Fab.31
Der Ehesegen
Dem achtzigjährigen Hilar
Fiel endlich noch die Torheit ein,
Ein junges Mädchen sich zu frein.
Er trat mit ihr beherzt zum Traualtar;
Der Ordensmann, ein Schalk in seiner Haut,
Sah beide sehr bedeutend an,
Und sprach: Seid fruchtbar! zu der Braut,
Und füllt die Erde! zu dem Mann.
Fab.32
Der Physiognom
Erast hielt viel von Physiognomie:
Sein Blick drang durch Barett und Schleier,
Fand dort oft dummen Stolz, hier oft verbotenes Feuer.
Allein er hielt zu viel auf sie,
Und glaubte gar, sie fehle nie.
Er ward dafür gestraft. Man höre wie:
Als sich sein Freund und er im Grünen sich ergehen,
Fragt ihn der Freund: "Was hältst du von Dorant?
Hier ist sein Schattenriss."*
— "Die Wahrheit zu gestehen,"
Versetzt Erast, "hat dies Profil nicht viel Verstand."
In diesem Augenblick tritt aus den nahen Linden
Ein Fremder zum Erast, ergreift ihn bei der Hand,
Und spricht vertraut: "Willkommen, mein Dorant,
Wie freut es mich Sie hier zu finden." —
"Dorant, ich? scherzen Sie? Wie kann das möglich sein?
O Himmel! ich?" — "Sie werden mir es verzeihn,
So ähnlich sehe ich nichts in meinem Leben wieder;
Derselbe Mund, dieselbe Stirn, mit einem Wort,
Sie gleichen sich Regnards*
Zwillingsbruder."
Der Fremde spricht, verbeugt sich, und geht fort.
"Dies Kompliment, Erast, wird dich nicht sehr verbinden." —
"Nun, es beweist, das sich die Menschen ähnlich sehen." —
O, es beweist noch mehr, das wirst du mir gestehen;
Wir halten oft an uns für schön,
Was wir an Anderen häßlich finden."
*Früher
diente es dem Zeitvertreib, aus schwarzen Papier Silhouetten
oder Schattenrisse von Köpfen auszuschneiden.
*Jean-François
Regnard *7. Februar 1655 in Paris, † 4. September 1709
auf seinem Schlößchen Grillon bei Dourdan. Er war ein
französischer
Autor. Er hinterließ 25 Stücke und gilt als wichtigster
Komödiendichter
der Generation nach Molière. Les Ménechmes (Die Zwillinge,
1705)
Fab.33
Die vorsichtige
Schäferin
Vertraut saß im Gesträuch auf weichen Blumenmatten
Des Abends Doris beim Elpin.
Wie leicht verführt uns Zeit und Schatten;
Auch ward ihr Schäfer bald zu kühn.
Doch sie gab ihm ergrimmte Blicke,
Und droht, ihm nimmer zu verzeihen,
Und stieß ihn mit voller Wucht zurücke,
Und fing, als nichts mehr half, laut an zu schluchzen:
Ihr Hylax, seine Hilfe ihr zu zeigen,
Fiel den Elpin mit Bellen an.
Und Doris? — Doris hieß ihn schweigen.
Wie? hatte denn das Tier nicht seine Pflicht getan?
Aus Furcht, die Mutter möchte es hören,
Schalt sie des treuen Hündchen Tat.
Und uns kann diese Vorsicht lehren,
Wie laut sie selbst geschrieen hat.
Fab.34
Die bloßen Busen
Von seinem Feinde floh, nach schwacher Gegenwehr,
Einst der Sikrambrer Kriegesheer.
Die Schar der Weiber — denn es scheuten
Die Deutschen Schönen jener Zeiten
Sich nicht, so gar zur Schlacht die Männer zu begleiten, —
Die Schar der Weiber stellt sich mit entblößter Brust
So gleich den Fliehenden entgegen;
Ha! rufen sie voll Zorn, kann euch denn der Verlust
Der Ehre nicht zum Kampf bewegen,
Nicht euer Vaterland, nicht unser Flehen;
Wohlan, so stoßet nur, ihr Feigen, eure Degen
Hierher in unsere Brust. Auf einmal stehen
Die Krieger still, von Scham und Zärtlichkeit gerühret,
Ermannen sich, und gehen,
Von ihren Weibern angeführet,
Auf den bestürzten Feind zurück,
Und fechten mit so gutem Glück,
Daß jener Feld und Sieg verlieret.
Sagt, Kasuisten! wenn die Schönen sich die Brust
Bei rauer Witterung noch jetzt entblößen,
Geschieht es zum Denkmal dieses Sieges? oder Lust
Zum Kampf den Männern einzuflößen?
Fab.35
Lucia und Theodor
Drei Tage nach den Hochzeittagen
Soll Theodor, ein junger Ehemann,
Schon Lebewohl zu seiner Gattin sagen.
Sein Glück ruft ihn nach Indostan.*
Zwar seines Herzens Hälfte zu verlassen,
Macht ihn untröstlich; doch ein Kaufmann und ein Held
Muß sich um Lorbeeren und um Geld
In jeder Not großmütig fassen.
Der Abschiedstag bricht an;
In Tränen schwimmen Frau und Mann;
Der Reisewagen kommt; o jammervolle Szene!
In Ohnmacht liegt die neuvermählte Schöne.
Vor Zärtlichkeit und Schmerz
Bricht ihrem guten Mann das Herz.
Er schreit: Erhole dich, mein Leben!
Du bist mein Reichtum und mein Glück;
Ein ganzes Indien ist mir dein holder Blick.
Erhole dich mein Kind! die Reise ist aufgegeben.
Hier bleiben willst du, lieber Mann?
O, fange keine Possen an!
Wer wird denn alles glauben?
Bei dir darf man sich keinen Spaß erlauben.
Fort! in die Kutsche, liebstes Herz!
Die Ohnmacht war ja nur mein Scherz.
*Indostan,
veraltet für Indien
Fab.36
Die Exegeten
Auf einer britischen Fregatte,
Die Nationen aller Art
Am Indusstrand auf ihrer Fahrt
Nach Kanton eingenommen hatte,
Geriet ein Sohn des alten Theut
Mit einem Gallier in Streit
Des oft verwünschten Apfels wegen,
Der Pestilenz und teure Zeit,
Symbole, Galgen, Kronen, Degen,
Und Schürzen in die Welt gebracht.
Der Deutsche sprach: auf unsern Höhen
Bei Borstdorf ist sie noch zu sehen,
Die Frucht. — Der weise Franzmann lacht:
Pardon, wir nennen sie Reinette,
Und Frankreich ist ihr Vaterland.
Die Kämpfer schrien um die Wette,
Bis man zuletzt für dienlich fand,
Dem Ausspruch zweier Jesuiten
Aus Porto sich zu unterziehen.
Ei, Freunde, rief der Lojoliten*
Gelehrtes Paar, wo denkt ihr hin?
Ihr irrt, es war die Apfelsine,
Das schwören wir beim Escobar.*
—
Ihr Herren, sprach mit bescheidner Miene
Ein Proselyt aus Tranquebar,
Mich dünkt, ich habe wo gelesen,
Es sei die Kokosnuß gewesen. —
Hier biß der alte Schiffskaplan,
Vom Punsch erhitzt, mit wilden Blicken
Sein krummes Pfeifenrohr in Stücken,
Und spie es in den Ozean.
Nein, länger ist's nicht auszustehen,
Wer wird die Bibel so verdrehen?
Rief er, es ist ja sonnenklar,
God damn! daß es ein Pudding war.
*Lojoliten:
von dem berühmten Lojola, dem Stifter des
Jesuiten Ordens
genannt.
*Escobar,
ein spanischer Jesuit, der einen weitläufigen Kommentar
über
die ganze heilige Schrift und eine weitläufige Moral, nebst
anderen
geistlichen Werken, geschrieben hat.
Fab.37
Das Sterbebett
Ein Derwisch eilte, dem kranken Muselmann
Zopir, den letzten Amtsbesuch zu geben.
Man hielt, so fing er ernsthaft an,
Für einen Freigeist dich in deinem ganzen Leben.
Daß, Mahomets Religion zu Ehren,
Mich jetzt ein Wort aus deinem Munde hören,
Was dich von dem Verdacht befreit.
Jetzt ist es, sprach der Kranke, nicht mehr Zeit.
Ich täte es, wenn ich nicht die Meinung hätte,
Man spräche mir auf seinem Sterbebette
Aus Schwachheit oder Eitelkeit.
Fab.38
Die Beichte
Ein junger Herr, der manchen Tag
Des Fleisches Werke frei getrieben,
Fand sein Gedächtnis allzu schwach,
Die Beichte länger aufzuschieben.
Er geht, von seiner Last sich jetzt
Auf einmal zu befrein, nach der geweihten Stelle,
Wo in der zugeschloßnen Zelle
Ein strenger Heiliger mit finstern Blicken sitzt.
"Mein Pater", fängt er an, und wirft sich kniend nieder.
"Zwar hab' ich ausgeschweift, allein ich kehre wieder.
Hört mein Bekenntnis an: Ich lebte liederlich;
Wein, Wollust, Spiel beherrschten mich;
Ich rannte jeden Tag nach einem neuen Schmause,
Und kam ich halb berauscht nach Hause,
So ward noch erst die lange Nacht
Mit schönen Mädchen durchgebracht.
Bei Tanzen, Mummereien (Maskeraden), tausend
Fastnachtpossen,
Ist nun das dritte Jahr verflossen."
Indem der Beichtsohn dieses spricht,
Sieht er den Ordensmann sein frommes Angesicht
Oft seufzend nach dem Himmel heben.
Bei jeder neuen Sünde ward
Sein Eifer heftiger. "Verfluchte Lebensart!"
Ruft er zuletzt, "ja, mehr als hündisch Leben!" —
"Mich zu entschuldigen bin ich auch jetzt nicht hier." —
"O, schweig!" versetzt der Mönch, "wer redet denn von dir?
Ich rede von mir selbst und unserm Klosterleben."
Fab.39
Klaus ein Doktor
Der Hofnarr Klaus, dem kein Verstand
Noch freier Witz gebrach,
Der manchen Feind bei Hofe fand,
Weil er die Wahrheit sprach,
Bat einen Doktor: "Schenke mir
Dein goldverbrämtes Kleid,
Mein wollner Kittel steht dafür
Zu deinem Dienst bereit."
"Wie kommt der Tausch dir in den Sinn?"
Erklärt der Doktor sich.
"Ei nun, so wärst du, was ich bin,
Und was du warst, wäre ich."
Fab.40
Die versöhnliche Frau
Ein junges Weib, das oft zum Tempel kam,
Nie plauderte, noch nickte,
Die Bibel stets zur Kirche nahm,
Und sich an jedem Spruch erquickte,
Hört die bekannte Christenpflicht:
Verzeiht dem Feind, und haßt ihn nicht.
"Ach," ruft sie voller Andacht, "nimmer unterlasse
Ich diese Christenpflicht; ich hasse
Selbst meines Mannes Mörder nicht."
Die Nachbarin verwundert sich, und spricht:
"Wer hat den deinen Mann erschlagen?"
"Kein Mensch; doch wenn sich einer finden sollte,
Der meinen Mann erschlagen wollte,
Vom Herzen wollt' ich es ihm verzeihn."
Das laßt mir eine Christin sein!
Fab.41
Die Erlaubnisscheine
In einem Lande, wo dem ehelosen Orden
Der Geistlichkeit war anbefohlen worden,
Nicht ohne bischöflichen Willen sich
Köchinnen (junge sonderlich)
Zu halten, noch in weltlichen Perücken
Einherzugehen, erhielt einst ein Prälat
Mit einem Boten zwei Suppliken.
Ein krank gewordner Pfarrer bat:
"Hochwürdiger, der bessern Pflege wegen,
Ersuche ich Euch in Demut, daß Ihr mir erlaubt,
Mir eine Köchin zuzulegen."
Der andre Geistliche bat für sein schwaches Haupt,
Wovon die Haare sich bereits verloren hatten,
Ihm eine wärmende Perücke zu gestatten.
Wird zugestanden! schreibt in Eile der Prälat
Zur Bittschrift dessen, der um die Perücke bat,
Doch muß sie vierzig Jahre alt sein.
Und der die schöne Köchin zu bekommen glaubt,
Behält zur Antwort: Wird erlaubt!
Doch muß sie eine schwarze sein.
Fab.42
Der dankbare Harpax
Jüngst sandte Albin von seinem Tische
Dem Richter Harpax drei gebratne Fische.
Der Diener brachte sie auf einer Schüssel dar,
Die silbern, schön graviert und stark vergoldet war.
Wie funkeln unsers Harpax Blicke!
Vergnügt mit diesem unverhofften Glücke,
Nimmt er die Schüssel hin, und schließt sie in den Schrank.
"Wie gütig ist dein Herr! sag ihm den besten Dank.
Dies Angedenken soll hinfort auf meinem Tische
Die schönste Zierde sein. — Auch dank ich für die Fische.
Fab.43
Der Exorzismus
Ein Türk, der fast ein ganzes Jahr
In einer deutschen Stadt gewesen war,
Doch nie den Gottesdienst der Christen angesehen,
Fragt seinen Wirt, der viele Freundschaft ihm erwies,
Auch oft den wahren Glauben pries,
Ob er nicht dürfe mit ihm gehen?
Er sei bereit, die so gepriesnen Lehren
Im Christentempel anzuhören.
Der Freund nimmt, wie man denken kann,
Den Antrag mit Vergnügen an.
Indem sie nun zur Kirche kommen,
Wird nun auch ein Kind hineingebracht,
Und in den Taufbund aufgenommen.
Begierig gibt der Türk auf alles acht;
Und als er jetzt die Worte höret:
"Fahre aus, unsaubrer Geist!"
So fragt er: "Sage mir, was dieses heißt?"
Und als sein Führer ihm den Sinn davon erkläret,
So spricht er: "Ach, vergib, wenn mich die Neugier treibt,
Noch eines sage mir, doch nicht dich zu betrüben
Frag ich, (sein Führer war beweibt)
Wird bei der Trauung nicht der Böse ausgetrieben?"
Fab.44
Der Schatz
und der irrende Ritter
Ein zweiter Ritter Don Quixott
Begab sich einst, in vollem Trott,
Auf Abenteuer in die Welt;
Jedoch nicht ohne Leut' und Geld
Weil er, nach seines Ahnherrn Art,
Bald durch Erfahrung inne ward,
Dies sei so viel, oft mehr noch wert,
Als Zauberhelm und Zauberschwert.
Der Zug ging alle Morgen fort,
Bis er an einem wüsten Ort
(Ich glaub in Kappadokien)
Ein fürchterlich Gebirge sah,
An dessen glatter Felsenwand
Mit ellenlangen Lettern stand:
"Hier liegt ein großer Schatz begraben,
Der Ritter, der ihn wünscht zu haben,
Muß seinen Weg durch mich sich hauen,
Dann wird er Wunderdinge schauen."
Der Ritter, der entzückt dies las,
Gab in der Freuden Übermuts
Sofort Befehl, mit Hacken, Picken
Und Spaten vor den Fels zu rücken.
Sein Wink war alsbald vollbracht.
Man hackte, pickte Tag und Nacht;
Viel Kosten wurden aufgewendet,
Bis man, nach manchem Ungemach,
Sich endlich durch den Felsen brach.
Doch da war noch kein Schatz zu sehen;
Vielmehr schoß plötzlich von den Höhen
Ein großes Wasser in das Tal,
Und ward zum See. Mit einem Mal
Ward diese Flammenschrift erblickt:
"Der Schatz ist weiter fortgerückt,
Und dem nur ist er zugedacht,
Der diesen See zu Lande macht."
Ein schlimmer Umstand, in der Tat!
Doch der Herr Ritter weiß bald Rat:
Man schüttet Sand und Schutt und Stein
Ein Jahr lang in den Sumpf hinein.
Der See wird endlich aufgefüllt,
Und unseres Ritters Wunsch gestillt.
Es war nunmehr auch hohe Zeit:
Er hatte wirklich keinen Deut
Von seinem vielen Gelde mehr;
Die Taschen waren alle leer.
Zum Glücke war der Schatz nun da.
Doch hört, ihr Lieben, was geschah,
Ein Drache fuhr aus dem Berg heraus,
Spie aus dem Schlunde Flammen aus,
Und drohte, jeden zu verschlungen.
Was war zu tun? Ihn umzubringen
Schien hier das letzte Mittel noch.
Der Ritter sprach: "Mein Geld ist doch
Zusammen bei dem Spaß vertan;
Nunmehr kommt es aufs Fechten an.
Darauf stürzt er auf den Drachen los,
Versetzt ihm manchen Hieb und Stoß,
Streckt ihn zuletzt, von Blute rot,
Zur Erde nieder mausetot.
Nun sah, voll Schweiß auf Stirn und Wangen,
Der Ritter erst, wie es ihm ergangen.
Er war zerfetzt und zerschunden,
Und überall bedeckt mit Wunden.
Doch diesmal lag der Schatz auch da.
Man faßte zu, man übersah,
Von Freude und Hoffnung neu beseelt,
Das Silber und das Gold. Man zählt,
Man rechnet aus, bis auf ein Haar
Die Summ nun gezogen war.
Wie hoch? fragt ihr, belief sie sich?
Wie hoch? Es war fast lächerlich:
Man fand, fürwahr zu glauben schwer!
Nicht weniger, und auch nicht mehr,
Als was der Ritter aufgewandt,
Bis er den Drachen überwand.
* * *
So, wenn ein ruhmbegieriger Held
Um sich herum die halbe Welt
Durch seinen Arm in Schrecken setzt,
Was hat der große Held zuletzt
Nach so viel Schlachten und Gefahr?
Was schon vorhin das Seine war;
Und, wenn das Glück gut ist, lahme Hände,
Nebst einer Kugel in der Lende.
Fab.45
Die gute Antwort
Ein junger Graf von Tiegertatz
Trabt auf die Jagd; sein Reitknecht Matz
Trabt mit ihm, doch, wie billig, hinten:
Matz, der zwei Damaszenerflinten,
Mit feinem Silber eingelegt,
Quer über seinen Sattel trägt.
Indem sie nun mit Pfeifen, Fluchen
Die Stunden umzubringen suchen,
Begegnet ihnen in guter Laun'
Ein Mädchen an dem Zollhauszaun.
Die treibt ein Müllertier mit Säcken
Voll Rüben vor sich her zum Flecken:
Ein Mädchen wahrlich wohlgemacht,
Mit Augen, schwärzer als die Nacht,
Die, wenn sie sich im Kopfe drehten,
Mehr Einfluß hatten als Planeten.
Gleich wird des Grafen Herz verwundt,
Das Wasser steigt ihm in den Mund.
Er fragt: "Wo denkst du hinzufahren,
Mein Kind, mit deinen Gartenwaren?"
"Zum nächsten Flecken, gnäd'ger Herr."
"Und kennst du dort," versetzt er,
Die Jungfer Pfarrin, Wilhelminen?"
Die Bäurin neigt sich tief: "Zu dienen!"
"Ei nun," spricht Graf von Tigertatz,
Und gibt ihr hurtig einen Schmatz
Auf ihren runden braunen Backen,
Sie fest umfassend um den Nacken,
"Bringt ihr, nebst einen schönen Gruß,
Von unsertwegen diesen Kuss."
Worauf die Dirne, zwar beschämet,
Doch der Zunge nicht gelähmet,
Erwidert: "Ei, gebt ihn nicht mir,
Herr Wildgraf; seht ihr nicht mein Tier?
Gebt meinem Tier ihn auf die Wangen;
Es denkt noch vor mir anzulangen."
Fab.46
Der Malteserritter
Da, wo der Christ gefangene Muselmanen,
Nach dem Vergeltungsrecht, zu Sklaven macht,
Nach Malta, ward ein Türk einst hingebracht.
Er hörte dort, daß zweiunddreißig Ahnen
Allein den Weg zur Ritterwürde bahnen.
Ei, rief der Sklave, macht das der Menschen Wert?
Nach Ahnen schätzt ein Muselmann sein Pferd.
Fab.47
Der Bettelmann und
der Tod
Ein alter Bettelmann ging über eine Brücke;
Des Lebens müde und satt, fiel ihm hier ein,
Durch einen Sprung von aller Not sich zu befrein.
Die Furcht, kein ehrlich Grab zu finden, hielt zum Glück
Von diesem Selbstmord ihn zurück.
Doch hielt ihn dies nicht ab, zu jammern und zu schrein:
O Tod verkürze meine Pein!
O Tod erbarme dich. . . .
In diesem Augenblicke
Erschien der Tod. Vor Schreck fiel die Krücke
Dem Alten aus der Hand, und in den Strom hinein.
Hier bin ich, sprach der Tod, mich deiner zu erbarmen.
So? lieber Tod, versetzte jener, bist du hier?
Mein Trost, mein Stab entfiel mir Armen,
Schwimm ihm doch nach, und hole ihn mir.
Fab.48
Die Katzen
Ein Junker spürte viele Ratzen
Auf seinem Schloß;
Er kaufte sich vier Dutzend Katzen,
Und ließ sie los
Die packten flugs mit wildem Schnoben
Und scharfem Zahn —
Die Ratzen? — nein! des Junkers Tauben
Und Schinken an.
O weh! was hab' ich mir geraten!
Rief Hildebrand:
Ihr schützet mich, wie die Soldaten
Das Vaterland.
Fab.49
Der Schäfer, der Wolf
und der Hund
Zum Schäfer, der einen Teil von seinen Herden
Durch eine Seuche eingebüßt,
Kommt Isegrim der Wolf, voll Mitgefühl in Gebärden,
Und spricht: "Ich sehe deine Hürden wüst;
Ach Freund, ich suche nichts dem andern aufzubürden
Doch glaub' ich, daß der Mord durch deinen Hund geschah:
Er würgte dir bei Nacht die Lämmer in den Hürden,
Und fraß sie, wenn es niemand sah."
Der Schäfer fragt: "Aus welchem Grunde
Glaubst du solch ein Frevelstück von meinem Hunde?
Trafst du ihn bei der Tat?" — "Das nicht; allein . . . "
"Vielleicht vernahmst du es aus seinem eigenen Munde?"
"Auch dieses nicht." . . ."Doch soll ich sicher sein,
So sage mir, worauf kannst du den Argwohn bauen?"
"Worauf?" versetzt der Hund, der hinter einem Zaun
Die Reden angehört, "darauf, bei meiner Ehre!
So würde er tun, wenn er an meiner Stelle wäre."
Fab.50
Der Löwe und der Esel
Geduldig unter schwerer Last,
Und seit dem Morgen ohne Rast,
Ging spät ein Esel über Feld.
Ihn sah der Tiere Fürst, der Held,
Der allgepriesene Löwe, gehen,
Und hub ihn bitter an zu schmähn:
"Weich hinter uns, verächtliches Tier!
Man siehet seine Schande an dir;
Du schleppest, was man haben will,
Und schweigst zu jeder Drohung still.
I c h bin noch unseres Tierreichs Zier,
Ruhm habt ihr alle bloß von mir;
Mich nur und meine Tapferkeit
Rühmt man auf Erden weit und breit."
Mit Demut hub der Esel an:
"Was hat sie gutes denn getan
Die weit gerühmte Tapferkeit?
Den Wald verheert, das Vieh zerstreut.
Ich nütze, sei doch, wer es sei,
Mann oder Tier, ist einerlei;
Du, tapferer Herr, verzeihe mir,
Zerreißest alles, Mann und Tier."
Fab.51
Die Wespe und die Biene
"Frau Spinne!" rief die Wespe einmal,
"Wer hat dir solche Lust zur Einsamkeit gegeben?
Du führst ein totengleiches Leben.
Mir wäre das die größte Qual."
"Ich wollte dich," versetzt die Spinne, "längst schon
fragen,
Was ich nicht wohl begreifen kann:
Wie kannst du solch ein Geräusch ertragen,
Und hörst dich niemals müde dran?"
Dies sind noch jetzt in unsern Tagen
Des stillen Grüblers und des lauten Hofmanns Fragen.
Fab.52
Le Sac
Der Harlay*,
welchen Swift und Pope und Prior loben,
Ward in den Grafenstand durch Annens Wahl erhoben.
Wie? Harlay?
(fragt Le Sac, Britanniens Bathyll*),
Ein Mann voll Federkraft, schnellfüßig, wie Achill,
Fürwahr! in dem hätte ich den Witz nicht mit Laternen
Gesucht. Was findet doch an dem die Königin?
Zwei Jahre gingen mir mit diesem Klotze hin;
Doch konnte er nie recht tanzen lernen
*gemeint
ist Robert Harley, 1. Earl of Oxford and Mortimer
5. 12. 1661 — 21. 5 1724.
*Bathyll
war ein berühmter Pantomimenspieler und Tänzer, nach dem
Zosimus der Erfinder der Pantomime, welcher unter dem
Augustus nach
Rom kam, und des Mäcenas Freigelassener ward.
Fab.53
Nasidien
Nasidien, ein Herr von hohem Stande,
Ergrübelte sich täglich neue Pein,
Und hielt es sich für keine kleine Schande,
Den Bauern gleich, gesund uns stark zu sein.
Er klagte jüngst dem Leibarzt, dem er zollte,
Ihn quälte stets, er wisse selbst nicht was;
Nur wisse er wohl, daß ihn nicht Hippograts,
Nicht Schokolade, nicht Gallert heilen wollte.
"Wie ist ihr Schlaf?" fing dieser an zu fragen. —
"Acht Stunden lang." — "Noch fehlt die Agrypnie"*
"Sie essen?" — "Stark, ja bei kaum leerem Magen." —
"Das nennen wir auf griechisch Bulimie.*
"Ach! freilich ist der Menschen kurzes Leben
Mit Not beschwert, wie Avicenna*
spricht.
Der Fraß! Der Schlaf! Allein Sie sorgen nicht,
In kurzer Zeit will ich schon beides heben."
*Agrypnie
[griechisch] Schlaflosigkeit
*Bulimie
(griechisch βουλιμία), Ess-Brechsucht
*Avicenna:
Persischer Arzt, Naturwissenschaftler, Philosoph,
Astronom 980-1037
Fab.54
Reue
über eine nicht begangene Bosheit
Ein Weib, die Lais*
ihrer Zeit,
Geriet in seltne Traurigkeit,
Als ihr Verehrer flüchten mußte.
"Mit Recht," sprach ihre Nachbarin,
"Liegt dir der Abzug eines Herrn im Sinn,
Der dich so schön zu lieben wußte."
Die teure Nymphe sprach: "Ach ja!
Sein Scheiden geht mir freilich nah;
Doch darum kann ich mich nicht fassen,
Daß ich ihm, als er Abschied nahm,
Ihm, der durch mich um alles andre kam,
Den schönen Mantel noch gelassen."
*Lais
war ein beliebter Name für Hetären im antiken Griechenland.
Fab.55
Philippus König
von Mazedonien und Aster
Oft ist der Witz ein scharfes Schwert,
Das plötzlich aus der Scheide fährt,
Und, den es schützen soll, verletzt.
Der Einfalt offnes Maul bleibt ihr zum Vorteil stumm;
Und jener Amme Wunsch wird billig hochgeschätzt,
Die zu dem Säugling sprach: "Mein liebstes Kind, sei dumm.*
Phillipus Beispiel macht den Satz der Klugheit wahr:
Zu witzig sein bringt oft Gefahr.
Wie strafte diesen großen König
Ein Scherz, der ihm zu schnell entfiel!
Ein einziger Feind ist schon zuviel,
Und hundert Freunde sind zu wenig.
Phillipus war bemüht in Thrakien zu dringen,
Und auf dem Zug noch Methone zu bezwingen,
Als Aster, den man dort den besten Schützen hieß,
Sich ihm zum Dienst erbieten ließ.
Von Augenzeugen ward erzählt,
Er habe nie der Schüsse Ziel verfehlt;
So weit der stärkste Bogen trägt,
Habe er die Vögel oft im schnellsten Flug erlegt.
Wohl! sprach Amyntas Sohn, wenn wir mit Staren streiten,
Soll er beim Angriff uns begleiten.
Vortrefflich! Wer bewundert nicht
Den göttlichen Verstand, so bald ein König spricht?
Der Schütze, seine Kunst nicht mehr verhöhnt zu sehen,
Eilt den Belagerten rachsüchtig beizustehen;
Er flieht in ihre Stadt, verstärkt die Gegenwehr,
Und macht den Sturm dem tapfern Heere schwer,
Das seinen Zorn bei jedem Schusse fühlt;
Bis endlich gar sein Pfeil, der auf den König zielt,
Den schnellen Flug mit dieser Aufschrift nimmt:
Phillipus rechtem Auge ist Asters Pfeil bestimmt.
Der König, der ihn nicht so fürchterlich geglaubt,
Bereut den Witz, der ihm das Auge raubte,
Und schießt den Pfeil zurück mit dieser Gegenschrift:
Und Aster kommt ans Kreuz, wenn ihn Phillipus trifft.
Kaum ward der Friede drauf der frohen Stadt versprochen,
So ward auch Asters Witz durch seinen Tod gerochen.
*Selbst
seine Amme faßt in der Geburt ihn um, weissagt und segnet
ihn mit diesem Wunsch: Sei dumm! (Wernike)
Fab.56
Paulus Purganti und
Agnese
War nicht der Arzt Purganti zu beklagen?
Er hatte in seinen alten Tagen
Ein schwaches Haupt und einen schwächern Leib.
Auch überdies, zum Zuwachs seiner Plagen,
Ein junges Weib.
Sie hieß Agnese, war ein Bild der Zucht,
Es macht' ihr großer Ruhm, des frommen Wandels Frucht,
Das ganze Kirchspiel stolz. Man sprach in langer Zeit
Bei jeder Wöchnerin bewundernd, ohne Neid,
Nur von Agnesens Ehrbarkeit.
Auf ihrem Bücherschrank stand niemals ein Roman,
Doch wohl ein Quirsfeld, Kern, Schmuck, Albrecht, Wudrian.
Sie war insbesonders der Oper feind gewesen,
Und hatte, was vor ihr fast niemand sonst getan,
Den Kubach dreimal durchgelesen.
Asmodi selbst verlor das Herz
Die starke Gläubigkeit durch List zu überwinden;
Denn sie verfluchte wilden Scherz,
Und trotzte gar den Schwachheitssünden.
Oft ward von ihr, die Andacht zu entzünden,
Ein geistlicher Choral auf dem Klavier gespielt,
Und, wie man nur entdeckt, dem Spiegel zugeschielt,
Nur ihr Gesicht aufmerksam zu betrachten,
Und jeden Teil davon großmütig zu verachten.
Allein sie war ganz heimlich in der Art,
Die keusche Reden gern mit Liebeswerken paart.
Den irdischen Trieb der Lüsternheit
Entsündigte des Ehestands Schuldigkeit;
Und einer tugendhaften Brust
Wird immer jede Pflicht zur Lust.
Agnese, das getreue Weib,
Verpflegt des teuren Gatten Leib.
Sie weiß ihm von gesunden Speisen
Die kräftigsten stets anzupreisen;
Was aber schwächet oder zehrt,
Wird ihm mit vielem Recht verwehrt.
Sie wärmt und würzt des Mannes Wein,
Und schneidet ihm die Bissen klein,
Legt Mark und Nieren reichlich vor,
Drückt ihm die Hand, zupft ihn ans Ohr,
Um durch dergleichen Schmeicheleien
Den alten Paulus zu erfreuen.
Die Dankbarkeit ist eine schwere Last;
Zu vieles Zärtlichtun wird endlich auch verhasst.
Der Alte fand sein Schätzchen zu geschäftig,
Und ihre Liebe viel zu heftig.
Er suchte bald in allen diesen Werken
Mehr Eigennutz als Neigung zu bemerken.
Den tauben Ottern gleich, wenn ihr Beschwörer spricht,
Hört er die süßen Worte nicht.
Der Name Schätzchen, Engel, Leben
Wird ihm zwar oft, doch stets umsonst gegeben.
Einst als gerade um Mitternacht
Purganti schnarcht, Agnese wacht,
Und, durch ein falsches Gespenst geschreckt,
Sich zum Gemahl so nah als möglich streckt,
Und durch ein Mäulchen ihn erweckt,
Verursacht dieser Fall ihm neues Ungemach.
Er sinnt den Gegenmitteln nach,
Dem allzu weibischen Bezeigen
In Zukunft bestens vorzubeugen.
Durch Macht und Widerstand? Ach nein!
Was konnte ihm hierzu Mut verleihn?
Er ficht so klug, wie Fabius,
Der durch Verzug gewinnen muß.
Mein Arzt, der seinen Gegner scheut,
Kirrt ihn durch falsche Freundlichkeit;
Erwidert oft der Gattin Morgenkuss
Ganz liebreich, ohne Überdruß;
Fragt sorgsam: Was ist dir geschehen?
Du pflegst ja frischer auszusehen.
Sie muß ihm ihre Rechte reichen:
Ei, ei! hier sind gar schlimme Zeichen!
Ein Puls der viel zu heftig schlägt;
Noch mehr, ein Auge voller Glut,
Und eine heiße Brust, die sich zu sehr bewegt.
Dies, sonderlich die Brust, die nimmer ruht,
Verrät ein wallendes, ein angestecktes Blut,
Das einen schnellen Tod hervorzubringen pflegt.
So urteilt Musitan. Der Brunnen scheint hier gut,
Der Spär sonderlich, der rechte Wunder tut." —
"Der Spär?" — "Eben der." — Kurz, es gedeiht zum Schluß,
Das Agnes ungesäumt den Brunnen brauchen muß.
Doch diesmal irrte sich des Doktors Wissenschaft.
Unkräftig ist allhier der Wasser Wunderkraft.
Die in der Heilungskraft gewandt,
Sind andrer Meinung, als Purgant,
Und vom Galenus bis zum Sternenkalb
Lehrt jeder Arzt, dies Mittel hilft nicht halb.
Agnese trinkt, und leert mit Widerwillen
Zwölf Flaschen aus, gestärkt durch seine Pillen.
Allein umsonst; nichts kann die Krankheit stillen.
Es meldet sich der erste Brand,
So wie zuvor, in Brust und Hand.
Sie ächzt und seufzt ohne Unterlaß,
Und sagt, ihr fehle noch, sie wisse selbst nicht was;
Und kommt zum Eheherrn oft gerannt,
Klagt, lechzet, girrt, sieht ihn voll Sehnsucht an.
Mich hätte dies gerührt; doch rührt es nicht den Mann.
Der ist kaum ihres Flehens gewärtig,
So hält er sich im voraus mit der Ausflucht fertig.
Anstatt der tätigen Liebe und Huld,
Spricht er von nichts, als von Geduld,
Von Selbstverleugnung in Beschwerden.
Wenn Fleisch und Blut geprüft werden,
Und wie, seit Evens Nascherei,
Der Weiber Erbteil Leiden sei;
Daß die Entzündung, die sie fühle,
Sich durch kein mürrisch Winseln kühle.
Die Wirkung ihrer Arznei
Zu fördern, müsse sie der Ruhe pflegen,
Die Augen schließen, sich nicht regen,
Sich immer auf die Seite legen,
Und ihre Knie nicht bewegen.
Doch ende bald, Thalia, den Gesang!
Kein Märchen schickt sich gar zu lang.
Je mehr Purganti warnt und lehrt,
Je minder wird sein Weib bekehrt.
Ihr Fieber äußert bald sich wieder.
Sie schlägt die Augen züchtig nieder,
Und lispelt: "Schatz, jetzt wollt ich wohl . . ."
"Wie? was? Agnese!" ruft er eifersvoll,
"Beim Brunnentrinken? Bist du toll?
Du wolltest? Ei! es ist gewiß
Kein Gift dir schädlicher, als dies.
Ach! ach! wann werden doch auf Erden
Die Weiber einmal klüger werden?
Ich werde es tun, doch magst du wissen,
Du wirst vor Morgen sterben müssen." —
"Was du mir sagst, mein Herz, ist wahr;
Auch ich kenne die Gefahr:
Allein was ist dies schnöde Leben,
Die kurze Wallfahrt? Mühe, Pein.
Muß ich nicht immer fertig sein?" —
"Für dich, mein Kind, es aufzugeben?
Den Tod muß nur ein Weltkind scheuen;" —
"Ich aber will, du sollst es sehen,
Mit Lächeln ihm entgegen gehen."
Purganti stutzt, erwidert ihr Gesuch mit Küssen;
Allein den Mord verbietet sein Gewissen.
Er selbst wird kurz darauf ihr durch den Tod entrissen.
Seht, wie bei höchster Not der Himmel Trost erteilt!
Die fromme Witwe trauert, freit wieder, wird geheilt.
Fab.57
Der
Karnarienvogel und der Häher
Durch Fragen wird man klug; man kommt damit nach Rom:
Ein Sprichwort sagt es am Rhein und Tiberstrom.
Allein wir müssen nicht mit Fragen die beehren,
Die gar nicht fähig sind, uns zu belehren.
Kein Blinder zeigt den Weg. Horaz und sein Virgil
Ziehn nicht den Cav zu Rat, sie fragen den Quintil,
Den ganz gelehrten Freund,
Der Wissenschaft, Geschmack und Redlichkeit vereint.
Ein Vogel, der unlängst aus Teneriffa gekommen,
Glich Arigoni*,
dir, auch an Bescheidenheit.
Von seiner Stimme Reiz uneingenommen,
Redete er aus Unbedachtsamkeit
Einst den Margolf,* den alten Schreier an,
Den Häher, dem er sich nicht hätte nähern sollen:
"Sagt," spricht er, "ob mein Ton hier wohl gefallen kann,
Ob mich die Kenner dulden wollen? —
"Ich zweifle!" lehrt Margolf: Euch fehlt mein Unterricht;
Ihr seid im Ton des Landes unerfahren;
Uns Kunstverständigen, uns Hähern, und den Staren
Gefallen eure Weisen nicht.
Folgt mir! ich singe nach der Tonkunst Gründen;
Ihr trillert fremd und falsch; man hört Euch an, und lacht."
* * *
Wer immer sich zum Schüler macht,
Wird immer einen Meister finden.
*Der
berühmte Francesco Arigoni, seiner Stimme ist nichts
an
Schönheit zu vergleichen, als seine Bildung, und die
besondere Kunst
seiner Blicke und Gebärden.
*Andere
Namen sind: Eichelhäher, Holz-, Nuß-, Waldhäher,
Holzschreier,
Nußhacker, Gartenkrähe, Herrenvogel, Marquard.
Fab.58
Der Esel Baldewein, das
Pferd Pegasus
und der Bauer Rustifeil
Ein Esel aus der Mühle kam,
Und seinen Weg zur Weide nahm:
Da kam ein weißer Hengst geschritten,
Kein Prinz hat einen schöneren geritten,
Und was an ihm das rarste war,
Er hatte ein herrliches Flügelpaar,
Das zierte ihm seine beiden Seiten.
Wer zum Henker! mag diesen Gaul wohl reiten?
So dachte bei sich Herr Baldewein:
Ein solches Tier möchte ich selbst wohl sein.
Darauf hub er an: "Mit Gunst zu fragen,
Herr Hengst, ich bitte Euch, Ihr wollt mir sagen,
Aus was für einem Land Ihr seid,
Und wer der Herr ist, der Euch reitet,
Meiner Treu! Ihr seid so glatt gestriegelt,
Daß man in Euren Seiten sich spiegelt.
Welch schöne Flügel! welch leichter Fuß!"
"Ich," sprach der Hengst, "bin Pegasus,
Mein Reiter ist ein Göttersohn,
Der wohnt auf dem Berge Helikon.
Dort habe ich stets Ambrosia satt,
Davon ist mir mein Bauch so glatt."
"Ei! ei! mein lieber Herr Pegasus,
Rief Baldewein, schafft es Euch nicht Verdruß,
So bitte ich, den Berg mir anzuweisen,
Möchte auch einmal Ambrosia speisen;
Hier schleppt man sich so müde und matt,
Und hat dafür kaum Disteln satt.
Mir ekelt vor der losen Speise;
Nach Helikon mache ich eine Reise."
"Der Weg ist fern gar manche Meil',"
Sprach Pegasus: "der Berg ist steil,
Ein Esel hat ihn nie erstiegen;
Will ich hinauf, so muß ich fliegen.
Folgt meinen Rat, bleibt wo Ihr seid,
Schleppt Säcke, fresst Disteln, so seid Ihr gescheit."
Hiermit schwang Pegasus sich auf,
Und flog zum Helikon hinauf.
Den Baldewein das Ding verdroß:
Ha! dachte er, wart nur, stolzes Ross!
Hast mir den Weg nicht sagen wollen.
Was schadet es? ich werde ihn wohl erfragen.
Die Frau Gevatterin Fledermaus
Geht doch am Tag niemals aus:
Ich will mir ihre Flügel borgen,
Die bind ich an, und reise morgen.
Ein Zweifel fiel ihm nur noch ein:
Wenn ich als Esel dort erschein',
So läßt man mich vielleicht nicht ein.
Wohl gut! ich laß mir den Pürzel stutzen,
Und mich als Engelländer putzen.
Die Ohren? . . Ei! die hindern nicht, —
Sie geben einem ein Amtsgesicht,
Und König Midas hochgeboren,
Hatte weiland auch ein paar Eselsohren,
Und war doch sonst ein weidlicher Mann,
Und Richter zwischen Poll und Pan.
Kurz, Baldewein schnallt die Flügel an,
Putzt sich, stampft freudig mit den Fuß,
Dünkt sich so gut, als Pegasus.
Indem kam Rustifeil daher,
Der war ein Bauer, und Baldeweins Herr.
Gott grüß Euch, Freund! sprach Baldewein,
Ich mag nicht Euer Esel mehr sein,
Mag mich mit Arbeit nicht mehr plagen;
Könnt selbst nun Eure Säcke tragen.
Ich reise nach Helikon, daß Ihr's wißt,
Wo man statt Disteln Brosin frißt.
Mein Rustifeil sich nicht viel besann,
Und statt der Antwort stracks begann
Dem Baldewin das Fell zu schmieren,
Ihm fein dadurch zu Gemüt zu führen,
Daß nichts Flug, als Träumerei,
Und er noch immer ein Esel sei.
* * *
So wie es ging dem Baldewein,
So geht's noch manchem Dichterlein.
Träumt ihm einmal vom Helikon,
So läßt er Amt und Arbeit bleiben,
Quält sich, elendes Zeug zu schreiben,
Dünkt sich zu sein ein Musensohn;
Fühlt nicht des Rezensenten Schläge;
Ist störrischer noch als Baldewein war,
Und bessert sich nicht um ein Haar,
Und stolpert immer seiner Wege.
Fab.59
Der Feigenbaum und die
anderen Bäume
Den Quittenbäumen, Apfelbäumen,
Kirschbäumen sagte ein Feigenbaum:
"Wie gönnt der Mensch euch so viel Raum?
Euch sollte er aus dem Wege räumen;
Denn sauer seid ihr insgesamt,
Die ihr von sauren Eltern stammt.
Unendlich übertreffe ich euch.
Wer nur in meine Frucht gebissen,
Hat voll Entzückung rufen müssen:
Wie zuckersüß! wie honigreich!
Könnte ich doch von der Stelle gehen!
Ich schäme mich, bei euch zu stehen."
Sie sagten: "Stolzer Feigenbaum,
Wir geben alle, was wir können;
Und gönnt der Gärtner uns den Raum,
Warum willst du ihn uns nicht gönnen?
Es scheint, weil er uns stehen ließ,
Daß ihm vor unserem Obst nicht schaure.
Das deine schmeckt ihm oft zu süß,
Und dann erwählt er sich das Saure.
Besäße er deine Frucht allein,
Sie würd' ihm bald zum Ekel sein."
Fab.60
Der Karnarienvogel
Ein Vogel aus Kanaria
Ließ einst in deutscher Luft sich nieder:
Schnell war ein Schwarm von Vögeln da,
Und musterte des Fremdlings Lieder.
"Ich," sprach die Amsel, "sehe wohl,
Was fehlt: Er singt nicht hohl genug. Fein hohl! fein hohl"
"Dies wollte ich," sprach die Wachtel, eben sagen;
"Du hörst doch unser einen schlagen." —
"Schreien muß er," fiel ein Kiebitz ein,
"Nicht wahr, ihr Freunde? ja recht schreien."
Der Buchfink sprach: "Er schmettert mir zu lange;"
Der Hänfling: "Trillere nicht so sehr!"
Die Turteltaube: "Girre mehr!"
Schon ward dem Virtuosen bange,
Als ihn die Lerche, die das Weizenfell verließ,
Zum Sitz der Nachtigall dem dunklen Busche wies.
"Dort," rief sie, "Vogel, wohnt dein Richter."
* * *
Folgt nicht den Zeitungsblättern, Dichter!
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