Das Schäfgen und der Dornstrauch
Ein Schäfgen kroch in dicke Hecken,
Dem rauhen Regen zu entgehn.
Hier konnt' es freilich trocken stehn;
Allein die Wolle blieb ihm stecken.
* * *
Beglückt ist, den dies Schaf belehrt.
Betörte Hadrer, laßt euch raten.
Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten.
Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert.
Das Hühnchen und der Diamant
Ein verhungert Hühnchen fand
Einen feinen Diamant,
Und verscharrt' ihn in den Sand.
"Möchte doch, mich zu erfreun,"
Sprach es, "dieser schöne Stein
Nur ein Weizenkörnchen sein!"
Unglückselger Überfluß,
Wo der nötigste Genuß
Unsern Schätzen fehlen muß!
Die Henne und der Smaragd
Des Glückes häm'scher Eigensinn
Wirft viele Schätze dieser Erden
Unwürdigen Besitzern hin,
Durch Reichtum lächerlich zu werden.
Wo findet beides sich zugleich:
Geld und Verstand zu edlen Taten?
Vielleicht im tausendjähr'gen Reich,
In Wahrheit nicht in unsern Staaten.
Aus eines Bischofs Schatz verlor sich ein Smaragd,
In dem ein helles Grün mit reinen Farben spielte,
Den, wegen strahlenreicher Pracht,
Ein jeder, der ihn sah, für unvergleichlich hielte.
Dies Kleinod fand ein weiblich Tier,
Das von dem leichten Volk, so sich in Federn kleidet,
Des Kammes kronengleiche Zier,
Die Wachsamkeit (die Phyllis nie beneidet)
Und treue Dummheit unterscheidet;
Das blinde Gütigkeit von guten Männern borgt,
Und Junge fremder Art, als eine Zucht versorgt.
Was tat die Henne hier? Sie fand.
Sie fand; und finden ist die Kunst von vielen Erben;
Doch beider Fund wird übel angewandt:
Denn jene scharrt den Stein in Sand,
Und diesen kann ihr Gut kein wahres Glück erwerben.
* * *
Die Fabel von dem Huhn und von dem Diamant
War mir und dir und tausenden bekannt.
Mein Freund, den Einwurf kannst du sparen,
Sie war bekannt vor tausend Jahren:
Ihr ändert nur mein Reim die äußere Gestalt;
Und keine Wahrheit wird zu alt.
Der Marder, der
Fuchs und der Wolf
Ein Marder fraß den Auerhahn;
Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn.
* * *
Mein Leser, diese drei bewähren,
Wie oft die Größern sich vom Blut der Kleinern nähren.
Der Adler, die
Sau und die Katze
Tyrannin! die du jung und alt
Mit unumschränkter Macht regierest!
Dich mit der weiblichen Gestalt
Der meisten Modelaster zierest,
Und bald des Stolzes, bald der List,
Auch oft der Einfalt Zuflucht bist,
Verleumdung! deren Mund die Wahrheit selbst betäubet,
Der Mund, den Zucht und Unschuld scheut;
Dir sei zum erstenmal ein Blatt von mir geweiht,
Das jetzt ein Meisterstück, das du vollführt, beschreibet!
Es hatt' auf einem hohen Baum
Der Vögel Königin den Obersitz genommen.
Die Katze wählte sich der Eiche mittlern Raum.
Den untersten hatt' eine Sau bekommen.
Die hielten gute Nachbarschaft;
Durch Argwohn war noch nie die Eintracht unterbrochen;
Doch endlich trennte sie der Bosheit Höllenkraft.
Die Katze kam zum Adler hingekrochen,
Und sprach. "Hört, unsrer Kinder Tod,
Wo nicht der unsere, (doch, das zu unterscheiden,
Fällt Mutterherzen schwer) scheint gar nicht zu vermeiden.
Ein guter Freund warnt in der Not.
Seht, ach! ich bitte, seht! wie wühlt die wilde Sau!
Sie gräbt und will den Baum ganz aus der Wurzel heben.
Trau, schaue wem; wie muß ich arme Frau
An unsern Kindern das erleben!
Ihr kennt nicht die Gefahr; mir aber, mir ist bange!
So bald die Eiche fällt, die schon beschädigt ist,
So seh ich's, wie die Sau die lieben Kätzchen frisst,
Die ich verlassnes Weib noch voller Furcht umfange.
Ich bin den Lügen gram; ich suche keinen Zwist;
Nein, ehrlich, ehrlich währet lange."
Nachdem sie das gesagt, und mit verstelltem Sinn
Den Argwohn gleich erweckt, auf den ihr Reden zielte,
So schlich die arme Frau stracks zu der Bache hin;
Die unten ihre Wochen hielte.
"Ach, allerliebste Nachbarin,
Euch ahnt's wohl nimmermehr, warum ich traurig bin.
Die Kinder jammern mich, die eure Brüste saugen.
Man traue keinen Adleraugen!
Könnt ihr auch schweigen? Gebt doch acht,
Wie über uns der böse Vogel wacht.
Ich weiß es nur zu wohl, er schärfet schon die Klauen,
Und raubet, wenn ihr euch aus eurem Lager macht,
Die schönen Kinderchen; doch alles im Vertrauen.
Nur sagt mir nicht hernach: Das hätt' ich nicht gedacht!"
Dies wiederholt sie oft, wünscht seufzend gute Nacht,
Und klettert in ihr Loch zurücke,
Und freut sich der gelungnen Tücke.
Der Adler hütet stets das Nest,
Damit der Bache Wut nicht seine Jungem spieße,
Wie gegenteils die Sau die Eiche nicht verlässt,
Damit der Adler nicht auf ihre Ferkel schieße.
So groß nun beider Mangel war;
So fürchteten sie doch der ihrigen Gefahr,
Und, da sie jederzeit in ihrer Wohnung blieben,
Wo jedem Kost und Ätzung fehlt;
So wurden auch, wie Phädrus uns erzählt,
Sie insgesamt vom Hunger aufgerieben,
Und die Betrognen dienten bald
Dem falschen Katzenmaul zum neuen Unterhalt.
* * *
Was können böse Zungen nicht
Leichtgläubigen für Stacheln hinterlassen?
Was richten sie nicht an! Wer ist wohl mehr zu hassen,
Als der von Frommen übel spricht?
O könnt' ich dieses hier in kurze Worte fassen!
Doch hat nicht Sirach recht? der ungeheuchelt schrieb:
"Wer lüget, wer verleumdet ist ärger, als ein Dieb."
Die Kenner
An Herrm M.A.Wilkens, I.V.D.
Es ließ sich in der Vögel Chören
Unlängst ein junger Vogel hören,
Und suchte nichts so sehr, als wahrer Kenner Gunst.
Gemeiner Sänger List wirbt manchen feilen Gönner;
Allein das Lobgeschrei, der Beifall halber Kenner
Entehrt, und zieret keine Kunst.
Es lobten ihn die Heidelerche,
Ein reisend Paar verirrter Störche,
Der Star, der Zitscherling,*
der Wendehals,*
der Specht.
Der Hänfling kam hervor, und bat ihn, mehr zu singen;
Der heischre Kiebitz schrie: "Nichts kann mir besser
klingen;"
Der Reiger sagte: "Du hast recht."
Die Elster schwatzte ganze Stunden
Und rühmte was sie schön befunden,
Des freien Schalles Höh' und sanfter Töne Fall.
Der ekle Vogel sprach: "Soll nichts dem Wunsche fehlen,
Und darf sich mein Versuch selbst einen Richter wählen;
So wähl' ich mir die Nachtigall."
* * *
Mich dünkt, sein Wunsch ist nicht zu tadeln.
Soll uns ein echter Vorzug adeln,
So muß der Einsicht Kraft den Stimmen Wert verleihn.
Man kennt, man überlebt des Nachruhms Ewigkeiten,
Die der Gelehrten Schaum, die Schmeichler unsrer Zeiten
Einander ohn' erröten weihn.
Du Freund und Muster deutscher Dichter,
Der Wahrheit liebenswürd'ger Richter,
Mein Wilkens, den vorlängst der Pindus liebgewann;
Wie reizend werden mir doch meine Lieder schallen!
Wie werd' ich, Wertester, mir endlich selbst gefallen,
Wenn ich nur Dir gefallen kann!
*Der
Zitscherling ist dem Zeisig.
*Wendehals,
dem Flug und den Füssen nach, dem Specht ähnlich.
Der
Papagei
In Kuba war ein Papagei,
Den neckt' ein jeder um die Wette,
Kein einziger gestand, daß er gelehrig sei,
Noch daß ihn die Natur recht schön befiedert hätte.
Er wird drauf nach Madrid gebracht,
Da übertrifft sein Witz die klügsten Papageien:
Sooft der muntre Sittich lacht,
Sooft er etwas nachgemacht,
Scheint über seine Kunst sich alles zu erfreuen,
Sogar sein ernster Herr in seiner Brillenpracht.
Er tröstet sich in diesem Stande,
Wo seinem Wunsche nichts gebricht:
"Schaut," spricht er, "Kluge gelten nicht,
Als außer ihrem Vaterlande."
Die
Bärenhaut
Zween Helden, die der Douzestrand
Von Jugend auf in frühen Wechselchören,
Nach tapfern Flüchen singen hören,
Verließen, um die Zahl der Reisenden zu mehren,
Ihr liederreiches Vaterland.
Mehr Lust als Fähigkeit zu ungemeinen Werken,
Die Not und etwas Eigensinn
Trieb sie zuletzt nach Polen hin,
Die Mißvergnügten zu verstärken.
Gesang und Gold und Mut nahm bald und merklich ab,
Als diesen sonst galanten Leuten
Ein Kürschner Tisch und Stube gab;
Vielleicht aus Hoffnung bessrer Zeiten.
Zu diesem sagten sie: "Ein großer Wüterich,
Ein ungeheurer Bär läßt sich im Walde sehen;
Euch soll, an Zahlungs Statt, die Haut zu Diensten stehen.
Herr Wirt, das Fell ist schön, der Anschlag ritterlich.
Wir sähen auch nicht gern, um unsers Landes Ehre,
Daß ein Gascogner schuldig wäre.
Die Bestie wird Euch und uns erfreun.
Beim Element! wir wollen uns ergötzen;
Den Bären soll gewiß kein Teufel besser hetzen."
Der Kürschner lächelt zwar, doch geht er alles ein;
Sie aber säumen nicht, den Streich ins Werk zu setzen.
Der Kühnheit Ungeduld verdoppelt ihren Lauf;
Der Wald wird schnell erreicht; ihr Gegner zeigt sich
wieder.
Sogleich trifft Furcht und Frost der beiden Jäger Glieder.
Der eine springt verzagt den nächsten Baum hinauf;
Den andern wirft Gefahr und Angst und Klugheit nieder.
Er streckt sich starrend aus, hält seinen Atem an
Und stellt sich mausetot, so gut er immer kann;
Denn, was er sonst gehört, ist ihm noch unvergessen,
Daß Bären selten Tote fressen.
Das Tier betrachtet ihn, beriecht ihn, kehrt ihn um,
Und läßt sich durch den Schein betrügen.
"Pfui," brummt es, "welch ein Aas! Wir Bären sind nicht
dumm;
Uns muß was Frischeres vergnügen."
Er geht hierauf zurück. Der Held verläßt den Baum,
Und eilt dem Freunde zu. "Ich sehe dich am Leben,"
Ruft er bewundernd aus, "und dennoch glaub' ich's kaum;
Kein kleiner Heiliger hat dir jetzt Schutz gegeben.
Allein, wie hält es nun mit unsers Feindes Haut?
Er war, wie ich mit Schrecken sah,
Hier deinen Ohren ziemlich nahe;
Was hat er dir doch anvertraut?"
"Nicht viel," versetzt sein Freund; "doch glaub' ich diesem
Skythen;
Er gab mir insgeheim den Rat,
Die Haut nicht eher feil zu bieten,
Als bis man schon den Bären hat."
Die Räuber und der Esel
Zween Räuber zankten sich,
Des gestohlnen Esels wegen,
Und von Worten kam's zu Schlägen,
Und sie fochten ritterlich.
Als nun jeder in dem Streite
Seinen Feind aufs schärfste trieb;
Nahte sich ein klügrer Dieb
Und entging mit ihrer Beute.
Diesem Esel gleicht ein Staat,
Der den Räubern der Provinzen,
Zweien neuverbundnen Prinzen,
Zeitig sich ergeben hat.
Beide zanken sich oft müde,
Weil die Herrschsucht trotzig ist;
Doch ein Dritter stillt den Zwist,
Nimmt das Land, und machet Friede.
Der
schöne Kopf
an ****
Ja, ja, es reizt auch mich das blühende Gesicht,
Auch ich empfinde selbst die Kraft von diesen Blicken.
Der Mund, das Auge kann entzücken,
Und wer verehrt den vollen Busen nicht,
Der alles das an Liebreiz übersteiget,
Was Paris je gesehn und Venus je gezeiget?
Doch Phryne schwatzt und scherzt. Mein erster Trieb wird
kalt.
Ihr lächerlicher Witz, ihr unerträglich Scherzen
Verliert die schon gefangnen Herzen:
Ich merke kaum die täuschende Gestalt.
Es wird ihr Sieg befördert und gestöret,
Sooft man sie erblickt, sooft man sie gehöret.
Mein Freund, dir ist gewiß Aesopus noch bekannt,
Der klügste Phrygier, der uns vom Fuchs erzählet,
Daß er ein Bild, dem nichts gefehlet,
Den schönsten Kopf bei einem Künstler fand.
Er rief: "Wie schön ist Auge, Mund und Stirne!
Bewundernswerter Kopf, ach hättest du Gehirne!"
Die Maske und das
Gesicht
Bei Hof, an einem Karneval,
Sprach einst die Maske zum Gesichte:
"Gib acht, wie ich hier überall
Jetzt deinen Ruhm und Stolz vernichte,
Und mancher, den du sonst entfernt,
Mir folgen und mir schmeicheln lernt.
Venedig ist mein Vaterland;
Drum schütz' ich Freiheit, List und Liebe.
Wer scheinet oder ist galant,
Durch den ich keinen Streich verübe?
Man lobt, man ehrt mich tausendfach
Und spürt und tanzt und schleicht mir nach.
Ich lehr' in diesem Federhut,
Die kronenscheuen Männer krönen.
Ich schaffe stillen Wünschen Mut,
Dem Mute Glück, dem Glücke Schönen.
Es können hier, durch mich allein,
Die Ungestalten grausam sein."
"Ein wenig Prahlen steht dir frei;"
War des Gesichtes Gegenrede.
"Doch stimme meinem Vorzug bei
Und schäme dich der kühnen Fehde,
Weil dies nur deine Schönheit ist,
Das du mir oft so ähnlich bist.
Das Herz wird nur durch mich erkannt,
Durch mich, den Spiegel vom Gemüte.
Mein hoher Ernst beweist Verstand,
Mein Lächeln zeugt von Treu und Güte."
Die Maske sprach: "Mein stolz Gesicht!
Vielleicht wohl sonst; bei Hofe nicht."
Der arme Kranke und
der Tod
Ein Greis, den Alter, Frost und Gram
Und Gicht und Krampf und Hunger krümmten,
Dem oft sein bittres Weh die Lust zum Leben nahm,
Das Zeit und Schicksal ihm bestimmten,
Rief voller Ungeduld und Not:
"Ach, komme bald, gewünschter Tod!"
Der Tod erschien, die Qual zu heben,
Da fleht' er, aus verzagtem Sinn:
"Freund, geht zu meinem Nachbar hin,
Und laßt mich armen Alten leben."
* * *
So weibisch ist der meisten Herz;
Auch brechend wünscht es kaum zu sterben.
Verfolgung, Drangsal, Schimpf, Not, Armut,
Krankheit, Schmerz,
Nichts wird dem Tode Gunst erwerben.
Ihn hält ein zärtlicher Maecen
Auch auf der Folter nicht für schön;
Vielleicht starb Cato nicht gelassen.
Oft scheut, den Krebs und Aussatz frisst,
Der sein und andrer Scheusal ist,
Mehr, als dies alles, sein Erblassen.
Der Berg und der Poet
Ihr Götter rettet! Menschen, flieht!
Ein schwangrer Berg beginnt zu kreißen
Und wird itzt, eh' man sich's versieht,
Mit Sand und Schollen um sich schmeißen.
Er brüllt, er kracht, und Tal und Feld
Sind durch gerechte Furcht entstellt.
Was kann dem nahen Unfall wehren?
Es wird ein Wunderwerk geschehn:
Er muß mit Städten trächtig stehn
Und bald ein neues Rom gebären.
Suffenus schwitzt und lärmt und schäumt:
Nichts kann den hohen Eifer zähmen;
Er strampft, er knirscht; warum? er reimt
Und will jetzt den Homer beschämen.
So setzt sich Pythons Priesterin
Halb rasend auf den Dreifuß hin
Und spürt in Hirn und Busen Wehen.
Was ist der stolzen Feder Frucht?
Was wirkt des Dichters Wirbelsucht?
Zum mindsten, glaub ich, Odysseen!
Allein gebt acht, was kommt heraus?
Hier ein Sonett, dort eine Maus.
Der Eremit und das Glück
Es lebt ein Eremit, der, eitlem Zwange feind,
Die Kunst der schlauen Wollust lernet,
Die keine Mühe kennt, vom Ekel weit entfernet,
Nach dem Genusse schöner scheint.
Verzeiht es mir, erhabne Musensöhne,
Für die schon unsre Pflicht den Lorbeerkranz bestellt;
Mein Held ist kein gelehrter Held;
Und er besaß auf dieser Welt
Nichts als ein Buch, ein Glas, und eine Schöne.
Doch diese drei, ihn zu erfreun,
Sind, wie man sagt, nur selten ungelesen,
Unangefüllt, und ungeküsst gewesen.
Er lebet. Wie gar viel schließt dieses Wort nicht ein!
Ihr Weisen, saget mir, heißt leben mehr, als sein?
Ihn hält ein Schieferdach vor Neid und Hohn verstecket.
Einst, als er unbesorgt bei seiner Phyllis saß
Und so die Welt, wie ihn die Welt vergaß,
Ward er um Mitternacht durch einen Lärm geschrecket.
Man klopft an seine Tür. Er horcht. Wer ist's? Das Glück.
Macht auf! ich bin es selbst. Ihr selbst? Wer darf es wagen,
Wer ist so groß, nur einen Augenblick
Dem Glück und was ihm folgt die Einkehr abzuschlagen?
Ihr zögert? macht uns auf! Der Eremite spricht:
Geht weiter Freund, ich kenn' euch nicht,
Die Herberg' ist zu klein, zu schlecht, euch zu empfangen.
Ruhm, Ehre, Hoheit sind bei mir,
Erwiderte das Glück, die wenden sich zu dir.
Das ist mir wahrlich leid; es ist kein Platz allhier.
Bewirte doch zum mindsten das Verlangen.
Auch dieses wird, versetzt der Biedermann,
Hier diese Nacht kein Lager kriegen;
Man trifft ein einzig Bett hier an;
Und das gehöret dem Vergnügen.
Ruffin
Ein schöner Herr, der Pflastertreter Krone,
Und, um fünf Uhr, der Oper edle Zier,
Mit einem Wort': Ruffin, das Wundertier,
Glaubt, daß in ihm die Weisheit sichtbar wohne.
Was macht ihn stolz? Der Toren alles: Geld.
Ein frommer Greis, den schon, seit vielen Jahren,
Müh' und Verdienst und Mäßigkeit erhält,
Ward jüngst von ihm sehr höhnisch angefahren.
Der Alte sprach: "Du machst mir nicht Verdruß:
Du bist nur reich und trotzest mich vergebens:
Dir fröhnet nur ein eitler Überfluß,
Der Freund, doch nein! der Erbfeind deines Lebens.
Es ist dein Haus ein fürstlicher Palast:
Man sorgt, daß dir kein Leckerbissen fehle;
Du opferst oft so manches deiner Kehle,
Daß kaum dein Tisch der Trachten Menge fasst.
Mir aber ist ein andres Los verliehen:
Wann kehrt bei mir der Schmeichler lächelnd ein?
Wann darf der Dunst von gar zu vielem Wein
Den Morgenschlaf zu zeitig mir entziehen?
Ich lebe nur in stiller Niedrigkeit.
Nichts waget sich zu meinen schlechten Hütten,
Als Wahrheit, Recht, Unsträflichkeit der Sitten,
Gesunder Witz und Selbstzufriedenheit.
Wie töricht ist dein Hochmut in Gebärden?
O Jüngling, Jüngling, stell' ihn ein:
Was ich bin, kannst du nimmer sein;
Was du bist, kann ein jeder werden."
Der großmütige Herr und seine Sklaven
Auf dem Ägeer-Meer wird einst ein Handelsmann
Von einem schnellen Sturm ergriffen.
Er wendet sich, so gut er kann,
Und darf nur langsam seitwärts schiffen.
Allein es mehret sich die Not,
Er und die meisten Sklaven klagen.
Die Alten hoffen auf den Tod,
Die Jungen melden sich, die Rettung noch zu wagen;
Nur halten sie dafür um ihre Freiheit an,
Doch die wird allen abgeschlagen.
(Verliert ein Wuchrer gern was er so schwer gewann?)
Bald aber reißt der Sturm Mast, Stang' und Segel nieder.
Da ruft er: Freunde, fasset Mut!
Wir sinken; doch ich bin euch gut;
Ich geb' euch jetzt die Freiheit wieder.
Wie kriechend äußert sich gemeiner Seelen Güte!
Wer karg ist, bleibt's bis in den Tod,
In jedem Stand', in Glück, in Not,
Und nichts erhöhet sein Gemüte.
Der Schwimmer
Es wagte sich einst in den Rhein
Ein Baccalaureus, der nie zuvor geschwommen.
Vom Ufer mocht' er kaum fünf ganzer Schritte sein,
So steckt' er schon im Schilf, fing zappelnd an zu schrein,
Und ward, auf sein Geschrei, von Fischern aufgenommen.
Die brachten ihn ans Land; der Dienst war ungemein.
Er dankt dafür, und spricht: "Da schwimm' ein andrer hin!
Ich will, das schwör' ich euch, nicht eh' ins Wasser kommen,
Als bis ich ganz und gar im Schwimmen Meister bin.
Prozesse
Ein vorgeladner Abt fragt einen klugen Alten:
"Ihr kennt das ganze Recht; mich rügt ein Bösewicht;
Die Schriften bring' ich mit; gebt mir doch Unterricht:
Wie soll ich mich dabei verhalten?"
"Und wenn," versetzt der Greis, "ihr hundert Bündel
brächtet,
So ist schon überhaupt der beste Rat für euch:
Ist eure Sache gut, so schreitet zum Vergleich:
Und ist sie schlimm, mein Herr, so rechtet."
Mittel, bei Hofe
alt zu werden
An Höfen fällt es schwer, das Alter zu erreichen,
Das mancher schlechter Greis in niedern Hütten fand.
Dort wird der Glücklichste, nach kurzen Gnadenzeichen,
Mit Titeln wohl versorgt, oft plötzlich weggebannt.
Ein Alter hatte doch die meisten Lebensjahre
An seines Fürsten Hof ersprießlich zugebracht,
Und seinen ersten Bart und seine grauen Haare
Zu Zeugen frühen Ruhms und langer Gunst gemacht.
Der ward: wie dieses ihm so meisterlich gelungen,
Was tausend sonst verfehlt? einst insgeheim befragt.
Er sprach: "Ich habe stets, auch für Beleidigungen,
Den Feinden meines Glücks gelassen Dank gesagt."
Die Küsse
Als sich aus Eigennutz Elisse
Dem muntern Coridon ergab,
Nahm sie für einen ihrer Küsse
Ihm anfangs dreißig Schäfgen ab.
Am andern Tag erschien die Stunde,
Daß er den Tausch viel besser traf.
Sein Mund gewann von ihrem Munde
Schon dreißig Küsse für ein Schaf.
Der dritte Tag war zu beneiden:
Da gab die milde Schäferin
Um einen neuen Kuss mit Freuden
Ihm alle Schafe wieder hin.
Allein am vierten ging's betrübter,
Indem sie Herd' und Hund verhieß
Für einen Kuss, den ihr Geliebter
Umsonst an Doris überließ.
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