Fabelverzeichnis
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Buch 2
 

Fabeln 1/2
 
Die Beschreibung Jupiters
Der Pavian und der Pudel
Der Fuchs
Der Quell der Jugend
Der Arzt und der Kranke
Der Käse
Der kranke Löwe
Der Vater und der Freier
Der Esel, der Affe und der Maulwurf
Der Fuchs ohne Schwanz
Die Biene und die Taube
Der Vater
Sokrates und der Jüngling
Der Wolf und das Schwein
Der Junker und der Bauer
Die neue Eva
Die drei Ringe
Das Bild des Todes
Johannes der Seifensieder
Die Henne
Die beiden Briten
Der junge Kater
Bruder Fritz
Die Taxe der Tiere
Die Schafe und ihr Herr
Die schlimmste Frau
Der Löwe, der Fuchs und der Esel
Die Reliquie
Die Taube, die Dohle und die Elster
Der Star und die Lerche

Fab.31
Die Beschreibung Jupiters

Den Zeus ersuchte sein Trabant,
Der Adler, einst um das Vergnügen,
Ein wenig in sein Vaterland
Auf Abenteuer auszufliegen.

Er fuhr schnell, wie aus Äols Schlund'
Ein Sturm, von des Olympus Küste
Herab zu diesem Erdenrund',
Und sah sich über einer Wüste,
Die das Athen der Affen war;
(Nun heißt die Gegend Zanguchar)
Hier wollt' er ausruhn. Ha! wie lauschte
Der Paviane muntrer Chor,
Als er, gleich einem Meteor,
In ihren Kreis herunter rauschte!

Der Rektor der Akademie,
Ein Doktor der Mythologie,
Erkannte gleich am goldnen Schnabel
Des Donnergottes Leibkonstabel,
Und rief: Heil dir! und dreimal Heil!
Du Hüter von Kronsons* Waffen!
Was macht er? was sein Donnerkeil?
Gibt's noch mit Riesen viel zu schaffen?
Darf ich den Vorwitz dir gestehn?
Gern möchte' ich deinen Gott einst sehn.
Spricht er auch öfters von uns Affen?

O ja! lacht ihm der Adler zu;
Sitz auf! du sollst in einem Nu
Den König der Natur erblicken.
Der kecke Doktor Sapajou*
Springt jauchzend auf des Knappen Rücken.
Schnell, wie die Blitze, die er hält,
Durch die geteilten Wolken zücken,
Trägt er ihn hin zur Oberwelt,
Und stellt ihn zu des Thrones Füßen;
Umwölkt mit Todesfinsternissen,
Fällt er starr auf die Stirne hin;
Und hätte seine Seel' im fliehn
Nicht Jupiter zurück getrieben,
Der Körper wäre da geblieben.
Doch kaum erblickt er neues Licht,
So wirft er in den Staub sich nieder,
Schließt hurtig noch die Augenlider,
Und schlägt die Pfoten vors Gesicht.

Wohlan! ruft Zeus, man bring' ihn wieder
Hinab in seine Wüstenei.
Fahr wohl! und berichte deinen Brüdern,
Was der Monarch der Götter sei.
Er winkt dem flüchtigen Trabanten;
Und eh sich Matz besinnen kann,
Langt er im Schoß der Anverwandten
Von kaltem Schweiße triefend an.
Schon taumelt, jauchzend wie Bacchanten,
Der ganze Rudel, bunt und kraus,
Dem Pilger zu: Sei uns willkommen!
Wie fandest du das Oberhaus?
Was hast du Neues dort vernommen?
Wie sieht der Gott der Götter aus?
So hört er hundert Stimmen fragen.-

Wie wird er aussehn? — wie ein Gott!
Ja, wie ein Gott, das kann ich sagen,
Versetzt der rauhe Don-Quixott,
Und streicht sich seinen Rektorkragen.
Gut! spricht ein junger Kandidat:
Allein, wie ist ein Gott beschaffen?
Ha! Freund, rief Matz, er ist . . er hat . .
Er hat — kein Härchen von uns Affen.

So schreibt, dem Menschensinn zum Spott,
Noch mancher unter uns von Gott.

*
Kronos der Vater des Jupiter, wird von den griech. Poeten
oft Kronion und Kronson genannt.

*
Sapajou ist ein Kapuzineraffe.

Fab.32
Der Pavian und der Pudel

Ein großer finstrer Pavian,
Der von dem Kloster sich entfernet,
Wo er dem Pater Gardian
Die Kasuistik* abgelernet,
Trabt mit dem Pudel Tamerlan
Zu gleicher Zeit zur Stadt zurücke,
Allwo sie auf der ersten Brücke
Ein Dutzend wilder Knaben sehn,
Die dreist auf dem Geländer gehn.
Der beste Springer dieser Knaben,
Auf seine Künste stolz und kühn,
Hüpft, tanzt, und stürzet in den Graben;
Er schreit, er zappelt; alle fliehn.
Hier ist ein seltner Streit von Pflichten,
Sprach der gelehrte Pavian;
Wär' ich beim Pater Gardian,
Ich wüßte gleich den Fall zu schlichten.
Soll ich des Knaben Retter sein?
Ja freilich! spricht die Menschenliebe.
Doch wie? wenn ich im Wasser bliebe?
Nein! ruft die Selbsterhaltung, nein!
O wehe dem, versetzt der Pudel,
Der Schulwitz und Gewissensrat
Zu guten Dingen nötig hat!
Und riß den Knaben aus dem Strudel.

*
Kasuịstik [lateinisch] die Ethik: die Lehre über die Anwendung
allgemeiner sittlicher Normen auf konkrete Situationen
oder Handlungen.


Fab.33
Der Fuchs

Der Fuchs fand einst im Meierhof' ein Buch.
Es hätt' ihm mehr behagt, hätt' er ein Huhn gefunden;
Denn diesem galt jetzt sein Besuch.

Das Buch, in Leder eingebunden,
Das Meister Fuchs im Hofe fand,
War — o bejammernswerter Schade! —
Die weltberühmte Vulpiade,
Sonst Reineke der Fuchs genannt.
Es steckte zwar der Fuchs die Nase tief hinein,
Es schien, als hätt' er Lust zu lesen;
Allein, wie konnt' es möglich sein?
Er war auf Schulen nie gewesen.
Der gute Schlucker suchte hier
Ein Pflaster für den leeren Magen,
Er suchte Fleisch, und fand Papier.

Er wollte schon den Band zernagen,
Als er im Buche hier und da
Sein eignes Bildnis schimmern sah.
Sogleich ward es mit großer Lust durchbildert.
Er fand sein liebliches Gesichtchen überall
Bei manchem Freudenfest, bei manchem Trauerfall
Recht nach dem Leben abgeschildert.
Zuletzt geriet er auf ein Stück,
Worin der Künstler ihn zum armen Sünder machte,
Ja schon bis untern Galgen brachte;
Der Kater Hinz hielt einen Strick,
Und hieß ihn auf die Leiter treten;
Der Bär hub an mit ihm zu beten
Hier schimpft' und sprach der Hühnerdieb:
Entweder mein Gedächtniskasten
Hat so viel Löcher als ein Sieb,
Wo nicht, so lügen die Fantasten,
Die dies gemalt, mit allem Fleiß,
Denn nach der Bilder Sinn zu raten,
Stehn viele hier vor meinen Taten,
Wovon ich keine Silbe weiß.

Was unser Fuchs sprach, würden wir
Von hundert alten Helden hören,
Wenn sie der Bücher, die wir hier
Von ihnen lesen, kundig wären.

Fab.34
Der Quell der Jugend

Vor Zeiten war ein Quell bekannt,
(Wo, will ich sagen, wenn ichs finde)
Der war der Jugendquell genannt;
Wer aus ihm trank, der ward zum Kinde.
Was kriechen konnte zog dahin.
Manch altes Weibchen kam am Stabe,
Und ward zur Puppenspielerin,
Und mancher Graubart ward ein Knabe.
Die Greise stürmten fast den Ort;
Stets hatten sie den Quell umringet,
Und ritten, wenn sie sich verjünget,
Auf Steckenpferden kindisch fort.

Schon waren viele Tausend jung,
Als das Verhängnis, eh mans dachte,
In einer Erderschütterung
Den ganzen Brunnen trocken machte.
Der Quell war hin; doch man vernahm,
Daß seine Wunderkraft von allen,
Die ihn besucht, eh er verfallen,
Auf ihre Leibeserben kam.
Zwar, sie behielten die Gestalt,
Die Runzeln blieben an der Stirne,
Das Haar blieb grau, der Leib blieb alt;
Sie wurden Kinder am Gehirne.

Drum, wenn ein Alter spielt und flucht,
Verliebt ist, oder andre Schwänke
Der Jugend unternimmt, so denke:
Sein Ahnherr hat den Quell besucht.

Fab.35
Der Arzt und der Kranke

Nun? wie befindet man sich? —
Schlecht, mein Herr Doktor, schlecht;
Ich bin so matt, ich kann mich fast nicht rühren.—
Die Korsen werden triumphieren.
Wenn England ihnen hilft. —
Mein Schlaf ist auch nicht recht.—
Der alte Paoli ist doch ein Eisenfresser!—
Vorgestern war mir ungleich besser als heute.—
Genua hat mehr mit ihm zu tun,
Als mit den Theodor.—
Könnt' ich nur etwas ruhn,
Das würde mehr, als Arznei, mich stärken, —
Noch eins! Es läßt sich England merken
Daß es mit Portugal gemeinschaftliche Sache,
Den Spaniern zuwider, mache,—
Gut, mein Herr Doktor, gut! Allein; was sagen sie.—
Wer weiß, was Frankreich tut? —
Allein was sagen sie zu meinem Fieber denn?
Ach! damit hat's nich Not.— Auch mit Subsidien
Kann Frankreich schon genug dem span'schen Hofe dienen. —
Allein ich sehe nicht, was mir dies nützen soll.—
Nur guten Muts! was gilts? Es bessert sich mit ihnen.
Doch meine Zeit ist kurz. Mein Herr, sie leben wohl!

Fab.36
Der Käse

Ein fetter Ziegenkäs', in Leinwand eingebunden
Ward einst von einem Paar
Naschhafter Katzen aufgefunden.
So angenehm die Beute war,
So heftig war der Streit die Teile gleich zu messen.
"Willst du allein den Käse fressen?
Zwei Drittel nimmst du weg."
"Wie schändlich lügest du!
"Von deinem Teile kommt mir noch die Hälfte zu."
Zum Richter wählet man zuletzt des Nachbarn Affen.
"Sein Herr ist in dem Magistrat:
Er weiß von ihm das Recht, er soll uns Recht verschaffen."

Man ruft ihn her. Er kommt, (ein ernster Rat
Im Mantel und im Überschlage,
Der Weisheit seines Herrn,) setzt sich zum Tische hin,
Und spricht: "Ich will den Streit nicht in die Länge ziehn;
Hier ist mein Messer, hier die Waage.
Seht selber auf das Zünglein hin.
Und merkt, wohin es überschlage.
Nicht war? zur Rechten." — "Ja!"
"Schon gut! den Augenblick
Soll ihm geholfen sein." — Flugs schneidet er ein Stück
Vom rechten Teile weg, und schiebt es in den Rachen.
"Wie stehn die Schalen nun?" — "Die linke hat zuviel."
"Gleich wollen wir sie leichter machen."

Der Richter wiederholt das Spiel
So schnell und oft, und macht zur Rechten und zur Linken
So fein die Schalen niedersinken,
Daß er bereits den Käse halb verzehrt.
"Herr Richter, nun genug! wir sind zufrieden.
Ein kleiner Unterschied ist gar nicht wert,
Daß sie sich ferner noch ermüden."
So rufen die Parteien. — "Ei pfui! das geht nicht an.
Gerechtigkeit ist eine Sache,
Die man nie zu genau in Obacht nehmen kann.
Ich bin ein ordentlicher Mann,
Im Dienst so treu, daß ich mir ein Gewissen mache,
Wenn ich nun um ein halbes Gran
Den oder jenem Tort getan."

Er hilft den Schalen noch mit manchem neuen Schnitte,
Hier einer Nuß, dort einer Erbse groß.
"Seht nun das Zünglein in der Mitte?"
"Vollkommen! auf ein Haar!"
"So werfet nun das Los!"
"Ach, Schwester!" fragt die eine Katze,
"Ich laße dir zu wählen frei."
"Recht gut! nun ist es einerlei",
Versetzet jene drauf, und reckt die Tatze
Von ungefähr zur nächsten Schale hin.

"Noch nicht, ihr Damen!" spricht der Affe;
Wer zahlt mir erst für mein Bemühn?
Erlauben sie, daß ich auch mir mein Recht verschaffe.
Wie viel mag jetzt das Restchen sein?
Nicht wahr? ein Drittel noch vom ganzen Kapitale
Das zieh' ich für die Sporteln* ein.

So geht’s in manchem Tribunale.

*
Gebühr oder Dienstleistung.

Fab.37
Der kranke Löwe

Der Tiere Großsultan lag auf dem Krankenbette.
Er war vom Kopf bis auf den Schwanz
So hager, wie der Papst im Basler Totentanz.*
Kein Tier war da, das ihm nicht Rat gegeben hätte.
Der Schwindsucht Kur, die ein Franzos' erfand,
Die Kur im Ochsenstall,* war damals unbekannt,
Die Gerste, sprach das Pferd, ist trefflich für die Lunge,
Sie kühlet das Geblüt und reiniget die Zunge.
Nein! sagt ein alter Bär, der wilde Honigseim
Ist Balsam für die Brust und löst den zähen Schleim.
Ei! rief der Leopard, um Fürsten zu kurieren,
Lob' ich mir Menschenmark in Tränen aufgelöst,
Kann sein, des Tages ein Pfund, das hilft.
Dies Vetter will ich gleich probieren,
Versetzt der Patient; dein Rat ist Goldes wert.
Ich selber habe längst gehört,
Das viele Herren bei dem Menschenvolk auf Erden
Durch dieses Mittel fetter als die Dachse werden.

*Ochsenstall, das heißt, der Kranke mußte die Ausdünstungen eines
Kuhstalls einatmen.

 



*Der Basler Totentanz, auch als Tod von Basel bekannt, bezeichnet ein
Bild, welches im Mittelalter in Basel auf die Innenseite der Friedhofsmauer
bei der Predigerkirche gemalt wurde und den Totentanz darstellte.

Das Gemälde ist ein memento mori, d. h. es erinnert mahnend daran, daß der
Tod jeden, ungeachtet seines Standes, plötzlich aus dem Leben reißen kann.

Fab.38
Der Vater und der Freier

Sie wollen meine Tochter haben?
Ich bin zu redlich Sie zu hintergehn;
Mein Kind hat von Natur gar schlechte Leibesgaben. —
Sie scherzen! sie ist zum Entzücken schön.—
Schön? Ei! Sie haben sie wohl nie recht angesehen;
Sie ist verwachsen, bleich, und schon für Sie zu alt. —
Mir scheinet sie von blendender Gestalt,
Und höchstens zwanzig Jahr würd' ich ihr zugestehen. —
Auch ihr Verstand ist nur gemein. —
Erlauben Sie, den find' ich fein,
Sie hat viel Mutterwitz, ihr Kopf ist offen. —
Selbst ihr Vermögen ist nur klein,
Und nichts, fast nichts hat sie zu hoffen.—
Wie? nichts? und ist so dumm, verwachsen, widerlich?
Ihr Diener! Ich empfehle mich.

Fab.39
Der Esel, der Affe und der Maulwurf

Ein betrübter Esel heulte,
Weil des Schicksals karge Hand
Ihm nicht Hörner zugewandt,
Die sie doch dem Stier erteilte;
Und der Affe fällt ihm bei,
Daß der Himmel grausam sei,
Weil er ihm den Schwanz versaget.
Als nun jeder mürrisch klaget,
Spricht der Maulwurf: Ich bin blind,
Denkt an mich, wenn eure Plagen
Euch so schwer zu tragen sind,
Und ihr werdet sie ertragen.

Fab.40
Der Fuchs ohne Schwanz

Reineke verwirrte sich
In die ihm gelegten Stricke;
Ob er nun gleich selbst entwich,
Ließ er doch den Schwanz zurücke.

Um nicht lächerlich zu sein
Predigt' er den Füchsen ein,
Auch den ihren abzulegen.
Seine Hörer zu bewegen,
Sprach er, als ein Cicero;
Erstens, will der Wohlstand so,
Um sich zierlicher zu regen;
Denn man trabt damit zu schwer
Und zu unbequem einher.
Zweitens, macht ein Schweif zu kenntlich.
Drittens, hält er in dem Lauf
Oft den schnellsten Brandfuchs auf.
Viertens, riecht er vielen schändlich.

Stumpfer Redner! schweige du,
Rief ein alter Fuchs ihm zu,
Solch ein Rat ist zu belachen.
Wenn, wie dich, die Mißgunst quäle,
Wird den Vorzug, der ihm fehlt,
Andern stets zuwider machen.

Fab.41
Die Biene und die Taube

Ein Bienchen trank, und fiel darüber in den Bach.
Dies sah voll Mitleid eine Taube,
Und warf ein Blättchen von der Laube,
Worauf sie saß, ihm zu; das Bienchen schwamm danach,
Und half sich glücklich aus den Bach.

Den andrern Tag saß unsre Taube
Zufrieden wieder auf der Laube.
Ein Jäger hatte jetzt sein Rohr auf sie gespannt.
Mein Bienchen kommt; pick! sticht's ihn in die Hand,
Paff! geht der ganze Schuß daneben.
Die Taub' entflieht, und verdankt nun auch der Bien' ihr Leben.

* * *

Nimm dich voll Menschenhuld der Kleinsten willig an.
Auch wisse, daß dir oft der Kleinste nützen kann.

Fab.42
Der Vater

Der große Heinrich kroch auf allen Vieren
Mit seinem Sohn, der auf ihm ritt,
Im Saal umher. Schnell öffnen sich die Türen;
Der Abgesandte von Madrid
Erscheinet ihm Gemach, und sieht ihn galoppieren.
Herr! sind Sie Vater? ruft der Held mit heiterm Mut,
Und liegt noch immer auf den Händen.
Ja! Sir! antwortete ihm der Don. — Gut! gut!
So kann ich meinen Marsch vollenden.

Fab.43
Sokrates und der Jüngling

Ein Jüngling tat auf seine Schönheit stolz;
Den führte Sokrates zu Phöbus Tempel,
Wo dieser schöne Gott in Marmor stand.
Was spräche der, sofern er sprechen könnte,
Mit Wahrheit von sich selber? fragt er ihn.
Der Jüngling gibt zur Antwort: Dieser spräche
Mit Wahrheit von sich selber: Ich bin schön.
Warum erwiderte der weise Grieche,
Stolzierst du denn mit Gaben eines Steins?
Willst du nicht höher als ein Stein dich schätzen?

Fab.44
Der Wolf und das Schwein

Der Wolf sprach eines Tags zum Schwein:
Wie könnt' ich solch ein Scheusal sein,
An Kot und Schlamm mich zu ergötzen!
Zur Antwort gab hierauf das Schwein:
Wie könnt' ich solch ein Wütrich sein,
Am Blut der Lämmer mich ergötzen!

Stax buhlt, und Polidor säuft Wein,
Und beide rufen mit Entsetzen:
Wie könnt' ich solch ein Abschaum sein!

Fab.45
Der Junker und der Bauer

Ein Bauer trat mit dieser Klage
Vor Junker Alexander hin:
Vernehmt Herr, daß ich heut am Tage
Recht übel angekommen bin;
Mein Hund hat Eure Kuh gebissen.
Wer wird den Schaden tragen müssen?
Schelm! das sollst du, fuhr hier der Junker auf,
Für dreißig Taler war die Kuh mir nicht zu Kauf.
Die sollst du diesen Augenblick erlegen.
Das sei hiermit erkannt von Rechtes wegen.

Ach nein! gestrenger Herr, ich bitte, höret,
Rief ihm der Bauer wieder zu,
Ich hab' es in der Angst verkehret;
Nein! Euer Hund biß meine Kuh.

Und wie hieß nun das Urteil Junker Alexanders?
Ja Bauer, das ist ganz was anders.

Fab.46
Die neue Eva

Nichts schmeckt so süß, als das gestohlne Brot;
Ein Sprichwort sagt's, das ich nicht falsch befinde.
Man prüfe sich! Gibt etwa das Verbot
Der Sache neuen Reiz, und würzt die Sünde?
Es wird kein Trank gleichgültig angesehn,
Sobald der Arzt ihn ernstlich untersaget;
Und mancher wird was sträfliches begehn,
Bloß weil sein Mut ein kühn Verbrechen waget.
Was Eva tat, ist freilich gar nicht schön;
Doch gleicher Vorwitz treibt auch ihre Kinder.
Man kann sehr leicht die erste Mutter schmähn,
Und fehlte doch im gleichen Fall nicht minder.

So sprach ein kluger Mann nicht ohne Glimpf,
Als einst sein junges Weib in Zorn entbrannte,
Und Evens Fall, mit vielem Spott und Schimpf,
Bald Blödsinn hieß, bald tolle Gaumsucht nannte.
Wie sollt' ich doch, so hub sie nochmals an,
Aus Lüsternheit am Apfel mich zu laben,
Nicht mich allein, auch einen lieben Mann
In solche Not, wie sie, gestürzet haben!
Nein! auf mein Wort! die Äpfel aller Welt
Sind ohne Kraft dein Evchen zu verführen.
Was hat die Frucht, das uns so sehr gefällt?
Ist sie so süß? und muß man sie probieren?

Süß oder nicht! erwidert ihr Gemahl,
Der Apfelbaum ist nicht ihr Fall gewesen;
Der Ausspruch war's, der Even anbefahl,
Von diesem Baum die Frucht nicht abzulesen.
Sollt' ich von dir nur etwas nicht zu tun,
Was gar nicht schön, ja widrig scheint, verlangen,
Mein kluges Weib! du würdest weder ruhn,
Noch fröhlich sein, bis du dich auch vergangen.
Wer? ich, mein Schatz! – Ja freilich, eben du.
Besinne dich; sonst wag' ich eine Wette.
Ein Wort, ein Mann! – Die Frau setzt hurtig zu,
Als ob ihr Geld sich schon verdoppelt hätte.

Beschäme denn die Even unsrer Zeit!
Die Probe soll nichts schweres in sich fassen.
Was dir dein Heinrich hart verbietet,
Das hast du stets freiwillig unterlassen;
Wenn du, wie sonst, den Weg durchs Nussgesträuch
In unser Bad nimmst, dich dort abzukühlen,
So hüte dich, im nahen Ententeich
Von Morgen an mit bloßem Fuß zu wühlen.
Ich sehe wohl, du lachst mich aus; allein
Ich wollte nicht zu viel von dir begehren;
Auch soll der Pfuhl dir bald vergönnet sein;
Denn mein Verbot soll nur vier Wochen währen.
Vier Wochen nur? warum so kurze Zeit?
Wer meidet nicht von selbst die faule Lache?
Fürwahr! mein Herr ist heute nicht gescheit:
Ihn drückt das Geld. Doch das ist seine Sache.
Ich nehme mir schon Kleid und Kopfputz aus;
Die Wette wird mir mehr als so viel bringen.
Mir soll gewiß der nächste Hochzeitsschmaus
Der Damen Neid, der Männer Lob erzwingen.

So schmeichelt sich das tugendhafte Weib.
Sie muß den Sumpf wie sonst, vorübergehen.
Sie denkt: Dient auch ein Sumpf zum Zeitvertreib?
Darüber wird er seitwärts angesehen.
Sie ist damit zum ersten Mal vergnügt.
Den andern Tag bleibt sie beim Sumpfe stehen:
Der Ekel ist zur Hälfte schon besiegt.
Den dritten Tag spaziert sie auf und nieder.
Am vierten scheint, was dort von Moder liegt,
Der zarten Adelheid nicht mehr zuwider.
Sie fängt fast an, die Enten zu beneiden,
Und deren Trieb dem Entrich nachzuziehn
Begeistert sie mit nie gespürten Freuden.

Die Lust zum Widerspruch schürt mächtig zu;
Der kleine Zwang wird ihr bald zur Strafe.
Begier und Lüsternheit nimmt ihr die Ruh,
Und störet sie sogar bei Nacht im Schlafe.
Noch geht ein Tag, der sechste Tag, vorbei;
Sie fürchtet sich, den Unmut anzuzeigen,
Bis Hannchen forscht. Die Zofe war getreu,
Sie sind allein, und wer kann immer schweigen?
Sie hatte sonst ihr alles anvertraut.
Jetzt, da sie endlich ihr die Wett' erzählet,
Lacht ungescheut das Mädchen überlaut,
Daß ihre Frau nur dieses ihr verhehlet.

Ein strenger Herr! Madame zögern nicht,
Und baden sich am ersten schönen Morgen.
Wer kränket wohl ein reizendes Gesicht
Durch solchen Zwang und nagelneue Sorgen?
In China geht dergleichen Fußzwang an,
Doch wenn ich recht nach meiner Einfalt schließe,
So denk ich, hier ist eines Weibes Mann
Ein Herr des Leibes nur, und nicht der Füße.
Erweisen Sie ein echtes Frauenherz.
Ein hoher Geist ist niemals zu geduldig;
Was kleine Seelen schreckt, ist ihm ein Scherz.
Sie sind der Welt ein großes Beispiel schuldig.

Der Morgen kommt. Man geht bis an den Rand
Des Teiches. Hannchen, die sie mitgenommen,
Hält sie hier auf, und zeigt ihr mit der Hand
Der Enten Zug, die schwimmend näher kommen;
Wie jene taucht, wie jene schnatternd ruht,
Wie im Morast die gelben Schnäbel spielen;
Und dieses macht der Dame neuen Mut,
Von solchem Scherz den seltnen Reiz zu fühlen.
Sie sagt: Wohlan! den Spaß verstatt' ich mir;
Ich will dabei die Wette nicht verlieren;
Ich darf den Sumpf, stünd auch mein Heinrich hier,
Zum wenigsten mit einer Zeh berühren.
Das will ich tun, noch diesen Augenblick,
Der tröste mich für den versäumten Tage.
Doch zieh mich ja zur rechten Zeit zurück,
Dafern ich mich vergess', und weiter wage.
Gesagt, getan. Sie schleichet näher hin;
Nichts will sie sonst als den Pantoffel ritzen,
Und dreimal nur. Die Liebe zum Gewinn
Heißt sie den Fuß sogleich aufs Trockene zu setzen.

Ei nun! verflucht! hebt Hannchen an und lacht;
Hat ihnen doch kein Priester das befohlen.
Was ist es dann, daß Sie so schüchtern macht?
Der Henker mag dergleichen Wetten holen.
Sie setzen frei die netten Füßchen drein,
Und gönnen nur dem rechten nur die Ehre;
Doch soll es nicht hiermit gemeinet sein,
Als ob nicht auch ihr linker artig wäre.

Das junge Weib folgt diesem Schlangenrat.
Pantoffel, Band und Strumpf wird abgeleget,
Der schönste Fuß der je die Welt betrat,
Der einen Leib, der seiner wert ist, träget,
Entblößet sich, und plätschert durch den Kot,
Vertiefet sich, und forschet in der Lache,
Ob nicht das übertretene Verbot
Den Ekel selbst zur Lust und Kurzweil mache.

Der Mann, der ihr von ferne zugesehn,
Den weder sie noch ihre Zof' entdecket,
Stürzt nun hervor, und eilt ihr nachzugehn,
Da die Gemahlin noch im Pfuhle stecket.
Sie springt heraus; er aber hält sie an:
Mein Schatz, ich bitte, schone deine Füße!
Vergib, wenn ich mich nicht darauf besann,
Daß hier der grüne Schlamm zu reizend fließe.
Bekleide dich! Die Lache schenk ich dir,
Weil sie so nötig scheint dich zu erfreuen;
Die Wette gleichfalls; nur gelobe mir,
Großmütig Evens Schuld ihr zu verzeihen.

Fab.47
Die drei Ringe

Ein reicher Mann besaß bei großen Schätzen
Zugleich den schönsten Edelstein;
Das feinste Silber schloß ihn ein,
Ihn in ein heller Licht zu setzen.
Er überwog an innerm Wert
Die Güter insgesamt, die ihm das Glück beschert.

Der Mann war alt, und durch Erfahrung klug;
Er wußte wohl, daß Arglist und Betrug
Stets bei des Reichen Bahre wachen.
Dies wußt' er und dies war für ihn genug
Ein gültig Testament zu machen.
Ein gültig Testament? das kann nicht möglich sein,
Dergleichen gibt es nicht. Auch nicht ein einzigs? — Nein.
Nun gut! wir wollen nicht darüber streiten;
Aus der Geschicht' indes erhellet offenbar,
Daß es kein Mensch in jenen Zeiten
Bestritten hat, und daß es dieses Inhalts war:

Es soll dereinst, nach meinem Sterben,
Wer meinen Ring besitzt, auch meine Güter erben.
Den Erben, welcher einst den nachgelassnen Ring
Vor des Besitzers Tod aus seiner Hand empfing,
Soll kein gleich naher Freund aus dem Besitz vertreiben;
Und dieser Wille soll stets unumstößlich bleiben.

Wer keinen Schatz und keinen Ring verwahrt,
Der hat sich diese Müh' erspart,
Und macht ein Testament nach meiner Art:
Die, meiner los zu sein, mich murrend einst begraben,
Die sollen meinen Nachlaß haben, —
Allein mein Testament gehört zur Sache nicht.

Als kaum des Alten Auge bricht,
So tritt der Sohn, des Vaters letzten Willen
Nach seiner Pflicht gehorsam zu erfüllen,
Die Erbschaft mit Vergnügen an.
Er stirbt. Sein Erbe tut, was er zuvor getan.
Und so ging, ohne sich durch Teilung zu vermindern,
Die Erbschaft durch den Ring von Kind zu Kinderskindern.
Der Erbe, der zuletzt das Gut empfing,
Bekam vom Glück drei gleiche Söhne,
Und diese baten ihn gleich rührend um den Ring.
Bewegt durch ihre Schmeicheleien,
Versprach er jedem Sohn, der ihm am Halse hing,
Das Erbschaftsrecht, und folglich allen dreien,
Und hatte doch nur einen Ring.
Der arme Mann! nun muß er sein Versprechen
Zum wenigsten zwei lieben Söhnen brechen,
Doch hört, welch eine List der Greis erfand:
Ihm faßt, auf sein Begehr, des klugen Künstlers Hand
Zwei Steine, die dem echten Stein
Vollkommen ähnlich sind, in gleiche Kasten ein,
Er mischt sie, ruft die Söhn', und macht vor seinem Sterben
Sich mit drei Ringen auch drei Erben.

Er stirbt. Das Testament ist klar,
Und der es schrieb will offenbar
Nur einem dieses Erbgut gönnen;
Hier aber sind der Ringe drei,
Noch mehr, sie sind, dem Schein nach, einerlei,
Und niemand kann die falschen kennen.
Die Sache war von Wichtigkeit;
Man zankt, bis man sich heiser schreit,
Und nimmt zuletzt die Zuflucht zu den Rechten,
Läßt fleißig Advokaten schrein.
Die Wort' und Zorn für Geld verleihn,
Und mit verdungnen Kielen fechten;
Allein hier fand kein Kunstgriff statt;
Die Sache blieb, und bleibt bis jetzt noch unentschieden;
Doch ist mit seinem Ring ein jeder Teil zufrieden,
Und glaubt, daß er den echten hat.

* * *

Was willst du, daß man aus diesem Märchen schließen soll?
Fragt meinen Freund Boccaz, der weiß es wohl.
Doch nein! der Mann ist tot, ihr könnt ihn nicht mehr fragen.
Ich selber weiß es auch, allein ich darf's nicht sagen.

Diese nach der luftigen Lafontainischen Art geschriebene Fabel hat Lessing
auf eine rührende Weise und ganz im orientalischen Geschmack erzählt
und seinem Nathan dem Weisen einverleibt.


Fab.48
Das Bild des Todes

Des großen Zoroasters Ruhm
War in ganz Asien erklungen;
Er hatte sich ins Heiligtum
Der himmlischen Magie geschwungen;
Er las mit einem Seherblick
In dem Gestirn der Völker Glück;
Ihm war die Geisterwelt entriegelt.
Prinz Amuleck verläßt, beflügelt
Von Neubegier, den Indusstrand,
Und eilt, die wundervollen Lehren
Des Philosophen anzuhören,
Nach Persien. Des Weisen Hand
Führt ihn gefällig auf die Brücke
Des Geisterreichs. Die Scheidewand
Der Körperwelt zieht sich zurücke,
Und manches neue Sylphenland
Liegt aufgedeckt vor seinem Blicke.

Erfahrung macht ihn mutiger;
Er will noch immer höher steigen;
Und bittet nun den Magier,
Das Bild des Todes ihm zu zeigen.
Der Weise ziehet einen Kreis,
Schlägt dreimal mit dem goldnen Stecken;
Schnell zeigt sich der Monarch der Schrecken.
Der Prinz getaucht in kalten Schweiß,
Ruft aus: Was seh' ich! laß mich fliehen!
Ha! welch ein scheußliches Phantom!
Aus dessen Augen, wie ein Strom,
Des Orkus rote Blitze sprühen!
Mit Schlangen ist sein Haar umstrickt
Und seine Faust, o! laß mich fliehen!
Hat einen Pfeil auf mich gezückt.

Mein, Sohn versetzt der graue Weise,
Und nahet lächelnd sich dem Kreise,
Das Schreckgespenst erblick' ich nicht,
Vor welchem deine Seele bebet;
Ein Engel ist's, der vor mir schwebet,
Gehüllt in heitres Sternenlicht;
Der Scheitel ist mit Mohn umkränzet,
Und wie ein Demantzepter glänzet
In seiner ausgestreckten Hand
Der Schlüssel zu der Himmelpforte.
Jetzt sprach er drei geheime Worte;
Und das erhabne Bild verschwand.

Der Jüngling fragt den frommen Alten
Was dies bedeute. — Wisse Sohn!
Der Tod ist ein Chamäleon;
Er borget immer die Gestalten
Der Seelen, denen er sich zeigt.
Prinz Amulek errötet, schweigt,
Nimmt endlich Abschied von dem Greise,
Und denket auf der langen Reise
Dem nach, was seine Seel' entstelle;
Bekämpft die Laster, als ein Held,
Und heißt nun Amulek der Weise.

Fab.49
Johannes der Seifensieder

Johann, der muntre Seifensieder,
Erlernte viele schöne Lieder,
Und sang sie mit unbesorgtem Sinn
Vom Morgen bis zum Abend hin,
Früh mit den Lerchen um die Wette,
Spät, schon mit einem Fuß im Bette;
Und wenn er sang, so war's mit Lust,
Aus vollem Hals, aus freier Brust.
Man horcht, man fragt: Wer singt schon wieder?
Wer ist's? der muntre Seifensieder.

Im lesen war er etwas schwach,
Er las nichts, als den Almanach,
Und Hausgebetlein und Postillen,
Die Winterstunden auszufüllen,
Und schlief, die Schuld war oft nicht sein,
Beim lesen seiner Bücher ein.

Es wohnte diesem in der Nähe
Ein Sprößling eigenützg'en Ehe,
Der, reich und stolz und lächerlich,
Im schmausen keinem Fürsten wich;
Ein Garkoch richtender Verwandten,
Der Schwäger, Vettern, Nichten, Tanten,
Der stets zu halben Nächten fraß,
Und seiner Wechsel oft vergaß.

Kaum hatte mit den Morgenstunden
Sein erster Schlaf sich eingefunden,
So ließ ihm den Genuß der Ruh
Der nahe Sänger nimmer zu.
"Zum Henker! lärmst du dort schon wieder,
Vermaledeiter Seifensieder?"
Ach wäre doch zu meinem Heil
Der Schlaf hier, wie die Austern, feil!

Den Sänger, den er früh vernommen,
Läßt er an einem Morgen kommen,
Und spricht: "Mein lustiger Johann!
Wie geht es Euch? Wie fangt Ihr's an?
Es rühmt ein jeder Eure Ware;
Sagt, wie viel bringt sie für Euch im Jahre?"

"Im Jahre Herr? mir fällt nicht bei,
Wie groß im Jahr mein Vorteil sei;
So rechne ich nicht. Ein Tag bescheret,
Was der, der nach ihm kommt, verzehret;
Dies folgt im Jahr (ich weiß die Zahl)
Drei hundert fünfundsechzig Mal."

"Nun gut! so will ich anders fragen:
Was pflegt ein Tag wohl einzubringen?"

"Mein Herr, Ihr forschet allzu sehr!
Der eine wenig, mancher mehr,
So wie's dann fallt. Mich zwingt zur Klage
Nichts als die vielen Feiertage;
Und wer sie alle rot gefärbt,
Der hatte wohl, wie ihr, geerbt,
Dem war die Arbeit sehr zuwider;
Der war gewiß kein Seifensieder."

Dies schien den Reichen zu erfreun.
"Hans!" spricht er, "du sollst glücklich sein;
Jetzt bist du nur ein schlechter Prahler.
Da hast du bar dreihundert Taler!"
Nur unterlass mir den Gesang.
Das Geld hat einen bessern Klang."

Er dankt, und schleicht mit scheuem Blicke,
Mit mehr als dieb'scher Furcht zurücke,
Hält seinen Beutel dicht umfaßt,
Und herzt und wägt die liebe Last,
Dann wird, so bald er heimgekommen,
Des Beutels Inhalt vorgenommen,
Gezählt, mit stummer Lust beschaut,
Und einem Kasten anvertraut,
Den, allen Dieben Trotz zu bieten,
Ein dreifach Schloß und Bänder hüten,
Und den der karge Tor bei Nacht
Mit banger Sorgsamkeit bewacht.

So bald der Haushund sich nur reget,
So bald der Kater sich beweget,
Durchsucht er alles, weil er glaubt,
Daß ihn ein schlauer Dieb beraubt;
Bis, oft gestoßen, oft geschmissen,
Sich endlich beide packen müssen,
Sein Mops, der keine Kunst vergaß,
Und wedelnd bei dem Kessel saß,
Sein Hinz, der Liebling junger Katzen,
So glatt von Fell, so weich von Tatzen.

Er lernt zuletzt, daß Gut und Geld
Nicht für die Freuden schadlos hält,
Die der Zufriedene genießet,
Dem Arbeit Kost und Schlaf versüßet,
Der braucht, was ihm sein Fleiß beschert,
Und nie vermißt, was er entbehrt.

Dem Nachbar, dem er stets gewecket,
Bis der das Geld ihm zugestecket,
Dem stellt er nun, als Lust zur Ruh,
Den vollen Beutel wieder zu,
Und spricht: "Herr, lehrt mich bessre Sachen,
Als statt des Singens Geld bewachen.
Nehmt Euren Beutel wieder hin,
Und laßt mir meinen frohen Sinn.
Fahrt fort, mich heimlich zu beneiden.
Ich tausche nicht mit Euren Freuden.
Der Himmel hat mich recht geliebt,
Der mir die Stimme wiedergibt.
Was ich gewesen wer'd ich wieder:
Johann, der muntre Seifensieder."

Fab.50
Die Henne

Herr Skriblers Henne legte Eier,
So fleißig eine legen mag;
Doch pflegte sie den ganzen Tag
So stark dabei zu schrei'n, als wär' im Hause Feuer.
Ein alter Truthahn, den dies schrei'n
Im denken störte, ging voll Zorn zur Henn' hinein,
Und sprach: "Frau Nachbarin, das schrei'n ist nicht vonnöten;
Und weil es doch zum Ei nichts tut,
So legt das Ei, und damit gut!
Hört, seid darum gebeten." —
"Hum!" sprach die Nachbarin, "Ihr ungelehrtes Vieh,
Ihr wißt sehr schlecht, was heuer
Die Mode mit sich bringt: Erst leg' ich meine Eier,
Dann rezensier' ich sie."

Fab.51
Die beiden Briten

Ein Lord, der, des Lebens satt, den Weg zur Themse nahm,
Ersah im gehn noch einen Briten,
Der, so wie er, mit schweren Schritten
Aus gleicher Absicht zu der Brücke kam.
Man hebt das Haupt, einander anzusehen:
"Wohin?" — "Hinunter." — "Ich verstehe dich." —
"Und du?" — "Ich auch." — "Nun, das erfreuet mich;
Allein warum? erzähle mir's im gehen.
Dem Ansehn nach mußt du bemittelt sein."

"Ach leider! nur zu sehr; und das ist meine Pein.
Der Überfluß wird mir zur Hölle.
Der Schmeichler ist mein Tischgeselle;
Der Neider fluchet mir vor meiner eignen Schwelle;
Der hämische Verleumder wacht,
Erforscht mein Tun bei Tag und Nacht.
Ich lasse Summen Goldes fliegen;
Was wird mir dadurch eingebracht?
Daß die Mätressen mich betrügen,
Daß die Klienten mich belügen,
Nicht eine Freundin, nicht ein Freund,
Der es aufrichtig mit mir meint.
So leb' ich, tot für jede Freude,
Die schwarzen Tage hin;
Und will nunmehr nach längerm Leide
Durch einen Sprung entfliehn."

"Und dies ist deine ganze Plage?"
Erwidert jener ihm; und darum raubst du dir
Das Leben? Sonderbar! — Ganz anders ist's bei mir,
Der ich die Last des Mangels trage.
Vier Kinder, eine Frau, kein Bissen Brot,
Und auch kein Weg ihn zu erwerben,
Und eine Zukunft voller Not,
Und bald vielleicht der Meinen Tod,
Dies ist der Mühe wert zu sterben."

"Wie? weiter nichts, als dies? Nun Freund, so werd' ich mich
Wohl ohne dich ins Wasser schmeißen;
Ein leichtes ist es mir, auf immer dich
Aus deiner Dürftigkeit zu reißen;"
Versetzt der Reiche, folge mir! . . .
O! keinen Dank! den schenk' ich dir.
Was kümmert mich's, wem ich die Schätze lasse,
Von denen ich doch scheiden muß?
Dann gehen wir, jeder seine Straße,
Du zu dem Weib, ich in den Fluß."

Sie gehen. Mißmutig schweigt der Lord. Der arme Mann
Führt ihm die kräftigsten Gemeinsprüch' an,
Auf die er sich besinnen kann,
Damit er ihm den Fluß verleide.
Umsonst; der Reiche murrt, und fängt zu drohen an.

Indes erreichen sie das prächtige Gebäude.
Hier deckt die Wände Gold und Seide;
Der Arme sieht ein Heer von Knechten, wohl genährt,
Geräte von Geschmack und Wert,
Und bleibt mit weiten Augen stehen,
Und zweifelt, was er sieht, zu sehen.
Der Reiche läuft voran, und führet ihn
Zu seinem Kabinette hin.
Hier steht an allen Ecken,
In Fässern Silbergeld, und Gold in Säcken.
"Da! schiebe dir die Taschen voll!
Geschwinde! — Nun gehab dich wohl!" —

Mit Tränen auf den Wangen
Spricht jetzt der Arme: "Wirst du mir
Vergönnen, teurer Herr, von dir
Noch eine Gabe zu verlangen?
Was ich von dir empfangen
Das freut mich weniger für mich,
Als meiner Kinder, meines Weibes wegen;
Ihr langes Elend endet sich,
Verwandelt sich durch dich zum Segen.
Sechs Menschen rettest du
Vom Tode. Laß uns, edler Helfer, zu,
Hier sämtlich vor dir zu erscheinen.
Schenk' uns nur so viel Zeit
Von deinem Leben, unsere Dankbarkeit
Auf unseren Knien vor dir auszuweinen."

"Es sei darum!" versetzt der finstre Lord.
Der Arme fliegt, und kommt zurück;
"Weib, Kinder, tretet her! Seht, euer ganzes Glück
Hat er" . . . Die Freud' erstickt das Wort,
Und Tränen setzen seine Rede fort.

Umringt von Knienden steht der erhabne Lord.
Sie hangen insgesamt zu seinen Füßen,
Und die gerührte Schar
Wetteifert, ihm des Kleides Saum zu küssen.

Der Kinder eines war
Ein Mädchen, ungefähr von achtzehn Jahren,
Von schlankem Wuchs, nußbraunen Haaren,
Und vollen Busen; ihre zarte weiße Hand
Ward durch ein grobes dunkles Gewand
Noch mehr erhöht, ihr erster Blick vergnügte
Durch Unschuld und Natur, ihr zweiter siegte
Durch Zärtlichkeit; ein jeder Zug versprach
Mehr innere Gaben noch; der ganze Körper sprach.

Des Briten Blut wird rege;
Er fühlt in der geschwollnen Brust
Die wiederholten Schläge
Der Freundschaft, Zärtlichkeit und Lust,
Er starrt mit sehnsuchtsvollem Blick
Auf sein gerettet Kleinod hin,
Und findet ihm Gefühl der Menschlichkeit ein Glück,
Was ihm die Lust des Reichtums nie verliehn.

"Nun Kinder, neiget euch! macht dem Besuch ein Ende;
Und küsset eures Retters Hände;
Wir möchten länger ihm vielleicht beschwerlich sein."
So spricht der Vater. — "Nein,
Verweilt! ihr macht mir ein Vergnügen.
"Ich möchte wissen" . . ."Nun?" — "Das schöne Mädchen da
Ist doch noch Jungfer?" — "Ja!" —
"Kann ich sie nicht zur Ehe kriegen?
Und bald?" — "Welch Wunder! träumt es mir?
Du wolltest ja" . . ."Nein! sage ich dir."

Fab.52
Der junge Kater

Ein schön gefleckter Cyperkater,
Den kaum sein Alter mündig sprach,
Ward schon ein Jäger, wie sein Vater,
Und stellte frisch den Mäusen nach.
Er folgte der gemeinen Weise:
Des Räubers Sohn wird gern ein Dieb,
Das Wölfchen fühlt des Wolfes Trieb,
Ein junger Kater würget Mäuse.
Schon tat der junge Herr so keck,
So trotzig wie ein Skanderbeg;*
Sein Hirn war voller Mäus' und Ratten,
Die seine Klauen noch nicht hatten.
Wer ihn die Zähne wetzen sah,
Der hätte sicherlich geschworen,
Der Ratten Untergang ist da,
Und alle Mäuse sind verloren.

Schon überzog die Nacht das Land,
Der Tau wusch die bestäubten Fluren,
Als unser Held noch keine Spuren
Des längst gesuchten Wildbrets fand.
Das Feuer, welches ihn erhitzte,
Ging durch dies warten merklich aus.
Er roch und hörte keine Maus,
So sehr er Nas' und Ohren spitzte.
Noch saß und putzte er sich das Kinn,

Da schlich ein Wiesel zu ihm hin.
"Was suchst du?" sprach der Kater leise.
"Ich suche," war die Antwort, "Mäuse."
O weh! teil ich die Jagd mir noch
Mit diesem schlauen Rattenfänger,
So nährt sie mich fürwahr nicht länger;
So seufzt er bei sich selbst, und kroch,
Mißmutig schon vor Langeweile,
Bis unter das bemooste Dach.
Dort saß und lauschte Jungfer Eule.
"Schatz," fragte er, "bist du auch noch wach?"
"Ja," heult die struppige Sibylle,
"Hier wart' ich noch in aller Stille
Auf einen kleinen Abendschmaus."
"Worauf denn, Kind?" – "Auf eine Maus."

Verdammtes Untier! brummte der Kater,
Und springt hinunter auf den Mist.
Ein Igel sitzet hier und frißt.
"Viel Glück zur Mahlzeit, alter Vater,
Was schmeckt dir vor Nacht so gut?"
"Ein Mäuschen," spricht er, "ist mein Essen."
Je! daß du müßtest Kohlen fressen!
Denkt Murner, und verliert den Mut.
In diesem Hof ist nichts zu naschen;
Hinaus aufs Feld! vielleicht ist dort
Noch eine Feldmaus zu erhaschen.

In dieser Hoffnung trabt er fort,
Und sieht den Fuchs hier aus der Heide
Mit Fluchen durch das Brachfeld gehen.
Aus Neugier bleibt der Kater stehn,
Und fragt: "Was tat man dir zu Leide?"
"Ein toller Streich begegnet mir,"
Versetzt der Fuchs; "ich finde hier
Ein ganzes Nest voll fetter Mäuse,
Das spar' ich, bin ich hungrig bin;
Doch als ich nach dem Holze reise,
So fliegt der Schelm, der Sperber, hin,
Und stiehlt mir's."

Ohne mehr zu hören,
Fängt Murner stracks an umzukehren.
Ach! wenn so viele Ritter sind,
Die nach dem Mäusefleische streben,
Was hoff' ich noch, ich armes Kind,
Von diesem Handwerk auch zu leben.

Indem er dieses bei sich dachte,
Erhascht' er eine Maus im gehn;
Ein Glück, das zum Entschluß ihn brachte,
Von dieser Jagd nicht abzustehn.

Er tat in kurzen Heldentaten;
Die Praxis macht' ihn rund und fett.
Es ging ihm, unter uns geredt,
So wie den jungen Advokaten.

*
Gjergj Kastrioti (dt. Georg Kastriota) *1405 † 17. Januar 1468 in Lezha, Albanien) genannt Skanderbeg (alb.: Skënderbeu), war ein albanischer
Fürst. Er ist durch seine Verteidigung Albaniens gegen die Osmanen
berühmt geworden. Die Albaner verehren ihn als Nationalhelden.


Fab.53
Bruder Fritz
An Herrn P. Carpser

Freund, dem des Himmels Huld die schwere Kunst zu scherzen,
Die Ort und Hörer wählt, die Zeit und Laune kennt
Dem sie Gefälligkeit, das Vorrecht edler Herzen,
Und wahre Tugenden ohn' eiteln Schein gegönnt!
Jetzt rühm ich nicht an dir die Wissenschaft im Heilen,
Die kluge Fertigkeit und Treue deiner Hand;
Dies Lob wird dir voll Dank ein andres Blatt erteilen;
Dies mache dir allein den teuren Fritz bekannt.

Fritz war ein guter Mönch, ein Feind der frühen Mette,
Den auch der Bischof nicht an Weisheit übertraf.
Oft schlief er in dem Chor, oft trank er in dem Bette,
Und schlief auf seinem Trunk, und trank auf seinen Schlaf.
Ihm fuhr im Speisesaal ein Fieber in die Glieder,
Und warf den Mann ins Bett von feinem Polstersitz.
Sogleich besuchten ihn die feisten Ordensbrüder,
Und alle trösteten den matten Bruder Fritz.

Sein Abt, dem, sonder ihn, auch nicht sein Mundwein schmeckte,
Weil keiner so Bescheid im Trunk und Wunder tat,
Berief den besten Arzt, dem er die Not entdeckte,
Den Segen doppelt gab, und ihn um Hilfe bat
Wählt, sprach er, ein Geschenk aus jenem vollen Kasten;
Nur lindert, wenn ihr könnt, des armen Bruders Qual.
Ich bete schon für ihn, und will auch für ihn fasten,
Und dieses tät ich doch für keinen Kardinal.

Der Arzt streicht sich den Bart, und eilt in Fritzens Zelle.
Da wird des Kranken Harn mit stummen Frust besehn.
Er fingert um den Puls, erwäget alle Fälle,
Die teils vorhanden sind, teils zu befürchten stehn.
Drauf spricht er: Kraft der Kunst, die ich als Arzt besitze,
Bemerk' ich hier den Durst ein Zeichen böser Art;
So find' ich zweitens auch den höchsten Grad der Hitze,
Und die beschleunigt oft der Frommen Himmelfahrt.
Um den Hippokrates getreulich nachzuleben,
Und nicht durch Neuerung die Heilkunst zu entweihn,
Muß man zuerst den Durst, und dann das Fieber heben;
Und folglich wird der Durst mein erster Vorwurf sein.
O! laßt mir selber nur die Kur des Durstes über,
Ruft Fritz; ich sehe wohl, mir hilft mein "Hippokraß"*
Mehr als Hippokrates, und ist mir auch weit lieber.
Hochwürdiger Herr Abt, reicht mir das große Glas.

*
Hippokraß ist ein mit allerlei Gewürz' angenehm gemachter Wein,
nach dem Namen des alten griechischen Arztes Hippokrates genannt.


Fab.54
Die Taxe der Tiere

Der Löwe hielt einmal mit seinen Großen Rat:
Für meinen Hof und meinen Staat
Die nöt'gen Kosten aufzutreiben,
(So sprach er) ist kein andrer Rat,
Als eine Steuer auszuschreiben.
Dies ist mein erster Satz.
Mein zweiter der:
An euch, ihr Herren, ist's nunmehr,
Mir eure Meinung anzugeben,
Von wem ich diesen neuen Zoll,
Von welchen Waren ich ihn heben,
Und wie man ihn verteilen soll,
Daß niemand über Unrecht klage,
Und mir die Taxe doch die nöt'ge Summe trage.

Herr! sprach der Elefant, mir fällt ein Mittel bei,
Zu machen, daß die Zollbeschwerde
Gerecht für jeden, und für dich ergiebig sei,
Und, was man selten sieht, dem Bürger nützlich werde.
Nach ihren Graden schlage man
Untugenden und Fehler an.
Dann melde jedes Tier sich bei dem Protokolle,
Und über jedes höre man
Das Zeugnis dreier Nachbarn an,
Zu richten, was es zahlen solle.
So wird die Hoffnung, sich vom Zolle zu befrein,
Das Volk auf bessre Sitten leiten,
Und, alle Kosten zu bestreiten,
Doch immer Geld genug in deiner Kasse sein.

Wie aber? wird nicht jeder schrein,
Erwiderte der Fuchs, man habe falsch gerichtet?
Man hab' ihm Fehler angedichtet?
Ein besser Mittel fällt mir ein:
Soll dir, o Herr, die Taxe doppelt tragen,
Und sich am höchsten anzuschlagen
Der Bürger selbst begierig sein,
So laß den Zoll auf die Verdienste setzen,
Und jeden sich nach eignem Willen schätzen.

Fab.55
Die Schafe und ihr Herr

"Du bist doch ungerecht! uns Schafen, die wir dich
Mit unsrer Milch, mit unsern Kindern speisen,
Mit Wolle decken, willst du keinen Dank erweisen;
Fast durch das ganze Jahr geht es uns kümmerlich.
Wir selber müssen uns von fern die Nahrung holen.
Uns gibst du nichts, wir geben alles dir.
Und dies unnütze Tier,
Das deine Nachbarn oft und oft dich selbst bestohlen,
Der Hund, der nichts als bellt und schreit,
Genießt so viele Gütigkeit.
Du läsest Nahrung ihm von deinem Tische reichen.
Was ist es dem Undank zu vergleichen?"
"Der Hund nützt mir und euch mehr, als ihr denkt.
Denn ohne seinen Schutz würdet ihr in euren Horden
Schon längst der Wölfe Raub geworden.
Ihr selbst seid ungerecht, wenn euch sein Vorzug kränkt."

Mißgönnt dem Krieger nicht, ihr Bürger, Rang und Orden.

Fab.56
Die schlimmste Frau

Ein junger Herr, der sich vermählen wollte
Fragt' einen Greis; vor welchem Ehgemahl
Er sich bei seiner Wahl
Am meisten hüten sollte.

Freund, sprach der Greis, die schlimmste Frau
Wird mehrenteils doch etwas nützen;
Die Geizige lebt wenigstens genau,
Und wird Euch Euer Gut beschützen;
Ein zänkisch Weib wird Euch geduldig machen;
Ein zärtliches sagt hundert schöne Sachen,
Bloß um Euch angenehm zu sein;
Die Wohlbeles'ne kann Euch manches lehren,
Fallt ihr's gleich oft zur Unzeit ein;
Ist sie nicht schön, so könnt Ihr sicher sein,
Sie wird nicht andern zugehören;
Doch, ist sie eine Heuchlerin,
Die singend schimpft und betend flucht,
Und Sitten predigend, nur ihren Eigensinn,
Nur ihre Rache zu vergnügen sucht,
So kann ich nichts zu ihrem Lobe sagen.
Die schamlos ihren Gott betrügt,
Wird ihren Mann leicht zu betrügen wagen.
Drum hütet Euch nur, Freund, daß Ihr nicht solche kriegt.

Fab.57
Der Löwe, der Fuchs und der Esel

Auf! Fuchs und Esel, auf! zur Jagd!
So rief der Löw', und jeder eilte.
Die Beute ward in kurzer Zeit gemacht,
Zerrissen, und auf einen Platz gebracht.
Nun Esel teil' einmal! — der Esel teilte
Sehr ehrlich, jedem gleich. — Was macht
Der Esel da für Spaß? ließ sich der Löwe hören;
Wart' Esel, wart'! ich will dich spaßen lehren!
Tod lag der Esel da. — Nun, Füchschen, teile doch!
Es teilet sich leicht; wir beide sind's nur noch;
Die zur der ganzen Jagd gehören.
Der Fuchs, der zu der Teilung kroch,
Legt ungezählt von der erjagten Beute
Den größten Teil auf eine Seite,
Und spricht: Der Teil gehöret dir.
Wer hat dich so vernünftig teilen lehren?
Hier liegt mein Lehrer, hier!"

Fab.58
Die Reliquie

Von Altertümern mancher Art
Wird ein berühmter Schatz in Ambras aufbewahrt,
Und Reisenden gezeigt, die aus dergleichen Sachen
Was wichtiges und göttliches machen,
Auch Reisenden, die heimlich darüber lachen.

Einst kommt auf ihrer Reis' ein gutes Weib dahin,
Die zum Schloßhauptmann spricht: Bin ich nicht zu geringe,
Mein Herr, so zeiget mir die heiligen Dinge,
Weil ich zur Andacht bloß hierher gekommen bin.
Der Hauptmann diente gern, zumal den Frauensleuten:
Zuerst, sprach er, seht diese Schachtel an.
In dieser liegt ein Strick, der ist aus jenen Zeiten,
In welcher unser Herr für uns genug getan.
An diesem Strick . . . Ach, fällt sie ihm ins Wort,
Ich kann das Glück nicht länger missen,
Den Strick, wenn ihr's erlaubt, zu küssen.
Sie küßt ihn herzlich. Er fährt fort:
An diesem Strick — und schwenket
Ihn schalkhaft hin und her — hat Judas sich erhenket.

Fab.59
Die Taube, die Dohle und die Elster

In einer Stadt, wo man vorlängst der Eitelkeit
Den Nachttisch zum Altar geweiht,
Wo Häßliche der Göttin Spiegelglas berückte,
Wo sie die Alten gleich den Jungen schmückte,
Wo auch die Tiere schon des Beispiels Schädlichkeit
Ergriff, in dieser Stadt, dicht an der Pleisse,
Geriet mit einer Dohl' einst eine weiße
Mit einem stolzen Kropf gezierte Taub' in Streit.
Was war der Grund? was drei Göttinnen einst entzweit,
Der Schönheit Rang. Der Streit ist wichtig.
Die Taube sprach: "Bist du denn übersichtig?
Mir schätzest du dich gleich? Die Eitelkeit
Ist unerhört. Du bist an deinem ganzen Leibe
So schwarz, daß man mit dir zu fürchten machen kann.
Doch deinen Hochmut seh' ich nur voll Mitleid an,
Weil ich das, was ich bin, wohl bleibe."

Die Dohle spricht: "Ich bitte dich,
Nur nicht zu zeitig triumphieret!
Die schwarze Farb' ist königlich,
Weil sie der Adler selber führet.
Die weiße Farb ist kalt, so kalt, daß einen frieret.
Ein Vogel von Geschmack gibt mir gewiß den Preis.
Zur Endung unsres Zwistes mag uns die Elster richten;
Denn die ist beides, schwarz und weiß,
Und, wie mich deucht, geschickt solch einen Streit zu schlichten."

Die Taube willigt drein. Schon hält in ihrem Sinn
Sich jede für die Siegerin,
Und fliegt, als im Triumph, zur Elster hin.

Doch diese spricht: "Wahrhaftig! euch geziemet
Zu streiten, wer die schönste sei!
Die Farbe, deren ihr euch rühmet,
Ist nur ein ekles Einerlei.
Ihr seid sehr frech; ich bin hier selbst zugegen,
Und gleichwohl dürft ihr euch nicht scheun,
Der Schönheit Preis euch beizulegen.
Wißt, wer gefallen will, der muß mir ähnlich sein."

Fab.60
Der Star und die Lerche

Wie viel fehlt dir zu Philomelen;
Mein Kind, und wird dir ewig fehlen!
Sprach zu der Lerche Matz, der Star.
Mein Freund, erwiderte die Lerche, das ist wahr;
Nur wünscht ich mir, dergleichen Lehren
Von andern Vögeln, als von einem Star zu hören.