Fab.1
Das Johanneswürmchen
Ein Johanneswürmchen saß,
Seines Sternenscheins
Unbewußt, im weichen Gras
Eines Bardenhains.
Leise kroch aus faulem Moos
Seine Nachbarin
Eine Kröt' herbei und schoß
All ihr Gift auf ihn.
Ach! was hab ich dir getan?
Rief der Wurm ihr zu.
Ei, fuhr ihn das Untier an,
Warum glänzest du?
Fab.2
Der Fischer und der Schatz
Ein Fischer, der mit seinen Netzen
Brot und Zufriedenheit gewann,
Tat einen schweren Zug. Voll Mitleid und Entsetzen
Traf er im Sack des Garns jetzt einen Toten an;
Der soll von mir den letzten Dienst erhalten;
Vielleicht das in der Todesnacht
Dies seinen Schatten ruhig macht;
Wie der ums Leben kam, so kann ich selbst erkalten;
So sprach er, trug ihn fort an einen sichern Platz,
Den nicht die hohe Flut erreichte;
Hier grub er tief, und schwitzt und keuchte,
Und fand im Schaufeln einen Schatz.
* * *
Schilt nicht die Schickung blind! noch stets ist sie bereit
Der Tugend Werke zu vergelten,
Sie sorgt mit gleicher Wachsamkeit
Für gute Menschen und für Welten.
Fab.3
Der Bauer und die
Schlange
Ein Ackersmann fand eine bunte Schlange,
Die fast erstarrt vor Kälte war.
Der gute Mann entriß sie der Gefahr
Und ihrem nahen Untergange;
Er nahm sie mit sich in sein Haus,
Und sucht' ihr einen Winkel aus,
Wo noch ein Rest von Reisern glühte.
Allein, so bald der Frost ihr aus den Gliedern wich,
Erhob die schöne Schlange sich,
Und lohnte den mit Biß und Stich,
Der um ihre Rettung sich sehr bemühte.
Betrogne Huld und Zärtlichkeit,
Die Frevlern blindlings Hilfe bietet!
Hier folgt der Schaden stets der Güte.
Fab.4
Das Hühnchen und
der Diamant
Ein verhungert Hühnchen fand
Einen feinen Diamant,
Und verscharrt' ihn in den Sand,
Möchte doch, mich zu erfreun,
Sprach es, dieser schöne Stein
Nur ein Weizenkörnchen sein!
* * *
Unglücksel'ger Überfluß,
Ohne nötigen Genuß,
Der ihn schätzbar machen muß!
Fab.5
Die Rehe
Mein Kind, du wagest dich so kühnlich in den Wald,
Als ob kein Tiger um uns wohne;
Ersieht er dich, so bist du kalt;
So sagt' ein Reh zu seinem Sohne.
"Wohl!" sprach der Rehbock, "saget mir,
Was ist der Tiger für ein Tier?
Kenn' ich ihn erst, will ich ihn fliehen, wie das Feuer."
"O Sohn, das ist ein Ungeheuer,
Ein Scheusal von Gestalt. Sein blitzend Augenlicht
Verrät den Mörder schon. Sein Rachen raucht vom Blute,
Das er vergießt. Der Bär ist mir so schrecklich nicht,
Und bei den Löwen ist mir nicht so schlimm zumute."
"Gut," unterbrach der Sohn, nun kenn' ich diesen Herrn."
Er ging hinweg. Sein Unglücksstern
Trieb ihn zum Tiger hin, der in dem Grase ruhte.
Der Rehbock stutzte zwar, doch er erholte sich,
Und sprach: Das ist er nicht. Der Tiger raucht vom Blute,
Das er vergießt, und ist abscheulich fürchterlich.
Hingegen dieses Tier ist schön und glatt und freundlich,
Sein Blick zwar feurig, doch nicht feindlich.
Zu solchen Tigern halt ich mich."
Er hatte kaum dies Wort gesprochen,
So war ihm das Genick gebrochen.
* * *
Man tut gar wohl, daß man der Jugend
Des Lasters Häßlichkeit entdeckt;
Allein, man warne sie auch vor dem Schein von Tugend,
Der Larve, hinter die das Laster sich versteckt,
Damit sie nicht aus Irrtum fehlen,
Und eines für das andre wählen.
Fab.6
Das Nashorn und
seine Jungen
Das Nashorn hat den Brauch,
Die Jungen vor sich herzutreiben;
Es stößt sie, wenn sie stehen bleiben,
Es stößt sie, wenn sie gehen, auch;
So daß sie endlich selbst nicht wissen,
Ob sie jetzt stehn, oder Laufen müssen.
Drum, weil es immer Stöße gibt,
Tut jedes das, was ihn beliebt.
* * *
Ihr, die ihr euer Haus nie durch Vernunft regieret,
Dies ist der steten Härte Frucht;
Dies ist ein Bild von eurer Kinderzucht,
Ihr Eltern, die ihr stets die Rut' in Händen führet.
Fab.7
Lysimon
Der alte Lysimon, an dessen Blute sich
Die Mücken um die Wette lechzten,
Und Nacht für Nacht ihm Stich auf Stich
In seinem besten Schlaf zerfetzten.
Schlug ihn den Ärzten nach, und fand
Daß man die Mücken mit Zypressenholz verjage.
Wahr oder falsch, ist nicht die Frage;
Genug, er nahm dies Mittel schnell zur Hand,
Legt' einen grünen Zweig aufs Bette,
Und schlief hierauf so ruhig ein,
Als ob er nichts zu fürchten hätte.
Doch mit der Nacht kam auch die alte Pein.
Der kleine böse Feind schlug ihm mit seinen Pfeilen
So viele Wunden, Löcher, Beulen,
Daß er sich fast nicht ähnlich sah.
"Ei, lieber Schatz, ist denn kein Mittel da,
Die Mückenbrut vom Leibe dir zu halten?"
So sprach die Frau des Morgens zu dem Alten.
"Was? Mücken? Mücken sind dies nicht.
Hier liegt Zypressenholz, das hat sie längst vertrieben;
Dies ist ein Geschwulst, die aus dem Innern bricht."
So sprach Lysimon, und ist dabei geblieben.
* * *
Was ein Leichtgläubiger sich in den Kopf gesetzt,
Das hält, als wär' es eingeätzt.
Er glaubt, was große Männer sagen.
So lehret ein Kujaz, ein Gerhard, ein Kornar,
Und ein Kartesins; deswegen ist es wahr.
Er ließe sich darauf erschlagen.
Fab.8
Der vom Hasen
betrogene Löwe
Die Furcht macht sinnreich.
Nah bei Tunis wohnte ein Löwe,
Dessen Grimm und Raubsucht nichts verschonte.
Er fraß ohne' Unterschied, was die Gewalt ihm gab.
Das bange Reich schickt bald Gesandte an ihn ab,
Und trägt ihm an, um sicherer zu leben.
Ihm jeden Tag ein Tier zum Unterhalt zu geben.
Er willigt ein, benennt auch selbst die Lieferungszeit.
Die Botschaft heulet Dank für so viel Gütigkeit.
Wie nun das Los allein des Opfers Wahl bestimmte,
So traf's den Hasen auch, der zwar sich traurig krümmte,
Doch diesen Trost sich gab: Was sein soll, muß geschehn;
Euch Freunde zu befrein, will ich zum Wüterich gehen,
Doch nach der Mittagszeit. Den Fresser
Wird hungern, meint ihr? Desto besser!
Er reiset. Da der Löw' ihn kaum erkennen kann,
Ruft er: "Du kommst sehr spät für unsre Tafel an!" —
"Ich habe meinen Weg durch jenen Wald genommen,"
Versetzt das schlaue Tier, "und wäre längst gekommen;
Nach aller Möglichkeit beschleunigt' ich den Lauf;
Allein, ein stolzer Löw' hielt mich dort auf,
Der wollte mir durchaus den Ruhm nicht lassen,
Für dich nach meiner Pflicht in Demut zu erblassen.
Mit Zittern sag' ich es. Von deiner Majestät
Sprach er verkleinerlich, auf dich hat er geschmäht.
Ich widerstritt ihm zwar, doch so, wie Schwächere pflegen.
O, könnt' ich jetzt sein Haupt zu deinen Füßen legen!"
Der Löwe zürnt, und brüllt: "Der Frevler und der Tor!
Wir Helden ziehn den Sieg dem besten Fraße vor.
Dem Afterkönige will ich den Nacken beugen.
Gleich sollst du mit mir gehen und seinen Sitz mir zeigen."
Er geht ihm rüstig nach; und dies ungleiche Paar
Kommt bald an einen Born, der tief und heiter war.
Hier sieht der Löwe sich, und glaubt den Feind zu sehen,
Und fordert ihn heraus, den Zweikampf anzugehen.
Umsonst. Als er sich nun voll Wut hinunterstürzt,
Wird schnell sein Regiment und aller Not verkürzt.
Fab.9
Der Hirsch und der Eber
Ein Eber fragt den Hirsch: "Was macht dich hundescheu?
Du bist so groß! und dein Geweih so furchtbar!
Solltest du dich nicht im Herzen schämen,
Vor Kleinen stets die Flucht zu nehmen?
Ich weiß wahrhaftig nicht, was dich so schrecken kann."
"Das will ich," spricht der Hirsch, "dir im Vertrauen sagen:
Der Abscheu hängt mir noch von meinem Vater an,
Ich kann das Heulen nicht ertragen."
Fab.10
Das aus der
Erde wachsende Lamm
Als die Natur mit Tieren, Vögeln, Fischen
Und Pflanzen aller Art, Gewässer, Luft und Land
Erfüllt, so fehlte noch dazwischen ein Mittelding,
Das Pflanz' und Tier verband.
Um dieses Wunder auszubrüten,
Wuchs aus der Erd' ein kurzer Stamm,
Der Frühling gab ihm Laub und Blüten,
Der Herbst anstatt der Frucht ein Lamm.
Nichts war an ihm, vom Kopfe bis zum Schwanze,
Was nicht dem Wolltiere glich;
Von unten blieb es eine Pflanze,
Doch Haupt und Hals bewegten sich.
Bald zeigte sich die Lust zur Weide:
Zwei Feldgewächse standen da,
Das Schaf ergriff und fraß sie beide,
Das man auch ihre Spur nicht sah.
"Vernimm, daß es dich reuen werde!"
Rief ihm der nahe Kohlkopf zu:
"Sind wir nicht Kinder einer Erde,
Und wurzeln, wachsen, blühn wie du?
Genieße mäßig unsre Blätter,
Nur friss uns nicht mit Stumpf und Stiel."
Das Schaf war taub; es fraß auch diesen Vetter,
Der ihm nicht minder wohlgefiel.
Kraut, Staude, Wurzel, alles ward verzehret.
Die Strafe folgt auf seinen Schmaus:
Als es das Land ringsum verheeret,
So dorrt es selbst vor Hunger aus.
Jetzt wächst die Art nicht mehr auf Erden,
Wie Rajus und Linnäus spricht;
Doch sollte sie geboren werden?
Man forsche nach, ich weiß es nicht.
Fab.11
Der Esel und der Stier
nach Burkard Waldis
Ein Esel ging einst auf der Weide
Mit einem Stier; da hörten beide
Ein Lärmen als von einem Heer,
Und in den Dörfern rund umher
Zum Sturm mit allen Glocken läuten.
"Was," sprach Herr Heinz,*
mag das bedeuten?"
"Ach Freund," erwiderte der Stier,
Ich zittre schon; der Feind ist hier.
Laß uns sogleich von hinnen fliehn,
Bis diese Plünderer weiterziehn.
Bekämen sie uns hier zu fassen,
Wir müßten beide Haare lassen."
Der Esel sprach hierauf: "Ei nun!
Du willst entfliehn? Du magst es tun.
Dir grauet, scheint's, du wirst erstochen,
Man wird dich schlachten, schinden, kochen.
Von diesem allen bin ich frei.
Mein Schicksal bleibt stets einerlei;
Ich muß mit gleicher Last mich plagen,
Und meinen Sack zur Mühle tragen."
* * *
Kalt sieht sehr oft der Untertan
Den Feind seinen Grenzen sich nahn;
Er weiß, ihm bleibet Sklaverei,
Sein Sieger sei auch, was er sei.
*Heinz
ist bei den alten Fabeldichtern der Nachname des Esels.
Fab.12
Das Pferd
Ein aufgezäumter Gaul stand länger als zwei Stunden
Vor einer Haustür angebunden;
Die Fliegen stachen ihn. Bei diesem Ungemach
Dacht' er der Härte seines Schicksals nach.
"Von allen Tieren hat das Pferd die meisten Plagen,
Bald muß es seinen Herrn samt dem Gepäcke tragen,
Bald schwer beladne Wagen ziehn,
Und will es seines Wüt'richs Peitsch' entfliehn,
Stets über sein Vermögen sich bemühn.
Sogar mit einem Trunk sich seinen Durst zu stillen
Läßt ihn sein Treiber oft nicht Zeit.
Es tut nicht einen Schritt, als nach des Meisters Willen.
Der Jugend Kraft verfliegt in steter Dienstbarkeit.
Was ist sein Lohn dafür? kaum Ruh im Stalle,
Ein wenig Haber, Heu und Stroh.
Nein! so wird man des Lebens nimmer froh."
Dies Selbstgespräch erhitzt des Pferdes Galle,
Er reißt im Grimm den Zaum entzwei,
Schwimmt durch den Fluß und eilt mir schnellen Füßen
Dem dichten Walde zu. Nun war er endlich frei.
Doch morgens fand man es von Wölfen schon zerrissen.
Der Knechtstand ist hart, doch besser jederzeit,
Als Freiheit ohne Sicherheit.
Fab.13
Der Hänfling
Ein Hänfling, den der erste Flug
Aus seiner Eltern Neste trug,
Hub an, die Wälder zu beschauen,
Und wünschte sich, hier anzubauen.
Ein edler Trieb! denn eigner Herd
Ist, sagt das Sprichwort, Goldes wert.
Der Eichbaum schien für ihn allein
Der Niederlassung wert zu sein.
Hier thron ich, sprach er, wie mein König;
So hohe Nester gibt es wenig.
Allein, als kaum der neue Sitz
Vollendet war, traf ihn der Blitz.
Es war ein Glück bei der Gefahr,
Das unser Prinz im Hanfe war.
Er kam, so bald es ausgewittert,
Und fand die Eiche halb zersplittert.
Da sah er mit Bestürzung ein,
Er könne hier nicht sicher sein.
Mit umgekehrtem Eigensinn
Begab er sich zur Erde hin,
Und baut' im niedrigsten Gesträuche
Scheu von dem Mißgeschick der Eiche.
Doch bald gereut' im dieser Rat,
Als ihm das Vieh sein Nest zertrat.
Da baut' er sich das dritte Haus,
Und las ein dunkles Büschchen aus,
Fern von den Wolken in den Lüften,
Fern von den Herden auf den Triften;
Ein Büschchen, das in Ruhe liegt,
Da lebt er noch, und lebt vergnügt.
* * *
Vergnügte Tage findet man,
Wenn man sie hier noch finden kann,
Nicht bei dem Thron, nicht in den Hütten.
Kannst du vom Himmel es erbitten,
So sei dein eigner Herr und Knecht.
Dies bleibt des Mittelstandes Recht.
Fab.14
Abdallah
Abdallah, Hassans Sohn, der vor dem Großwesir
Wie vor dem Mahomer sich bis zur Erde krümmte,
Fleht um ein reiches Amt, das er dem Seraskier,*
Dem Pascha Bajazer, freund-vetterlich bestimmte.
Ihn hört der Großwesir, und sagt geschwinde: Nein!
Er dankt. — Wie? dein Gesuch wird gänzlich abgeschlagen.
Abdallah kniet, und spricht: "Die Huld ist ungemein,
Daß ich nicht harren darf, da sie mir's gleich versagen.
*Der
Seraskier
heißt bei den Türken der oberste General einer
ganzen Armee; ebenso viel als General-Feldmarschall. Er hat
weit
freiere Gewalt als die übrigen Generäle, ist daher nicht
ganz pünktlich
an die Befehle des Hofes gebunden, steht jedoch unter dem
Großwesir,
und wird aus den Paschen von zwei bis drei Roßschweifen
gewählt.
Fab.15
Die zwei
peruanischen Weisen
In Peru lebten einst zwei Lehrer,
Der Sonne brünstige Verehrer,
Ein Ausbund strenger Heiligkeit.
Ihr Ruhm war gleich im ganzen Süden,
Ihr Eifer wenig unterschieden,
Ihr Lehrgebäude himmelweit.
Der eine ließ, trotz ihrem Lichte,
Die Sonne nicht aus dem Gesichte,
Sein Auge ging ihr immer nach.
Die Tränen strömten von den Wangen,
Und das Gesicht war ihm vergangen,
Eh er sein Schauen unterbrach.
Der andre glaubte, daß kein Auge
Die Gottheit anzuschauen tauge,
Noch diese Welt, die sie verklärt.
Zu sehen nicht, bloß zu glauben,
Sich gar kein Denken zu erlauben,
Ein solcher Dienst sei ihrer wert.
Um nun die Sonne nicht zu schauen,
Ließ dieser eine Höhle bauen,
So tief und finster als das Grab.
In die begrub der Sonnenscheue
Sich selbst, und sagte sonder Reue
Der Welt und aller Schönheit ab.
So wurden beide Gottesmänner,
Der Sonne streitende Bekenner,
Durch Finsternis und Vorwitz blind:
So wie, die Gott hier nirgends finden,
Und die Gott meinen zu ergründen,
Verdüstert und verblendet sind.
Fab.16
Folgen des ersten
Lasters
Graf Adelwerth, ein deutscher Mann,
Hielt fromm und ritterlich
Sich einen eigenen Schloßkaplan
Für Hedwig und für sich.
Der Mönch vergaß beim leckern Tisch
Des Grafen sein Brevier
Aß auch am Freitag selten Fisch,
Trank lieber Wein als Bier.
Einst weckt' ihn was vor Hahnenruf,
Und nichts war scheußlicher:
Mit Drachenschwanz und Horn und Huf
Erschien Fürst Luzifer.
Der sprach: "Wähl' unter dreien eins!
Würg' einen Freund, verführ'
Ein Eheweib, saufe dich voll Weins;
Sonst hol' ich dich von hier.
Er wählt die Flasche; treibt berauscht
Mit Hedwig seine Lust,
Und stößt dem Mann, der sie belauscht,
Ein Messer in die Brust.
Fab.17
Theone
Erast, den stiller Mangel drückte,
Schläft einst bei blassem Mondenschein,
Von Gram entnervt, im Lindenhain,
Der seines Fürsten Garten schmückte,
Und fühlt im Schlummer noch die Pein
Der schwarzen Zukunft, die ihn schreckt,
Als ihm im nächsten Bogengange
Das Ächzen eines Mädchen weckt.
"Wie lange, guter Gott! wie lange
Verbirgst du dich?" — "Du hast gehört,
Was dieser Reiche für das Brot,
Wodurch er meines Vaters Not
Erleichtern will, von mir begehrt."
Erasten schwoll das Herz, er zog
Sein letztes Geld heraus, und flog
Damit zur dürftigen Theone:
"Nimm," sprach er weinend; "ich bin arm,
Und fordre nichts, als deinen Harm
Mit mir zu teilen." — "Gott belohne . . .
Doch wie, mein Vater?" — "Wie? mein Kind?"
Sie waren es. Entzückung rinnt
Von beider Wangen. Feiert die Szene,
Ihr Engel! eurer ist sie wert.
Doch plötzlich werden sie gestört.
Der edelste der Erdensöhne,
Philint, der alles angehört,
Springt aus den Busch: "Erhabne Seele,"
Ruft er ihr zu, "Du treueste Hand!
Wo nicht, mein halbes Gut, ein Pfand
Der unverletzten Ehrfurcht, wähle!
Ihr, die Theonens Geist beseelt,
Ist's nötig, daß ich euch erzähle,
Was sie gefühlet und gewählt?
Fab.18
Der Perser und
seine drei Söhne
Von Jahren alt, an Gütern reich,
Teilt einst ein Perser sein Vermögen
An drei Söhne aus, nebst seinen Segen,
Und teilt es unter alle gleich.
Noch ein Demant, sprach der Alte,
Seht hier, den ich für den behalte,
Der, mittels einer edlen Tat,
Darauf den größten Anspruch hat.
Um diesen Anspruch zu erlangen,
Ließ er die Söhne sich zerstreun.
Die Prüfungszeit war kaum vergangen,
So stellten sie sich wieder ein.
"Hört," sprach der Älteste der Brüder,
"In Balch vertraut' ein fremder Mann
Sein Gut ohn' einen Schein mir an;
Ich gab es ihm getreulich wieder.
War diese Tat nicht lobenswert?"
"Du hast getan, was sich gehört,"
Ließ sich der Vater hier vernehmen;
Wer anders tut, der muß sich schämen,
Denn Ehrlichkeit ist unsere Pflicht."
Der zweite sprach: Auf einer Reise
Sah ich, daß unachtsamer Weise
Ein armes Kind in einen See
Hinunterfiel, ich ritt daneben,
Schnell sprang ich nach, zogs in die Höh,
Und rettete des Kindes Leben.
Ein ganzes Dorf kann Zeugnis geben."
"Du tatest," sprach der Greis, "mein Kind,
Was wir als Menschen schuldig sind."
Der jüngste sprach: "Bei seinen Schafen
Fand ich an eines Abgrunds Rand
Einst meinen Feind fest eingeschlafen;
Sein Leben war in meiner Hand;
Ich weckt' in auf, zog ihn zurücke."
"O!" rief der Greis mit holdem Blicke,
Dein ist der Ring! Ein edler Mut
Tut Gutes dem, der böses tut.
Fab.19
Ho-li-en
In China, — hier zu Lande nicht,
Wo mein Geschichtchen eine Märe,
Gleich der vom Junker Blaubart wäre,
Lag bei der Lampe düstrem Licht
Ein Jüngling, (zu der Zeiten Ehre
Nennt ihn das Jahrbuch) Ho-li-en
Mit Namen, still auf seiner Matte,
Von einem Räuber ungesehn,
Der sein Gemach erstiegen hatte,
Und sah, wie der, was ihm gefiel,
In einen weiten Brotsack steckte.
Er regt sich nicht auf seinem Pfühl,
Blinzt nur mit einem Aug'. Jetzt streckte
Der Dieb zum Abschied noch die Hand
Nach einem Topf aus Siegelerde,
Der leer in einem Winkel stand.
"Laß," rief mit flehender Gebärde
Jetzt Ho-li-en, "laß, armer Mann,
Mir diesen Topf, damit ich morgen
Für meine Mutter kochen kann."
Der Räuber stutzt. "Schlaf' ohne Sorgen,
Solch einen Sohn bestehl' ich nicht."
Mit Reu und Scham im Angesicht
Warf er bei diesen Worten nieder,
Was er geraubt, und stahl nie wieder.
Fab.20
Pythagoras
In Kroton starb ein armer Greis.
Sein Freund, ein alter Pudel, harrte
Treu bei ihm aus; den Todesschweiß
Leckt' er ihm vom Gesicht. Man scharrte
Den Leichnam ein. Der fromme Hund
Sprang wimmernd in den offenen Schlund,
Und starb. "Fort in die Schindergrube,
Gesell, mit diesem schnöden Aas!"
So schrie der orthodoxe Bube,
Der Totengräber. — "Unmensch! laß
(So rief mit Augen naß von Schmerzen
Der göttliche Pythagoras)
Den Freund auf seines Freundes Herzen
In Ruhe modern. Gute Seelen
Schließt eines Gottes Himmel ein,
Ihr Pilgerrock, den sie nicht wählen,
Mag glatt nun oder zottig sein."
Fab.21
Der Hase und viele
Freunde
Ein Häschen von beliebten Sitten,
Voll Künste, lustig, schmeichelhaft,
War bei den Großen wohl gelitten,
Den Tieren aus der Nachbarschaft.
Ein Hase hatt' in jenen Zeiten
Weit mehr als jetzt zu bedeuten;
Als keiner unsern Stutzern glich,
Da war auch keiner lächerlich.
Einst wandt' er sich zu seinen Freunden,
Um Rat und Beistand sie zu flehn.
Den Hunden, seinen ärgsten Feinden,
Zu steuren oder zu entgehn.
Man sprach: Dein Leben zu erhalten,
Soll unser Eifer nie erkalten;
Wer deinem Balg ein Härchen krümmt,
Dem ist von uns der Tod bestimmt.
Nun lebet Hansel ohne Sorgen,
Stets unverzagt und ungestört.
Er sieht, wie sich an jedem Morgen
Bei jedem Tau sein Frühstück mehrt.
Sein rascher Fuß verläßt die Wälder,
Schweift durch die Gärten, durch die Felder,
Wo ihn in stolzer Sicherheit
Laub, Kraut und junge Saat erfreut.
Doch ach, des heitern Tages Stunden
Trübt eines Stündleins Ungemach;
Ein Jäger eilt mit schlauen Hunden
Der Spur des armen Hänsels nach.
Hier ist kein Freund, ihm zu raten.
Er kreuzt umher durch Sträuch' und Saaten,
Er duckt sich oft, so gut er kann;
Doch alle Hunde schlagen an.
Er rennt zurück, springt dann querüber;
Allein, sein Absprung schützt ihn nicht.
Zuletzt kommt hier das Pferd, sein lieber
Getreuer Freund, ihm zu Gesicht.
Er keucht: "Dies tolle Hetzenreiten
Scheint meinen Tod mir anzudeuten;
Doch nimmt mich nur dein Rücken auf,
So spürt kein Stöber meinen Lauf."
Das Pferd versetzt: "Mein Schatz, ich sehe,
Des Unfalls Größe noch nicht ein;
So mancher Freund ist in der Nähe,
Und jeder wird behilflich sein.
Ein gutes Herz fühlt keine Bürde.
Du weißt, wie gern ich helfen würde;
Doch wohnt ein stärkrer Freund, der Stier,
Jenseits des Bachs, nicht weit von hier."
Das Häschen setzt den Bach hinüber,
Und fleht den Stier um Rettung an.
Der spricht: "Darf ich gestehn mein Lieber,
Warum ich jetzt nicht helfen kann?
Sonst gab ich dir manch Freundschaftszeichen;
Doch Freundschaft muß der Liebe weichen.
Dort läßt sich meine Schöne sehn,
Du mußt zu jener Ziege gehn."
Die Ziege hört des Hasen Klagen
Mit angenommner Traurigkeit,
Und hält, ihm alles abzuschlagen,
Sich zu der Antwort schon bereit.
Sie meckert: "Dich jetzt aufzunehmen
Wird jenes Schaf sich bald bequemen;
Dir ist ja seine Gutheit kund.
Mir leider! ist der Rücken wund."
Der Arme flieht mit bangen Schritten,
Sucht und erreicht das ferne Schaf,
Das, unbewegt bei seinen Bitten,
An Furcht den Flüchtling übertraf.
Es ächzt: "Vor Feinden dich zu schützen
Wird meine Schwäche wenig nutzen;
Ich zittere ja noch mehr, als du.
Doch eile jenem Füllen zu."
Das sprach: "Wenn wir jetzt Beistand hätten
So trotzt' ich herzhaft der Gewalt.
Ich bin zu jung dich zu erretten,
Und mein Herr Vater ist zu alt.
Ich sehe schon die Hunde kommen;
Nur frisch den Weg ins Holz genommen!
Doch, wenn dein Tod uns trennen soll,
Mein Hänsel, nun so fahre wohl!"
Fab.22
Die seltsamen Menschen
Ein Mann, der in der Welt sich trefflich umgesehn,
Kam endlich heim von seiner Reise.
Die Freunde liefen scharenweise,
Und grüßten ihren Freund. So pflegt es zu geschehn.
Da hieß es allemal: Uns freut von ganzer Seele,
Dich hier zu sehn, und nun erzähle.
Was ward da nicht erzählt! — "Hört, sprach er einst, ihr
wißt,
Wie weit es bis zum Land der Huronen ist.
Elf hundert Meilen hinter ihnen
Sind Menschen, die mir seltsam schienen.
Sie sitzen oft am Tisch bis in die späte Nacht;
Der Tisch wird nicht gedeckt, der Mund nicht naß gemacht;
Es könnten um sie her die Donnerkeile blitzen,
Zwei Heer' im Kampfe stehn, sollt' auch der Himmel schon
Mit Krachen seinen Einfall drohn,
Sie blieben ungestöret sitzen;
Denn sie sind taub und stumm. Doch läßt sich nun und dann
Ein halbgebrochner Laut aus ihrem Munde hören,
Der nicht zusammenhängt und wenig sagen kann,
Ob sie die Augen schon darüber arg verkehren.
Man sah mich oft erstaunt an ihrer Seite stehn;
Denn wenn dergleichen Ding geschieht,
So pflegt man häufig hinzugehen,
Daß man die Leute sitzen sieht.
Glaubt Brüder, daß mir nie die gräßlichen Gebärden
Aus dem Gemüte kommen werden,
Die ich an ihnen sah. Verzweiflung, Raserei,
Boshafte Freud' und Angst dabei,
Die wechselten in den Gesichtern.
Sie schienen mir, das schwör' ich euch,
An Wut und Furien, an Frust den Höllenrichtern,
An Angst, den Missetätern gleich."
"Allein, was ist ihr Zweck?" So fragten hier die Freunde.
"Vielleicht besorgen sie die Wohlfahrt der Gemeinde."
"Ach nein!" — "So suchen sie der Weisen Stein." — "Ihr
irrt."
So wollen sie vielleicht des Zirkels Viereck finden."
"Nein." — "So bereun sie alte Sünden."
"Das ist es alles nicht." — "So sind sie gar verwirrt.
Wenn sie nicht hören, reden, fühlen
Noch sehn, was tun sie dann?" — "Sie spielen."
Fab.23
Der Löwe und die Mücke
Der Tiere Regiment in Monomotapa
Wo durch Gewalt und Glück dem Löwen zu gefallen,
Der sich, Monarchen gleich, von schüchternen Vasallen
Geschmeichelt und gefürchtet sah.
Dort heißt ein schwarzer Fürst das Wunder seiner Zeit.
Hat nur sein Heldenmut viel Böses unterlassen.
Den Löwen nannten auch noch ungelähmte Sassen
Ein Muster seltner Gütigkeit.
Das Lob nährt seinen Stolz, und mindert nicht die Not;
Ein jeder zitterte; nur nicht die kühne Mücke,
Die ihm aus römischem Haß mit unerschrocknen Blicke
Des scharfen Stachels Spitze bot.
Der Angriff wird gewagt, sie selber bläst zur Schlacht,
Und säumt nicht, an den Feind sich peinlich festzusaugen,
Und hat den König um Nase, Maul und Augen
Mit tausend Schmerzen wund gemacht.
Er tobet, schnaubt und schäumt; die Tiere verbergen sich.
Die tapfersten entfliehn den majestätischen Klauen.
Er brüllt; der Hügel bebt. Das allgemeine Grauen
Vermehret jeder Mückenstich.
Was will der Stärkre tun? Der Schwächre gibt nicht nach.
Der Löwe sucht umsonst die Mücke zu erreichen,
Und wird, nach langem Streit, nach mißgelungnen Streichen,
Ermüdet und an Kräften schwach.
Sie putzt ihr Panzerhemd, die Schuppen um den Leib,
Und ihren Federbusch, läßt beide Flügel klingen,
Zieht alle Schwerter ein, die aus dem Rüssel dringen,
Und hält sich für kein schlechtes Weib.
Nun steigt sie in die Luft, mit Sieg und Ruhm geschmückt.
Nun weiß sie schon die Kunst, die Löwen zu besiegen.
Bald aber sieht man sie in ein Gewebe fliegen,
Worin die Spinne sie erstickt.
* * *
Aus beider Sicherheit wird deutlich wahr genommen,
Das oft der schwächste Feind den kühnsten Helden schlägt.
Wie mancher Waghals ist im Zufall umgekommen,
Dem weder Sturm noch Schlacht erlegt!
Fab.24
Lohn der Lügen
Helft, Brüder, helft! der Wolf hat schon ein Schaf im
Rachen.
So rief ein junger Hirt, sich eine Lust zu machen.
Wenn nun das Hirtenvolk herbeigelaufen war,
Dann rief er: Geht zur Ruh', es hat noch nicht Gefahr;
Ich habe nur versucht, ob ihr auch wachsam wäret.
Als er nun ihre Hilfe ein ander Mal begehret,
Weil's keinen Scherz mehr galt, und jetzt vom Wolf ein Stück
Schon hingewürget war, da blieben sie zurück,
Wie laut er immer schrie. Nun ward der Narr erst inne,
Wie töricht er getan; nun kam ihm erst zu Sinne
Das Sprichwort, daß man dem, der einmal Lügen liebt,
Auch wenn er Wahrheit rede, nicht leichtlich Glauben gibt.
Fab.25
Der Alte und sein Sohn
Merk auf, ich bitte dich, wie's jenem Alten ging,
Der, um die Welt zu sehn, noch an zu wandern fing.
Sein Esel trug ihn fort, sein Sohn war sein Gefährte.
Als nun der sanfte Ritt kaum eine Stunde währte,
Hielt ihn ein Reisender mit diesen Worten an:
"Was hat Euch immermehr das arme Kind getan,
Daß Ihr's laßt neben Euch auf schwachen Füßen traben?"
Da stieg der Vater ab, und wich dem müden Knaben.
Doch, als er dergestalt die Liebe walten ließ,
Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wies.
"Ihr könntet ja mit Recht," hört er von andern Leuten,
"Zum wenigsten zugleich mit Eurem Buben reiten."
Er folgte diesem Rat, und als er wieder kam,
Erfuhr er, daß man ihm auch dies für übel nahm.
Es schrie ein ganzer Markt: "Ihr tut dem Tiere schaden!
Man pflegt nicht, so wie ihr, sein Vieh zu überladen."
Der Alte, der noch nie die Welt so wohl gekannt,
Nahm seinen Weg zurück, wie er's am besten fand,
Und sagte: "Sollt' ich mich in alle Menschen schicken,
So packten sie mir gar den Esel auf den Rücken."
Fab.26
Der persische
Bauer mit Früchten
In Eriwan
War einst ein armer schlechter Mann,
Sein ganz Vermögen war ein kleiner Garten,
Sein ganz Geschäft, ihn abzuwarten.
In diesem seinen Gärtchen stand
Ein Obstbaum, dessen Frucht man paradiesisch fand.
Sie war so schön und lieblich anzusehen,
So schmackhaft und so groß dabei,
Daß man dem Manne riet nach Ispahan zu gehen,
Und da der Schah in Früchten lecker sei,
Ein Körbchen voll dahin zu tragen.
"Was dünket dich? ich wette fast,
Du kriegst, ich will nur wenig sagen,
So schwer am Golde heimzutragen,
Als du an Früchten hingetragen hast." —
"Je nun, ich sollt' es selber meinen." —
Er kauft ein feines Körbchen ein,
Packt seine schöne Frucht hinein,
Nimmt freudig Abschied von den Seinen,
Und tritt den Weg nach Ispahan
Schon mit Entwürfen schwanger an:
Macht mit dem Golde von dem Kaiser
Sein Gärtchen größer, baut sich neue Gartenhäuser;
Kommt endlich, eh er's denkt, nach Ispahan,
Und meldet sich beim Obermarschall an.
Man kennt den Hof: Wer bringt, dem stehn die Türen offen,
Wer holen will, kann lange hoffen.
Der Marschall nimmt die Frucht, und kurze Zeit hernach
Berichtet er dem Manne, daß der Schah
In eigener Person das Obst verzehret,
Es sehr gelobt und mehr begehret.
Der arme Perser zählt auf ein gewisses Glück,
Und spannt nur auf den Augenblick,
Dem Kaiser glimpflich zu berichten,
Er sei der Bauer mit den Früchten.
Er stellt sich in das Vorgemach, beschaut,
Begafft die Höflinge, die hier demütig stehen,
Und sieht, indes er gafft, ein kleines Zwerglein gehen,
Krumm, bucklig, lahm, so mißgebaut,
Daß sich mein guter armer Mann
Des Lachens nicht enthalten kann.
Zum Unglück war dies Zwerglein der Minister,
Ein Männchen schwarzer Galle voll,
Von Blicken scharf, von Stirne düster.
Er sieht sich um, erblickt den Fremden: "Bist du toll,
Vermessner Mensch?" – Er winkt, man bindet ihn,
Und schleppt ihn nach dem Kerker hin.
Hier mag er sein Geschenk erwarten.
Er flucht dem Baum, er flucht dem Garten,
Er flucht den Freunden, deren Rat
Ihn in dies Ungemach gestürzet hat.
Doch alles Fluchen kann die Sachen
Nicht ungeschehn noch besser machen.
Ein Jahr fließt nach und nach dahin;
(Ach! eine lange Zeit für ein so kurzes Leben!)
Und keine Seele denkt an ihn.
Nun kommt die Zeit der Früchte wieder.
Man bringt dem Schah die Schönsten dar;
Er rümpft die Nase, legt sie nieder:
"Nein! das ist keine Frucht, wie das vergangne Jahr.
Was für ein herrlich Obst das war!
Wird wohl der Mann zurücke kommen?
Hat man von ihm noch nichts vernommen?
Wo kam er her? Wo ging er hin?
Hat man ihn auch bezahlt? Erfraget mir ihn!"
Man forschet, und erfährt die klägliche Geschichte.
Der Kaiser lacht bei dem Berichte:
"Gut, bringt ihn her, ich will ihn sehn,
Den armen Schelm. Nun soll's ihm besser gehen."
"He, guter Freund, ich weiß wie's dir ergangen."
So spricht der Schah; es tut mir leid.
Doch, kurz und gut, für Kerker, Obst und Zeit
Kannst du nunmehr, was dir beliebt verlangen.
"Ein gutes Beil," versetzt der arme Mann,
Erbitt' ich mir, und Salz, und einen Alkoran."
Der Kaiser fängt zu lachen an,
Und spricht: "Was nützt dir Beil und Salz und Alkoran?"-
"Das Beil, den Obstbaum umzuhaun, das Salz, den Ort
Zu zeichnen, daß kein Mensch hinfort
Da pflanzen soll, der Alkoran,
Den größten Eid darauf zu schwören,
Daß ich und die mir zugehören
Zeitlebens nicht nach dem Hofe wiederkehren."
Fab.27
Äsop
Äsop ging einst zu einem Städtchen hin;
Ein Wandrer kommt, und grüßet ihn,
Und fragt: "Wie lange, Freund, hab' ich zu gehen
Bis zu dem Flecken dort, den wir von weitem sehen?"
"Geh!" spricht Äsop. Und er: "Das weiß ich wohl,
Daß, wenn ich weiter kommen soll,
Ich gehen muß; allein du sollst mir sagen,
In wie viel Stunden." — "Nun so geh!" — "Ich sehe wohl,"
Brummt hier der Fremde, "dieser Kerl ist toll,
Ich werde nichts von ihm erfragen."
Und dreht sich weg und geht. — "He! ruft Äsop, ein Wort!
Zwei Stunden bringen dich an den bestimmten Ort."
Der Wandrer bleibt betroffen stehen:
"Ei, ruft er, und wie weißt du's nun?"
"Und wie," versetzt Äsop, "konnt' ich den Ausspruch tun,
Bevor ich deinen Gang gesehen?"
Bewundert die Behutsamkeit
Des Phrygiers, ihr Richter unsrer Zeit.
Fab.28
Der Rabe und die Eule
"Wann kommst du doch aus deiner Höhle?
Wann hören wir die Lieder deiner Kehle?
Trübseliges Stiefkind der Natur!"
(Zur Eule sagte dies der Rabe)
"Ich möchte wissen, was an solcher Kreatur
Minerva wohl gefunden habe."
"Du zwingst mich o Rabe, dir,"
Erwidert sie, "zwei Gaben anzuzeigen,
Die liebt Minerva sehr an mir,
Allein, die fand sie nicht an dir:
Ich kann im Finstern sehn und schweigen."
Fab.29
Ben Haly
An Herrn C.P. Krieger
Gelehrter Kenner der Gesetze,
Bei dem im Herzen Recht, im Munde Wahrheit gilt,
Der nie mit müßigem Geschwätze
Hammoniens Gericht erfüllt!
Nicht nur die Einsicht trüber Sachen,
Auch ein durch Ernst gemäßigt Lachen,
Auch Witz und Dichtkunst steht dir an.
Erlaube mir, so gut ich kann,
Den rechtserfahrnen Muselmann
Ben Haly dir bekannt zu machen.
Ein Türk, der von Byzanz auf ferne Reisen eilet,
Besucht zum Abschied seinen Freund,
Den er getreu zu sein vermeint,
Mit dem er oft sein Leid und stets die Freude teilet.
"Freund," spricht er, "ich verlasse jetzt das Land.
Du weißt, wie viel ich mir durch Fleiß und Glück erworben;
Nur etwas ist dir unbekannt:
Mein Schwager Amarat, der in Algier gestorben,
Hat mir den feinsten Diamant
Durch ein Vermächtnis zugewandt.
Hier ist er, dir allein darf ich ihn überreichen.
Ich sehe, dich erfreut mein Glück,
Ich danke dir für dieses Freundschaftszeichen.
Verwahr' ihn mir, ich komme bald zurück."
Orchan versetzt: "Mein Selim kann gebieten;
Orchan wird jeden Augenblick
Dies Kleinod wie mein Auge hüten,
Er, dein Getreuer bis ins Grab."
Darauf folgt ein Abschiedskuß; der Reisende geht ab.
Allein, wo soll man Seelen finden,
Die nicht auf Eigennutz die Heuchlerdienste gründen?
Wo ist nicht Treu' und Glaube schwach?
Die Lust, den Nächsten schlau zu hintergehen,
Kann solches einmal nur mit Sicherheit geschehen.
Schleicht Bösen aller Orten nach,
Den Christen in ihr Bettgemach,
Und Muselmännern in Moscheen.
Der frohe Selim kommt in Pera wieder an,
Und eilt sein Kleinod abzuholen,
Daß er zu treuer Hut dem falschen Freund empfohlen.
Der aber lacht und spricht: "Ist Selim nicht ein Mann,
Der unvergleichlich scherzen kann?". . .
"Was? scherzen? gab ich nicht" . . . "Ja weil ich's rühmen
soll,
Du gabst mir einen Kuß, der war recht freundschaftsvoll."
"Wo ist mein Diamant?" — "Dein Diamant? dir träumt."
Hier sind nicht viele Reden nötig;
Fort! mit zum Kadi!*
nicht gesäumt!
Ja, ja, mein Herr, ich bin erbötig.
Sie eilen zum Ben Haly hin,
Das war des Kadi Nam'; und in des Sultans Reichen
War ihm an Billigkeit kein Kadi zu vergleichen,
Dafern ich recht berichtet bin.
Der arme Selim sucht dem Richter seine Klagen
Mit vielen Worten vorzutragen.
Er denkt, ein langer Satz scheint manchem Richter schön.
Orchan lärmt zehnmal mehr. Dem Kläger fehlen Zeugen.
Er gibt zum öftern zu verstehn,
Bei einem Baume sei's geschehn;
Das hilft ihm wenig, Bäume schweigen.
"Bei Allah!" schwört Orchan, "der Kläger schwatzt im Traum;
Ich kenne beides nicht, kein Kleinod, keinen Baum."
"Hört," spricht der Kadi drauf, "noch ist hier kein Beweis.
Kennt Selim noch den Baum?"-"Wie sollt' ich den nicht
kennen?"
"Verziehe nicht dahin zu rennen,
Und hole mir sofort ein Reis."
Er geht. Ben Haly setzt sich nieder,
Und endlich ruft er mit Verdruß:
"Verdammt! wie man hier warten muß!
Kommt den dein Gegner noch nicht wieder?
Von unsern Rechten hat er nichts gelernt.
Was will er, daß sein Baum beweise?
Und ist denn dieser Baum so weit entfernt?
Braucht es, ihn zu finden einer Tagesreise?"
"Nein, einer Tagesreise braucht es nicht,
Der Baum ist nah genug" . . . "Verfluchter Bösewicht!"
Ruft Haly zürnend aus, "vor einer halben Stunde
War weder Baum noch Diamant,
So wie du schwurest, dir bekannt;
Und nun verdammst du dich mit deinem eignen Munde.
Wohlan, das jetzt vor aller Welt
Ein jeder das, was ihm gebührt, empfange:
Dem Selim werde flugs sein Kleinod zugestellt,
Orchan bereite sich zum Strange!"
Was ich erzählt, hört Alfius, und spricht:
"Mit deines Türken blinder Zuversicht
Traut man bei uns dem Bruder selber nicht."
"Gar richtig, Alfius, du dienest zum Exempel.
Der Irrtum alter deutscher Treu
Ist mit der alten Zeit vorbei.
Die Einfalt nahm den Handschlag an,
Was fordert jetzt ein kluger Mann?
Verschreibung, Zeugen, Pfand und Stempel."
*Kadi
ist bei den Türken ein Stadtrichter.
Fab.30
Die Affen auf dem
Schiffe
Ein Schiff mit Affen kam in einem Hafen an.
Der Schiffsherr konnte sich auf guten Abgang freuen.
Der König liebte sie, und also jedermann.
Man geht ans Land, der Herr, die Zeitung auszustreuen,
Und das Matrosenvolk nach Mädchen und zu Wein.
Die Affen bleiben ganz allein.
"Nun," spricht der eine, "Mut, ihr Brüder!
Die Freiheit winkt, ergreift sie wieder.
Ich habe fleißig zugesehn,
Und glaube gründlich zu verstehn,
Wie man die Taue zieht, wie man das Ruder führet,
Wie der Magnet den Lauf regieret.
Auf! kappt den Anker, spannt geschwind
Die Segel, günstig ist der Wind."
Gesagt, getan. Man übergibt in Eile
Das Schiff der Flut, und läßt den Hafen bald sehr weit
zurück,
Mit törichter Geschäftigkeit
Springt unser Volk umher, durchklettert alle Seile,
Und sicher, was bisher das bloße Glück getan,
Als Folgen seines Fleißes an.
Doch nun verändert sich die Szene: Meer und Himmel
Vermischen sich. Mit donnerndem Getümmel
Kämpft Nord und Ozean; der leichte Kiel
Ist beider Kämpfer Spiel;
Ihn schleudert die Gewalt des Sturmwinds und der Welle
Bald mitten in den Blitz, bald in den Schlund der Hölle.
Das bange Volk der Affen weiß,
Sich nicht zu helfen, nicht zu raten.
Was die Matrosen jüngst in gleichem Falle taten,
Das wiederholt ihr blinder Fleiß,
Doch alles umgekehrt und aller Kunst zuwider;
Was steigen soll, sinkt nieder,
Die Taue sind verwirrt, die Segel wund und naß;
Der raue Palinur guckt dumm auf den Kompaß.
Schmäht durch das Sprachrohr auf die Brüder,
Und steuert auf Geratewohl
Zur Rechten hin, wenn er zur Linken steuern soll.
Ein andrer ruft: "Dem Sturme vorzukehren,
Müßt ihr Gelübde tun und schwören."
Zur Hälfte teilt man sich: hier singt und betet man,
Dort lästert man aus vollen Hälsen.
Doch eine Welle kommt, schlägt an das Fahrzeug an,
Und schleudert es zerschellt an einen Felsen.
* * *
So wie dem Schiffe, so dem Staat,
Der Affen zu Regenten hat.
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