Fabelverzeichnis
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Buch 3
 

Buch 2
 
Die Aussöhnung
Mutterliebe
Der Löwe
Der Sperling und die Nachtigall
Der Freund
Die Kritik des Faultieres
Das Pferd, und der Fuchs
Der Panther und die Affen
Die Originalität
Die Bienen und die Raupen
Die Rabenmutter
Die falsche Zufriedenheit
Der Reiher und die Rohrdommel
Der Uhu und der Affe
Der Maulwurf und der Zweifalter
Albertis Bäumchen
Die Hasen
Der Blasebalg, der Zugwind und der..
Der Gelehrte und die Fliege
Die Nachtigall
Der Schierling und der Gärtner
Der Wolf und der Schäfer
Der Auerhahn, die Katzen und der..
Der Kettenhund und der Schoßhund
Die alte Schwalbe und die Junge
Der Ozean und die Flüsse
Das Weinfaß und die Gläser
Der atheistische Eber
Der Adler und der Rabe
Die Größe

Die Aussöhnung

Der ernste Verstand, bedachtsam, kraftvoll und siegreich, wie der hohe Elephant; der
fröhliche Witz, niedlich, schimmernd, doch von gespitzten Schnabel, gleich dem Kolibri;
waren, wo nicht Feinde, doch gegenseitige Verächter geworden. Wenn der Blumenvogel
dem Rüssel des Kolossen durch leichten Schwung entschlüpfte; so fürchtete dieser nicht
selten den empfindlichen Stich des agatnen Schnabels. Lange Zeit hindurch dauerte diese
gleichsam natürliche Antipathie.

Sie blieb es aber nicht länger; denn es trat, — ich finde kein Bild, sondern nur einen
schönen Namen für den dritten Mann, — Kästner zwischen beide, und machte sie zu
innigsten Freunden.

Mutterliebe

"Hast du dir wieder einmal zur Ader gelassen, um deine liebe Brut zu nähren? fragte die
Affenmutter einen Pelikan. Das scheint groß und schön, und ist's doch nicht; denn kaum
sind deine Kinderchen flink, so verlässt du sie. Da sieh mich an, und lerne, was  Mutterliebe
sagen will Mein kleines Äffchen kann längst laufen und springen: aber noch immer trage ich
ihn in meinen treuen Armen, und werde ihn noch lange nicht von mir lassen."
Der Pelikan schwieg. Er überließ dem Erfolge, die Prahlerin zu bestrafen. Die jungen
Pelikane wurden stark, und flogen mutig aus, das Äffchen ward zum Krüppel verhätschelt,
und starb bald in den Armen der Mutter

Der Löwe

Noch nicht lange hatte der junge Löwe seine Regierung angetreten, als er schon
mißmutig zu sich selbst sprach: "Meine Untertanen scheinen sich immer weniger aus mir
zu machen. Wahrscheinlich kommt das daher, weil ich sie zu freundlich behandelte.
Ich sehe nun schon, ich muß ihnen meine ganze Macht zeigen. Ich will strenge sein!"

Er hielt Wort. Er würgte den Tiger, riß den Leoparden in Stücke, und brach dem Rhinozeros
das Horn entzwei: aber unter seiner Klaue blutete auch der Hirsch, das Kamel, der Stier und
das Schaf. "Jetzt werden sie schon sehn," sprach er, welchen König sie haben!"

Das sahen sie nun auch wirklich, und wenn sie sonst ihn nicht suchten, so flohen sie ihn
jetzt, sobald er sich blicken ließ.

Der Sperling und die Nachtigall

Auf das nämliche Fenster, wo der Vogelbauer des gefangenen Sprossers stand, kam oft
ein schmarotzender Sperling, um das verstreute Futter aufzupicken. "Sage mir doch im
Ernst, warum klagst du denn Tag und Nacht?" sprach der Spatz. Du lebst ja wie ein kleiner
Prinz. Was fehlt dir denn noch?"
"Freiheit!" seufzte der Sprosser, man füttert mich: aber man sperrt mich ein."
"Grillen!" erwiderte der Sperling. "Sieh doch mich an! Mich sperrt man zwar nicht ein,
aber kein Mensch füttert mich."
"O wenn du wüßtest, welchen Hain ich verlassen mußte; und mitten im schönsten Lenze!"
"Einbildung!" Dein Vogelbauer ist eben so grün, und doch wohl schöner, als dein Waldnest!"
"Aber, o Freund, vernimm mein ganzes Unglück! Man entführte mich von meiner zärtlichen
treuen Aidion!"
"Selbst gemachter Kummer! Warum bandest du dich nur an Eine!"
Der Sprosser wollte antworten: aber der Spatz flog leichtsinnig aufs nahe Dach, wo ihm
mehrere Sieen entgegen piepten. In diesem Augenblicke holte die Windbüchse des
Nachbarn den ganzen Schwarm herunter.
Das sah der Sprosser: — und er klagt dennoch?

Der Freund

Ein Luchs wohnte nicht weit von einem guten einfältigen Dachspaar Er beleidigte sie nie;
er schützte sie sogar, und schien völlig ihr Freund zu sein.
"Du bist doch unser Nachbar!" sprach einst der Fuchs zu ihm. "Ich begreife nicht, warum
du die treuherzigen Dummköpfe nicht längst schon gefressen hast?"
"Tor!" erwiderte der Luchs "Ich warte ja nur, bis sie feist genug sind."

Die Kritik des Faultieres

Das Faultier saß auf einem schon halb abgefressenem Baume, und sah mit Stolz auf die
emsige Biene herab.
"Die flatterhafte Nimmersatte!" rief es aus. "Da fliegt sie nun von Blume zu Blume, kostet
alles und genießt nichts! Sie hat gar keine Selbstständigkeit, gar keinen Ernst zur Sache.
Was will daraus werden? Da lobe ich mich und meine Geschwister! Wir verlassen den Baum
nicht, so lange noch ein grünes Blättchen daran ist."

Liebe Dichter! Wenn ihr Drang und Kraft in Euch zu mehreren Dichtarten fühlt, so folgt
kühnlich diesem Berufe, und laßt Euch von der Kritik der Faultiere nicht abschrecken!

Das Pferd, und der Fuchs

Auf einer Waldwiese begegnete der bejahrte Fuchs einem alten grasenden Pferde.
"Wie geht's, Alter?" sprach ihn der Gaul an. "Seit geraumer Zeit schon hört man weit
weniger von deinen Streichen, wegen der du sonst so verschrien warst."
"Desto besser! Warum würde man älter, wenn man nicht auch klüger würde?"
"So helfe Zeus! nur auch besser!" erwiderte das Pferd.

Der Panther und die Affen

Im Schatten eines Kokosbaumes warf sich der jagdmüde Panther zur Ruhe nieder, indes
oben eine Affenfamilie saß, Nüsse knackte, und durcheinander schrie:
"Seht doch da, den Eigendünkel, den Prahlhans! Fürs Leben gern möchte er den Löwen
spielen, eben so furchtbar, so mächtig, so großmütig sein. Doch das hat gute Wege!
Er bleibt dennoch nur ein Nachahmer, ein Nachahmer, ein Nachahmer!"
"Aber des Löwens" murrte der Panther, und schritt, müde des Geschreis, hinüber zur
schattigen Palme.

Die Originalität

In ihrer Laune schuf die Natur einen drolligen Strobelhahn mit struppigen auswärts
gekehrten Federn; ein Mittelding zwischen Vogel und Igel. Niemand sah ihn, ohne zu
lachen. Aber das Monstrum ward deswegen nicht demütiger, und stolzierte mit Hochmut!
zwischen dem andern Hofgeflügel umher.
Da sprach der derbe Truthahn zu ihm: "Vetter, sage mir doch, auf was bist du denn
eigentlich so stolz?"
"Schöne Frage! krähte der Strobelhahn: auf meine Originalität!"
"Nichts für ungut! Was ist denn das für ein Ding?"
"Daß ich, wie du siehst, der erste bin, und der einzige."
"O so hole dich der Koch!" kauderte der Kalikut, wünsche dir lieber, du wärst der zehnte
oder zwanzigste! Du würdest weit weniger lächerlich sein."

Die Bienen und die Raupen

Auf einem in voller Blüte stehenden Apfelbaum, fraß ein Nest voll Raupen jedes hervor
keimende Blatt; indes ein Bienenschwarm in den Blüten fleißig war, und Honig sammelte.
"Ihr Räuber!" rief ihnen da die dickste Raupe zu, "warum erfrecht ihr euch, die schönsten
Blüten so unverantwortlich zu verderben?"
"Wir," antworteten die Bienen," verderben nichts; aber ihr wohl."
"Das ist Verleumdung!" zürnte die Raupe. "Wir befreien bloß den Baum von den unnützen
Blättern, wenn ihr die Blüten, woraus die schmackhafte Frucht erwächst, aussaugt,
wir wissen gar nicht weswegen."
"Wenn's nur der Gärtner weiß!" erwiderten die Bienen.
Der Gärtner kam, und schlichtete den Streit gar bald, indem er die Blätterfresser vernichtete,
die Bienen aber ruhig sammeln ließ.

Die Rabenmutter

Ein weiblicher Rabe, der in der Vorstadt einer Residenz lebte, hatte mühsam für seine
Jungen Futter geholt, und flog mit Ärgernis in sein Nest.
"Was hast du denn, Nachbarin? Warum so verdrießlich?" fragte die neben ihr nistende
Elster. "Ei was!" rief die Räbin: Soll mich's nicht kränken? Da laß ich mir's wegen meiner
Kleinen so sauer werden, und doch riefen mir während meines Fluges Jung und Alt nach:
Rabenmutter! Rabenmutter! Ist's denn in Städten so schimpflich, für die Seinigen zu sorgen?"
"Das nun wohl nicht, so weit ich die Menschen kenne;" versetzte die Elster "aber sogar
was gewöhnliches mag es wohl nicht überall sein."

Die falsche Zufriedenheit

"Das war ein herrliches Fest!" rief das Windspiel, als es nach einer blutigen Parforschjagd*
in den Hof trat. Ich bin mit meinem Tage zufrieden! Aber Kinder, wie geht's euch?"
"Auch ich bin zufrieden!" schmunzelte die Gans, die wohlgestopft aus der Steige herausguckte.
"Ich auch," grinste die Katze, und trug eine gestohlene Wurst in den Winkel.

*
kommt aus dem pfälzischen und kann man übersetzen mit Marterjagd. Heute kenntman das Wort unter
"Parforcejagd" und bedeutet Hetzjagd.


Der Reiher und die Rohrdommel

Um seinen Durst zu löschen, kam der Reiher an einen Teich, wo die Rohrdommel das klare
Wasser aufgerührt und getrübt hatte.
"Tor!" rief ihr der Reiher zu. "Warum rührst du den Schlamm auf, wenn du fischen willst?"
"Tor selber," versetzte die Rohrdommel, "weißt du noch nicht, daß sich's im trüben am
besten fischt?"

Der Uhu und der Affe

Ein drolliger Affe gaukelte vor einem angeketteten Uhu herum, der sehr ernsthaft,
sehr tiefsinnig da saß und — nichts dachte.
"Wird es bald Ende?" rief er in Unwillen. "Ich muß dir sagen, daß mir nichts unerträglicher
ist, als einen Narren vor mir zu sehn."
"Aufrichtig gesprochen," lachte der Sapaju,"geht mir gerade wie dir, aber weiser Herr,
mach es doch wie ich, und sei tolerant."

Der Maulwurf und der Zweifalter

"Warum setzest du doch deine Schönheit immerfort dem sengenden Sonnenstrahl aus?"
So rief der Maulwurf dem prächtigen Zweifalter zu. "Komm doch zu mir! Du glaubst
es nicht, wie kühl und erquickend es hier, tief im Erdboden ist."
"Immerhin!" versetzte der Zweifalter, "wer nicht wert ist, daß ihn die Sonne bescheint,
der tut freilich wohl, wenn er sich verkriecht."

Albertis Bäumchen*

Zwei junge Bäumchen wuchsen zwar in ungünstigen Böden, aber an einem mächtigen
Strome, der seine Fluten ins Weltmeer trieb. Da frug ihn einer der grünenden Jünglinge:
"Wohin eilst du doch, prächtiger Strom?"
"Dorthin" erwiderte der Strom "wo ich noch größer und prächtiger zu werden hoffe.
Willst du mit?"
Das Bäumchen war entschlossen, ließ sich vom Strome fortreißen, und ward an ein fernes
gesegnetes Land geführt, wo es Wurzel faßte, und bald zu einem großen Walde heranwuchs.
Als sein zurückgelassener zweiter Bruder das vernahm, stürzte er sich von selbst in den
Strom, und ward hinaus ins Weltmeer gerissen allein, nachdem er lange das Spiel der
Wellen, des Sturms und der Seeungeheuer gewesen war, warf ihn der Orkan auf einen,
öden Fels, wo er bald gänzlich verderben mußte.

Das hörte der dritte zurückgebliebene junge Baum, und machte dem Strome manchen
bitteren Vorwurf. "Gemach, gemach!" rief dieser, "ist es denn meine Schuld? Zwei tun oft
einerlei und ist doch zweierlei."

*
Der Anfang dieser Fabel gehört dem Leo Baptist Alberti, die Fortsetzung dem gegenwärtigen Verfasser.

Die Hasen

Bei Mondschein schlichen sich zwei Hasen, Vater und Sohn, durch die Buchenhecken in
Argants Garten, und kamen auf den Rasenplatz, wo der reiche Junker seinem
Lieblingshunde, dem furchtbaren Jäger Waldman, ein steinernes Monument gesetzt hatte.
"O wie schade," klagte das Häschen, daß unser unversöhnlicher Todfeind zuletzt noch solch
ein schönes Ehrendenkmal haben soll!"
"Alberner Hans!" strafte ihn der Vater, ich wollte, daß unsere Feinde samt und sonders
dergleichen Ehrenmäler hätten!"

Der Blasebalg, der Zugwind und der Koch

"Her mit dem Blasebalge!" rief das sinkende Herdfeuer dem Koche zu, "sonst wird dein
Braten schlechterdings nicht zu Mittage gar."
"So warte doch, bis ich herankommen kann," sprach der Zugwind. "Das wird so lange
nicht aufhalten; und dann brauchst du weder Wedel noch Blasebalg."
Aber der Koch wartete darauf nicht, sondern eilte mit dem Blasebalge herbei, eh das
Feuer ausging. "Denn," sagte er, "wenn das Bedürfnis dringend geworden ist; dann kann
es unmöglich auf die Laune des Zufalls warten."

Der Gelehrte und die Fliege

"Du bist doch ein äußerst ungeduldiger Mann!" sprach die Fliege zum Gelehrten. "Ich bin
ja nur die Einzige deines Zimmers; gleichwohl gebärdest du dich, als ob dich ein ganzes
Hornissennest umsumste."
"Mir gleich viel!" rief der erbitterte Skribent. "Ein einziges Ungeziefer ist so unleidlich,
als mehrere; und dein Stich zerstört mir den Gedankenzusammenhang eben so arg, als ein
Nest voll Hornissen."

Die Nachtigall

Schon längst hatte der Vogelsteller dem trefflichsten Sprosser im Birkenwäldchen vergeblich
nachgetrachtet. Der listige Sänger achtete keinen Köder, ließ Ameiseneier und fette
Mehlwürmer unangerührt, vermied klüglich alle Leimruten, und kam niemals den
Sprenkeln* zu nahe.
Halt! dachte nun der Vogelsteller. Was giltst, ich überliste dich noch. Er grub eines Morgens,
als der Sprosser hoch auf einer Birke saß, und seinem Verfolger zum Trotze schlug,
auf seinem Vogelherde mit vielen Umständen ein Grübchen, und scharrte das mit
anscheinender Behutsamkeit wieder zu; grub abermals, und scharrte wiederum.
Darauf ging er, ohne den Sänger eines Anblicks zu würdigen, in seine Vogelhütte.

Was alle Köder nicht bewirkt hatten, das tat nun die Neugier. Ungeduldig, zu sehn, was
der Vogler da gemacht habe, flog der Sprosser von seiner sicheren Höhe herab, hüpfte zu
den merkwürdigen Grübchen, und — wie der Blitz schlug das Netz über ihn,
den Uneigennützigen und Klugen, aber Allzuneugierigen.

*
Sprenkeln: Vogelstellerschlinge

Der Schierling und der Gärtner

"Laß mich doch immer auf deinem Beete!" so bat der Schierling den jätenden Gärtner.
"Ich schade ja weder deinen Petersilien, noch deinem Kerbel."
"Aber" versetzte der Gärtner, "du bist meinen Kräutern ähnlich, und bist gleichwohl giftig."
"So kennst du mich ja; du wirst mich nicht essen, und ich werde dir also keinen Nachteil zuziehen."
"Noch lange nicht genug! hunderte kennen dich nicht; hunderte können sich den Tod an dir essen."
"Dagegen aber bedenke doch, heile ich auch manche verzweifelte Krankheit, wie dir dein
Doktor sagen kann."
"Ei was!" schrie der Gärtner endlich, "dafür laß ich den Doktor sorgen! Ich bin nur Gärtner."
Und heraus war das Unkraut.

Der Wolf und der Schäfer

"Schäfer!" rief ein ausgehungerter Wolf, — versteht sich in gehöriger Entfernung —
"Wie wäre es, wenn wir Friede machten? Betrachte mich genau, und du wirst
augenscheinlich sehen, daß ich so gut ein Hund bin, als dein Phylax. Das haben alle
großen Naturkundigen behauptet. Bloß die Härte der Menschen hat mich ein wenig
verwildert: aber wenn du mich in deine Hürde aufnähmst, mich gehörig erzögest, und
mir meine Untugenden, die nur die Not erzeugt hat, mit Sanftmut abgewöhntest; so wirst
du, wenn dein Phylax (der doch nicht ewig leben kann!) endlich stirbt, den Ankauf für
einen anderen treuen Herdenwächter ersparen können. Nun, was meinst du?"
"Ich meine," versetzte der Hirt "daß Wolf, Wolf ist und bleibt. Inzwischen verstehe ich
mich auf eure Naturgeschichte zu wenig, also Phylax, sieh doch mal nach, ob dieser
Isegrim wirklich ein Wolf ist oder nicht?"
Phylax sprang hinaus, und der Wolf befand es nicht für gut, diesen Physiker zu erwarten.

Der Auerhahn, die Katzen und der Tauber

Auf einem Tannenbaume hatten ein Paar Waldtauben, ihre friedliche Wirtschaft, liebten
sich still und herzlich. Da gewahrte der Tauber, als er ausflog, den Auerhahn unter einer
Menge Hennen, der sich für Brunft nicht kannte, und die lächerlichsten Posituren machte.
"Warum gebärdest du dich denn so närrisch?" fragte der Tauber den Balzer als er zu sich
selber kam. "Ach! die Liebe!" war die Antwort. "Die Liebe!"
Der Tauber schüttelte sein Köpfchen, und flog heim. Da tönte vom nächsten Eichbaume
her ein Zetergeschrei, denn ein wilder Kater und eine Katze pflegten ihr Liebeswerk,
bissen und kratzten sich blutig. "Ihr Unsinnigen, was macht ihr denn da?" fragte der
Tauber abermals; und abermals fiel die Antwort: "Ach! — Die Liebe! Die Liebe!"
Da schlüpfte der Tauber in sein friedliches Nest, küßte seine traute Tauberin freundlich
und rief: "Laß uns lieben Kolombine, doch ohne Narrheit und ohne Wut."

Der Kettenhund und der Schoßhund

Wenn die Hausdame mit ihrem seidenhaarigen Joli auf dem Arme, über den Hof nach
dem Garten ging, dann knurrte Sultan, der Kettenhund, allemal mit Ingrimm.
"Schändliches Vorurteil! Unverzeihliche Parteilichkeit! Dieser Stubenbrütling kann nichts
als belfern, fressen und schlafen; gleichwohl wird er gepflegt und geliebkost wie das Kind
vom Hause. Nach mir fragt der Vogt kaum, wenn er mir Mittags die spärliche Kost bringt.
Das muß doch endlich wurmen. Ich war in meiner Jugend der Stolz meines Herrn, dann
sein mutiger Saufänger, endlich seit manchem Jahre schon sein treuer Hauswächter bei Tag
und Nacht. Ist denn in all dem gar kein Verdienst? Tauge ich denn nun weiter zu gar nichts?"
Die Dame sprach lächelnd: "Verdienst wohl, aber in deinem Posten. Sultan taugt viel,
nur nicht zum Schoßhunde."

Die alte Schwalbe und die Junge

Eine Schwalbenmutter sprach einst zu ihrem Söhnchen: "Sieh doch, wie dein Vater so
herrlich fliegen kann! Welche Schnelle! Welche Gewandtheit! Jetzt wie der Wind, hier
über den Teich; nun wie der Pfeil, dort über den Kirchturm! Mutig, mein Sohn! Ihm
nachahmen mußt du; das ist mein Wunsch, und mein Segen!"
"Ach liebe Mutter!" erwiderte der Brütling, das wird schwer halten, und wohl vergeblicher
Wunsch sein. Ich bin zufrieden, wenn ich nur werde fliegen können wie der Spatz, oder
die Ente. Sie finden doch auch ihr Brot!"
"O du Kleingeist"! strafte ihn die Mutter. Wenn man noch jung ist, muß man über nichts
verzagen; der Flug des Adlers selbst muß dir nicht zu hoch dünken. Ob du ihn auch nicht
erreichst, dennoch mußt du es wollen!"

Der Ozean und die Flüsse

Stolz auf sein emporschwellen und seinen Umfang, behandelte der Ozean einst die
Flüsse, die sich in ihm ergossen, mit vielem Übermute. "Kommt, kommt!" rief er, tut eure
Schuldigkeit, und gebt mir euern Tribut; sonst will ich euch noch allesamt verschlingen!"
Die Flüsse widersprachen mit Verachtung: "So nennst du das Tribut, was doch freiwillig
gegeben ist? Ohne unsern Beitrag würdest du gar bald Mangel leiden, du Undankbarer,
der du noch obendrein unser helles und süßes Wasser verunreinigst und verdirbst!"

Ihr mächtigen Städte, die das Land vergrößert und ernährt, — vergeßt doch ja nicht,
was die Flüsse sprachen!

Das Weinfaß und die Gläser

"Ihr Nimmersatten," schilt das geizige Weinfaß den Stechheber und die Flaschen.
"Wann werdet ihr endlich genug, haben? Ihr versündiget euch an mir, und nimmermehr kann
es euch wohl ergehen!"
Da riefen ihm die wartenden Gläser zu: "Beruhige dich! Wir versprechen dir Rache.
Schon das Sprichwort sagt, daß jeder Sammler seinen Vergeuder haben wird."

Der atheistische Eber

"Redet was ihr wollt von euerm Pan," grunzte der ungeschlachte Eber zu den andern
Waldbewohnern, "ich glaube ihn nicht denn nie sah ich ihn."
"Wie?" zürnte der Edelhirsch, "auch dann nicht, als er dir im Lenze junges Schilf,
im Sommer erquickenden Schatten, im Herbste Bucheckern und Eicheln gab?"
"Auch dann nicht! Denn das alles ward ja nur weil es so ward."
"Kommt fort Brüder," rief der Hirsch "Das Vieh ist blind und so werden wir es nimmermehr bekehren."

Der Adler und der Rabe

Junger edler Dichter! Wenn du dich durch eigene Kraft immer höher zu erheben vermagst;
so verschmähe stolz der Plagiare niedern Flug, und ihren unrühmlichen Fraß!
Mach es wie jener Adler. Ihn sah auf seinem Sonnenfluge der träge Rabe empor dringen,
und bat ihn zu Gaste. "Komm herab," rief er, "Königssohn, und nimm mit mir für Willen!
Hier habe ich den köstlichsten Käse von der Welt geholt, der, wie ich nun wohl sehe,
mehr als zu groß für mich ist."
"Nichtswürdiger!" rief der Vogel Jupiters herab, glaubst du, daß gestohlenes Gut für
einen Adler tauge?"

Die Größe

Ein außerordentlich großer Elephant war die Bewunderung und der Neid seiner Gegend.
Zehn Fuß hoch, wandelte der Gewaltige wie ein Berg einher. Ihn sahen die Bewohner des
Sumpfes und des Dickichts schon von ferne kommen. Sein Rüssel riß mit leichter Mühe
den Kokos und die Palme nieder; ihn floh die Schlange, ihn fürchtet der Tiger, der Löwe
selbst ging ihm aus dem Wege; und die kleineren Tiere, die seine Gegenwart schon oft
von dem Schakal und der Hyäne befreit hatte, riefen laut jubelnd sobald sie ihn erblickten:
"Heil ihm! wie glücklich ist er in seiner Große!"
"Ich glücklich?" seufzte der Koloß: "Ach, ich brauche zu viel, um nur zu leben, wenn ihr
überall euern notdürftigen Fraß findet! Undurchdringlich bleibt mancher herrliche Wald
für meine Größe; mancher Pfad ist für mich zu weich, oder zu schmal. Des Nachts muß
ich Müder mich in Sturm und Wetter an den unzuverläßigen Baum lehnen, wenn ihr
ruhig und warm in eurer Lagerstatt schläft. Niemand hilft mir die Last meines Hauptes
und meiner Zähne tragen; meinen empfindlichen Rüssel verletzt die dummdreiste
Moskito ungestraft, und die benachbarten Krals haben mich schon für ihre Fallgruben und
ihre Jagd ausgezeichnet. Ich will nicht ehrlich sein, wenn ich nicht oft die kleinste
Feldmaus beneide!"