Jupiter, die vierfüßigen Tiere und die Fische
Die vierfüßigen Tiere schickten eine Gesandtschaft auf den
Olymp. "Großer Zeus!"
sprachen die Abgeordneten. "Die Meere nehmen einen
ungeheuren Platz auf deinem
Erdboden ein. Laß deine Blitze die Hälfte auflecken, daß
Wälder von deinem heiligen
Baum aus dessen Abgründen hervorwachsen, und wir es
bevölkern können. Löwen und
Elefanten, und Herden von Hirschen werden dich herrlicher
verkündigen, als die
stummen Fische, die jetzt seine Tiefen bewohnen."
Die Fische hatten von dieser Sendung gehört, und schickten
gleichfalls Abgeordnete aus
ihrem Mittel an den Fuß des Berges: "Großer König!" riefen
diese. "Die Meere werden
unsern Scharen zu enge. Schüttle dein Haupt, daß die Hälfte
des festen Landes einstürze,
und die Wogen über die Gebirge hinströmen. Prächtig ist der
Anblick deines Wasserreiches,
wo die Walfische spielen, und aus ihren Nasenlöchern Ströme zu deinem
Himmel aufsprudeln!"
Zeus antwortete beiden: "Ich habe dem Meere und dem Lande
Grenzen gesetzt, die sie nicht
überschreiten sollen. Ich liebe Elefanten und Walfische.
Aber Gerechtigkeit ist der Grundpfeiler
meines Thrones, und ich würde diesen untergraben, wenn ich ein Geschlecht
vor dem anderen
(einen Stand zur Unterdrückung des anderen) begünstigte."
Der Kuckuck und die Taube
"Lasst uns Freunde sein," sprach der Kuckuck zur Taube. "Hat
uns doch Mutter Natur
einen ähnlichen Schnabel gegeben."
"Desto schlimmer," antwortete diese, "daß du mit einem
Taubenschnabel ein Raubvogel
bist. Freundschaft erfordert Ähnlichkeit der Sitten, nicht
des Schnabels."
* * *
Wie würde mancher Schriftsteller über seinen mit ihm auf dem
Papier sympathisierenden
Kollegen erschrecken, wenn er ihn in der Nähe kennen lernte!
Die Bienen und der Bär
Hundertmal war schon ein Bär bei einem Bienenstocke
vorbeigetrabt, als ihn endlich eine
der wachhabenden Biene erblickte, und zu ihren Mitbürgern
sagte: "Meine Freunde!
Es wird von den Bären unserm Honig nachgestellt. Lasset uns
auf der Hut sein!"
Da nun der Bär wieder vorüberkam, zog der ganze Schwarm
heraus, und umflog den
Korb mit einem fürchterlichen Gesumse.
"Was gibt's hier Neues?" fragte der Bär.
"Ha!" versetzte eine der Künsten. "Wir wissen wohl, worauf
du umgehst. Du willst unsern
gesammelten Honig stehlen. Aber wir sind nicht so dumm, uns
überfallen zu lassen."
"So! Honig habt ihr," sagte der Bär; warf den Stock um, und
fraß den Honig.
Der Mensch und die
Spinne
Ein Mensch hatte einer Spinne zugesehen, wie sie ihr Gewebe
machte, und sprach
endlich mit Verachtung: "Wie sich das einfältige Tier mit
ihrem unnützen Gespinste
beschäftigt, als wenn es ein Werk der größten Wichtigkeit
wäre!"
"Wenn mein Geschäft unnütz ist, wie es dich dünkt, so bist
du noch alberner, daß du
deine Zeit damit verlierst, es zu betrachten und zu
beurteilen."
Der Kakadu des Fürsten
Ein Fürst, Alexander hieß er, war ein Liebhaber von
ausländischen Vögeln, die er in
seinem Garten öfters selbst fütterte.
Ein Gärtnersbursche versuchte, einen derselben sprechen zu
lehren, und machte den
Anfang mit dem Namen des Fürsten.
Als der Fürst wiederkam, und ihnen Zucker brachte, knarrte
der Kakadu: "Alexander."
"Fürwahr!" sprach der Fürst, "der Vogel kennt mich."
"Haltens zu Gnaden!" fiel der Gärtner ein. "Ich habe den
Vogel dieses Wort sprechen gelehrt.
Machen Ihre Durchlaucht die Probe. Er wird jeden, der ihm
Zucker gibt, Alexander heißen."
* * *
Ehrlicher Junge! Was dir die Höflinge für die Lehre, die du
deinem Fürsten gabst,
für Gesichter schnitten!
Die Dohle mit
den Pfauenfedern
auf eine andere Manier
Eine Dohle lief unter den Pfauen, in einem Hof herum.
Was dieses für ein hässlicher Vogel ist, riefen die Pfauen.
So schwarzgrau! So widerlich! pu!
Die Dohle hörte das Gespött, und schmückte sich mit
Pfauenfedern.
Was diese für ein alberner Vogel ist! riefen die Pfauen. So
bunt! So scheckig! Es ist zum
totlachen, wie ungeschickt der Dohle unsere Federn anstehen!
Nun! sprach die Dohle. Wie muß man es denn machen, eurem
Spott zu entgehen,
wenn ich euch weder mit meiner eigenen, noch mit eurer
Kleidung gefalle?
Du mußt, rief eine vorüberfliegende Dohle herunter, die
Herrn allein lassen.
* * *
Hätt' ich mein Geld für den Adelsbrief wieder! Seufzte Herr
Baron von N. gewesener
Bankier zu N.
Ein Traum des Phädrus
Phädrus hatte der Rede des Archimedes nachgedacht, daß er
die Welt aus ihren Angeln
bewegen wollte, wenn man ihm einen Platz außer derselben
anweisen würde, wo er
stehen könnte; und war über diesen eingeschlafen.
Jetzt sah er im Traum die Erde an dem einen Ende eines
Hebels hangen, und auf dem
andern Ende desselben ein Zaunköniglein sitzen, das die Erde
aufwog, und voll Stolz zu
einem in der Luft schwebenden Adler sprach: "Siehe doch, was
ich für eine Kraft habe,
und ob ich nicht mit größerem Recht, als du, der König der
Vögel sein sollte!"
Der Adler antwortete: "Albernes Tierchen, wie betrügst du
dich. Jeder Vogel deiner
Kleinheit würde eben dieses tun, wenn er an deiner Stelle
säße. Das Gewicht ist nicht in dir,
das dir dein Platz gibt."
Harpagons und
Hundetrost
Ein Hund hatte einen Schatz von halbabgenagten Knochen in
einen Kehrichthaufen
verscharrt, als er erkrankte.
Nun legte er sich auf seinen Vorrat; aber andere Hunde
rochen das Verscharrte, und da
sie sahen, daß ihr Bruder nicht mehr um sich beißen konnte,
stahlen sie ihm seinen
Vorrat unter dem Leibe.
"Was hilft dir nun dein Geiz?" fragte ihn spottend einer der
Räuber. "Ich habe doch den
Trost," antwortete der Kranke, "meine Knochen keinem
freiwillig gegeben zu haben."
Der Tiger und das
Rhinozeros
Der Tiger und das Rhinozeros zankten sich einst miteinender
um den Vorzug.
"Du bist tapfer und schön," sagte das Rhinozeros; "Aber du
bist auch tückisch und
grausam. Ich bin zwar nicht so schön wie du; Aber an
Tapferkeit gebe ich dir nichts nach,
und bin dabei fern von Tücken und Grausamkeit."
"Es ist gut," grinste ihm der Tiger entgegen, "daß du deine
Häßlichkeit erkennest. Aber
dein plumpes und ungeschicktes Wesen, welches dich, tückisch
und grausam zu sein,
wie du es nennest, verhindert, wirst du dir doch nicht als
eine Tugend aufgerechnet
wissen, und deswegen den Vorzug vor mir behaupten wollen."
Sie beschlossen endlich, den Löwen zum Schiedsrichter zu
erwählen, und dieser sprach:
"Wenn du Rhinozeros deine Plumpheit ablegen wirst, so sollst
du vor dem Tiger — und
wenn du Tiger deine Schalkheit ablegen wirst, so sollst du
vor dem Rhinozeros den
Vorzug haben."
* * *
Falsch und höflich, oder grob und redlich, welches ist
besser? Antwort: höflich und
redlich ist besser.
Die Schnecke und der
Krebs
Eine Schnecke und ein Krebs waren auf einem Fleck
zusammengekommen.
Nun ging jedes seine Straße. Die Schnecke vor sich, und der
Krebs hinter sich. Als auf
einmal der Krebs voller Verwunderung ausrief: "Leihe mir
doch etwas von deiner Kraft!
Du schreitest mit Riesenschritten vor mir voraus."
"Ich habe dir nichts zu leihen," versetzte bescheiden die
Schnecke. "Nicht einmal gleich
würde ich dir kommen können, wenn es dir nicht beliebte
rückwärts zu gehen."
Äsop und der Elefant
Um dem Äsop zu seinen Fabeln Bilder zu geben, ließ Apoll
alle Tiere des Erdbodens vor
ihm erscheinen.
Da der Elefant kam, schauderte der Dichter einige Schritte
für Erstaunen zurück, und
schrie: "Götter! Welch ein Berg von einem Tier!"
"Du bewunderst meine ungeheure Größe," sprach der Elefant.
"Aber du siehst noch nicht
alles. Wisse! Je näher du mich wirst kennen lernen, desto
schönere Eigenschaften sollst
du an mir finden."
"Außerordentlich an einem so großen Tier!" war des Phrygiers
Ausruf.
Der Krumme und das
Pferd
Ein Mann mit unten schief hinauswärts gewachsenen Beinen
wollte ein Pferd aus dem
Stall führen, und das Pferd trat ihm auf den Fuß.
Entrüstet schlug der Krumme das arme Tier; dieses aber
sprach: "Was mißhandelst du
mich, Ungerechter! Konnte ich dafür, daß du mir dein
schiefes Bein unter meine geraden
Füße schobest?"
* * *
So tritt der Redliche den Schelmen, und wird darüber
gestraft.
Der Wolf und der
Schäfer
Ein Wolf näherte sich einst dem Schäfer einer kleinen Herde,
und sprach zu ihm: "Guter
Freund! Ich weiß, daß du ein Liebhaber von Schöpsen- und
Lammfleisch bist, und doch
die Tiere, welcher deiner Hut anvertraut sind, ungescholten
nicht schlachten darfst.
Es gibt einen Vorschlag für uns beide, Lege dich schlafen,
und erlaube mir unter die Herde
zu fallen. Ich will dir den Zehenden von meiner Beute liegen
lassen."
Der Schäfer entrüstete sich, ergriff seinen Stab, und jagte
den Räuber mit tapferen
Schlägen davon. "Tor, der du bist!" schrie der Wolf. "Geh zu
großen Hirten in die Lehre."
Der Adler und der Rabe
Seitdem der Fuchs dem Adler seine Jungen gefressen hatte,
hegte dieser einen heimlichen
Groll gegen jenen, und sann auf Rache.
"Flattere," sprach er einst zum Raben, "sanft um die Höhle
des Fuchses, und wenn du
ihn schlafend findest, so hacke ihm die Augen aus!"
"Ein schöner Auftrag!" zwitscherten die Vögel untereinander;
flogen zum Papageien,
erzählten ihm die Geschichte, und fragten: "Du bist doch der
ewige Lobredner des Adlers.
Laß uns hören, was du hier sagen kannst!"
"Was ich sage?" versetzte der Papagei. "Ich bewundere in
tiefer Ehrfurcht die Weisheit
unseres Königs. Er kennt alle seine Diener, und weiß, in
welchen Stücken er sich auf sie
verlassen kann."
* * *
Noch nie hat ein Großer das Herz gehabt, einem ehrlichen
Mann einen Schelmenstreich
zuzumuten.
Der Knabe und sein Affe
Ein Knabe ergötzte sich sehr mit einem Affen und bat seinen
Vater, daß er das artige
und unterhaltende Tierchen immer um ihn lassen möchte.
Der Vater willigte ein, denn der Affe war zahm, und das
Vergnügen des Knaben war nicht
auszusprechen.
So verstrichen einige Tage, als man auf einmal ein
gräuliches Gepolter in dem Zimmer hörte.
Der Vater eilte dahin, und fand den Jungen und den Affen,
welche sich auf dem Boden
wälzten, und einander jämmerlich verbläuten. Er hieß den
Affen wieder in seinen Stall
bringen, an die Kette legen; und das Tier schien über die
getrennte Gesellschaft eben so
zufrieden zu sein, als der Knabe.
"Junge!" sagte der Vater. Es gehört mehr dazu, einen
täglichen Umgang angenehm zu
unterhalten, als nur Nachahmung, Munterkeit und
Gefälligkeit. Man muß auch an sich
selbst, oder an seinem Gesellschafter bemerken, wenn es Zeit
ist, einander allein zu lassen."
Der Blinde und sein
Junge
Ein blinder Mann ging über Feld, und ließ sich von einem
Knaben am Stab leiten.
Sie kamen an einen Regenbach der über Steine daherrollte,
und der Junge blieb stehn.
Was gibt's? fragte der Blinde.
"Ach!" seufzte der Führer. "Hier ist ein gewaltiges Wasser
vor uns, und keine Brücke
dabei. Es ist breit, Vater! Sollte es wohl der Rheinstrom
sein?"
"Alberner Junge!" sagte der Blinde. "Gib mir den Stab und
steig auf meine Schultern,
daß ich dich hinüber trage. Man kann an dem Geräusche hören,
daß das Wasser seicht ist."
Der Kuckuck und
die Grasmücke
"Was wir für kluge Vögel sind!" rühmte sich ein Kuckuck
gegen eine Grasmücke.
"Schon seit der Schöpfung sahen wir ein, daß wir selbst
unsern Jungen keine gute Erziehung
geben könnten. Wir haben daher das Beste des geliebten
Gegenstandes dem sanften
Vergnügen, seine Sorgfalt an dasselbe zu verschwenden,
vorgezogen, und unsere Eier in
fremde Nester zum ausbrüten, und großziehen gelegt; Ein
Gedanke, auf welchen die
Menschen, die sich so sehr mit ihrer Weisheit brüsten, erst
seit wenigen Jahren geraten."
"Aber," versetzte die Grasmücke, "hast du je ein Nest
gefunden, wo aus deinem Ei kein Kuckuck
ausschlüpfte?"
* * *
Im Reich der Vögel gibt's freilich kein Philantropin.
Die supplizierenden
Mäuse
Die Mäuse schickten einst eine Deputation an den Zeus, und
ihr Redner tat folgenden
Vortrag:
"Gerecht und weise, großer König! ist deine Einrichtung, daß
du Katzen zu Häschern
bestellt hast, um den Diebereien des großen Haufens unserer
Nation Einhalt zu tun.
Nur finden wir hart, daß du diesen Tieren einen so leisen
Tritt gabst, wodurch sie uns
ungewarnt überfallen können. Wir vernehmen, daß du der
Gerechtigkeit in der
Menschenwelt Kurierstiefeln zu tragen gestattest, um ihren
allzu schnellen Gang zu
hemmen, und ihren kommenden Tritt den Strafbaren hörbar zu
machen.
Erweise uns die Gnade, zu befehlen, daß die Katzen künftig
Pantoffeln tragen sollen."
* * *
Zeus Resolution war: weil vom Großen aufs Kleine keine
Anwendung gemacht werden
könnte, so sollte es im Reich der Tiere beim Alten
verbleiben.
Der gefährliche Mann
Plato, als er noch am Hofe des ältern Dionysius wohl
gelitten war, hatte die Gewohnheit,
wöchentlich einen Tag von nichts, als hartem Brot und Wasser
zu leben. Einst fragte ihn der
Tyrann nach der Ursache dieses Gelübdes. "Es ist kein
Gelübde," versetzte Plato,
"das ich der Gottheit, sondern mir selbst getan habe." —
"Dir selbst," erwiderte
Dionysius mit Erstaunen. "So bin ich noch begieriger, den
Grund dieses seltsamen
Betragens zu wissen." — "Es geschieht," antwortete der
unerschrockene Weise, "um dir
und dem Glücke trotzen zu können, wenn ihr euch gegen mich
ändern solltet."
"Du bist ein gefährlicher Mann!" rief Dionysius, und hieß
ihm zum Sklaven verkaufen.
Die einzelne Tanne
In einer weiten Ebene war eine prächtige Tanne einzeln
aufgeschossen.
Ein Wanderer ging vorüber, sah den herrlichen Wuchs dieses
Baumes, und dachte bei
sich selbst: >wie schön es ist, so frei zu stehen! Die Tanne
scheint hier noch einmal so
hoch zu sein, als jene Tannen von gleicher Höhe, welche dort
im Gedränge des Waldes
von kleinern halb verdeckt, und von größeren überschattet,
beisammen sind!<
Schnell erhob sich ein Ungewitter. Fürchterlich rauschte es
in dem Wald, aber noch
fürchterlicher krachte die einzelne Tanne in der Ebene, da
sie der Wind umstürzte.
Hm! sprach der Wanderer, als er zurück sah. Es ist doch
besser im Wald, als so allein
zu stehen. Wider Wissen und Willen beschützt dort immer ein
Baum den andern.
Die Biene im Wasser
Der Windstoß hatte eine Biene in den Bach geworfen, an
welchem Äsop mit seinem
Herrn lustwandelte.
Ein Strohhalm wurde zu gleicher Zeit hinein geweht. Das
Bienchen ruderte demselben
nach, und setzte sich darauf, schüttelte seine Flügelchen,
sank aber, noch ehe sie
getrocknet waren, mit dem Halm unter.
Arme Törin! rief Xanthus aus. Du hast den Strohhalm für eine
Brücke angesehen.
Heiße sie keine Törin! versetzte sein Knecht. Der Klügste,
so wie der Einfältigste,
unter uns wird sich in der Stunde der Angst an einen
Strohhalm halten. Und wehe dem
Menschen, der dem Ertrinkenden sagt, daß es ein Strohhalm
sei, wenn er ihm nicht
dafür sogleich einen Stab reichen kann!
Das Kind und die Katze
Ein Kind spielte mit einer sehr zahmen Katze. Mitten unter
dem Schmeicheln und
Streicheln aber gab es dem Tier bisweilen Nasenstüber, oder
zwickte es in die Ohren.
Die Katze merkte sich's, und wenn ihr das Kind mit den
Fingern gegen Nase und
Ohren kam, hielt sie ihm mit ausgestreckten Klauen die Pfote
entgegen.
"Was du für ein falsches Tier bist!" sprach das Kind. "Du
willst mich kratzen."
"Ich kenne die Falschheit nicht," antwortete das Tier. "Aber
gegen deine Veränderlichkeit
und Übermacht auf der Hut zu sein, hast du mich selbst
gelehrt."
Des Pfarrers Lerche
Zwei kleine Bauernjungen waren sich auf dem Feld in die
Haare geraten, weil der eine
gegen den andern behauptete, daß des Pfarrers Lerche, die er
im Käfig vor dem
Fenster hatte, schöner sänge, als die Lerchen in der freien
Luft.
Ein dritter, etwas größerer, kam dazu, riß sie auseinander,
und sagte zu ihnen:
"Narren seid ihr! Es singt eine so gut, als die andere. Wenn
des Pfarrers Lerche besser
singen sollte, so müßte sie es erst vom Pfarrer gelernt
haben, und der kann's grad so
gut wie eine Nachteule."
* * *
Aber die Lerche gehörte doch ins Pfarrhaus!
Die Meisen
Einer der Mitsklaven Äsops hatte den Kindern seines Herrn
ein gefundenes ganzes Nest
mit jungen Meisen nach Hause gebracht. Die Vögelchen waren
noch beinahe federlos,
und die Kinder hatten ihr Vergnügen daran, ihren Zöglingen
das Futter in die offenen
Schnäbel zu stecken.
Endlich flogen sie aus dem Neste, und fraßen selbst, als die
Kinder einst in die Kammer
kamen, und mit Verwunderung sahen, wie sich die Meisen
untereinander über dem
Futter herumzausten, und sich mit wildem Geschrei nach den
Augen pickten.
"Seht doch die garstigen Vögel," rief eines von den Kindern
dem Äsop zu, "was sie für
einen Krieg untereinander erhoben haben! Sollte man unter
der Brut des nämlichen
Nestes, eines Vaters und einer Mutter, solche Verbitterung
glauben?"
"Sind in der Teilung begriffene Geschwister," sprach Äsop.
"Aber du hast recht. Es sind
garstige Vögel. Mußt sie fliegen lassen."
Der Mönch und der
Sperling
Ein Mönch versuchte, einen freien Sperling zahm zu machen,
indem er ihm einige
Brosamen unter das Fenster der Zelle legte, welche der
Sperling auch endlich ihm aus
der Hand zu nehmen, sich nicht scheute.
Nun vergrößerte der Guttäter die Brosamen, und der Sperling
holte auch diese, flog
damit auf das nächste Dach, und kam wieder, wenn er das
Stückchen verzehrt hatte.
Einst war das Stück zu groß, als das der Vogel das Dach
damit erreichen konnte;
er sank mit seiner Beute herab auf die Straße, und wurde von
einer unter dem
Klostertor sitzenden Katze gefressen.
Von der Zeit, sagte der gute Mönch, fing ich an, den
himmlischen Vater um mein
tägliches Brot mit frommer Bescheidenheit zu bitten.
Das reisende Zebra
Ein schöngestreiftes Zebra ging auf Reisen, und kam nach
Spanien. Hier fand es zwar
keine Zebras, aber eine edle Art von Eseln, welche den
Fremdling, der sich nicht
schämte, ihnen seine Verwandtschaft zu beweisen, auf ihre
schönste Weiden, und zu
den besten Quellen zu führen, bemüht waren.
Das Zebra kehrte in sein Vaterland zurück, rühmte die ihm in
dem Ausland widerfahrene
gute Begegnung; setzte jedoch spöttisch hinzu; "Allein, es
waren lauter Tiere mit abscheulich
langen Ohren."
Einige Jahre nachher reiste der Sohn dieses Zebras ebenfalls
nach Spanien, und wollte die
Vetterschaften seines Vaters erneuern; Aber man hatte dort
Nachricht bekommen, wie
verächtlich dieser von ihnen gesprochen hatte. Sie empfingen
also den jungen Fremdling
mit Hufschlägen, und sagten: "Dein Vater wußte so viel von
unsern langen Ohren zu
rühmen; Nun erzähle du von der Festigkeit unserer Hufe!"
* * *
Freundschaftlicher Wink für die Söhne einiger unserer neuern
Reiseschreiber,
ihren Ausflug unter fremden Namen zu machen.
Der Paradiesvogel
Der Adler unterredete sich einst mit dem Paradiesvogel, und
sprach zu ihm: "Sage mir doch,
mein Freund! warum du allein unter dem ganzen Geschlechte
der Vögel keine
Feinde hast. Wir müssen uns oft mit den Geiern schlagen, die
Kraniche führen Krieg mit den
Straußen, der Falk ist der geschworene Verfolger des
Reihers, und so weiter.
Nur du genießest des edlen Friedens, welcher nicht einmal
denjenigen Vögeln vergönnt ist,
die keinen andern jemals beleidigen?"
"Ich habe dieses Glück — aber verrate dieses Geheimnis
nicht!" — antwortete der
Paradiesvogel, "der Fabel zu danken, daß ich von der Luft
lebte."
Äskulap und der Kranke
Ein Kranker lag in großen Schmerzen auf seinem Lager, und
seufzte zu den Göttern um
Linderung. Äskulap hörte ihn, stieg hernieder, und heilte
seine Schmerzen.
Jetzt wollte der Kranke von dem Bett aufstehen; Allein er
war matt, und sank
ohnmächtig wieder darauf zurücke.
"Ach, Vater Äskulap!" rief er mit der nämlichen Ungeduld,
als er um Linderung gefleht
hatte, "siehe doch, wie ich so matt bin, und hilf mir!"
"Undankbarer!" antwortete der Gott. "Hast du die Schmerzen
schon vergessen, die ich
von dir genommen. Soll ich sie wieder herbeirufen?"
Der Fuchs und der Affe
Ein Affe saß auf einem Baum, sah einen Fuchs vorübergehen,
und rief ihm spöttisch
nach: "Wohin; wohin, Bruder Langschwanz! Wie du so stolz auf
deinen Schweif bist!
Man meint, andere Tiere seien nur Erdschwämme gegen dir. Und
zu was soll denn
dieser Anhang dienen? Ist dein Kopf etwa verschmitzter, als
der meinige? Ich weiß nicht,
wie es einem gescheiten Tiere nur immer möglich ist, sich
mit einem solchen Geschleppe
zu tragen."
Der Fuchs kehrte auf dieses Hohngelächter wieder um, ging
unter den Baum, sah hinten
hinauf nach dem Affen, und sprach: "Mein Freund! Ich habe
genug gesehen, um zu
wissen, warum du meinen Schweif verachtest."
* * *
Hüte dich eine Eigenschaft an andern zu verachten, die dir
gebricht.
Der Seidenwurm und die gemeine Spinner-Raupe
Ein Seidenwurm und eine gemeine Spinner-Raupe lagen nicht
weit voneinander,
und fingen an, sich einzuspinnen.
Da sprach die Raupe zu dem Seidenwurm: "Herr Mitbruder!
welcher von uns beiden wird
wohl mit seinem Gespinste am ehesten fertig werden? Wir
haben doch einerlei Arbeit."
"Mag sein, antwortete der Seidenwurm, daß du eher fertig
wirst. Aber kann man aus
deiner Arbeit auch die Waren verfertigen, die man aus der
meinigen macht?"
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