Die Aussöhnung
Der ernste Verstand, bedachtsam, kraftvoll und siegreich,
wie der hohe Elephant; der
fröhliche Witz, niedlich, schimmernd, doch von gespitzten
Schnabel, gleich dem Kolibri;
waren, wo nicht Feinde, doch gegenseitige Verächter
geworden. Wenn der Blumenvogel
dem Rüssel des Kolossen durch leichten Schwung entschlüpfte;
so fürchtete dieser nicht
selten den empfindlichen Stich des agatnen Schnabels. Lange
Zeit hindurch dauerte diese
gleichsam natürliche Antipathie.
Sie blieb es aber nicht länger; denn es trat, — ich finde
kein Bild, sondern nur einen
schönen Namen für den dritten Mann, — Kästner zwischen
beide, und machte sie zu
innigsten Freunden.
Mutterliebe
"Hast du dir wieder einmal zur Ader gelassen, um deine liebe
Brut zu nähren? fragte die
Affenmutter einen Pelikan. Das scheint groß und schön, und
ist's doch nicht; denn kaum
sind deine Kinderchen flink, so verlässt du sie. Da sieh
mich an, und lerne, was Mutterliebe
sagen will Mein kleines Äffchen kann längst laufen und
springen: aber noch immer trage ich
ihn in meinen treuen Armen, und werde ihn noch lange nicht
von mir lassen."
Der Pelikan schwieg. Er überließ dem Erfolge, die Prahlerin
zu bestrafen. Die jungen
Pelikane wurden stark, und flogen mutig aus, das Äffchen
ward zum Krüppel verhätschelt,
und starb bald in den Armen der Mutter
Der Löwe
Noch nicht lange hatte der junge Löwe seine Regierung
angetreten, als er schon
mißmutig zu sich selbst sprach: "Meine Untertanen scheinen
sich immer weniger aus mir
zu machen. Wahrscheinlich kommt das daher, weil ich sie zu
freundlich behandelte.
Ich sehe nun schon, ich muß ihnen meine ganze Macht zeigen.
Ich will strenge sein!"
Er hielt Wort. Er würgte den Tiger, riß den Leoparden in
Stücke, und brach dem Rhinozeros
das Horn entzwei: aber unter seiner Klaue blutete auch der
Hirsch, das Kamel, der Stier und
das Schaf. "Jetzt werden sie schon sehn," sprach er, welchen
König sie haben!"
Das sahen sie nun auch wirklich, und wenn sie sonst ihn
nicht suchten, so flohen sie ihn
jetzt, sobald er sich blicken ließ.
Der Sperling
und die Nachtigall
Auf das nämliche Fenster, wo der Vogelbauer des gefangenen
Sprossers stand, kam oft
ein schmarotzender Sperling, um das verstreute Futter
aufzupicken. "Sage mir doch im
Ernst, warum klagst du denn Tag und Nacht?" sprach der
Spatz. Du lebst ja wie ein kleiner
Prinz. Was fehlt dir denn noch?"
"Freiheit!" seufzte der Sprosser, man füttert mich: aber man
sperrt mich ein."
"Grillen!" erwiderte der Sperling. "Sieh doch mich an! Mich
sperrt man zwar nicht ein,
aber kein Mensch füttert mich."
"O wenn du wüßtest, welchen Hain ich verlassen mußte; und
mitten im schönsten Lenze!"
"Einbildung!" Dein Vogelbauer ist eben so grün, und doch
wohl schöner, als dein Waldnest!"
"Aber, o Freund, vernimm mein ganzes Unglück! Man entführte
mich von meiner zärtlichen
treuen Aidion!"
"Selbst gemachter Kummer! Warum bandest du dich nur an
Eine!"
Der Sprosser wollte antworten: aber der Spatz flog
leichtsinnig aufs nahe Dach, wo ihm
mehrere Sieen entgegen piepten. In diesem Augenblicke holte
die Windbüchse des
Nachbarn den ganzen Schwarm herunter.
Das sah der Sprosser: — und er klagt dennoch?
Der Freund
Ein Luchs wohnte nicht weit von einem guten einfältigen
Dachspaar Er beleidigte sie nie;
er schützte sie sogar, und schien völlig ihr Freund zu sein.
"Du bist doch unser Nachbar!" sprach einst der Fuchs zu ihm.
"Ich begreife nicht, warum
du die treuherzigen Dummköpfe nicht längst schon gefressen
hast?"
"Tor!" erwiderte der Luchs "Ich warte ja nur, bis sie feist
genug sind."
Die Kritik des
Faultieres
Das Faultier saß auf einem schon halb abgefressenem Baume,
und sah mit Stolz auf die
emsige Biene herab.
"Die flatterhafte Nimmersatte!" rief es aus. "Da fliegt sie
nun von Blume zu Blume, kostet
alles und genießt nichts! Sie hat gar keine
Selbstständigkeit, gar keinen Ernst zur Sache.
Was will daraus werden? Da lobe ich mich und meine
Geschwister! Wir verlassen den Baum
nicht, so lange noch ein grünes Blättchen daran ist."
Liebe Dichter! Wenn ihr Drang und Kraft in Euch zu mehreren
Dichtarten fühlt, so folgt
kühnlich diesem Berufe, und laßt Euch von der Kritik der
Faultiere nicht abschrecken!
Das Pferd, und der
Fuchs
Auf einer Waldwiese begegnete der bejahrte Fuchs einem alten
grasenden Pferde.
"Wie geht's, Alter?" sprach ihn der Gaul an. "Seit geraumer
Zeit schon hört man weit
weniger von deinen Streichen, wegen der du sonst so
verschrien warst."
"Desto besser! Warum würde man älter, wenn man nicht auch
klüger würde?"
"So helfe Zeus! nur auch besser!" erwiderte das Pferd.
Der Panther und die
Affen
Im Schatten eines Kokosbaumes warf sich der jagdmüde Panther
zur Ruhe nieder, indes
oben eine Affenfamilie saß, Nüsse knackte, und durcheinander
schrie:
"Seht doch da, den Eigendünkel, den Prahlhans! Fürs Leben
gern möchte er den Löwen
spielen, eben so furchtbar, so mächtig, so großmütig sein.
Doch das hat gute Wege!
Er bleibt dennoch nur ein Nachahmer, ein Nachahmer, ein
Nachahmer!"
"Aber des Löwens" murrte der Panther, und schritt, müde des
Geschreis, hinüber zur
schattigen Palme.
Die Originalität
In ihrer Laune schuf die Natur einen drolligen Strobelhahn
mit struppigen auswärts
gekehrten Federn; ein Mittelding zwischen Vogel und Igel.
Niemand sah ihn, ohne zu
lachen. Aber das Monstrum ward deswegen nicht demütiger, und
stolzierte mit Hochmut!
zwischen dem andern Hofgeflügel umher.
Da sprach der derbe Truthahn zu ihm: "Vetter, sage mir doch,
auf was bist du denn
eigentlich so stolz?"
"Schöne Frage! krähte der Strobelhahn: auf meine
Originalität!"
"Nichts für ungut! Was ist denn das für ein Ding?"
"Daß ich, wie du siehst, der erste bin, und der einzige."
"O so hole dich der Koch!" kauderte der Kalikut, wünsche dir
lieber, du wärst der zehnte
oder zwanzigste! Du würdest weit weniger lächerlich sein."
Die Bienen und die
Raupen
Auf einem in voller Blüte stehenden Apfelbaum, fraß ein Nest
voll Raupen jedes hervor
keimende Blatt; indes ein Bienenschwarm in den Blüten
fleißig war, und Honig sammelte.
"Ihr Räuber!" rief ihnen da die dickste Raupe zu, "warum
erfrecht ihr euch, die schönsten
Blüten so unverantwortlich zu verderben?"
"Wir," antworteten die Bienen," verderben nichts; aber ihr
wohl."
"Das ist Verleumdung!" zürnte die Raupe. "Wir befreien bloß
den Baum von den unnützen
Blättern, wenn ihr die Blüten, woraus die schmackhafte
Frucht erwächst, aussaugt,
wir wissen gar nicht weswegen."
"Wenn's nur der Gärtner weiß!" erwiderten die Bienen.
Der Gärtner kam, und schlichtete den Streit gar bald, indem
er die Blätterfresser vernichtete,
die Bienen aber ruhig
sammeln ließ.
Die Rabenmutter
Ein weiblicher Rabe, der in der Vorstadt einer Residenz
lebte, hatte mühsam für seine
Jungen Futter geholt, und flog mit Ärgernis in sein Nest.
"Was hast du denn, Nachbarin? Warum so verdrießlich?" fragte
die neben ihr nistende
Elster. "Ei was!" rief die Räbin: Soll mich's nicht kränken?
Da laß ich mir's wegen meiner
Kleinen so sauer werden, und doch riefen mir während meines
Fluges Jung und Alt nach:
Rabenmutter! Rabenmutter! Ist's denn in Städten so
schimpflich, für die Seinigen zu sorgen?"
"Das nun wohl nicht, so weit ich die Menschen kenne;"
versetzte die Elster "aber sogar
was gewöhnliches mag es wohl nicht überall sein."
Die falsche
Zufriedenheit
"Das war ein herrliches Fest!" rief das Windspiel, als es
nach einer blutigen Parforschjagd*
in den Hof trat. Ich bin mit meinem Tage zufrieden! Aber
Kinder, wie geht's euch?"
"Auch ich bin zufrieden!" schmunzelte die Gans, die
wohlgestopft aus der Steige herausguckte.
"Ich auch," grinste die Katze, und trug eine gestohlene
Wurst in den Winkel.
*kommt
aus dem pfälzischen und kann man übersetzen mit Marterjagd.
Heute kenntman das Wort unter
"Parforcejagd" und bedeutet Hetzjagd.
Der Reiher und
die Rohrdommel
Um seinen Durst zu löschen, kam der Reiher an einen Teich,
wo die Rohrdommel das klare
Wasser aufgerührt und getrübt hatte.
"Tor!" rief ihr der Reiher zu. "Warum rührst du den Schlamm
auf, wenn du fischen willst?"
"Tor selber," versetzte die Rohrdommel, "weißt du noch
nicht, daß sich's im trüben am
besten fischt?"
Der Uhu und der Affe
Ein drolliger Affe gaukelte vor einem angeketteten Uhu
herum, der sehr ernsthaft,
sehr tiefsinnig da saß und — nichts dachte.
"Wird es bald Ende?" rief er in Unwillen. "Ich muß dir
sagen, daß mir nichts unerträglicher
ist, als einen Narren vor mir zu sehn."
"Aufrichtig gesprochen," lachte der Sapaju,"geht mir gerade
wie dir, aber weiser Herr,
mach es doch wie ich, und sei tolerant."
Der Maulwurf
und der Zweifalter
"Warum setzest du doch deine Schönheit immerfort dem
sengenden Sonnenstrahl aus?"
So rief der Maulwurf dem prächtigen Zweifalter zu. "Komm
doch zu mir! Du glaubst
es nicht, wie kühl und erquickend es hier, tief im Erdboden
ist."
"Immerhin!" versetzte der Zweifalter, "wer nicht wert ist,
daß ihn die Sonne bescheint,
der tut freilich wohl, wenn er sich verkriecht."
Albertis Bäumchen*
Zwei junge Bäumchen wuchsen zwar in ungünstigen Böden, aber
an einem mächtigen
Strome, der seine Fluten ins Weltmeer trieb. Da frug ihn
einer der grünenden Jünglinge:
"Wohin eilst du doch, prächtiger Strom?"
"Dorthin" erwiderte der Strom "wo ich noch größer und
prächtiger zu werden hoffe.
Willst du mit?"
Das Bäumchen war entschlossen, ließ sich vom Strome
fortreißen, und ward an ein fernes
gesegnetes Land geführt, wo es Wurzel faßte, und bald zu
einem großen Walde heranwuchs.
Als sein zurückgelassener zweiter Bruder das vernahm,
stürzte er sich von selbst in den
Strom, und ward hinaus ins Weltmeer gerissen allein, nachdem
er lange das Spiel der
Wellen, des Sturms und der Seeungeheuer gewesen war, warf
ihn der Orkan auf einen,
öden Fels, wo er bald gänzlich verderben mußte.
Das hörte der dritte zurückgebliebene junge Baum, und machte
dem Strome manchen
bitteren Vorwurf. "Gemach, gemach!" rief dieser, "ist es
denn meine Schuld? Zwei tun oft
einerlei und ist doch zweierlei."
*Der
Anfang dieser Fabel gehört dem Leo Baptist Alberti, die
Fortsetzung dem gegenwärtigen Verfasser.
Die Hasen
Bei Mondschein schlichen sich zwei Hasen, Vater und Sohn,
durch die Buchenhecken in
Argants Garten, und kamen auf den Rasenplatz, wo der reiche
Junker seinem
Lieblingshunde, dem furchtbaren Jäger Waldman, ein
steinernes Monument gesetzt hatte.
"O wie schade," klagte das Häschen, daß unser
unversöhnlicher Todfeind zuletzt noch solch
ein schönes Ehrendenkmal haben soll!"
"Alberner Hans!" strafte ihn der Vater, ich wollte, daß
unsere Feinde samt und sonders
dergleichen Ehrenmäler hätten!"
Der Blasebalg, der
Zugwind und der Koch
"Her mit dem Blasebalge!" rief das sinkende Herdfeuer dem
Koche zu, "sonst wird dein
Braten schlechterdings nicht zu Mittage gar."
"So warte doch, bis ich herankommen kann," sprach der
Zugwind. "Das wird so lange
nicht aufhalten; und dann brauchst du weder Wedel noch
Blasebalg."
Aber der Koch wartete darauf nicht, sondern eilte mit dem
Blasebalge herbei, eh das
Feuer ausging. "Denn," sagte er, "wenn das Bedürfnis
dringend geworden ist; dann kann
es unmöglich auf die Laune des Zufalls warten."
Der Gelehrte und
die Fliege
"Du bist doch ein äußerst ungeduldiger Mann!" sprach die
Fliege zum Gelehrten. "Ich bin
ja nur die Einzige deines Zimmers; gleichwohl gebärdest du
dich, als ob dich ein ganzes
Hornissennest umsumste."
"Mir gleich viel!" rief der erbitterte Skribent. "Ein
einziges Ungeziefer ist so unleidlich,
als mehrere; und dein Stich zerstört mir den
Gedankenzusammenhang eben so arg, als ein
Nest voll Hornissen."
Die Nachtigall
Schon längst hatte der Vogelsteller dem trefflichsten
Sprosser im Birkenwäldchen vergeblich
nachgetrachtet. Der listige Sänger achtete keinen Köder,
ließ Ameiseneier und fette
Mehlwürmer unangerührt, vermied klüglich alle Leimruten, und
kam niemals den
Sprenkeln* zu
nahe.
Halt! dachte nun der Vogelsteller. Was giltst, ich überliste
dich noch. Er grub eines Morgens,
als der Sprosser hoch auf einer Birke saß, und seinem
Verfolger zum Trotze schlug,
auf seinem Vogelherde mit vielen Umständen ein Grübchen, und
scharrte das mit
anscheinender Behutsamkeit wieder zu; grub abermals, und
scharrte wiederum.
Darauf ging er, ohne den Sänger eines Anblicks zu würdigen,
in seine Vogelhütte.
Was alle Köder nicht bewirkt hatten, das tat nun die
Neugier. Ungeduldig, zu sehn, was
der Vogler da gemacht habe, flog der Sprosser von seiner
sicheren Höhe herab, hüpfte zu
den merkwürdigen Grübchen, und — wie der Blitz schlug das
Netz über ihn,
den Uneigennützigen und Klugen, aber Allzuneugierigen.
*Sprenkeln:
Vogelstellerschlinge
Der Schierling
und der Gärtner
"Laß mich doch immer auf deinem Beete!" so bat der
Schierling den jätenden Gärtner.
"Ich schade ja weder deinen Petersilien, noch deinem
Kerbel."
"Aber" versetzte der Gärtner, "du bist meinen Kräutern
ähnlich, und bist gleichwohl giftig."
"So kennst du mich ja; du wirst mich nicht essen, und ich
werde dir also keinen Nachteil zuziehen."
"Noch lange nicht genug! hunderte kennen dich nicht;
hunderte können sich den Tod an dir essen."
"Dagegen aber bedenke doch, heile ich auch manche
verzweifelte Krankheit, wie dir dein
Doktor sagen kann."
"Ei was!" schrie der Gärtner endlich, "dafür laß ich den
Doktor sorgen! Ich bin nur Gärtner."
Und heraus war das Unkraut.
Der Wolf und der
Schäfer
"Schäfer!" rief ein ausgehungerter Wolf, — versteht sich in
gehöriger Entfernung —
"Wie wäre es, wenn wir Friede machten? Betrachte mich genau,
und du wirst
augenscheinlich sehen, daß ich so gut ein Hund bin, als dein
Phylax. Das haben alle
großen Naturkundigen behauptet. Bloß die Härte der Menschen
hat mich ein wenig
verwildert: aber wenn du mich in deine Hürde aufnähmst, mich
gehörig erzögest, und
mir meine Untugenden, die nur die Not erzeugt hat, mit
Sanftmut abgewöhntest; so wirst
du, wenn dein Phylax (der doch nicht ewig leben kann!)
endlich stirbt, den Ankauf für
einen anderen treuen Herdenwächter ersparen können. Nun, was
meinst du?"
"Ich meine," versetzte der Hirt "daß Wolf, Wolf ist und
bleibt. Inzwischen verstehe ich
mich auf eure Naturgeschichte zu wenig, also Phylax, sieh
doch mal nach, ob dieser
Isegrim wirklich ein Wolf ist oder nicht?"
Phylax sprang hinaus, und der Wolf befand es nicht für gut,
diesen Physiker zu erwarten.
Der Auerhahn, die
Katzen und der Tauber
Auf einem Tannenbaume hatten ein Paar Waldtauben, ihre
friedliche Wirtschaft, liebten
sich still und herzlich. Da gewahrte der Tauber, als er
ausflog, den Auerhahn unter einer
Menge Hennen, der sich für Brunft nicht kannte, und die
lächerlichsten Posituren machte.
"Warum gebärdest du dich denn so närrisch?" fragte der
Tauber den Balzer als er zu sich
selber kam. "Ach! die Liebe!" war die Antwort. "Die Liebe!"
Der Tauber schüttelte sein Köpfchen, und flog heim. Da tönte
vom nächsten Eichbaume
her ein Zetergeschrei, denn ein wilder Kater und eine Katze
pflegten ihr Liebeswerk,
bissen und kratzten sich blutig. "Ihr Unsinnigen, was macht
ihr denn da?" fragte der
Tauber abermals; und abermals fiel die Antwort: "Ach! — Die
Liebe! Die Liebe!"
Da schlüpfte der Tauber in sein friedliches Nest, küßte
seine traute Tauberin freundlich
und rief: "Laß uns lieben Kolombine, doch ohne Narrheit und
ohne Wut."
Der Kettenhund
und der Schoßhund
Wenn die Hausdame mit ihrem seidenhaarigen Joli auf dem
Arme, über den Hof nach
dem Garten ging, dann knurrte Sultan, der Kettenhund,
allemal mit Ingrimm.
"Schändliches Vorurteil! Unverzeihliche Parteilichkeit!
Dieser Stubenbrütling kann nichts
als belfern, fressen und schlafen; gleichwohl wird er
gepflegt und geliebkost wie das Kind
vom Hause. Nach mir fragt der Vogt kaum, wenn er mir Mittags
die spärliche Kost bringt.
Das muß doch endlich wurmen. Ich war in meiner Jugend der
Stolz meines Herrn, dann
sein mutiger Saufänger, endlich seit manchem Jahre schon
sein treuer Hauswächter bei Tag
und Nacht. Ist denn in all dem gar kein Verdienst? Tauge ich
denn nun weiter zu gar nichts?"
Die Dame sprach lächelnd: "Verdienst wohl, aber in deinem
Posten. Sultan taugt viel,
nur nicht zum Schoßhunde."
Die alte
Schwalbe und die Junge
Eine Schwalbenmutter sprach einst zu ihrem Söhnchen: "Sieh
doch, wie dein Vater so
herrlich fliegen kann! Welche Schnelle! Welche Gewandtheit!
Jetzt wie der Wind, hier
über den Teich; nun wie der Pfeil, dort über den Kirchturm!
Mutig, mein Sohn! Ihm
nachahmen mußt du; das ist mein Wunsch, und mein Segen!"
"Ach liebe Mutter!" erwiderte der Brütling, das wird schwer
halten, und wohl vergeblicher
Wunsch sein. Ich bin zufrieden, wenn ich nur werde fliegen
können wie der Spatz, oder
die Ente. Sie finden doch auch ihr Brot!"
"O du Kleingeist"! strafte ihn die Mutter. Wenn man noch
jung ist, muß man über nichts
verzagen; der Flug des Adlers selbst muß dir nicht zu hoch
dünken. Ob du ihn auch nicht
erreichst, dennoch mußt du es wollen!"
Der Ozean und die
Flüsse
Stolz auf sein emporschwellen und seinen Umfang, behandelte
der Ozean einst die
Flüsse, die sich in ihm ergossen, mit vielem Übermute.
"Kommt, kommt!" rief er, tut eure
Schuldigkeit, und gebt mir euern Tribut; sonst will ich euch
noch allesamt verschlingen!"
Die Flüsse widersprachen mit Verachtung: "So nennst du das
Tribut, was doch freiwillig
gegeben ist? Ohne unsern Beitrag würdest du gar bald Mangel
leiden, du Undankbarer,
der du noch obendrein unser helles und süßes Wasser
verunreinigst und verdirbst!"
Ihr mächtigen Städte, die das Land vergrößert und ernährt, —
vergeßt doch ja nicht,
was
die Flüsse sprachen!
Das Weinfaß und die
Gläser
"Ihr Nimmersatten," schilt das geizige Weinfaß den
Stechheber und die Flaschen.
"Wann werdet ihr endlich genug, haben? Ihr versündiget euch
an mir, und nimmermehr kann
es euch wohl ergehen!"
Da riefen ihm die wartenden Gläser zu: "Beruhige dich! Wir
versprechen dir Rache.
Schon das Sprichwort sagt, daß jeder Sammler seinen
Vergeuder haben wird."
Der atheistische Eber
"Redet was ihr wollt von euerm Pan," grunzte der
ungeschlachte Eber zu den andern
Waldbewohnern, "ich glaube ihn nicht denn nie sah ich ihn."
"Wie?" zürnte der Edelhirsch, "auch dann nicht, als er dir
im Lenze junges Schilf,
im Sommer erquickenden Schatten, im Herbste Bucheckern und
Eicheln gab?"
"Auch dann nicht! Denn das alles ward ja nur weil es so
ward."
"Kommt fort Brüder," rief der Hirsch "Das Vieh ist blind und
so werden wir es nimmermehr
bekehren."
Der Adler und der Rabe
Junger edler Dichter! Wenn du dich durch eigene Kraft immer
höher zu erheben vermagst;
so verschmähe stolz der Plagiare niedern Flug, und ihren
unrühmlichen Fraß!
Mach es wie jener Adler. Ihn sah auf seinem Sonnenfluge der
träge Rabe empor dringen,
und bat ihn zu Gaste. "Komm herab," rief er, "Königssohn,
und nimm mit mir für Willen!
Hier habe ich den köstlichsten Käse von der Welt geholt,
der, wie ich nun wohl sehe,
mehr als zu groß für mich ist."
"Nichtswürdiger!" rief der Vogel Jupiters herab, glaubst du,
daß gestohlenes Gut für
einen Adler tauge?"
Die Größe
Ein außerordentlich großer Elephant war die Bewunderung und
der Neid seiner Gegend.
Zehn Fuß hoch, wandelte der Gewaltige wie ein Berg einher.
Ihn sahen die Bewohner des
Sumpfes und des Dickichts schon von ferne kommen. Sein
Rüssel riß mit leichter Mühe
den Kokos und die Palme nieder; ihn floh die Schlange, ihn
fürchtet der Tiger, der Löwe
selbst ging ihm aus dem Wege; und die kleineren Tiere, die
seine Gegenwart schon oft
von dem Schakal und der Hyäne befreit hatte, riefen laut
jubelnd sobald sie ihn erblickten:
"Heil ihm! wie glücklich ist er in seiner Große!"
"Ich glücklich?" seufzte der Koloß: "Ach, ich brauche zu
viel, um nur zu leben, wenn ihr
überall euern notdürftigen Fraß findet! Undurchdringlich
bleibt mancher herrliche Wald
für meine Größe; mancher Pfad ist für mich zu weich, oder zu
schmal. Des Nachts muß
ich Müder mich in Sturm und Wetter an den unzuverläßigen
Baum lehnen, wenn ihr
ruhig und warm in eurer Lagerstatt schläft. Niemand hilft
mir die Last meines Hauptes
und meiner Zähne tragen; meinen empfindlichen Rüssel
verletzt die dummdreiste
Moskito ungestraft, und die benachbarten Krals haben mich
schon für ihre Fallgruben und
ihre Jagd ausgezeichnet. Ich will nicht ehrlich sein, wenn
ich nicht oft die kleinste
Feldmaus beneide!"
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