Fabelverzeichnis
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Buch 5
 
Äsop und die drei Tiere
Der Affe und seine Jungen
Der Tiger und der Fuchs
Fortsetzung dieser Fabel
Fortsetzung dieser Fabel
Fortsetzung dieser Fabel
Der Wolf und der Jäger
Der Jäger und der Hund
Fortsetzung dieser Fabel
Der Mensch und die Erscheinung
Der Zephyr und der Wanderer
Die zwei Esel und der Löwe
Die zwei Esel und der Fuchs
Der Gärtner und die Stadtmauer
Der Wolf und die Lämmer
Der Affe und der Pfau
Der Fuchs und der Esel
Die Geschichte des Wolfes Isegrim
Fortsetzung dieser Fabel
Fortsetzung dieser Fabel
Fortsetzung dieser Fabel

Äsop und die drei Tiere


Der Wolf, der Fuchs und der Esel kamen zum Äsop und fragten ihn: "Warum sind just wir drei
der ewige Gegenstand deiner Fabeln? Warum schreibst du doch immer am öftesten von uns?"
Äsop antwortete: "Ich rede nicht von euch. Ich bessere die Sitten der Menschen, und
suche jene Laster zu tilgen, die unter ihnen am meisten im Schwange gehen. Darum
wähle ich auch Tiere, die den Menschen in ihren Handlungen am ähnlichsten sind."

Der Affe und seine Junge

Ein Affe liebte seine Jungen so, wie es alle Affenmütter pflegen. Er küßte sie, er drückte
sie. Endlich küßte er eines davon so sehr, daß es ihm tot an der Brust liegen blieb.

Wie viele ähnliche Beispiele und böse Folgen haben wir nicht auch unter uns Menschen
erlebt, wenn die Mütter Affen sind.

Der Tiger und der Fuchs

(1)
Der Tiger, welcher sich schon lange gerne auf den Thron des Tierreiches erhaben
gesehen hätte, fiel in der Königswahl durch.
Mißvergnügt ging er von der Wahl zurück, und im nach Hause gehen sagte er zu den
Fuchsen: Warum habt ihr denn mich nicht zum König gewählt? Ich dächte, ich wäre doch
eben so würdig gewesen, als der Löwe.
Du magst es von dir gedacht haben, antwortete der Fuchs; allein wir haben es nicht
gedacht.

Fortsetzung dieser Fabel 1
(2)
Der unzufriedene Tiger ging mit dem Fuchsen etliche Feldwege fort, und dachte noch
immer an die unglückliche Wahl zurück. Endlich sagte er wiederum voll des Verdrusses
zu ihm: "Und warum soll ich nicht ebenso würdig gewesen sein, König zu werden? Bin
ich nicht eben so schön als der zottige Löwe? — nicht eben so ansehnlich als er?"

Der Fuchs sagte hierauf nichts anderes als: "Wenn die Menschen das Recht zu wählen
gehabt hätten, möchtest du wohl vielleicht König geworden sein; allein wir Tiere wählen
nicht nach dem äußerlichen Ansehen.

Fortsetzung dieser Fabel 2
(3)
Der Tiger wurde noch immer mißvergnügter. Stolz auf seine Eigenschaften setzte er noch
mal an den Fuchsen, und sagte: Aber bin ich denn nicht auch eben so stark als der Löwe?
So stark? erwiderte der Fuchs, mag sein — Gewiß aber nicht so großmütig.
Ein König im Tierreiche muß nicht nur zerreißen, sondern auch verschonen können.

Fortsetzung dieser Fabel 3
(4)
Und nun käme mich wohl die Lust an, dich auf der Stelle zu zerreißen. So schäumte der
Tiger voll Zornes, und machte Mine, als wenn —
Der Fuchs erschrak auf die Drohung nicht, denn er verließ sich auf seine Füße. Er sagte
vielmehr dem Tiger unerschrocken ins Gesicht: Sieh nun, daß du des Thrones unwürdig
bist weil du die Wahrheit nicht leiden kannst.

Der Wolf und der Jäger

Wolf Isegrim geriet in eine Fallgrube, da er eben ein Lamm zu Tode biß.
Als ihn nun auch der Jäger töten wollte, sagte er zu ihm: Was habe ich denn dir Leides
getan, daß du mich töten willst?
Was hat denn dir das Lamm Leides getan widersetzte der Jäger, und erschlug ihn.

Der Jäger und der Hund

(1)
Niemals kann man vorsichtig genug zu Werke gehen. Wenn man aber gar blindlings in
eine Sache fährt, so kann nichts anderes als Irrtum und Reue folgen.
Ein Jäger sah seinen eignen Hund im Laufe für einen Fuchsen an, und versetzte ihm
einen tödlichen Schuß.
Als er seinen Irrtum sah, reuete es ihn sehr, und er verwünschte die Kugel, die so gerade
hin getroffen hat.
Weder dein Irrtum, noch deine Reue erhält mich beim Leben mehr, sagte der sterbende Hund
Oder werde ich nun minder tot sein, als wenn du mich geflissentlich erschossen hättest?

Fortsetzung
(2)
Der Jäger ließ den Hund in seinem Blute liegen und ging davon.
Dies schmerzte den Hund noch weit mehr, als selbst der Tod. Nachdem ich meinem
Herrn so lange und so getreu gedient habe, muß ich nun diesen Undank sehen? sagte er.
Gut daß ich ihn nicht lange mehr sehe! — so seufze er und starb.

Lieber Leser hast du nicht auch viele Menschen in ihrem hohen Alter also seufzen
gehört, und auf diese Art sterben gesehen?

Der Mensch und die Erscheinung

Eine Göttin mit einer bärtigen Stirne, nackten Leib und kahlem Kopfe, so wie sie Phädrus
malte, erschien einem Menschen, der sich immer groß, immer recht, immer ansehnlich
zu werden wünschte, und blieb eine Weile vor ihm stehen.

Wer bist du, ehrwürdige Göttin? fragte der Vorwitzige.

So lange ich da bin, erfährst du es nicht, war die Antwort; wenn du aber klug wärest,
so solltest du aus deinen Umständen wissen, wer ich bin.

Der unerfahrene Mensch dachte immer noch weiter nach. Indessen eilte die Göttin mit
schnellen Schritten von ihm weg, und im Weggehen sagte sie: Ich bin die Gelegenheit.
Warum hast du mich nicht ergriffen, von nun an werde ich nicht mehr so nahe zu dir
kommen.

Der Zephyr und der Wanderer

Lieblich bewegten sich die Baumblätter, da ein gelinder Zephyr blies, und ergötzten einen
Wanderer, der im heißesten Sommertage unter einem Baume lag.
Beweget euch doch immerfort, rief der Wanderer! — Wie angenehm ist mir euer
sanftes Säuseln. Wie ungemein erquicket mich eure Bewegung!
Der Zephyr hörte es, und ließ zu blasen nach, und der Wanderer fand sich seiner
Erquickung beraubt.

Oft bleiben uns Gutachten aus, wenn wir sie denjenigen nicht zuschreiben, die sie
bekommen.

Die zwei Esel und der Löwe

(1)
Zwei Esel zankten sich über einen Gegenstand, worüber sich nur die Philosophen im
Tierreiche mit Ehren zanken könnten.
König Löwe sollte nun entscheiden, wer von beiden vernünftiger von der Sache
gesprochen hätte.
Von euch beiden? — sagte Richter Löwe, und lächelte. — Wer wird eure Sache
entscheiden? — Wisset ihr denn nicht, daß ihr beide Esel seid?

(2)
Die zwei Esel und der Fuchs

Die zwei Esel gingen mißvergnügt aus dem Richthause fort, und murrten, und erzählten
den Bescheid des Löwen Reineke Fuchs, der ihnen eben auf dem Weg entgegen kam.
Der Bescheid ist einmal zu unbillig, sagten sie, — einmal zu verächtlich für unser ganzes
Geschlecht. Was ist zu tun? — Wir wollen unsere Brüder zusammenrufen. — Wir wollen
Rat halten. —
Ja! — fiel ihnen der alte Reineke in die Rede. — Ja, — und wenn von eurem Geschlechte
auch hundert zusammenkommen, was werdet ihr erraten?

Der Gärtner und die Stadtmauer

Wie schön läge nicht ein Blumenbeet wo du stehst, sagte der Gärtner zu der Stadtmauer.
— Wie angenehm stünde nicht ein Garten da! — Wie reizend wäre die Aussicht von den
Palästen in die Felder, die du hinderst! —
Ganz recht! antwortete die Stadtmauer. Wie aber? — Wenn jemals ein Feind vor die
Stadt rückte, und hier den geraden Weg hereindränge, wo ich ihn doch gehindert hätte.

Nicht alle Projekte sind gut, die nicht für alle Umstände gut sind.

Der Wolf und die Lämmer

Ich bin der ehrlichste Wolf von der Welt sagte Isegrim, und predigte also bei einem
Schafstalle zum Fenster hinein. Niemals hab ich ein Lamm geraubt. Niemals einer Herde
nachgestellt. Habe ich je ein Projekt gemacht, so zielte es bloß auf eure Wohlfahrt. Meine
Verleumder sagen mir zwar viel nach, allein —
Spare deine Worte, mein lieber Isegrim, rief ihm das älteste Lamm entgegen. Dies war
immer die Sprache derer, die uns am meisten geschadet haben. Die Worte sind
zuckersüß, aber — nein! keins von uns geht aus dem Stalle —

Der Affe und der Pfau

Dein Söhnchen ist nicht schön, sagte der Pfau zu dem Affen, alle Tiere sagen es.
Selbst vom Esel habe ich es gehört.
Und wenn es auch allen nicht gefällt, antwortete der Affe, so gefällt es doch mir.

Meine Herren Autoren! wie viele Affen gibt es nicht unter euch!

Der Fuchs und der Esel

Reineke Fuchs nahm einen jungen Esel an Kindes statt an, und dachte aus ihm einen
Statisten im Reiche der Tiere zu machen.
Fünfzig Jahre blieb der Esel Reinekens Sohn, und es wurde doch kein schlauer Fuchs
daraus, sondern er blieb immer der Esel, der er vor fünfzig Jahren war.

Nicht aus jedem Holze läßt sich ein Merkur schnitzen.

Die Geschichte des Wolfes Isegrim

(1)
Isegrim, ein Wolf, der einem Hunde sehr ähnlich war, schlich sich an das Ecke eines
Schafstalls, und lauerte auf Beute. Der Hirt sah ihn wirklich für seinen Hund an. Du sollst
aber nicht hier liegen, sagte er zu dem vermeinten Hunde, sondern vor der Türe, wo ich
dich hingestellt habe.
Hierauf gab er ihm einen Streich mit dem Hirtenstabe; der Wolf schrie, und verriet durch
sein Heulen, daß er ein Wolf war.

Fortsetzung 1
(2)
Hier hat es nicht geraten, dachte mein Isegrim, und begab sich zu einem Hirten, der auf
einem weiten Felde seine Lämmer weidete. Sieh! ich bin ein Wolf, sagte er zu demselben.
Ich weiß alle Künste, wie dir meine Brüder die Schafe rauben. Ich will dir aber einen
Vorschlag machen, wodurch du deine Schafe von allen unsern Nachstellungen sicher
stellen kannst.
Du? — einen Vorschlag? — antwortete der Hirt. Packe dich! Ich weiß zum
voraus, daß du den Vorschlag nicht für mich, sondern für dich machen würdest.

Fortsetzung 2
(3)
Der Wolf war hier nicht nur abgewiesen, sondern er trug auch derbe Schläge davon.
Er wollte sich zwar mit der Flucht retten; allein die Hirtenknaben verfolgten ihn.
Er lief — und sprang und fiel — wohin? in eine Fallgrube.

Fortsetzung 3
(4.)
Nun rief er aus seiner Grube um Hilfe. Niemand nahm sich seiner an. Die Tiere spotteten
nur seiner, und sagten: "Sehet! — hier liegt er, der stolze Isegrim! — Ehemals trat er uns
allen auf die Köpfe, und schwang sich durch unser Unglück. — Lasset ihn liegen. —
Er ging in Hundskleidern herum, und macht allenthalben Vorschläge, — nicht für uns,
sondern für sich. — Unser gemeines Beste mußte ihm zur Decke dienen, worunter er
seine eigennützigen Absichten verbarg. Lasset ihn liegen!

Ungefähr ging König Löwe vorbei, zu welchem er eben öfter in Hundskleidern kam, und
Vorschläge zum Besten des Tierreiches machte. Auch diesen bat er um Hilfe. König Löwe
ging aber vorbei, und sagte mit einer majestätischen Miene: Ich habe dich nicht gekannt,
daß du ein Wolf bist. Du bist meiner Hilfe unwürdig.

Vorschläge, welche die Wohlfahrt des Staates zu Grunde haben; diese sind nötig.
— Diese sind nützlich. — Allein! eigennützige Staatsklügler! möchte euch doch Isegrims
unglückliches Ende klüger machen!