Fabelverzeichnis

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Fabeln 2
 
Gesellschaftstugend
Respekt
Streichelhände
Diplomatik
Kluge Freundschaft
Freunde-Pack
Heldenstücke
Versöhnungsgefahr
Liebe der Feinde
Plapperschlangen
Maul-Virtuosen
Häutungen
Die Schönsten
Menschengröße
Verthörlen
Sterbliche
Sanglose
Bettel-Reichtum
Herablassung
Angebückte
Emporkömmlinge
Geheimnislärmerei
Von
Abkunft
Zeitvertreiber
Schwerpfünder
Hamster-Andacht
Änderung vor dem Tod
Lebensfaden
Der Staat
Die Bürger
Untertanen
Der Große
König und Sultan
Mord-Seligkeit
Zehrer des Reichs
Rare Tugend
Zuklärung
Freiheits-Presse
Horn-Trieb
Der Aufrührer
Zahme
Der Rabulist

 

Gesellschaftstugend

"Ei, wie magst du dich, o Vater,"
sagten Kätzlein zu dem Kater,
"mit der Mama noch vertragen,
sie beschleckend unter Tagen,
sonnend dich an ihrer Seite?
Denke doch, wie sie bei Nacht
stets dich plagt in lautem Streite,
daß die Nachbarschaft erwacht
ob dem gellenden Miauen!"

Und der Vater sagt den Kleinen:
"Man muß auf den Anstand schauen,
und vor Leuten artig scheinen."

Respekt

Welch ein Held muß Jener sein,
tatenreich, fromm und gelehrt!
sagt ein Gast im Hundverein,
daß ihn jeder wedelnd ehrt,
daß sich keiner vor ihm muckt,
vor ihm sich der Beste duckt?
Tue mir seine Taten kund!"

"Ach," sagt ihm ein andrer Hund,
dieser Mächtige zerreißt
den, der ihm nicht Ehr beweist!"

Streichelhände

"Besser würden mir gefallen
Hirschgeweih und Adlerkrallen,
die so majestätisch sind,"
sagt ein eitles Tigerkind.

"Nein, mit dem, was uns beschieden,"
sprach die Mutter, "sei zufrieden!
Beutereicher sind die schlauen
Sametpfoten mit den Klauen."

Diplomatik

"Warum sind uns Doppelzungen?"
wundert eins der Schlangenjungen.

Und die Mama sagt ihm:" Lug,
Eine war uns nicht genug;
denn wir sind unendlich klug!"

Kluge Freundschaft

Zum Jagdhund sprach der Schäferhund:
"Du eiltest nicht der Hilf' herbei,
als ich dem Wolfe widerstund,
und ich war dir doch immer treu!
Allein ich weiß, mein tapfrer Freund,
es ist der Grundsatz eurer List:
euch dann zu machen hintern Feind,
wenn er bereits im Fliehen ist."

Freunde-Pack

"Fuchs, bewährter Freund im Glücke,
das sind wieder Vetternstücke,"
sagt der Wolf, "dann wegzuspringen,
wann die Rüden auf uns dringen."

Und der Fuchs sagt: "Aber treulich
half ich mit Gebet und Bitten;
hätt' ich offen mitgestritten
schien es ja: ich wär' parteilich."

Heldenstücke

Mit dem Mäuschen spielt die Katze.
"Warum tötet sie's nicht plötzlich?"
fragt ein andres eine Ratze.

"Es ist," sagt die, "denen eigen
und auf solche Weis ergötzlich,
Mut und Edelmut zu zeigen."

Versöhnungsgefahr

Bei den Guten hat schon lange
keinen Glauben mehr die Schlange.
Aber sie möchte wiederkommen
in den Umgang mit den Frommen.

Und sie putzt sich: Perlen schimmern,
Gold und Edelsteine flimmern;
und sie kommt mit leisem Tritte
in der Turteltauben Mitte.

"Bleibt," ruft sie, ich bring euch Freude!
Seht, ich bin im Sonntagskleide!
Wer könnt darin Böses wollen?"

"Mit des Worts, des Goldes Scheine
birgst du," sagt der Tauben eine,
"nicht der Augen furchtbar Rollen,
nicht die Lippen giftgeschwollen,
doppelt kenntlich, doppelt feindlich
ist die Bosheit, tut sie freundlich!"

Liebe der Feinde

Getötet hat der Hund
dem Reh die lieben Jungen;
es selber war, schon wund,
dem Feinde kaum entsprungen,
und barg sich lange Zeit
in Waldeseinsamkeit.

Einst kam es auf die Fluh,
da rief der Hund ihm zu:
"Was meidest du die Leute?
Vergiß der alten Streite!
Du rühmst dich sanfter Triebe,
zeig sie durch Feindesliebe!"

"Das wissen wir von je,"
entgegnete das Reh:
es wünschen alle Diebe,
daß man sie wieder liebe!"

Plapperschlangen

Die Schlang' ersah zum Raube
am Quell sich eine Taube,
doch kann gewohnter Maßen
das Klappern sie nicht lassen.
Und kaum ward es vernommen,
ist schon die Taub' entkommen.

Da sprach ein Kind der Schlange:
"Was machst du doch so lange,
o Mutter, und verscheuchest,
was du für uns beschleichest?"

"Ach," sagt sie, "Mitleidsschmerzen
erwachen stets im Herzen
bei solchem Anblick wieder."

Da rief die Taub' hernieder:
"O fromme Schlangenseelen,
daß ihr's nicht könnt verhehlen:
wie ihr vor Gierde zittert,
wann ihr die Beute wittert!"

Maul-Virtuosen

Die Schlangenbasen mit einander plappern;
da spricht zur Klapperschlang' die Brillennatter:
"Es ist doch zum verwundern, Frau Gevatter,
wie Ihr in eurem Alter noch könnt klappern;
und Euer Instrument wird größer immer,
und schnarret klarer stets und wunderbarer."

"Da siehst du's, sagt drauf das Frauenzimmer,
durch Übung wird der Meister offenbarer."

Häutungen

"Muß es dir denn nicht verleiden,"
spricht die Taube zu der Schlange,
"jährlich anders dich zu kleiden?
Welche Farb' auch an dir prange,
ob die grüne oder gelbe,
immer bleibst du doch dieselbe!"

Schlange sagt: "Du närrisch Kind,
weißt drum nicht, was Moden sind."

Die Schönsten

Das Wiesenveilchen, wie's gewahrt
der Gartenschwestern sondre Art,
befragt sie: "Kann das euch erfreun:
so hundertfach umhüllt zu sein?
Ihr seid nur steif; das Angesicht
verschönen euch die Schleier nicht."

Darauf das dickste Fräulein spricht:
"Landmädchen, sie versteht das nicht,
wie fein wir und geschmackvoll sind;
sie ist nur ein natürlich Kind!"

Menschengröße

Affen sahen Kartenspiel,
welches ihnen wohlgefiel,
das auch jeder bald verstund.
Und, sich setzend in die Rund,
trumpfen sie nun, zungentot,
Schwarz auf Schwarz und Rot auf Rot.

"So doch," sagt zuletzt die Schar,
sind wir Menschen ganz und gar!"

Verthörlen

"Raup', ich seh dich nichts denn nagen
immerfort von Blatt zu Blatte."
"Bienchen, grad wie dir behagen
nichts denn Blumen auf der Matte."
"Aber, Raupe, was entsprießt
euch davon, was ihr genießt?"
"Das, o Biene, ist mir gleich;
solchen Kummer laß' ich euch,
denn ich bin, Gottlob! so reich,
daß ich jeder Sorg entbunden
nur vertreibe meine Stunden."
"Was denn, Raupe, hilft hierbei
dir der Blätter Einerlei?"
"Bienchen, dieses Blätterwesen
ist ein leichtes, leichtes Lesen;
es macht uns Freuden, — keine nettern,
denn sich also zu verblättern!"

Sterbliche

"Die doch springen,
warum singen
Schaf und Rind
und Ziege nicht?"
Lerche spricht:
"Mein liebes Kind,
die sich nie
erhöhn zum Licht,
die gebückt
nur Staub beglückt,
stumm sind die
oder schrein,
wenn sie sich am besten freun."

Sanglose

"Lerchen, es ist doch nur das Lieben,
was zum Singen euch getrieben?"

"Wär's auch, Käuzchen; aber Diebe
singen nicht selbst in der Liebe!"

Bettel-Reichtum

Golden, grün und blau
brüstet sich der Pfau,
und in vollen Ringen
läßt den Schweif er schwingen,
als auf grüner Heide
die im schlichten Kleide
süße Lieder singen.
Er belobt sie nickend
und leutselig blickend,
aber nicht ein Tönchen
ließ er selbst erklingen.

"Vater," fragt ein Söhnchen,
"warum will der Pfau
nicht mit andern singen?"
Jener sagte: "Schau',
seine Stimm' ist rauh,
seine Lieder scheußlich;
spielend drum mit Glanz
birgt er dieses weislich
hinter seinen Schwanz!"

Herablassung

"Junker Storch, ich kann's nicht deuten,
sagt ihm eine von den Tauben,
daß Sie Dinge sich erlauben,
die selbst an gemeinen Leuten
wir für unanständig halten.

Ihren Adel zwar, den alten,
den bezweifeln nur die Toren;
denn Sie sind ja hochgeboren,
auch ein Weit- und Vielgereister,
ein nach jedem Land Gespeister,
und sie haben wohl viel hundert
Schön-Aussichten anbewundert!
Klar ist's an den hohen Sitten,
wie die Leute Sie behandeln,
an den würdevollen Schritten,
wie Sie unter ihnen wandeln."

Aber daß Sie sich vergessen,
Bienen und Gewürm zu essen,
das verdient doch wahrlich Tadel!"

"Laß sie, sagt er, dieses Schwätzen.
Just darin besteht der Adel:
über solches sich wegzusetzen."

Angebückte

"Füllen," sagt mit schiefem Maul
der im Rad ergraute Gaul,
"laß dein Jauchzen und dein Springen,
willst du unsre Gunst erringen.
Sieh den Esel, wie bescheiden
und wie still er auf den Weiden
sich Gedörn und Disteln pflückt,
welche wir ihm übrig ließen,
und wie dankbar im Genießen
er sich uns in Demut bückt.
Deinem frechen Übermut,
ist das Gras nicht einmal gut!"

"Und du fühlest dich beglückt,"
sagt das Füllen," wenn die Tröpfe
vor dir senken ihre Köpfe?"

Emporkömmlinge

Auf den Baum, wo Vögel singen,
sah man auch den Laubfrosch springen.
Da er nun so gut kann fliegen,
und ihm mangelt doch Gefieder,
denkt er in dem Punkt der Lieder
gar die Vögel zu besiegen;
mangelt ihm doch nicht die Gelle.
Er beginnt auch auf der Stelle.
Wie die Vögel des erschraken,
und verstummten ob dem Quaken,
nimmt er voller noch die Backen.

Und die Basen im Gewässer,
staunend ob des Vetters Singen,
sagten: "Er singt wahrlich besser
denn die Vögel; er kann zeigen,
wenn wir gleich auf Vieren springen,
was uns Fröschen muß gelingen,
kommen wir zu grünen Zweigen!"

Geheimnislärmerei

Der Spatz sagt, als die Raben
geheime Sitzung haben:
"Daß wir zusammenstecken
und kneipen in den Hecken,
kein Spatz wird daraus machen
geheimnisvolle Sachen.
Doch ihr wollt uns berücken:
was man bei euch vollbringe
verborgne heilige Dinge,
ihr sprecht von Waldbeglücken.
Noch ließ sich wenig fühlen
von derlei Wunderstücken.
Auch sind auf euren Stühlen,
wenn Ehrliche mitunter,
viel Galgenvögel drunter,
die mitarbeiten munter.
Auch wir in Büschen tafeln
auf hoh- und niedern Staffeln,
und fördern uns gar willig,
wie's Kneipgesellen billig.
Und auch aus unserm Orden
ist nichts verschwatzt noch worden;
weil wir, grad wie ihr Raben,
nichts zu verraten haben."

Von

Am Hofe beklagen sich vornehme Tier:
es dünke sie etwas Verächtliches schier,
nur schlechtweg zu heißen: Herr Fuchs, Herr Bär;
als ob ihresgleichen ein jeder wär.
Da läßt der Leu den Befehl heraus,
man soll sie nennen nach ihrem Haus:
von Winkellust einen Junker den Fuchs,
von Lauerbusch einen Grafen den Luchs,
die Bären Prälaten von Honighain,
die Esel Baronen von Distelrain.
Seitdem achten die Esel und Andre
das Von als ihre alleinige Ehrenkron.

Abkunft

Das Maultier mitten unter Pferden
teilt nur das Heu, nicht die Beschwerden,
erzeigt sich störrig, bissig, wütig
und pocht auf Ahnen übermütig:
Araber seien das gewesen,
und, wie die Pferderegister melden,
in Krieg und Frieden auserlesen.
"Ja, ja, von solchen Helden,"
schreit er, "bin edel ich geboren!"
und reckt die väterlichen Ohren.

Zeitvertreiber

Auf den Fuß der großen Welt
hat sich auch der Fuchs gestellt:
täglich schläft er lange aus,
dann spazierend vor dem Haus,
auf der Brücke nebenbei,
denkt er, welche Jagdpartei
heute zu erwählen sei,
ob auf Hasen wohl ein Gang
oder Fisch- und Vögelfang,
womit er die Zeit dann kürzt
und zugleich die Tafel würzt.
Abends ist er bei dem Spiel,
oder erzählt den Freunden viel
Abenteuer und Jagdgeschick
aus der Füchse Politik.

Schwerpfünder

Die Kuh dort mit der größten Schelle
und mit dem Halsband breit und helle
stolziert der Herde weit voran
und schaut die Mitküh all nicht an.
Doch frißt sie mit so mancher Base,
die mit ihr ist gleich hochgebor'n
und eingebürgert einem Stadel,
auf gleicher Alp vom gleichen Grase.
Was trägt sie denn so hoch ihr Horn
und voller Selbstgefühl den Wadel?
Sie ist ein Stück von eignem Adel,
der um die Wampe hängt sein Wappen,
ein tönend Erz am bunten Lappen.

Hamster-Andacht

Hamster streckt sich nach dem Schmaus
vor der Tür in warmer Sonne,
denkend in des Reichtums Wonne:
"Froh lugt man aus vollem Haus
in die Bettelwelt hinaus.
Es kann doch nichts Edleres geben
als mein sorgenloses Leben!
Aber ach — bei den Genüssen
seinen Geist aufgeben müssen!" —

Änderung vor dem Tod

Früh und spät im Feld und Holze
sammelt Nüss' der hagestolze
Hamster, und Frau Nachtigall
sagt ihm: "Ach wie ängstlich seid
Ihr auf so entlegne Zeit!
Und was nützt der Vorrat all?
Einzig könnt Ihr's nicht verzehren;
Andre wollt Ihr nicht ernähren,
kaum Euch selber was gewähren.
Und das Sammeln macht Euch murrig
und das stete Wachen knurrig.
Mich hingegen hört Ihr singen,
selbst wenn Sorgen mich umringen;
denn in meiner Kinderschar
werd' ich jünger Jahr für Jahr."

"Frau, laß Sie das Schelten bleiben;
sagt der Hamster, aus Erbarmen
hab' ich längst im Sinn, auch Armen,
meiner Zeit, was zu verschreiben."

Und die Nachtigall entgegnet:
"O, Verkannter, seid gesegnet,
seid ein Beispiel unsrer Jugend!
Es ist wahrlich große Tugend,
dann den Reichtum zu vergaben,
wenn man ihn nicht mehr kann haben!"

Lebensfaden

An Maulbeerbäumen hört man leise
von Seidenspinnern diese Weise:
"Wir essen ohne Rast und Ruh,
die Eßlust nimmt gesegnet zu;
wir haben, jeder Sorg befreit,
jetzt bald genug für alle Zeit.
Schon nahen jene sel'gen Stunden,
wo wir, vom Seidenbett umwunden,
in weichen Schlaf uns ganz versenken
und nichts mehr tun und nichts mehr denken.
Das Essen führt zur Seligkeit!"

Der Staat

Es wählt zu seinem Haus
das Bienenvolk sich aus
die hohe, breite Linde.
Des rauscht sie froh im Winde,
und reicht der regen Schar
all ihren Reichtum dar.

Nun rastlos früh und spät
und in die Wette geht
das freudige Bemühen,
das Duften und das Blühen.

Und was gelingt dem Bund,
verkünden in die Rund,
beleben und beloben
die Sänger in dem Wipfel oben.

Die Bürger

Bienen von dem Höchsten schwätzen,
das an ihnen sei zu schätzen.
Eine meint: den ersten Preis
soll man geben ihrem Fleiß;
nein, der Kunst, glaubt eine Zweite,
so den Bau und Seim bereite.
Einer Dritten ist das Wahre,
daß man das Erworbne spare.
Andre sagen: schöner sei
ihres Wohltuns Lust hierbei.
"Alles dies, heißt es dagegen,
ist nur unsrer Eintracht Segen."
"Und das Höchste ist der Mut,,
preisen Andre, selbst sein Blut
in dem Kampfe hinzugeben."

"Und das Allerhöchste ist,
ruft die Mutter in den Zwist:
jeder Tugend treu zu leben!"

Untertanen

Nebel umnachtet der Berge Kron,
tobender Hader den lichten Thron;
Wettergeschwader mit Donnergetos
lösen der Blitze und Hagel-Geschoß,
brechen Lawinen und Felsen los.

O wie bang und stumm die Au'n
aufwärts in die Wirrung schau'n!
Jetzt überströmet des Zorns Gebraus,
und das Verderben im hohen Haus
schüttet sich über die Matten aus.

Der Große

Siegreich stand die Sonne wieder
und den Feind hielt sie danieder;
doch der Nebel wand sich auf,
und er schreit mit Zornesfunkeln:
"Jetzo will ich dich verdunkeln,
und mit schweren Hagelwettern
deine Saaten niederschmettern!"

Und die Sonne sagt darauf:
"Mutig denn, erkämpf die Schande,
und verheere meine Lande.
Mich bewegst du keinen Schritt;
dich vernichtest du damit;
und ich will mit neuen Lenzen
ewig diese Erde kränzen!"

König und Sultan

Die Metzgerhunde schwätzen
mit einem Schäferhunde,
und sagen: "Wir regieren
die Lämmer samt den Stieren
nach deinen Staats - Grundsätzen
wir machen stets die Runde,
mit Beißen und mit Bellen
die Ordnung herzustellen."

"Doch muß bemerkt noch werden,
sagt jener: meinen Herden
bin ich ein treuer Wächter;
ihr treibt sie zu dem Schlächter."

Mord-Seligkeit

Die Viper an der Sonne
erwarmt zu Schlangenwonne,
wie sich die Schuppen hellen
und reich die Gifte schwellen.
"Jetzt möcht' ich Etwas wagen!"
sagt sie mit Wohlbehagen.

Und eben kommt bergunter
ein Reh, so hold und munter.
Sie hat's erblickt, ersprungen,
verwundet und umschlungen;
und seine Todesleiden
sind ihr ein Seelenweiden.

Zehrer des Reichs

"Wenn wir denn verdammt sein sollen,
einer Majestät zu zollen;
und es kann des Tigers Magen
Wasser nicht noch Gras ertragen;
hilft denn Blut nur und in Bächen
dieses teuren Hauptes Schwächen?"

Als ein Junges solches fragte,
seufzte tief das Reh, und sagte:
"Ach, regieren heißt der Enden
Merköstlichstes verschwenden!"

Rare Tugend

"Hört die herrliche Geschichte,
die vom Leuen ich berichte,"
ruft der Fuchs: "Auf Waldeswegen
irrt ihm jüngst ein Lamm entgegen,
und es hielt sich schon verloren;
doch er ließ es ungeschoren!
Schönres ward noch nie gelesen!"

"Er ist hungrig nicht gewesen,
sagt der Hund. — Das laß ich gelten,
daß des Königs Tugend selten!"

Zuklärung

Seit Katzenaugen nicht ertragen
das Licht und Feu'r, und drum ein Hahn,
verkündigend das neue Tagen
den großen Leu'n erschrecken kann,
muß nach durchlauchtigstem Begehren,
in Höhlen schlafend untertagen,
der Hof den Tag zu Nacht verkehren.

Freiheits-Presse

Die vom Katzen-Hause rühmen
ihres Leuen Herrlichkeit,
der gedämpft der ungestümen
Schäferhunde Widerstreit.

"Aber," sagt drauf der Leu,
besser hat es doch der Hai:
stets in Nacht kann er regieren
und bei lauter stummen Tieren."

Horn-Trieb

Rinder wollen mit Geschrei
einmal ihre Alp belehren:
wie das Fressen zu vermehren
nach dem Geist der Zeiten sei;
stampfen auch mit allen Vieren
gründlich ihre Einsicht aus
mitten in der Kräuter Schmaus.
"Nun, fragt einer von den Stieren,
stampft ihr denn so mehr heraus?"

Der Aufrührer

Der Adler saß gefangen
im Bau von Eisenstangen
mit Vögeln ohne Zahl.
Bald sucht und findt er Lücken
und ruft: "Kommt, helft einmal,
hier kann die Flucht uns glücken!"

Die Vögel staunen, lachen;
denn ihnen fällt nicht bei:
was dieser nun will machen.
Er aber unverdrossen
ermuntert die Genossen,
und zeigt, wie's möglich sei.

Als sie noch unentschlossen,
beginnt er, hochzupreisen
den Flug im blauen Raum,
das Schweben und das Kreisen,
den Berg und Fels und Baum
und Freiheit überall.

"Ha," tönt's in Einem Schall,
"das ist ein Narrentraum!
Er hat den Sinn verloren
und hält nun uns für Toren!"
"Was," schreit der Aar entgegen;
seht ihr denn nicht am Himmel
das lustige Gewimmel!"

Nun drohen sie mit Schlägen.
Mit Not ist er entkommen,
und hat erst jetzt vernommen:
daß sie gelähmt und blind
und hier geboren sind.

Zahme

Zu gezähmten Elephanten
spricht der wilde, den sie fingen:
"O, wie könnt' ihr euch entschließen,
statt der Freiheit zu genießen,
anzulocken die Verwandten,
sie in gleiche Not zu bringen?"

"Dank uns, sagten ihm die Zahmen,
daß wir dich der Not entnahmen;
denn zu Künsten angeleitet
wirst du jetzo; Gold und Seide
prangt an deinem neuen Kleide;
süße Speis ist dir bereitet,
und du hast gar viele Ruh!"

"Ja, setzt er mit Spott hinzu,
und den Treiber auf dem Nacken
mit dem scharfgeschliffnen Haken."

Der Rabulist

Zum Fuchs, dem Weibel, spricht
das Tiger-Hofgericht:
"Mit welchem Advokaten
sind bestens wir beraten?"

"Die Schlang' kann solche Stücke,
sagt er, sie treibt mit Glücke,
das Züngeln und das Schwänzeln,
das Ringeln und das Kränzeln;
schon mancher trat zurücke,
dem ihre Blick' entbrannten.
Und kommen die bekannten
Rechthaber, Elephanten
und Rosse; zum Ersticken
wird solche sie umstricken.
Ihr Maulwerk wird regieren,
daß ihnen bald das Blut
im Herzen muß gefrieren."

Und hat ein Lamm den Mut
sich vor euch zu beklagen:
als hätten eure Söhn'
ihm Kinder weggetragen;
die Schlange wird sich schon
auch hier für's Recht beeifern,
das Lämmchen mild begeifern,
das sich an sie gewendet,
und in dem eignen Magen
es wohl versorgend tragen,
bis der Prozeß vollendet."