Fab.31
Die Tobakspfeife
"Gott grüß' Euch, Alter! schmeckt das Pfeifchen?
Weiset her! – Ein Blumentopf
Von rotem Ton mit goldnen Reischen!"
"Was wollt ihr für den Kopf?"
"O Herr den Kopf kann ich nicht lassen;
Er kommt vom bravsten Mann,
Der ihn, ich weis nicht welchem Bassen
Bei Belgrad abgewann.
Da, Herr, da gab es rechte Beute!
Es lebe Prinz Eugen!
Wie Grummet sah man unsre Leute
Der Türken Glieder mähn."
"Ein ander Mal von Euren Taten!
Hier, Alter, seid kein Tropf,
Nehmt diesen doppelten Dukaten
Für Euren Pfeifenkopf."
"Ich bin ein armer Kerl,
Und lebe von meinem Gnadensold;
Doch, Herr, den Pfeifenkopf,
Den gebe ich nicht um alles Gold.
Hört nur: Einst jagten wir Husaren
Den Feind nach Herzenslust;
Da schoß ein Hund von Janitscharen
Den Hauptmann in die Brust.
Ich heb' ihn flugs auf meinen Schimmel,
- Er hätt' es auch getan,-
Und trag' in sanft aus dem Getümmel
Zu einem Edelmann.
Ich pfleg' ihn; und vor seinem Ende
Reicht er mir all sein Geld,
Und diesen Kopf, drückt mir die Hände,
Stirbt, als ein wackrer Held.
Das Geld mußt du dem Wirte schenken,
Der dreimal Plünderung litt.
So dacht' ich, und zum Angedenken
Nahm ich die Pfeife mit.
Ich trug auf allen meinen Zügen
Sie wie ein Heiligtum,
Wir mochten weichen oder siegen,
Im Stiefel mit herum.
Vor Prag verlor ich auf der Streife
Das Bein durch einen Schuss,
Da griff ich erst nach meiner Pfeife,
Und dann nach meinem Fuß."
"Ihr rührt mich Alter, bis zur Träne.
O sagt wie hieß der Held,
Den ich einst gleich zu sein mich sehne?
Gern pries' ich ihn der Welt."
"Man hieß ihn nur den tapfern Walther;
Dort lag sein Gut am Rhein"...
"Das war mein Ahne, lieber Alter,
Und jenes Gut ist mein.
"Kommt, Freund, Ihr sollt bei mir nun leben;
Vergesset Eure Not,
Und trinkt mit mir von Walthers Reben,
Und eßt von Walthers Brot."
"Nun topp! Ihr seid sein wahrer Erbe,
Ich ziehe morgen ein;
Und Euer Dank soll, wenn ich sterbe,
Die Türkenpfeife sein."
Fab.32
Der Vogel Platea und die
beiden Reiher
Der Vogel Platea (nach Andern, Pelikan,
Nach Andern Löffelgans; das Tier hat viele Namen)
Griff einst, wohl unterstützt, zwei Reiher an,
Die von der Wasserjagd zurücke kamen,
Und jagte diesen Herrn die Fische wieder ab,
Die sie im Teiche weggefangen,
Und strafte sie dabei daß sie den Raub begangen.
Worauf der eine dies zur Antwort gab:
"Ihr mögt den Fang uns künftig hier verwehren,
Jetzt ist er schon getan; und wer soll ihn verzehren,
Als wir? er kostet uns die meiste Müh,
Wir kreuzen darum nicht am Ufer spät und früh,
Um faule Schlemmer zu ernähren."
Hier schrie der Platea: "Zweifacher Strafe seid
Ihr Bösewichter wert, ihr, die ihr euch nicht scheut
Zu stehlen, und hernach den Diebstahl zu behalten.
Die Köpfe sollte man euch spalten.
Es lebe die Gerechtigkeit!"
Und hiermit ward der Raub von ihm sogleich verzehret.
Dergleichen Vogel wohnt noch jetzt in mancher Stadt,
Der ebenfalls, wie der, verschiedne Namen hat,
Und die Gerechtigkeit zu seinem Vorteil ehret.
Man klagt darüber hier und da.
Wer zweifelt, frage nur die Leute:
Er straft die Dieberei, und nährt sich von der Beute,
So wie der Vogel Platea.
Fab.33
Salabeth
Der reiche Salabeth, ein Weiser, dessen Hand
Der Arme nie verschlossen fand,
Ließ, allen wohl zu tun mit seinen großen Schätzen,
An einem Heerweg ein Gebäude setzen,
Worin er jedermann, der diese Straße ging,
Mit Mild' und Freundlichkeit empfing.
Verherrlicht durch der Dichter Zungen,
War schon sein Lob durch ganz Arabien gedrungen,
Als Alamin es hört. Der Ehrgeiz nimmt ihn ein,
Ihn spornt die Eifersucht, dem Weisen gleich zu sein.
Wie? sprach er, sollt' ich ihm an Großmut weichen,
Da wir uns beide doch an Reichtum gleichen?
Schnell wird ein Palast aufgeführt, wird angefüllt
Mit allem, was der Pilger Durst und Hunger stillt;
Dann werden alle, die des Weges kommen,
Beschenkt und gastfrei aufgenommen.
Als Alamin einst auf dem Hofe geht,
Erscheint ein Bettelweib, das um ein Zehrgeld ficht.
Er gibt, und gibt mit Lust, und gibt mit milder Hand.
Dem Weibe war der Hof bekannt;
Durch andre Wege kehrt sie zwölfmal noch zurücke,
Und immer gibt er mit vergnügtem Blicke;
Zum letzten Mal nur sagt er ihr:
"Mich dünkt mein gutes Weib, Ihr ward schon öfter hier."
"Ja," sprach sie, "dreizehn mal habt ihr mir Geld gegeben;
Doch Herr, Euch kenn ich nicht, ich kann
Nur unsern Salabeth erheben;
Den sprach ich dreißigmal um eine Wohltat an,
Stets gab sie mir der große Mann.
Ich weis gewiß, daß er mich kennen mußte,
Ob er es gleich gut zu verbergen wußte;
Nie sagt' er mir ein Wort. Seid immer reich,
Wie Salabeth; an Großmut seid Ihr ihm nicht gleich."
Ha, Salabath! soll ich dir stets den Vorzug lassen?
Werd' ich durch deine Schuld des Volkes Spott? – Wohlan!
Wenn ich in nichts dich übertreffen kann,
So übertreff' ich dich im Hass. Ja tödlich hassen…
Nein, töten will ich dich! hier schwör ich dir den Tod;
Weil mir dein Leben unaufhörlich Schande droht.
Er sagt's, und reiset ab. In wenig Tagen
Hat ihn sein rascher Gaul zum Salabeth getragen.
Er sieht ein großes Schloß, er sieht den Salabeth,
Der, unerkannt von ihm, vor seiner Türe steht.
"Gehört dies Schloß," hebt unser Reiter an,
"Dem Salabeth?" – "Ja," spricht der alte Mann;
"Es pflegt kein Reisender an sein Haus vorbei zu gehen;
Steigt ab, ihr werdet gern gesehen."
Ihm folget Alamin, und geht an seiner Hand
Ins Haus, macht jeden Ausgang sich bekannt,
Und fragt zuletzt den dienstbefließnen Alten,
Woher und wer er sei. "Mein Herr ist Salabeth,
Spricht dieser kalt; er hat bisher mich unterhalten,
Allein noch nie mein Glück erhöht."
"Ich seh," ruft Alamin, "du bist hier unzufrieden.
Hör' an mein Freund, wofern du mir in einem Stück
Zu dienen schwörst, so schwör' ich dir, ein größer Glück
Ist dir auf Leben lang beschieden,
Als du zu hoffen wagst." Drauf macht er ihm den Grund
Der Reis' und seinen Vorsatz kund.
"Wohl, " spricht der Greis, "Ihr sollt Euch rächen,
Ich schwör' es Euch; doch haltet das Versprechen!
Seht jenen Wald, der vor uns liegt,
Wo Salabeth sich alle Morgen
Mit Sonnenaufgang hin verfügt;
Er ist allein, Gefahr ist gar nicht zu besorgen.
Dort tötet ihn. Dann flieht zur rechten Hand,
Der Weg ist leer und unbekannt,
Und führt in Sicherheit. Ihn werden Wölfe fressen,
Man wird ihn suchen, und vergessen."
Eh noch das erste Rot am Horizont erscheint,
Erwartet Salabeth im Walde seinen Feind.
Der kommt, und hat bereits das Schwert gezücket,
Und stutzt, als er den Alten hier erblicket:
"Wo," fragt er, "ist denn Salabeth?"
"Hier," spricht der Greis, "er ist's, der vor dir steht.
Es sind nun über achtzig Jahre,
Daß ich die Welt gesehen, und diese weißen Haare
Sind längst zum Tode reif; von deinem Schwert
Erwart' ich ihn. Jetzt kann ich ihn freiwillig leiden;
Wenn die Natur befielt, muß ich gezwungen scheiden.
Bin ich noch älter, und mein Haupt begehrt
Ein zweiter, ist es gar nichts wert.
Du bist der erste, der mein Leben gefordert;
Nimm es hin, es ist dir gern gegeben."
So viel Tugend überwand.
Dem Feinde fiel der Säbel aus der Hand,
Er warf sich zu des Siegers Füßen,
Ließ reu-erfüllte Zähren fließen,
Und Scham und Wehmut und Erstaunen band
Die Zunge' ihm. Schluchzend konnt' er kaum die Worte
sprechen:
"Großmütiger! – verzeih mir – ein Verbrechen …"
"Schweig! dir ist längst verziehn," versetzt der edle Greis;
Der braucht nicht zu verzeihn, wer nichts von Rache weis."
Mit diesen Worten hebt er ihn
Vom Boden auf. "Ach, Alamin,
Der Ehrgeiz hatte dich zur Tugend angetrieben;
Nun lerne noch, zu deinem und der Menschen Glück,
Um ihretwillen selbst zu lieben."
Er sprach’s mit liebevollem Blick,
Umarmt' ihn, führt ihn in sein Haus zurück,
Beschwur mit ihm den Bund der Freundschaft, und nach sieben
Gastfreundschaftlichen Wochen ließ er ihn,
Durchglüht von edlern Tugendtrieben
Zurück in seine Heimat ziehn.
Fab.34
Der donnernde Jupiter
Gott Jupiter sprach zu der Rache:
"Geh, schärfe mir den Donnerkeil,
Damit ich in geschwinder Eil
Dem Frevelmut ein Ende mache."
Doch die Erbarmung, die es hört,
Nimmt schnell der Rach' ihn aus den Händen,
Und bricht ihn ab an beiden Enden,
Daß er mehr schrecket, als versehrt.
Fab.35
Der alte und der
junge Stier
Ein junger Stier sah einen alten
Geputzt mit Kränzen und mit Bändern gehn,
Wobei Posaunen und Schalmeien schallten.
Ei, rief er aus, wie wunderschön!
O, könnt ich solchen Schmuck erhalten!
Er folgte dem Getümmel nach.
Doch als er ihm das Beil im Nacken
Und ihn in Stücke sah zerhacken,
Erschrak er, seufzte laut, und sprach:
Behüt' uns Gott vor solcher Ehre,
Die uns zu unsern Fall erhöht.
Für manchen Hofmann eine Lehre,
Die mancher nur zu spät versteht!
Fab.36
Der Sperling und
die Feldmaus
Zur Feldmaus sprach der Spatz: Sieh dort den Adler sitzen;
Sieh, weil du ihn noch siehst; er wägt den Körper schon,
Bereit zum kühnen Flug, bekannt mit Sonn' und Blitzen,
Und zielt nach Jovens Thron.
Und dennoch, seh ich schon nicht adlermäßig aus,
Flieg' ich im gleich. So fliege! rief die Maus.
Indes flog jener auf, kühn auf geprüfte Schwingen,
Und dieser wagt's ihm nachzudringen;
Doch kaum, daß ihr ungleicher Flug
Sie beide bis zur Höh gemeiner Bäume trug,
Als beide sich dem Blick der blöden Maus entzogen,
Und beide, wie sie schloß, gleich unermeßlich flogen.
Der unbiegsame Phax will kühn, wie Milton singen.
Nach dem er Richter wählt, nach dem wird’s ihm gelingen.
Fab.37
Der Diamant
und der Bergkristall
Ein heller Bergkristall und ein roher Diamant,
Von einem Reisenden verloren,
Gerieten auf ein Häufchen Sand,
Und warteten, für wen das Schicksal sie erkoren.
Der Diamant ward getrost: Ich hoffe, daß ich hier
(So dacht' er) nicht veralten werde;
Mein innerer Wert verspricht es mir.
Der erste, der vorbeigeht, nimmt mich von der Erde.
Allein der Bergkristall verführte das Gesicht;
In sah ein Knabe, der ihn zu sich steckte;
Den edlen Nachbar kannt' er nicht,
Den kurz darauf der Sand bedeckte.
Auch unter Menschen wird der Blendling hoch geschätzt,
Der Würdige zurückgesetzt.
Das kleinere Verdienst weiß sich zu zeigen,
Die größere Tugend weis zu schweigen.
Fab.38
Die Eule und der Rabe
"Daß jedermann mich als Minervens Vogel ehre!"
So rief die Eule. – "Mich," so fiel der Rab' ihr ein,
"Weil ich dem Phöbus angehöre."-
"Mich wundert es doch ungemein,
Daß Phöbus einen Dieb zu seinem Liebling wählet."-
"Und meinst du bessrer Art zu sein?
Weis nicht die ganze Welt, das auch ihr Eulen stehlet?"-
"Ei nun, Freund Rabe, laß uns nur gestehn,
Daß nicht Verdienste stets zu Lieblingen erhöhn."
Fab.39
Der Spanier und
der Honigweiser
Einem jungen Prinzen zugeeignet.
Ein Spanier ging einst am Kap
In einem Wald' umher, und gab
Auf jenen Vogel, den der Physikus
Den Indicator Cuculus
(Auf deutsch der Honigweiser)
Benennt, aufmerksam acht.
Der Vogel, der ihn jetzt an einen Baum gebracht,
Flog um den Baum herum, und schrie beinah sich heiser.
Der Wanderer, der diesen Ton verstand,
Erstieg den hohlen Baum, und fand
Ein Bienenmagazin, von Honig schwer,
Und nahm es aus, und macht' es leer,
Ohne etwas von dem reichen Segen,
Wie sonst die Honigjäger pflegen,
Für unseren Cuculus zurückzulegen.
Der sah ihm hungrig zu, und sprach:
"Wies ich so ganz umsonst dir diese Beute nach?
Denkst du, das bloß aus Eifer dir zu dienen
Ich dir das Magazin der Bienen
Entdeckte, das du ohne mich
Nie fandest? Fremdling, schäme dich!"
"Ei, seht mir doch den frechen Kuckuck an!
Rief hier der Spanier voll Hitze;
Ist dir's nicht Ehre, das ein solcher Mann,
Als ich bin, dich gebrauchen kann?
Wenn ihr uns nicht bedient, was seid ihr nütze?
Wir sind zur Ruhe, zum Verzehren,
Auch zum Verderben, wenn es uns gefällt;
Ihr alle sollt für uns schwitzen, und uns nähren,
Und unser Joch zu dulden auf der Welt.
Behelft euch! lernt von Erd' und Wasser leben!
Und fordert nichts, als wir euch aus Gnade geben."
"Was dieser Spanier zu seinem Honigweiser
Voll Undank, Stolz und Raubgier spricht,
Ich weis, mein Prinz, das sprächst du nicht.
Und doch hat mancher Schah, Kalif und Kaiser"
"Bedenke der Verführung Macht!"
"Von Menschenkindern so gedacht."
Fab.40
Die Wespe und der Knabe
Eine kühne Wespe stach
Gusteln, als er Äpfel naschte.
Gustel schlich ihr heimlich nach,
Bis er sie beim Flügel haschte.
"Gnade!" rief die Täterin;
"Weil ich gar nicht strafbar bin.
Willst du Blutschuld auf dich laden?
Meinen Stachel, der dich kränkt,
Hat mir die Natur geschenkt,
Und ich muß gezwungen schaden."
"Mußt du?" sagt der kleine Mann. -
"Ja, weil ich's nicht ändern kann."-
"Eben drum," versetzt der Knabe,
"Weil dir das unmöglich fällt,
Schaff' ich dich aus der Welt,
Daß man Friede vor dir habe."
Fab.41
Der Adler, die
Sau und die Katze
Einst baute sich der Vögel Königin
Ihr Nest auf einem Eichenbaum,
Die Katze fand im hohlen Stamme Raum,
Die Bache lagerte sich an die Wurzel hin.
Sie lebten nachbarlich und still; es war noch nie
Die Ruh und Eintracht unterbrochen;
Doch falscher Argwohn störte sie.
Die Katze kam zum Adler hingekrochen,
Und sprach: "Hört! unsrer Kinder Tod,
Wo nicht der unsrige, (doch das zu unterscheiden
Fällt Mutterherzen schwer) scheint gar nicht zu vermeiden.
Ein guter Freund warnt in der Not.
Seht nur, ich bitte, seht, wie wühlt die wilde Sau!
Sie gräbt und will den Baum gern aus der Wurzel heben
Trau, schau wem! Wie muß ich arme Frau
An unsern Kindern das erleben!
So bald die Eiche fällt, die schon beschädigt ist,
So seh' ich, wie die Sau die lieben Kätzchen frißt,
Die ich Verlaßnes Weib, wer weiß, wie lange,
Wer weiß, ob ich sie heute nicht zum letzten Male umfange."
Nachdem sie dies gesagt, schleicht sie zur Bache hin.
"Ach, allerliebste Nachbarin,
Euch ahnt es wohl nimmermehr, warum ich traurig bin?
Die Kinder jammern mich, die Eure Brüste saugen.
Man traue keinen Adleraugen!
Könnt ihr auch schweigen? Gebt doch acht,
Wie über uns der Vogel wacht.
Ich weiß, er schärfet schon die Klauen,
Und raubet, wenn Ihr Euch aus eurem Lager macht,
Die schönen Kinderchen. Doch alles im Vertrauen!
Nur sagt mir nicht hernach: Das hätt' ich nicht gedacht."
Nun wünscht sie seufzend gute Nacht;
Geht nächtlich aus, kehrt nächtlich in ihr Loch zurücke,
Und freut sich der gelungnen Tücke.
Der Adler hütet stets das Nest,
Damit der Bache Zahn nicht seine Jungen spieße;
So wie die Sau den Eichbaum nicht verläßt,
Damit der Adler nicht auf ihre Ferkel schieße.
So groß nun beider Mangel war,
So fürchteten sie doch der ihrigen Gefahr,
Und da sie stets in ihrer Wohnung blieben,
So wurden sie von Durst und Hunger aufgerieben,
Und die Betrognen dienten bald
Dem falschen Katzenmaul zum neuen Unterhalt.
Was können böse Zungen nicht
Leichtgläubigen für Stacheln hinterlassen!
Wer lügt, wie jener Weise spricht,
Ist ärger als ein Dieb zu hassen.
Fab.42
Der Schwan und die
Lerche
"Was fliegst du denn beständig über mir?"
Sprach zu der Lerche' ein Schwan. – "Ich hörte gern dich
singen,"
Versetzte sie. – "Mich singen? ei, was träumet dir?
Wer füllte dir den Kopf mit solchen Wunderdingen?
Nie sang ein Schwan." – "Im Ernst? so singt ihr Schwäne
nicht?"
"Nein, niemals." – "Aber doch am Ende eures Lebens?"
"Auch dann nicht. Fliegt nur fort, und warte nicht
vergebens."
"Allein, verzeih es mir, weil Jedermann es spricht."...
Was Jedermann spricht, Kind, das glaube darum nicht,
Sonst wirst du dich noch oft betrügen.
Es gibt auch allgemeine Lügen.
Fab.43
Der Traumgott und
der Arme
Du armer Alter dauerst mich;
Ich bin der Traumgott, ich beglücke dich,
Du sollst in einem Nu befreiet von Beschwerden,
Ja, wenn du willst, ein König werden.
Statt deiner Lumpen häng' ich dir den Purpur um,
Zum Zepter mach' ich deine Krücke.
Es stehe, lauschend auf dein Wort und deine Blicke,
Ein Schwarm Bewunderer um dich herum,
Der Kraft und Leben gern in deinem Dienst verzehret,
Und nur von deinem Glück ein kleines Teil begehret.
Geh, guter Traumgott, geh! auf einen Augenblick,
Denn länger währt es nicht, verlang' ich gar kein Glück.
Ei, welcher Fürsten Glück hat längre Zeit gewähret?
Fab.44
Das Schilfrohr
und der Eichbaum
Ein Schilfrohr, welches dicht an einem Eichbaum stand,
Sah mitleidsvoll auf die gemeinen Schilfe
Des Teichs. "Da stehen sie, die Schwachen, ohne Hilfe!
Kein Wunder, daß ein Zephyr, den ich kaum empfand,
Den guten Kinderchen stets wie ein Orkan erschienen;
Denn kein Mäzen stand neben ihnen."
Der fürchterlichste Wirbelwind
Aus Mitternacht hebt an zu wehen.
Die Rohre, die am Teiche stehen,
Und schon gewohnt des Sturmes sind,
Entweichen ihm durch kluges Schmiegen,
Behendes Wanken, tiefes Biegen.
Er tobt mit neuer Wut; sie widerstehen ihm nie;
Und unbeschädigt läßt er sie.
Der Baum allein steht trotzend ihm im Wege.
Laß sehen, spricht Boreas, ob ich ihn nicht erlege!
Er holt von neuem aus, und rennt
Mit ausgespannten Flügeln. . . .Umgeschmissen.
Mit allen Wurzeln ausgerissen
Liegt der Mäzen, und mit ihm der Klient.
Fab.45
Der Freund in der Not
In einer Nacht verlor Aret
Sein Gut durch einen Brand,
Und Vetter, Freund und Tischpoet,
Ja selbst sein Hund verschwand.
Nur noch ein Kater blieb ihm treu,
Der teilte seinen Schmerz,
Und rührte durch sein Angstgeschrei
Des armen Mannes Herz.
Wie? sprach Aret, bist du allein
Mein Freund noch in der Not?
Nichts blieb mir übrig! . . .aber nein!
Mir blieb ein Bissen Brot.
Komm Bester, teile den mit mir;
Er ist von Tränen feucht.
Den roch ich eben, ruft das Tier,
Verschlingt ihn, und entfleucht.
Fab.46
Dionysius und der
Reiche
In Syrakus lebt' einst ein reicher Mann,
Der hatte seinen Schatz vergraben.
Man zeigt es Dionysen an;
(Ein Nachbar mochte wohl den Ort bemerket haben)
Und der Tyrann schickt Häscher auf den Platz,
Und raubt ihm seinen ganzen Schatz.
Noch bleibt zu seinem großen Glücke
Von seiner Barschaft ein Rest zurücke,
Den er im Hause selbst verwahret hat.
Mit diesem schleicht er fort nach einer kleinen Stadt.
Was tut er nun damit? vertraut er ihn der Erde?
Ei ja! damit auch der ihm entwendet werde?
So töricht ist er nicht. Nun kauft er sich ein Feld,
Düngt, sät, sparet weder Fleiß noch Geld,
Macht urbar, was versäumt gelegen,
Und steigt in kurzer Zeit zum vorigen Vermögen.
Ein Glück, wenn Dionys es diesmal nicht erfährt!
Doch hier kommt ein Befehl; laß sehen, was er bedeute.
Was sonst? als das der Fürst den Mann zu sehn begehrt.
Ich hab' es wohl gedacht! er riechet neue Beute.
Mit zittern kehrt der gute Mann
Nach Syrakus zurück,
Und sieht sein schönes Gut schon für verloren an.
"Ich wünsche dir," spricht der Tyrann,-
Ein Freund des Plato jetzt,- "zum neuen Reichtum Glück.
Es freuet mich, daß meine Tat
Bei dir so wohl gewirket hat.
Ich habe dir beweisen wollen,
Daß, wenn das Glück uns wohl gewollt,
Wir das uns anvertraute Gold
Gebrauchen, nicht verscharren sollen.
Besitze nun dein Geld in Ruh.
Hier steht der Schatz, den du vergraben,
Und ich dir rauben ließ; nimm ihn dazu.
Jetzt bist du würdig ihn zu haben."
Fab.47
Der Geier und der Rabe
In einem Hain des Phöbus lebte
Ein Rabe, der nach Weisheit strebte,
Und dieses Hains Orakel war:
Den fragt ein lernbegieriger Star,
Was doch der Vogel Phönix wäre?
"Die widersinnigste Schimäre,
Die je der Wahnwitz ausgeheckt."-
"Was hör' ich? ihr gerechten Götter!
Kein Phönix? ha! verruchter Spötter!"
So rief der Geier, der versteckt
Dem weisen Vogel aufgepasset:
"Es schmerzt mich tödlich, daß Apoll,
Der doch die Brut der Zweifler hasset,
In seinem Hain dich dulden soll.
Doch ich will, um seine Schmach zu rächen,
Im Augenblick den Hals dir brechen."
Er tat, was mancher Bösewicht,
Der, seine Rachbegier zu stillen,
Dem Redlichen, um Gottes Willen,
Den Mordstahl in den Busen sticht.
Fab.48
Der Adler und
seine Untertanen
"Beim Zeus! ich bin der König hier;
Ihr Meuterer, folgt! gewähret mir
Mein Recht! sonst sollt ihr Wunder sehen."
So schrie der Adler ungestüm
Den Rat der Vögel an, der ihm
Versagt, das Kopfgeld zu erhöhen.
"Gemach!" versetzt der Pelikan,
Und blickt den Wüterich zürnend an,
"Herr König, wir sind frei geboren." . . .
"Ei pfui!" fällt Kanzler Storch ihm ein,
Und hebt voll Ernst das rechte Bein,
"Ihr Herren, seid doch keine Toren!
Das Kopfgeld bleibt auf altem Fuß;
Der Zuschuß ist ein frei Geschenk,
Das aber jeder geben muß."
Auf einmal legt sich das Gezänk,
Die Forderung wird für Recht erkläret,
Und der erhöhte Schoß gewähret.
Fab.49
Der Philosoph und
der Narr
Es sah ein Philosoph mit innigem Vergnügen,
Mit Ahnung von Unsterblichkeit
Sein Lob durch tausend Städte fliegen.
"Fürwahr, ich bin der Phönix unsrer Zeit;
Die Vorwelt sah Meinesgleichen selten;
Gewiß werde ich in den Folgewelten
Für einen Stern der ersten Größe gelten."
So sprach der Philosoph, doch merk' es, nur für sich;
Denn sehr bescheiden war er äußerlich;
Er schien sogar die Dunkelheit zu lieben,
Verbat sich jedes Lob, und hieß es übertrieben.
Einst ging er in ein Narrenhaus.-
Was kann ein Weiser hier erlangen?-
Was? Weisheit. Warte du den Markt nur aus,
So wirst du sehn, daß er nicht fehlgegangen.
Der Narren einer stellt sich vor ihn hin;
"Knie nieder!" fängt er an, "und lerne, wer ich bin.
Den größten Weisen, den die Welt gesehen,
Siehst du wahrhaftig vor dir stehen.
Ich bin der Phönix, das Orakel meiner Zeit,
Die Vorwelt sah Meinesgleichen selten;
Auch schieß ich schon auf ferne Welten
Die Strahlen der Unsterblichkeit."
Der Philosoph, der nur mit halbem Munde lacht,
Spricht zu sich selbst: An diesem eklen Orte
Sitzt dieser Narr gewiß nur wegen solcher Worte,
Als ich – zwar nicht gesagt, doch oft gedacht.
Ich sehe wohl, von uns hat jeder einen Sparren
Zu viel. Der ganze Unterschied
Ist dieser: Alles sagen Narren,
Die Weisen denken es nur, und heißen darum gescheit.
Fab.50
Die Eule
Die Eule flog, nach einer alten Sage;
Gleich andern Vögeln, nur am Tage,
Und schlief bei Nacht. Einst, als ihr Wildbret rar
Durch Frost und Wasserflut geworden war,
Fing sie, genagt von Hunger, kläglich an zu schreien:
"O Pallas, kannst du mir die Gabe nicht verleihen,
Den Raub bei dunkler Nacht zu sehn?"
Die Tochter Jupiters erhört ihr Flehn,
Die Eule sieht, wohin sich jedes Tier verstecket;
Kein Zeisig, keine Maus bleibt unentdecket.
Gesättigt und müde von der Jagd,
Schläft sie, so bald die Sonn' erwacht.
Das Jahr darauf ist fruchtbar: alles hecket
Und mehrt sich siebenfach. Der Eule schmecket
Die Einsamkeit nicht mehr; Sie sucht die nächste Nacht
Kein Futter, schlafen will sie, bis der Tag sie wecket.
Doch kaum erscheint der Tag, so schmerzet sie das Licht,
Sie taumelt, stößt sich, wird von Alt und Jung genecket,
Und sieht forthin am Tage nicht.
Hast du dich von der Welt entwöhnet,
So taugst du nichts mehr für die Welt.
Dein Scharfsinn in der Schrift gefällt,
Dein Umgang aber wird verhöhnet.
Fab.51
Der Kaufmann
Ein fremder Kaufmann, der, wie man vernahm,
Aus Demokrirs berühmter Schule kam,
Zog auf den Jahrmarkt einer Stadt,
Und rief "Wer Klugheit nötig hat,
Ihr Bürger, kann sie bei mir kaufen."
Schnell kam die halbe Stadt gelaufen,
Und sieht den neuen Handelsmann
Als ein besondres Wunder an;
Allein nicht einer will es wagen,
Der Ware selber nachzufragen;
Denn unklug schämt man sich zu sein.
Doch, eh der Philosoph es dachte,
Fand plötzlich sich ein Käufer ein,
Der rief, so sehr das Volk auch lachte,
Mit freier Art und unverstellt:
"Ich brauche Klugheit; hier ist Geld."
Der Kaufmann schob das Geld zurück
Und sprach: "Mein Freund, du bist, zu deinem Glück,
Mit meiner Ware schon versehen;
Du siehst der Klugheit Mangel ein,
Und diese Tugend ist nicht klein;
Doch größer noch ist die, den Mangel zu gestehen."
Fab.52
Der Sklave und
der goldene Pfeil
Ein Sklave saß einst unter einem Palmbaum
Am Fall des Nilstroms. "Hätt' ich," sprach er weinend,
"Nur so viel Goldes, als ich zur Erkaufung
Der Freiheit brauche! Aber eitle Wünsche!
Ich bin versehen, diese Sklavenkette
Bis zu dem Rande meiner Gruft zu tragen."
Indem er klagte, flog in seine Schulter
Ein Pfeil von Golde, der sie leicht verletzte.
Ein edler Sultan schoß ihn, in der Meinung
Ein Reh zu treffen, und getäuscht entwich er.
Der Sklave rief jetzt, als er aus der Wunde
Das goldne Weh zog: "Du vermaledeites
Metall du! hab' ich nicht genug erlitten?
Bedurft' es deiner, meine Pein zu mehren?"
Und warf entrüstet, was die guten Götter
Ihm gütig sandten, in des Nilstroms Tiefen,
Den Preis der Freiheit, seine langen Wünsche.
Die Menschen seufzen nach Fortunens Ankunft.
Sie kommt, und niemand kennt sie; sie nimmt Abschied,
Und nun erst erkennt man die verschwundne Göttin.
Fab.53
Die heiligen Bäume
Nach Pallas Beispiel fällt es einst den Göttern ein,
Daß sie sich Bäume wählen wollen,
Die vor den andern heilig seihn
Und ihren Schutz genießen sollen.
Dem alten Zeus gefällt der Eichenbaum,
Der alle Wälder überlebt, den kaum
Die Zeit besiegt, die alles überwindet.
Cythere wählet sich den kleinen Myrtenbaum,
von dessen Zweigen sie den Bräuten Kränze windet.
Den grünen Lorbeerbaum Apoll,
Die Göttermutter schlanke Fichten,
Die über alle stolz sich in die Höhe richten.
Dem Herkules gefällt die Silberpappel wohl.
Minerva hört der Bäume Wahl, und fragt,
Die Wahl der Götter zu beschämen,
Warum sie unfruchtbare nähmen.
Worauf der Zeus zur Antwort sagt:
"Nur diese wollen wir beschützen,
Den andern Bäumen wird die Ehre nicht zuteil,
Daß es nicht schein,' als sei die Ehre Göttern feil,
Weil sie mit ihren Früchten nutzen."
Minerva erwidert ihm: "Mir bleibt allein
Der Ölbaum heilig, stets soll der mein Liebling sein;
Denn darum, weil er nützt, verdient er Schutz und Ehre,
Und ich beschütz' ihn nicht, wenn er nicht fruchtbar wäre.
Den alten Zeus erzürnt der Antwort Weisheit nicht;
Er küßt der Tochter Wang' und spricht:
"An Weisheit gleichen dir die andern Göttern nicht.
Du wähltest dir mit Recht den Ölbaum, ihn zu schützen.
Was man zu unserm Lobe spricht,
Ist eitel und gebührt uns nicht,
Wenn unsre Taten keinem nutzen."
Fab.54
Die Raupe und der
Regenwurm
Wie schön ist doch die Welt für mich gebauet!
So weit mein scharfes Auge schauet,
Bewundert es, geschaffen mir zum Glück,
Der großen Götter Meisterstück.
Für mich macht dieses warme Wetter
Die Sonne, die so hell vom Himmel auf mich scheint;
Denn Kälte, weiß sie, ist mein Feind.
Für mich trägt dieser Baum so weiche süße Blätter;
Denn wer genießt sie sonst, als ich?
Auch Blumen zeugte die Natur für mich.
Denn wenn ich einst verwandelt werde
Und mich vergöttert von der Erde
Erhebe, trink ich ihren Nektarsaft.
Ja, weil die dunkle Nacht mir kein Vergnügen schafft.
So geht die Sonne nie zur Ruh,
Sie schicke mich denn erst die glänzende Laterne,
Den Mond, und tausend blanke Sterne,
Wenn niemand wacht, als ich, zu meinem Dienste zu.
Sprich, Regenwürmchen , sind wir Raupen nicht beglückt?
Und Regenwürmer sind wohl nichts, erhabne Made!
Als Ungeziefer? nicht? Es ist um dich doch schade,
Du hättest dich zum Menschen gut geschickt.
Fab.55
Die zwei Totenköpfe
Beim Graben einer Grube sah
Ein Totenkopf den andern liegen,
Und rief: "Wer bist du, der so nah
Sich darf zu meiner Gruft verfügen?"
"Ich war," sprach der, "ein Ruderknecht,
Aß schwarzes Brot, trank aus den Flüssen,
Schlief auf der Erde, lebte schlecht,
An Schuh und Kleidern abgerissen;
Bis der erwünschte Tod mich fand,
Denn ich oft inniglich begehret,
Der hat mich aus dem Joch gespannt,
Und mir die Freiheit nun gewähret."
"Gemeiner Kerl, hinweg von mir!"
Schrie ihm der andre Kopf entgegen;
"Nichtswürdiger, was willst du hier?
Dein Zuspruch ist mir ungelegen.
Entweich, und laß mich stracks in Ruh!
Ich bin ein andrer Mann als du.
Ich bin mit Königen verwandt,
Und nicht aus Pöbelblut entsprossen.
Ich trage Stern und Ordensband,
Ich fahr' in prächtigen Karossen,
Ich streue Tonnen Goldes aus,
Ich habe fünf bis sechs Mätressen,
Und halte jeder Hof und Haus.
Im Keller hab' ich Tonnen Wein
Aus Ungarn, Welschland und vom Rhein,
Auf der Tafel sechzehn Essen . . ."
"Ich bin! Ich hab'! ach, armer Mann,
Ich war, ich hatte mußt du sagen;"
Hub hier des Sklaven Schädel an,
"Du hast ja nichts mit hergetragen.
Ich seh' nicht Stern, nicht Ordensband
für deinen königlichen Stand;
Ich seh' nicht deine sechzehn Essen,
Noch deine fünf bis sechs Mätressen,
Ich seh' nicht deine Tonnen Wein
Aus Ungarn, Welschland und vom Rhein,
Ich seh' nicht deine Tonnen Gold,
Noch deine prächtigen Karossen.
Was du besessen und genossen,
Bleibt alles auf der Oberwelt.
Dort oben war ein Unterschied,
Hier gleicht dein Schädel jedem Schädel.
Schön sieht wie häßlich, arm wie reich,
Dumm sieht wie klug aus, schlecht wie edel.
Der Tod macht Hack' und Zepter gleich."
Fab.56
Philemon und Baucis
Weil von der Unterwelt zu den gestirnten Höhen
Die Boten selten richtig gehen,
So fiel dem Könige der Götter ein,
In Pilgertracht, um nicht erkannt zu sein,
Den Erdkreis selber zu besehen.
Der schlaue Jupiter entging durch diese Flucht
Der alten Juno Eifersucht,
Die ihm den Nektar recht vergällte,
Und was er nur als Stier und Schwan,
Und in der Jugend selbst getan,
Ihm täglich unter Augen stellte.
Merkur, dem er Befehl ihn zu begleiten gab,
Ließ Federhut und Schlangenstab
Zurück, und löste sich vom Schuh die Flügel ab.
Schon hatten sie den narrenvollen Rand
Der Erde bis dahin durchrannt,
Wohin vielleicht nicht ich noch du, mein Leser kommen.
Bis an Mäanders fernen Strand;
Und nun ward allgemach die Prüfung vorgenommen.
Sie sahen ein hohes Schloß, das Üppigkeit und Pracht
Dem Übermut zum Sitz gemacht.
Hier wohnt' und schwelgt' ein trotziger Dynast,
Des armen Landes reiche Last,
Der Liebling eines Herrn, dem er die treuen Horden
So stark und oft geschätzt, das alle nackt geworden.
Bei diesem suchten jetzt die Götter kurze Rast.
Sie stellten sich, nach wahrer Pilger Weise,
Vom Mangel ausgezehrt, ermüdet von der Reise,
Und flehten sehr um Streu und Speise.
Umsonst! man wies sie höhnisch ab;
Und als Merkur sich noch ins Wirtschaftshaus begab,
Fand er auch hier, je mehr er bat,
Nichts sei vermessner, stolzer, kühner,
Als kleiner Herren kleine Diener,
Sobald man ihrer nötig hat.
Sie eilen schnell in manches Reichen Haus,
Allein viel schneller noch heraus.
Noch etwas wird versucht: Sie klopfen an die Hütte,
Die einsam in dem Tale steht.
Hier wiederholt Merkur die Bitte,
Und hier nur wird er nicht verschmäht.
Hier lebte, mit zufriedenem Gemüte,
Ein unbeerbt zugleich veraltend Paar,
Dem, durch des Schicksals seltne Güte,
Der langen Ehe Joch nicht unerträglich war.
Der Mann, Philemon, geht und nötigt sie herein,
Führt beide vor den Herd, heißt beide fröhlich sein,
Und ruft sein Weib. Frau Baucis mit gekrümmtem Rücken
Erscheint, grüßt jeden Gast mit treuem Händedrücken,
Das Jupiter, der wohl zu leben weiß,
Durch einen Kuß vergilt, jedoch nur auf die Wangen,
Und nicht den zehnten Teil so heiß,
Als der, den Leda sonst empfangen.
An deren Mund er stundenlang gehangen.
Und gleichwohl flößt in ihre Brust
Der kalte Kuß recht jugendliche Lust;
Sie stoppelt Scheit und Stroh schon hurtiger zusammen.
Ein Bündel Reiser wird auf dürren Kien gelegt;
Und als die Asch' und Kohlen aufgeregt,
Facht, bläst und hustet sie den ganzen Stoß zu Flammen.
Hierauf wird Milch in irdner Schüssel aufgesetzt,
Dann wohl durchwachsen Speck mit Bohnen aufgetischet,
Dann Fischlein, die der Wirt im eignen Teich gefischet,
Und selbstgezognes Obst zuletzt.
Um die Fremden besser zu erfreuen,
Umsteckt der Alte noch den Tisch mit grünen Mayen,
Sucht feinen Witz hervor, der, nach des Landmanns Art,
Mit Worten spielt, und kein Gelächter spart.
Er schwatzt von Witterung, von Wiesenwachs und Saaten;
Wie heuer recht nach Wunsch des Nachbars Korn geraten.
Frau Baucis lehrt der Seuchen Eigenschaft,
Der Wurzeln und der Kräuter Kraft.
Sie sagt den neuen Tischgenossen,
Wie viele Jahre schon in ihrer Eh' verflossen;
Wie dieses Dach von Schilf und den geschwärzten Herd
Ihr langer Fleiß erbaut, und noch kein Fluch beschwert.
Was sie besitzen, was noch fehlt,
Das alles wird jetzt hererzählt.
Auch wie sie neulich noch was herrliches geerbet,
Ein Trinkgeschirr, noch gar nicht abgenützt,
Woran Silen zu sehn, der auf den Schlauch sich stürzt
Und mit Satyren zecht, aus Buchenholz geschnitzt;
In dessen Deckel sei Philemon eingekerbet.
Sie forderst, und er bringts voll Most,
Zum süßen Schluß der Abendkost.
Das frische Naß geht schnell herum, wird schnell gelehret,
Und als Frau Baucis mehr begehret,
Füllt sich von selbst der Becher wieder an.
Die Alte sieht's bestürzt, es stutzt der Biedermann.
Merkur macht ihnen Mut, und trinkt auf ihr Vergnügen,
Und Jupiter hebt lächelnd an:
"Herr Wirt, Frau Wirtin, wir sind Götter; der kann fliegen,
Und ich kann donnern; ich bin Zeus er ist Merkur."
Philemon schielt ihn an, entdeckt in seinen Zügen
Ein Wesen höherer Natur;
Ein heiliger Schauer fährt durch Baucis kalte Glieder,
Und beide fallen auf ihr Antlitz nieder.
"Ihr Götter," spricht der Greis, "wie gütig nehmt ihr an,
Was euch die Dürftigkeit wohlmeinend reichen kann.
O, hätten wir euch doch nach Wunsch bewirten können;
Doch aller Überfluß, den Wald und Berg und Tal
Und Meer und Fluß enthält, ist mangelhaft zu nennen
Zu einem Göttermahl."
Jetzt tagt es, und Merkur führt das entzückte Paar
Den hohen Berg hinan, der in der Nähe war.
Drauf spricht der Donnergott: "Der Bosheit Lauf zu hemmen,
Soll der Mäanderstrom die Frevler überschwemmen."
Er winkt, der Strom gehorcht. Sie sehn das Schloß, das Land,
Wo man kein liebreich Aug' auf fremde Not gewandt,
Von Wind und Flut bestürmt, mit Schrecken untergehen.
Philemons Wohnung bleibt auf einer Insel stehen,
Doch nicht als Hütte mehr. Was Schilf, was irden war,
Wird Marmor oder Gold; ihr Tischlein ein Altar,
Die Kann' ein Opferkelch, die Pfosten Säulen,
Und, mehr Bequemlichkeit dem Tempel zu erteilen,
Ihr Bett ein Kirchensitz, der noch die Kraft behält,
Daß man hier gähnt, und oft in tiefen Schlaf verfällt.
Dies Wunderwerk erfüllet beide
Mit Ehrfurcht, Dankbarkeit und Freude,
Und unsern Phrygier mit solcher Zuversicht,
Daß er sein Staunen unterbricht,
Und ruft: "Ach, möchte Zeus mich würdig finden,
In diesem neuen Bau ihm Opfer anzuzünden,
Und meiner Tage Rest als Priester ihm zu weihn!"
Der Gott erwidert: "Wohl, das Priestertum sei dein.
Auch dir, o Baucis, soll ein Wunsch gewähret sein.
Was wünscht du?" – "Daß uns der Tod zugleich erscheine,
Und keiner je von uns des andern Grab beweine."
Philemon reicht ihr die Hand; und stimmt mit ein.
Zeus winkt ein Zeichen, daß er ihr Gebet erhöre,
Und donnert links, und eilt zur höchsten Sphäre.
Der Ruf hievon geht bald in alle Lande aus,
Und jedermann besucht das neue Gotteshaus,
Teils, den Philemon selbst um alles zu befragen,
Teils, ihn den Zehnten anzutragen,
Den er, Kraft des Berufs zum Tempeldienst bestimmt,
Mit priesterlicher Hand oft abweist, öfter nimmt.
Als er im Vorhof einst den Reisenden erzählet,
Daß Baucis sich mit ihm ein gleiches End' erwählet,
Verwandelt sich sein Haupt, zu Blättern wird das Haar,
Den Leib deckt Rind und Moos, und Baucis wird gewahr,
Erschrickt, will zu ihm, und erstarrt, gleich einer Leiche.
Sie wird zur Lind' und er zur Eiche.
Der wohl erfüllte Wunsch ist ihrer Treue Lohn,
Und jeder Vater zeigt die Bäume seinem Sohn,
Man siehet ihre Zweig' am allerschönsten grünen,
Und vielen Liebenden mit ihrem Schatten dienen.
Der Ruf legt ihnen bald die Zauberwirkung bei,
Hier reize Laub und Gras zur süßen Buhlerei.
Man sagt, daß hier auch spröde Schäferinnen
Das Schmeicheln und zuletzt den Schmeichler lieb gewinnen;
Daß manche, deren Stolz den Hirten widerstand,
Zum ersten Mal ihr Herz hier voller Mitleid fand;
Daß hier den Lycidas der Emma Kuß beglücket,
Und er sie bald gelehrt, was noch weit mehr entzücket.
Der nächste Lenz verriet die ihm erzeigte Huld.
Der Baum, der arme Baum, nicht Emma, trug die Schuld.
Die Mutter hätte bald nebst ihren Nachbarsfrauen,
Wenn Zeus sie nicht beschützt, Frau Baucis umgehauen.
Fab.57
Der Gott der
Jahreszeiten
Zur Raupe sprach der Genius
Des Jahres: "Nach der Schickung Schluß
Mußt du forthin nur schlafend leben,
Und dich in des Raupenstands begeben."
"Was nennst du," sprach die Raupe drauf,
"Im Schlafe leben, sonder Essen?
Ich würde bald den Schlaf vergessen,
Befördert' ich des Lebens Lauf
Nicht täglich mit gewohntem Essen."
Der Genius versetzt dagegen:
"Die Furcht kannst du bei Seite legen.
Du wirst dies Schlafen nicht bereuen,
Ein andrer Stand wird dich erfreuen.
Ein Wunder, das ich oft gesehn,
Wird, weil du schläfst, mit dir geschehn;
Du wirst, ohn' einige Beschwerden,
Ein kleiner bunter Vogel werden."
Die Raupe schickte sich darein,
Sie sagte: "Kann's nicht anders sein,
So will ich mit dem Schlaf nicht säumen,
So mag mir bald was süßes träumen.
Drauf hüllte sie sich schleunig ein,
Als sänke sie ins Grab hinein,
Und so verhüllt, ward', ohn' ihr Wissen,
Sie bald dem ersten Stand entrissen.
Jetzt kriecht der Schmetterling hervor,
Und steigt auf einen Ast empor,
Entfaltet, schwingt und sonnt die Flügel;
Sieht ihre perlenfarbnen Spiegel,
Sieht rosenrot und veilchenbraun
Und himmelblau, bestäubt mit Gold.
Das Vöglein wird sich selber hold,
Und kann sich gar nicht satt beschaun.
Beseelt vom Strahl der Sonne, steiget
Es fröhlich in die Lüfte; neiget
Alsdann sein prächtiges Gefieder,
Und läßt sich in den Garten nieder,
Den licht gefärbte Blumen malen,
Trinkt Honig hier aus goldnen Schalen,
Und wiegt sich auf Kaiserkronen,
Auf Tulpen und auf Anemonen.
"Ihr Götter!" ruft es, "welche Lust,
Wovon die Raupe nichts gewußt!"
Fab.58
Der Bär und der
Liebhaber
Ein ungeschlachter Bär voll finstrer Traurigkeit,
Im ödesten Gebirge' aus Eigensinn verstecket,
Vertrieb, unausgeforscht, durch Klipp' und Wald gedecket,
Einsiedlermäßig seine Zeit.
Er wählt sich eine Gruft, die fast sein Körper füllt,
Schläft hier, und dehnet sich, und wälzt sich auf und
nieder,
Und meidet stets die Spur der Bären, seiner Brüder,
In eigne Dummheit eingehüllt.
Einst, als er saugend sinnt, wird ihm sein Lebenslauf
(Wenn dies ein Leben heißt) auf einmal sehr verdrießlich.
Er will gesellig sein, das hält er für ersprießlich,
Und macht sich halb im Taumel auf.
Wohin, das weiß er nicht; das Glück mag Führer sein,
Das Glück, der Toren Witz. Nicht weit von seiner Höhle
Lebt ein bejahrter Mann von einer trägen Seele,
Fast wie der Petz, stumm und allein.
Auch der liebt keinen Scherz, der andern artig scheint.
Was Herbst und Sommer zollt, des grünen Frühlings Gaben
Vergnügen seinen Fleiß. Ich müßte mehr noch haben;
Was aber? – einen klugen Freund.
Der Flora bunter Schmelz entzücket das Gesicht,
Pamonens Überfluß kann tausend Freude machen;
Man darf mit Blum' und Frucht vertraulich reden, lachen,
Doch nur in Fabeln, weiter nicht.
Nicht war? kein Paradies bleibt einsam immer schön;
Unmitgeteilte Lust muß Überdruß erwecken.
Auch unser Greis geht aus, um Menschen zu entdecken,
Und sieht – den Bären vor sich stehn.
Er stutzt. Was soll er tun? zur Flucht ist nicht mehr Zeit.
Er faßt sich, und hält Stand. Das wird gut aufgenommen;
Petz redet ihn gnädig an: "Freund, willst du mit mir kommen?
Der Weg zu mir ist gar nicht weit."
Der Greis versetzt gebückt: "Die Gunst verpflichtet mich;
Doch würde mir's erlaubt, in meinem nahen Garten
Mit einem schlechten Mahl gehorsamst aufzuwarten,
Der Vorzug wäre königlich.
Ich habe reifes Obst und Milch. Zwar weiß ich wohl,
Die Kost ist ziemlich schmal für euch, ihr Herren Bären,
Ihr Großen dieser Welt, ihr könntet besser zehren;
Doch auch mein Honigtopf ist voll.
Der Vorschlag wird beliebt. Noch zeigt sich nicht das Haus,
Als die Bekanntschaft schon recht preislich angegangen.
Es will sogar der Bär den neuen Freund umfangen;
Doch der bedankt sich, und weicht aus.
Bald haben diese zwei den schönsten Bund gemacht.
Sie bleiben ungetrennt, und werden Hausgenossen.
Der eine pflanzet, impft, und wartet seiner Sprossen,
Der andre legt sich auf die Jagd.
Unwissenheit und Ernst schließt beider Freunde Mund;
Ihr Umgang nähret sich die meiste Zeit durch Blicke.
Nur sparsam macht man sich von diesem Eintrachtsglücke
Die Seligkeit einsilbig kund.
Einst kehrt Petz heim, und sieht den zärtlichen Orest
Zur schwülen Mittagszeit in sanftem Schlummer liegen.
Er legt sich neben ihn, zerstreut den Schwarm der Fliegen,
Der seinen Wirt nicht ruhen läßt.
Er lauschet, scheuchet, schnappt, gafft nach den Alten hin,
Und sieht auf dessen Stirn sich eine Raupe regen.
Ha! brummt er, dir will ich das Handwerk legen.
Geschmeiß, erfahre wer ich bin!
Er holt den größten Stein, und weil er's treulich meint,
Wirft er mit solcher Macht, daß Raup' und Greis erkalten.
Führwahr, den klugen Feind muß man für schädlich halten,
Allein noch mehr den dummen Freund.
Fab.59
Der Hahn und der Fuchs
Ein alter Haushahn hielt auf einer Scheune Wache.
Da kommt ein Fuchs mit schnellem Schritt,
Und ruft: "O krähe, Freund; die Sache
Verdient es; ich bringe gute Zeitung mit;
Der Tiere Krieg hört auf, man ist der Zwietracht müde;
In unserm ganzen Reich ist Ruh und Friede,
Ich selber trag' ihn dir von allen Füchsen an.
Komm doch herab, mein Freund, daß ich dich herzen kann. . .
Was guckst du so herum?" - - "Greif, Halt und Bellart
kommen,
Die Hunde die du kennst, versetzt der alte Hahn."
Und als der Fuchs entläuft, fragt er: "Was ficht dich an?"
"Nichts, Bruder," spricht der Fuchs, "der Streit ist
abgetan,
Allein ich zweifle noch, ob die es schon vernommen."
Fab.60
Die Vergötterung
Argant, ein kritischer Despot,
Verstarb an einem Gallenfieber,
Er fuhr den Acheron hinüber,
Und nahte sich dem Höllengott
Mit einer so verwegnen Miene,
Als ein Bramarbas (oder Großsprecher) von der Bühne,
"Wer warst du," fragte der Monarch,
"Als noch dein Geist auf Erden lebte?"
"Ich," sprach er, "war der Aristarch,
Vor dem der ganze Pindus bebte.
Ich schärfte zeitig meinen Zahn,
Und unter seinen tapfern Bissen
Hat mancher Dichter bluten müssen,
Der sich zu sehr hervorgetan."
"Beim Styx," versetzt der Fürst der Hölle,
Du bist für mich. Mein Zerberus
Wird alt und stumpf, Freund Kritikus,
Ich setze dich an seine Stelle."
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