Fabelverzeichnis

Buch 2

 

Buch 1
 

Die Nachtigall und die Lerche
Der Zeisig
Der Tanzbär
Der Greis
Das Füllen
Der Fuchs und die Elster
Das Land der Hinkenden
Das Gespenst
Der Blinde und der Lahme
Der Hund
Der Prozeß
Der Bettler
Das Pferd und die Bremse
Das Heupferd oder der Grashüpfer
Das Kartenhaus
Die zärtliche Frau
Der zärtliche Mann
Die Spinne
Der gütige Besuch
Der Arme und der Reiche
Damokles
Selinde
Der Schatz
Der unsterbliche Autor
Der grüne Esel
Der arme Schiffer
Die junge Ente
Der gute Rat
Die beiden Mädchen
Der Maler


Die Nachtigall und die Lerche

Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst;
Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst,
Die Blätter in den Gipfeln schwiegen,
Und fühlten ein geheim Vergnügen.
Der Vögel Chor vergaß der Ruh,
Und hörte Philomelen zu.
Aurora selbst verzog am Horizonte,
Weil sie die Sängerin nicht genug bewundern konnte.
Denn auch die Götter rührt der Schall
Der angenehmen Nachtigall;
Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren,
Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören.
Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr,
Und spricht: "Du singst viel reizender als wir;
Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen:
Doch eins gefällt uns nicht an dir,
Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen."

Doch Philomele lacht und spricht:
"Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht,
Und wird mir ewig Ehre bringen.
Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen.
Ich folg im Singen der Natur;
Solange sie gebietet, solange sing ich nur;
Sobald sie nicht gebietet, so hör ich auf zu singen;
Denn die Natur läßt sich nicht zwingen"

O Dichter, denkt an Philomelen,
Singt nicht, solang ihr singen wollt.
Natur und Geist, die euch beseelen,
Sind euch nur wenig Jahre hold.
Soll euer Witz die Welt entzücken:
So singt, solang ihr feurig seid,
Und öffnet euch mit Meisterstücken
Den Eingang in die Ewigkeit.
Singt geistreich der Natur zu Ehren,
Und scheint euch die nicht mehr geneigt:
So eilt, um rühmlich aufzuhören,
Eh ihr zu spät mit Schande schweigt.
Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen?
Er bindet sich an keine Zeit.
So fahrt denn fort, noch alt zu singen,
Und singt euch um die Ewigkeit.


Der Zeisig

Ein Zeisig war's und eine Nachtigall,
Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
"Ach welcher singt von beiden doch so schön?
Den Vogel möcht ich wirklich sehn!"
Der Vater macht ihm diese Freude,
Er nimmt die Vögel gleich herein.
"Hier", spricht er, "sind sie alle beide;
Doch welcher wird der schöne Sänger sein?
Getraust du dich, mir das zu sagen?"
Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen,
Schnell weist er auf den Zeisig hin:
"Der", spricht er, "muß es sein, so wahr ich ehrlich bin.
Wie schön und gelb ist sein Gefieder!
Drum singt er auch so schöne Lieder;
Dem andern sieht man's gleich an seinen Federn an,
Daß er nichts Kluges singen kann."

Sagt, ob man im gemeinen Leben
Nicht oft wie dieser Knabe schließt?
Wem Farbe und Kleid ein Ansehen geben,
Der hat Verstand, so dumm er ist.
Stax kommt, und kaum ist Stax erschienen:
So hält man ihn auch schon für klug.
Warum? Seht nur auf seine Mienen,
Wie vorteilhaft ist jeder Zug!
Ein andrer hat zwar viel Geschicke;
Doch weil die Miene nichts verspricht:
So schließt man, bei dem ersten Blicke,
Aus dem Gesicht, aus der Perücke,
Daß ihm Verstand und Witz gebricht.


Der Tanzbär

Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
Entrann, und wählte sich den ersten Aufenthalt.
Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen,
Und brummten freudig durch den Wald.
Und wo ein Bär den andern sah:
So hieß es: Petz ist wieder da!
Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden,
Was er gesehn, gehört, getan!
Und fing, da er vom Tanzen redte,
Als ging er noch an seiner Kette,
Auf polnisch schön zu tanzen an.

Die Brüder, die ihn tanzen sahen,
Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder;
Allein anstatt, wie er, zu gehn:
So konnten sie kaum aufrecht stehn,
Und mancher fiel die Länge lang danieder.
Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn;
Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
Fort, schrien alle, fort mit dir!
Du Narr willst klüger sein, als wir?
Man zwang den Petz, davonzulaufen.

Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
Weil dir dann jeder ähnlich ist;
Doch je geschickter du vor vielen andern bist;
Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
Wahr ist's, man wird auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
Doch traue nicht, bald folgt der Neid,
Und macht aus der Geschicklichkeit
Ein unvergebliches Verbrechen.


Der Greis

Von einem Greise will ich singen,
Der neunzig Jahr die Welt gesehn;
Und wird mir jetzt kein Lied gelingen,
So wird es ewig nicht geschehn.

Von einem Greise will ich dichten
Und melden, was durch ihn geschah,
Und singen, was ich in Geschichten
Von ihm, von diesem Greise sah.

Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe,
Singt euch berühmt an Lieb und Wein!
Ich lass' euch allen Wein und Liebe;
Der Greis nur soll mein Loblied sein.

Singt von Beschützern ganzer Staaten,
Verewigt euch und ihre Müh'!
Ich singe nicht von Heldentaten;
Der Greis sei meine Poesie.

O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren,
Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb!
Hört, Zeiten, hört's! Er ward geboren,
Er lebte, nahm ein Weib und starb.

Das Füllen

Ein Füllen, das die schwere Bürde
Des stolzen Reiters nie gefühlt,
Den blanken Zaum für eine Würde
Der zugerittnen Pferde hielt:
Dies Füllen lief nach allen Pferden,
Worauf es einen Mann erblickt',
Und wünschte, bald ein Roß zu werden,
Das Sattel, Zaum und Reiter schmückt.

Wie selten kennt die Ehrbegierde
Das Glück, das sie zu wünschen pflegt!
Das Reitzeug, die gewünschte Zierde,
Wird diesem Füllen aufgelegt.
Man führt es streichelnd hin und wieder,
Daß es den Zwang gewöhnen soll;
Stolz geht das Füllen auf und nieder,
Und stolz gefällt sich's selber wohl.

Es kam mit prächtigen Gebärden
Zurück in den verlassnen Stand
Und machte wiehernd allen Pferden
Sein neu erhaltnes Glück bekannt.
"Ach", sprach es zu dem nächsten Gaule,
"Mich lobten alle, die mich sahn;
Ein roter Zaum lief aus dem Maule
Die schwarzen Mähnen stolz hinan."

Allein wie ging's am andern Tage?
Das Füllen kam betrübt zurück,
Und schwitzend sprach es: "Welche Plage
Ist nicht mein eingebildet Glück!
Zwar dient der Zaum, mich auszuputzen;
Doch darum ward er nicht gemacht.
Er ist zu meines Reiters Nutzen
Und meiner Sklaverei erdacht."

Was wünscht man sich bei jungen Tagen?
Ein Glück, das in die Augen fällt,
Das Glück, ein prächtig Amt zu tragen,
Das keiner doch zu spät erhält.
Man eilt vergnügt, es zu erreichen,
Und seiner Freiheit ungetreu,
Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen
Und desto tiefre Sklaverei.

Der Fuchs und die Elster

Zur Elster sprach der Fuchs: "Oh, wenn ich fragen mag,
Was sprichst du doch den ganzen Tag?
Du sprichst wohl von besondern Dingen?"
"Die Wahrheit", rief sie, "breit ich aus!
Was keines weiß herauszubringen,
Bring' ich durch meinen Fleiß heraus,
Vorn Adler bis zur Fledermaus."

"Dürft' ich", versetzt der Fuchs, "mit Bitten dich beschweren,
So wünscht' ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören."

So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht
Und seine Künste rühmt, bald vor-, bald rückwärts geht,
Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht:
So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder,
Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider
Und macht' ein sehr gelehrt Gesicht.
Drauf fängt sie ernsthaft an, und spricht:
Ich diene gern mit meinen Gaben,
Denn ich behalte nichts für mich.
Nicht wahr, Sie denken doch, daß Sie vier Füße haben?
Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich.
Nur zugehört! Sie werden's finden,
Denn ich beweis' es gleich mit Gründen.


Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht,
Und er bewegt sich nicht, solang er stille steht;
Doch merken Sie, was ich jetzt sagen werde,
Denn dieses ist es noch nicht ganz.
Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde.
Betrachten Sie nur Ihren Schwanz.
Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget,
Daß auch Ihr Schwanz sich mit beweget;
Jetzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort,
Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort,
Sooft Sie nach den Hühnern reisen.
Daraus zieh' ich nunmehr den Schluß:
Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß;
Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen."

Ja, dieses hat uns noch gefehlt;
Wie freu' ich mich, daß es bei Tieren
Auch große Geister gibt, die alles demonstrieren!
Mir hat's der Fuchs für ganz gewiß erzählt.
"Je minder sie verstehn", sprach dieses schlaue Vieh,
"Um desto mehr beweisen sie."


Das Land der Hinkenden

Vorzeiten gab's ein kleines Land,
Worin man keinen Menschen fand,
Der nicht gestottert, wenn er red'te,
Nicht, wenn er ging, gehinket hätte;
Denn beides hielt man für galant.
Ein Fremde sah den Übelstand;
Hier, dacht' er, wird man dich im Gehn bewundern müssen,

Und ging einher mit steifen Füßen.
Er ging, ein jeder sah ihn an,
Und alle lachten, die ihn sahn,
Und jeder blieb vor Lachen stehen,
Und schrie: "Lehrt doch den Fremden gehen!"

Der Fremde hielt's für seine Pflicht,
Den Vorwurf von sich abzulehnen.
"Ihr", rief er, "hinkt; ich aber nicht:
Den Gang müßt ihr euch abgewöhnen!"
Der Lärmen wird noch mehr vermehrt,
Da man den Fremden sprechen hört.
Er stammelt nicht; genug zur Schande!
Man spottet sein im ganzen Lande.

Gewohnheit macht den Fehler schön,
Den wir von Jugend auf gesehn.
Vergebens wird's ein Kluger wagen
Und, daß wir töricht sind, uns sagen
Wir selber halten ihn dafür,
Bloß, weil er klüger ist als wir.


Das Gespenst

Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,
Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält.
Er ließ, des Geists sich zu erwehren,
Sich heimlich das Verbannen lehren.
Doch kraftlos blieb der Zauberspruch,
Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren
Und gab in einem weißen Tuch
Ihm alle Nächte den Besuch.
Ein Dichter zog in dieses Haus.
Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,
Bat sich des Dichters Zuspruch aus
Und ließ sich seine Verse lesen.
Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,
Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel.

Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah,
Erschien, und hörte zu: es fing ihn an zu schauern,
Er konnt' es länger nicht als einen Auftritt, dauern;
Denn, eh' der andre kam, so war er nicht mehr da.


Der Wirt, von Hoffnung eingenommen,
Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen.
Der Dichter las; der Geist erschien,
Doch ohne lange zu verziehn.
Gut, sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen;
Kannst du die Verse nicht vertragen?

Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein.
Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken.
"Johann!" fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein.
"Der Dichter -lauf geschwind!- soll von der Güte sein
Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken."

Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand,
Der Diener sollte ja nicht gehen.
Und kurz, der weiße Geist verschwand
Und ließ sich niemals wieder sehen.

Ein jeder, der dies Wunder liest,
Zieh’ sich daraus die gute Lehre,
Daß kein Gedicht so elend ist,
Daß nicht zu etwas nützlich wäre.
Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut,
So kann uns dies zum großen Troste dienen.
Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit
Auch legionenweis erschienen,
So wird, um sich von allen zu befrein,
An Versen doch kein Mangel sein.


Der Blinde und der Lahme

Von ungefähr muß einen Blinden
Ein Lahmer auf der Straße finden,
Und jener hofft schon freudenvoll,
Daß ihn der andre leiten soll.

"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;
Doch scheint's, daß du zu einer Last
Noch sehr gesunde Schultern hast.

Entschließe dich, mich fortzutragen,
So will ich dir die Stege sagen:
So wird dein starker Fuß mein Bein,
Mein helles Auge deines sein."

Der Lahme hängt mit seinen Krücken
Sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar,
Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben,
Und andern mangeln deine Gaben;
Aus dieser Unvollkommenheit
Entspringet die Geselligkeit.


Wenn jenem nicht die Gabe fehlte,
Die die Natur für mich erwählte,
So würd er nur für sich allein
Und nicht für mich bekümmert sein.


Beschwer die Götter nicht mit Klagen!
Der Vorteil, den sie dir versagen
Und jenem schenken, wird gemein,
Wir dürfen nur gesellig sein.


Der Hund

Phylax, der so manche Nacht
Haus und Hof getreu bewacht
Und oft ganzen Diebesbanden
Durch sein Bellen widerstanden;
Phylax, dem Lips Tullian,
Der doch gut zu stehlen wußte,
Selber zweimal weichen mußte —
Diesen fiel ein Fieber an.

Alle Nachbarn gaben Rat.
Krummholzöl und Mithridat
Mußte sich der Hund bequemen,
Wider Willen einzunehmen.
Selbst des Nachbars Gastwirts Müh',
Der vordem in fremden Landen
Als ein Doktor ausgestanden,
War vergebens bei dem Vieh.

Kaum erscholl die schlimme Post,
Als von ihrer Mittagskost
Alle Brüder und Bekannten,
Phylax zu besuchen, rannten.
Pantelon, sein bester Freund,
Leckt ihm an dem heißen Munde.
"O," erseufzt er, "bittre Stunde!
Oh, wer hätte das gemeint?"

"Ach", rief Phylax, "Pantelon!
Ist's nicht wahr, ich sterbe schon?
Hätt' ich nur nichts eingenommen,
Wär' ich wohl davongekommen.
Sterbe ich Ärmster so geschwind,
Oh, so kannst du sicher schreien,
Daß die vielen Arzneien
Meines Todes Quelle sind.

Wie zufrieden schlief ich ein,
Sollt' ich nur so manches Bein,
Das ich mir verscharren müssen,
Vor dem Tode noch genießen!
Dieses macht mich kummervoll,
Daß ich diesen Schatz vergessen,
Nicht vor meinem Ende fressen,
Auch nicht mit mir nehmen soll.

Liebst du mich und bist du treu,
Oh, so hole sie herbei;
Eines wirst du bei den Linden
An dem Gartentore finden;
Eines, lieber Pantelon,
Hab' ich nur noch gestern morgen
In dem Winterreis verborgen.
Aber friß mir nichts davon!"

Pantelon war fortgerannt,
Brachte treulich, was er fand.
Phylax roch, bei schwachem Mute,
Noch den Dunst von seinem Gute.
Endlich, da sein Auge bricht,
Spricht er: "Laß mir alles liegen!
Sterbe ich, so sollst du es kriegen;
Aber, Bruder, eher nicht.

Sollt' ich nur so glücklich sein
Und das schöne Schinkenbein,
Das ich - doch ich mag's nicht sagen,
Wo ich dieses hingetragen.
Werd' ich wiederum gesund,
Will ich dir, bei meinem Leben,
Auch die beste Hälfte geben;
Ja du sollst –" Hier starb der Hund.

Der Geizhals bleibt im Tode karg;
Zwei Blicke wirft er auf den Sarg,
Und tausend wirft er mit Entsetzen
Nach den mit Angst verwahrten Schätzen.
O schwere Last der Eitelkeit!
Um schlecht zu leben, schwer zu sterben,
Sucht man sich Güter zu erwerben;
Verdient ein solches Glück wohl Neid?


Der Prozeß

Ja, ja, Prozesse müssen sein;
Gesetzt, sie wären nicht auf Erden,
Wie könnt' alsdann das Mein und Dein
Bestimmet und entschieden werden?
Das Streiten lehrt uns die Natur;
Drum, Bruder, recht und streite nur.
Du siehst, man will dich übertäuben;
Doch gib nicht nach, setz alles auf,
Und laß dem Handel seinen Lauf;
Denn Recht muß doch Recht bleiben.


"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain,
Der sollte, meint Ihr, Euer sein?
Nein, er gehört zu meinen Hufen!"
"Nicht doch, Gevatter, nicht! Ihr irrt!
Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen,
Von denen jeder sagen wird,
Daßq lange vor der Schwedenzeit —"

"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit!
Versteht Ihr mich? Ich will es Euch lehren,
Daß Rain und Gras mir zugehören.
Ich will nicht eher sanfte ruhn;
Das Recht, das soll den Ausspruch tun."
So saget Kunz, schlägt in die Hand
Und rückt den spitzen Hut die Quere.
"Ja, eh' ich diesen Rain entbehre,
So meid' ich lieber Gut und Land."
Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten,
Er eilet nach der nahen Stadt;
Allein, Herr Glimpf, sein Advokat,
War kurz zuvor ins Amt geritten.
Er läuft, und holt Herrn Glimpfen ein.—
Wie, sprecht ihr, kann das möglich sein?
Kunz war zu Fuß, und Glimpf zu Pferde.
So glaubt ihr, daß ich lügen werde?
Ich bitt' euch, stellt das Reden ein,
Sonst werd' ich, diesen Schimpf zu rächen,
Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen.

Ich sag' es noch einmal: Kunz holt Herr Glimpfen ein,
Greift in den Zaum, und grüßt Herrn Glimpfen.
"Herr!" fängt er ganz erbittert an.
"Mein Nachbar, der infame Mann,
Der Schelm - ich will ihn zwar nicht schimpfen, -
Der - denkt nur - spricht, der schmale Rain,
Der zwischen unsern Feldern lieget,
Der, spricht der Narr, der wäre sein!
Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget.
Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh,
Sechs Scheffel Haber noch dazu!
(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.)
O dient mir wider ihn, und helft die Sache entscheiden."

"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich.
Der Nachbar hat nichts einzuwenden,
Ihr habt das größte Recht in Händen;
Aus Euren Reden zeigt es sich,
Genug - verklagt den Ungestümen!
Ich will mich zwar nicht selber rühmen -
Dies tut kein ehrlicher Jurist, -
Doch dieses könnt Ihr leicht erfahren,
Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren
Von mir verloren worden ist!
Ich will Euch Eure Sache führen;
Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren!"
Glimpf reitet fort. "Herr," ruft ihm Kunz noch nach,
"Ich halte, was ich Euch versprach!"

Wie hitzig wird der Streit getrieben!
Manch Ries Papier wird voll geschrieben.
Das halbe Dorf muß in das Amt;
Man eilt, die Zeugen abzuhören,
Und fünfundzwanzig müßen schwören,
Und diese schwören insgesamt,
Daß, wie die alte Nachricht lehrte,
Der Rain ihm gar nicht zugehörte.

Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht!
Ich weiß zwar wenig von dem Rechte;
Doch, im Vertrauen geredet, ich dächte,
Du hättest nicht das größte Recht.

Manch widrig Urteil kommt; doch laßt es widrig klingen!
Glimpf muntert den Klienten auf:
"Laßt dem Prozeße seinen Lauf,
Ich schwör' Euch, endlich durchzudringen;
Doch –"
"Herr, ich hör' es schon; ich will das Geld gleich bringen."
Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit;
Allein, warum so lange Zeit?
Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen,
Du mußt die Rechtsgelehrten fragen.

Ein letztes Urteil kommt. O seht doch - Kunz gewinnt!
Er hat zwar viel dabei gelitten;
Allein was tut's, daß Haus und Hof verstritten
Und Haus und Hof schon angeschlagen sind?
Genug, daß er den Rain gewinnt!
"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben.
Ihr seht ja: Recht muß doch Recht bleiben!"

Der Bettler

Ein Bettler kam mit bloßem Degen
In eines reichen Mannes Haus
Und bat sich, wie die Bettler pflegen,
Nur eine kleine Wohltat aus.
"Ich", sprach er, "kenn' Ihr christlich Herze!
Sie sorgen gern für andrer Heil
Und nehmen mit gerechtem Schmerze
An Ihres Nächsten Elend teil.
Ich weiß, mein Flehn wird Sie bewegen.
Sie sehn, ich fordre nichts mit Unbescheidenheit;
Nein, ich verlasse mich
[hier wies er ihm den Degen]
Allein auf Ihre Gütigkeit."

Dies ist die Art lobgieriger Skribenten,
Wenn sie um unsern Beifall flehn;
Sie geben uns mit vielen Komplimenten
Die harte Forderung zu verstehn.
Der Autor will den Beifall nicht erpressen;
Nein, er verläßt sich bloß auf unsre Billigkeit.
Doch daß wir diese nicht vergessen,
So zeigt er uns zu gleicher Zeit
In beiden Händen Krieg und Streit.


Das Pferd und die Bremse

Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden,
Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt
Und, wie ein Mensch stolz in Gebärden,
Trug seinen Herrn durch einen Wald,
Als mitten in dem stolzen Gange
Ihm eine Brems' entgegenzog
Und durstig auf die nasse Stange
An seinem blanken Zaume flog.
Sie leckte von dem heißen Schaume,
Der heftig am Gebisse floß.
"Geschmeiße!" sprach das wilde Roß.
"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume?
Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich?
Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern?
Ich schüttle nur, so mußt du zittern!"
Es schüttelte - die Bremse wich.

Allein sie suchte sich zu rächen;
Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,
Und stach den Schimmel in das Maul.
Das Pferd erschrak und blieb vor Schrecken
In Wurzeln mit dem Eisen stecken
Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul!

Auf sich den Haß der Niedern laden,
Dies stürzet oft den größten Mann;
Wer dir als Freund, nicht nützen kann,
Kann allemal als Feind, dir schaden.


Die Reise

Einst machte durch sein ganzes Land
Ein König den Befehl bekannt,
Daß jeder, der ein Amt erhalten wollte,
Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte,
Um sich in Künsten umzusehn.
Er ließ genaue Karten stechen
Und gab dazu noch jedem das Versprechen,
Ihm, würd' er nur, soweit er könnte, gehn,
Mit dem Vermögen seiner Schätze
Alsdann auf Reisen beizustehn.
Es war das deutlichste Gesetze,
Das jemals noch die Welt gesehn;
Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten,
So sah man viele Dunkelheit.
Die Liebe zu sich selbst und zur Bequemlichkeit
Half das Gesetz sehr sinnreich deuten,
Und jeder gab ihm den Verstand,
Den er bequem für seine Neigung fand;
Doch alle waren eins, daß man gehorchen müßte.

Man machte sich die Karten bald bekannt,
Damit man doch der Länder Gegend wüßte.
Sehr viele reisten nur im Geist
Und überred'ten sich, als hätten sie gereist.
Noch andre schafften die Geräte
Zu ihrer Reise fleißig an
Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig täte,
So hätte man die Reise schon getan.
Sehr viele fingen an zu eilen,
Als wollten sie die ganze Welt durchgehn;
Sie reisten – aber wenig Meilen
Und meinten, dem Befehl sei nun genug geschehn.
Noch andre suchten auf den Reisen
Noch mehr Gehorsam zu beweisen
Als den, den das Gesetz befahl;
Sie reisten nicht durch grüne Felder,
O nein, sie suchten finstre Wälder
und reisten unter Furcht und Qual,
Behängten sich mit schweren Bürden
Und glaubten, wenn sie ausgezehrt
Und siech und krank zurückgekommen würden,
So wären sie des besten Amtes wert;
Sie reisten nie auf Kosten des Regenten.
Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt getan,
Die hielten Tag für Tag um Reisekosten an,
Damit sie weiterkommen könnten.

Wie elend, hör' ich manchen klagen,
Ist nicht dies Märchen ausgedacht?
Schämt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen,
Die man kaum Kindern glaublich macht?
Wo gibt es wohl so stumpfe Köpfe,
Als uns der Dichter vorgestellt?
Dies sind unsinnige Geschöpfe
Und nicht Bewohner unsrer Welt.
O Freund, was zankst du mit dem Dichter?
Sieh doch die meisten Christen an;
Betrachte sie, und dann sei Richter,
Ob dieses Bild unglaublich heißen kann?


Das Heupferd oder der Grashüpfer

Ein Wagen Heu, den Veltens Hand
Zu hoch gebäumt und schlecht bespannt,
Konnt' endlich von den matten Pferden
Nicht weiter fortgezogen werden.

Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch,
Ein zehnmal wiederholter Fluch,
War eben – wie der Peitsche schlagen -
Zu schwach bei diesem schweren Wagen.

Ein Heupferd, das bei der Gefahr
Zuoberst auf dem Wiesbaum war,
Sprang drauf herab und sprach mit Lachen:
"Ich will's dem Viehe leichter machen."

Drauf ward der Wagen fortgerückt.
"Ei", rief das Heupferd ganz entzückt,
"Du Fuhrmann, wirst an mich gedenken!
Fahrt fort – den Dank will ich dir schenken."


Das Kartenhaus

Das Kind greift nach den bunten Karten;
Ein Haus zu bauen, fällt ihm ein.
Es baut und kann es kaum erwarten,
Bis dieses Haus wird fertig sein.

Nun steht der Bau. O welche Freude!
Doch ach - ein ungefährer Stoß
Erschüttert plötzlich das Gebäude,
Und alle Bänder reißen los.

Die Mutter kann im Lomberspielen,
Wenn sie den letzten Satz verspielt,
Kaum so viel bangen Schrecken fühlen,
Als ihr bestürztes Kind jetzt fühlt.

Doch wer wird gleich den Mut verlieren?
Das Kind entschließt sich sehnsuchtsvoll,
Ein neues Luftschloß aufzuführen,
Das dem zerstörten gleichen soll.

Die Sehnsucht muß den Schmerz besiegen;
Das erste Haus steht wieder da.
Wie lebhaft war des Kinds Vergnügen,
Als es sein Haus von neuem sah!

"Nun will ich mich wohl besser hüten,
Damit mein Haus nicht mehr zerbricht,"
"Tisch!" ruft das Kind, "laß dir gebieten,
Und stehe fest und wackle nicht!"

Das Haus bleibt unerschüttert stehen,
Das Kind hört auf, sich zu erfreun;
Es wünscht, es wieder neu zu sehen,
Und reißt es bald mit Willen ein.

Schilt nicht den Unbestand der Güter,
Du siehst dein eigen Herz nicht ein;
Veränderlich sind die Gemüter,
So mußten auch die Dinge sein.

Bei Gütern, die wir stets genießen,
Wird das Vergnügen endlich matt;
Und würden sie uns nicht entrissen,
Wo fänd' ein neu Vergnügen statt?


Die zärtliche Frau

Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht,
Als ob dir, weibliches Geschlecht,
Die Liebe nicht von Herzen ginge!
Das Alter sang in diesem Ton;
Von seinem Vater hört's der Sohn
Und glaubt die ungereimten Dinge.
Verlaßt, o Männer, diesen Wahn,
Und daß ihr ihn verlaßt, so hört ein Beispiel an,
Das ich für alle Männer singe.
Du aber, die mich dichten heißt,
Du, Liebe, stärke mich, daß mir ein Lied voll Geist,
Ein überzeugend Lied gelinge,
Und gib mir zu gesetzter Zeit
Ein Weib von so viel Zärtlichkeit,
Als diese war, die ich besinge!


Klarine liebt den treusten Mann,
Den sie nicht besser wünschen kann,
Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde.
Und wenn dir dies unglaublich scheint,
So wisse nur, seit der beglückten Stunde,
Die sie mit ihrem Mann vereint,
War noch kein Jahr vorbei; nun glaubst du's doch, mein Freund?

Klarine kannte keine Freude,
Kein größer Glück, als ihren Mann;
Sie liebte, was er lieb gewann,
Was eines wollte, wollten beide,
Was ihm mißfiel, mißfiel auch ihr.
"Oh", sprichst du, "so ein Weib, so eines wünscht ich mir!"
Jawohl! ich wünsch' es auch mit dir.
Sei nur recht zärtlich eingenommen.
Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen.
Krank, sag' ich, wird ihr Mann, und recht gefährlich krank:
Er quält sich viele Tage lang,
Von ganzen Strömen Schweiß war sein Gesicht umflossen,
Doch noch von Tränen mehr, die sie um, ihn vergossen.
"Tod", fängt sie ganz erbärmlich an,
"Tod, wenn ich dich erbitten kann,
Nimm lieber mich, als meinen Mann!"
Wenn's nun der Tod gehöret hätte?
Jawohl, er hört es auch; er hört Klarinens Not,
Er kommt und fragt: "Wer rief?" — "Hier", schreit sie, "lieber Tod,
Hier liegt er! Hier, in diesem Bette!"

Der zärtliche Mann

Die ihr so eifersüchtig seid
Und nichts als Unbeständigkeit
Den Männern vorzurücken pfleget,
O Weiber, überwindet euch:
Lest dies Gedicht, und seid zugleich
Beschämt und ewig widerleget.
Wir Männer sind es ganz allein,
Die einmal nur, doch ewig lieben;
Uns ist die Treu' ins Blut geschrieben.
"Beweist es!" hör' ich alle schrein.
Recht gut! Es soll bewiesen sein.


Ein liebes Weib ward krank, Wovon? Von vieler Galle!
Die alte Spötterei; Kein Kluger glaubt sie mehr.
Nein, nein, die Weiber siechen alle,
Wenn dieses Übel schädlich wär'.
Genug — sie wird sehr krank. Der Mann wendet alles an,
Was man von Männern fordern kann;
Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschütten;
Er läßt für seine Frau in allen Kirchen bitten
Und gibt noch mehr dafür, als sonst gebräuchlich war —
Und doch vermehrt sich die Gefahr.
Er ächzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben.
"Ach, Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein!
Ich werde mit Vergnügen sterben;
Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein."
Er schwört, sich keine mehr zu wählen.
"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quälen,
Wenn mich ein zweites Weib besiegt."
Er schwört.— Nun stirbt sein Weib vergnügt.

Wer kann den Kummer wohl beschreiben,
Der unsern Witwer überfällt?
Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben;
Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt.
Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen,
Bleibt ohne Speis' und Trank, sucht keine Lagerstatt;
Er klagt und ist des Lebens satt.
Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen.
Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an;
Der Witwer tritt betränt an ihren Sarg hinan.
"Was?" fängt er plötzlich an zu fluchen.
"Was, Henker, was soll dieses sein?
Für eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen?
Gesetzt, ich wollte wieder frein,
So müßt' ich ja ein neues machen lassen."

Ihr Leute kränkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid
Und laßt dem armen Witwer Zeit;
Er wird sich mit der Zeit schon fassen.

Die Spinne

Hochmütig über ihre Künste
Warf vom durchsichtigen Gespinste
Die Spinne manchen finstern Blick
Auf einen Seidenwurm zurück;
So aufgebläht wie ein Pedant,
Der jetzt, von seinem Wert erhitzet,
In Werken seiner eignen Hand
Bis an den Bart vergraben sitzet,
Und auf den Schüler, der ihn grüßt,
Den Blick mit halben Augen schießt.

Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen
Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen,
Sieht dieser Spinne lange zu
Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?"
"Unwissender", läßt sich die Spinn' erbittert hören,
"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören?
Ich webe für die Ewigkeit!"

Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid,
So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen,
Von den noch nicht geputzten Wänden
Die Spinne nebst der Ewigkeit.

Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.
"Verdient", ruft ein Pedant, "mein Fleiß denn keinen Dank?"
Nein - denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang.


Die Biene und die Henne

"Nun, Biene", sprach die träge Henne,
"Dies muß ich in der Tat gestehn:
So lange Zeit, als ich dich kenne,
So seh' ich dich auch müßiggehn.
Du sinnst auf nichts als dein Vergnügen,
Im Garten auf die Blumen fliegen
Und ihren Blüten Saft entziehn,
Mag eben nicht so sehr bemühn.
Bleib immer auf der Nelke sitzen,
Dann fliege zu dem Rosenstrauch.
Wär' ich wie du, ich tät' es auch.
Was brauchst du andern viel zu nützen?
Genug, daß wir so manchen Morgen
Mit Eiern unser Haus versorgen."

"O", rief die Biene, "spotte nicht!
Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
Nicht so wie du bei einem Eie
Aus vollem Halse zehnmal schreie:
So, denkst du, wär ich ohne Fleiß.
Der Bienenstock sei mein Beweis,
Wer Kunst und Arbeit besser kenne:
Ich oder eine träge Henne.
Denn wenn wir auf den Blumen liegen,
So sind wir nicht auf uns bedacht;
Wir sammeln Saft, der Honig macht,
Um fremde Zungen zu vergnügen.
Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
Und schreien wir bei warmen Tagen,
Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
Und nicht wie du im Neste heisch,
So präge dir es jetzt ein:
Wir hassen allen stolzen Schein,
Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen
Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.

Auch hat uns die Natur beschenkt
Und einen Stachel eingesenkt,
Damit wir die bestrafen sollen,
Die, was sie selber nicht verstehn,
Doch meistern und verachten wollen.
Drum, Henne, rat' ich dir, zu gehn."

O Spötter, der mit stolzer Miene,
In sich verliebt, die Dichtkunst schilt,
Dich unterrichtet dieses Bild.
Die Dichtkunst ist die stille Biene,
Und willst du selbst die Henne sein,
So trifft die Fabel völlig ein.
Du fragst: "Was nützt die Poesie?
Sie lehrt und unterrichtet nie."
Allein wie kannst du doch so fragen?
Du siehst an dir, wozu sie nützt:
Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
Die Wahrheit durch ein Bild, zu sagen.


Der gütige Besuch

Ein offner Kopf, ein muntrer Geist,
Kurz, einer von den feinen Leuten,
Die ihr Beruf zu Neuigkeiten
Nie denken, ewig reden heißt,
Die mit Gewalt es haben wollten,
Daß Kluge närrisch werden sollen —
Ein solcher Schwätzer trat herein,
Dem Dichter den Besuch zu geben.
"Oh", rief er, "welch ein traurig Leben!
Wie? Schlafen Sie denn nicht bei Ihren Büchern ein?
So sind Sie denn so ganz allein
Und müssen gar vor Lageweile lesen?
Ich dacht' es wohl, drum kam ich so geschwind."

"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen
Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind."

Der Arme und der Reiche

Aret, ein tugendhafter Mann,
Dem nichts als Geld und Güter fehlten,
Rief, als ihn einst die Schulden quälten,
Das Glück um seinen Beistand an.
Das Glück, das seine liebsten Gaben
Sonst immer für die Leute spart,
Die von den Gütern bessrer Art
Nicht gar zuviel bekommen haben,
Entschloß sich dennoch, auf sein Flehn,
Dem wackern Manne beizustehn,
Und ließ ihn in verborgnen Gründen
Aus Geiz verscharrte Schätze finden.
Er sieht darauf in kurzer Zeit
Von seinen Schuldnern sich befreit;
Doch ist ihm wohl die Not benommen,
Da statt der Schuldner Schmeichler kommen?
Sooft er trinkt, sooft er ißt,
Kommt einer, der ihn durstig küßt,
Nach seinem Wohlsein ängstlich fraget
Und ihn mit Höflichkeit und List,
Mit Loben und Bewundern plaget
Und doch durch alles nicht, als daß ihn hungert, saget.

"O Glücke" rief Aret, "soll eins von beiden sein;
Kann alle Klugheit nicht von Schmeichlern mich befrein,
So will ich mich von Schuldnern lieber hassen,
Als mich von Schmeichlern lieben lassen.
Vor jenen kann man doch zuweilen sicher sein;
Doch diese Brut schleicht sich zu allen Zeiten ein."

Damokles

Glaubt nicht, daß bei dem größten Glücke
Ein Wüterich jemals glücklich ist;
Er zittert in dem Augenblicke,
Da er der Hoheit Frucht genießt.
Bei aller Herrlichkeit stört ihn des Todes Schrecken
Und läßt ihn nichts als teures Elend schmecken.


Als den Tyrannen Dionys
Ein Schmeichler einstens glücklich pries
Und aus dem Glanz der äußerlichen Ehre,
Aus reichem Überfluß an Volk und Gold erwies,
Daß sein Tyrann unendlich glücklich wäre —
Als dies Damokles einst getan,
Fing Dionys zu diesem Schmeichler an:
"Sosehr mein Glück dich eingenommen,
So kennst du es doch unvollkommen;
Doch schmecktest du es selbst, wie würde dich's erfreun!
Willst du einmal an meiner Stelle sein?"
"Von Herzen gern!" fällt ihm Damokles ein.

Ein goldner Stuhl wird schnell für ihn herbeigebracht.
Er sitzt und sieht auf beiden Seiten
Der Hohen größte Herrlichkeiten,
Die Stolz und Wollust ausgedacht.
Von Purpur prangen alle Wände,
Gold schmückt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein.
Ein Wink - so eilen zwanzig Hände,
Des hohen Winkes wert zu sein.
Ein Wort - so fliegt die Menge schöner Knaben
Und sucht den Ruhm, dies Wort vollstreckt zu haben.

Von Wollust süß berauscht, von Herrlichkeit entzückt,
Schätzt sich Damokles für beglückt.
"O Hoheit", ruft er aus, "könnt' ich dich ewig schmecken!"
Doch ach, was nimmt er plötzlich wahr?
Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar,
Das an der Decke hängt, erfüllt sein Herz mit Schrecken;
Er sieht die drohende Gefahr
Nah über seinem Haupte schweben.
Der Glückliche fängt an zu beben;
Er sieht nicht mehr auf seines Zimmers Pracht,
Nicht auf den Wein, der aus dem Golde lacht;
Er langt nicht mehr nach den schmackhaften Speisen,
Er hört nicht mehr der Sänger sanfte Weisen.
"Ach", fängt er zitternd an zu schreien,
"Laß mich, o Dionys, nicht länger glücklich sein!"

Selinde

Das schönste Kind zu ihren Zeiten,
Selinde, reich an Lieblichkeiten,
Schön, wenn ich also sagen mag,
Schön wie das Morgenrot und heiter wie der Tag —
Selinde soll sich malen lassen.
Sie weigert sich; der Maler ließ nicht nach,
Er bat, bis sie es ihm versprach,
Und schwur, sie recht getreu zu fassen.
Sie fragt, wie viel man ihm bezahlt.
Ich hätte sie umsonst gemalt,
Und hätt' ich ja was fordern sollen,
So hätt' ich Küsse fordern wollen.

So schön Selinde wirklich war,
So schön - und schöner nicht - stellt sie der Maler dar;
Die kleinste Miene muß ihm glücken,
Das Bild war treu und schön bis zum Entzücken,
So reizend, daß es selbst der Maler hurtig küßt,
Sobald sein Weib nicht um ihn ist.

Der Maler bringt sein göttliches Gesicht.
Selinde sieht es an, erschrickt und legt es nieder.
"Hier, nehme Er sein Gemälde wieder!
Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht.
Wer hieß ihn so viel Schmeicheleien
Uns soviel Reiz auf meine Bildung streuen?
Erdichtet ist der Mund, verschönert ist das Kinn.
Kurz, nehme Er nur sein Bildnis hin;
Ich mag nicht schöner sein, als ich in Wahrheit bin.
Vielleicht wollt' Er die Venus malen:
Von dieser laß Er sich bezahlen."

So ist sie denn allein das Kind,
Das schön ist, ohn' es sein zu wollen?
Wie viele kenn' ich nicht, die wirklich häßlich sind
Und die wir mit Gewalt für englisch halten sollen!

Der Maler nimmt sein Bild und sagt kein einzig Wort,
Geht trotzig wie ein Künstler fort.
Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen
Und so ein schönes Kind verklagen?

Er klagt. Selinde muß sich stellen.
Die Väter werden doch ein gütig Urteil fällen!
O fahrt sie nicht gebieterisch an;
Sosehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn.

Hier kommt sie schon, hier kommt Selinde!
Wer hat mehr Anmut noch gesehen?
Der ganze Rat erstaunt vor diesem schönen Kinde,
Und sein Erstaunen preist sie schön.
Und jeder Greis in dem Gerichte
Verliert die Runzeln vom Gesichte;
Man sah aufs Bild, doch jedes Mal
Noch längre Zeit aufs Original,
Und jeder rief: "Sie ist getroffen!"
"Oh", sprach sie ganz beschämt, "wie könnt' ich dieses hoffen?
Er hat mich viel zu schön gemalt,
Und Schmeichler werden nicht bezahlt."

"Selinde", hub der Richter an,
"Kein Maler konnt' Euch treuer malen;
Er hat nach seiner Pflicht getan,
Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen.
Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid,
So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze:
Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze,
Zum Lohne der Bescheidenheit."

O weiser Mann, der dieses spricht,
Gerechter ist kein Spruch zu finden;
Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht,
Und wärst du jung, verdientest du Selinden!
Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach;
Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach;
Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre,
Um desto mehr erhielt sie Ehre.

Je minder sich der Kluge selbst gefällt,
Um desto mehr schätzt ihn die Welt.


Der Schatz

Ein kranker Vater rief den Sohn.
"Sohn", sprach er, "um dich zu versorgen,
Hab' ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen;
Er liegt" - Hier starb der Vater schon.
Wer war bestürzter als der Sohn?
"Ein Schatz!" so waren seine Worte.
"Ein Schatz! Allein an welchem Orte?
Wo find' ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus,
Die Schätze sollen graben können,
Durchbricht der Scheuern harte Tennen,
Durchgräbt den Garten und das Haus
Und gräbt doch keinen Schatz heraus.

Nach viel vergeblichem Bemühen
Hieß er die Fremden wieder ziehen,
Sucht selber in dem Hause nach,
Durchsucht des Vaters Schlafgemach
Und findet mit leichter Müh' (wie groß war sein Vergnügen!)
Ihn unter einer Diele liegen.

Vielleicht, daß mancher eh' die Wahrheit finden sollte,
Wenn er mit minderer Müh' die Wahrheit suchen sollte;
Und mancher hätte sie wohl zeitiger entdeckt,
Wofern er nicht geglaubt, sie wäre tief versteckt.
Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen,
Daß du der finstern Schriften Wust,
Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen
Bis auf den Grund durchwühlen mußt.
Verlaß dich nicht auf fremde Müh',
Such selbst, such aufmerksam, such oft; du findest sie.
Die Wahrheit, lieber Freund, die alle nötig haben,
Die uns als Menschen glücklich macht,
Ward von der Weisen Hand, die sie uns zugedacht,
Nur leicht verdeckt, nicht tief vergraben.


Der unsterbliche Autor

Ein Autor schrieb sehr viele Bände
Und war das Wunder seiner Zeit;
Der Journalisten gütige Hände
Verehrten ihm die Ewigkeit.
Er sah vor seinem sanften Ende
Fast alle Werke seiner Hände
Das sechste Mal schon aufgelegt
Und sich mit tiefgelehrtem Blicke
In einer spanischen Perücke
Vor jedes Titelblatt geprägt.
Er blieb vor Widersprechern sicher
Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt;
Und das Verzeichnis seiner Bücher,
Die kleinen Schriften mitgezählt,
Nahm an dem Lebenslauf allein
Drei Bogen und drei Seiten ein.

Man las nach dieses Mannes Tode
Die Schriften mit Bedachtsamkeit;
Und seht, das Wunder seiner Zeit
Kam in zehn Jahren aus der Mode,
Und seine göttliche Methode
Hieß eine bange Trockenheit.
Der Mann war bloß berühmt gewesen,
Weil Stümper ihn gelobt, eh' Kenner ihn gelesen.

Berühmt zu werden ist nicht schwer,
Man darf nur viel für kleine Geister schreiben;
Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben,
Dazu gehört noch etwas mehr,
Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben.


Der grüne Esel

Wie oft weiß nicht ein Narr durch töricht Unternehmen
Viel tausend Toren zu beschämen!

Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün —
Am Leibe grün, rot an den Beinen, —
Fängt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn;
Er zieht, und jung und alt erscheinen.
"Welch Wunder!" rief die ganze Stadt.
"Ein Esel, zeisiggrün! der rote Füße hat!
Das muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen,
Was es zu unsrer Zeit für Wunderdinge gab!"
Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen;
Man hebt die Fenster aus, man deckt die Dächer ab;
Denn alles will den grünen Esel sehn,
Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn.

Man lief die beiden ersten Tage
Dem Esel mit Bewunderung nach.
Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage,
Wenn man vom grünen Esel sprach.
Die Kinder in den Schlaf zu bringen,
Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf;
Vom grünen Esel hört man singen,
Und so gerät das Kind in Schlaf.

Drei Tage waren kaum vergangen,
So war es um den Wert des armen Tiers geschehn;
Das Volk bezeigte kein Verlangen,
Den grünen Esel mehr zu sehn;
Und so bewundernswert er anfangs allen schien,
So dacht' jetzt doch kein Mensch mit einer Silbe an ihn.

Ein Ding mag noch so närrisch sein,
Es sei nur neu, so nimmt's den Pöbel ein:
Er sieht, und er erstaunt; kein Kluger darf ihm wehren.
Drauf kommt die Zeit und denkt an ihre Pflicht;
Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren,
Sie mögen wollen oder nicht.


Der arme Schiffer

Ein armer Schiffer stak in Schulden
Und klagte dem Philet sein Leid.
"Herr", sprach er, "leiht mir hundert Gulden;
Allein zu Eurer Sicherheit
Hab' ich kein ander Pfand als meine Redlichkeit.
Indessen leiht mir aus Erbarmen
Die hundert Gulden auf ein Jahr."

Philet, ein Retter in Gefahr,
Ein Vater vieler hundert Armen,
Zählt ihm das Geld mit Freuden dar.
"Hier", spricht er, "nimm es hin und brauch' es ohne Sorgen,
Ich freue mich, daß ich dir dienen kann;
Du bist ein ordentlicher Mann,
Dem muß man ohne Handschrift borgen."

Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht;
Kein Schiffer läßt sich wieder sehen.
Wie? Sollt' er auch Phileten hintergehen
Und ein Betrüger sein? Vielleicht.

Doch nein - Hier kommt der Schiffer gleich.
"Herr," fängt er an,- "erfreuet Euch!
Ich bin aus allen meinen Schulden;
Und sehet, hier sind zweihundert Gulden,
Die ich durch Euer Geld gewann.
Ich bitt' Euch herzlich, nehmt sie an,
Ihr seid ein gar zu wackrer Mann."

"Oh", spricht Philet, "ich kann mich nicht besinnen,
Daß ich dir jemals Geld geliehn.
Hier ist mein Rechnungsbuch, ich will's zu Rate ziehn;
Allein ich weiß es schon, du stehest nicht darinnen."

Der Schiffer sieht ihn an und schweigt betroffen still
Und kränkt sich, daß Philet das Geld nicht nehmen will.
Er läuft und kommt mit voller Hand zurücke.
"Hier", spricht er, "ist der Rest von meinem ganzen Glücke:
Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin,
Und laßt mir nur das Lob, daß ich erkenntlich bin.
Ich bin vergnügt, ich habe keine Schulden,
Dies Glücke dank' ich Euch allein;
Und wollt Ihr ja recht gütig sein,
So leiht mir wieder fünfzig Gulden."

"Hier", spricht Philet, "hier ist dein Geld;
Behalte deinen ganzen Segen!
Ein Mann, der Treu' und Glauben hält,
Verdient ihn seiner Treue wegen.
Sei du mein Freund! Das Geld ist dein;
Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein,
Die sollen deinen Kindern sein."

Mensch, mache dich verdient um andrer Wohlergehen;
Denn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist
Und mit Vergnügen eilst, dem Nächsten beizustehen,
Der, wenn er Großmut sieht, großmütig dankbar ist!


Die junge Ente

Die Henne führt der Jungen Schar,
Worunter auch ein Entchen war,
Das sie zugleich mit ausgebrütet.
Der Zug soll in den Garten gehn;
Die Alte gibt's der Brut durch Locken zu verstehn,
Und jedes folgt, sobald sie nur gebietet,
Denn sie gebot mit Zärtlichkeit.
Die Ente wackelt mit, allein nicht gar zu weit.
Sie sieht den Teich, den sie noch nicht gesehen;
Sie läuft hinein, sie badet sich.
Wie, kleines Tier, du schwimmst? Wer lehrt' es dich?
Wer hieß dich in das Wasser gehen?
Wirst du so jung das Schwimmen schon verstehen?

Die Henne läuft mit struppigem Gefieder
Das Ufer zehnmal auf und nieder
Und will ihr Kind aus der Gefahr befrein,
Setzt zehnmal an und fliegt doch nicht hinein;
Denn die Natur heißt sie das Wasser scheun.
Doch nichts erschreckt den Mut der Ente;
Sie schwimmt beherzt in ihrem Elemente
Und fragt die Henne ganz erfreut,
Warum sie denn so ängstlich schreit.

Was dir Entsetzen bringt, bringt jenem oft Vergnügen;
Der kann mit Lust zu Felde liegen,
Und dich erschreckt der bloße Name Held.
Der schwimmt beherzt auf offnen Meeren —
Du zitterst schon auf angebundnen Fähren
Und siehst den Untergang der Welt.
Befürchte nichts für dessen Leben,
Der kühne Taten unternimmt;


Wen die Natur zu der Gefahr bestimmt,
Dem hat sie auch den Mut zu der Gefahr gegeben.


Der gute Rat

Ein junger Mensch, der sich vermählen wollte
Und dem man manchen Vorschlag tat,
Bat einen Greis um einen guten Rat,
Was für ein Weib er nehmen sollte.

"Freund", sprach der Greis, "das weiß ich nicht;
So gut man wählt, kann man sich doch betrügen.
Sucht Ihr ein Weib bloß zum Vergnügen,
So wählet Euch ein schön Gesicht;
Doch liegt Euch mehr an Renten und am Staate
Als am verliebten Zeitvertreib,
So dien' ich Euch mit einem andern Rate:
Bemüht Euch um ein reiches Weib!
Doch strebt Ihr durch die Frau nach hohem Range,
Nun, so vergeßt, daß beßre Mädchen sind,
Wählt eines großen Mannes Kind
Und untersucht die Wahl nicht lange.
Doch wollt Ihr mehr für Eure Seele wählen
Als für die Sinne und den Leib,
So wagt's, um Euch nach Wunsche zu vermählen,
Und wählt Euch ein gelehrtes Weib."
Hier schwieg der Alte lachend still.

"Ach", sprach der junge Mensch, "das will ich ja nicht wissen.
Ich frage, welches Weib ich werde wählen müssen,
Wenn ich zufrieden leben will,
Und wenn ich, ohne mich zu grämen  —"
"Oh", fiel der Greis ihm ein, "da müßt Ihr keine nehmen."

Die beiden Mädchen

Zwei junge Mädchen hofften beide.
Worauf? Gewiß auf einen Mann.
Denn dies ist doch die größte Freude,
Auf die ein Mädchen hoffen kann.
Die jüngste Schwester, Philippine,
War nicht unordentlich gebaut;
Sie hatt' ein rund Gesicht, und eine zarte Haut,
Doch eine sehr gezwungne Miene.
So fest geschnürt sie immer ging,
So viel sie Schmuck ins Ohr und vor den Busen hing,
So schön sie auch ihr Haar zusammenrollte:
So ward sie doch bei alledem,
Je mehr man sah, daß sie gefallen wollte,
Um desto minder angenehm.

Die andre Schwester, Karoline,
War im Gesichte nicht so zart;
Doch frei und reizend in der Miene
Und liebreich mit gelaßner Art.
Und wenn man auf den heitern Wangen
Gleich kleine Sommerflecken fand,
Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt,
Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen.
Sie putzte sich nicht mühsam aus,
Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten.
Ein artig Band, ein frischer Strauß,
Die über ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten,
Und eine nach dem Leib wohl abgemessne Tracht
War Karolinens ganze Pracht.

Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen.
Er sah sie an, erstaunt, und hieß sie schön;
Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn.
Kaum aber sah er Karolinen,
So blieb er vor Entzückung stehn.

Im Bilde dieser Frauenzimmer
Zeigt sich die Kunst und die Natur:
Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer,
Sie fesselt nicht; sie blendet nur.
Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen,
Läßt sich bescheiden sehn - und so gefällt sie allen.


Der Maler

Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als weil er Ehre suchte, malte,
Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt' ihm frei heraus,
Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte
Und daß es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verraten sollte.
Der Maler wandte vieles ein;
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen
Und konnt' ihn doch nicht überwinden.

Gleich trat ein junger Geck herein
Und nahm das Bild in Augenschein.
"Oh", rief er bei dem ersten Blicke,
"Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!
Ach, welcher Fuß! O wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedrückt!
Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht
Ist in dem Helm und in dem Schilde
Und in der Rüstung angebracht!"

Der Maler ward beschämt gerühret
Und sah den Kenner kläglich an.
"Nun", sprach er, "bin ich überführet.
Ihr habt mir nicht zuviel getan."
Der junge Geck war kaum hinaus,
So strich er seinen Kriegsgott aus.

Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt,
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält,
So ist es Zeit, sie auszustreichen.