Der Wolf und der Marder
Fürst Wolf bekam einst Appetit
Nach Hühnerfleisch, und ließ den Marder kommen:
Mein Sohn, sprach er, wie ich vernommen,
Besuchet oft dein schlauer Tritt
Im finstern die Menagerien
Der Tauben, ringsumher im Land,
Und weiß geschickt der Feindeshand
Mit dem geraubten zu entfliehen;
Nun hab ich schon geraume Zeit
Ein Recht, wonach seit vielen Jahren,
Die Hühner, der Gerichtsbarkeit
Des Wolfes unterworfen waren,
Nicht mehr so streng und ungeniert,
Wie sonst gewöhnlich, exerziert:
So gehe denn, mein Sohn, und fange
Mir jetzt aus jedem Hühnerhaus
Gewissenhaft den Zehnten aus
Und fei bei deiner Pflicht nicht bange;
Nur, was ich bitte, liefre fein
Bei Hofe das Geflügel ein!
Der Marder, stets bereit zu schaden,
Nahm freudig diese Vollmacht an,
Und fiel nunmehr mit scharfem Zahn,
Gar manche Henne, manchen Hahn,
Wie sonst die armen Täubchen an,
Und setzte sich durch jeden Braten
Bei seiner Durchlaucht baß in Gnaden.
Ein Bauer aber, der sich schlecht
Auf Zehend und verjährtes Recht
Verstand, errichtete eine Falle
Mit List vor seinem Hühnerstalle.
Der Marder kam nach Wunsch und Sinn:
Schnaps! hing der Schadenfroh darin
Und schrie gewaltig in der Zwicke:
Fürst Isegrim! zu Hülf! Ich bin
Gefangen hier durch lose Tücke:
Doch seine Durchlaucht hörten nicht;
Der Bauer aber schlug ein Licht,
Und kam und griff den Bösewicht
Mit plumpen Tatzen beim Genicke:
Willkommen schlauer Hühnerhacht!
Willkommen hier in meiner Klemme!
Ach, rief der Marder aus, ach hemme
Den Zorn, mein Herr! In deine Macht
Hat mich Dienstfertigkeit gebracht:
Mein Fürst, der Wolf, hat es befohlen
Nie hätt' ich sonst daran gedacht,
Ein einzig Hühnlein abzuholen;
Ist aber doch dein Grimm so groß,
So räche am Wolf dich nach Belieben,
Der mir die Kniffe vorgeschrieben,
Und lasse mich Unschuld'gen los.
Was? los dich lassen? O du schlauer
Und schadenfroher Hühnerhacht!
Dich hab ich jetzt in meiner Macht
Und nicht den Wolf, versetzt der Bauer;
Und unverhörter Sachen, brach
Dem Marder das Genick ein Schlag.
Der schlummernde Knabe
und die Göttin des Schicksals
Ein sorgenfreier Knabe schlief
Am Felsenabhang ein:
Ihn sah die Schickung, kam und rief:
Wach auf mein Kind! der Sturz ist tief
Und die Gefahr nicht klein;
Wie leicht geschieht's, du wendest dich
Und schmetterst dein Gebein:
Dann, liebes Kind, beklagen sich
Die armen Eltern über mich,
Nur über Mich allein!
Die beiden
Opfersäckchen
Geziert mit einer Silberschelle,
Hing einst im Chor der Hofkapelle
Ein Opfersack im Galakleid,
Und im Gewand der Dürftigkeit
Sein Herr Kollege ihm an der Seite.
Kein Silberschellchen, kein Geschmeide
Verschönte den; sein ganzer Staat
War schwarzer kirchlicher Ornat.
Wie nun auf Erden Stolz und Neid
Sich unter Nachbarn nie vertragen:
So ging's auch hier: die Brüder lagen
Das liebe lange Jahr im Streit;
Denn jener baute Ruhm und Größe
Nur auf des Glanzes Herrlichkeit,
Und dieser schalt in seiner Blöße
Gut mönchisch über Eitelkeit:
Was schert mich Silber oder Seide?
Sprach er, an uns sind Königspracht
Und Haderlumpen gleichgeacht't;
Denn Herr! im Grunde sind wir beide
Zwei — Bettler im verschiednen Kleide.
Nein! schrie der Küster, und bedräute
Den Räsonneur im Spötterton:
"Bei Hofe, dächte ich, war es schon
Entschieden: Kleider machen Leute!"
Die Mutter Maus
und ihr Sohn
Was du tust, geliebtes Kind!
Hüte dich vor allen Dingen
Vor dem Gift, das dich geschwind
Könnt' um Leib und Leben bringen
Tausend Mäuse starben schon
An der mörderischen Speise;
Nimm dich denn auf deiner Reise
Vor dem Gift in Acht, mein Sohn!
Einmal nur in meinem Leben.
Roch ich dran: Noch macht' ich schier
Mich vor Ekel übergeben,
So zuwider war es mir.
Einer meiner Anverwandten
Starb vor deiner Zeit daran.
Als wir ihn im Sterben sahn,
Glaube liebes Kind, da kannten
Wir den Armen nicht einmal.
Aufgetrieben zum Entsetzen
Lag er da: Die Todesqual
Die er litt, ist nicht zu schätzen.
Also stattet eine Maus
Ihren Sohn, nebst andern Lehren,
Sonderlich mit dieser aus,
Eh er, um sich selbst zu nähren,
Seiner Mutter Burg verließ,
Und, bald wieder heimzukehren,
Ihr mit Hand und Mund verhieß.
Kaum war er noch eine Stunde
Weg aus seiner Mutter Blick,
Kam er schon, mit vollem Munde,
Jubelvoll zu ihr zurück:
"Mutter," rief er, "liebe Mutter!
O, was hab ich schon entdeckt!
Einen Teller voller Futter,
Das wie Mehl und Zucker schmeckt."
"Ach, du warst doch nicht vermessen,"
Rief die Alte, "gar davon,
Wie es scheinen will, zu essen?" —
"Freilich aß ich!" sprach der Sohn. —
"Himmel! so bist du verloren!"
Rief die langerfahrne Maus,
Ihren Sohn umarmend, aus,
Weh mir, daß ich dich geboren!
Das war Gift . . . ."
"Ach Mutter, nein!"
Fiel der junge Näscher ein;
"O, so süß wie Honigkuchen
War es ja — Nun wißt ihr doch
Daß das Gift ganz anders roch?
Kommt, das Mehl nur zu versuchen!"
Aber ehe dies geschah,
Lag am weichen Mutterherzen,
Aufgeschwellt, mit Todesschmerzen
Ringend, unser Mäuschen da.
* * *
Lehrer! die ihr euch der Jugend,
Unsrer Welt zum besten weiht,
Zeiget früh den Reiz der Tugend
Und des Lasters Häßlichkeit;
Doch ihr fehlt, wenn ihr verschweiget,
Daß das Laster im Genuß
Honigsüß hinunterschleichet,
Und den Schmerz und Überdruß
Erst durch den Erfolg erzeuget.
Die beiden Äpfel
Es hing einmal an einem Zweig,
Rotwangig und an Größe gleich,
Ein feines Erstlings - Apfel - Paar,
Wie kaum in Eden eines war.
Doch eh des Gärtners Hand, geschickt,
Die frischen Zwillingsbrüder pflückt,
Ward einer faul, und bald nachher
Sein Nachbar auch so faul wie er.
Als dies der kluge Gärtner sah,
Sprach er zum Sohne: "Siehe da
Mein liebes Kind, und lerne dran:
Nichts steckt so leicht als Faulheit an!"
Schmied Matz und
sein Spitz
Vor Meister Matzens Feuerstätte
Lag Spitz, sein Hofhund, an der Kette,
Dem man, von des Gehämmers Laut
Betäubt, des Hauses Hut vertraut.
Allein, versenkt in süßen Schlummer,
Lag Spitz, von keiner Macht erweckt,
Vor seinem Hüttenloch, mit dummer
Behaglichkeit aufs Ohr gestreckt.
Ein Bettler, der sich auf die Schnitte
Des Junkers Käsebier verstand.
Kam eben vor die Tür, und fand
Kein offnes Ohr für seine Bitte.
Hui, dachte der verwegne Hacht,
Hier ist die Losung: Eile heute!
Das Bubenstück war kaum gedacht,
So war es auch ins Werk gebracht,
Und ehe Spitz vom Traum erwacht,
Schlich schon der Bösewicht, voll Freude,
Sich mit dem leichtverdienten Lohn
Des feilen Wagestücks davon.
Itzt ward der Feuergötter Pochen
Vom süßer tönenden Geschell
Der Abendglocke unterbrochen,
Sieh, da kam Spitz, der Wächter, schnell
Aus seiner Hütte vorgekrochen.
Hyänenhungrig lief und sprang
Er nun, beim ersten Tellerklang,
Umher mit zerberischem Bellen,
Zog marrend an der Kette, schwang
Und rüttelte des Halsbands Schellen.
Zum Unglück hatte Meister Matz
Gerade den geraubten Schatz
Im Schrank vermißt, und lief mit Wüten
Auf Spitzen, der das Haus zu hüten
Vergessen hatte, fluchend zu:
Kusch! rief er aus, du Fresser du,
Erwachst sogleich aus deiner Ruh,
Beim ersten dumpfen Klang der Schüssel;
Beim Hammerdonner schläfst du ein,
Und läßt dem Diebsgesindel fein
Zu meinen Batzen freie Schlüssel?
Geduld! schon weiß ich, was dir fehlt:
Ein Dutzend Hiebe statt dem Fressen!
Und diese wurden, wohlgezählt,
Dem Siebenschläfer vorgemessen.
* * *
Wie mancher Quietist verschlief
Sein Lebensziel, war ihm gegeben,
Vom Schlafe wie vom Brot zu leben;
Allein, der Welt zur Plage, rief
Ihn aus dem Schlummer jederzeit
Kaffeedurst und Gefräßigkeit.
Der Rangstreit
Die Ofenzunft geriet vorzeiten,
Erzählet uns ein Fabulist,
Ums Punktum aller Kleinigkeiten,
Um Rang, um bloßen Rang in Zwist.
Ob wahr, ob's auch nur möglich ist,
Das hat, wie jeder selbst ermißt,
Ein Fabulist nicht zu entscheiden:
Genug! die Öfen sollen streiten.
Doch wie sie stritten, lassen wir
Der Kürze wegen unentschieden,
Und sind, auf Treu und Glauben, hier
Mit der Versichrung schon zufrieden:
Sie gründeten den ganzen Streit,
In den sie lächerlich gerieten,
Bloß auf den Grad der Nutzbarkeit.
Ah Possen! lauter Nullitäten!
Von nichts als Nutzbarkeit zu reden!
Hob ganz zuletzt das Öfelein
Des Alchimisten an zu schrein:
Ich geb euch allen keinen Scherben
Für eure ganze Nutzbarkeit;
Die ist fürwahr zu unsrer Zeit
Kein Mittel, Ehre zu erwerben.
Dies zu beweisen, sehet ihr
Mich selbst vor euern Augen hier;
Denn meiner wird von Alchimisten
Noch immer ehrenvoll gedacht,
Obgleich mein Amt, seit Trismegisten,
Nicht Einen reich, und Tausend arm gemacht.
Der junge Goldwolf
Einst fand auf einer Streiferei
Ein junger Goldwolf eine Beute.
Sein lärmendes Uhah - Geschrei,
Zog von der Nähe und von der Weite
Bald seine Brüder all' herbei:
"Da Brüder seht!"
* * *
Was hilft uns sehen?
Versetzten die. Dem Auge nicht,
Dem Magen mangelt ein Gericht,
Und raps! war's um den Fund geschehen.
* * *
Ist dir ein Glück, o Freund, beschert:
So schweige! Die Erfahrung lehrt
Wie leis das Ohr des Neiders hört;
Leicht bist du sonst darum betört,
Zum mindesten im Besitz gestört.
Hirt Mycon und Jupiter
Hirt Mycon, dem sein Feind, Menalk,
Die schönsten Kühe raubte,
Ergriff auf frischer Tat den Schalk,
Als er sich sicher glaubte.
Die besten Stücke fehlten schon
Der buntgefleckten Herde:
Da brachte Mycon vor den Thron
Der Götter die Beschwerde.
Das leugnest du, zürnte Jupiter,
Das leugnest du dir zur Schande!
So fromm, wie der Arkadier
Ist keiner mehr im Lande.
Wo ist der Hirt, der unsern Ruhm
Erhabener besinget,
Und öfter vor das Heiligtum
Der Götter, Opfer bringet?
Ja, sprach der Hirt, erst stiehlt er mir
Die trächtige Kuh vom Haufen,
Und opfert dann ihr Kälbchen dir,
Die Strafen abzukaufen.
Der Mensch und die
Schwalbe
Die Schwalbe kam, von leichter Luft getragen,
Zum Throne Jupiters und sprach:
O Schöpfer höre meine Klagen!
Nun eil' ich schon, mit leerem Magen,
Den ganzen lieben langen Tag
Den fliegenden Infekten nach,
Und weiß doch kaum die Notdurft zu erjagen.
Unnütze Dinge schufst du ja,
Getreid, Gemüs und Obst im Überflusse:
Nur ach! für mich zum Wohlgenusse
Sind viel zu wenig Fliegen da,
Und dennoch seh ich meinesgleichen
Viel Tausende die Luft durchstreichen,
Und so — wie kann es anders sein? —
Reißt Nahrungsneid und Mangel ein.
Ach Gott! daß doch in allen Ähren,
Statt der Gesäme, Fliegen wären!
Der Herrscher winkt — Ihm untertan,
Sah man, auf sein gebietend Winken,
Den Menschen seinem Throne nahn
Und auf die Stufen niedersinken.
Des Vogels dreister Wunsch, ward jetzt
Ihm kund getan — und ganz erhitzt
Sprang er empor: Hilf Gott in Gnaden!
Laß ferner unsre schönen Saaten,
Und Kraut und Obst und süßen Wein,
Nur Ungeziefer nicht, gedeihn!
O daß auf Erden lauter Ähren
Statt der verdammten Fliegen wären!
Wie würd' die Welt, die du allein
Für Menschen schufst, so glücklich sein!
Hier zürnt der Donnerer, und hielt
Den Blitz auf ihn gezückt — Es zielt
Sein Adler auf die Schwalbe nieder;
Doch Jupiter entschloß sich wieder
Den Unzufriednen zu verzeihn,
Und groß durch Lindigkeit zu sein.
Wer schuf die Welt, ihr stolze Neider!
Sprach er, für Ein Geschöpf allein?
Vom Menschen schuf ich, bis zum Stein,
Die stufenreiche Schöpfungsleiter,
Und über jede Stufe wacht
Das Aug der Vorsicht ewig heiter;
An Eine Staffel dieser Leiter
Hat nie ein Gott Allein gedacht.
Die Katze und die
Nachteule
Als einst um Jagdgerechtigkeiten
Die Katz und Eule sich entzweiten,
Da schalt, wir wissen nicht warum,
Das Katzenvieh die Eule dumm.
Was? knackte diese wie besessen,
Was? dumm? Ich dumm? O wie vermessen!
Verwegnes Aas entferne dich!
Hat nicht die Feindin aller Toren,
Die weise Pallas selbst mich
Zu ihrer Lieblingin erkoren?
Ha, stolze Philosophin! schrie
Die Katz, hat deine Weisheit keinen
Beleg als den, dann, sollt' ich meinen,
Stand's gar erbärmlich schlecht um sie.
Daß dich, o Stax, ein Fürst, ein König
Zum Günstling ausersah, beweist
Nichts für dein Herz; für deinen Geist
Im höchsten Fall der Not nur wenig.
Der frevelnde Freigeist
Verdrießlich über sein Geschick,
Spie einst ein Narr gen Himmel auf;
Der Speichel aber fiel zurück,
Und fiel ihm auf die Nase drauf.
Der du so lächerlich und klein
Der Vorsicht trotzest, Erdensohn!
Bespiegle dich, und mache fein
Auf dich die Applikation.
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