Fabelverzeichnis
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Fabeln 5/1
 
An den Leser
Der Prinz und der Hofmeister
Die Nachtigall und die Gans
Fehler der fürstlichen Erziehung
Der Köhler
Der Hühnerhund
Der Adler und die Eule
Schach Meledin
Der gütige Vater und gerechte Richter
Die Toleranz
Die Nachbarschaft der Buhlerei
Der Rang
Der junge Hahn und der Storch
Der Hirsch, der sich über sein..
Schädlichkeit des menschlichen..
Der Tempel zu Memphis
Der Bullenbeißer und das Windspiel
Das Gebet
Weizen und Unkraut
Salomo
Die Pilger
Das Pferd und der Esel 1
Ibrahim
Momus und Cupido
Die zwei Hunde
Der Habicht und die Störche
Der Lohn der Tugend
Die Dryas
Die Pferdedecke
Das Pferd und der Esel 2

Fab.1
An den Leser

Ein junges Mädchen in Athen,
Kallikoëte war ihr Name,
Trug Blumen feil: Narzissen, Tausendschön,
Jasmin und Nelken. Eine Dame
(Sie war hysterisch,) sprach zu ihr:
"Was trägst du solchen Tand den Leuten vor die Tür?
Kaum bricht der Abend ein, so welken
Narzissen und Jasmin und Tausendschön und Nelken."
"Gestrenge Frau," versetzt das arme Kind:
"Der Käufer wird ja nicht von mir betrogen;
Ich sage nicht, daß sie unsterblich sind."
So, Leser, denk ich auch von diesen Apologen.

Ein Apologe ist jemand, der eine Verteidigungsrede bzw. Verteidigungsschrift verfaßt.

Fab.2
Der Prinz und der Hofmeister
Einem vierzehnjährigen Prinzen gewidmet.

Ein Prinz fragt seinen Freund und Lehrer: Weißt du nicht
Ein neues artiges Geschichtchen? Dieser sprach:
Ich weiß wohl eins; es fehlt im nur die Sittenlehre.
Doch diese setzen wir uns selbst hinzu.
So höre:

Ein König, namens Woldemar,
Der vor der Windsucht, die ihn plagte,
Oft ganze Nächte schlaflos war,
Verirrte sich, indem er jagte.
Sein Narr und Rat (es ist nicht rar
Erwähnter so vereint zu sehen)
Verließ ihn nicht in der Gefahr;
Er bot bei Graben, steilen Höhen,
Verwachsen Hecken ihm die Hand.

Zuletzt erreichten sie den Rand
Von einem silberblauen Teiche,
An dem, im Schatten einer Eiche,
Ein sorgenfreier Schäfer schlief.
Der Fürst blieb stehn; die Mißgunst nagte
Ihm an der Leber, und er rief:
Bin ich allein denn der Geplagte
Im Lande? Könnt' ich eine Nacht
Mir dieses Buben Ruh verschaffen,
Gern mißt' ich dich und meinen Affen.
Warum schlaf' ich den nicht? — Das macht
Du schläfst zu viel auf deinem Throne,
Versetzt der Favorit, und lacht.
Der König lachte nicht. Zum Lohne
Für den beichtväterlichen Scherz,
Stößt er den Speer ihm durch das Herz.

Wie würdest du, mein Prinz, so dreiste Rede strafen?
Sprach jetzt der alte Mentor; und sein Telemach
(Erzogen, wie du selbst von deiner Mutter) sprach:
Ich würd' auf meinem Thron zeitlebens nicht mehr schlafen.

Fab.3
Die Nachtigall und die Gans

Als eine Schwätzerin von Stande, wenig schön,
Sehr wohl genährt, und albern überflüssig,
Die klügern Frauen überträubte, rief Philen
Dem Dichter zu: Du sitzest müßig;
Hast du für unsre Schönen gar nichts mitgebracht?
Nicht neue Sinngedichte, Fabeln, Lieder?
Hier ist ein Märchen, sprach er, aber nur gemacht
Für Kinder: wenn ihr wollt, sagt's euren Kindern wieder.

Die Nachtigall sang einst ihr Zauberlied mir vor:
Ich stand entzückt, ich war ganz Ohr.
O daß doch, wünscht' ich, von dem ganzen Tiergeschlechte
Kein Laut den Wohllaut unterbrechen möchte!

Auf einmal watschelte die Gans herbei,
Die durch ihr höckriges Geschrei
Mich in der süßen Freude störte.
Nun schwieg die Sängerin; zumindest hörte
Mein Ohr sie nicht. — Gans! Gans! ich greife dich!
Ich brate dich! ich esse dich!
So rief ich, doch umsonst: ich schien ihr mein Entzücken
Durch diesen Ausruf auszudrücken.
Ich drohte mit dem Finger; aber ihr Geschrei
Ward lauter, denn sie hielt auch dies für Schmeichelei.
Ich will mich hurtig von ihr wenden;
Sie läuft mir nach. Nun halt' ich mir mit beiden Händen
Die Ohren zu; dies endlich faßte sie,
Sah mit Verwunderung mich an, und schrie:
"Ist's möglich? Können Nachtigallen,
Die kleinen Dinger, die dem Sperling ähnlich sind,
Wohl einen Menschen, der nicht blind
Und taub ist, mehr als eine Gans gefallen,
Ein großes, glattes, wohl beleibtes Tier,
Beredter als der Schwan? Das ist doch eigen!
Wodurch den ekler Herr, gefällt man dir?" —
"Durch Schweigen, dumme Gans! durch Schweigen."

Fab.4
Fehler der fürstlichen Erziehung

Ein König ließ den Erben seines Thrones
Mit großem Fleiß erziehn. Man sucht' in den Provinzen
Zum Unterricht seines Sohnes
Den größten Meister auf; man unterwies den Prinzen
In allen Künsten, die zur Zier
Und Nutzen dienten; er lernte zeichnen, tanzen,
Paläste bauen, Städt' umschanzen.
Blies feine Flöte, spielte fein Klavier;
Man ließ ihn in den Altertümern unterweisen,
Und nahm noch (denn er sollte reisen)
Die besten Lehrer in vier Sprachen an.
Zwei Reisende befragten einen alten Mann
An seinem Hofe: "Sagt uns, aber ungeheuchelt,
Was euer Prinz am besten kann."
"Gut reiten," sprach er, "denn kein Pferd hat ihm geschmeichelt."

Fab.5
Der Köhler

In einer großen Hungersnot
Saß einst ein Köhler in dem Kreise
Der Seinen um ein Haberbrot
Und eine Tracht gebratner Mäuse.
Sein Fürst verlor sich auf der Jagd
Von ungefähr in diese Hütte.
Er setzt, nach freier Jägersitte,
Sich unerkannt zu Tisch, und fragt:
"Was habt ihr da für eine Speise?"
"Ach," rief der Köhler, "es sind Mäuse.
Doch Herr, um Gottes Willen sagt
Dem Fürsten nichts von unserm Essen,
Sonst hegt er dieses Wild für sich;
Dann würden bald die Mäuse mich,
Und er allein die Mäuse fressen."

Fab.6
Der Hühnerhund

Des kranken Mopses gutes Leben
Begehrt der neidische Bellin,
Bellin, vor dem die Hasen beben,
Das Rebhuhn fällt, die Füchse fliehen.
Seht! wie das Glück den Dummen grünet!
"Was nutzt wohl," spricht er, "dieser Hund?
Faul ist er und ungesund;
Doch wird er als ein Prinz bedienet.
Auf Polstern ruht er, süße Kuchen
Und Hühnerbrüste nähren ihn,
Seht, wie sich Herr und Frau bemühn
Ihm Leckerbissen auszusuchen!
Ich bin gesund; was ist mein Dank,
Wenn ich Feld, Busch und Sumpf durchkrochen?
Hart Brot und abgenagte Knochen.
Warum bin ich nicht gleichfalls krank?"

Es hat nach jenen Weisen Lehren,
Das gute Glück zu mancher Zeit
Die grausame Gefälligkeit
Der Toren Wünsche zu erhören.
Bellin ward krank, als Mops genas.
So bald der Hausherr dies vernommen,
Ließ er den alten Jäger kommen,
Und sprach: "Erschieß das Rabenaas."

Der Hühnerhund erschrak gar heftig,
Als er den Todesspruch vernahm;
Und dieses schrecken war so kräftig,
Daß er schnell auf die Beine kam.
Er floh, von Todesangst begleitet,
Und lernte, — daß Zufriedenheit
Auch schlechte Bissen würzt, und Neid
Dem Neider nichts als Gift bereitet.

Fab.7
Der Adler und die Eule

Als in Gesellschaft sich der alberne Philet,
Den einer Favoritin Gunst erhöht,
Mit klügern Staatsbedienten maß,
Ergriff Hilarion ein Blatt, und las:

Der Adler Jupiters und Pallas Eule stritten.
"Abscheulich Nachtgespenst!" — "Bescheidner! will ich bitten;
Der Himmel heget mich und dich;
Was bist du also mehr als ich?"
Der Adler sprach: "Wahr ist's, im Himmel sind wir beide,
Doch mit dem Unterschiede,
Ich kam durch eignen Flug,
Wohin dich deine Göttin trug."

Fab.8
Schach Meledin

Der Sultan Meledin war — seines Vaters Sohn;
Das wichtigste Verdienst der meisten Prinzen
Und saß so schief als er auf der Ahden Thron.
Der Mufti, der Vesir und Rabbi Sabulon,
Ein Colbert seiner Zeit, beherrschten die Provinzen.
Indessen hieß man ihn der Perser Salomon;
Man pries sein Regiment, auf Säulen und auf Münzen,
Und Barden sangen ihn im Epopöenton.

Einst kam ein alter Mandarin
An seinen Hof, der Sina's Reichsgeschichte
(So lautete sein Paß) in einem neuen Lichte
Der Nachwelt dargestellt. Wohlan! sprach Meledin,
Ich mache dich zu meinem Biographen,
Und schenke dir ein Haus, vier Pferde, sieben Sklaven,
Und jährlich zehn Pfund Gold für Federn und Papier;
Doch ehe Sonn' und Mond noch dreimal untergehen,
Will ich mit meinem Großwesir
Den Grundriß deiner Arbeit sehen.

Gerühret und gespornt durch des Monarchen Gunst,
Entwarf der Mandarin auf einem Drachenfelle
In einer prächtigen Tabelle
Die Skizze seines Werks, ein Meisterstück der Kunst,
Worauf der Name seines Mazenaten
Als Hauptfigur in goldner Schrift erschien,
Und jede seiner großen Taten
Mit einem Denkstrich von Karmin.

Vortrefflich! rief der Schach, und las mit stolzer Miene
Die Schlachten her, die sein Vesir gewann,
Indes er im Arm der schönen Nuradine
Bald Betel sog, bald Seide spann,
Vortrefflich! rief er bei den Monumenten
Der Menschenhuld und des Genies,
Die Sabulon zur Ehre des Regenten,
Auch wohl zur Mehrung eigner Renten,
In seinem Namen werden hieß.
Auf einmal stutzt der Fürst: Was hast du hier geschrieben?
Die Chebern, die (wie deine Tafel sagt)
Mein blinder Eifer aus dem Reich verjagt,
Hat Ibrahim der Mufti fortgetrieben;
Auf ihn mußt du den Fehler schieben.

Am Ächtungsbrief hab ich dein Siegel hangen sehn,
Versetzt der Mandarin. Wenn die berühmten Taten,
Die deine Diener angeraten,
Und ohne dich verübt, auf deiner Rechnung stehn,
So mußt du, Herr, dich auch bequemen,
Das Böse, was durch sie geschehn,
Als eigne Schuld auf dich zu nehmen.

Fab.9
Der gütige Vater und gerechte Richter

Zaleucus, der den Ehebruch so gern
Aus seinem Staat verbannen wollte
Gab ein Gesetz hierüber seinen Lokriern,
Mit dieser Drohung, jeder Übertretung sollte
Geblendet werden. Doch zum Unglück übertrat
Sein Erstgeborner das Gesetz. Die Freveltat
Erbitterte den Richter; seines Sohnes Bitten
Erweichten ihn. Der Vater und der Richter stritten.
Und wer gewann in diesem Strauß?
Wird sich des Richters Gunst, der Vater Streng' erlauben?
Der strenge Richter ließ dem Sohn Ein Auge rauben,
Das andre stach sich selbst der gute Vater aus.

Fab.10
Die Toleranz

Der Adler hielt auf der bereiften Spitze
Des himmelhohen Kaukasus
Sein Parlament. Er legte seine Blitze
Voll Huld zu seines Thrones Fuß,
Und wog den Großen und dem Volke
Das Recht in ebnen Schalen aus.
Da fuhr, gleich einem Strahl aus einer Donnerwolke,
Ein Habicht in das Oberhaus.
Er hielt ein fremdes Tier in seinen Krallen
Es war ein alter Kakadu,
Der Indostan verließ, um durch die Welt zu wallen.

"Sieh," rief dem Schach der Schnapphahn zu,
"Hier ist ein arger Wicht, der dir dein Erzamt raubet.
Ein Philosoph, der den Olymp zerstört,
Der keinen Zeus und keinen Pluto glaubet,
Und nur bei seinem Brama schwört.
Ja, was noch ärger ist, er macht sich ein Gewissen,
Die Kost die meinen König nährt,
Das Fleisch der Tiere zu genießen,
Drum halt ich ihn des Todes wert."

"Da Zeus ihn leben läßt, so laß auch ich ihn leben,"
Versetzt der gute Schach, und winkt ihn los zu geben.
Der Inquisitor barst vor Wut
Allein das Hofgesind, zumal die Papageien,
Der Virtuos aus Calekut,
Und die beredte Gänsebrut
Vergötterten in wilden Melodeien
Des Königs Toleranz und Edelmut.
"Schweigt," rief der Potentat, so derb zur bunten Herde,
Daß ihr der kalte Schweiß entrann,
"Ein Fürst der nicht verfolgt, ist noch kein Gott der Erde,
Ist weiter nichts, als — kein Tyrann."

Fab.11
Die Nachbarschaft der Buhlerei

Die Buhlerei, die gern sich Liebe nennt,
Erscheint vermummt an einem Fest der Freude
Im schlausten Putz, in Neardanens Kleide,
Wovon den Wert sie und die Jugend kennt.
Ihr Auge spielt, die freien Blitze fliegen,
Die offne Brust voll wilder Seufzer wallt.
Lust, Vorwitz, Scherz, Bewunderung, Vergnügen
Fliehn schnell hinzu, und loben die Gestalt.
Man folgt ihr nach, den holden Reiz zu sehen,
Woran man gar nicht satt sich sehen kann.
Sie neigt sich tief, um schöner wegzugehen.
Da fragt die Lust: "Wo trifft man denn dich an?
Entdeck' es mir. Dich nimmer zu verfehlen,
Dich oft zu sehn, wünscht niemand mehr als ich."
Sie lacht, und spricht: "Wer kann sich Nachbarn wählen?
Die meinigen sind mir oft lächerlich.
Zwar leb' ich weit von der langweil'gen T r e u e
Und ihrem alten Ehgemahl B e s t a n d;
Doch neben mir, zu meiner rechten Hand
Wohnt S e l b s t b e t r u g und zu der linken R e u e.

Fab.12
Der Rang

Vor Zeiten als am Hofe gar
Ein eignes Amt für Narren war,
Anstatt daß sie in unsern Tagen
Zugleich noch andre Würden tragen,
Ging eines Fürsten lust'ger Rat,
Hans Ley, dem Kanzler aus Versehen
Zur rechten Seite. Der Magnat
Hub an sich heftig aufzublähen.
Ward rot, und polterte voll Wut,
Gleich einem Hahn aus Kalekut:
"Ich, von stiftsfähigem Geschlechte,
Und erster Herr im Staat dabei,
Ich laße keinem Narren diese Rechte."
"Wohl aber ich," sprach Hofnarr Ley,
Und sprang mit Lachen, Nicken, Winken
Dem ersten Herrn des Staates zur Linken.

Fab.13
Der junge Hahn und der Storch

Dem jungen Haushahn will ein fremder Storch beweisen,
Daß alle Vögel, die nicht reisen,
Dem Menschen nichts zu gute tun.
"Erlaube mir," versetzt der Hahn, "von unserm Huhn
Das Gegenteil dir darzutun."
Der Storch erlaubt's, und hört zu hundert Speisen
Und Kuchenwerk des Huhnes Eier preisen.
Hierdurch nicht wenig aufgebracht,
Verteidigt er, was er gesagt, mit aller Macht,
Mit allen ausgelernten kleinen Listen
Der Rabulisten und Sophisten.
Allein in diesem Stücke war
Das Recht des Hahnes sonnenklar.
Der Storch verzweifelt ihn zu überzeugen,
Und schämt sich doch, vor ihm zu schweigen.
Stracks ändert er die Überzeugungsart,
Fängt an, ihn auf den Kamm zu beißen,
Und droht bei jedem Biß in Stücke ihn zu reißen;
Wodurch der arme Hahn so beugsam ward,
Daß er das Recht des Storches erkannte,
Und sich durch Vorurteil und Gunst verblendet nannte.

Ein Mächtiger, der mit dem Schwächern spricht,
Verlangt nur Beifall, Wahrheit nicht.

Fab.14
Der Hirsch, der sich über sein Schicksal beklagt

Muß ich denn, sprach ein Hirsch, allein
Ein Raub der Hund' und Menschen sein?
Vor stündlichen Gefahren beben?
Und länger noch als Andre leben?
Natur! so rief er jämmerlich,
Natur! o warum schufst du mich?

Ein Hase lief bei ihm vorbei.
"Du kleines Tier lebst sorgenfrei.
Wie leicht, wenn Jäger uns entdecken,
Kann solch ein Würmchen sich verstecken!"
"Wo kam denn jüngst mein Weibchen hin,
Sprach dieser, wenn ich sicher bin?"

Indessen trabt ein großer Bär
Tiefsinnig seinen Holzweg her.
Wär' ich so stark, rief er von neuem,
Wie sollten sich die Jäger scheuen!
Dich zog das Glück uns allen vor." —
"Ja!" sprach der Bär, "das weiß mein Ohr."

Ein Rebhuhnflug schoß schwirrend auf.
"Was hilft mir," sprach der Hirsch, "mein Lauf?
O könnt' ich als ein Rebhuhn fliegen!" . . .
"Tor! siehst du nicht den Spürhund liegen?"
Rief eines fliehend: "flieh, wie wir;
Der Jäger zielt nach uns und dir."

Ein Schuß geschah: der Hirsch entflieht.
"Wenn nichts sich der Gefahr entzieht,
Was will ich denn durch stetes Grämen
Mir vor der Zeit das Leben nehmen?"
So sprach der Hirsch. — Mich selber däucht,
Was alle trifft, erträgt man leicht.

Fab.15
Schädlichkeit des menschlichen Mundes

Den Erbfeind unsres Volkes hab' ich dir jüngst gezeigt,
Mein Kind, sprach eine Zieg'; eins muß ich dir noch sagen:
Auch von den Menschen kannst du etwas nicht ertragen. —
Wie? von den Menschen? Ei! die sind uns ja geneigt. —
Je gütiger sie gegen uns dem Schein nach sind,
Je schädlicher ist auch ihr Gift, mein Kind. —
Was kann an ihnen denn so schädlich sein? — Ihr Mund;
Der ist uns Ziegen äußerst ungesund.
Vermeide ja der Menschen Mund.

Ist's wahr, was unsre Ziege spricht?
Sie selbst und auch der Grieche* muß es wissen,
Der ihr Geschichtsbuch, ich weiß es nicht.
Dies aber weiß ich: Parthenissen
Tat oft die kluge Mutter diese Lehre kund:
Mein Kind vermeide ja der Menschen Mund.

*gemeint ist: Claudius Aelianus ca. 175 - ca. 235
der es in seiner Tiergeschichte erwähnte:


Liber septimus/XXVI

Caprarum solertia etiam haec est: salivam humanam perniciosam esse
ceteris animantibus probe norunt, atque ab ea sibi cavent; quemadmodum
nos quoque conamur, quae homini, si gustaverit, sunt perniciosa, effugere.
Verumtamen saepe imprudens sibi noxia homo haurit: at non item
capras saliva hominis latet: quae et marinas scolopendras interfecere valet.
Praenovit etiam capra cum proximum est, ut juguletur; quod vel inde constat,
quoniam non amplius cibum attingit.
Eadem indignum putans se in extremo ovilli pecoris agmine incedere,
gregem quidem praecurrens antegreditur; at ipsam hircus tum barbae
fiducia, tum naturae quodam instinctu, genus masculum femineo praeferens
antecedit.

Deutsche Übersetzung:

Buch 7/26. Von der Klugheit der Ziegen.

Ein Beweis von der Klugheit der Ziegen ist auch Folgendes.
Sie wissen sehr gut, daß der Speichel des Menschen andern Tieren
schädlich ist, und vermeiden ihn, so wie auch wir das zu fliehen suchen,
was dem Menschen, wenn er davon kostet, nachteilig ist. Und doch hat
schon mancher Mensch, ohne es zu wissen, etwas Verderbliches getrunken;
die Ziegen aber lassen sich bei dem eben genannten Gegenstande nicht
täuschen. Auch die Meer-Assel (Skolopendra) zu töten, hat der Speichel
eine große Kraft.

Quelle: Tiergeschichten/Übersetzt von Friedrich Jacobs/Stuttgart 1839.


Fab.16
Der Tempel zu Memphis
An die Matrone Gellia

Ein Inder, der kaum ein Wort
Vom Opferdienste der Ägypter wußte,
Und einst nach Memphis reisen mußte,
Betrat den weltberühmten Ort
Mit lehrbegierigem Vergnügen.
Kaum geht er hundert Schritte fort,
So sieht er einen Tempel vor sich liegen,
Der den geblendeten Gesicht
Ein achtes Wunderwerk verspricht.
Voll Neubegierde mehr zu sehen,
Eilt er hinein, und bleibt wie angewurzelt stehen.
An jedem Vorwurf, welche unschätzbare Pracht
Und hohe Kunst der ersten Gottheit würdig macht,
Bleibt sein erstauntes Auge kleben.
Erz, Marmor, Elfenbein in Bildern voller Leben
Sind überall mit Weisheit angebracht.
Der Fremdling nahet sich nicht ohne Beben
Dem Herrn so vieler Herrlichkeit,
Den Weihrauchwolken rund umgeben,
Und macht voll Demut sich bereit
Auf seinen Knien ihn andächtig zu verehren.
Allein wie stutzt er nicht, als er den Gott erblickt!
Bedenke, Gellia! mir Perlen ausgeschmückt,
Mit Steinen ausstaffiert, war es – ein lächerlich
Meerkätzchen. — Nun? was kann uns dieses Märchen lehren?
Was Delphens Tempel uns gelehrt: Erkenne dich.

Fab.17
Der Bullenbeißer und das Windspiel

Ein tapfrer Bullenbeißer, den mit eigner Hand
Ein Junker an den Torweg band,
Lag harmlos einst im heitern Sonnenschein,
Und spielte still mit seiner Kette
Da trat die flüchtige Finette
Ein Windspiel, vor ihn hin: "Macht dir's denn keine Pein,"
So fragt sie "zur unverdienten Schande
Der Fessel hier verdammt zu sein?
Du bist ja stark genug; zerbrich die Bande!" —
"Ich tue, wie du siehst, noch mehr, versetzet er;
Die Kunst, die Ketten, die wir fühlen,
Zu brechen, ist noch nicht so schwer,
Als die — damit zu spielen."

Fab.18
Das Gebet

Ein Eremit am Libanon
Den man als einen Heiligen verehrte,
Und den, wie jeder glaubte, Gott zum öftern schon
Durch himmlische Gesichte lehrte,
Lag einst auf seinem Angesicht
Und hielt andächtig Sabbatfeier.

Ein Engel nahet sich, berührt sein Aug' und spricht:
"Sieh jenes Weib im Nonnenschleier
Und schwarzen härnen Bußtalar;
Sie kniet am ernsten Sühnaltar,
Und ein Gebet des Isaïden
Strömt über ihre Lippen hin;
Und hier — wie sehr von ihr verschieden! —
Sitzt diese junge Städterin;
Die Freude lacht aus ihren Mienen,
Und mit erhitzter Emsigkeit
Wirkt sie ein buntes Feierkleid.
Sprich, welche betet unter ihnen?"
"Die am Altar erwidert er."
"Du irrst," spricht der Geist; "die sagt Gebete her;
Die Junge betet." — "Und auf welche Weise?"
Rief hier der Klausner; ihre Hand
Wirkt ja mit ärgerlichem Fleiß ein Festgewand." —
"Sie wirkt es für eine arme Waise."
Der Herold Gottes sprach es, und verschwand.

Fab.19
Weizen und Unkraut

Es war ein Mann, so lehrt der Weisheit Mund,
Der guten Samen auf sein Feld gestreut.
Als seine Leute schliefen, kam sein Feind,
Warf Unkraut in den Weizen, und entwich.
Der Weizen wuchs empor, und brachte Frucht;
Doch mit ihm das Unkraut; und nun kommt
Das Hausgesinde zu dem Herrn, und spricht:

"Es ist entsetzlich! hast du lieber Herr,
Nicht guten Samen auf das Feld gestreut?
Wo kommt denn solch böses Unkraut her?"
Gelassen sprach der Weise: "Als ihr schlieft,
Da kam der Feind, und warf das Unkraut aus." —
"Das geht nicht! kann nicht bleiben! riefen sie;
Herr, nur ein Wort, so gehen wir aufs Feld,
Und reißen's aus" — "Mitnichten!" sprach der Herr.
"Damit ihr nicht, wenn ihr nach Unkraut sucht,
Mir meinen Weizen, den ich ausgestreut,
Zertretet oder ausrauft. Beides laßt
Bis zu der Ernte wachsen, und ich will
Alsdann den Schnittern sagen: Sondert mir
Zuvor das Unkraut aus, und bindet es
In Bündlein, daß man es verbrennen kann;
Den Weizen bringt in meine Scheuern ein."

Was Freunde, lehret uns der Weisheit Mund?
Wer selbst den Weizen ausrauft, weil er oft
Das Unkraut duldet, ist ein schlimmer Wirt
In Gottes Garten, ist dem Feinde gleich,
Der böses Unkraut in den Weizen warf.

Hier behandelt Ramler das Gleichnis Jesu vom Weizen und Unkraut.
Nachzulesen im Matthäus Evangelium Kap.13/V.24-30.


Fab.20
Salomo

An einem großen Jubeltage,
An welchem Salomo die Klage
Des Ärmsten hörte, und woran
Sich jährlich alles Volk, von Dan
Bis Berseba, zum Herrscher nahte,
Trat auch der frömmste Mann im Staate,
Ein edler Greis, vor seinen Thron,
Und sprach: "Darf ich mich unterstehen,
Um eine Huld dich anzuflehen,
So bitt' ich dich für einen Sohn
Von deinem Bruder, der, verachtet,
Verlassen, krank, im Kerker schmachtet.
Du weißt, ich bin sein Freund" . . . "Dein Flehen,"
Versetzte Davids weiser Sohn,
"Las ich in deinem Antlitz schon.
Kaum sah ich dich im Vorsaal stehen,
So sandt' ich hin, ihn zu befrein."
Hier stürzt der Jüngling schnell herein,
Auf seinen Knien mit Tränengüssen
Des gottgesalbten Hand zu küssen.

* * *

Ihr Klügler, die ihr das Gebet,
Als ungereimt und eitel schmäht
Weil Menschen Gottes Schluß nicht wenden;
Wie, wenn der Geber Jehovah
Von Ewigkeit die Menschen sah
Mit freien ausgestreckten Händen
Zu seinem Gnadenthron sich nahn?
Wie, wenn er da schon seinen Plan
Danach entwarf, und das gewährte,
Was seiner Weisheit Zweck nicht störte?
Dann bleibt sein Schluß ja ewig stehn,
Und wäre doch nicht der gewesen,
Hätt' er des Tugendhaften Flehn
Im Buch der Zukunft nicht gelesen.

Fab.21
Die Pilger

Ein Imam sandte seine Söhne
Nach Mekka zu des Sehers Grab;
Sie reisten wie die Diogene,
Das heißt zu Fuß. Beim Abschied gab
Der Heilige mit einer Träne
Des Segens jedem einen Stab,
Und sprach: "Laßt diesen euch regieren;
Ihm schenkte Gott die Wunderkraft,
Euch stets den rechten Weg zu führen.

Sie traten ihre Pilgrimschaft
Jetzt mutig an. Einst rief im Gehen
Der jüngste Bruder: "Laßt doch sehen,
Wer wohl den schönsten Stecken führt?
Stracks blieb die Karawane stehen.
Die Stäbe werden rezensiert
Und in der Läng' und in der Quere
Gedreht, gebogen abvisiert,
Und jeder schwur bei seiner Ehre,
Das seiner doch der schönste wäre.

Als man sich heiter demonstriert,
So kam es, wie in unsern Tagen,
Zum Schelten, endlich gar zum Schlagen.
Ein Derwisch, fromm und weise, lief
Zu den Athleten hin, und rief
Mit strafender erhabner Stimme:
"Laßt ab, Unsinnige, laßt ab
Von eurem mörderischen Grimme!
Der Vater gab euch diesen Stab,
Euch auf die rechte Bahn zu leiten;
Und wie? den braucht ihr, ihm zum Hohn,
Als Werkzeug toller Streitigkeiten,
Wie Christen die Religion?"

Fab.22
Das Pferd und der Esel 1

Ein sattes Pferd ging von der Krippe,
Und fiel vor Wollust auf die Streu;
Ein dürrer Esel, oder ein Gerippe
Von einem Esel, stand dabei.
"Wie geht es, guter Greis? du scheinst mir ziemlich hager."
So redete der Hengst ihn an.
"Bist du nicht recht gesund? macht dich der Gram so mager?"
"Ach!" sprach das Müllertier, "das hat es nicht getan;
Allein der Hunger und das viele Tragen,
Des Treibers unverdientes Stoßen, Schlagen
Ist schuld. O! käme nur das Ende meiner Plagen,
Der Tod!"
"Ob es dir schon so elend geht,"
Erwiderte der Gaul, "so mußt du doch nicht klagen,
Ein Weiser trägt die Not, die nicht zu ändern steht.
Du leidest nicht allein; und kurz, was willst du machen?
Das Schicksal tut, was ihm gefällt;
Dem wird das Leben süß gemacht und dem vergällt.
Auch nutzt oft Weinen mehr, als Lachen."
Da sprach das Grautier: "Du bist satt,
Und deine Weisheit kommt aus dem gefüllten Magen.
Der hat gut predigen und von Verleugnung sagen,
Wer selber keine Sorgen hat."

Fab.23
Ibrahim

Eh F e r d i n a n d mit frommer Wut
Die Mauren von sich stieß,
Floß Omars junges Heldenblut
Durch Gusmanns Ritterspieß.

Aus Furcht der Rache (reich und groß
War dieser Sarazen)
Floh Gusmann, und blieb atemlos
Vor einem Garten stehn.

Hoch war die Mauer; doch er schwang
Sich pfeilgeschwind hinan,
Lief schnell in einen Bogengang,
Traf dort den Gutsherrn an.

Er fleht um Schutz. Mit seinem Stab
Schlägt er mit Ibrahim
Gutmütig einen Pfirsich ab,
Und teilet den mit ihm.

Nimm hin, sprach er, du bist mein Gast;
Dies ist des Schutzes Pfand,
Den du von mir zu hoffen hast;
Und gab ihm seine Hand.

Doch plötzlich rief ein Mütterlein
Den edlen Greis hinaus;
Der schloß den Gast aus Vorsicht ein
Ins nahe Gartenhaus.

Drei Stunden harrt und nährt er hier,
Bald Furcht, bald Zuversicht.
Sein Schutzherr öffnet nun die Tür
Mit Tränen im Gesicht.

Den du erschlugst, grausamer Christ,
Sprach er, der war mein Sohn.
Schön ist die Rache, schöner ist
Gehaltner Treue Lohn.

Fleuch! vor der Gartentüre steht
Ein schnelles Pferd. Man sucht
Dich an der See. Fleuch nach Toled;
Gott schütze deine Flucht!

* * *

Fragt nicht, was der und jener meint
Vom Himmel, Höll' und Gott;
Der Tugendfreund sei euer Freund,
Und wär's ein Hottentott.

Fab.24
Momus und Cupido
An eine unverheiratete Dame

"Du bist ein sehr geschickter Schütze,"
Sprach Momus* zum Cupido,* "das ist ausgemacht;
So treffen nicht des Donnerers gezackte Blitze,
Nicht Phöbus tödliches Geschoß, als Tag und Nacht
Dein kleiner Pfeil. Doch sage mir, furchtbares Kind!
Da Mars, Neptun und Zeus von dir verwundet sind,
Warum du es nicht wagst auf Pallas Herz zu zielen." — —
"Man sagt, die sei zu klug, die tauge nicht zum Spielen."

*
Momus oder Momos, in der alten Mythologie der Gott des Spottes.
*
Cupido oder Amor.

Fab.25
Die zwei Hunde

Ein Pudelhund und eine Dogge kamen
Auf einen Weg; als man, wie es gewöhnlich ist,
Sich erst berochen und geküßt,
Begann man Neuigkeiten auszukramen.
Der Pudel, ein Genie, sprach im Posaunenton
Von seiner eigenen Person:
(Dies war der Modestil) "Herr Vetter!" fing er an,
"Du solltest mich nur einmal sehen,
Was ich für Künste machen kann.
Es ist ein Spiel für mich auf einem Seil zu gehen,
Und wie ein steifer Flügelmann
Mit einem Spieß im Schilderhaus zu stehen.
Ich tanze, besser tanzt ein Operntänzer nicht.
Ich lasse mich zu Tode schießen,
Und bin flugs wieder auf den Füßen,
Wenn man ein Wort vom Henker spricht.
Noch mehr! ich kann mit unerhörten Sprüngen
Bald über einen Stock, bald durch den Reif mich schwingen,
Und . . . wie? du gähnst?" Hier brach der Redner ab.
Die Dogge sprach: "Soll ich mich auch erheben?
Ich schütze meinem Herrn das Leben,
Und folg' ihm bis ins Grab."

Fab.26
Der Habicht und die Störche

Mitleidig ist die ganze Welt,
So bald nicht Eigennutz das Urteil fällt.

Ein Habicht schoß auf eine Lerche
Im Angesichte zweier Störche,
Und würgte, rupfte, speiste sie.
"Ach!" sprach der eine Storch, "die arme Lerche die!
Vorhin sang sie so artig noch."

"Storch!" sprach der Habicht, "spare doch
Die Seufzer nur; den du verzehrst,
Den armen Frosch, der ist beklagenswert;
Vorhin quakt' er so artig noch."

Wer selbst nicht tut, was er uns lehrt,
Wird mit Verachtung angehört.

Fab.27
Der Lohn der Tugend

Mit stillem brünstigem Gebete
Trat täglich vor Jehovas Thron
Arist, ein frommer Greis, und flehte
Für seinen fromm erzognen Sohn.
"O Gott! er ist mein Trost auf Erden;
Laß ihn dafür so glücklich werden,
Als dein Geschöpf es werden kann."
So betete der alte Mann.

Einst sank er zu des Altars Fuße
Voll himmlischer Begeistrung hin;
Da trat mit einem holden Gruße
Ein lichter Seraph neben ihn:
"Der Herr hat dein Gebet erhöret,
Dein Wunsch wird morgen dir gewähret;
An dieser Stätte krönt der Lohn
Der Tugend dich und deinen Sohn."

Der Alte geht nach seiner Zelle,
Und schläft, bis in der Morgen weckt;
Dann eilt er freudig zur Kapelle.
Ein Leichnam liegt dort ausgestreckt.
Sein Liebling ist es. Keine Zähre
Entweiht sein Auge. "Gott sei Ehre!"
Er küßt mit reiner Himmelslust
Den Sohn, und stirbt an seiner Brust.

Fab.28
Die Dryas

Am Fuße des Olymps erhebt
Ein alter Palmbaum sich, den man als göttlich ehret,
Weil eine Dryas* in ihm lebt,
Die jeden frommen Wunsch erhöret.

Philint, der Redlichkeit und Wissenschaft besitzt,
Doch nichts von dem, was man zum Glück des Lebens zählet.
Tritt vor den Baum und ruft: "O Göttin! wenn mir's nützt,
So gib mir, was mir noch zu meinem Glücke fehlet."
Er schweigt. — "Das alles findest du,
Mein Freund, in deiner eignen Hütte."
So flüstert aus dem Baum ihm eine Stimme zu.
Philint beflügelt seine Schritte,
Eilt keuchend in sein kleines Haus,
Und spüret nach dem Glück, worauf er sicher zählet,
Umsonst den letzten Winkel aus.
Er setzt sich, sinnet nach, und findet was ihm fehlet.

Was mochte wohl der guten Dryas Gunst
Dem redlichen Philint bescheren?
Den größten Schatz, — die seltne Kunst,
Das, was uns fehlet, nicht zu begehren.

*
Die Dryaden sind Baumgeister der griechischen Mythologie.
Genaugenommen sind sie Nymphen der Eichbäume, aber der Begriff
wurde für alle Baumnymphen üblich. Sie werden als schöne weibliche
Wesen dargestellt.


Fab.29
Die Pferdedecke

Ein Bürger liebte seinen Knaben ungemein;
Sein ganzes Trachten war, des teuren Sohnes Grillen
Mit blinder Nachsicht zu erfüllen.
Der Junge ward verliebt. "Mein Sohn, vertrau es mir,
Wen liebst du?" — "Fräulein Pfau." — "Gut! ich will sie dir geben."
"Wie kann das sein?" — "Ich kaufe dir
Den Adel." — "Ihre Brüder werden widerstreben;
Arm sind sie, aber stolz."
— "So liegt ja gleich
Das Mittel bei dem Übel: Bin denn ich nicht reich?"

Schon kommt der Adelsbrief. Man eilet zu den Brüdern,
Wirbt um das Fräulein. Sie erwidern:
"Was? unsre Schwester einem neuen Edelmann?
Sie? ein so altes Blut, das geht unmöglich an." —
"Allein bedenkt, daß ich sie wohl versorgen kann."
Was gebt ihr Eurem Sohne?" — "Hunderttausend Gulden."
"Ein großer Bettel! Kaum genug für unsre Schulden."
Wie viel besitzet Ihr?" — "Eine halbe Million."
"Mit einem Worte: Zahlt den vierten Teil davon
An unsre Gläubiger; der Rest genüget eben
Dem jungen Paare, standesgemäß zu leben.
Ihr müßt ihm alle Güter übergeben;
Sonst Nulle!" — "Sei's! Ich kenne meinen Sohn
Er wird die Summe klug verwalten,
Und meiner Güte wegen mich in Ehren halten;
Von Eurer Schwester hoff' ich gleichen Lohn."


Er tritt die Güter ab. Beim Hochzeitsfeste
Setzt schon die edle Braut von seinem Ton
Den Bürger unten an, den ersten ihrer Gäste
Zuletzt. Dann wird ihm allgemach
Gesellschaft, dann der Tisch versaget. "Denke nach,
Man wird uns fliehn, wenn man ihn immer siehet."
Erst widersteht der Sohn; doch sein Verfahren ziehet
Ihm bittre Reden zu. Verliebt und schwach,
Weicht er zuletzt, und trägt, durch Stolz und falsche Klagen
Verführt, das seine bei, den armen Greis zu plagen.

Indessen saugt das hohe Pfauenhaus
Den guten Schwager unbarmherzig aus.
Schon ist es Zeit an Sparsamkeit zu denken.
Ein schwerer Schritt! Wo fangt man an?
Wo sonst, als bei dem alten Mann?
Der hat ja doch nichts mehr zu schenken.

Die Dame bringt darauf ein Söhnlein, welchem bald
Ein zweites folget. Neuer Aufwand zu bestreiten,
Und neuer Abbruch an des Alten Unterhalt.
Er duldet lange. Nur zu Zeiten
Entflieget ihm ein einzelnes Wort.
Die Dame hört es einst: "Der Bettler! seinetwegen
Soll ich gewiß die Junker auf die Gasse legen.
Mann! ich bedeute dir's im Ernste: schaff' ihn fort,
Ihn, oder mich, von beiden eines, wähle!
Es ist nicht auszustehn." — "Nun ja doch, meine Seele!"
Der Undankbare zeigt den Vater an,
Daß er ihm länger nicht bei sich behalten kann.

"Sohn! muß ich dies von dir erleben?
Du mich verstoßen, der ich dir
Die Früchte meines langen Fleißes hingegeben?
Grausamer, strafst du mich dafür,
Daß ich zu zärtlich war? Doch nein, ich will nur flehen,
Nicht murren. Lieber Sohn! willst du mich alten Mann
Vor Frost und Hunger sterben sehen?
Ich bin zu schwach, mein Sohn! ich kann
Mein Brot nicht mehr verdienen. Wirst du den Armen
Dich künftighin nicht mehr erbarmen?
O! fange doch bei deinem Vater an;
Dies ist ja billig. Viel brauchst du mir nicht zu geben;
Ein Winkel, etwas Stroh, ein Kleid, ein Wasserkrug,
Und hartes Brot sind mir genug.
Was braucht ein Alter um zu leben?
Auch hoff' ich, daß du diese Last
Nicht lange mehr zu tragen hast."

Gerühret geht der Sohn zu seinem Weibe: "Erlaube,
Daß ich . . .
" – "Die Memme! was? ich glaube,
Er weinet gar. Ei freilich! wenn der Alte spricht,
Dann achtet man des Weibes und der Kinder nicht."
Er kehrt zurück: "Ich kann sie dahin nicht vermögen.
Geht Vater! tut es nur des lieben Friedens wegen;
Sucht einen Freund.
" . . . "Ach Sohn! was mir mein eigen Blut
Versagt, glaubst du, daß ein Fremder an mir tut?"

Hier kommt die Dame selbst mit ihrem ältesten Kinde
(Ein Sohn von sieben Jahren) an der Hand:
"Daß ich doch immerfort den Alten vor mir finde!
Komm Sohn! ich sehe wohl, wir sind von hier verbannt."
(Der Alte) Nicht doch! ich gehe gleich. Doch vor dem letzten Schritte
Gewährt mir noch eine letzte Bitte.
Ihr seht, der Winter ist nicht weit.
Frost, Kummer, Mangel an Versorgung und an Kräften
Wird mich den kurzen Rest der Lebenszeit
Wohl meistens an das Lager heften.
Sohn! gib mir aus Barmherzigkeit
Doch nur ein schlechtes Bett, auf welchem ich das Leben
Beschließen kann." (Die Frau) "Wir haben keines wegzugeben."
(Der Alte) "Auch dieses nicht? Ach Gott! so gebet mir
Nur eine von den Decken eurer Pferde,
Damit ich nicht auf bloßer Erde
Zu sterben habe. Kann ich dieses hoffen?" (Der Sohn) Ja!
Man bringe mir die älteste." (Das Kind) "Sogleich Papa,
Geh' ich und hole sie."

Geht nach dem Stalle, ruft den Knecht herbei:
"Nimm diese Decke, schneide sie entzwei."
Er bringt die Hälfte hin. Der Alte weint: "So habe
Ich auch schon dich zum Feinde? von der magern Gabe
Zwackst du noch ab?" – Der Vater sieht den Jungen an.
"Wo hast du denn die andre hingetan?"
(Das Kind) Aus Vorsicht hielt ich sie zurücke,
Damit ich einst, wenn ihr ein alter Mann
Wie dieser seid, und ich Euch von mir schicke,
Sie Euch zum Bette geben kann."
Betroffen steht der junge Mann,
Wirft sich zu des Vaters Füßen:
"Vergebt mir Vater! bleibet hier.
Was ich vermag, das sollet Ihr,
So lang' ihr lebt, mit uns genießen."
Ich will es Weib! gehorche mir!"

Fab.30
Das Pferd und der Esel 2

Ein Esel trug einst eine schwere Last;
Ein ledig Pferd ging neben ihm. "Du hast
Auf deinem Rücken nichts," sprach das beladne Tier:
"O liebes Pferdchen, hilf mir doch!"
"Was, helfen?" rief der grobe Gaul;
"Man kennt euch Esel wohl, ihr seid nur faul.
Trag' immer nur zu!" — — "Ich sterbe, liebes Pferd!
Die Last erdrückt mich; rette mich!
Die Hälfte wär' ein Spiel für dich."
"Ich will nicht," sprach das Pferd.
Kurz, unter dem schweren Sack
Erlag der Esel. Sack und Pack
Lud man sogleich dem Rappen auf,
Des Esels Haut noch oben drauf.

Hätt' ich die Hälfte ihm abgenommen,
Wie gut wär' ich davon gekommen!
Denkt jetzt der Gaul, dem fast das Rückgrat bricht.
Ich denk: Einander beizustehn ist Bruderpflicht.