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Traditionelle Minnelieder
 

Frühe Lieder
bis etwa 1198


Quelle der Lieder:
©Reclam 1998: Walther von der Vogelweide Gesamtausgabe Band 2 Liedlyrik
Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von: ©Günther Schweikle

 


Frouwe, vernemt durch got von mir die mære

(bote-frouwe-Dialog)

 

1.
Frouwe, vérnemt durch got von mir die mære:
ich bin ein bote und sol iuch sagen,
ir sulnt wenden einem ritter swære,
dér si lange hât getragen.
daz sol ich iuch künden sô:
ób ir in welt fröiden rîchen,
sicherlîchen
des wirt manig herze frô.

2.
Frouwe, enlât iuch des sô niht verdriezen,
ir engebt im hôhen muot.
dés muget ir und álle die wól geniezen,
dén ouch fröide sanfte tuot.
dâ von wirt sîn sin bereit
ób ir in ze fröiden bringet,
daz er singet
iuwer êre und werdekeit.


3.

"Jâ möhte ich mich des an in niht wol gelâzen,
daz er wol behüete sich.
krumbe wege, die gênt bî allen strâzen,
dâ vor got behüete mich.
ich wil nâch dem rehten varn,
ze leide im, dér mich anders lêre.
swar ich kêre,
dâ müeze mich doch got bewarn."


4.
Frouwe, sendet im ein hôchgemüete,
sît an iuch sîn fröide stât.
er mag wol geniezen iuwer güete,
sît diu tugent und êre hât.
frouwe, gebt im hôhen muot!
welt ir, sîn trûren ist verkêret,
daz éz in lêret,
daz ér daz beste gerne tuot.

 
1.
Herrin, vernehmt um Gottes Willen von mir diese Nachricht:
Ich bin ein Bote und soll Euch sagen,
Ihr sollt einem Ritter Beschwernis abwenden,
der sie lange getragen hat.
Das soll ich Euch auf diese Weise kundtun:
Wenn Ihr ihn an Freuden reich machen wollt -
gewißlich
wird darüber manches Herz froh.

2.
Herrin, laßt es Euch nicht zuviel werden,
daß Ihr ihn hochgemut macht.
Davon könnt Ihr und (können) alle die wohl Nutzen haben,
denen Freude auch angenehm ist.
Dadurch wird seine Geisteskraft erweckt
-wenn Ihr ihm zu Freuden verhelft,-
daß er besingt
Eure Ehre und Würde.


3.
"Ja, aber ich könnte mich dabei nicht auf ihn verlassen,
daß er sich wohl vorsehe.
Krumme Wege, die verlaufen neben allen Straßen,
davor möge mich Gott behüten.
Ich will mich auf dem rechten bewegen,
dem zuleide, der mich anders lehren mag.
Wohin immer ich mich wende,
da möge mich doch Gott beschützen."

4.
Herrin, verschafft ihm eine Hochstimmung,
da bei Euch seine Freude liegt.
Er kann mit Recht von Eurer Vollkommenheit Gewinn haben,
da sie edle Sitte und Ehre einschließt.
Herrin, macht ihn hochgesinnt!
Wollt Ihr – seine Traurigkeit ist umgewandelt,
so daß sie ihn lehrt,
daß er das Beste gerne tut.

 
Hêrre got, gesegene mich vor sorgen
(Minnelied)

Das Lied ist für die Waltherforschung bedeutsam, da es als Auslöser für die Rivalität mit Reinmar (dem Alten)
angesehen wird.

 
1.
Hêrre got, gesegene mich vor sorgen,
daz ich vil wunnwclîche lebe!
will mir ieman sîne fröide borgen,
daz ich im ein ander wider gebe?
di vinde ich vil schiere, ich weiz wol wâ,
wan ich liez ir wunder dâ,
der ich vil wol mit sinnen
getriuwe ein teil gewinnen.

2.
Al mîn fröide lîtan einem wîbe,
der herze ist ganzer tugenden vol,
und ist sô geschaffen an ir lîbe,
daz man ir gerne dienen sol.
ich erwürbe ein lachen wol von ir,
des muoz si gestaten mir,
wie mag siz behüeten?
ich fröiwe mich nâch ir güeten.

3.
Als ich under wîlen zir gesitze,
sô si mich mit ir reden lât,
sô benimt si mir sô gar die witze,
daz mir der lîp alumbe gât.
swenne ich iezuo wunder rede kan,
gesihet si mich einest an,
sô hân ichs vergezzen,
waz wolde ich dar gesezzen.

 
1.
Herr Gott, bewahre mich vor Sorgen,
damit ich recht glücklich lebe!
Will mir jemand seine Freude leihen,
damit ich ihm eine andere dafür gebe?
Die finde ich gar bald, ich weiß wohl, wo,
denn ich habe eine Fülle davon dort gelassen,
von der ich gar leicht mit Klugheit
mir zutraue, einen Teil zu gewinnen.

2.
All meine Freude ruht in einer Frau,
deren Herz ist voll edler Eigenschaften
und ihre Erscheinung ist so geschaffen,
daß man ihr gerne dienen muß.
Ich würde gern ein Lächeln von ihr gewinnen,
das sollte sie mir vergönnen,
wie kann sie es verhindern?
Ich freue mich, wie es ihrer Vollkommenheit entspricht.

3.
Wenn ich mich zuweilen zu ihr setze,
falls sie mir erlaubt, mit ihr zu reden,
so raubt sie mir so völlig den Verstand,
daß sich mir alles im Kreise dreht.
Wenn ich eben noch eine Fülle von Wörtern bereit habe, -
sieht sie mich nur einmal an,
so habe ich vergessen,
wozu ich mich dorthin setzen wollte.

 
Got gebe ir iemer guoten tag
(Erweiterter Wechsel)

 
1.
Got gebe ir iemer guoten tag
unde lâze mich noch gesehen,
die ich minne und niht erwerben mag.
mich müet daz ich si hœre jehen,
wie holt si mir entriuwen wære.
und sagt mir ein ander mære,
des mîn herze inneclîchen kumber lîdet iemer sît.
owê, wie süeze ein arebeit!
ich hân ein senfte unsenftekeit.

2.
"Ich wære dicke gerne frô,
wan daz ich niht gesellen hân.
nû si alle trûren sô,
wie möhte ich eine denne lân,
ich enmüeze ir vinger zeigen lîden,
ich enwolte fröide durch si niht mîden.
sus behabe ich wol ir hulde, daz siz lâzen âne nît.
wand ich gelache niemer niht,
dâ ez ir dekeiner siht."


3.
"Got hât vil wol ze mir getân,
sît ich mit sorgen minnen sol,
daz ich mich underwunden hân
dem alle liute sprechent wol.
im wart von mir in allen gâhen
ein küssen und ein umbevâhen.
dô schôz mir in mîn herze, daz mir iemer nâhe lît,
unz ich getuon, des er mich bat.
ich tætez wurde mirs diu stat."

4.
Ez tuot mir inneclîchen wê,
als ich gedenke wes man pflag
in der werlte wîlent ê.
owê, daz ich niht vergezzen mag,
wie rehte frô die liute wâren.
dô kunde ein sælig man gebâren
unde spilte im sîn herze gegen derwunneclîchen zît.
sol daz iemer mêr geschehen,
sô müet mich, daz ichz hân gesehen.

 
1.
Gott schenke ihr immerfort gute Zeit
und lasse mich die noch öfter erblicken,
die ich liebe und nicht gewinnen kann.
Mich bedrückt, daß ich sie äußern höre,
wie gewogen sie mir in Wahrheit sei.
Dagegen sagt mir ein anderes Gerücht
etwas, worüber seitdem mein Herz tiefen Kummer leidet.
Ach, welch süße Qual!
Ich trage leidfreies Leid.

2.
"Ich wäre gerne öfter froh,
aber ich habe dafür keinen Gefährten.
Da sie alle so freudlos sind -
wie könnte ich allein es nicht sein,
es sei denn,ich wollte erdulden, daß sie mit Fingern auf mich
zeigen, wenn ich der Freude ihretwegen nicht entsagte.
So aber behalte ich wohl ihre Gunst, so daß sie es ohne Mißgunst
hingehen lassen werden. Denn ich lache nicht mehr, außer dort,
wo es keiner von ihnen sieht."

3.
"Gott hat sehr wohlwollend an mir gehandelt
- obgleich ich mit Angst lieben muß, -
daß ich mich dem zugewandt habe,
von dem alle Leute Gutes sagen.
Ihm wurde von mir in aller Eile
ein Kuß und eine Umarmung zuteil.
Damals schoß in mein Herz, was mir immerzu nahe liegt,
bis ich getan habe, worum er mich bat.
Ich täte es, würde mir dazu die Gelegenheit."

4.
Es tut mir im Innersten weh,
wenn ich daran denke, wie man sich zu verhalten pflegte
einstens auf der Welt.
Ach, daß ich nicht vergessen kann,
wie recht froh die Leute waren.
Damals konnte sich ein glücklicher Mann auch so verhalten,
und sein Herz schlug der wonnereichen Zeit entgegen.
Sollte dies niemals mehr geschehen,
so bedrückt mich, daß ich es erlebt habe.

 
Maniger frâget, waz ich klage
(Minnelied)

Minnelied mit didaktischem (lehrhaften) Einschlag. Das Lied gehört in den Rahmen des traditionellen Minnesangs.

 
1.
Maniger frâget, waz ich klage
unde giht des einen, daz ez iht von herzen gê.
der verliuset sîne tage,
wand im wart von rehter liebe nie weder wol noch wê.

des ist sîn gelücke kranc.
swer gedæte,
waz diu minne bræte,
der vertrüege mînen sanc.

2.
Minne ist ein gemeinez wort
und doch ungemeine mit den werken, dêst alsô.
minne ist aller tugende ein hort,
âne minne wirdet niemer herze rehte frô.
sît ich den gelouben hân,
frouwe Minne,
fröit ouch mir die sinne!
mich müet, sol mîn trôst zergân.

3.

Mîn gedinge ist, der ich bin
holt mit rehten triuwen, daz si ouch mir daz selbe sî.
triuget dar an mich mîn sin,
sô ist mînem wâne leider lützel fröiden bî.
neinâ hêrre! si ist sô guot,
swenne ir güete
erkennet mîn gemüete,
daz si mir daz beste tuot.


4.
Wiste si den willen mîn,
liebes unde guotes, des wurde ich von ir gewert.
wie möhte aber daz nû sîn,
sît man falscher minne mit sô süezen worten gert?
daz ein wîb niht wizzen mac,
wer si meine,
disiu nôt aleine
tuot mir manigen swæren tac.

5.

Der diu wîp alrêrst betrouc,
der hât beide an mannen und an wîben missevarn.
ichn weiz waz diu liebe touc,
sît sich friunt gegen friunde niht vor falsche kan bewarn.
frouwe, daz ir sælic sît!
lânt mit hulden
mich den gruoz verschulden,
der an friundes herzen lît.

 
1.
Mancher einer fragt, worüber ich klage,
und behauptet allein dies, daß es nicht von Herzen komme.
Der vergeudet seine Tage,
denn ihm wurde aus echter Liebe weder wohl noch wehe.
Deshalb ist sein Glück unvollkommen.
Wer bedächte,
was die Minne bringen könnte,
der ließe meinen Sang gelten.

2.
Minne ist ein bekanntes Wort
und doch unbekannt bei den Werken – das ist eben so.
Minne ist ein Hort aller Tugenden,
ohne Minne wird ein Herz niemals recht froh.
Da ich diesen Glauben habe,
Frau Minne,
erfreut auch mir die Sinne!
Mich bedrückt es, daß meine Zuversicht schwinden könnte.

3.
Meine Hoffnung ist, daß die, der ich bin
in echter Treue zugetan, dies auch mir sei.
Trügt mich darin meine Meinung, dann ist
meiner Erwartung zu meinem Leid wenig Freude beigemischt.
Nein doch, Herr! sie ist so gut, daß sie,
sobald ihre Güte
mein Inneres erkennt,
mir das Beste gibt.

4.
Wüßte sie um meine Gesinnung,
Liebes und Gutes – das würde mir von ihr gewährt.
Wie kann aber das nun sein, nachdem
 man auch unaufrichtige Minne mit so süßen Worten begehrt?
Daß eine Frau nicht wissen kann,
wer sie wahrhaft liebe,
diese Schwierigkeit allein
bereitet mir manchen schweren Tag.


5.
Wer die Frauen erstmals betrog,
der hat sich an Männern und Frauen vergangen.
Ich weiß nicht, was die Liebe taugt, wenn sich der
Freund vor dem Freunde nicht vor Falschheit bewahren kann.
Herrin, mögt ihr gnadenreich sein!
Laßt in Huld
mich den Gruß verdienen,
der dem Freund am Herzen liegt.

 
Ganzer fröiden wart mir sô wol ze muote
(Minnelied)

Minnelied, das die traditionellen Motive des Hohen Sanges variierend kombiniert: so Zweifel, Sehnsucht und Hoffnung
des lyrischen Ichs.

 
1.
Ganzer fröiden wart mir sô wol ze muote:
mirst geboten, daz ich singen muoz.
sælic sî diu mir daz wol verstê ze guote!
mich mant singen ir vil werder gruoz.
diu mîn iemer hât gewalt,
diu mag mir wol trûren wenden
unde senden
fröide manigvalt.

2.
Gît daz got, daz mir noch wol an ir gelinget,
- seht, sô wære ich iemer mêre frô, -
diu mir beide herze und lîp ze fröiden twinget.
mich betwang nie mê kein wîp alsô.

ez was mir gar unbekant,
daz diu minne twingen solde
swie si wolde,
unz ichz an ir bevant.

3.

Süeze Minne, sît nâch dîner süezen lêre
mich ein wîb alsô betwungen hât,
bit si, daz si ir wîblîch güete gegen mir kêre,
sô mag mîner sorgen werden rât.
durch ir liehten ougen schîn
wart ich alsô wol empfangen,
gar zergangen
was daz trûren mîn.


4.
Mich fröit iemer, daz ich alsô guotem wîbe
dienen sol ûf minneclîchen danc.
mit dem trôste ich dicke trûren mir vertrîbe
unde wirt mîn ungemüete kranc.
endet sich mîn ungemach,
sô weiz ich von wârheit danne,
daz nie manne
an liebe baz beschach.

5.
Minne, wunder kann dîn güete liebe machen
und dîn twingen swenden fröiden vil.
jô, dû lêrest liebe ûz spilnden ougen lachen,
swâ dû mêren wilt dîn wunder spil.
dû kanst fröiderîchen muot
sô verworrenlîche verkêren,
daz dîn sêren
sanfte unsanfte tuot.

 
1.
Vollkommener Freuden wegen war mir noch nie so wohl zumute:
mich drängt es, daß ich singen muß.
Gesegnet sei die, die mir das zu meinen Gunsten auslegt!
Mich mahnt ihre so ehrenvolle Ermunterung zu singen.
Sie, die für alle Zeit über mich Gewalt hat,
die kann mir wohl meine Traurigkeit nehmen
und zukommen lassen
vielfältige Freude.

2.
Gibt es Gott, daß mir bei der noch Erfolg beschieden ist,
- seht, dann wäre ich für immer froh, -
die mir Herz und Leben in Freude versetzt.
Mich bezwang eine Frau so noch nie.
Es war mir gänzlich unbekannt,
daß die Minne in Bann schlagen könne,
wie sie es wollte,
bis ich dies bei ihr erfahren habe.

3.
Süße Minne, da nach Deiner süßen Lehre
mich eine Frau nun so bezwungen hat,
bitte sie, daß sie ihre weibliche Güte mir zuwende,
dann kann meinen Sorgen abgeholfen werden.
Durch den Glanz ihrer hellen Augen
wurde ich so freundlich empfangen,
ganz vergangen
war meine Traurigkeit.


4.
Mich freut zu jeder Zeit, daß ich einer so edlen Frau
dienen darf in Erwartung eines liebreichen Dankes.
Mit dieser Hoffnung vertreibe ich mir oft meine Traurigkeit
und meine Betrübnis schwindet.
Endet mein Leid,
so weiß ich dann wahrhaftig,
daß nie einem Manne
mehr an Glück zuteil wurde.

5.
Minne, Deine Güte kann eine Fülle von Glück schaffen,
aber Deine Gewalt auch viel Freude zunichte machen.
Wahrhaftig, Du lehrst Glück aus strahlenden Augen lachen,
wo immer Du Dein Wunderspiel vergrößern willst.
Du kannst freudvolle Stimmung
so verwirrend umschlagen lassen,
daß Dein Verwunden
schmerzlos schmerzhaft ist.

 
Frouwe, lânt iuch niht verdriezen
(Dialoglied)

 
1.
Frouwe, lânt iuch niht verdriezen
mîner rede, ob si gefüege sî.
möht ichs wider iuch geniezen,
sô wær ich den besten gerne bî.
wizzent daz ir schœne sît,
hânt ir, als ich mich verwæne,
güete bî der wolgetæne,
waz danne an iuch einer êren lît.

2.
"Ich wil iuch ze redenne gunnen,
sprechent swaz ir went, ob ich niht tobe.
daz hânt ir mir an gewunnen
mit dem iuwern minneclîchen lobe.
ichn weiz ob ich schœne bin,
gerne hete ich wîbes güete,
lêrent mich wie ich die behüete,
schœner lîp der touc niht âne sin."

3.

Frouwe, daz wil ich iuch lêren,
wie ein wîb der werlte leben sol.
guote liute solt ir êren,
minneclîch ansehen und grüezen wol.
eime solt ir iuwern lîp
geben für eigen umb den sînen,
frouwe, woltent ir den mînen,
den gebe ich umb ein sô schœne wîp.


4.
"Beide an schouwen und an grüezen,
swâ ich mich dar an versûmet hân,
daz wil ich vil gerne büezen,
ir hât hovelîch an mir getân.
tuont durch mînen willen mê,
sît niht wan mîn redegeselle,
ichn weiz nieman dem ich welle
nehmen den lîp, ez tæte ime lîhte wê."

5.
Frouwe, lânt mich ez alsô wâgen,
ich bin dicke komen ûz grôzer nôt.
und lânt ez iuch niht betrâgen,
stirbe aber ich, sô bin ich sanfte tôt.
"hêrre, ich wil noch langer leben,
lîhte ist iuch der lîp unmære,
waz bedorfte ich solher swære,
solt ich mînen lîp umb iuwern geben."

 
1.
Herrin, laßt Euch nicht verärgern
durch meine Rede, wenn sie schicklich ist.
Könnte sie mir Euch gegenüber von Nutzen sein,
dann wäre ich gerne bei den Besten.
Wißt, daß Ihr schön seid,
habt Ihr, wie ich vermute,
Güte bei der Wohlgestalt -
wieviel an Ehren dann allein bei Euch liegt!

2.
"Ich will Euch zu reden vergönnen,
sprecht aus, was Ihr wollt, ich bin nicht unverständig.
Das habt Ihr mir abgewonnen
mit Eurem liebenswürdigen Lob.
Ich weiß nicht, ob ich schön bin,
gerne besäße ich die Güte einer Frau,
lehrt mich, wie ich die bewahre -
Schönheit, die taugt nichts ohne edle Gesinnung."

3.
Herrin, ich will Euch das lehren,
wie eine Frau in der Welt leben soll:
Gute Menschen sollt Ihr achten,
freundlich anblicken und huldvoll grüßen.
Einem sollt Ihr Euer Leben
zu eigen geben für das seine.
Herrin, wolltet Ihr das meine -
das gäbe ich hin für eine so schöne Frau.

4.
"Beides, Anschauen und Grüßen -
wo immer ich mich dabei falsch verhalten haben, -
das will ich sehr gerne gut machen.
Ihr habt höfisch mir gegenüber gehandelt.
Handelt um meinetwillen weiter so:
Seid nichts anderes als mein Gesprächspartner.
Ich kenne niemand, dem ich wollte
das Leben nehmen - es täte ihm gewißlich weh."


5.
Herrin, laßt es mich also wagen,
ich bin oft großer Not entkommen.
Und laßt es Euch nicht leid tun:
sterbe ich, so bin ich auf sanfte Weise tot.
"Herr, ich will noch länger leben!
Vielleicht ist Euch das Leben gleichgültig -
wozu aber brauchte ich solche Beschwernis,
daß ich mein Leben für das Eure geben sollte."

 
Sumer unde winter beide sint
(Minnelied mit Spruchthematik)

 
1.
Sumer unde winter beide sint
guotes mannes trôst, der trôstes gert.
er ist rehter fröide gar ein kint,
der ir niht von wîbe wirt gewert.
dâ von sol man wizzen daz:
daz man elliu wîb sol êren,
und iedoch die besten baz.

2.
Sît daz nieman âne fröide touc,
sô wollte ouch ich vil gerne fröide hân
von der mir mîn herze nie gelouc,
ez ensagte mir ir güete ie sunder wân.
swenne ez diu ougen sante dar,
seht, sô brâhtens im diu mære,
daz ez fuor in sprüngen gar.

3.
Ichn weiz niht wol, wie ez dar umbe sî:
si engesach mîn ouge lange nie.
sint ir mînes herzen ougen bî,
sô daz ich âne ougen sihe sie?
dâ ist doch ein wunder an geschehen:
wer gab im daz sunder ougen,
daz ez si zaller zît mac sehen?


4.
Welt ir wizzen, waz diu ougen sîn,
dâ mit ich si sihe durch elliu lant?
ez sint die gedanke des herzen mîn,
dâ mite sihe ich durch mûre und ouch durch want.
nû hüeten, swie si dunke guot,
sô sehent si doch mit vollen ougen
herze, wille und al der muot.

5.
Wirde ich iemer ein sô sælig man,
daz si mich âne ougen sehen sol?
siht si mich in ir gedanken an,
sôvergiltet si mir mîne wol.
mînen willen gelte mir,
sende mir ir guoten willen,
mînen den habe iemer ir.

 
1.
Sommer und Winter sind beide
Trost für einen edlen Mann, der Trost begehrt.
Der ist, was echte Freude anlangt, ganz wie ein Kind,
dem diese nicht von einer Frau gewährt wird.
Deshalb muß man das wissen,
daß man alle Frauen ehren soll,
aber doch die edelsten mehr.

2.
Da niemand ohne Freude etwas wert ist,
so wollte auch ich gar gerne Freude erfahren
von derjenigen, von der mir mein Herz nie Nachteiliges gesagt hat,
es bestätigte mir immer mit Gewißheit ihre Vollkommenheit.
Wenn es die Augen dorthin sandte, seht,
dann brachten sie ihm eine Kunde zurück,
daß es ihn Freuden-Sprüngen hochfuhr.

3.
Ich weiß nicht recht, wie es dabei zugeht:
mein Auge hat sie lange nicht mehr gesehen.
Sind die Augen meines Herzens bei ihr,
so daß ich sie ohne Augen sehe?
Dabei ist doch ein Wunder geschehen:
wer verlieh ihm das ohne Augen,
daß es sie zu jeder Zeit sehen kann?

4.
Wollt ihr wissen, welcher Art die Augen sind,
womit ich sie über alle Lande hinweg sehe?
Es sind die Gedanken meines Herzens,
damit sehe ich durch Mauer und auch durch Wand.
Nun mögen sie aufpassen, wie es ihnen gar dünkt,
so sehen sie doch mit wahren Augen mein Herz,
mein Verlangen und all meine Sinne.

5.
Werde ich jemals ein so glücklicher Mann,
daß auch sie mich ohne Augen sehen wird?
Sieht sie mich in ihren Gedanken an,
so vergilt sie mir die meinigen wohl.
Mein Verlangen möge sie mir erwidern,
mir ihre aufrichtige Neigung kundtun,
meine, die möge ihr für immer gehören.