Fabelverzeichnis

Gedichte 3

 

Gedichte 2
 

Die beiden Schwalben
Der junge Drescher
Der sterbende Vater
Der Bauer und sein Sohn
Die beiden Wächter
Die Fliege
Die schlauen Mädchen
Das Kutschpferd
Elpin
Der Affe
Das Pferd und der Esel
Die Ente
Till
Der Wucherer
Das Vermächtnis
Epiktet
Der junge Prinz
Der Kandidat
Emil
Cotill
Der Jüngling
Der Tod der Fliege und der Mücke
Die beiden Knaben

 
Der junge Gelehrte
Der Knabe
Die Guttat
Der Lügner
Die Nachtigall und der Kuckuck
Der Freier
Philinde

 


Die beiden Schwalben

Zwei Schwalben sangen um die Wette
Und sangen mit dem größten Fleiß;
Doch wenn die eine schrie, daß sie den Vorzug hätte,
Gab doch die andre sich den Preis.
Die Lerche kommt; sie soll den Streit entscheiden;
Und beide stimmen herzhaft an.
"Nun," hieß es, "sprich, wer von uns beiden
Am meisterlichsten singen kann."
"Das weiß ich nicht," sprach sie bescheiden
Und sah sie ganz mitleidig an
Und wollte sich nach ihrer Höhe schwingen —
Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen.
"So", sprach sie, "will ich's denn gestehn:
Die kann so gut wie jene singen;
Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schön.
Hört man das Lied geistreicher Nachtigallen,
So kann uns eures nicht gefallen."

Ihr mittelmäßigen Skribenten,
O wenn wir euch doch friedsam machen könnten!
Ihr zankt, wer besser denkt? Laßt keinen Streit entstehn.
Wir wollen keinen von euch kränken;
Der eine kann so gut wie jener denken;
Doch keiner von euch denket schön.
Ihr Schwätzer, zankt nicht um die Gaben
Der geistlichen Beredsamkeit.
Solange wir Mosheime* haben,
So sehn wir ohne Schwierigkeit,
Daß ihr beredte Kinder seid.
Zankt nicht um eure hohen Gaben,
Ihr Gründlichen, o bleibt in Ruh'!
Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du;
Allein solange wir Leibnitze* vor uns haben,
So hört euch keine Seele zu.
O zankt nicht um des Phöbus Gaben,
Reimreiche Sänger unsrer Zeit!
Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit;
Allein solange wir noch Hagedorne haben,
So denkt man nicht daran, daß ihr zugegen seid.

*
Johann Lorenz von Mosheim 1693-1755 in Göttingen war lutherischer
Theologe und bekannter Kirchenhistoriker. Er war maßgeblich am Aufbau
der Universität Göttingen beteiligt, wo er 1747 Professor und Kanzler wurde.

*
Gottfried Wilhelm Leibnitz 1646-1716, universaler Geist des Barock.
Er war unter anderem Historiker, Jurist und Philosoph.


Der junge Drescher

Dem Drescher, der im weichen Gras
Vor seinem Topf mit Milch und schwarzem Brote, saß,
Dem wollte seine Milch nicht schmecken.
Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken,
Dacht' ängstlich seinem Schicksal nach
Und dehnte sich dreimal, und sprach:
"Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach
Und mußt dich Tag für Tag mit deinem Flegel plagen.
Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön;
Allein, du Narr mußt in der Scheune stehn
Und kannst nach langen vierzehn Tagen
Kaum einmal in die Schenke gehen
Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn.
Du bist noch jung und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben
Und wolltest stets ein Drescher bleiben?
Des Schulzen Tochter ist dir gut,
Ist reich und kann sich hübsch gebärden:
So nimm sie doch! Du kannst, mein Blut,
Wohl mit der Zeit noch Schulze werden;
Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh'
Und trinkst dein gutes Bier dazu,
Und hast gleich nach dem Pfarr' die Ehre —
O wenn ich doch schon Schulze wäre!"

Indem Hans noch so sprach, kam seine Schöne her.
Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr;
Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte
Und er verwegen sein und sie recht herzen sollte.
Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat,
Sind wie die Mädchen in der Stadt.
Hans zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder,
Lobt ihren neuen Latz, schielt öfters auf ihr Mieder,
Fast wie ein junger Herr, nur mit dem Unterscheid,
Er hatte mehr Schamhaftigkeit.
Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen,
Bat um ihr Herz und trug ihr Herz davon
Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen,
Des reichen Schulzen Schwiegersohn.
Kaum hatt' er sie, so ward der Alte schon
Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen.
Wen wird man nun Herr Schulze grüßen?
Wen anders als den Schwiegersohn?

Er eilt ins Amt, kommt bald und freudig wieder
Und wirft sich auf die Bank als Schulz im Dorfe, nieder.

So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student
Nach einem glücklichen Examen
Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt,
Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen
Nach einem tiefen Kompliment
Das erste Mal Herr Doktor nennt:
So wußt' auch Hans vor großer Freude
Nicht, wo er Hände und Füße ließ,
Als ihn Schulmeisters Adelheide
Das erste Mal "Herr Schulze" hieß.

Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle!
Er aß sein Fleisch und tat den Gästen oft Bescheid.
Allein es kamen mit der Zeit
Auch viel unangenehme Fälle;
Denn welches Amt ist wohl davon befreit?
Nach einer nicht gar langen Zeit
Warf sich Herr Hans verdrießlich auf die Stelle,
Auf der er sich sein Glück erfreit
Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre!
"Ich", fing er zu sich selber an,
"Ich habe Haus und Hof und Ehre
Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann.
Bald soll ich von der Bauern Leben
Im Amte Red' und Antwort geben;
Da fährt mich denn der Amtmann an
Und heißt mich einen dummen Mann.
Bald quälen mich die teuflischen Soldaten
Und fluchen mir die Ohren voll.
Bald weiß ich mir bei den Mandaten,
Bald in Quatembern nicht zu raten,
Die ich dem Landknecht schaffen soll.
Die Bauern brummen, wenn ich strafe;
Und straf' ich nicht, so lachen sie mich aus.
Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe,
Jetzt pocht mich jeder Narr heraus,
Und wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus.
O wäre mir's nur keine Schande,
Ich griffe nach dem ersten Stande
Und stürbe als Drescher auf dem Lande."

Wer weiß, ob mancher Große nicht
Im Herzen wie der Schulze spricht?
Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren,
Die jetzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren?
Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug,
Eh' es der Fürsten Gunst an einem Bande trug?
O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,
Daß ihr die Ruh' nicht durch den Stand gewinnt;
Lernt doch, daß die am mindesten glücklich sind,
Die euch am meisten glücklich scheinen!


Der sterbende Vater

Ein Vater hinterließ zween Erben:
Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm.
Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben
Sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um.
"Sohn", fing er an, "mich quält ein trauriger Gedanke:
Du hast Verstand, wie wird dir's künftig gehn?
Hör an, ich hab' in meinem Schranke
Ein Kästchen mit Juwelen stehn,
Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn,
Und gib dem Bruder nichts davon."

Der Sohn erschrak und stutzte lange.
"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange,
Wie kommt alsdann mein Bruder fort?"
"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort.
"Für Görgen ist mir gar nicht bange,
Der kommt gewiß durch seine Dummheit fort."

Der Bauer und sein Sohn

Ein guter dummer Bauernknabe,
Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm
Und der - trotz seinem Herrn - mit einer guten Gabe,
Recht dreist zu lügen, wiederkam,
Ging kurz nach der vollbrachten Reise
Mit seinem Vater über Land.
Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
Log auf die unverschämtste Weise.
Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt.
"Ja, Vater", rief der unverschämte Knabe,
"Ihr mögt mir's glauben oder nicht,
So sag' ich's Euch und jedem ins Gesicht,
Daß ich einst einen Hund bei - Haag gesehen habe,
Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt,
Der - ja, ich bin nicht ehrenwert,
Wenn er nicht größer war als Euer größtes Pferd."

"Das", sprach der Vater, "nimmt mich wunder;
Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn.
Wir zum Exempel gehn jetzunder
Und werden keine Stunde gehen,
So wirst du eine Brücke sehn —
Wir müssen selbst darüber gehn, —
Die hat dir manchen schon betrogen;
Denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein.
Auf dieser Brücke liegt ein Stein,
An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
Und fällt und bricht sogleich das Bein."

Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen.
"Ach", sprach er, "lauft doch nicht so sehr!
Doch wieder auf den Hund zu kommen:
Wie groß, sagt' ich, daß er gewesen wär'?
Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel gehören.
Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr;
Allein das wollt' ich wohl beschwören,
Daß er so groß als mancher Ochse, war."

Sie gingen noch ein gutes Stücke;
Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt' es anders sein?
Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
Er sah nunmehr die richterische Brücke
Und fühlte schon den Beinbruch halb.
"Ja, Vater", fing er an, "der Hund, von dem ich red'te,
War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte,
So war er doch viel größer als ein Kalb."

Die Brücke kommt. Fritz! Fritz, wie wird dir's gehen?
Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind.
"Ach Vater", spricht er, "seid kein Kind,
Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen;
Denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen:
Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind."

Du mußt es nicht gleich übel nehmen,
Wenn hier und da ein Geck zu lügen sich erkühnt.
Lüg auch, und mehr als er, und such ihn zu beschämen,
So machst du dich um ihn und um die Welt verdient.

Die beiden Wächter

Zwei Wächter, die schon manche Nacht
Die liebe Stadt getreu bewacht,
Verfolgten sich aus aller Macht
Auf allen Bier- und Branntweinbänken
Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken
Einander bis aufs Blut zu kränken;
Denn keiner brannte von dem Span,
Woran der andre sich den Tabak angezündet,
Aus Haß den seinen jemals an.
Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach' erfindet,
Den Feinde noch den Feinden angetan,
Den taten sie einander an.
Und jeder wollte bloß den andern überleben,
Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben.

Man riet und wußte lange nicht,
Warum sie solche Feinde waren;
Doch endlich kam die Sache vor Gericht,
Da mußte sich's denn offenbaren,
Warum sie seit so vielen Jahren
So heidnisch unversöhnlich waren.
Was war der Grund? Der Brotneid? War er's nicht?
Nein. Dieser sang: "Verwahrt das Feuer und das Licht!"
Allein so sang der andre nicht;
Er sang: "Bewahrt das Feuer und das Licht!"
Aus dieser so verschiednen Art,
An die sich beide im Singen zänkisch banden,
Aus dem verwahrt und dem bewahrt
War Spott, Verachtung, Haß, und Rach' und Wut entstanden.

"Die Wächter", hör ich viele schrein,
"Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten?
Das mußten große Narren sein!"
Ihr Herren, stellt die Reden ein,
Ihr könntet sonst unglücklich sein;
Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten,
Die in gelehrten Streitigkeiten
Um Silben, die gleich viel bedeuten,
Sich mit der größten Wut entzweiten?


Die Fliege

Daß alle Tiere denken können,
Dies scheint mir ausgemacht zu sein.
Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen,
Äsopus, hat's gesagt, Fontaine stimmt mit ein.
Wer wird auch so mißgünstig sein
Und Tieren nicht dies kleine Glücke gönnen,
Aus dem die Welt so wenig macht?
Denk oder denke nicht – darauf gibt niemand acht.

In einem Tempel voller Pracht,
Aus dem die Kunst mit ewigen Stolze blickte,
Dich schnell zum Beifall zwang und gleich dafür entzückte
Und, wenn sie dich durch den Schmuck bestürzt gemacht,
Mit edler Einfalt schon dich wieder zu dir brachte —
In diesem Bau voll Ordnung und voll Pracht
Saß eine finstre Flieg' auf einem Stein und dachte.
Denn daß die Fliegen stets aus finstern Augen sehn
Und oft den Kopf mit einem Beine halten
Und oft die flache Stirne falten,
Kommt bloß daher, weil sie soviel verstehn
Und auf den Grund der Sachen gehn.
So saß auch hier die weise Fliege;
Ein halbes Dutzend ernster Züge
Verfinsterten ihr Angesicht.
Sie denkt tiefsinnig nach und spricht:
"Woher ist dies Gebäude entstanden?
Ist außer ihm wohl jemand noch vorhanden,
Der es gemacht? Ich seh's nicht ein.
Wer sollte dieser Jemand sein?"
"Die Kunst", sprach die bejahrte Spinne,
"Hat diesen Tempel aufgebaut.
Wohin auch nur ein blödes Auge schaut,
Wird es Gesetz und Ordnung inne,
Und dies beweist, daß ihn die Kunst gebaut."
Hier lachte meine Fliege laut.
"Die Kunst?" sprach sie ganz höhnisch zu der Spinne.
"Was ist die Kunst? Ich sinn' und sinne
Und sehe nichts als ein Gedicht.
Was ist sie denn? Durch wen ist sie vorhanden?
Nein, dieses Märchen glaub' ich nicht.
Lern es von mir, wie dieser Bau entstanden:
Es kamen einst von ungefähr
Viel Steinchen einer Art hierher
Und fingen an, zusammen sich zu schicken.
Daraus entstand der große hohle Stein,
In welchem wir uns beide erblicken.
Kann was begreiflicher als diese Meinung sein?"

Der Fliege können wir ein solch System vergeben;
Allein daß große Geister leben,
Die einer ordnungsvollen Welt
Ein Ungefähr zum Ursprung geben
Und lieber zufallsweise leben,
Als einen Gott zum Thron erheben;
Das kann man ihnen nicht vergeben,
Wenn man sie nicht für Narren hält.


Die schlauen Mädchen

Zwei Mädchen brachten ihre Tage
Bei einer alten Base zu.
Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage
Sehr wenig von der Morgenruh'.
Kaum krähte noch der Hahn bei frühem Tage,
So rief sie schon: "Steht auf, ihr Mädchen, es ist spät;
Der Hahn hat schon zweimal gekräht."
Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten —
Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen gibt,
Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt —,
Die wanden sich in ihren weichen Betten
Und schwuren dem verdammten Hahn
Den Tod und taten ihm, da sie die Zeit ersahn,
Den ärgsten Tod rachsüchtig an.

Ich hab's gedacht, du guter Hahn,
Erzürnter Schönen ihrer Rache
Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn;
Und ihren Zorn sich zuzuziehn,
Ist leider ein leichte Sache.

Der arme Hahn war also aus der Welt.
Vergebens nur ward von der Alten
Ein scharf Examen angestellt.
Die Mädchen taten fremd und schalten
Auf den, der diesen Mord getan,
Und weinten endlich mit der Alten
Recht bitterlich um ihren Hahn.
Allein was half's den schlauen Kindern?
Der Tod des Hahns sollt' ihre Plage mindern,
Und er vermehrte sie noch mehr.
Die Base, die sie sonst nicht eh' im Schlafe störte,
Als bis sie ihren Haushahn hörte,
Wußte in der Nacht jetzt nicht, um welche Zeit es wär!
Allein weil es ihr Alter mit sich brachte,
Daß sie um Mitternacht erwachte,
So rief sie die auch schon um Mitternacht,
Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht.

Wärst du so klug, die kleinen Plagen
Des Lebens willig auszustehn,
So würdest du dich nicht so oft genötigt sehn,
Die größeren Übel zu ertragen.


Das Kutschpferd

Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn
Und wieherte mit Stolz auf ihn.
"Wann", sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben,
"Wann kannst du dir ein solches Ansehn geben?
Und wann bewundert dich die Welt?"
"Schweig", rief der Gaul, "und laß mich ruhig pflügen!
Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
Wo würdest du den Hafer kriegen,
Der deiner Schenkel Stolz erhält?"

Die ihr die Niedern so verachtet,
Vornehme Müßiggänger, wißt,
Daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet,
Daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet,
Auf ihren Fleiß gegründet ist.
Ist der, der sich und euch durch seine Hände ernährt,
Nichts Beßres als Verachtung wert?
Gesetzt, du hättest beßre Sitten:
So ist der Vorzug doch nicht dein.
Denn stammtest du aus ihren Hütten,
So hättest du auch ihre Sitten,
Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein,
Wenn sie wie du erzogen wären.
Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren.


Elpin

Ein Großer in Athen, der kein Verdienst besaß,
Als daß er vornehm trank und aß,
Und sein Geschlecht zu rühmen nie vergaß,
Verlangte doch den Ruhm zu haben,
Als hätt' er wirklich große Gaben.
Denn mancher, der, wenn ihn nicht die Geburt erhöht,
Da stünde, wo sein Christoph steht,
Und kaum zum Diener tüchtig wäre,
Hält desto mehr auf Ruhm und Ehre,
Je dreister sich sein Herz, trotz seinem Stolz, erkühnt
Und ihm oft sagt, daß er sie nicht verdient.

In eben dieser Stadt, in der der Große wohnte,
War ein Poet, der die Verdienste pries,
Die Tugend durch sein Lied belohnte,
Und durch sein Lied unsterblich werden hieß;
Den bat Elpin, ihn zu besingen.
"Sie können", sprach der große Mann,
"Durch meinen Namen sich zugleich in Ansehen bringen."

"Mein Herr," rief der Poet, "es geht unmöglich an.
Ich hab aus Eigensinn einst ein Gelübd' getan,
Nur das Verdienst und nie den Namen zu besingen."

Der Affe

Ein Affe sah ein paar geschickte Knaben
Im Brett einmal die Dame ziehn
Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben,
Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien,
Als könnt' er selbst die Dame ziehn.
Er legte bald sein Mißvergnügen,
Bald seinen Beifall an den Tag;
Er schüttelte den Kopf jetzt bei des einen Zügen
Und billigte darauf des andern seinen Schlag.

Der eine, der gern siegen wollte,
Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn.
Der Affe stieß darauf an ihn
Und nickte, daß er machen sollte.
"Doch welchen Stein soll ich denn ziehn,
Wenn du's so gut verstehst?" sprach der erzürnte Knabe.
"Den, jenen oder diesen da,
Auf welchem ich den Finger habe?"
Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah,
Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: "Ja."

Um deren Weisheit zu ergründen,
Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstünden,
So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja
Bei deinen Fragen hurtig da,
So kannst du mathematisch schließen,
Daß sie nicht das geringste wissen.


Das Pferd und der Esel

Ein Pferd, dem Geist und Mut recht aus den Augen sahn,
Ging, stolz auf sich und seinen Mann
Und stieß (wie leicht ist nicht ein falscher Schritt getan!)
Vor großem Feuer einmal an.
Ein träger Esel sah's und lachte:
"Wer", sprach er, "würd' es mir verzeihn,
Wenn ich dergleichen Fehler machte?
Ich geh' den ganzen Tag, und stoß' an keinen Stein."
"Schweig!" rief das Pferd, "du bist zu meinem Unbedachte,
Zu meinen Fehlern viel zu klein!"

Die Ente

Die Ente schwamm auf einer Pfütze
Und sah am Rande Gänse gehn
Und konnt' aus angebornem Witze
Der Spötterei unmöglich widerstehn.
Sie hob den Hals empor und lachte dreimal laut
Und sah um sich, so, wie ein Witzling um sich schaut,
Der einen Einfall hat und mit Geschrei und Lachen
So glücklich ist, ihm Luft zu machen.

Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn.
"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?"
"Ach nichts! Ich hab' euch zugesehn;
Ihr könnt vortrefflich auswärts gehn.
Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt' ich euch nur fragen."
"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen;
Allein du mußt mit mir spazierengehn."

Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Größre schmähet,
An ihnen tausend Fehler sehet,
Die ihr an euch doch nie entdeckt —
Glaubt, daß an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blähet,
Dieselben Fehler auch versteckt.
Und sollen sie der Welt wie euch unsichtbar bleiben.
So laßt euch nicht daraus vertreiben!

Till

Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt
Als vielen, die ihn gern belachen,
Und der vielleicht, um andre klug zu machen,
Das Amt des Albernen gewählt:
Wer kennt nicht Tills berühmten Namen?
Till Eulenspiegel zog einmal
Mit andern über Berg und Tal.
So oft, als sie zu einem Berge kamen,
Ging Till an seinem Wanderstab
Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
Allein wenn sie bergaufwärts stiegen,
War Eulenspiegel voll Vergnügen.
"Warum", fing einer an, "gehst du bergan so froh,
Bergunter so betrübt?" — "Ich bin", sprach Till, "nun so.
Wenn ich den Berg hinuntergehe,
So denk' ich Narr schon an die Höhe,
Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz.
Allein wenn ich bergaufwärts gehe,
So denk' ich an das Tal, das folgt, und fass' ein Herz."

Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun,
Im Unglück nicht unmäßig kränken,
So lern so klug wie Eulenspiegel sein,
Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken.


Der Wucherer

Ein Wucherer kam in kurzer Zeit
Zu einem gräflichen Vermögen;
Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit,
Nein - beschwur es oft, - allein durch Gottes Segen.
Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen
Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun
Gott zur Vergeltung zu bewegen,
Ließ er ein Hospital für arme Fromme baun.

Indem er nun den Bau zustande brachte
Und vor dem Hause stund und heimlich überdachte,
Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte,
Ging ein verschmitzter Freund vorbei.
Der Geizhals, der gern haben wollte,
Daß dieser Freund das Haus bewundern sollte,
Fragt ihn mit freudigem Geschrei,
Ob's groß genug für Arme sei.
"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier können viel Personen
Recht sehr bequem beisammen sein;
Doch sollen alle die hier wohnen,
Die Ihr habt arm gemacht, so ist es viel zu klein."


Das Vermächtnis

Oront, der in der Welt das große Glück erlebt,
Das Fürsten oft den Hirten lassen müssen,
Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen —
Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt,
Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen,
Daß keine Rettung möglich war,
Eröffnete dem Kranken die Gefahr
Und hieß ihn bald sein Haus bestellen.

Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn,
Und frei im Geist den Tod erwarten wollte,
Bat, daß man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte.
Sein Freund, sein Pylades, erschien.
"Ach", sprach Oront, nach zärtlichem Umfassen,
"Ich sterbe, und was mir Gott verliehn,
Will ich, mein Freund, dir hinterlassen:
Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn,
Und meine Frau, sie zu ernähren;
Denn du verdienst, daß sie dir angehören."

Epiktet

Verlangst du ein zufriednes Herz,
So lern die Kunst, dich stoisch zu besiegen,
Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen.
"Der Schmerz ist in der Tat kein Schmerz
Und das Vergnügen kein Vergnügen."
Sobald du dieses glaubst, so nimmt kein Glück dich ein,
Und du wirst in der größten Pein
Noch allemal zufrieden sein.
"Das", sprichst du, "kann ich schwer verstehen.
Ist auch die stolze Weisheit wahr?"
Du sollst es gleich bewiesen sehen,
Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar.

Ihn, als er noch ein Sklave war,
Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe
Zweimal sehr heftig auf das Bein.
"Herr", sprach der Philosoph, "ich bitt' Ihn, laß Er es sein,
Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein.
"Gut, weil ich dir's noch nicht zerschlagen habe;
So soll es", rief der Herr, "denn gleich zerschlagen sein!"
Und drauf zerschlug er ihm das Bein:
Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen,
Fing ruhig an: "Da sieht Er es nun!
Hab ich's Ihm nicht gesagt, Er würde mir's zerschlagen?"

Dies, Mensch, kann Zenons Weisheit tun!
Besiege die Natur durch diese starken Gründe,
Und willst du stets zufrieden sein,
So bilde dir erhaben ein,
Lust sei nicht Lust, und Pein nicht Pein.
"Allein", sprichst du, "wenn ich das Gegenteil empfinde,
Wie kann ich dieser Meinung sein?"
Das weiß ich selber nicht; indessen klingt's doch fein,
Trotz der Natur sich stets gelassen sein.


Der junge Prinz

Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen,
Bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen
*
Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn.

Er ließ nach einiger Zeit sich wieder vor ihm sehn.
Indem daß nun der Oheim mit ihm red'te,
So fragt' er ihn zu gleicher Zeit,
Ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte.

"Hier", sprach der junge Prinz erfreut,
"Hier hab' ich meine ganze Kasse;
An den zweihundert fehlt nicht ein einzig Stück."

Der Oheim nahm den Augenblick
Das Geld, und warf es auf die Gasse.
"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an,
"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden;
Ein Prinz hat darum viel in Händen,
Damit er vielen dienen kann!"

*
Eine Pistole (span. "Stückchen, Plättchen") war ursprünglich eine spanische
Geldmünze aus amerikanischem Gold, die seit etwa 1550 als doppelte
Goldkrone geprägt wurde.
Sie zeigte das spanische Wappen und die Säulen des Herakles.
Ab 1640 führten auch Frankreich und Genua die Pistole ein.
In Deutschland bezeichnete man im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts ein
goldenes Fünftalerstück oder Friedrich d'or als Pistole.

Der Kandidat

Ein Kandidat, der gern befördert werden wollte,
Lag einem sehr berühmten Mann,
Der viel vermocht, inständig an,
Daß er sein Glück ihm machen sollte,
Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war,
Dem Gönner eine Bittschrift dar.
Der Gönner las sie durch und las sie mit Vergnügen.
"Es kränkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand,
"Daß ich Sie eher nicht gekannt.
Ich lieb' und ehre den Verstand;
Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen."

Er sprach darauf mit ihm, und was der Jüngling sprach,
Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren,
Zum größten Amte nicht zu schwach
Und wert, die andern zu regieren.

"Ach", sprach der Gönner ganz erfreut,
"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre!"
Und in der größten Freundlichkeit
Ging er mit ihm bis vor die Türe.
Hier bot der Jüngling ihm ein großes Goldstück an,
Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann,
"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre;
Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an.
Ihr Herz ist schlecht!" Hier griff er nach der Türe.

Emil

Emil, der seit geraumer Zeit,
Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte
Und mehr nach der Geschicklichkeit
Zu einem Amt als nach dem Amte strebte,
Ward einst von einem Freund gefragt,
Warum er denn kein Amt noch hätte,
Da doch die ganze Stadt so rühmlich von ihm red'te,
Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt,
Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben hätte.
"Ich", sprach Emil, "will lieber, daß man fragt,
Warum man mich doch ohn' ein Amt läßt leben,
Als daß man fragt, warum man mir ein Amt gegeben."

Cotill

Cotill, der, wie es vielen geht,
Nicht wußte, was er machen sollte,
Und doch nicht müßig bleiben wollte;
Denn müßig gehn, wenn man's nicht recht versteht,
Ist schwerer, als man denken sollte;
Cotill ging also vor die Stadt,
Und machte sich etwas zu schaffen.
Er ging, und schlug im Gehen oft ein Rad.
"O", schrie man, "seht den jungen Laffen,
Der den Verstand verloren hat!
Er macht die Hände gar zu Füßen.
Ihr Kinder, zischt den Narren aus!"
Allein Cotill ließ sich dies alles nicht verdrießen.
Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus.
Man mochte, was man wollte, sagen,
Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen.

"Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!"
Fing endlich einer an zu fluchen.
"Ich möcht es doch bald selbst versuchen."
Er sagt es kaum, als er's schon tat.
"Nun", sprach er, "seh ich wohl, wie viel man Vorteil hat.
Es ist ganz hübsch um so ein Rad,
Denn man erspart sich viele Schritte.
Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat."
Den Tag darauf kam schon der dritte,
Und tat es nach. Die Zahl vermehrte sich.
In kurzem sprach man schon gelinder;
Man fragte stark nach dem Erfinder,
Und lobt ihn endlich öffentlich.

Nimm alles vor, es sei so toll es will.
Heiß anfangs närrisch wie Cotill;
Dein Beifall ist drum nicht verloren.
Sei nur beherzt, und spare keinen Fleiß,
Ein Tor findet allemal noch einen größeren Toren,
Der seinen Wert zu schätzen weiß.


Der Jüngling

Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört,
In der der Segen wohnen sollte,
Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte.
"Dort", sprach er oft, "sei dir dein Glück beschert!"
Er nahm die Reise vor und sah schon mit Vergnügen
Die liebe Stadt auf einem Berge liegen.
"Gottlob", fing unser Jüngling an,
"Daß ich die Stadt schon sehen kann.
Allein der Berg ist steil; o wär' er schon erstiegen!"

Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß.
Die größte Menge schöner Früchte
Fiel unserm Jüngling ins Gesichte.
Oh, dacht' er, weil ich doch sehr lange steigen muß,
So will ich, meinen Durst zu stillen,
Den Reisesack mit solchen Früchten füllen.
Er aß und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack
Und füllte seinen Reisesack.

Er stieg den Berg hinan und fiel den Augenblick
Beladen in das Tal zurück.
"O Freund", rief einer von den Höhen,
"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.
Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt;
Und du nimmst dir noch eine Bürde mit?
Vergiß das Obst, das du zu dir genommen,
Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen.
Steig leer und steig beherzt und gib dir alle Müh';
Denn unser Glück verdienet sie."

Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte.
Ach, Himmel, ach, es war noch weit.
Er ruht' und aß zu gleicher Zeit
Von seiner Frucht, damit er sich die Müh' versüßte.
Er sah bald in das Tal und bald den Berg hinan;
Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an.
Er sinnt. Ja, ja, er mag es überlegen.
"Steig!" sagt ihm sein Verstand. "Bemüh dich um dein Glück!"
"Nein", sprach sein Herz, "kehr in das Tal zurück;
Du steigst sonst über dein Vermögen.
Ruh etwas aus und iß dich satt,
Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat!"
Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale,
Entschloß sich oft zu gehn und schien sich stets zu matt.
Das erste Hindernis galt auch die andern Male;
Kurz, er vergaß sein Glück und kam nie in die Stadt.

Dem Jüngling gleichen viele Christen.
Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt
Und sehn darauf nach ihren Lüsten
Und nehmen ihre Lüste mit.
Beschwert mit diesen Hindernissen,
Weicht bald ihr träger Geist zurück,
Und auf ein sinnlich Glück beflissen,
Vergessen sie die Müh' um ein unendlich Glück.


Der Tod der Fliege und der Mücke

Der Tod der Fliege heißt mich dichten,
Der Tod der Mücke heischt mein Lied;
Und kläglich will ich dir berichten,
Wie jene starb und die verschied.

Sie setzte sich, die junge Fliege,
Voll Mut auf einen Becher Wein,
Entschloß sich, tat drei gute Züge
Und sank vor Lust ins Glas hinein.

Die Mücke sah die Freundin liegen;
"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun.
Am Lichte will ich mich vergnügen
Und nicht an einem Becher Wein."

Allein verblendet von dem Scheine,
Ging sie der Lust zu eifrig nach,
Verbrannte sich die kleinen Beine
Und starb nach einem kurzen "Ach"

Ihr, die ihr, euren Trieb zu nähren,
In dem Vergnügen selbst verdarbt,
Ruht wohl und laßt zu euren Ehren
Mich sagen, daß ihr menschlich starbt.

Die beiden Knaben

Ein jüngrer und ein ältrer Bube,
Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube
Vom Buche zu dem Garten rief,
Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief,
Gerieten beide an eine Grube,
In der der Schnee noch nicht zerlief.
"Ach, Bruder", sprach der kleine Bube,
"Was meinst du, ist das Loch wohl tief?
Ich hätte Lust" —
"Was? Lust, hineinzuspringen?
Du mußt doch ausgelassen sein!
Versuch es nicht und spring hinein,
Du könntest dich ums Leben bringen.
Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun,
Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden
Und kindisch Schnee und Eis durchwaten.
Und kommst du drauf zum Vater naß hinein,
So hast du's da erst auszubaden."
Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein.
"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?"
Und kurz und gut, er sprang hinein
Und ließ sich's wohl in seiner Grube sein;
Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen,
So sprang der Philosoph so gut wie er hinein.

Dies ist die Kunst der strengen Moralisten:
Bekannt mit dem System und von Grundsätzen voll,
Beweisen sie das, was man lassen soll,
So froh, als ob sie nichts von den Begierden wüßten.
Sie sind von besserem Ton als wir,
Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse;
Uns Armen ist die Torheit süße,
Doch ihnen ekelt nur dafür.
Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen,
Aus gutem Herzen andern sehn
Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn.
Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schämen,
Begehn die Tat, die sie uns übel nehmen,
Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn.


Der junge Gelehrte

Ein junger Mensch, der viel studierte
Und, wie die Eltern ganz wohl sahn,
Was Großes schon im Schilde führte,
Sprach einen Greis um solche Schriften an,
Die stark und sinnreich denken lehrten,
Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten.

Der Alte ward von Herzen froh
Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero,
Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit,
Die mit den heiligen Lorbeerkränzen
Der Dichtkunst und Wohlredenheit,
Umleuchtet von der Ewigkeit,
Den Jünglingen entgegenglänzen.
"Oh", hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an,
"Ich habe sie fast alle durchgelesen;
Allein" — "Nun gut", sprach der gelehrte Mann,
"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen,
So muß Er sie noch zweimal lesen;
Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen,
So sag' Er es ja den Klugen nicht;
Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht,
Und heißen Ihn die Zeitung lesen."

Der Knabe

Ein Knabe, der den fleißigen Papa,
Oft nach den Sternen gucken sah,
Wollt' auch den Himmel kennen lernen.
Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn
Und sah begierig nach den Sternen;
Allein er konnte nicht viel sehn.
"Was heißt es denn", sprach drauf der Knabe,
"Daß ich fast nichts erkennen kann?
Ha, ha, nun fällt mir's ein, was ich vergessen habe;
Mein Vater fängt es anders an:
Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan.
Oh, bin ich nicht ein dummer Knabe!
Schon gut! Nun weiß ich, was ich tu!"
Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu
Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen.
Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst,
Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen,
Dir die Vernunft vorher entziehst.

Die Guttat

Wie rühmlich ist's, von seinen Schätzen
Ein Pfleger der Bedrängten sein
Und lieber minder sich ergötzen,
Als arme Brüder nicht erfreun!

Beaten fiel heut ein Vermögen
Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu.
"Nun", sprach sie, "hab ich einen Segen,
Von dem ich Armen Gutes tu."

Sie sprach's. Gleich schlich zu seinem Glücke
Ein siecher Alter vor ihr Haus
Und bat, gekrümmt auf seiner Krücke,
Sich eine kleine Wohltat aus.

Sie ward durchdrungen von Erbarmen
Und fühlte recht des Armen Not.
Sie weinte, ging und gab dem Armen
Ein großes Stück verschimmelt Brot.

Der Lügner

Ihr Meister in der Kunst zu lügen,
Rühmt euren Witz, schlau zu betrügen;
Soviel ihr uns davon erzählt,
So wett’ ich doch, daß euch die rechte Lust noch fehlt.
Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen,
Wird euch den Vorzug streitig machen.


In London saß ein böser Bube
Nebst einem andern auf den Tod.
Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube
Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.
*
Doch Niklas schwor, daß ihn der Teufel holen sollte,
Eh' er für diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte.

"Herr", schrie der andre Delinquent,
"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln könnt?
Laßt seinen magern Leib den Raben.
Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben.
Und wißt Ihr, was Ihr geben sollt?
Ich will es billig mit Euch machen:
Drei Gulden. Bin ich tot, so schneidet, wie Ihr wollt,
Ich will von keinem Schnitt erwachen."
Kaum hatt' er noch das Geld empfangen,
So rief der witz'ge Delinquent:
"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen könnt;
Ich werd' in Ketten aufgehangen!"

*
Es ist –oder war -in London der Brauch, daß die Ärzte den verurteilten
Missetätern ihren Leib abkaufen.


Die Nachtigall und der Kuckuck

Die Nachtigall sang einst ihr göttliches Gedicht,
Zu sehn, ob es die Menschen fühlten.
Die Knaben, die im Tale spielten,
Die spielten fort und hörten nicht.
Indem ließ sich der Kuckuck lustig hören,
Und er erhielt ein freudig Ach.
Die Knaben lachten laut und machten ihm zu Ehren
Das schöne »Kuckuck« zehnmal nach.
"Hörst du?" sprach er zu Philomelen.
"Den Herren fall' ich recht ins Ohr.
Ich denk', es wird mir nicht viel fehlen,
Sie ziehn mein Lied dem deinen vor."

Drauf kam Damöt mit seiner Schönen.
Der Kuckuck schrie sein Lied; Sie gingen stolz vorbei.
Nun sang die Meisterin der zauberischen Töne
Vor dem Damöt und seiner Schönen
In einer sanften Melodei.
Sie fühlten die Gewalt der Lieder.
Damöt steht still, und Phyllis setzt sich nieder
Und hört ihr ehrerbietig zu.
Ihr zärtlich Blut fängt an zu wallen;
Ihr Auge läßt vergnügte Zähren fallen.
"Oh", rief die Nachtigall, "da, Schwätzer, lerne du,
Was man erhält, wenn man den Klugen singt.
Der Ausbruch einer stummen Zähre
Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre,
Als dir der laute Beifall bringt."

Der Freier

Ein Freier bat einst einen Freund,
Ihm doch ein Mädchen vorzuschlagen.
"Ich will dir zwei", versetzte jener, "sagen;
Dann wähle die, die sich für dich zu schicken scheint.
Die erste hat nebst einem Rittersitze
Ein recht bezauberndes Gesicht,
Liebt den Geschmack, spricht mit dem feinsten Witze
Und schreibt die Sprachen, die sie spricht.
Sie spielt den Flügel schön und kann vortrefflich singen
Und malet so geschickt, als es die Kunst begehrt,
Und in der Wirtschaft selbst gibt sie gemeinen Dingen
Durch ihre Sorgfalt einen Wert.
Allein bei aller Kunst und allen ihren Gaben
Hat sie kein gutes Herz.

Die andre sieht nicht schön,
Wird wenig im Vermögen haben
Und von den Künsten nichts, die jene kann, verstehn;
Doch bei Verstand und einem stillen Reize,
Der, ohne daß sie's sieht, gefällt,
Besitzt sie, frei von Stolz und Geize,
Das beste Herze von der Welt.
Was tätst du wohl, wenn dich die erste haben wollte?"
"Ach", fing der Freier an, "wenn dies geschehen sollte,
So spräche ich zu der ersten ›nein‹,
Um dadurch bald der andern wert zu sein."

Philinde

Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn;
Denn alles kann man fast den Schönen,
Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn
Und zu bewundern, abgewöhnen.
Dies ist der Ton, aus dem die Männer schmähn;
Doch, Mädchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn!
Ich laß es herzlich gern geschehn.
Was wolltet ihr auch sonst wohl machen?
Beständig tändeln, ewig lachen
Und stets nach den Verehrern sehn?
Dies wäre ja nicht auszustehn!

Genug, das schöne Kind, von der ich erst erzählte,
Bespiegelte sich oft, und musterte das Haar
Und besserte, wo nicht das mindeste fehlte.

Ihr Bruder, der ein Autor war,
Sah sie am Spiegel stehn und schmähte.
"Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn?
Ich geh es zu, Ihr seid sehr schön;
Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn,
Verrät ein gar zu eitles Wesen."
"Herr Autor", sprach sie, "der Ihr seid,
Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen,
Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit."