Fabelverzeichnis

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Fabeln 1
 
Das Löwenspiel
Das Kabinet des Löwen
Der Regierungsantritt des jungen...
Die neueingerichtete Hofstaat...
Die verbesserte Ökonomie des...
Der Kammerpräsident des Löwen
Das Testament des Wolfs
Der Geschmack des Löwen
Das fürwitzige Schaf
Das Kamel und die Vögel
Das vergoldete Ochsenhorn
Der Hund und der Esel
Der wahre Pompejus
Der Hund im Dienst des Esels
Der beleidigte Löwe
Der wohlgebläute Marder
Wie die Schafe von Wölfen reden sollen
Die Leichenrede des Esels

Fab. 1
Das Löwenspiel

An einem schönen Frühlingstage ging König Löwe mit seinem Hofstaat spazieren und
sah eine frohe Herde Lämmer und Schafe tändelnd miteinander spielen. Es regten sich in
seiner großen Seele noch nie gefühlte Triebe von Fröhlichkeit und Lust zu scherzen.
Wie wär's, sprach er zu Hauptmann Eber, wann wir uns auch einmal dies Vergnügen
machten, er befahl Pecas, dem Leibhund, mit ihm zu stoßen, wie er die Lämmer stoßen
sähe. Nie sah der Löwe so drolligt aus, als da er Männer gegen die Hunde machte.
Die Schafe stunden hinter den Hecken und lachten heimlich über den König Löwen.
Pecas machte etliche Volten, es wollte ihm aber nicht zu Gesicht stehen, und Meister
Reinicke ward an seiner statt herbei gerufen. Wer aber dem Löwen nie zu nahe kam,
das war der Fuchs, ich könnte, sprach er bei sich, ihn ungefähr härter stoßen, als er's
haben möchte, beim Hasenbalg! spiele mit ihm, wer da will. Der Fuchs ward seiner
Ungeschicklichkeit wegen auch zurückgestellt und eine Schafmutter aus der Herde
herbei gerufen. Ich habe, sprach König Löwe, eurer unschuldigen Freude zugesehen,
und ich will, Mutter, daß du auch einmal mit mir spielen sollst.
Ach, sprach Mutter Lise, Zeus erhalte dich, mein Herr, bei langem Leben. Stärke und
Mut, uns zu schützen, umgebe deinen Thron, dich zu fürchten und zu verehren,
sei unsere Pflicht, aber Zärtlichkeit und Freundschaft bleibe das Erbteil der Lämmer und
Schafe, mit welcher Rede es sich demütig zu König Löwens Füßen legte.
Dieser wandte sich um zum Tiger: Nie, sprach er, habe ich von einem Schaf eine klügere
Rede gehört; trabte weiter, und vom Stoßen ward nichts mehr gedacht.

Fab. 2
Das Kabinet des Löwen

Ruhe und Überfluß herrschten im Reich der Tiere, den klügsten unter ihnen ahnte
aber, daß solches nicht immer währen möchte.
Die Tiere versammelten sich wechselsweis im Hofe des Löwen und in den Kammern des
Elephanten, des Pferds und Kamels.
An einem schönen Sommertage beredete sich das Heer der Tiere: Unser König ist
stark, großmütig, gerecht, ihm fehlt nichts an seiner Vollkommenheit, als etwas mehr
Pracht, um seine Höhle auch von außen kenntlicher zu machen. Alle Tiere stimmten
bei, nur der Bär wandte brummend ein: Man braucht den Löwen nicht stolzer zu machen,
als er ohnehin schon ist, er ward aber von der ganzen Versammlung ausgezischt und
jedes Tier erbot sich, dem Löwen zur Zierde seiner Wohnung was beizutragen.
Der Löwe bat sich vom Elephanten einen Zahn, von dem Steinbock und der Gemse
ein Horn, vom Adler eine Schwingfeder, vom Strauß einen Busch, vom Luchs ein
abgelegtes Auge, vom Fuchs den Balg seines Bruders, vom Pferd eine Mähne, vom
Schwein einen Hauer und - - daß ich es nicht alles erzählen kann!
Der Herkules-Saal war nie glänzender, als der Hof des Löwen in seiner ernstlichen Pracht.

Der Bär, entbrannt von Neid, beschloß bei sich, seine Höhle noch herrlicher
auszuschmücken. Alle Vögel wurden durch Ambassador Schergen freundlich gebeten,
Ihro Gnaden Herrn Bär einen Beitrag zu tun; die Pfauen hatten zumalen üble Zeit,
man wartete nicht, bis ihnen die Federn ausfielen, sie wurden ihnen heimlich ausgerupft
oder abgehandelt. Kein Papillon konnte ruhig sterben, er ward noch im letzten Atem
angespießt, um die Wände des Bären-Kabinetts auszufüllen. Die Schnecken schickten aus
fernen Landen gleichfalls eine Beisteuer, womit der Eingang der Höhle ausgeziert wurde.
Hamster-Felle bedeckten den Boden und Schwanen-Hälse machten den Sitz des Bärs,
wenn er seinen Klienten Gehör erteilte. Die Iltis, die Ratten, die Eulen, die Raben,
der Sperber, kurz alle Tiere, deren Gaben König Löwe nicht erbeten hatte,
bewunderten den Geschmack des Bären, der sich, trunken vor Vergnügen auf den
Schwanen-Federn herumwälzte. Wenn ich aber, sprach Mäzgen, wie Gnaden Herr Bär
wäre, so schaffte ich auch noch alle die unnützen Elephanten-Zähne hinaus, die dein
Vater, verständigen Andenkens, noch hier zu Hause gesammelt hat, die Zeiten haben
sich geändert und - - Der Star hatte noch nicht ausgeredet, als die Esel und die Dachse
Hand anlegten, jene trugen die Zähne hinaus und diese verscharrten sie, König Löwe
erhielt davon Nachricht und ließ sie bei Nacht wieder ausgraben, sie wurden noch härter
und schärfer befunden, als die, welche ihm die Elephanten selbst geschenkt hatten.

Der Hochmut des Bären nahm täglich zu, so daß er sich endlich vergaß, durch eine
Schlange mit schnöden Worten die Zähne vom Löwen wieder zu fordern, die er doch
selbst weggeworfen hatte.

Nein, sprach König Löwe, nie hätte ich geglaubt, daß bei Dummheit so viel
Bosheit, bei Armut so viel Hoffart wohne, es ist Zeit, den Stolz des Bären zu demütigen.
Er schickte den Tiger, den Pardel, den Eber, das Pferd, den Fuchs und den Hirsch,
die Hütte des Bären zu zerstören. Ein Chamäleon, der Liebling des Bären, brachte ihm die
erste Nachricht davon. Der ganze Hofstaat suchte in größter Eile das weite Feld, nur noch
die Schnecke erbot sich, in großer Eile Hilfe im Wald zusammen zu treiben, allein sie
kam zu spät, und die Hütte wurde gleich im ersten Angriff zerstört. Ein Unglück kommt
selten allein, Schande folgt gemeiniglich auf den Schaden. Die Sieger teilten sich die
Beute, der Hirsch bespickte die Enden seines Geweihes mit den schönsten Muscheln,
das Pferd starrte von Pfauen-Federn und der Eber trug an jedem Hauer den prächtigen
Balg des Kolibri. In diesem gaukelhaften Staat nahmen sie von dem mit Verzweiflung
ringenden Bär, den sie spottweis Ihro Magnifizenz hießen, Abschied und hielten ihren
Einzug im Lande des Löwen, der ihrer Einfälle selbst lachen mußte.
Noch lange Jahre führten die Tiere ihre Rechnung von der Zeit an, da der Bär seines
Vaters Zähne vergraben hatte.

Fab. 3
Der Regierungsantritt des jungen Löwen

Vater Löwe starb, und sein ältester Sohn folgte ihm im Regiment. Eine seiner ersten
Beschäftigungen war die neue Bestellung der Regierung. Die bisherigen Mitglieder des
Tierrats hatten sich ihm schon längst gehässig gemacht. Der Elephant wäre ihm viel zu
bedächtlich, das Pferd zu hitzig, der Strauß zu geschwind, der Storch zu geizig,
die Schlange zu falsch, die Taube zu einfältig, er konnte nicht begreifen, warum sein
Vater die vortrefflichen Gaben anderer Tiere, die Klugheit des Fuchsen,
die Gerechtigkeitsliebe des Wolfs, die Artigkeit des Hasen, den Witz der Affen, und die
Beredsamkeit der Gänse nicht besser benutzt hätte.
Die erledigten Stellen wurden also diesen letztern anvertraut; es währte aber nicht lange,
so entstand in dem Rat selbst, worin es sonst sehr einstimmig zugegangen, Zank und
Streit, alle Geheimnisse wurden vor der Zeit durch die Gans verraten, der Fuchs stellte
dem Hasen, seinem Feind lauter Schlingen, der Wolf hinderte aus Eigennutz die
Ausführung aller guten Anschläge und der Affe behandelte die ernstlichste Geschäfte als
lauter Possen. Da war nichts als Uneinigkeit, Zerrüttung und Schaden, im kurzem wäre
der Löwe selbst das Gespött bei allen Tieren.
Der Löwe erkannte endlich selbst die Untüchtigkeit seiner Ratgeber, weil er sich aber
seiner Wahl nicht schämen wollte, so suchte er sich in schweren Fällen beim Elephanten
insgeheim Rat zu holen, der sich jedoch immer entschuldigte: daß er Alters und
Schwachheit seines Gedächtnisses halber an den Regierungsgeschäften keinen Teil
nehmen könnte; voll Verdruß und Beschämung dankte endlich der Löwe seine neue
Räte mit einander ab; ich sehe wohl, sprach er, wenn ich König bleiben solle, so muß ich
auch mit Tieren zu Rat gehen, die eines Löwen würdig sind.

Fab. 4
Die neueingerichtete Hofstaat des Löwen

Am Hof war es ergangen, wie beim Regiment. Liebling Fuchs hatte dem jungen Löwen so
viel von den Talenten und Amtstreue seines Schwagers, Esel und der Gewissenhaftigkeit
seiner Neffen, Luchsen und Marders vorgeschwatzt, daß selbigen nach dem Abgang
des alten Löwen sofort die Hofämter anvertraut wurden.
Der Esel belebte aber alle Diener des Löwen so übel, daß keiner mehr an Hof bleiben
wollte, der Luchs stahl noch ärger, als weiland Landschreiber Rabe, und der Marder ließ
jeden machen was er wollte, wenn sie nur nur zu seinen Diebsgriffen stille schwiegen.

Der Löwe geriet darüber in dem ersten Jahr schon in solche Not, daß er sich mehrmals
bei den alten Dienern seines Vaters zu Gast bitten mußte, dann Küche und Keller waren
so leer, daß selbst die Hofmäuse Hungers starben. Als nun der junge König dem wieder
eingesetzten Elephanten seine Not klagte, bedeutete ihn dieser: Der dir ein schlechter
Rat wäre, kann dir ein brauchbarer Hofmann sein. Der Fuchs ward erster Kammerherr,
und alle Tiere lobten seine belebte und angenehme Begegnung; Der Affe ward zum
Kammerdiener ernannt und indem er des Löwen Mähne kämmte, machte er ihm so viel
lustige Streiche vor, welche ihn den ganzen Tag bei guter Laune hielten; der Luchs ward
Oberschenk, weil man ihn nie über Untreue beim Wein ertappt hatte; die Gans wurde
zum Schloßhauptmann und der Hase zum Kammerfourier bestellt.
Die Verwandlung ging so gut vonstatten, daß alle Tiere, selbst der immer mißvergnügte
Bär, der Wahl des Löwen Gerechtigkeit widerfahren ließen. Nur den Wolf schickte der
Löwe zu den Menschen, ihnen beim damaligen Krieg würgen zu helfen, und der Esel
bekam eben noch zu rechter Zeit einen Ruf, Cantor zu * werden.

Fab. 5
Die verbesserte Ökonomie des Löwen

Junker Löwge hatte den Pracht und Aufwand an dem Hof seines Vaters mehrmalen
beseufzet, es muß, sprach er, zuletzt noch zu bösen Häusern gehen.
Der Löwe starb und Löwgen ward König. Den Pferden, Hunden und Eseln wurde gleich
des andern Tages der Abschied gegeben; Die Affen, die Papageien und die
Kanarienvögel wurden behalten; jene großen Tiere, sprach Löwgen, können sich ihre
Nahrung selber verdienen; diese vermögen sich selbst nicht zu helfen, und bedarf ich
ihrer nicht, so bedürfen sie doch meiner. Keine drei Tage waren vergangen, als Löwe mit
seinen Affen selbst Hunger leiden mußte, weil die Tiere fort waren, die ihnen bisher die
Nahrung zugeführet hatten.

Fab. 6
Der Kammerpräsident des Löwen

Der Storch war mit dem Tod abgegangen, welcher die Einkünfte des Löwen bisher würdig
verwaltet hatte. Unter allen zu dessen Stelle sich anmeldenden ward der Hamster
vorgezogen. Ich weiß, sagte der Löwe, daß er der beste Haushälter in meinem Reich ist.
Die Einkünfte gingen richtig ein, doch mußte sich der Löwe kümmerlicher als jemals
behelfen. Der Luchs verplauderte das Geheimnis, man fände den ganzen Vorrat in den
Kammern und Backen des Hamsters. Ich wußte doch wohl, sprach König Löwe, daß er
ein sparsamer Wirt sei, nur bedachte ich nicht, daß er die Probe davon auch an mir selbst
machen würde.

Fab. 7
Das Testament des Wolfs

Der Wolf kam aufs Krankenbett, und Doktor Pommer verkündigt ihm, daß keine Hoffnung
zu seiner Genesung sei. "Wenn es denn," sprach Meister Wolf, "nicht anders ist, so lasse
man mir meine Kinder kommen, um mich mit ihnen zu letzen." Sie kamen und
umstellten das Lager ihres sterbenden Vaters.
"Ihr seht," fing er an, "daß es mit mir zu Ende geht. Ich habe in meinen Lebzeiten nicht
allzeit so, wie ich gewünscht, Recht und Gerechtigkeit verwaltet, die Zeiten waren
schwer, es mußte sich jeder zu helfen suchen, so gut er konnte; noch tröstet mich,
daß Adler und Nachtigall mir nichts Unrechtes nachsagen können, mit Elephanten und
Löwen habe ich auch jederzeit in vertraulicher Freundschaft gelebt, nur die Schafe,
Hunde und Gänse haben's zuweilen an mich gebracht, und in der ersten Hitze weiß man
sich nicht allemal zu mäßigen. Ich rate euch aber, meine lieben Kinder, mit ihnen
fürderhin in Ruhe und Eintracht zu leben, den Schaden, so ich ihnen getan, bei bessern
Zeiten zu ersetzen und euch im Reich der Tiere des Namens frommer Wölfe würdig zu
machen, welches, wie Styx weiß, lebenslang mein ernstlicher Vorsatz gewesen ist.
Ist nun solches euer aller redlicher Wille, so lege jeder zur Bezeugung seiner
Aufrichtigkeit die Klaue auf meinen Leib." —"Ach, Vater," fing Wolfette an, "alles dies
wollen wir dir gern versprechen, wenn wir nur keine Wölfe wären."

Fab. 8
Der Geschmack des Löwen

Der Löwe ging im Wald spazieren und fand einen Bienenstock, dessen Honig er begierig
leckte. Ich möchte nur wissen, sprach der nachschleichende Igel zum Eber, was unser
Herr zuweilen für eine seltsame Lust hat, ein Bissen von dem Aas, an dem wir vorbei
gingen, schmeckte mir beim Stier besser, als der Honig des ganzen Waldes. Das macht,
sprach der sich umkehrende Löwe, weil ich ein Löwe bin, und du der Igel bist.

Fab. 9
Das fürwitzige Schaf

Greif und Spitz sprachen oftmals bei der langen Weile der Nacht von den Eigenschaften
der Wölfe, von ihrer List, Stärke und Menge, Mutter Lise hörte ihnen immer aufmerksam
zu. Einst rühmte Greif als einen bewährten Vorteil, wenn man den Wölfen nicht entrinnen
könne, nur mit ihnen zu heulen, bis man sich behutsam wieder von ihnen geschlichen.

Nun weiß ichs, sprach das Schaf in sich, was den Hunden so großen Namen bei uns
macht, beim Greif, in der ersten Nacht will ich den Wolf betrügen und unserer stolzen
Hunde weidlich spotten.
Die Nacht kam herbei, sie war mehr als dunkel, das Schaf überstieg den Pferch und ehe
sichs noch umsah, stand es mitten unter den Wölfen. Der Anfang ging glücklich
vonstatten, das Schaf wurde nicht erkannt, der Morgen rückte bald herbei und die Wölfe
trabten wieder gen Holz. Ein frohes Geheul verkündigte ihren Jungen die mitbringende
Beute; nun ist's Zeit, sprach bei sich Lisgen, nun muß ich heulen, sonst bin ich verloren.
Es erhob seine Stimme, es war verraten, und zerrissen.

Fab. 10
Das Kamel und die Vögel

Ein Kamel war am Hof König Löwens zum Wasserträger angenommen. Bald wurden die
Eimer getragen, bald waren sie verschüttet, die Tiere beschwerten sich seiner Trägheit,
es blieb aber bei seiner alten Gewohnheit.
Eines Tags blieb das Wasser gar aus, man suchte, man fragte nach dem Kamel, aber
vergebens. Endlich wurde König Löwe angezeigt, daß ein vorbeireisender Pardel es im
Wald unter einem Baum starr in die Höhe sehend angetroffen habe. Läufer Windspiel
brachte es zurück, und der Löwe verwies ihm seine Trägheit und Müßiggang.
Ach, sprach das Kamel, müßig bin ich nicht gegangen, wie ist es aber möglich, daß eine
Seele so feinen Geschmacks, wie der meinige, von dem göttlichen Gesang der Philomele
ungerührt bleiben sollte, um ihn nicht auch in der Nähe zu hören.
Der Löwe antwortete ihm: lerne die Pflichten deines Berufs deinem Vergnügen
vorzuziehen, sobald du, ohne mein Wasserträger zu sein, dich ernähren kannst,
werde ich dir niemals verübeln, wenn du den ganzen Tag nur Vögel singen hören willst.

Fab. 11
Das vergoldete Ochsenhorn

Ein Stier hatte von Jugend auf seine Aufwartung am Hof vom König des Löwen gemacht
und war darüber alt und grau geworden. Seine Rechnung ging beständig auf eine
Obristenstelle, dann, sprach er, Hörner habe ich ja, besser als einer unter euch andern.
Der Löwe bot ihm Wachtmeisterdienste an, mußte aber die höhnische Antwort hören:
daß sich noch nie ein Ochs so weit erniedrigt, Wachtmeister bei einem Löwen zu sein.

Nach vielen Jahren wurde eine große Promotion bei der Leibwache des Löwen
vorgenommen: nun, sprach der Ochs bei sich, nun wird es mir nicht fehlen, ich bin der
älteste unter allen, die dem Löwen aufgewartet haben.
Allein was geschah? Ein junger rüstiger Bullenbeißer, der erst seit zwei Tagen am Hof
erschienen und demütig am Eingang der Höhle saß, ward dem Ochsen abermals
vorgezogen, welcher voll Unmut und Klagen über den Undank des Löwen nicht mehr an
dessen Hof erscheinen drohte. Man lasse ihn gehen, sprach der Löwe, den ich nie
gerufen und der andern nur den Weg versperrt, damit er aber nicht der erste sei, so mich
Undanks beschuldige, so befehle ich, daß man zum Andenken seiner bisherigen Mühe
seine Hörner vergolde.
Der Stier schied darüber vergnügt von hinnen, endlich, sprach er, werden doch noch
Verdienste erkannt und belohnt; von ihm stammen noch alle Ochsen mit vergoldeten
Hörnern bis auf den heutigen Tag.

Fab. 12
Der Hund und der Esel

Spatill ein Hund von größter Hoffnung, ging in tiefen Gedanken spazieren und stieß auf
einen Esel, der Disteln an einer Hecke suchte. Wie mich deucht, Vetter, fing der Esel an,
so drückt euch ein heimlicher Kummer, wie glücklich wollte ich mich schätzen, euch
mit Rat und Tat beizustehen. Man läßt sich ja wohl, um nicht allein zu sein, auch wohl
mit Eseln in ein Gespräch ein; Spatill machte es eben so.
Von Kummer, sprach er, bin ich mir wohl nichts sonderliches bewußt, ich sinne nur,
wenn du es ja wissen willst, darauf um unter König Löwens Hofhunde aufgenommen zu
werden. O dazu kann ich dir, erwidert Langohr, gar leicht und vielleicht heute noch verhelfen.
So hast du, versetzt darauf Spatill, so große Bekanntschaft am Hofe des Löwen.
Nun das könnte ich eben wohl nicht sagen, antwortet jener, der König geht aber alle
Tage an meines Herrn Mühle vorbei, finde dich bei guter Zeit da ein, und tue nur wie
ich dir sagen werde, es kann dir nicht fehlen, Herr Bruder, dein Glück ist gemacht.

Spatill lachte, daß es bis in des Löwen Höhle schallte. Höre, sprach der Esel, ehe ich mich
durch dich und deinesgleichen dem Löwen empfehlen lassen wollte, würde ich lieber
Lebenslang bleiben, wer ich bin.

König Löwe schickte das Eichhorn dem Schall des Gelächters nach, es fand den Esel noch
unter den Disteln: dieser erzählte ihm die angebliche Grobheit Spatills. König Löwe fand
aber dessen Antwort so klug, daß er ihn von Stunde unter seine Leibhunde aufnahm.

Fab. 13
Der wahre Pompejus

Zur Zeit, da die Tiere noch dachten, hatte König Maron eine Dogge, deren er wegen ihrer
Stärke den Namen Pompejus gab. Der Hund wußte lange nichts mehrers, als den bloßen
Schall dieses Wortes.
In einer schlaflosen Nacht ließ sich der König aus den Geschichten vorlesen, und just
traf sichs auf die Taten des großen Pompejus. Der zu den Füßen des Bettes liegende
Dogge wußte sich vor Freuden nicht zu lassen.
Der Tag war kaum angebrochen, als er seine Kameraden zusammen rief und erklärte
ihnen, daß ihrs von nun an wißt, ihr Hunde, ich bin der große Pompejus; welches er wohl
zehnmal wiederholte.
Die Tiere sahen sich über diesem Gewäsche untereinander an, bis endlich Kutscher
Andresen ehrbarer Pommer voll Unmut heraus brache: Mein guter Bruder, die Könige tun
sich auf uns Hunde was zu gut und geben uns allerhand menschliche Namen, die sie
ohne Not oft aussprechen, um Fremden und Unwissenden weis zu machen, daß sie all
diese Menschen in ihren Diensten hätten, du bist aber so wenig der große Pompejus,
als ich, den mein Herr Sultan heißt, der große Sultan bin.

Fab. 14
Der Hund im Dienst des Esels

Im Reich der Tiere trat eine große Teuerung ein, und Hardi, ein Nachkömmling des großen
Hardi, sah sich genötigt, einen Esel um seinen Schutz anzusprechen, um durch seine
Vorsprache in die Bekanntschaft der Bäcker und Müller zu kommen. Hardi tat noch über sein
Versprechen; er hatte sich nur erboten, Disteln und Wurzeln zu suchen, er fand durch
seinen forschenden Fleiß sogar Trüffeln. Nie hat ein Esel herrlicher gelebt, als dieser.
Der Undank, das gefährliche Gift, schlich sich von den Menschen auch unter den Eseln
ein: der Esel hatte die Gegend der Trüffeln selbst aufgespürt, Hardi war ihm nun entbehrlich
geworden, er kündigte ihm, da die Not just am größten war, Dienst und Schutz auf.
Der Hund beruft sich auf ihren Kontrakt. Was Kontrakt! erwidert Langohr, wir Esel sind
nicht gewohnt, Kontrakte zu halten, und daß du es weißt, wenn du nicht gutwillig gehst,
werde ich dir so vieles nachzusagen wissen, daß du dein Lebtag an mich denken wirst.
Spreche von mir immer, was du willst, versetzte Hardi, alle Tiere werden mich bedauern,
sobald ich nur sage, ich hätte einem Esel gedient.

Fab. 15
Der beleidigte Löwe

Ein Hase hatte sich mit vielen ungeziemenden Gebärden und Ausdrücken gegen den
Löwen vergangen und wurde in Gegenwart des Löwen vor Gericht gefordert. Zwei Hunde
mußten ihn tragen, denn er war vor Schrecken und Angst mehr tot als lebendig.

Sein Verbrechen wurde erzählt und die Stimmen von unten auf gesammelt. Die Hunde
bleckten schon die Zähne, das Urteil zu vollziehen. Der Wolf trug darauf an, ihm das Herz
aus dem Leibe und ihn in vier Teile zu zerreißen; Der Bär meinte, die Zunge vorher aus
dem Hals zu schneiden, könnte um des Exempels willen auch nicht schaden; Das Pferd
hielt eine Leibesstrafe für hinreichend, einen Hasen zu züchtigen; Der Fuchs zuckte die
Schultern, während seines Amtes wäre ihm ein so schwerer Fall, da ein Hase sich an dem
Löwen vergangen, noch nie vorgekommen. Die Reihe kam an den großmütigen
Elefanten: Wenn einer von uns, sprach er, eben dies Verbrechen des gegenwärtigen,
mit dem Tode ringenden Hasen begangen hätte, würde ich als über einer merklichen
Bosheit des Willens der Stimme des Pferdes beitreten; für den unverständigen Hasen
aber mag die ausgestandene Angst Strafe genug sein, er wird sich wohl von selbst hüten,
noch einmal in diesem Fall zu kommen.
Der Löwe gab ihm Beifall, und kaum hatte der Hase noch so viel Kräfte, ein Männchen
zum Abschied zu machen, als im die Vergebung angekündigt wurde.

Fab. 16
Der wohlgebläute Marder

Ein Marder, der den Bauern schon manches Huhn erwürget hatte, schlich sich in dieser
Absicht des Abends in einen Hof. Zeus grüßt Euch, mein Herr, (sprach er zu dem eben
einen tüchtigen Prügel zurecht schnitzenden Hausherrn) noch befindet ihr euch, wie ich
sehe, alle wohl. Der Bauer tat nicht, als ob er den Gruß des Marders hörte und dieser
schlich sich, der Schlingen unbewußt, kühn wie ein Partisan, in das Hühnerhaus.
Kaum hatte er aber die Türe betreten, so fiel solche mit ihm in einen tiefen Sack, dessen
Zug an der Hand des Bauern befestigt war. Der Bauer eilte mit seinen Knechten herbei
und schlugen den Hühnerfresser so mürb, als je ein Marder geschlagen worden sein mag.

Um deiner Jugend willen, sprach Steffen, schenke ich dir das Leben, lerne aber,
den Namen des Jupiters niemals mehr zum Deckmantel deiner Raubbegierde zu
gebrauchen. Voll Schläge und Beulen kreucht Mardel aus dem Sack heraus und eilt in
seine Höhle. Die Schläge, spricht er bei sich, sollten mich nicht verdrießen, dann Ehre ist
nie ohne Gefahr, wenn der verfluchte Bauer nur die geringste Mine gemacht hätte,
daß er den Bengel, den ich ihn schnitzen sah, mir zugedacht hätte.

Fab. 17
Wie die Schafe von Wölfen reden sollen

Der Wolf hatte des Hirten beste Schafmutter gerissen und sich bei dem Löwen damit
entschuldigt: das Schaf hätte nicht mit der gehörigen Bescheidenheit und Ehrerbietung
von ihm gesprochen und sich Ausdrücke von ihm bedient, die seine Würde und Charakter
beleidigten. Ach? sagte das verwaiste und klagende Lamm, ich habe dabei gestanden,
meine Mutter hat ihn nichts als den reißenden Wolf geheißen.
Der Löwe gab dem Lamm den Bescheid: Wann es vom Wolf spreche, ihn schlechtweg
Wolf heißen soll, weil es sich von selbst schon verstünde, daß jeder Wolf reißend sei.

Fab. 18
Die Leichenrede des Esels

Der Löwe ging einst, seinen Gedanken nachhängend, im Wald spazieren und trat sich einen
Dorn in den Fuß. Ein Esel stand nicht weit davon, dem der Löwe solchen auszuziehen herbeiruft,
und für solche Bemühung lebenslang die Kost an seinem Hofe versprach.
Der Esel starb und sein Tod ward seinen Miteseln nach Standesgebühr angekündigt.
Da es der erste Esel war, der am Hof des König Löwen zu speisen gewürdigt worden,
ersuchten sie durch einige Abgeordnete: Der König möchte erlauben, daß er zunächst an
seiner Höhle eingescharrt würde und ihm die letzte Ehre erweisen, seinem Begräbnis
selbst beizuwohnen.
Der Löwe lachte der der Einbildung der Tiere, aus Großmut und Andenken des einigen
vom Esel bewiesenen Dienst willfahrt er aber ihrer Bitte. Die Esel hatten den Hoffuchs
schon durch große Versprechungen gewonnen, ihrem Kameraden die Leichenrede zu
halten. "Wir Löwen und ihresgleichen Verdienste zu schätzen und treue Dienste königlich
zu belohnen wissen," (fing Parentator Fuchs an) "ersehen wir, hochzuehrende
Trauerversammlung, an dem erhabenen Beispiel des in der Blüte seiner Jahre, mithin
allzu früh dem Staat entrissenen wohlweisen und mannhaften Esels von und zu
Eselstal, unsers im Leben gewesenen teuer geschätzten Gönners, Kollegen, Freund und Bruders."
Die ganze Versammlung fing an zu husten und unterbrach die Rede des Lügners.
Als der Löwe in seine Höhle kam, sprach er zum Einhorn: Unter uns gesagt Einhorn,
nie bin ich in meinem Leben mehr beschämt worden, als da der Fuchs heute meine
Schwachheiten zu meinen Tugenden rechnet. Man solle keinen Esel fürderhin Hofkost
geben und keinen Fuchs mehr eine Leichenrede halten lassen.