Fabelverzeichnis

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Friedrich Karl Freiherr von Moser

geb. 18.12. 1723 in Stuttgart
gest. 10.11. 1798 in Ludwigsburg

Moser war ein deutscher Staatswissenschaftler,
Reichspublizist und Politiker.
Er gab 1761 "Der Hof in Fabeln" und 1790 "Neue Fabeln" heraus.



Quelle der Fabeln:
Friedrich Karl von Moser/Der Hof in Fabeln/Leipzig 1762

 
Zueignungs-Schrift
an meine liebe Mutter die Wahrheit.

Liebe Mutter

Wie ist es Euch seit Eurem Abschied von * * ergangen? ob Ihr noch lebt? ob Ihr den
deutschen Boden gar verlassen? oder Euch, wie Ihr zuweilen im Sinn gehabt, in die
Wüste geflüchtet? habe ich seit unserer Trennung nie erfahren können.

Unsere Freunde, deren, wie Ihr wißt, noch wenige sind, wollen mir versichern, Ihr habt
euch an den Hof eines guten und weisen Fürsten begeben, der habe Euch an seinem
Fürstenstuhl zu stehen vergönnt, Ihr ginget vor Ihm her in den Rat und wichet nie von
seiner Seite, die Unschuld und Tugend zu Ihm zu begleiten sei Euer tägliches Amt, durch
Euch rede der Fürst Worte der Gnade und der Gerechtigkeit zu seinem Volk, preiswürdige
Taten zu den Menschen.

Andere hingegen sagen mir: Unsere Feindinnen, die Verleumdung und Lügen, hätten
ihren alten Prozeß gegen Euch gewonnen, ungehört und unbefragt wäret Ihr in vier
Mauern gebracht worden, wo Euch mit niemand mehr zu reden vergönnt sei.

Ihr habt mich gelehrt, Mutter, dem Menschen eben so viel Gutes als Böses zuzutrauen,
ich glaube jenes, indem ich dieses fürchte. Doch wie kann, hat mir oft meine Tante,
Gut-Gewissen gesagt, wie kann die Tochter der Wahrheit um ihre Mutter sich fürchten!

Ihr habt mich, wie Ihr noch wohl wißt, in den Händen der Weisheit, meiner Großmutter,
zurückgelassen, sie konnte mich aber, da sie von den Göttern der Erde berufen worden,
Friede unter Ihnen zu machen, nicht länger bei sich behalten, sie schickte mich in die
Welt: Jung seid ihr noch, sagte sie, ihr werdet doch wohl Freunde finden, so viel Feinde
auch Eure Mutter hat.

Ein mitleidiger Greis, edel von Herzen und Bildung, brachte mich in die Hütte eines
Patrioten, der mich lieb gewann, weil ich Eure Tochter bin, er umhüllte mich in ein
leichtes Gewand, in welchem ich dem verwöhnten Auge der Menschen unanstößiger
wäre. Ich ging mit ihm auf Reisen, ich sah die Welt und die Höfe, ich erkannte den
Menschen, ich sammelte meine Anmerkungen und verfaßte sie in der Sprache meines
Pflegevaters, Äsop.

Ich sende sie Euch hier, liebe Mutter, durch Fama, unsere Freundin, die Euch noch zu
finden vermeint. Erkennet darinnen, bitte ich Euch, die echte Minne und das ehrliche Herz
         Eurer
            
gehorsamen Tochter
                  der Fabel.