Fabelverzeichnis

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Fabeln 3
 
Rechts-Handel
Liebesmäntler
Volksvertreter
Sumpfreigen
Spektakel
Wehr', Nähr- und Lehrstand
Gastrollen
Pfauen-Ordonnanz
Buschwerk
Spazier-Dienst
Junker-Leutnant
Der Werber
Die "dummen Jungen"
Gottesgelehrtheit
Der Studierte
Der Kanzelaff
Wörterkur
Diener der Satzungen
Seher
Himmelsschlüßler
Zions-Nachtwächter
Zeichendeuter
Kirchenfreiheit
Frommes Hausen
Die Maledictiner
Der Zehrstand
Magenfrömmigkeit
Die Minoriten
Die Unterirdischen
Die Judasiten
Prinzen-Zucht
Christliche-Unduldsamkeit

 
"Kennst du das Land?"
Tradition
Pontinischer Sumpf
Feuerglauben
Holzglauben
Teufelglauben
Blutglauben
Gefärbter Glauben
Pelzglauben
Frömmler

 

Rechts-Handel

Zwei reiche Matten zankten lang
ob zweier Bäume Überhang;
denn jede möchte Sonnenschein
und ihres Baumes Frucht' allein,
und jede spricht uralten Brauch
und Zeugnis selbst der Markung an,
kraft welcher sie der andern auch
den Überhang verwehren kann.
Und gab es nicht gescheitre Leut,
sie zankten sich darob noch heut.

Zwei Bäche aber, grundgelehrt
in aller krummen Markung Art,
die rauschten her, gerufen, schnell
und untersuchten tief die Stell
und gruben alten Marken nach,
daß selbst der Baum darüber brach,
und gruben tief ins Land hinein,
erlesend auch die kleinsten Stein.
Die Matten aber schwanden gar,
denn drob vergingen viele Jahr.
Der Spruch hieß endlich: "Teilet euch
in Recht und Kosten, sie sind gleich!"

Die Bäche aber hatten sacht
das Land ins Trockne sich gebracht.

Liebesmäntler

Ein Lamm ward weggebracht
in einer dunkeln Nacht,
und nur der Diebe Spur
entdeckt man auf der Flur.

Da wird zum Augenschein
von seiner Dorfgemein
der Fuchs dorthin geschickt.
Doch in der Spur erblickt
er seines Vetters Fuß,
der ihm auch hehlen muß:
drum mit gewandtem Schwanz
verwedelt er sie ganz.

Volksvertreter

Anerkennung eigner Rechte
gaben einst die Wohlgebornen
auch den Schafen, den geschornen.
Und es wählten die Erhörten,
daß er kräftig sie verfechte,
einen von den Hochgeehrten.

Dieser, an den Hof gekommen,
wurde freundlich aufgenommen,
und die Hunde, die Minister,
haben höflich ihn berochen,
selbst der Leu hat mit Geflister
Etwas zu dem Mann gesprochen.

Und er fand ein herrlich Leben,
denn es ward ihm Korn gegeben.
Drum er denn auch "Ja" sagte
zu dem Allem, was man tagte.

Sumpfreigen

"Herrscher im Fröscheteich,
Kröten- und Molchen - Reich,
o König Storch!
Wir dick- und dünner Art,
groß und fett, jung und zart,
die du bisher bewahrt,
preisen dich, horch!

Dein Haus, wie edel ragt's,
dein gelber Schnabel sagt's,
dein dünnes Bein;
dein silbern Staatsgewand,
dein schwarzes Ordensband,
dein hoher Gang und Stand:
welch hehrer Schein!

Wer von uns kommt dir gleich?
jeder auch noch so reich
ist dir ein Spott.
Wann hoch im Flug du schwirrst,
oder wann du regierst,
und an dem Teich spazierst,
bist du ein Gott!

Wer hat ein Herrscherrecht,
wenn nicht dein alt Geschlecht,
o Teiches Ruhm?
Du nur versorgst uns gut,
wir zollen deiner Hut,
und sind mit Gut und Blut
dein Eigentum!"

Spektakel

Der Leu mit seinen erlauchten Tieren
hat Langeweile bei dem Regieren,
und sagt drum Seiner Liebden, dem Affen,
er soll ihm allerhand Kurzweil schaffen.
Da fährt dieser Hof-Zeremonienmeister
alsbald hinaus in die weiten Lande
und kuppelt eine tüchtige Bande
dressierter, ausgezeichneter Geister.

Mit denen kommt er zum Hof zurück.
Sie spielen die Lust- und Trauerstück:
die Böcke springen, die Esel schrein;
vorzüglich gefallen die Hündelein.
Die Tiger metzgen die Schicksalskinder,
die liebenden Schafe, die biedern Rinder.

Den König und Hof verläßt das Gähnen;
das Drama löset sich auf zu Tränen.

Wehr', Nähr- und Lehrstand

Aff, Kamel und Bär vereinen
sich, am Hofe zu erscheinen,
zu versuchen dort ihr Glück
mit dem einstudierten Stück.

Darin spielt der Bär den Ritter:
Seine Lanz, sein Helmesgitter
ist ein Maulkorb, ist ein Stock,
sein Küraß ein pelzner Rock;
und das Zeichen seiner Ehr
eine Gnadenkette schwer.
Also tanzt zum ersten Akte
er den Kriegestanz im Takte.
Augen rechts und Augen links,
hoch Gewehr, beim Fuß Gewehr
macht er herrlich, eines Winks,
auch den Purzelbaum mit Glück,
seiner Schule Meisterstück.

Das Kamel dann kommt gegangen.
Ach was Bettler-Lumpen hangen
allenthalben ihm herab,
und wie zittern ihm die Glieder!
Matt, als käm' er aus dem Grab,
kniet der Lastenträger nieder,
und dem schauvergnügten Haus
stöhnt er tiefe Klagen aus.

Danach springt der Aff heraus,
und der allerliebste Dichter
zerret tragische Gesichter,
reißet komische Gebärden;
und wie's nicht erzählt kann werden,
alles, was man sich verbeut,
spielt er lachend, ungescheut.

Was sie also vorgestellt,
nennt sich: "die verkehrte Welt."

Gastrollen

Der Kuckuck sprach zur Nachtigall:
"Wie kommt's, du findest überall,
so lang du singst, geneigte Ohren?
Auch mich begrüßte man aufs Neu';
gleichwohl, noch eh' der Lenz vorbei,
hab' alle Gunst ich schon verloren."

"Begreiflich," sagte Nachtigall,
du singst ein ewig Einerlei.
Erfindst du nun nicht neue Weisen,
so mache dich auf Künstler-Reisen."

Pfauen-Ordonnanz

Der Pfau mit allen Arten Orden
auf seinem goldenen Gewand,
der ist nun Feldmarschall geworden
und bietet auf das ganze Land:
nach seinem neuen Kriegs – Verstand
zu regulieren alle Horden.

Fasanen, seine Anverwandten,
stellt er voran als Leibtrabanten,
dann wegen ihrer Federflamm'
die Güggel all mit rotem Kamm.
Nach Farben scharet er dieselben
die roten, schwarzen, braunen, gelben,
danach die Tauben grün und blau,
die Gans und Enten weiß und grau.
Die Vögel ohne Glanzgefieder
versteckt er in die Hinterglieder,
die Geier mit und ohne Bart
wohleingeteilt nach jeder Art.
Er ordnet über ihre Fahnen
und Silberhahn und Goldfasanen.

Die Obersten sind welsche Hahn,
die prachtvoll das Kommando krähn,
die majestätisch sich verspreiten,
wenn sie hinab die Glieder schreiten.

So bringt der Pfau, zu Nutz und Ehr,
einfältig nach der Farbenlehr
den Geist der Eintracht in das Heer.

Buschwerk

Breit stellen die Büsche dem Wald sich vor,
der gegen Lawinen bewacht das Tor,
und machen, wie bunt und schmuck sie sind,
mit Prunken und Prahlen gar einen Wind:
als gäben dem Walde sie allen Glanz,
als wären sie selber die Waldung ganz.
Des schütteln die Tannen und Eichen das Haupt:
"Ha, wann die Lawine herniederschnaubt,
wie ducken sich denn die Herrchen geschwind
und werfen die Federbüsche in Wind,
verkröchen sich gerne hinter den Wald,
und senken das Ärmchen und Speerlein bald;
und halten dann wir nicht gewaltigen Stand,
zum Gletscher verschüttet ist bald das Land!"

Spazier-Dienst

Es macht der Storch nun Stunden lang
die Matten auf und ab den Gang;
er mauset nicht, er fröschet nicht,
er zeigt ein ernsthaft Angesicht;
den Glattkopf trägt er hoch empor,
den Leib zurück, die Brust hervor.
Die Uniform liegt knapp ihm an;
wie herrlich sind die Ausschläg' dran;
wie eng die Hosen angetan!
Wenn das nicht, machet nichts den Mann!

"Nun, ruft ein Vogel, wißt ihr was
der Mann so schreitet durch das Gras?
Er ist auf Bürgerwohl bedacht,
und übt das Schwerste von dem Krieg,
das Einzig - Nötige zum Sieg;
das heißt: er stehet jetzo Wacht."

Junker-Leutnant

Als die Hunde mit Fehde drohten,
hat der Hirsch dem Hasen geboten:
"Du nimmst die ungeschlachten Bauern,
Eberrudeln mit scharfen Hauern,
mir zum Dienste sie zuzurichten."

Und im Gefühle so hoher Pflichten
ruft der Hase sogleich den Schneider:
"Muß in den Krieg, flugs mach mir die Kleider,
die sich knapp an die Beine strecken,
und mir besonders den Rücken decken."

So kommt er dann zu seinen Soldaten,
macht ihnen vor die Heldentaten:
setzt auf die Hinterfuß' sich gar zierlich,
streicht sich das rote Schnäuzchen manierlich,
lehrt sie zu Seiten und rückwärts springen.

Doch den Bauern will's nicht gelingen.
Drum wie die Hunde sind angedrungen,
ist auch Niemand wie Er gesprungen.

Der Werber

Der Jagdhund sagt zu jenen Hunden,
die auf beschneiten Alpensteigen,
wenn alle Stapfen sind verschwunden,
den Irrenden die Richtung zeigen,
die tief Verschütteten erspüren,
hervor sie aus Lawinen graben
und wieder in das Leben führen:
"Wie schad, daß ihr bei so viel Gaben
verkannt hier lebt so niedern Dingen;
ihr könntet Höheres erringen!
kommt mit zum Hof des großen Leuen,
der wird sich eurer Hilf' erfreuen,
euch reich belohnen für das Jagen
mit Schmäusen und mit Gnadenketten."

Die Alpenhunde aber sagen:
"Wir könnten uns doch nicht vertragen;
denn was ihr suchtet zu erjagen,
das suchten wir vom Tod zu retten!"

Die "dummen Jungen"

Die Hähnchen streiten
ob einem Korne
in großem Zorne,
und schimpfen endlich
sich beider Seiten.
Jetzt unabwendlich
ist, daß man fechte
für Ehr und Rechte.
Sie ziehn von Leder;
es stäubt die Feder;
sie sind verwundet,
an Ehr gefundet,
und fressen wieder
zusammen bieder.

Gottesgelehrtheit

Zur Sonne sprach die Schattenzeit:
"Zeig' ich das Zeitmaß deiner Rund
dir nicht mit Zuverlässigkeit?"

"Hm," sagt die Sonne, "manche Stund
tust du mir immer noch nicht kund!
Doch gut ist's, daß den Herrn der Welt
dein Zeiger nun in Ordnung hält;
denn viele Jahre hat er mich
den Weg geführet ohne dich!"

Der Studierte

Seinen heiligen Patron
flehet an der Eselssohn:
er mög' ihn von den Beschwerden
seines Eseltums befrein
und zum Pferde lassen werden.

Als es so nicht möchte sein,
schickt man ihn zu frequentieren
die Araber-Pferdeweide,
sich zum Rosse zu studieren.
Doch auch hier fand er nur Freude
an der Distel und dem Dorne,
und ihm blieb das Angeborne.

Drauf bei der Nachhausefahrt
tröstet er sich mit den Seinen:
er könn' doch als Pferd erscheinen,
nur von einer eignen Art.

Der Kanzelaff

Unter den schönen Künsten allen
hatte einem gewanderten Affen
jenes Predigen Wohlgefallen:
wie nach dem Einen sich alle kehren
und ihn mit Schweigen tief verehren.
Ähnlichen Standesruhm anzuschaffen,
hat er mit brünstigem Eifer drum
abgeäugelt das Kanzeltum.

Nunmehr gedacht er umzukehren,
Schwestern und Brüder zu belehren,
und mit dunklem Blick und Gewand
langet er an im Vaterland.

Hier besteigt er nach kurzer Rast
seine Kanzel auf einem Ast,
und auf die große Verwandtschaft hinunter
schaut er gar salbungsvoll und munter.
Drauf beginnt er in hohlen Tönen
gleichsam Gedanken auszustöhnen,
blickte zum Himmel und zur Erden
wechselte rechts und links Gebärden.
Und die Gemeinde zeugte laut:
daß er sie herrlich auferbaut.

Aber ein Freigeist unter den Affen,
stets gerüstet zu geistlicher Fehde,
sprach: "Ihr preiset ja leeren Dunst:
Euer Pfarrer gleicht manchem Pfaffen,
denn es mangelt zur Redekunst
nichts ihm außer die Kunst der Rede!"

Wörterkur

"Aber Wörter sind's doch nicht,
was du singest," also spricht
zu der Nachtigall der Star,
dem die Zung' gelöset war,
der auch mit den Wörtern bald
will bekehren seinen Wald.

" 'S ist drum, sagt sie,
sonderbar, daß so viel zum Herzen dringt,
was man nicht in Worte bringt."

Diener der Satzungen

"Wie, fragt der Blütenbaum,
magst, Epheu du, die alten,
erfaulten Stämme halten?"

"Ach, jeder andre Raum,
sagt er, wird mir bestritten;
ich werde weggeschnitten,
und muß drum mit dem Alten
mich selber auch erhalten.
Du würdest dich bedanken,
wenn ich dich wollt' umranken."

Seher

"Halt ein mit Liederklange!
stöhnt aus dem Schlaf die Maus
zur Amsel, die mit Sange
begrüßt ihr Sommerhaus.
Der Winter kann nicht weichen,
des sind noch viele Zeichen:
Wind, Wolken, Eis und Schnee,
so weit ich ringsum seh'."

"Und zog' er nicht von hinnen,
spricht froh die Sängerin:
der Lenz ist in mir innen
erwacht mit frohem Sinn.
Doch kommt er! Es erspähen
Propheten fernes Licht,
die Siebenschläfer sehen
es in der Nähe nicht."

Himmelsschlüßler

Bei seines Waldes Leuten
den Glauben zu verbreiten,
der einzig selig macht,
sang Uhu seinem Chor,
durchwachend manche Nacht,
die Trauerpsalmen vor.
Allein beim besten Willen
war ihres Uhu's Lehr
den Vögeln allzuschwer.
Sie duldeten im Stillen
und ließen ihren Sang
den ganzen Winter lang.

Doch wie das neue Licht
in junge Waldung bricht,
wird von den tausend Zungen
auch tausendfach gesungen:
"Wie sich die Baumgestalten
zu Einem Kranz entfalten,
soll auch in allen Weisen
Gesang den Höchsten preisen!"

Zions-Nachtwächter

Der Adler sprach von seiner Wonne:
hineinzuschauen in die Sonne,
den heißen Staub aus niedern Pfaden
in Alpenlüften abzubaden.

Der Uhu, welcher dieses hört,
fühlt hart im Glauben sich gestört,
und predigt seiner Eulgemein:
"Der Adler muß ein Ketzer sein,
er würde sonst in unsern Weisen
der Wälder heil'ges Dunkel preisen,
des Frommen Wohnung bei der Gruft!"

"Ja, sagt der Aar, das heißt beweisen!
Ich laß dir deinen Uhuglauben,
den meinen kannst du mir nicht rauben!"
und flog empor zur Himmelsluft.

Zeichendeuter

Zu der Lerch' ein Rabe schreit:
"Es ist nichts denn Eitelkeit,
daß du singst in Lüften oben;
denn du willst, daß weit und breit
man dich hören soll und loben."

Und die Lerche sagt ihm: "Höre,
eben daß kein Lob mich störe,
wann ich will den Schöpfer loben,
hab' ich mich so hoch erhoben.
Und ich dacht nicht: wie man's deute,
o ihr schwarzen, frommen Leute!"

Kirchenfreiheit

Zu der Amsel krähen Raben:
"Soll man nicht vom frommen Leben
Andern auch ein Beispiel geben?
Und so manches Fest wir haben,
uns vereinigt zu erbauen,
lässest du dich niemals schauen.
Du gehörst doch offenbar
zu der schwarzen Vögelschar!"

"Ich versteh' nicht eure Weisen,
sagte sie, mit euch zu preisen.
Und ich könnt' mit meinen Tönen
euern Chor doch nicht verschönen,
ja ich schien euch zu verhöhnen.
Ich erbaue mich also
mit den Meinen frei und froh!"

Frommes Hausen

Ihrer Gottesdienstlichkeit,
ihrer langen Fastenzeit
rühmt sich eine Kirchenmaus,
wirft der Feldmans vor dem Tor
Weltlichkeit und Laster vor.
Die erwidert: "Nichts voraus
hast du als den Hochmuts-Glauben;
denn man siehet dich ja rauben
selber aus dem heilgen Schrein
Öl und Kerzen, Brot und Wein,
und aus Stoffen, köstlich seiden,
deiner Kinder Windeln schneiden.
Nur macht euch ein wenig dumm
euer Privilegium:
daß die Kirchen-Mäus' und –Ratzen
sicher sollen sein vor Katzen."

Die Maledictiner

Die Sonne glüht in solchen Hitzen,
daß selbst die Herren in dem Teich
beinahe auf dem Trocknen sitzen.
Schon ist der Kellermeister bleich
und ausgedürrt die Zecherschaft;
nun sammeln sie die letzte Kraft,
und ringen mit der Beterkunst
um eines sanften Regens Gunst.

Jetzt überlaut, dann etwas leiser,
die Jungen hell, die Alten heiser,
bald Einer, drauf die Menge ganz
choralen sie den Fröschekranz.

Und sieh! der Regen stürzt sich wieder
stromsweise von den Bergen nieder,
und Reben, Wald und Felsen wild
wälzt er hinab ins Korngefild.
Doch wallt die Flut dem Teich entgegen;
es schwimmt in seines Betens Segen
und bläht sich auf der fromme Orden:
Wie er noch stets erhört sei worden.

Der Zehrstand

In Saaten, die sie nicht gesä't,
in Garben, die sie nicht gemäht,
in Reben, die sie nicht gebaut,
psalmieren Rabenbrüder laut:
"Nur Frommen ist das Glück gewährt;
auch sind sie aller Sorgen bar;
die Prophezeiung selber sprichts!
Wir seh'n und pflügen nimmerdar,
wir schaffen allerwegen nichts,
und sind doch alle wohlgenährt."

Magenfrömmigkeit

Der Otter kniet in der dunkeln Zelle;
doch gibt ihm des Pelzes Heil'genschein
zur Büß und Beschauung die nötige Helle.
Wie wird ihm die große Welt so klein
mit ihren Gelüsten und Sorgenbürden,
blickt er in ihr Bild, die vergänglichen Wellen!
Drum fasten auch strenge die Hochehrwürden
und essen zur Andacht nur Forellen.

Die Minoriten

Die Kuttenheil'gen schwarz und braun,
die Iltis- und die Marterschaft,
wie fromm sich doch die Leut' erbau'n
in ihrer Klausen enger Haft!
Sich zu kasteien biegen sie
den lieben, langen Tag die Knie,
und feiern, minder nicht erwacht,
die Horas in der Mitternacht.
Sie treiben streng der Armut Pflicht,
und stürben Hungers, täte nicht
sich ihnen auf manch gutes Haus;
die Hühner werden ihnen draus,
etwa die Gänslein auch zu Teil
und Fasteneier für ihr Heil.

Die Unterirdischen

Stiere pflügten und die Pferde,
daß die dornbewachsne Heide
ihnen werde gute Weide.
Sieh, da stürzen aus der Erde
Hornisse mit Hummeln dar,
und es summt und brummt die Schar:
"Kirchenschänder, Gottvergeßne,
von dem Satanas Beseßne,
was zerstört ihr unsre Zellen
die Altär' und die Kapellen!
davon sollt' ihr plötzlich lassen!"

Und in einem Hui so saßen
sie den Pflügern in dem Rücken,
gift'ge Lanzen einzudrücken.
Nichts verfing die Kraft des Zornes,
nichts der Stoß des starken Hornes,
nichts der Hufe wütig Schlagen,
und die Pflüger unterlagen.
Aber jene stiegen wieder
in die finstern Zellen nieder,
und in den erneuten Hallen
lassen sie "
Te Deum" schallen.

Die Judasiten

Immer noch besteht in Kraft
jener Mäuse Brüderschaft,
die für Tageshelle blind,
nur in Nacht gutsichtig sind,
die der Abgrund hat geboren,
die der Sonne abgeschworen.
In der Tiefe Dunkelheit
herrschen mächtig sie und weit;
ihrer Höhlen Gänge wenden
heimlich sich nach allen Enden;
Wall und Graben hemmet nicht
sie in ihrer Ordenspflicht:
was die Sonne will bescheren,
zu verschlingen, zu verheeren.
Wo ein schöner Wasen ist,
winden sie sich hin mit List,
fressen in der Wurzel ab,
was der Himmel oben gab.

Seines Lichtes Widersacher
wölben sie den schwarzen Chor
ihrer Kirch' in Trotz empor.

Aber walten wo noch Rächer,
henkt man über ihre Dächer
an den Galgen diese Schächer.

Prinzen-Zucht

Der Vampir-Orden war gestiftet worden,
und solche Regel ward den schwarzen Horden:
"Wie Seuch und Pestilenz zum Land einschleichen,
so wollen sicher wir die Beut' erreichen.
Auf Schlaf und Ruh, auf Frieden und Vertrauen,
und wessen sich die müde Welt entzücket,
darauf muß unser nächtlich Reich sich bauen;
dann ist's, wann unser Glaubenswerk uns glücket.
Dann fliegen wir wie Träume sanft danieder
und wehen Kühlung auf die heißen Glieder;
und saugen Blut, o trunkne Wonnestunden!
reichquellend Blut aus unsichtbaren Wunden.

Und, daß der Wächter nicht die Herd' erwecke,
sei er der Erst', den unser Flügel decke,
bis wir ihm Leib und Seele ausgetrunken,
bis er in tiefster Ohnmacht liegt versunken."

Christliche Unduldsamkeit

"Alle Welt ist aufgeklärt;
Freiheit, Achtung wird gewährt
jedem Gottesdienst und Glauben;
nur der meine, klagt die Eul',
heißt verspottet ein Geheul,
und man will ihn nicht erlauben!"

Drauf erwiderten die Tauben:
"Rauben zählt man nicht zum Glauben!"

"Kennst du das Land?"

Mit Siegestoren düftereicher Wälder,
mit Freuderauschen lichter Ährenfelder,
mit Sängerchören längs dem Blumenstrand
begrüßt den hehren Strom das Palmenland.
"Kein Preisgesang, so ruft es ihm entgegen,
erreicht an Pracht und Fülle deinen Segen.
O sag', was birgst du denn in deinem Schoß
die Krokodil' und Schlangen furchtbar groß,
die Wasserross', die ringsum mir zermalmen
die junge Saat der Ähren und der Palmen?"

Der Strom entgegnet, und er braust in Zorn:
"Die Ungeheuer wurden dort gebor'n
in jenem Feuermeere sonder Küste,
in jenes Sandes höllenheißer Wüste,
die überschütten wollte meine Flut,
mich fesseln durch der Ungetüme Brut.
Kaum hab' ich dem Gewimmel mich entwunden,
durch frische Himmelskraft den Ausgang funden.
So lang die unbebauten Wüstenei'n
wird drinnen auch das Untier fortgedeihn!"

Tradition

Der Phönix ist vor tausend Jahren
zu seinem Himmel aufgefahren,
er, dessen Lieder nur noch schwach
in seinen Jüngern widerhallen,
den Lerchen und den Nachtigallen.
Der Uhu hat sich bald danach
genannt des Phönix Amtsstatthalter,
des heiligen Gesangs Verwalter,
und setzte jedem Berg und Hain
zum Wächter einen Heuel* ein.
So schuf der Uhuglauben bald
die Länder bald zu Einem Wald.

Die Adler selbst von ihren Thronen
verkündigen: wie gut zu wohnen
es unterm krummen Schnabel sei;
und große Sündenabläß lohnen
den Geiern solche Glaubenstreu.
Auch predigen die schwarzen Horden,
der Krähen- und der Raben-Orden,
der auf den Weinberg und die Saat
vom Uhu längst das Vorrecht hat:
es tön' des Phönix Gotteswort
untrüglich im Urheuel fort.

Das Sängervolk, will es nicht glauben,
empfängt des Denkens Sündenlohn;
doch sühnte sich der Uhu schon —
mit Lerchenblut und Blut der Tauben.

*mundartlich Eule, von heulen.

Pontinischer Sumpf

Durch die Heimat-Auen wandeln
Quellen, segnend aller Enden.
Mit denselben unterhandeln
will der Sumpf, daß sie sich wenden,
all ihr Wasser ihm zu spenden.
Denn nicht gerne haben trocken,
die in seinem Abgrund laichen,
Schlangen, Molch' und Blindeschleichen;
und die sehn den Zufluß stocken.
"Doppelt will ich dann euch segnen:
Himmelstau soll euch erfüllen!"
sagt der Sumpf. Die Bäch' entgegnen:
"Pestig wirst du uns auch machen,
selbst durch uns aus deinen Lachen
alles Land in Nebel hüllen;
daß die reine Luft ersticke,
nie die Sonne man erblicke,
und zum Sumpf sich alles bilde
wir uns selbst und dies Gefilde.
Eins ist alles Land dann worden!
Und der schwarze Schleicherorden
wird gelockt hierher sich winden,
Herd' und Bett und Altar finden.

Also strömen in die Wiesen
frisch die Bäch' und sind gepriesen.

Feuerglauben

Der Uhu prediget den Sünden
von jenen Höllen-Feuerschlünden,
und weiß das herrlich zu begründen:

"Seht nur, spricht er, wie ungeheuer
uns rings umwehn die Flammenfeuer:
von oben blitzt in Waldesdunkel
der Sterne und des Monds Gefunkel;
die Morgen- und die Abendröten
sie drohen rechts und links zu töten;
ja oft im Norden ausgebrochen
hört deutlich man die Hölle kochen.
Und Brände, die uns so umringen,
sie sollten nicht dereinst verschlingen,
die, frevlem Leichtsinn ganz verfallen,
der Sonne gar entgegensingen?"
"Je nun, entgegnen Nachtigallen,
Hochwürden, für Ihr Tun und Raten
bekommen Sie uns dann gebraten!"

Holzglauben

Faules Holz in Waldes Nacht
hat im Dickicht etwas Schein;
von den Uhu groß und klein,
deren Einsicht waldbekannt,
wird zum Wunder das gemacht:
daß dies Holz noch nie verbrannt.
Diese Predigt machet klar
solches auch der Affenschar.
Denen scheint es ungeheuer:
daß so kalt sei dieses Feuer.
Selbst die Tiger und die Leuen,
welche alles Feuer scheuen,
wandelt Teufelsschrecken an,
wenn sie diesem Zauber nahn.

Faules Holz steht weit und breit
im Geruch der Heiligkeit.

Teufelglauben

In Reben umflattert ein Lumpen den Dorn
als schwarzer Teufel mit Schwanz und mit Horn,
und Füchse predigen überall:
die Diebe hole der Teufel all.
Das glauben die Vögel geraume Zeit,
und halten sich von den Trauben weit,
die Füchs' aber stehlen ungescheut.
Da keinen der Schwarze beim Fell ergreift,
naht auch das luftige Volk und verpfeift,
was es einfältig so fest geglaubt.
Sie sitzen dem Teufel sogar aufs Haupt
und schnabulieren, was sie geraubt.

Blutglauben

Der Leuenprinz gelangt zum Thron
und hält Beratung mit den Seinen:
in welcher Art Religion
er seine Völker soll vereinen?

Die Lämmer, Tauben, Nachtigallen
erklären: daß die Nächstenliebe,
der Unschuld lebensfrohe Triebe
dem Höchsten einzig Wohlgefallen;
daß Lieder, die sich seiner freun,
das schönste Gottesopfer sein.

Dagegen sagt der Wolf und Panther,
der Fuchs und Luchs und ihr Verwandter:
"Dem Höchsten muß man Höchstes weihn,
und ihn mit Strömen Bluts erfreun;
denselben Durst hat er uns allen
tief in dem Herzen angeschürt,
der am erwürgten Lamm Gefallen
und dies drum auch am Würger spürt.
Zwar sagen schwache Kreaturen:
die Lehr sei grausig und nicht wahr;
doch ist sie stärkeren Naturen ein Wunder,
und durch Glauben klar."

"Ja, ruft der Leu, die hilft in Sünden!"
und läßt dem Volke sie verkünden.

Gefärbter Glauben

Vor den Pharisäer-Rat getreten,
hat der Fuchs die Weihe sich erbeten.
Als er drauf die Prüfung ausgestanden,
sagt mit hohenpriesterlichem Blick
ihm der Bär: "Ich und die Brüder fanden:
mangeln mög' Ihm zwar nicht das Geschick,
die hochheiligen Buchstäblichkeiten
als den wahren Glauben auszubreiten,
ein erbaulich Beispiel auch zu geben,
wie gottselig man in Ruh' könn' leben.
Aber Eines mangelt, junger Mann,
das Er sich zwar noch erkaufen kann;
dieses ist des schwarzen Pelzes Würde,
welchen heilig hält die ganze Hürde!"

Pelzglauben

"Wie kommt es, daß von Süden nur
die Wölfe nahen unsrer Flur,
da sich von je im Mittagsland
der Frommen Oberhirt befand?"
"Ihr guten Schafe, sagt der Hund,
gerade dieses ist der Grund:
man brauchte stets auf selber Weid
zur Frömmigkeit der Schafe Kleid!"

Frömmler

Irrwische hielten ihr nächtliches Stündchen
auf der Heide, und ohne ein Sündchen
tanzten sie betend wohl auf und ab,
priesen auch: daß in so finstern Zeiten
Demut allein die Erleuchtung hab',
richtigen Pfad die Welt zu leiten.

Aber die Sterne sangen herab:
"Wer, verirrt in erdunkelten Talen,
aufschaut zu den himmlischen Strahlen,
die da brennen in ewiger Ruh,
diesen führen wir aus den Qualen
einem erfrischenden Morgen zu!
Aber in Nacht bleibt Jeder versunken,
welcher gefolgt, wo jene gewunken!"