darein,
Wünscht aber, daß er ihm die Ursach' sage,
Warum ihn dieser Ehrgeiz plage.
Das ist, versetzt der Supplikant, nicht schwer:
Wenn Eure Majestät mich auch zu was ernennen,
So werd' ich künftig gleich den Andern hier im Meer
Mit Ehren müßig gehen können.
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