Fabelverzeichnis
zurück


weiter
zu Buch 8
 

Erkenne dich! — Die eig'nen Fehler sieh'
Mit scharfem Aug'! — Selbsttäuschung flieh'!
Dann wirst du mild sein gegen Andrer Schwächen;
Verdammst du sie, wirst du dir selbst dein Urteil sprechen!
 
VII.
Erkenne dich selbst

 
Der Kuckuck, die Nachtigall, die...
Der Pfau und die Krähe
Der Zaunkönig und seine Frau
Der Storch, die Ente, der Truthahn
Der Star und die Lerche
Die Fabel von der Nase
Der Irrwisch und der Wanderer
Das Pferd und das Füllen
Der Quersack
Der Esel und der Hund
Der Hund und sein Schatten
Die gefangene Fledermaus und..
Der kecke Affe

 
Das Hündchen
Der Habicht und die Störche
Der Kater
Die beiden Krebse
Das Laster und die Strafe
Die Taxe der Tiere

 

Der Kuckuck, die Nachtigall, die Grasmücke und die Bachstelze

Die Nachtigall, die Grasmücke und die Bachstelze redeten einst mit einander ab,
sie wollten dem Kuckuck doch einmal ernsthafte Vorstellungen wegen des unedlen
Betragens machen, welches er gegen seine Jungen beobachte, indem er so oft seine Eier
in ihre Nester lege, um sich der Mühe des Ausbrütens und des Auffütterns zu überheben.
— Sie gingen also in Prozession zu ihm. Die Nachtigall nahm das Wort und stellte ihm
sein schlechtes Benehmen mit allen Gründen vor, die ihr Beredsamkeit, ein gutes Herz
und ihr eigenes mütterliches Gefühl eingaben. — Der Kuckuck fiel ihr endlich in's Wort
und sagte kaltblütig: "Ich bedaure, meine liebe Nachtigall, daß du deine Stimme und
deinen Verstand so angestrengt hast, um mir Dinge zu sagen, die ich so gut weiß, wie
du. Glaubst du denn nicht, daß mich vielleicht noch edlere Beweggründe bestimmen, so
zu handeln, und nicht anders? Jeder Vogel sorgt für seine Jungen, und oft mit läppischer
Zärtlichkeit: über diese gemeine Denkungsart bin ich erhaben — ja, es hat mir Mühe
gekostet, mich bis zu diesem Grade der feinen Bildung hinaufzuschwingen; glaube also ja
nicht, daß mich deine kleinlichen Gründe wieder davon abbringen werden." — In diesem
spitzfindigen Tone wollte der kalte Redner noch länger fortfahren, allein seine
Zuhörerinnen eilten davon, und überließen ihn seiner eigenen Gesellschaft.

*   *   *

Wenn man sich erst einmal von dem geraden Wege der Natur entfernt, so ist oft die
Eitelkeit der Menschen so groß, daß sie sich bemühen, ihre größten Fehler sich selbst und
Andern sogar als Tugenden anzupreisen.
                                                                                                 Juliane Seebode


Der Pfau und die Krähe

Zu einem Pfau sprach eine Krähe:
"Was magst du dich doch in der Sonne dreh'n!
Wenn ein Mal nur dein Blick auf deine Füße sähe:
So würde dir der Stolz vergeh'n,
Mit welchem du die Federnspiegel
Des Schweifes auseinander spannst." —
"Besieh'," versetzt der Pfau, "doch deinen grauen Flügel,
Wenn du — vor dir — dich sehen kannst!
Das, was dein Aug' an Andern sahe,
Wird Andern nicht an dir entgeh'n.
Wir steh'n uns selber viel zu nahe,
Um unsre Fehler selbst zu seh'n."
                                                              Tiedge

Der Zaunkönig und seine Frau



                          1.

Zu Bethlehem der Wächter rief zu aller Kunde
Nach Mitternacht die dritte Stunde. —
Da stand am Hinterhause des Ezechia
Der Engel, und besah
Mit seinen himmlischen Gefährten
Den Ort, wo Gottes Sohn auf Erden
In Knechtsgestalt erscheinen sollte. —
O, dürft' ich, seufzte Gabriel, ich wollte
Dem Höchsten eine Wiege bauen
Als Opfer flößen schnell von allen Enden,
Aus allen Gauen
Zum heiligen Werk die reichsten Spenden.
Die Berge spendeten ihr reinstes Gold,
Der Wurm aus weiter Ferne
Die Seide zu dem Decklein gerne
Die Tiefe, was die Purpurschnecke zollt,
Der Schwan aus seiner weißen Hülle
Der weichsten Daunen reiche Fülle. —
Den Wiegenkorb hing ich an Reben,
So frei von Ulm' zu Ulme schweben,
Und Lüften, die auf Blüt' und Blume liegen,
Geböt' ich aufzustehen und das Kind zu wiegen.

                        2.

Unweit von Gabriel, der also sprach,
Hing, gut geflochten mit dem Stroh am Dach,
Ein rundes Nest, und d'rin
Saß König Zaun mit seiner Königin.
Die stieß den schlafenden Gemahl
Erwecklich in die Seite,
Und sprach: Zaun hör' einmal,
Was unter uns die fremden Leute
Von wunderlichen Dingen sagen!
So horchten nun der König und die Königin
Und hörten, daß in wenig Tagen,
Nach Gottes Sinn,
Der Herr des Himmels und der Erden
Sollt' unter ihrem Dach geboren werden. —

                        3.

Als d'rauf die Engel weiter waren,
Sprach seine Frau zu König Zaun,
Der seine Augen wieder schließen wollte: Traun,
Nach dem, was wir erfahren,
Ist nun zum Schlafen nicht mehr Zeit. —
Ei ja, der Engel sprach wohl lang und breit
Von Stall und Krippelein, und jammerte dabei;
Doch was darin zu richten sei,
Vergaß der Kluge nachzuseh'n,
Als werd' es schon von selbst gescheh'n. —
Komm, Guter, komm! laß uns nicht säumen,
Im Stalle etwas aufzuräumen.
So sprach die Königin zu ihrem Herrn,
Und obgleich König Zaun sonst länger schlief,
So folgte er doch seinem Weibe gern,
Das ihn zu dieser Arbeit rief.

                    4.

Ach Gott, das ist ein Stall!
An allen Enden welch' ein Graus!
Wer zählt das Ungeziefer all! —
Im Winkel sitzt die Fledermaus,
Die Spinne an den Netzen flickt,
Die Wespe an dem Holze zwickt.
Der Tausendfuß im Moder kriecht,
Der Skorpion im Staube liegt.
Und von der Decke Staubpaniere hangen. —
Das Paar vom Zaune läßt sich vor diesem Graus
Nicht bangen.
Es jaget fort die Fledermaus,
Es spießt die Spinne, die am Netze flickt,
Es schlägt die Wespe, die am Holze zwickt.
Es fällt den Tausendfuß, so in dem Moder kriecht,
Es würgt den Skorpion, der in dem Staube liegt.
Der Königin, so wohlgemut,
Sind ihre Flüglein nicht zu gut;
Sie kehret an den Wänden auf und ab,
Sie flattert an der Decke hin und her,
Und Staub um Staub fällt wolkendicht und schwer
Auf's Esterich herab. —
Indes sie Wand und Decke fegt,
Heißt sie den König lugen,
Ob wohl das Krippelein in seinen Fugen
Kein Ungeziefer hegt. —
Denn, sagte sie: es wär' uns Sünde,
So Spinne oder Käferlein dem Kinde,
Wenn's in der Krippe schliefe,
Zum Schrecken über's Antlitz liefe.
Ei Schande, wenn es aufschlüg' seine Äugelein,
Und fiel ihm Staub und Wust hinein! —

                                5.

Indes so die vom Zaun sehr fleißig waren,
Kam Gabriel herabgefahren,
Und sprach zum König und der Königin;
Gott hat geseh'n, was ihr mit gutem Sinn
Für seinen Sohn getan,
Und sieht's so hoch in Gnaden an,
Daß ihr den Lohn selbst wählen sollt. —
Wir brauchen, sprach der König, weder Ehr' noch Gold,
Wir haben unser täglich Brot,
Und sonst tut uns nichts not.
Doch will der Herr uns Gnade schenken
Und des geringen Dienst's gedenken,
So laß er mir, wann allemal das andere Gefieder
Im Herbst verstummet, meine Lieder,
Auf daß ich immerdar nach meiner Weise
Von nun an meinen Schöpfer preise.

                                6.

Seitdem singt König Zaun am Weihnachtsfest,
Wenn Gott die andern Vögel schweigen läßt,
Im Namen der beschwingten Brüder
Dem Sohne Gottes seine Lieder.

                                7.

O, räum' auch du, mein Kind, aus deinem Sinn,
Was König Zaun und seine Königin
Zu Bethlehem aus Stall und Krippe, —
Des Eigensinnes Staub, des Ungehorsams Wust,
Dann hast du auch stets Trieb und Lust,
Zum Preis des Herrn mit Herz und Lippe! —
                                                     Carl Stöber

Der Storch, die Ente, der Truthahn und der Pfau



Laut klappernd pries die Morgenröte
Ein Storch auf seinem Kirchendach;
Flugs blies auf seiner Zauberflöte
Ein Entrich die Kantate nach.

"Mordjo!" rief jetzt in vollem Grimme
Der dicke Truthahn kollernd aus:
"Ihr Kreischer, hätt' ich eure Stimme,
Ich bliebe stumm wie eine Maus!"

"Verdammter Kollerer!" so krähte
Des Burgherrn Pfau, was schmähst du sie?
Ein Andres wär's, wenn ich es täte;
Doch Nachsicht ziemet dem Genie."
(So sieht Jeder die Fehler des Andern und selten seine eigenen.)

Der Star und die Lerche

"Wie viel fehlt dir an Philomelen,
Mein Kind, und wird dir ewig fehlen!"
So sprach, zur Lerche, Matz der Star.
"Mein Freund," erwiderte die Lerche, "das ist wahr;
Nur wünscht' ich wohl, dergleichen Lehren
Von andern Vögeln, als von einem Star, zu hören."

*   *   *

Das Tadeln ist sehr leicht, und lange schon Gebrauch:
O wär's das Bessersein und Bessermachen auch!
                                                                   Michaelis

Die Fabel von der Nase

Die Tafel war gedeckt zum Fest;
Es traten ein die hohen Gäst';
Darunter auch ein Ritter war
Mit grauem Bart und rotem Haar
Und einer ungeheuren Nase.

Der Narr, der mit zu Tische stand,
Die Nase gar possierlich fand;
Er lugt sie an, er lacht sie an
Und spricht, daß Jeder es hören kann:
Hu, welche große, grause Nase!

Der Herr ob dieser frechen Red'
Den Narren streng bestrafen tät;
Der merkt in sich und geht in sich
Und spricht gar leis und höfelich:
Ei, welche kleine, feine Nase!

Der Herr, ergrimmt ob diesem Wort,
Schafft alsobald den Narren fort;
Der sinnet nach und denket nach,
Und spricht, um abzutun die Schmach:
Gelt! du hast wohl gar keine Nase?

Und hat euch nun die Mähr ergötzt,
So merkt euch diesen Spruch zuletzt:
Wer über fremde Fehler spricht,
So gut er's macht, er trifft es nicht:
Das lehrt die Fabel von der Nase!
                             Ludwig Aurbacher

Der Irrwisch und der Wanderer

Ein Irrwisch ging im Feld, ein Wandrer ging ihm nach,
Geriet in einen Sumpf, und brach
In Fluch' und Vorwurf' aus: verwünschtes Licht!
So boshaft mich zu hintergeh'n!
Mein Freund, ich führte dich ja nicht,
Versetzt der Schein, wer hieß dich meines Weges geh'n?
Schilt Andere nicht, wenn dir ein Unglück widerfährt;
Dein Unverstand ist scheltenswert.
                                                     Ramler's Fabellese

Das Pferd und das Füllen

Ein edler britischer Wallach,
Der auf dem Eis' ein Bein zerbrach,
Kroch martervoll nach seinem Stalle,
In dem ein rundes Füllchen fraß.
Ei, guter Oheim! was ist das?
Rief es, wie kommst du dann zu Falle?
So rasch ich bin, so ist doch mir
Der Fuß noch nie geglitten. —
Ganz wohl, versetzt das arme Tier;
Allein du liefst noch nie im Schlitten.

So ist noch oft die Heiligkeit,
Womit sich kleine Seelen blähen,
Bloß Mangel an Gelegenheit,
Die Fehler Andrer zu begehen.
                                     Pfeffel

Der Quersack

Es sprach einst Jupiter: Was hier auf Erden atmet,
Erscheine jetzt vor meinem Thron!
Hat Jemand über seinen Leib zu klagen,
So sprech' er dreist und ohne Furcht:
Ich will den Klagen abzuhelfen suchen.

Sprich, Affe, du zuerst; und das aus gutem Grund.
Schau jene Tiere, messe dich mit ihnen:
Bist du zufrieden? — Ich? ei warum nicht?
Hab' ich wie sie nicht auch vier Potentaten?
Bis jetzt wirft mir mein Spiegel noch nichts vor.
Indes Herr Petzen möcht' ich doch wohl raten,
Er lasse sich beileib' nicht konterfei'n:
Der sieht ja einem Mondkalb gleich, auf Ehre!

Der Bär erschien; man glaubt', er würde sich beschweren.
Doch, weit gefehlt, strich er sich baß heraus,
Und fand gar viel am Elephant zu mäkeln:
"Dem Schwänzchen fehle noch ein kleiner Zusatz nur,
Den wohl die breiten Ohren missen könnten;
Zum griech'schen Ideal sei er ja viel zu plump." —

Nun trat der weise Elephant hervor;
Trotz seiner Weisheit sprach er nicht gescheiter:
Ihm schien der Walfisch allzugroß,
Für seinen Magen ein zu starker Kloß.
Frau Ämse hielt die Milbe für zu winzig,
Und dünkte sich gen sie ein schrecklicher Koloß.
Nachdem sie alle sich bekrittelt,
Ließ Jupiter sie all' in Frieden zieh'n,
Im Übrigen mit ihnen wohl zufrieden.
Doch in dem närr'schen Haufen, der erschien,
War unsre Sippschaft wohl die allernärr'schste.

*   *   *

Wir sind ja alle insgesamt
Maulwürfe gegen uns, und Luchse gen den Nächsten:
Uns selbst verzeih'n wir all's, und andern Menschen nichts.
Der Schöpfer warf uns einen Quersack über:
Im Hintersacke stecken unsre Fehler,
Des Nächsten Fehler in dem Vordersack.
                                                                 Lafontaine

Der Esel und der Hund

Der Esel warf einmal dem Haushund Bekkas vor,
Daß er sehr leckerhaft und sehr gefräßig wäre.
Freund, sprach er, merke dir zur Lehre,
Daß dies der größte Fehler ist,
Wenn man nach Herrenspeise schnappet,
Und nichts den Tag lang tut, als frißt.
Du weißt, wenn unser Herr bei Schüsseln dich ertappet,
Wie dir es geht, dein Rücken hat's gefühlt;
Sein Stock hat dir oft übel mitgespielt.
Auch tut es Not, daß ich noch ein's erwähne:
Wie mancher wird durch dich erschreckt!
Du fletschest um ein Nichts die Zähne;
Man weiß oft nicht, was dir im Kopfe steckt.
Den Reisenden ist wohl kein Tier verhaßter,
Als du mit deiner Heftigkeit.
Sieh! Jähzorn und Gefräßigkeit —
Das sind zwei ungeheure Laster!
Die Zeiten sind verderbt. Ihr Herren Tiere tut,
Was euch die Leidenschaften heißen.
Ihr seid Schmarotzer, grob, zanksüchtig bis zum Beißen;
Ja, viele sind so wild, einander zu zerreißen,
Das Herz der wenigsten ist gut.
Ich habe mir's oft vorgenommen,
Ihr Herz zu reinigen und den Versuch gemacht;
Allein der Undank ist bereits so weit gekommen,
Daß man auch eines Lehrers lacht.
Kurz, Fleiß und Arbeit sind verloren;
Ich predige nur tauben Ohren.

"Das wundert mich; du predigst gleichwohl schön;
Der Einsicht Lob muß man dir zugesteh'n;"
Versetzt der Hund, der schalkhaft ihn verhöhnt.
Ohn' einen Punkt, würd' ich sie ganz vollkommen nennen;
Wie hast du den vergessen können?
Du hast der Faulheit nicht erwähnt!"
                                                     Ramler's Fabellese

Der Hund und sein Schatten

Wie häufig ist der Selbstbetrug!
Wer kann die Toren alle zählen,
Die ihren Gegenstand verfehlen
Und, statt der Wesen, Schatten wählen?
Sie sind wie jener Hund, der einen Knochen trug
Und in dem klaren Bach sein Ebenbild erblickte.
Er springt hinein, die Beute, die der Bach
Vergrößert ihm entgegenschickte,
Dem Feinde zu entreißen. Ach!
Nichts war hier wirklich, als sein Schade.
Sein schöner Knochen blieb im Bach
Und nur mit vieler Müh' erreicht er das Gestade.
                                                        Lafontaine

Die gefangene Fledermaus und der Knabe

         Die Fledermaus

Gnade und Erbarmen fleht
Eine arme Fledermaus!
Wenn ihr sie ihr zugesteht,
Segen über euer Haus!
Und wenn rechten helfen kann, —
Sagt, was hat sie euch getan?

               Knabe

Gnade und Erbarmen dir?
Gnade, wo man's würdig ist;
Aber Gnade einem Tier
So abscheulich, wie du bist?
Wärst du niedlich, artig, klein,
Gut, so sperrte man dich ein.

         Die Fledermaus

Freilich, reizend bin ich nicht;
Doch ist häßlich strafenswert?
Euch hab' ich durch mein Gesicht
Nie auch zu erfreu'n begehrt.
In der Nacht und im Ruin
Wohn' ich; — laßt mich, wo ich bin.

               Knabe

Bliebst du da, so möcht' es sein;
Aber warum flatterst du
In des Sommers Mondenschein
Immer unsern Köpfen zu?
Siehst du nicht, wie Lottchen bebt,
Wenn dein Mantel um sie schwebt?

         Die Fledermaus

Und den Dienst, den dir mein Zahn
Wider manch' geflügelt Tier
Freundlich leisten will und kann,
Zählst du zum Verbrechen mir?
Vor wie manchem Mückenstich,
Der dich träf', bewahr' ich dich!

               Knabe

Doch wenn in des Schornsteins Schlund
Dort der feinste Schinken hängt,
Und nach deiner Nas' und Mund
Sich der Dampf in Kräuseln drängt;
Da ist wohl dein lüstern Maul,
Sich hineinzuwagen, faul?

         Die Fledermaus

Lüftet außer deinem Brot
Dich nach nichts? Was hingest du
Schinken hin? Der großen Not,
Lang' ich auch ein bißchen zu!
Naschen, das erlaubst du dir;
Strafenswert scheint dir's an mir.

               Knabe.

Nun, der Lehre wegen — flieh'!
Sie ist gut zu seiner Zeit;
Aber auch vergiß es nie,
Reizt dich deine Lüsternheit:
"Andrer Fehler schützen nicht
Vor des Rächers Strafgericht."

Der kecke Affe

Ein drollig Eichhorn tanzt in bunten
Und krausen Sprüngen hin und her
Auf einer Eich', und war bald unten,
Bald oben, hüpfte kreuz und quer,
Und machte Männchen fein und zierlich.
Das sah ein Aff'. Ein Affe ist,
Wie ihr schon aus der Fabel wißt,
Vor allen Tieren gar possierlich.
Er sah das Spiel ein Weilchen an:
Schnell klettert er die Eich' hinan,
Den Vorrang in Possierlichkeiten
Dem kleinen Närrchen abzustreiten.
Er tat dem Eichhorn alles nach,
Und machte Männchen, sprang behende
Von Zweig zu Zweigen. Aber ach!
Das Spiel nimmt ein betrübtes Ende.
Wie konnt' es wohl auch anders sein!
Der Affe fiel und brach ein Bein.
Gereizt durch sein Gewinsel kamen
Die Affenbrüder allzumal
Und hörten, wie des Bruders Qual
Die weise Warnung anbefahl:
Nie fremde Torheit nachzuahmen.
                                        Overbeck

Das Hündchen

Ein Hündchen hatte sich durch Necken
Das Knurren angewohnt.
Zwar war es anfangs bald versöhnt,
Doch auch sein Zorn war leicht zu wecken.
Man schalt, man straft' auch wohl; allein
Was half's? Er fing in solchen Fällen
Nur desto stärker an zu bellen,
Und biß auch obenein,
Und biß, wie man leicht denken kann,
Zuletzt fast überall und Jedermann.
Was ward am Ende d'raus? so wirst du fragen;
So hör' es: als es einst auf Jemand bellt und biß,
Und ihm von hinten zu sein Kleid zerriß,
Da ward es jämmerlich geschlagen,
Und blieb zeitlebens lahm.
Was meinst du, war es zu beklagen,
Daß es solch' Ende mit ihm nahm?
Konnt' es doch selber nichts, sich zu entschuld'gen, sagen.
Das eine — merk' es! — sagt' es mir:
"Vertilge früh des Bösen Spur,
Gewohnheit wird zur anderen Natur!"
                                                      Seidel

Der Habicht und die Störche

Mitleidig ist die ganze Welt,
So bald nicht Eigennutz das Urteil fällt.

Ein Habicht schoß auf eine Lerche
Im Angesichte zweier Störche,
Und würgte, rupfte, speiste sie.
Ach! sprach der eine Storch, die arme Lerche die!
Vorhin sang sie so artig noch.

Storch! sprach der Habicht, spare doch
Die Seufzer nur; den du verzehrt,
Der arme Frosch, der ist beklagenswert:
Vorhin quackt er so artig noch.

Wer selbst nicht tut, was er uns lehrt,
Wird mit Verachtung angehört.

Der Kater

Ein Kater sah bei einem Schmaus
Die goldgefüllten Römer blinken;
Er sah die Gäste wacker trinken,
Und rief in vollem Eifer aus:
"O Himmel, welch' ein toller Haufen!
Wie schändlich ist es, Wein zu saufen!
Uns Katzen ekelt vor dem Wein.
Nur bei den Menschen gibt es Prasser;
Wir löschen unsern Durst mit Wasser:
O lernt von Katzen weise sein!"

"Herr Murner, nur nicht so vermessen!"
Rief ihm ein Gast mit Lachen zu.
"Ich bin so tugendhaft wie du,
Denn ich kann keine Mäuse fressen."

*   *   *

Wer sich den Lastern nicht ergibt,
Die seiner Lust nicht schmeicheln können,
Allein auch nicht aus Wahl der Tugend sich ergibt,
Ist noch nicht tugendhaft zu nennen.
                                                      Pfeffel

Die beiden Krebse

"Geh' doch nicht so krumm, geh' doch in gerader Linie!"
rief ein älterer Krebs einem jüngeren zu.
"Von Herzen gern," erwiderte dieser; "nur bitte ich dich,
gehe mir doch voran!"

Tadle an Niemanden einen Fehler, den du selbst besitzest. —
                                                                              Aesop

Das Laster und die Strafe

Die Kinder des verworfnen Drachen,
Die Laster, reisten über Land,
Um anderswo ihr Glück zu machen,
Weil sich zu Hause Mangel fand.

Das Gras erstarb, wo sie gegangen,
Der Wald ward kahl, die Felder wild,
Die Straße war mit Molch und Schlangen,
Die Luft mit Eulen angefüllt.

Zufällig sah'n sie jetzt zurücke,
Es folgte Jemand nach, und wer?
Die Strafe hinkte mit der Krücke
Ganz langsam hinter ihnen her.

"Du holst uns diesmal," rief der Haufen,
"Gewiß nicht ein." Doch diese sprach:
"Fahrt ihr nur immer fort zu laufen,
Ich komm' oft spät, doch richtig nach."
                                             Lichtwer

Die Taxe der Tiere

Der Löwe hielt einmal mit seinen Großen Rat:
Für meinen Hof und meinen Staat
Die nöt'gen Kosten aufzutreiben,
(So sprach er) ist kein andrer Rat,
Als eine Steuer auszuschreiben.
Dies ist mein erster Satz. Mein zweiter der:
An euch, ihr Herren, ist's nunmehr,
Mir eure Meinung anzugeben.
Von wem ich diesen neuen Zoll,
Von welchen Waren ich ihn heben.
Und wie man ihn verteilen soll,
Daß Niemand über Unrecht klage,
Und mir die Taxe doch die nöt'ge Summe trage.

Herr! sprach der Elephant, mir fällt ein Mittel bei,
Zu machen, daß die Zollbeschwerde
Gerecht für Jeden, und für dich ergiebig sei,
Und, was man selten sieht, dem Bürger nützlich werde.
Nach ihren Graden schlage man
Untugenden und Fehler an.
Dann melde jedes Tier sich bei dem Protokolle,
Und über jedes höre man
Das Zeugnis dreier Nachbarn an,
Zu richten, was es zahlen solle.
So wird die Hoffnung, sich vom Zolle zu befrei'n,
Das Volk auf beßre Sitten leiten,
Und, alle Kosten zu bestreiten.
Doch immer Geld genug in deiner Kasse sein.

Wie aber? wird nicht Jeder schrei'n,
Erwiderte der Fuchs, man habe falsch gerichtet?
Man hab' ihm Fehler angedichtet?
Ein besser Mittel fällt mir ein:
Soll dir, o Herr, die Taxe doppelt tragen,
Und sich am höchsten anzuschlagen
Der Bürger selbst begierig sein,
So laß den Zoll auf die Verdienste setzen,
Und Jeden sich nach eignem Willen schätzen.