Fabelverzeichnis

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Johann Wilhelm Ludwig Gleim

geb. 2.4.1719 in Ermsleben/Ostharz
gest. 18.2.1803 in Halberstadt.

Seine Fabeln erschienen 1756, 1757 und 1786

Gleim war mit Johann Peter Uz, Friedrich Gottlieb Klopstock, Moses Mendelssohn,
Johann Gottfried Herder, Johann Heinrich Voß und Johann Gottfried Seume
befreundet und gründete den Halberstädter Dichterkreis, einen Bund junger Literaten.
Seine bekannteste Dichtung waren die "Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen
1756 und 1757 von einem Grenadier", die er am Anfang des Siebenjährigen Krieges
voller Begeisterung für Friedrich II. schrieb.
Darin war er ein Vorläufer der deutschen politischen Lyrik.
Als "Vater Gleim" war er bis ins hohe Alter weithin geachtet.

Quellen der Fabeln:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim/
Fabeln und Erzählungen und Romanzen/Wien 1816/bey B. Ph. Bauer
Berlin 1757/zweites Buch


Fabeln 1
 

Die reisende Fabel
Der Löwe, der Tiger und der..
Der Habicht und die Störche
Der Löwe und der Fuchs
Der Hengst und eine Wespe
Die Katze und die Maus
Der Esel und die Löffelgans
Der Fabeldichter und das Würmchen
Die Sänger und die Kunstrichter
Der Adler und die Lerche
Der Schwan und die Ente
Der Hirsch, der Hase und der Esel
Der Star und die Lerche
Die Gärtnerin und die Biene
Die Gemse und die Ziege
Die Elster und der Uhu
Der Fuchs und der Hofhund
Der Wiedehopf und die Nachtigall
Der Aal und die Schlange
Der Esel, die Nachtigall
Die Füchse, Dachse und der Bär
Der Kater und die Katze
Der Löwe und der Stier
Der Löwe und die drei Tiger
Die zwei Wölfe, Vater und Sohn
Der Adler und der Rabe
Der Rabe und der Kunstrichter

Die reisende Fabel

Die arme Tochter des Äsop,
Die Fabel, reiste von Athen,
Entfernte Länder zu besehn.

Wer sie erblickte, der erhob
Ihr Wesen, ihren Gang
Und ihren Anzug. Nicht zu lang
Und nicht zu kurz, war er bequem;
Wohin sie kam, da war sie angenehm.

Zu Rom schenkt' ihr ein feineres Kleid
Ein Freigelassener* des Kaisers seiner Zeit.
Es stand ihr wohl, es war gemacht
Nett, aber ohne Pracht.

Dann reiste sie darin, noch blöde, nach Paris.
Ein edler Ritter* nahm sie auf und unterwies
Die Pilgerin, die seine Freundin ward,
In Sitten und in Putz, nach seiner Landesart.
Auch nahm er einst sie mit in eine Galanacht
An Ludwigs Hof, in Hofes Tracht.

Und weil der jungen Maintenon*
An Geist und Schönheit sie vollkommen glich,
So zog sie alsbald des Königs Aug' auf sich.
Was hatte sie davon?
Er rühmte sie den Prinzen, sie gefiel!
Und einst, beim Spiel,
Nannte' er in Gnaden sie die Menschenlehrerin!

»Ich? Ihro Majestät, ich bin
Nur eine Zeitvertreiberin;
Mich hören Kinder nur so gern.
Ich, Lehrerin der Menschen? Das sei fern!
Was Recht und Tugend ist, zu lehren und zu preisen,
Das überlass' ich Herren
Und Königen und Weisen."

*Ein Freigelassener, damit ist Phaedrus gemeint
*Ein edler Ritter, hier ist La Fontaine gemeint
*Maintenon = die Geliebte Ludwig XIV. Königs von Frankreich


Der Löwe, der Tiger und der Wandersmann
An des Prinzen Friederichs von Preussen Königl. Hoheit

Als Österreich und Sachsen sich verband,
Und Dein geliebtes Vaterland
Verschlingen wollte, Prinz!
Und unter sich schon jegliche Provinz
Geteilet hatte, da entwich
Von uns der Vater Friederich,
Mit seinem Heer, tat einen Flug
Auf unsern Feind, und sah und schlug,
Und war des Feindes Sieger.
Und als ich da
Den Helden wieder kommen sah,
Da, Prinz, erzählet ich die Fabel von dem Tiger.

Ein Tiger, schrecklich anzusehn
Obgleich von außen schön,
Fiel einen armen Wandersmann,
Der vor sich hin, bei stillem Gang,
Ein Morgenlied dem Schöpfer sang;
Mit ausgestreckten Klauen an,
Ihn zu zerreißen. – – Was geschieht?


Ein edler Löwe sieht
Die Heldentat aus seiner nahen Höhle;
Und, angespornt von seiner großen Seele,
Fliegt er hervor, springt auf den Tiger,
Hält ihn. – Rund um erschallt,
Von dem Gebrüll der weite Wald,
Jedoch er ist des Feindes Sieger.

Von Blut noch mehr, als von Natur gefleckt,
Liegt er vor ihm lang hingestreckt.
Er tritt auf ihn. – – Der arme Wandersmann
Fällt auf die Knie, und fleht
Den Helden um sein Leben an.
Der Löwe sieht ihn an, und geht
Zufrieden (seine große Seele
Auf dem Gesicht) zurück in seine Höhle.

Der Habicht und die Störche

Ein Habicht stieß auf eine Lerche
Im Angesichte zweier Störche
Und würgte, rupfte, speiste sie.
"Ach", sprach ein Storch, "die arme Lerche die
Vorhin sang sie so artig noch."
"Storch", sprach der Habicht, "spare doch
Die Seufzer nur — Den du verzehrst,
Den arme Frosch, der ist beklagenswert!
Vorhin quakt' er so artig noch."

Der Löwe und der Fuchs

"Herr Löwe", sprach der Fuchs, "ich muß
Dir's nur gestehen, mein Verdruß
Hat sonst kein Ende.
Der Esel spricht von dir nicht gut
Er sagt, was ich an dir zu loben fände,
Das wisse er nicht; dein Heldenmut
Sei zweifelhaft, du gäbst ihm keine Proben
Von Großmut und Gerechtigkeit,
Du würgtest die Unschuld, suchtest Streit,
Er könne dich nicht loben."

Ein Weilchen schwieg der Löwe still,
Dann sprach er: "Fuchs, er spreche was er will,
Denn, was von mir ein Esel spricht,
Das acht' ich nicht!"

Der Hengst und eine Wespe

Eine kleine Wespe stach
Einen Hengst. Er schlug nach ihr,
Und die kleine Wespe sprach:
"Hengstchen, schlag' doch nicht nach mir
Sieh', ich sitz' an sicherem Orte.
Hengstchen, sieh', Du triffst mich nicht!"

Hengstchen gab ihr gute Worte
Und die kleine Wespe spricht:
"Sanftmut findet doch Gehör
Sieh', nun steche ich dich nicht mehr."

Die Katze und die Maus

Einst spielte eine Katze
Mit einer kleinen Maus.
"Lauf', Mäuschen," sagte sie, und warf die scharfe Tatze
Liebkosend nach, ließ auf und nieder
Sie laufen, fing sie wieder
Und sah vergnügt und freundlich aus.

"Ach, liebe Katze," sprach die Maus,
"Ich kenne diese Schmeicheleien
Und diese Scherze, ach, sie dräuen
Mir armem Mäuschen bittern Tod."

"Was?" sprach die Katze, "das ist Spott!"
Und biß sie tot.

Der Esel und die Löffelgans

Ein Esel ging spazieren, ganz allein,
Und traf auf eine Löffelgans.
Wollt ihr mein lieber Gast auf eine Distel sein?

Bei einem reichen Hans
Speis ich nicht gern, Herr Esel! — Nein!

So laßt es bleiben! Löffelgänsen
Dient zehnmal besser auch ein Stückchen schwarzes Brot!

Herr Esel! und bei reichen Hänsen
Geht man zur Tafel nur aus Not!

Der Fabeldichter und das Würmchen

Du Würmchen, du, von Menschen nur zu sehen
Mit Falkenaugen, was du bist,
Das möcht' ich wissen! Ach! dein Kriechen oder Gehen
(Kaum kann ich's sehen, was es ist,)
Ist doch ein überlegtes Wandeln!
Was willst du? Willst du was?
Bist du Pythagoras?
Kommst du, zu sehn mein Tun und Handeln?

Komm näher, liebes Würmchen! komm!
O du! du Würmchen! wohnt in dir
Ein guter Geist? Was willst du hier?

Dich fragen: Bist du fromm?

Die Sänger und die Kunstrichter

Die Nachtigall sang Elegien
Und Oden oder Threnodien,
Dem ganzen Vögelchor
In einem stillen Walde vor.

Nicht weit davon hob sich die Lerche hoch empor
In ihre freie Luft,
Und sang, indes der Kuckuck ruft,
Mit ihrer kleinen, hellen Kehle,
Lust und Zufriedenheit dem Wand'rer in die Seele.

Die Nachtigall singt trauriger und bänger
Ihr Schmerzenslied!
Die Lerche, die sich überwunden sieht,
Hört auf, und will gestreng, die Nachtigall gestrenger
Gerichtet sein!

Kein Richter meldet sich, zu richten diese Sänger!
Bis endlich noch ein Denker, ein Uhu,
Aus einem hohlem Baume spricht!
"Du Nachtigall! und Lerche, du!
Vollkommen singt ihr nicht!
Ach, wie so schwer trifft man die Mittelatraße doch!
Der eine fällt zu tief, der andre steigt zu hoch!"

Ihr guten Sänger, welch ein Richter!
Von meinem Uz, dem Liederdichter,
Und meinem Klopstock, der, ein Adler, sich erhebt,
In Gottes Sonne sieht, hoch über Wolken schwebt,
Sprach, schon vor zwanzig Jahren am Parnaß,
Ein Uhu eben das!

Der Adler und die Lerche

Ein Alpen-Adler traf auf seiner Sonnenbahn
Die kleine Lerche schwebend an.
Und hörte sie
Die schönste Melodie
Dem stillen Himmel singen.

Die ausgebreiteten und eilgewohnten Schwingen
Verweilten sich, langsamer ward der Flug,
Und still die Luft, die ihren König trug.

"Sitz' auf," spricht er, "du Sängerin, ich werde
Dich in den Himmel tragen,
Mein Fittich sei dein Wagen".

"Nein", sagte sie, "ich singe
Dem Schöpfer aller Dinge
Hienieden an der Erde;
Nach einer höhern Sphäre
Flieg' du, zu seiner Ehre."

Der Schwan und die Ente

Ein edler Schwan, so weiß wie Schnee,
Bereiste seinen Strom, die Spree,
Mit ausgespanntem Gefieder.
Eine Ente schwamm ihm nach: "Gevatter, Vetter Schwan",
Fing sie sogleich zu schnattern an
"Singt ihr denn keine Lieder?
Ihr schweigt, ich weiß in Wahrheit nicht warum,
Seid ihr denn etwa stumm?"

"Frau Ente," antwortete der Schwan,
"Weil wie die Nachtigall ich doch nicht singen kann,
So schweig' ich lieber,
Und wundere mich darüber,
Daß ihr mit eurem Schnatterton
Nicht schweigt, bekommt ihr Lohn?
Ihr singt, ich weiß in Wahrheit nicht warum
Seid ihr denn etwa dumm?"

"Was?" sprach die Ente, "dumm wäre' ich?
Bekümmere dich um dich!"
Sie schnatterte viel Schimpf
Der Schwan sprach nicht ein Wort,
Und setzte seine Reise fort.

Der Hirsch, der Hase und der Esel

Ein Hirsch mit prächtigem Geweih
Von achtzehn Enden ging spazieren.
Ein Hase lief vorbei
Sah ihn, und stutzte. Starr auf allen vieren
Steht er und gafft ihn an.
Macht Männchen, geht heran.
Sagt: "Lieber, sieh mich an,
Ich bin ein kleiner Hirsch
Denn spitz ich meine Ohren,
So hab ich solch Geweih wie du."
Ein Esel hörte zu,
Sprach: "Häschen, du hast recht,
Wir sind von einerlei Geschlecht,
Der Hirsch und ich und du."

Der Hirsch tat einen Seitenblick
Und ging in seinen Wald zurück.

Der Star und die Lerche

Wir reisen, sagten einst, auf ihrer Wanderung, Störche
Zu einem Star und einer Lerche.
Wir auch! antwortete die kleine Lerche gleich,
Und wenn ihr's wollt, so reisen wir mit euch.
Mitnichten! sagte darauf der Star,
Der klüger als die Lerche war,
Mitnichten! denn auf euren Reisen,
Da liefen wir Gefahr!
Ihr könntet uns, wie Frösche, speisen.


Die Gärtnerin und die Biene

Eine kleine Biene flog
Emsig hin und her, und sog
Süßigkeit aus allen Blumen.
"Bienchen", spricht die Gärtnerin,
Die sie bei der Arbeit trifft,
"Manche Blume hat doch Gift,
Und du saugst aus allen Blumen?"

"Ja", sagt' sie zur Gärtnerin,
"Ja, das Gift laß ich darin."

Die Gemse und die Ziege

Auf hohen Alpen kletterte
Die Schweizerin, die Gemse. "Flüchtige!"
Rief eine Ziege, "warte doch!
So hoch komm' ich ja auch wohl noch!"

Die Gemse wartet, und mit leichter Müh'
Erreicht die Ziege sie;
"Siehst du, bin ich nicht da?
Kann ich nicht klettern?"
"Ja!
Du kannst, allein,
Nimm dich in Acht, du brichst, ich wette, Hals und Bein;
Denn, sieh hinauf!
Nach jener Höhe, dem Himmel nah,
Will ich hinauf!"

Und plötzlich rafft die Flüchtige sich auf,
Ist bald
Auf einer Felsenspitze, steht
In kaum zu sehender Gestalt,
Der Ziege sichtbar, oben drauf,
Und ruft herunter: "Komm herauf!"

Die Ziege hört's und denkt: Gewagt ist halb gewonnen;
Komm ich auch allenfalls,
Wenn ich so weit nicht kann,
Nur halb hinan!

Kaum aber hatte sie das kühne Werk begonnen,
So stürzte sie, und brach den Hals!


Die Elster und der Uhu

Die Elster saß auf einem hohen Baum,
Der manchem Wandrer Schatten gab,
Und plauderte herab.

"Die Lerche", sprach sie, "singt ja kaum
Ihr Tireli, des Morgens nur, dreimal.
Hingegen singt die Nachtigall
Zwar Tag und Nacht, und weiß
Nicht aufzuhören, ihren Fleiß
Bewundert man, allein
Er sollte dauerhafter sein,
Er währt ja nur vier Wochen.
Ich plaudere Jahr aus, Jahr ein,
Ach wie könnt ich so faul doch sein!"

Sie hatte es noch nicht ausgesprochen,
Da lispelte ein spöttischer Uhu,
Der in des Baumes Bauche saß,
(Ein Philosoph, der alle Welt vergaß)
Von unten auf ihr zu:
"Ach hielt die Elster doch ihr Maul
Ach wäre sie doch faul!"

Der Fuchs und der Hofhund

In König Löwens Monarchie,
(Äsop und Phaedrus kannten sie)
Bestellen allemal die Erben,
Wenn ihnen reiche Vettern sterben,
Zum Lobredner den Fuchs.

Einst starb ein reicher Luchs,
Da trat der Redner auf,
Erzählte seinen Lebenslauf,
Und sprach:

"Bei diesem Trauerfalle
Leidtragende — Sie wissen's Alle,
Was für ein Trost der Witwen und der Waisen
Der war, den unsere Tränen preisen.
Denn Tränen sind die besten Lobredner.
Ach, welch ein guter Luchs war er!
Mit Tränen in den Augen kam
Der Arme stets in sein ihm offnes Haus.
Mit Tränen ging er nie heraus.
Der allzu Gute nahm,
Die Lasten die den Armen niederdrückten
Von seiner Schulter, Wort und Tat erquickten
Des Armen Herz.
Gerecht ist darum unser Schmerz,
Und unsere heißen Tränen fließen
Von unsern Wangen wie ein Strom,
Auf dessen Grab,
Der so mitleidig und so fromm
Der Welt ein Beispiel gab."

Ein Hofhund stand auf beiden Hinterfüßen,
Und macht' ein hämisches Gesicht
Dem roten Redner sagend: "Fuchs,
Ich bitte, lüge nicht!
Die Red' auf den wohlsel'gen Luchs
Hielt ja vor einem halben Jahr
Ein Mensch auf einen Menschen; ja, fürwahr!
Ein Mensch hielt sie ich hört' es, und lief fort.
Warum? Er sprach kein wahres Wort.
Was lobt man doch die Schelme nach dem Tode.
Laß, Fuchs, den Menschen diese Mode!"

Der Wiedehopf und die Nachtigall

Der grauen Nachtigall pries sein gekröntes Haupt
Ein schöner Wiedehopf. "Mein Weibchen", sprach er, "glaubt,
Du wärest häßlich gegen mich".
"Das könnte sein," erwiderte
Die Nachtigall und flog
Auf einen hohen Baum und sang.
Die Wandrer alle blieben stehn
Und sagte: Wie so schön!
Ach, welch ein Klang!
Das hört' der Wiedehopf, flog neidisch hin und her,
Und keiner sprach: Wie schön ist er!

Denn für die kleine Philomele
War alles Ohr.
Man zieht gemeiniglich doch eine schöne Seele
Dem schönsten Körper vor.


Der Aal und die Schlange

"Betrachte mich einmal,"
Sprach eine Schlange zu dem Aal,
"Bin ich nicht wunderschön?
Ist wohl noch eine Haut so buntgefleckt zu sehn" —
Zwar deine ist glatt, doch meine ist glatt und schön!"

"Schön ist," antwortete der Aal,
"Die deinige, die meinige nur glatt!
Wie aber kommt's, das sag einmal,
Daß man mich lieber hat
Und lieber sieht als dich? Jedweder, der dich sieht,
Hat Furcht und Schrecken im Gesicht,
Ruft Hilf' und flieht!"

Die wunderschöne Schlange spricht:
"Er flieht? warum? das weiß ich nicht!"
"Ich aber weiß es," spricht der Aal,
"Auch wissen's ja die Menschen alle,
Die dich im Grase liegen sehn;
Von außen bist du schön
Von innen — Gift und Galle!"


Der Esel und die Nachtigall

Ein Esel stand vor seinem Stall,
Und hörte früh die Morgenlieder
Der Nachtigall.

"Da singet, sie schon wieder,
Die kleine Sängerin!"
Spricht er zu seiner Eselin:
"Gut wär's; allein ihr Stimmchen ist zu schwach,
Ich wett', ich sänge sie danieder."

Und plötzlich singt er übers Dach,
Zum Garten hin,
Sein: Ia — ach!

Der Vögel ganzer Chor
Erschrickt, und fliegt ans Licht hervor,
Und lauscht, und singt nicht fort.

Der ungeheure Schall
Erschreckt zwar auch die Nachtigall,
Allein sie fliegt, und sucht neugierig einen Ort,
Zu sehn, was für ein Ungeheuer
Die Stimm' erhoben hat, und fliegt empor,
Auf des hohen Hauses Dach,
Hört  näher dort das Ia — ach!
Sieht in den Hof, und sieht
Zuerst ein langes Ohr,
Und dann den ganzen Schreier!

O du, bei dessen Tändelein
Die Musen, und die Grazien sich freun,
Du, dessen kleinen Liederband
Sie gern, mit eigner Hand,
Dianens Nymphen zum Geschenke bringen,
Mein Gerstenberg, o denk einmal,
Der große Peter Rübezahl
Will unsern Uz, und dich, und mich darnieder singen!


Die Füchse, Dachse und der Bär

"Den Löwen mit der großen Seele,
Den kennt ihr wohl,
Ihr kleinen Gecken,
Ein wenig necken!
Da seht! er liegt in seiner Höhle,
So Großmut voll!
Und macht, ein Weiser und ein König,
Aus eurem Spott, und eurem Schimpf sich wenig,
Ihr könnt's ja wohl!
Wär' aber unter euch ein Tiger,
Und mutig und noch jung,
Dann tät er einen Sprung
Aus seiner Höhle, würde Sieger,
Und ihr, ihr kleinen Gecken,
Entflögt in Dornen und in Hecken!"

Zu Füchsen und zu Dachsen die umher
Um des Monarchen Höhle standen,
Sprach's in entfernten Landen,
Der Kanzler Bär!


Der Kater und die Katze

Ein Bär saß einst an einem Erlenstrauch,
Und leckte sich an seiner Tatze;
Ein Kater sah es, und eine Katze;
"Das," sagte Hinz, "das kann ich auch!"

Ein Wolf erschien! der Kater schlich
Auf einen Baum, die Katze setzte sich
Still neben ihn, und beide, nun
In Sicherheit, sahen Heldentaten tun!
Denn Wolf und Bär bekamen Krieg,
Und Ritter Bär erkämpfte hohen Sieg!

Da machte sich die Katze rauch,
Und fragte: "Hinz! kannst du das auch?"


Der Löwe und der Stier

Ein Löwe wurde wild! —
Wehrlose Tiere nahmen
Die Flucht bei Zeiten, und entkamen;
Wehrhafte stellten sich in Haufen,
Zu stehn für Einen Mann;
Der wilde Löwe kam gelaufen,
Und sah die Haufen an.

"Was willst du?" Fragt' ein Stier,
"Wir nehmen's auf mit dir!"

"Mit Einem Alle? gehet
Ihr all' in euren Stall;
Und laßt mir diesen Einen; sehet,
Das ist der Fall:
Er ist ein Held, er messe sich!"

"Hum!" sprach der Stier, "sein Diener!
Man wird durch gute Hilfe kühner;
Ich komm ihm nicht, er fräße mich!"

Der Löwe und die drei Tiger

Ein Löwe schlummerte. Die Sorge für sein Reich,
Und seiner Völker Ruh, ließ ihn nicht ruhig schlafen.
Er lag, wie auf den Sprung, gefaßt auf jeden Streich,
Die Feinde seines Reichs zu schrecken und zu strafen.

Drei Tiger sahen ihn. Der eine sprach: "Seht da,
Das ist der Augenblick den Feind zu überfallen,
Der uns zu mächtig ist, sein Reich gehört uns allen;
Wir teilens unter uns!" Die andern sagten: Ja!

Sie machten einen festen Bund,
Beschworen ihn! — Der Schwur, so still des ersten Mund
Ihn lispeln mochte,kam in des Monarchen Ohr.
Der lauschend lag, kaum glaubte, was geschah. —
Der zweite Tiger schwur. Was tat der Löwe da?
Er flog, als wie ein Strahl des Blitzes, schnell hervor,
Saß auf des dritten Tigers Nacken
Schon eh er schwur, erwürget ihn.
Bekam den ersten nur mit einer Klau zu packen:
Der zweite nahm die Flucht, und nennete im Fliehn
Den Löwen klug, trieb ein Gespötte
Mit dem Verwundeten, der trabend nebenher,
Oft wiederholte: "Wir hätten ihn, wenn Er
Den Angriff abgewartet hätte!"

Die zwei Wölfe, Vater und Sohn

Das Söhnchen eines Wolfs zerriß ein armes Lamm.
Als nun der Vater Wolf von einem Zweikampf kam,
Und seinen Sohn, den Held, das Lamm zerreißen sah,
Und seiner Heldentat der Sohn sich rühmte,
Da sprach der Vater: "Narr, weil keine Lämmer beißen,
So kann man sie ja wohl zerreißen!"

Der Adler und der Rabe

Ein Adler flog zur Sonne, prächtig hell,
Ein Rabe sah ihn fliegen.
Ei! sprach der Rabe da, den denk' ich einzukriegen!
Der fliegt doch eben nicht so schnell!

Der Rabe flog; ein Trieb nach Ehre, tief empfunden,
War schuld, daß er so kühn den Wettflug unternahm!
Allein der Adler war schon seinem Blick entschwunden,
Als er mit seinem Flug bis an die Wolken kam.
Zwar durft er, kühn den Weg des Adlers nachzugehn,
Nur schärfer in die Sonne sehn;
Allein, er fand für gut, bei Zeiten umzukehren.

Wenn alle Flieger doch klug, wie der Rabe, wären!


Der Rabe und der Kunstrichter

Ein Rabe setzte sich auf einen hohen Turm,
Als Boreas die Luft aus ihrem Stillstand brachte;
Saß, fürchtete zu fliegen, dachte:
Wer diese Stadt und diesen Sturm
Entstehen machte,
Der hat's nicht recht gemacht; die Stadt ist mir zu groß,
Der Sturm zu mächtig!

Fabeldichter!
Bricht hier ein junger Künsterichter
Mit seiner Weisheit los:
Laß deine Raben schwatzen, nur nicht denken;
Ich will dir deine Lehre schenken!

Herr Künsterichter, seht! die Lehre war auch nur
Für Tadler der Natur!